In Berlin wurden elf Kommunen für ihre vorbildlichen und wirkungsvollen Aktivitäten zur Suchtprävention ausgezeichnet. Die Preisverleihung war der Abschluss des 8. bundesweiten Wettbewerbs „Vorbildliche Strategien kommunaler Suchtprävention“. Der Wettbewerb hat zum Ziel, wirksame kommunale Projekte der Suchtvorbeugung herauszustellen, um andere Kommunen zur Nachahmung anzuregen.
Ausgelobt wurde auch ein Sonderpreis der gesetzlichen Krankenkassen zum Thema „Gesundheitsförderung und Prävention für Kinder aus suchtbelasteten Familien“. Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes: „Kindern aus suchtbelasteten Familien zu helfen ist eine ganz besondere Herausforderung für die Kommunen. Deshalb zeichnen wir in diesem Jahr Kommunen aus, die sich in diesem Bereich nachhaltig engagieren. Darüber hinaus können alle deutschen Landkreise und kreisfreien Städte, die entsprechende Projekte für diese Zielgruppe neu anbieten oder bestehende erweitern möchten, hierfür eine Unterstützung durch das GKV-Bündnis für Gesundheit erhalten (www.gkv-buendnis.de).“
Der diesjährige Wettbewerb hat die Wirksamkeit der suchtpräventiven Arbeit in den Kommunen in den Vordergrund gestellt. Die Bandbreite der Suchtpräventionsmaßnahmen vor Ort ist groß. Sie reicht von Maßnahmen, die dazu beitragen, Substanzkonsum und seine Folgen zu mindern, über die Einführung eines Qualitätsmanagements und den Aufbau nachhaltiger Strukturen bis hin zu Ansätzen, die suchtbelastete Familien in den Blick nehmen, um das Weitergeben von Suchterkrankungen in die nächste Generation zu vermeiden.
Der Wettbewerb ist mit 51 Beiträgen auf bundesweit breite Beteiligung gestoßen. Eine Jury aus Wissenschaft und Praxis hat die Wettbewerbsbeiträge bewertet und die Preisträger ausgewählt. Für die prämierten Beiträge hat die BZgA ein Preisgeld in Höhe von insgesamt 60.000 Euro zur Verfügung gestellt. Hinzu kommt der vom GKV-Spitzenverband zur Verfügung gestellte Sonderpreis in Höhe von 20.000 Euro.
Folgende Kommunen wurden für ihre vorbildlichen Aktivitäten ausgezeichnet:
Kreisfreie Städte
Freie Hansestadt Bremen (10.000 Euro)
Stadt Delmenhorst (7.500 Euro)
Stadt Dortmund (7.500 Euro)
Kreisangehörige Städte und Gemeinden
Stadt Pfullendorf (10.000 Euro)
Stadt Zeitz (7.500 Euro)
Landkreise
Landkreis Trier-Saarburg (10.000 Euro)
Landkreis Schweinfurt (7.500 Euro)
Sonderpreis der Krankenkassen:
Stadt Bielefeld (5.000 Euro)
Landeshauptstadt Dresden (5.000 Euro)
Stadt Leipzig (5.000 Euro)
Oberbergischer Kreis (5.000 Euro)
Die Preisverleihung erfolgte am Abend des 22.09.2020 in Berlin unter Beteiligung von Daniela Ludwig, Prof. Dr. med. Heidrun Thaiss und Gernot Kiefer. Die Preisträger-Kommunen waren per Video zugeschaltet. Die Aufzeichnung des Video-Streams der Veranstaltung ist abrufbar unter: https://youtu.be/dof9A7qzPCY.
Weitere Informationen zum Wettbewerb und den ausgezeichneten kommunalen Projekten sowie eine Dokumentation der eingereichten Beiträge zum Download finden Sie unter: http://kommunale-suchtpraevention.de. Die Dokumentation kann kostenlos bestellt werden unter: bestellung@bzga.de
Der Bundeswettbewerb wird vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) inhaltlich und organisatorisch betreut.
Gemeinsame Pressemitteilung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und des GKV-Spitzenverbandes, 23.09.2020
Im dritten Teil des Artikels „Trends und Rahmenbedingungen in der Suchtrehabilitation“ stehen die Themen Modularisierung, Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung sowie Leistungsrecht und Wirtschaftlichkeit im Mittelpunkt. In Teil I und Teil II (erschienen am 26.08. und 09.09.2020) wurden bereits die Themen Nachfrage und Zugang, Fachkräftemangel, Digitalisierung sowie Therapie und Konzepte behandelt.
e) Modularisierung
In den Jahren 2011 bis 2015 erfolgte eine zunehmende Modularisierung des Leistungsangebotes in der Suchtrehabilitation. Es wurden verschiedene neue bzw. ergänzende Behandlungsformen entwickelt und durch entsprechende Rahmenkonzepte der Leistungsträger definiert.
Mit dem Rahmenkonzept zur ganztägig ambulanten Suchtreha wurden 2011 die Anforderungen für eine noch relativ neue Behandlungsform festgelegt, für die auch die Bezeichnungen Tagesreha oder teilstationäre Reha verwendet werden. Zahlreiche Einrichtungen wurden seither neu eröffnet, viele davon sind aber nicht ausgelastet, und einige wurden auch schon wieder geschlossen, weil diese sehr kleinen Einrichtungen (häufig nur zwölf Plätze) kaum wirtschaftlich zu führen sind. Besonders nachgefragt wird die sog. ganztägig ambulante Entlassungsform. Das bedeutet, dass sich an eine (häufig verkürzte) stationäre Phase eine in der Regel vierwöchige Phase im ganztägig ambulanten Behandlungssetting anschließt. Seit 2007 haben sich Einrichtungen der ganztägig ambulanten Suchtreha über ein jährliches Bundestreffen vernetzt und arbeiten gemeinsam an der Lösung spezifischer Probleme wie bspw. der passenden Indikationsstellung in Abgrenzung zur ambulanten und stationären Reha, der Etablierung von 6-Tages-Konzepten mit Angeboten am Wochenende, dem Vergütungsausfall durch Krankheitstage der Rehabilitanden, den notwendigen Suchtmittelkontrollen beim täglichen Übergang zum Alltag und der Eignung dieser Behandlungsform für Drogenabhängige.
Das Rahmenkonzept zur Nachsorge im Anschluss an eine medizinische Rehabilitation Abhängigkeitskranker trat 2012 in Kraft. Damit wird eine deutliche Trennung der (sozialtherapeutischen) Reha-Nachsorge von der (suchttherapeutischen) ambulanten poststationären Reha-Behandlung definiert, mit erheblichen Folgen für die Angebotsstruktur in diesem Bereich. Therapiegruppen in der ambulanten Nachsorge und in der ambulanten Reha müssen nun getrennt durchgeführt werden, was zu immer kleineren Gruppen und einer abnehmenden Wirtschaftlichkeit für die Anbieter führt. Insbesondere im ländlichen Raum droht eine deutliche Reduzierung dieses Leistungsangebotes. Es folgten im Jahr 2015 weitere Rahmenkonzepte zur ambulanten bzw. ganztägig ambulanten Fortführung der Entwöhnungsbehandlung mit und ohne Verkürzung der vorherigen (stationären) Phase. Damit wurden wieder mehr Optionen für eine suchttherapeutische ambulante poststationäre Behandlung geschaffen.
Mit dem Rahmenkonzept zur Kombinationsbehandlung wurde im Jahr 2014 eine sehr weitgehende Möglichkeit für die kombinierte Durchführung verschiedener Behandlungsmodule bzw. Behandlungsphasen im Rahmen einer Kostenzusage geschaffen. Die einzelnen Phasen können in stationärer, ganztägig ambulanter oder ambulanter Form durchgeführt werden. In der Regel erfolgt im Anschluss an eine stationäre Rehabilitation eine Fortführung im ambulanten Setting. Für die Durchführung ist ein gemeinsames Konzept der beteiligten Leistungsanbieter erforderlich. Die Fallzahlen für diese Behandlungsform sind bundesweit eher gering. Allerdings konnte mit dem Konzept „Kombi-Nord“ der drei norddeutschen Regionalträger der DRV eine noch flexiblere Möglichkeit der Kombination unterschiedlicher Module geschaffen werden, bei der ein zeitlicher Rahmen für die Gesamtbehandlung definiert, Übergabegespräche beim Phasenwechsel festgelegt und eine Fallsteuerung ergänzt werden.
