Autor: Simone Schwarzer

  • High-Performer in der Abseitsfalle

    Pabst Science Publishers, Lengerich 2018, 186 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-95853-397-4, auch als E-Book erhältlich

    Leistungssteigerung, Beschleunigung, Optimierung, alles nach oben hin grenzenlos offen und nach unten hin bodenlos. Paradoxien und Abgründe dieser Dynamik sind so offenkundig, wie die Unfähigkeit, diesbezüglich Abstand und Alternativen zu finden. Jeder, der über schönere, schnellere und bessere Illusionen hinauszudenken versucht, stößt auf diese kategorische Problematik. Lippenbekenntnisse zur Entschleunigung und (neuen) Werteorientierung bleiben so lange wertlos, wie sie primär nur Regenerationspausen zugunsten weiterer Leistungssteigerung intendieren. Der Psychiater und Psychotherapeut Andreas Hillert analysiert die Situation anhand aktueller Forschungsbefunde und eigener ärztlicher Erfahrungen. Vor diesem Hintergrund stellt er fünf individuelle Schicksale gescheiterter High-Performer vor und gleichzeitig fünf engagierte, qualifizierte, aber gründlich gescheiterte Therapieversuche (u. a. von Essstörungen, Angststörungen, Depressionen). Es bleibt den Lesern überlassen, nach strategischen, sozialen, politischen, religiös-spirituellen und vor allem auch nach psychotherapeutischen Auswegen für diese und ähnliche Konstellationen zu suchen.

    Das Buch spiegelt nicht zuletzt den High-Performern in therapeutischen Berufen ihre systemimmanenten Limitationen. Das hohe Erzähltalent des Autors erleichtert es Lesern, sich in den Akteuren wiederzuerkennen. Daher stimuliert das Buch einer breiten Leserschaft teils selbstkritische, teils fast amüsierte Einsichten.

  • Werbung für E-Zigaretten

    Kurzfassung

    Werbung für elektronische Zigaretten wirkt sich deutlich negativ aus. Nach häufigem Kontakt mit E-Zigarettenwerbung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendliche innerhalb eines Jahres mit dem Dampfen anfangen, um 95 Prozent. Das Risiko fürs Shisha-Rauchen verdreifacht sich. Auch klassische Zigaretten werden durch Werbung für moderne Rauchprodukte leider attraktiv. Das zeigt der Präventionsradar der DAK-Gesundheit und des Kieler Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord).

    Die Längsschnittauswertung belegt erstmals, wie stark gehäufte Werbekontakte bei Schülern der fünften bis neunten Klasse das Risiko erhöhen, E-Zigaretten zu dampfen: Im Schulhalbjahr 2016/2017 wurden rund 4.500 Jugendliche aus sechs Bundesländern zu ihrem Rauchverhalten und zur Kontakthäufigkeit mit Werbung für elektronische Zigaretten repräsentativ befragt. Ein Jahr später zeigte sich bei einer erneuten Erhebung, dass von den Schülern ohne Werbekontakte jeder Zehnte in den zurückliegenden Monaten das Dampfen ausprobiert hatte; bei den Mitschülern mit vielen Werbekontakten (zehn oder mehr) waren es doppelt so viele (plus 95 Prozent). „Der negative Effekt von Werbung für E-Zigaretten auf Jugendliche ist nachweislich größer als bislang angenommen“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. Es sei wichtig, dass die Politik aktuell auch über ein Werbeverbot für E-Zigaretten nachdenke. „Mit einer Werbebeschränkung für alle Konsumvarianten können wir am besten die bisher erzielten Erfolge der Tabakprävention ausbauen“, so Storm.

    Werbung für E-Zigaretten verführt die befragten Schülerinnen und Schüler auch zu anderen Rauchprodukten. Durch die Werbung steigt das Risiko für den Konsum traditioneller Zigaretten um bis zu 125 Prozent, bei Wasserpfeifen, den so genannten Shishas, zeigt die neue Studie sogar einen Anstieg um bis zu 200 Prozent. „Jugendliche mit viel Kontakt zu E-Zigarettenwerbung sind möglicherweise besonders empfänglich für den Shisha-Konsum“, erläutert Professor Reiner Hanewinkel vom IFT-Nord. Beide Produkte seien durch die oft beigemischten besonderen Geschmacksrichtungen in der Wahrnehmung der jungen Konsumenten sehr ähnlich. „Die entscheidende Gefahr ist, dass Kinder und Jugendliche mit diesen neuen Rauchprodukten frühzeitig auf Nikotin programmiert und in die Abhängigkeit geführt werden“, betont Hanewinkel.