Besonders im Fokus steht derzeit die Ambulante Reha Sucht (ARS), für die seit 2008 ein Rahmenkonzept der Leistungsträger existiert. Diese Leistungsform wurde vor rund 25 Jahren als ergänzendes Angebot in Fach- und Beratungsstellen entwickelt. Mittlerweile ist deutlich geworden, dass dieses Angebot bei einem bundesweit einheitlich vorgegebenen Kostensatz und definierten Personal- und Strukturanforderungen der Leistungsträger kaum noch kostendeckend realisiert werden kann. Seit 2017 finden intensive Verhandlungen zwischen den Suchtverbänden und den Leistungsträgern statt, und es konnten einige organisatorische und finanzielle Verbesserungen vereinbart werden, bspw. wurde die Federführung für die Leistungsanbieter dem jeweiligen Regionalträger der DRV zugeordnet, und der Kostensatz wurde deutlich angehoben. Ob damit die langfristige Überlebensfähigkeit dieses wichtigen Leistungsangebotes sichergestellt werden kann, bleibt abzuwarten.
Eine weitere besondere Leistungsform in der Suchtreha ist die Adaptionsbehandlung als zweite bzw. letzte Phase der stationären medizinischen Rehabilitation. Sie ist stärker als die vorangehende Entwöhnungsbehandlung auf die Aspekte Wohnung und Arbeit fokussiert. Mit der Verfahrensabsprache zur Adaptionsbehandlung haben sich die Leistungsträger 1994 erstmalig auf gemeinsame Rahmenbedingungen für die Behandlungsform verständigt. Seit 2007 gab es sozialrechtliche Auseinandersetzungen mit Teilen der Gesetzlichen Krankenversicherung, die den medizinischen Charakter und die Zuständigkeit für die Kostenübernahme betrafen. Mit einem Urteil des LSG Baden-Württemberg von 2017 wurde diese Frage aber letztlich so entschieden, dass die Adaption eindeutig der medizinischen (und nicht der sozialen) Reha zuzuordnen ist. Zu dem Ergebnis, dass die GKV die Kosten für die Adaptionsbehandlung übernehmen muss, kommt auch ein ganz aktueller Beschluss des Sozialgerichtes Oldenburg (17.07.2020). Die Deutsche Rentenversicherung hat 2017 eine Erhebung unter den Einrichtungen zur Bestandsaufnahme durchgeführt, da die konzeptionelle Entwicklung in den letzten 20 Jahren zu regionalen Unterschieden geführt hat. 2019 wurde ein Rahmenkonzept veröffentlicht, das eine inhaltliche Einordnung der Adaption in das Leistungsspektrum der Suchtrehabilitation bieten sowie einheitliche strukturelle und personelle Anforderungen beschreiben soll.
Die folgende Übersicht (Tabelle 1), die 2016 von den Suchtverbänden als Hilfestellung für Träger und Einrichtungen erstellt wurde, zeigt die unterschiedlichen Leistungsformen im Gesamtzusammenhang:
Tab. 1: Kombinationsmöglichkeiten von Behandlungsformen in der Suchtrehabilitation
Vor dem Hintergrund dieser Modularisierung der Leistungsangebote können in der Suchtrehabilitation inzwischen sehr individuelle Behandlungsverläufe gestaltet werden, die allerdings erhebliche Anforderungen an das modul- bzw. phasenübergreifende Fallmanagement stellen. Das wirft für die Zukunft verstärkt die Fragen auf, wer dieses Fallmanagement leistet und wie diese zusätzliche Leistung vergütet werden soll. Eine mögliche weiterführende Perspektive könnte auch die Kombination mit Angeboten außerhalb der medizinischen Rehabilitation im Rahmen einer integrierten Versorgung sein. Ein sehr gutes Beispiel dafür, dass eine solche Vernetzung möglich ist und erhebliche Vorteile für die Leistungsberechtigten, die Leistungserbringer und die Leistungsträger bringt, ist das Modell „Alkohol 2020“, das in Wien erprobt wurde und mittlerweile in der Regelversorgung umgesetzt wird (vgl. Reuvers 2017: „Alkohol 2020“. Eine integrierte Versorgung von alkoholkranken Menschen in Wien).
f) Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung
Seit 2009 existiert in der medizinischen Reha eine gesetzliche Verpflichtung zur Zertifizierung der Systeme für das interneQualitätsmanagement. Es gab es schon um das Jahr 2000 herum erste Überlegungen, wie die eher industriell geprägten Ansätze zur Umsetzung von Qualitätsmanagement für das Gesundheitswesen und die Sozialwirtschaft angepasst und praxisgerecht umgesetzt werden können. Ein Beispiel dafür ist die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Suchttherapie (deQus), die in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen feiert (www.dequs.de). Mittlerweile ist Qualitätsmanagement aus der Suchtrehabilitation nicht mehr wegzudenken und ein selbstverständlicher Teil des Arbeitsalltages geworden: Prozess- und Dokumentenmanagement helfen bei der Strukturierung der Arbeit, Patienten- und Mitarbeiterbefragungen werden als wichtige Rückmeldungen und Impulse für die Weiterentwicklung der Einrichtung gesehen, und in der Management-Bewertung werden jährlich Kennzahlen und andere wichtige Informationen zur Lage der Einrichtung bewertet. In den letzten Jahren haben der Umfang und die Komplexität der normativen Anforderungen, die nachweisbar zu erfüllten sind (Arbeitssicherheit, Brandschutz, Hygiene, Datenschutz, Risikomanagement etc.), deutlich zugenommen. Die Umsetzung wird in der Regel in das vorhandene QM-System integriert. Diese Anforderungen belasten die kleinen und mittelgroßen Einrichtungen in der Suchtrehabilitation deutlich mehr als größere Krankenhäuser, weil der Umsetzungsaufwand unabhängig von der Einrichtungsgröße ähnlich hoch ist: Die Personalausstattung ist jedoch sehr begrenzt, und für diese Sonderaufgaben sind in der Regel keine zusätzlichen Ressourcen im refinanzierten Stellenplan vorgesehen.
In den Jahren 2014 bis 2016 erfolge eine umfassende Weiterentwicklung im Bereich der Verfahren für die externe Qualitätssicherung, die auch erhebliche Auswirkungen auf die Suchtrehabilitation haben. Die unterschiedlichen Instrumente im Reha-QS-Programm der Deutschen Rentenversicherung wurden an aktuelle fachliche und organisatorische Anforderungen angepasst: Anforderungen zur Strukturqualität (2014), einheitliches Visitationskonzept (2014), grundlegende Überarbeitung der Klassifikation Therapeutischer Leistungen (2015), Auswertungen zur KTL-Statistik (2015), neue Checkliste für die Bewertung im Peer-Review-Verfahren (2016) und Aktualisierung der Reha-Therapiestandards (2016). Darüber hinaus werden mit der Rehabilitanden-Befragung Daten zur Rehabilitanden-Zufriedenheit und zum subjektiven Behandlungserfolg erhoben. Zusammen mit der Laufzeit der Entlassungsberichte und der Beschwerdequote steht somit ein sehr umfangreiches Bewertungssystem für die Qualität von Reha-Einrichtungen zur Verfügung. Die meisten Kennzahlen werden in ein 100-Punkte-System umgerechnet, so dass die Kennzahlen verschiedener Einrichtungen unmittelbar verglichen werden können. Zusätzlich wurde 2017 das Verfahren des „Strukturierten Qualitätsdialoges“ eingeführt, bei dem Einrichtungen zu Stellungnahmen aufgefordert werden, falls absolute oder relative Schwellenwerte unterschritten werden.
Die Ergebnisse der externen Qualitätssicherung sollen zukünftig immer stärker in die Belegungssteuerung und die Vergütungsverhandlungen einbezogen werden. Dabei sind allerdings einige Probleme zu bedenken:
Die QS-Daten bilden nur einen Teil der tatsächlichen Qualität der Einrichtungen ab, bspw. werden Behandlungsergebnisse kaum berücksichtigt.
Für kleine Einrichtungen liegen wegen der geringen Fallzahlen tw. nur unvollständige QS-Daten vor.
Die Auswertungen zu den QS-Daten enthalten immer wieder Fehler, die bei der Übertragung oder Aggregation der Daten entstehen und nur mit großen Aufwand zu identifizieren sind.
Die QS-Daten sind nicht immer aktuell, weil bspw. nach einer Visitation Mängel, die zu einer geringen Punktzahl geführt haben, unmittelbar abgestellt werden, aber keine Neubewertung erfolgt.
Die Suchtrehabilitation hat außerdem eine lange Tradition im Bereich Dokumentation und Statistik, weil der Nutzen der Auswertung von Behandlungsdaten früh erkannt wurde. 1974 erfolgte die erste gemeinsame, einrichtungsübergreifende Dokumentation in der ambulanten Suchthilfe mit dem System EBIS. Der Deutsche Kerndatensatz (KDS) für eine einheitliche Dokumentation in psychosozialen Beratungsstellen und stationären Einrichtungen der Suchthilfe wurde 1998 eingeführt. Damit wurde die Grundlage für eine bundesweit einheitliche Datenerfassung und statistische Analyse geschaffen (Deutsche Suchthilfestatistik www.suchthilfestatistik.de). Für den ab 2017 gültigen KDS 3.0 wurden vom Fachausschuss Statistik der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) umfangreiche Überarbeitungen des KDS vorgenommen. Der neue KDS berücksichtigt nun die nationalen, kommunalen, regionalen und einrichtungsseitigen Anforderungen umfassender und integriert auch die Spezifikationen, die sich aus den europäischen Vorgaben ergeben. Die Dokumentation ist insgesamt aufwändiger geworden, weil versucht wurde, die zunehmende Komplexität der Hilfen und Angebote in der Suchthilfe besser abzubilden. Das hat zunächst dazu geführt, dass die Vollständigkeit und Qualität der in den Einrichtungen erhobenen und in der Suchthilfestatistik zusammengeführten Daten leider nicht besser geworden ist.
Während die Suchthilfestatistik vor allem die Basisdaten abbildet, d. h. es werden Informationen zu Beginn und am Ende der Behandlung abgefragt, führen viele Einrichtungen zusätzlich katamnestische Befragungen ein Jahr nach Behandlungsende durch. Damit liegen wichtige und umfangreiche Daten zur Ergebnisqualität und zur Wirksamkeit der Suchtbehandlung vor. Die ergänzenden Analysen und Statistiken zu diesen Katamnesedaten sind auf den Internetseiten der Suchtverbände (buss/Basis- und Katamnesedaten, FVS/Wirksamkeitsstudien, FVS/Basisdokumentation) zu finden. Ein zentrales Problem bei katamnestischen Befragungen ist der häufig geringe Rücklauf und die Einschätzung der Situation (bspw. Abstinenz, soziale und berufliche Integration) bei den sog. Non-Respondern. Dazu wurde in den vergangenen Jahren ein aus Mitteln des Bundesministeriums für Gesundheit gefördertes Forschungsprojekt am Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité durchgeführt, das wichtige Erkenntnisse und wertvolle Hinweise für die zukünftige Durchführung der Katamnese-Befragungen gebracht hat.
g) Leistungsrecht und Wirtschaftlichkeit
In den letzten Jahren wurde u. a. vom Bundesrechnungshof und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) das Leistungsgeschehen im Bereich der medizinischen Rehabilitation der Deutschen Rentenversicherung analysiert und in diesem Zusammenhang eine fehlende Transparenz im „Reha-Markt“ kritisiert. Dabei wurde auch die Frage diskutiert, ob die Beschaffung von Rehabilitationsleistungen durch die Deutsche Rentenversicherung nicht dem öffentlichen Vergaberecht unterliegt und möglicherweise im Rahmen von Ausschreibungen erfolgen muss. Auf der Grundlage der „verbindlichen Entscheidung zur Beschaffung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation“ wurde daher 2017 ein zweistufiger Prozess mit folgenden Regelungen definiert:
Offenes Zulassungsverfahren – Jeder geeignete Anbieter erhält nach einer Qualitätsprüfung einen Belegungsvertrag und wird von einem federführenden Träger der DRV betreut. Mit dem Belegungsvertrag ist allerdings keine Belegungsgarantie verbunden.
Transparentes Belegungsverfahren – Die Einrichtungsauswahl für einen konkreten Fall nach Bewilligung eines Rehaantrages folgt einem definierten Algorithmus (u. a. medizinische Indikation, Komorbidität, Sonderanforderungen, Wunsch- und Wahlrecht, Setting) und wird nachvollziehbar dokumentiert. Stehen mehrere Einrichtungen zur Verfügung, erfolgt die Zuweisungsentscheidung nach einem Bewertungssystem mit den Kriterien Qualität, Preis, Wartezeit und Entfernung zum Wohnort.
Aus Sicht der Leistungserbringer muss dieser Prozess allerdings um eine weitere, dritte Stufe ergänzt werden, die die Vereinbarung einer angemessenen und leistungsbezogenen Vergütung regelt und dabei auch die Kostenstrukturen im Einrichtungsvergleich berücksichtigt. Bislang wurden von den Leistungsträgern nur Rahmenbedingungen für eine jährliche relative Anpassung der Vergütungssätze (Orientierung an einem „Reha-Index“ und an einer „Marktpreisbandbreite“) festgelegt.
Mit dem 2018 erschienenen Gutachten „Angemessene Vergütung für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Zuständigkeitsbereich der Deutschen Rentenversicherung“ wurde ein Vorschlag zur Festlegung einer angemessenen Vergütung vorgelegt. Da aus Sicht der Gutachter wegen der Marktmacht der Rentenversicherungsträger das vom Gesetzgeber gewollte Wettbewerbskonzept versagt, ist die Vergütung der Rehabilitationsleistungen nach Maßgabe eines zweistufigen Verfahrens aus Kostenprüfung und Vergütungsvergleich zu ermitteln, welches das Bundessozialgericht für andere nicht wettbewerblich strukturierte Leistungserbringermärkte entwickelt hat.
Das BMAS hat im Dezember 2019 den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Regelung der Beschaffung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Weiterentwicklung des Übergangsgeldanspruchs – Medizinisches Rehabilitationsleistungen-Beschaffungsgesetz (MedRehaBeschG) vorgelegt. In der Einführung zu dem Entwurf wird hervorgehoben, dass das bislang praktizierte offene Zulassungsverfahren die im Europäischen Vergaberecht eingeräumten Gestaltungsmöglichkeiten bereits genutzt hat, nun aber eine entsprechende gesetzliche Grundlage geschaffen werden soll. Diese bezieht sich insbesondere auf
die Zulassung und die konkrete Inanspruchnahme (Belegung) von Rehabilitationseinrichtungen nach objektiv festgelegten Anforderungen,
die Regelung des „Federführungsprinzips“ sowie
die Entwicklung eines verbindlichen, transparenten, nachvollziehbaren und diskriminierungsfreien Vergütungssystems zur Ermittlung, Bemessung und Gewichtung der an die Rehabilitationseinrichtungen zu zahlenden Vergütungen (bis Ende 2025).
Anforderungen für die Zulassung von Reha-Einrichtungen
Ausgestaltung des Vergütungssystems
Kriterien für die Inanspruchnahme von Reha-Einrichtungen
Daten der externen QS und deren Veröffentlichung
Die Entwicklung des Vergütungssystems soll zusätzlich wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden. Dabei sind folgende Kriterien zu beachten, wobei die Bewertungsrelation gegenüber dem Referentenentwurf neu hinzugekommen ist:
die Indikation,
die Form der Leistungserbringung,
spezifische konzeptuelle Aspekte und besondere medizinische Bedarfe,
ein geeignetes Konzept der Bewertungsrelationen zur Gewichtung der Rehabilitationsleistungen und
eine geeignete Datengrundlage für die Kalkulation der Bewertungsrelationen.
Es wird außerdem festgelegt, dass bei der Vereinbarung der Vergütung zwischen dem Federführer und der Reha-Einrichtung folgende Aspekte zu berücksichtigen sind (neu ist in dem Regierungsentwurf der regionale Faktor):
leistungsspezifische Besonderheiten, Innovationen, neue Konzepte, Methoden,
der regionale Faktor und
tariflich vereinbarte Vergütungen sowie entsprechende Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen.
Bei den Verfahren für die Zulassung und die Belegung sind keine wesentlichen Änderungen zum bisherigen Vorgehen der DRV erkennbar. Von besonderem Interesse für die Leistungserbringer wird allerdings die Ausgestaltung des Vergütungssystems sein, denn neben der Belegung ist die Vergütung der zweite wesentliche Faktor für die Wirtschaftlichkeit einer Reha-Einrichtung.
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind für die Träger und Einrichtungen in der Suchtrehabilitation in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. Auf der einen Seite werden von den Leistungsträgern hohe Qualitätsanforderungen in den Bereichen Struktur, Personal und Konzept formuliert, deren Erfüllung teilweise unter Androhung von Sanktionen eingefordert wird. Auf der anderen Seite existieren durch die „Macht-Asymmetrie“ im Reha-Markt nur begrenzte Möglichkeiten zur Verhandlung von kostendeckenden Vergütungen. Damit bleibt den Betreibern von Einrichtung nur ein geringer ökonomischer Handlungsspielraum.
Es wurde schon darauf hingewiesen, dass es in der Suchtrehabilitation (traditionell) viele kleine Einrichtungen gibt, mit einer deutlich geringeren Platzzahl als üblicherweise in der somatischen oder psychosomatischen Rehabilitation. Wenn man als „klein“ eine Einrichtung mit bis zu 50 Betten bzw. Plätzen definiert, dann macht das bei den Fachkliniken ca. 100 von 180 Einrichtungen (60 Prozent) und ca. 4.000 von 13.000 Plätzen (30 Prozent) aus. Tagesreha- und Adaptionseinrichtungen sind mit durchschnittlich zwölf Plätzen noch kleinere Organisationseinheiten. Diese Einrichtungen genießen eine hohe Wertschätzung bei Leistungsträgern, Zuweisern und Rehabilitanden, weil sie ein „familiäres“ Therapiesetting bieten, bei dem viele positive Effekte einer „therapeutischen Gemeinschaft“ ihre Wirkung entfalten können. Sie sind häufig auf spezielle Zielgruppen ausgerichtet und können ein deutliches konzeptionelles Profil zeigen. Und für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist die Arbeit in einem übersichtlichen Team sehr attraktiv. Allerdings gibt es auch einige erhebliche Nachteile, die letztlich auch zu wirtschaftlichen Problemen führen und zu der Frage, ob diese Einrichtungen noch eine Zukunft haben:
hoher Anteil an Fixkosten (bspw. für Nachtdienste oder Qualitätsmanagement), die sich in größeren Einrichtungen besser verteilen lassen,
minimale und deshalb nicht attraktive und kaum zu besetzende Stellenanteile bei einigen sehr spezialisierten Berufsgruppen,
geringe personelle Redundanz und somit Vertretungsprobleme insbesondere bei längeren ungeplanten Abwesenheiten,
hohe Anfälligkeit für Belegungsschwankungen, weil ein einzelnes Aufnahme- oder Entlassungsereignis relativ gesehen stärker ins Gewicht fällt.
In den vergangenen Jahren konnte neben der Schließung von Einrichtungen vor allem auch vermehrt die Zusammenlegung von Einrichtungen, die Übernahmen von Einrichtungen durch größere Träger oder auch die Fusion von Trägern beobachtet werden. Wichtig ist dabei zum einen, dass es sich bei den Schließungen nicht um eine „Marktbereinigung“ handelt, denn die Nachfrage folgt bei Abhängigkeitserkrankungen nicht den üblichen Marktgesetzen. Es sind bereits dort regionale Versorgungslücken entstanden, wo ambulante und stationäre Angebote unabhängig vom Bedarf bzw. der Nachfrage eingestellt werden mussten. Zum anderen führen Fusionen nicht automatisch zu einer besseren Wirtschaftlichkeit von Trägern und Einrichtungen, Größe allein ist kein Erfolgsfaktor. Das Profil einer Einrichtung, die speziellen therapeutischen Angebote und eine klare Definition der Zielgruppen sind wichtige Faktoren für die Zusammenarbeit mit Zuweisern. Erfolgreich sind in der Regel die Träger, die eine Diversifizierung der Angebote betreiben, die verschiedene Leistungsbereiche integrieren und die in der Lage sind, selbst oder in Kooperation mit anderen Träger funktionierende Behandlungsketten zu etablieren.
Wie könnte es weitergehen?
Die vorstehende Beschreibung von aktuellen Trends und Themen, die die Arbeit in der Suchtrehabilitation aktuell und zukünftig beeinflussen, ist lang und komplex, aber vermutlich nicht umfassend. Für die Führungskräfte, die in den Trägern und Einrichtungen Verantwortung für viele Menschen und Arbeitsplätze tragen, ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten und die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Es wurde bereits eingangs erwähnt, dass die Suchthilfe im Allgemeinen und die Suchtreha im Besonderen einen traditionell hohen Organisationsgrad haben, d. h., es existieren zahlreiche Kooperationen, Netzwerke, Verbände und Fachgesellschaften. Dadurch wird eine besondere Kooperationskultur geprägt, die ein altes Prinzip der Suchtselbsthilfe aufgreift und auf die Ebene von Einrichtungen überträgt: Im kollegialen Austausch lassen sich viele Probleme deutlich besser lösen, und durch ein gemeinsames Auftreten lässt sich die Vertretung der eigenen Interessen „schlagkräftiger“ organisieren. Daher kann es hilfreich sein, bei der Bearbeitung der angesprochenen Zukunftsthemen und Herausforderungen eine individuelle Ebene (Einrichtung, Träger) und eine gemeinschaftliche Ebene (Netzwerke, Verbände) zu unterscheiden und die anstehenden Aufgaben entsprechend zu verteilen (vgl. Tabelle 2).
Tab. 2: Individuelle und gemeinschaftliche Handlungsebenen in der Suchtreha
Natürlich muss jede verantwortliche Führungskraft die eigenen „Hausaufgaben“ machen. Aber es ist eine gute Tradition in der Suchthilfe, sich Rat von anderen „Peers“ zu holen, und manche Probleme werden allein schon durch die Erkenntnis kleiner, dass andere auch keine bessere Lösung haben.
Prof. Dr. Andreas Koch ist Mitglied der Geschäftsführung der Therapiehilfe gGmbH, Hamburg, und Honorarprofessor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Fachbereich Sozialpolitik und Soziale Sicherung, Hennef.
Die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ (ICF) der WHO soll als konzeptuelle Grundlage die Teilhabeorientierung in der Behandlung fördern. Zur Vereinfachung der praktischen Anwendung der ICF in der Suchthilfe wurde in den letzten Jahren das Modulare Core Set Sucht (MCSS) entwickelt, das aus einer Auswahl an Kategorien aus der ICF besteht, die relevant zur Beschreibung von Abhängigkeitsstörungen sind. Diese Auswahl, das MCSS, wurde im Rahmen zweier Forschungsprojekte erstellt und liegt jetzt in finalisierter, konsentierter Fassung vor.
Orientiert an der Versorgungsstruktur und den verschiedenen Settings in der Suchthilfe ist das Core Set modular aufgebaut. Es setzt sich aus einem Basismodul (25 Kategorien) und fünf bereichsspezifischen Modulen, die zusätzlich angewendet werden können, zusammen: Beratung (8 Kategorien), Vorsorge (7 Kategorien), Qualifizierter Entzug (6 Kategorien), Medizinische Reha (32 Kategorien) und Soziale Reha (10 Kategorien).
Das MCSS steht als PDF-Datei zur Verfügung und kann kostenlos bei PD Dr. Angela Buchholz unter a.buchholz@uke.de angefordert werden.
Weitere Informationen:
Spies, R. Meyer-Steinkamp , R. Stracke & A. Buchholz (2020): Development of a modular ICF-based core set for the German substance use disorders treatment, Disability and Rehabilitation, DOI: 10.1080/09638288.2020.1799246. Link zum kostenpflichtigen Artikel: https://doi.org/10.1080/09638288.2020.1799246
Bei der Produktion von illegalen Drogen in der Europäischen Union wird tonnenweise Müll produziert. Darauf verweist die Europäische Kommission in einem neuen Aktionsplan zur Drogenbekämpfung. Auf dem illegalen Drogenmarkt werden Schätzungen zufolge jährlich 30 Milliarden Euro umgesetzt. Die Europäische Kommission erklärt, dass die Europäische Union (EU) sich zu einem bedeutenden Produktionsstandort für illegale, insbesondere synthetische Drogen entwickelt hat.
Bis zu 30 Kilogramm Abfall auf ein Kilogramm Amphetamin
Jährlich werden bis zu 81 Millionen Tonnen Amphetamin und Methamphetamin in der EU produziert. Hinzu kommen bis zu 70 Millionen Pillen Ecstasy. Neben den Gesundheitsrisiken, die aus dem Konsum synthetischer Drogen resultieren, gilt die Herstellung als sehr umweltschädlich. Schätzungen zufolge würden bei der Produktion von einem Kilogramm Amphetamin zwischen 20 und 30 Kilogramm Abfall entstehen. Jedes Jahr werde die Umwelt so mit Tonnen illegal entsorgter chemischer Abfälle belastet.
Auch Cannabis werde inzwischen in großem Maßstab innerhalb der EU produziert. Meist werde Cannabis in Indoor-Anlagen angebaut, für die in der Regel illegal größere Mengen Strom abgezweigt werden. Geschätzt wird, dass für ein Kilogramm Cannabis bis zu 4.600 Kilogramm des Treibhausgases Kohlendioxid entstehen. Hinzu kommen Chemikalien, die für den Anbau benötigt und ebenfalls illegal entsorgt werden.
Wechselwirkung zwischen Drogenkonsum und Kriminalität
Angesichts der Dimensionen des Drogenmarktes „müssten die Strafverfolgungsbehörden weitere Anstrengungen unternehmen, um illegale Labore für synthetische Drogen aufzuspüren und zu zerschlagen sowie die Ausfuhr von in der EU hergestellten Drogen zu stoppen“, heißt es im EU-Aktionsplan. Zudem sollen Maßnahmen verstärkt werden, illegale Cannabis-Anbauflächen aufzuspüren und zu zerstören.
Der neue EU-Aktionsplan stellt neben verstärkten Maßnahmen zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels auch die Prävention in den Vordergrund. Ziel sei es nicht nur, die Vorbeugung von drogenbedingten Schäden zu verbessern, auch müsse die Öffentlichkeit stärker sensibilisiert werden für die schädlichen Auswirkungen des Drogenhandels. Insbesondere solle die „Wechselwirkung zwischen Drogenkonsum, Gewalt und sonstigen Formen der Kriminalität“ verdeutlicht werden.
Ob Kokain, Heroin, Amphetamine, Neue Psychoaktive Stoffe (NPS) oder Cannabis: Alle Arten von Drogen werden in Deutschland gehandelt – Tendenz steigend. Seit nunmehr neun Jahren nimmt die Zahl der polizeilich registrierten Rauschgiftdelikte kontinuierlich zu. In dem am 8. September veröffentlichten „Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2019“ des Bundeskriminalamtes (BKA) ist mit 359.747 Delikten ein Plus von rund 2,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr (2018: 350.662) zu verzeichnen.
Diese Entwicklung lässt sich vor allem auf eine Zunahme der allgemeinen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz zurückführen. Dabei ist mit 20.107 Fällen (2018: 17.920; +12,2 Prozent) der mit Abstand größte Anstieg bei Delikten im Zusammenhang mit Kokain registriert worden.
Die Deliktszahlen deuten nach Einschätzung des BKA auf eine anhaltend hohe Nachfrage nach Betäubungsmitteln in Deutschland hin. Rückschlüsse auf eine zugleich sehr hohe Verfügbarkeit unterschiedlichster Rauschgifte lassen die Sicherstellungszahlen, aber auch der Anstieg der Produktionskapazitäten, zu. 2019 konnten insgesamt 31 illegale Labore zur Herstellung von synthetischen Drogen identifiziert und ausgehoben werden – dies entspricht einem Anstieg von rund 63 Prozent (2018: 19 Labore).
Der Einfuhrschmuggel auf dem Seeweg ist für die Täter weiterhin lukrativ. Dies zeigen mehrere Sicherstellungen großer Mengen von Kokain, etwa am 15.07.2019, als der Zoll im Hamburger Hafen anlässlich der Routinekontrolle eines Frachtcontainers aus Südamerika die mit insgesamt 4,5 Tonnen Kokain bisher in Deutschland größte Einzelmenge dieses Betäubungsmittels sicherstellen konnte.
Der Handel von Betäubungsmitteln im Internet hat sich weltweit als fester Vertriebsweg etabliert. Die vermeintliche Anonymität im Netz lockt viele Konsumenten, aber auch neue Händlerstrukturen an, da beim Erwerb von Betäubungsmitteln kein persönlicher Kontakt zu den Händlern aufgenommen werden muss.
Ermittlungserfolge wie der des BKA gegen die Betreiber der Onlineplattform „Chemical Revolution“ zeigen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Die dabei gesicherten Daten verdeutlichen zugleich den schwunghaften Handel, den Käufer und Konsumenten über digitale Plattformen insbesondere im Darknet betreiben.
So werden auch Neue Psychoaktive Stoffe fast ausschließlich online vertrieben. 2019 wurden 458 Handelsdelikte im Zusammenhang mit NPS registriert, das sind rund 56 Prozent mehr als im Jahr davor (2018: 293 Delikte). Dabei sind sowohl die Herstellung, als auch der Handel von NPS vermehrt professionell in betriebsähnlichen Strukturen organisiert, wobei die Gewinne mittels Schein- und Legalfirmen über Staatsgrenzen hinweg gewaschen werden.
Die strafrechtliche Verfolgung des international organisierten Rauschgifthandels bleibt eine wesentliche Aufgabe der dafür zuständigen deutschen und europäischen Behörden, insbesondere der Polizei und des Zolls. Daneben sind die Prävention, Behandlung und Schadensminimierung wichtige Bausteine der deutschen Drogen- und Suchtpolitik, um Suchtproblematiken vorzubeugen und die Situation von Suchtkranken zu verbessern. Sowohl für den Bereich der illegalen als auch der legalen Stoffe wie Tabak und Alkohol gibt es auf Bundesebene umfangreiche Präventionsangebote.
Ergänzende Zahlen und Informationen können über die Webseite des BKA unter www.bka.de und auf der Internetseite der Drogenbeauftragten der Bundesregierung unter www.drogenbeauftragte.de abgerufen werden.
Gemeinsame Pressemitteilung des Bundeskriminalamtes und der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, 08.09.2020
Aus dem Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2019, S. 31:
Anzahl der Drogentoten deutlich gestiegen
Im Jahr 2019 wurden in Deutschland 1.398 drogenbedingte Todesfälle polizeilich registriert. Dies entspricht einem deutlichen Anstieg von 9,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr (2018: 1.276 Tote).
Die meisten Drogentoten wurden, wie bereits in den Vorjahren, in den bevölkerungsreichsten Ländern Nordrhein-Westfalen (292 Tote) und Bayern (263 Tote) sowie im Stadtstaat Berlin (215) festgestellt. Besonders stark fiel der Anstieg mit 73,3 Prozent in Thüringen aus (26 Tote). Auch in Sachsen-Anhalt (16 Tote, +45,5 Prozent), Nordrhein-Westfalen (292 Tote, +21,7 Prozent) und Baden-Württemberg (145 Tote, +19,8 Prozent) wurde ein jeweils deutlicher Anstieg registriert. Deutlich gesunken hingegen ist die Zahl der Drogentoten in Brandenburg (22 Tote, -40,5 Prozent) und Rheinland-Pfalz (43 Tote, -25,9 Prozent).
Im Hinblick auf die Belastungszahl (Anzahl der Todesfälle pro 100.000 Einwohner (Bevölkerung am 31.12.2018) waren die Stadtstaaten Berlin (5,9) und Hamburg (4,4) am stärksten betroffen. Der Bundesdurchschnitt betrug 1,7.
Auf einen Blick:
Quelle: Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2019, S. 2
Es ist inzwischen ein Allgemeinplatz, dass wir uns in einer Informationsgesellschaft befinden, in einer vernetzten Welt, die nahezu grenzenlose Transparenz und Informationsgeschwindigkeit verspricht, mit allen Chancen und Risiken. Seit einigen Jahren kommt daher kaum ein Fachbeitrag, der sich mit Trends und Perspektiven im Gesundheitswesen und in der Sozialwirtschaft beschäftigt, ohne das Stichwort Digitalisierung aus. Es wird immer wieder gefordert, die digitalen Möglichkeiten vor, während und nach der Therapie stärker zu nutzen sowie intensiver auf die veränderten Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten einzugehen (vgl. Schmidt-Rosengarten 2018: Suchtarbeit 4.0 – Was verändert sich durch die Digitalisierung?). In diesem Zusammenhang ist auch auf eine Initiative der Drogenbeauftragten der Länder (AOLG AG Sucht) hinzuweisen. Im Januar 2020 hat sich in Essen eine Expertengruppe aus verschiedenen Bereichen der Suchthilfe zu einem Fachgespräch getroffen. Im Mittelpunkt der Beratungen standen die Bedingungen, die für eine gelingende Bewältigung des digitalen Wandels benötigt werden, und die Frage, welche grundlegenden Aspekte dabei zu beachten sind. Die dabei erarbeiteten „Essener Leitgedanken“ fassen thesenartig zusammen, wie die Suchthilfe den digitalen Wandel für die Weiterentwicklung der Hilfeangebote nutzen kann.
Bei der großen Vielfalt von Themen und Optionen ist eine Unterscheidung der organisatorischen und der therapeutischen Perspektive hilfreich, um die relevanten Handlungsfelder im Bereich der weiteren Digitalisierung der Suchthilfe zu identifizieren.
Organisatorische Perspektive
Aus der Erkenntnis, dass wir in einer Informationsgesellschaft leben, ergibt sich zwingend die Notwendigkeit, dass die Einrichtungen und Träger ihre Öffentlichkeitsarbeit entsprechend anpassen müssen, um die Fachöffentlichkeit (Leistungsträger, Zuweiser, Kooperationspartner) und die „Kunden“ (suchtkranke Menschen und ihre Angehörigen) zu erreichen. Dabei haben Printmedien (Flyer, Kurzkonzepte etc.) weiterhin ihre Bedeutung, aber die Präsenz in Onlinemedien wird immer wichtiger. Eine technisch schlecht gemachte Homepage ist eine katastrophale Visitenkarte für eine Einrichtung, aber natürlich müssen die präsentierten Informationen nicht nur optisch ansprechend, sondern auch fachlich fundiert und aktuell sein. Zudem müssen die veränderten „Lesegewohnheiten“ berücksichtigt werden: Die gute Visualisierung von Informationen und die passende sprachliche Gestaltung hat bei Printmedien eine ebenso hohe Bedeutung wie die Nutzung von „bewegten Bildern“ und Interaktionsmöglichkeiten bei Onlinemedien.
Kontrovers diskutiert wird die Präsenz von Einrichtungen in digitalen Netzwerken. Sie wird einerseits immer wieder gefordert, weil dort möglicherweise maßgebliche Meinungs- und Imagebildung betrieben wird. Andererseits ergibt nur eine kontinuierliche Aktivität in diesen Netzwerken Sinn, und diese erfordert einen enormen personellen Aufwand. Immer größere Bedeutung gewinnen auch Bewertungs- und Informationsportale, in denen jeder frei und mehr oder weniger qualifiziert seine Einschätzung abgeben kann. Auch die Beobachtung dieser Portale ist aufwändig. Eine interessante Option ist es, durch „Public Reporting“ von Qualitätsdaten auf eigenen oder offiziell dafür eingerichteten Webseiten selbst für Transparenz und idealerweise ein positives Image zu sorgen.
Die Digitalisierung hat natürlich auch längst Einzug in den Arbeitsalltag der Suchtreha-Einrichtungen gehalten. Die internen Arbeitsabläufe werden verstärkt von den vorhandenen Dokumentationssystemen bestimmt, und auch in der externen Kooperation findet eine zunehmende Automatisierung statt, bspw. durch die digitale Übermittlung von Laborbefunden oder den elektronischen Datenaustausch mit den Leistungsträgern. Diese Entwicklung ist ohne Frage sinnvoll und führt nach der häufig sehr anstrengenden Einführungsphase für eine neue Software zu vielen Erleichterungen in der täglichen Arbeit. Aber es sind einige Risiken zu bedenken: Zum einen ist es kaum noch leistbar, alle Anforderungen des (sicherlich notwendigen) Datenschutzes zu erfüllen, ohne dabei die Arbeitsabläufe immer komplizierter zu machen. Zum anderen verändert sich auch die Kommunikationskultur in den Einrichtungen. Wo vorher eine ärztliche Verordnung persönlich einer Pflegekraft mitgeteilt wurde, erfolgt nun lediglich ein kurzer Eintrag in die digitale Patientenakte. Wo vorher in der Fallkonferenz der therapeutische Prozess eines Patienten ausführlich diskutiert wurde, werden nun in der Teamsitzung die erreichten Therapieziele unmittelbar aus dem Dokumentationssystem heraus mit dem Beamer an die Wand projiziert. Auch wenn diese Beispiele etwas plakativ formuliert sind, so bleibt doch festzuhalten, dass diese Veränderung der Kommunikationskultur aktiv gestaltet werden muss, um noch ausreichend Raum für den notwendigen persönlichen Austausch zu geben.
Therapeutische Perspektive
Insbesondere bei den tendenziell jüngeren Patientinnen und Patienten in der Drogentherapie hat sich das Sozial- und Kommunikationsverhalten in den letzten Jahren deutlich verändert. Die Beschreibung einer erfahrenen therapeutischen Leiterin fasst die Problematik etwas vereinfachend, aber sicherlich sehr treffend zusammen: „Früher hat man sich zu den Patienten in die Raucherecke gestellt und wusste sofort, wie die Stimmung in der Einrichtung ist. Heute sitzen alle in ihren Zimmern und kommunizieren mit Mitpatienten und Externen über soziale Netzwerke. Wir im Team bekommen Schwierigkeiten und Krisen gar nicht oder zu spät mit!“ Diese Entwicklung stellt die therapeutischen Teams vor allen in den stationären Einrichtungen vor große Herausforderungen. Sie müssen zugleich die (sichtbare) soziale und die (verborgene) digitale Erlebenswelt der Patientinnen und Patienten im Blick behalten. Daher werden auch die Hausregeln zur Mediennutzung immer wieder diskutiert und angepasst. Generelle oder zeitweise Verbote von Geräten sind dann schwierig, wenn sie nicht bzw. nicht mit vertretbarem Aufwand kontrolliert werden können. Sinnvoll und notwendig ist vor allem eine intensive Auseinandersetzung mit den Verhaltensweisen der Patientinnen und Patienten in den Bereichen Mediennutzung und digitale Kommunikation. Diese Auseinandersetzung bietet wiederum häufig interessante therapeutische Ansatzpunkte.
Ein weiterer bedenkenswerter Aspekt bezieht sich auf die berufliche Orientierung, die im Rahmen der medizinischen Rehabilitation der Deutschen Rentenversicherung eine große Rolle spielt. Die entsprechenden Angebote, die die Einrichtungen in den Bereichen Arbeits- und Ergotherapie vorhalten, orientieren sich häufig noch am „klassischen“ Berufsbild Handwerk (u. a. Schreinerei, Metallwerkstatt, Garten und Landwirtschaft, Hauswirtschaft, Küche) sowie an einfachen kaufmännischen und administrativen Tätigkeiten (u. a. Patientenbüro oder Kiosk). Diese Bereiche haben bei entsprechenden beruflichen Erfahrungen und Zielsetzungen der Rehabilitanden sowie für die arbeitsbezogene Diagnostik, die Entwicklung von grundlegenden Kompetenzen und die Erprobung der allgemeinen Belastungsfähigkeit weiterhin große Bedeutung. Gleichwohl muss in das konzeptionelle Leistungsspektrum aber auch die immer wichtiger werdende Nutzung digitaler Medien in vielen Berufen sowie die Entwicklung neuer Berufsbilder integriert werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die regionale Vernetzung mit Betrieben, die entsprechende Praktikumsplätze bereitstellen können. Ein wichtiges Element ist auch das Bewerbungstraining, das in nahezu allen Einrichtungen mit Kompetenzvermittlung in den Bereichen Onlinerecherche und Erstellung digitaler Bewerbungsmappen etabliert ist. Allerdings müssen den Einrichtungen auch die notwendigen (finanziellen) Ressourcen zur Verfügung stehen, um die konzeptionell entwickelte „Arbeitstherapie 4.0“ realisieren zu können.
Unter dem Begriff „E-Mental-Health“ wird derzeit intensiv diskutiert, welche Rolle die Digitalisierung bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen spielen kann und soll. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hat zu diesem Thema eine Task Force eingesetzt und beteiligt sich an entsprechenden Forschungsvorhaben. Für verschiedene Krankheitsbilder liegen schon erste Erfahrungen aus Pilotprojekten vor. Die Ergebnisse zeigen, dass digitale Medien und Onlineangebote eine wertvolle Unterstützung bei der Behandlung darstellen, aber offensichtlich die etablierten und im direkten persönlichen Kontakt eingesetzten psychotherapeutischen Methoden nicht ersetzen können. Insofern ist diese Entwicklung nicht bedrohlich für die vorhandenen Therapiekonzepte in der Suchtrehabilitation. Aber bspw. die Entwicklung von Apps für die Vorbereitung der Therapie (Information und Bindung), die Begleitung bei der Behandlung (Organisation in der Einrichtung) und die Sicherung des Behandlungserfolges (Online-Nachsorge) ist sicherlich eine sinnvolle Ergänzung des Leistungsspektrums der Einrichtungen.
d) Therapie und Konzepte
Für die Träger und Einrichtungen in der Suchthilfe war es schon immer notwendig, gesellschaftliche und politische Entwicklungen sowie Veränderungen bei Zielgruppen und ihren Konsummustern genau zu beobachten, um mit den eigenen Hilfeangeboten auf eine veränderte Bedarfslage reagieren zu können. In der Suchtreha bedeutet das eine regelmäßige Aktualisierung des Therapiekonzeptes, das nach bestimmten Vorgaben der Leistungsträger zu strukturieren und mit dem „Federführer“ abzustimmen ist. Jeder Reha-Einrichtung wird bei der Deutschen Rentenversicherung ein federführender Leistungsträger (Bundes- oder Regionalträger) als Ansprechpartner für strukturelle, konzeptionelle, personelle und finanzielle Fragen zugeordnet.
So ist es auch weiterhin therapeutisch sinnvoll, spezielle Behandlungskonzepte für besondere Zielgruppen anzubieten. Beispiele für eine solche Ausrichtung sind die folgenden:
In den letzten Jahren hat die Zahl der stationären Einrichtungen, die Substitution im Rahmen der Rehabilitation durchführen, zugenommen (ca. 30). Es handelt sich dabei um ein wichtiges ergänzendes Angebot für Opiatabhängige, bei dem die lange umstrittene Frage der Abdosierung während der Reha inzwischen deutlich individueller geregelt werden kann. Die Deutsche Rentenversicherung hat hier die Rahmenbedingungen flexibilisiert und ist derzeit bemüht, mehr Daten über dieses Behandlungsangebot zu sammeln. Die Suchtverbände haben 2017 eine bundesweite Übersicht zu diesem Angebot erstellt.
Die Zahl der stationären Einrichtungen, die Therapie ausschließlich für Frauen anbieten, ist deutlich rückläufig (ca. 10), vor allem, weil diese eher kleinen Einrichtungen kaum wirtschaftlich zu führen sind. Diese Entwicklung ist bedauerlich, weil es sich um eine besondere Möglichkeit der geschlechtsspezifischen Ausrichtung der Therapie handelt.
Vor dem Hintergrund der Einführung des MBOR-Konzeptes in der somatischen und psychosomatischen Reha der Deutschen Rentenversicherung (Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation) wurden auch ergänzende Empfehlungen für den Indikationsbereich Abhängigkeitserkrankungen entwickelt. 2014 wurden die „Empfehlungen zur Stärkung des Erwerbsbezugs in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker“(BORA-Empfehlungen) veröffentlicht, die von der gemeinsamen Arbeitsgruppe Berufliche Orientierung in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker erarbeitet wurden. In dieser Arbeitsgruppe waren Expertinnen und Experten aus Einrichtungen und Verbänden und der Leistungsträger vertreten. Auch wenn die berufliche Orientierung in der Suchttherapie mit Blick auf die Gründungkonzepte der „Trinkerheilstätten“ Ende des 19. Jahrhunderts schon immer einen hohen Stellenwert hatte, haben die BORA-Empfehlungen eine erhebliche Wirkung auf die Entwicklung der Therapiekonzepte in den Einrichtungen gehabt: Berufs- und arbeitsbezogene Aspekte sind neben den psycho- und suchttherapeutischen Interventionen mehr in den Fokus gerückt. Die Bedeutung der entsprechenden therapeutischen Angebote im Rahmen des Gesamtkonzeptes ist ebenso gestiegen wie der Stellenwert der beteiligten Berufsgruppen (insbesondere Arbeits- und Ergotherapeuten) in den Teams. Außerdem ist zu erwähnen, dass die Deutsche Rentenversicherung in intensiven Verhandlungen mit der Bundesagentur für Arbeit sowie dem Deutschen Landkreistag und dem Deutschen Städtetag Empfehlungen zur Zusammenarbeit bei der Unterstützung arbeitsuchender abhängigkeitskranker Menschen erarbeitet hat. Damit soll sowohl der Zugang von Arbeitssuchenden aus der Beratung in die Suchtreha wie auch die Weitervermittlung nach der Reha in die Beratung und Arbeitsförderung erleichtert werden.
Eine wesentliche Entwicklung in der Sucht- und Drogenszene war in den letzten Jahren der vermehrte Konsum von synthetischen Drogen, die aufgrund der immer wieder veränderten chemischen Struktur bei Suchtmittelkontrollen kaum nachweisbar sind. Das wirft zum einen die Frage nach Nutzen und Bedeutung von bislang üblichen regelmäßigen medizinischen Kontrollen auf, und zum anderen, ob man sich auf das „Wettrüsten“ der ständigen Anpassung von Testungen an Variationen der synthetischen Drogen einlassen will. Einige Einrichtungen sind inzwischen dazu übergegangen, eher auf Verhaltensbeobachtungen zu vertrauen und nur bei Rückfallverdacht zusätzliche (aufwändigere) Testungen vorzunehmen. Letztlich können diese Fragen nicht allgemeingültig beantwortet werden, sondern jede Einrichtung muss sich, passend zu ihrer Zielgruppe und ihrer konzeptionellen Ausrichtung, für einen Weg entscheiden, der dann aber auch konsequent von allen Teammitgliedern umgesetzt werden sollte. Ein weiterer Trend ist die Auflösung bekannter Konsummuster, die sich auf nur eine Substanz beziehen (Heroin, Kokain, Cannabis, Alkohol etc.). Das zunehmend komplexere Konsumverhalten wirft die Frage auf, ob eine konzeptionell getrennte Behandlung von Alkoholabhängigkeit und Drogenabhängigkeit noch sinnvoll ist. Möglicherweise sind andere Unterscheidungskriterien zukünftig wichtiger, bspw. die beruflichen und sozialen Teilhabepotentiale der Rehabilitanden sowie die daraus resultierenden Rehaziele und Therapieplanungen.
Seit über zehn Jahren wird auch intensiv über eine „neue“ Form der nicht-stoffgebundenen Abhängigkeit (Verhaltenssucht) diskutiert: Die Begriffe Medienabhängigkeit, Computerspielabhängigkeit, Pathologischer Internetgebrauch, Onlineproblematik oder Internetsucht sind Versuche, dieses Phänomen zu fassen, das mit der verstärkten Nutzung digitaler Medien im Alltag aufgetaucht ist. Inzwischen hat sich die teilweise sehr heftige Debatte um die Dimension dieser Problematik deutlich beruhigt und zwei wesentliche Ergebnisse sind festzuhalten:
Es handelt sich um ein klinisch relevantes und eigenständig zu diagnostizierendes Problem, über das immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen und das daher auch durch die American Psychiatric Association 2013 im DSM-5 als Forschungsdiagnose (Internet Gaming Disorder) aufgenommen wurde. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) folgt dieser Entwicklung mit der Aufnahme der Diagnose Gaming Disorder in die ICD-11.
Es wurden in den letzten Jahren offensichtlich ausreichende Hilfeangebote entwickelt, um den entsprechenden Beratungs- und Behandlungsbedarf zu decken. In der Suchtreha haben sich vor allem die Einrichtungen auf die Behandlung spezialisiert, die bereits Erfahrungen mit anderen Verhaltenssüchten (insbesondere Pathologisches Glücksspiel) hatten.
Wie auch bei anderen Indikationen, nimmt die Bedeutung von wissenschaftlich fundierten Leitlinien bei der Behandlung von Suchterkrankungen zu. Ein wesentlicher Meilenstein war die Veröffentlichung der S3-Leitlinien Tabak und Alkohol im Jahr 2015. Die S3-Leitlinien für Alkohol- und Tabakabhängigkeit entstanden in einem vierjährigen Entwicklungsprozess nach den Vorgaben der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF). Die Federführung lag bei der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Mehr als 50 Fachgesellschaften, Berufsverbände, Gesundheitsorganisationen, Selbsthilfe- und Angehörigenverbände mit über 60 ausgewiesenen Suchtexpertinnen und -experten waren in die Entwicklung eingebunden. 2016 wurde die unter Federführung der DGPPN entwickelte S3-Leitlinie für Methamphetamin-bezogene Störungen veröffentlicht. Die Arbeiten an einer S3-Leitlinie für schädlichen Medikamentenkonsum und Medikamentenabhängigkeit wurden 2017 ebenfalls unter der Federführung der DGPPN begonnen. Seit 2018 arbeitet eine Expertengruppe auf Initiative der DG-Sucht unter Federführung der Suchtforschungsgruppe der Universität Lübeck an der Entwicklung einer S1-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung internetbezogener Störungen.
Die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ (ICF) der WHO soll als konzeptuelle Grundlage die Teilhabeorientierung in der Behandlung fördern und eine gemeinsame Sprache für verschiedene Gesundheitsberufe bereitstellen. Um die praktische Handhabung der ICF zu vereinfachen, empfiehlt die WHO die Entwicklung so genannter Core Sets: Ein Core Set enthält nur diejenigen Kategorien, die zur Beschreibung eines bestimmten Krankheitsbildes relevant sind. Da die für den Bereich Abhängigkeitserkrankungen wichtigen Kategorien nicht nur von der Indikation abhängen, sondern auch vom Behandlungssetting, wurde das Core Set modular aufgebaut mit den Versorgungsbereichen Beratung, Vorsorge, Entzug, Medizinische Reha und Soziale Reha (MCSS = Modulares ICF Core Set Sucht). Eine Forschungsgruppe aus dem Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf legte dazu 2016 einen ersten Vorschlag vor, der im Rahmen eines gemeinsamen Projektes mit Expertinnen und Experten aus der Suchthilfe entwickelt worden war. Ab 2017 lief ein Folgeprojekt, in dessen Rahmen das MCSS im Hinblick auf seine Praxisrelevanz und Validität empirisch überprüft wurde. Dabei wurde es querschnittlich in der Routineversorgung eingesetzt. Das mittlerweile finalisierte MCSS umfasst das Basismodul (25 Kategorien), das für alle Behandlungsbereiche einsetzbar ist, sowie die bereichsspezifischen Module Beratung (8 Kategorien), Vorsorge (7 Kategorien), Qualifizierter Entzug (6 Kategorien), Medizinische Reha (32 Kategorien) und Soziale Reha (10 Kategorien), die zusätzlich angewendet werden können. Es ist davon auszugehen, dass das nun vorliegende konsentierte MCSS zu einer stärkeren expliziten Berücksichtigung der ICF in der Suchtrehabilitation führen wird.
Am 23. September 2020 erscheint Teil III mit den Themen Modularisierung, Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung, Leistungsrecht und Wirtschaftlichkeit.
Prof. Dr. Andreas Koch ist Mitglied der Geschäftsführung der Therapiehilfe gGmbH, Hamburg, und Honorarprofessor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Fachbereich Sozialpolitik und Soziale Sicherung, Hennef.
Ernst Reinhardt Verlag, München 2020, 115 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-497-02935-8, auch als E-Book erhältlich
(Pflege)Eltern und Angehörige von Kindern mit Fetalen Alkoholspektrumstörungen (FASD) sehen sich auf dem gemeinsamen Weg fast täglich mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Immer wieder sind sie in all ihrer Geduld und Flexibilität gefordert und erleben ihren Alltag oft als sehr anstrengend und kraftraubend. Was hilft? Dieser Ratgeber ist eine Fundgrube an kompaktem, gut verständlichem Fachwissen, hilfreichen Alltagstipps und vielfältigen Anregungen. Dabei reicht die Themenpalette vom ersten Verdacht auf FASD bis hin zur Frage nach möglichen Zukunftsperspektiven von betroffenen Jugendlichen. Erfahrungsberichte von Pflegeeltern und Fachkräften runden das Buch ab.
Anlässlich des „Tags des alkoholgeschädigten Kindes“ am 9. September weisen die Drogenbeauftragte der Bundesregierung und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf die Gesundheitsrisiken von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft hin. Alkohol ist ein Zellgift, das auch in kleinen Mengen die Entwicklung des Fötus beeinträchtigen (FASD: Fetal Alcohol Spectrum Disorder) und bis hin zu schwerwiegenden Schädigungen (FAS: Fetales Alkoholsyndrom) beim Kind führen kann.
Daniela Ludwig, Drogenbeauftragte der Bundesregierung, erklärt: „Schwangerschaft und Alkohol – das passt nicht zusammen! Jeder Schluck stellt eine immense gesundheitliche Gefahr für das ungeborene Kind dar. Mein Appell an alle werdenden Mütter lautet: Verzichten Sie bitte während Schwangerschaft und Stillzeit komplett auf Alkohol – ihrem Baby zuliebe!“
Prof. Dr. med. Heidrun Thaiss, Leiterin der BZgA, betont: „Kinder mit einer Fetalen Alkoholspektrumstörung weisen eine Vielzahl geistiger und körperlicher Beeinträchtigungen auf, die in der Regel ein Leben lang bestehen bleiben. Diese schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit des Ungeborenen sind vollständig vermeidbar, wenn werdende Mütter in der Schwangerschaft keinerlei Alkohol trinken und konsequent Nein sagen. Diese Haltung sollte durch das Umfeld jeder Schwangeren positiv bestärkt werden.“
In Deutschland werden schätzungsweise rund 10.000 Kinder pro Jahr mit FASD geboren. Etwa 3.000 von ihnen leiden unter FAS. Betroffene Kinder zeigen Verhaltensauffälligkeiten wie Ruhelosigkeit, Reizbarkeit sowie Lern- und Sprachprobleme. Beim Fetalen Alkoholsyndrom kommen Fehlbildungen des Skeletts, des Gesichts und der Extremitäten sowie Nierenfunktionsstörungen oder Herzfehler hinzu.
Um werdende Eltern für die Risiken des Alkoholkonsums in der Schwangerschaft zu sensibilisieren, bietet die BZgA-Kampagne „Alkohol? Kenn dein Limit“ Informationen online und als Broschüren an. Werdende Mütter, denen es schwerfällt, auf Alkohol ganz zu verzichten, werden durch das Internetportal IRIS unter www.iris-plattform.de anonym beim Konsumstopp unterstützt.