    Die Längsschnittanalyse zum Einfluss von Werbung für E-Zigaretten auf das Rauchverhalten von Kindern und Jugendlichen schließt eine Forschungslücke und wurde in der Fachzeitschrift „Addictive Behaviors“ veröffentlicht: „Electronic cigarette advertising and teen smoking initiation“. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0306460319305891

    Die Kurzfassung auf Deutsch steht als Download zur Verfügung: https://www.ift-nord.de/downloads/Werbung_Laengsschnitt.pdf

    Pressestelle der DAK-Gesundheit, 30.01.2020

  • Psychosozialen Risiken im Betrieb wirksam begegnen

    Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet Arbeitgeber, die Arbeit so zu gestalten, dass Gefährdungen für die Gesundheit vermieden werden. Das schließt auch Gefährdungen durch die psychische Belastung der Arbeit ein, etwa infolge zu hoher Arbeitsmengen oder überlanger Arbeitszeiten. Mit dem Feldforschungsprojekt „Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in der betrieblichen Praxis“ untersuchte die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) konkrete Vorgehensweisen in den Betrieben. Erkenntnisse und Schlussfolgerungen des Projektes hat die BAuA jetzt in einem gleichnamigen baua: Bericht kompakt veröffentlicht.

    In der Studie wird anschaulich, dass psychosoziale Risiken komplexe Beurteilungs- und Gestaltungsprobleme sind, die sich mit den im betrieblichen Arbeitsschutz vertrauten Verfahrensweisen nicht ohne Weiteres lösen lassen.

    Nur in einer Minderheit der Betriebe liegen bislang Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastung vor. Kleine Betriebe führen mehrheitlich keine Gefährdungsbeurteilung durch, aber auch viele große Betriebe lassen psychosoziale Risiken in der Gefährdungsbeurteilung häufig außen vor. Die im Projekt vorgenommenen Feldstudien machten gleichwohl auch deutlich, dass zielgerichtete Maßnahmen zur Vermeidung von psychosozialen Risiken nicht nur und ausschließlich im Rahmen von Gefährdungsbeurteilungen unternommen werden, sondern mitunter unabhängig davon auch in anderen Kontexten, in denen Arbeit im Betrieb tagtäglich bewertet und gestaltet wird. Die Studie belegt exemplarisch, dass zielgerichtete Maßnahmen zur Reduzierung psychosozialer Risiken im Betrieb in ganz unterschiedlichen Kontexten nötig und möglich sind, in der Arbeitszeit- und Leistungspolitik ebenso wie in der Personalplanung oder der Qualifizierung, als Aufgabe fürsorglicher Mitarbeiterführung ebenso wie als Bestandteil professioneller Berufsausübung. Im Interesse des Gesundheitsschutzes gilt es, Anstrengungen zur Gefährdungsvermeidung in allen diesen Kontexten systematisch und zielgerichtet zu fördern.

    Die Ergebnisse der Studie helfen, Herausforderungen und Schwierigkeiten des Umgangs mit psychosozialen Risiken besser zu verstehen. Sie machen aber auch die vielfältigen Möglichkeiten und Lösungsansätze deutlich, die in der betrieblichen Praxis erschlossen und genutzt werden. Eine umfangreiche Liste der Publikationen von Projektergebnissen rundet den baua: Bericht kompakt ab.

    Publikation:
    „Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in der betrieblichen Praxis. Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus einem Feldforschungsprojekt“; Dr. David Beck, Dr. Katja Schuller; baua: Bericht kompakt; Dortmund; Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2020. 3 Seiten, DOI: 10.21934/baua:berichtkompakt20200115. Den baua: Bericht kompakt gibt es im PDF-Format zum Herunterladen im Internetangebot der BAuA unter http://www.baua.de/dok/8826982.

    Pressestelle der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), 30.01.2020

  • Ambulante Sucht- und Drogenhilfe in Nordrhein-Westfalen

    Der vorliegende vierte Monitoringbericht basiert auf den von insgesamt 173 Einrichtungen der ambulanten Suchthilfe in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2018 erhobenen und dokumentierten einrichtungs- sowie betreuungsbezogenen Daten. Für das Auswertungsjahr 2018 wurden insgesamt 88.517 Betreuungsdaten übermittelt. Die Gesamtzahl der Betreuungen setzt sich zusammen aus Hilfen für Menschen mit eigenen Suchtproblemen (89 Prozent) und für Personen aus ihrem sozialen Umfeld (11 Prozent).

    Neben der Datenauswertung nach den Hauptproblemgruppen Alkohol, Opioide, Cannabis und pathologisches Glücksspielen wird erstmalig eine Sonderauswertung zu „Kreistyp-spezifischen Aspekten“ vorgenommen, um Zusammenhänge zwischen ausgewählten Indikatoren und kreistyp-spezifischen Merkmalen herauszuarbeiten. Hinzu kommt das diesjährige Schwerpunktthema „Klientinnen und Klienten in stabilen und prekären Wohnverhältnissen“. In dieser Sonderauswertung werden die von der am­bulanten Suchthilfe in Nordrhein-Westfalen betreuten Menschen in verschiedenen Wohnverhältnissen hin­sichtlich ihrer soziodemografischen Merkmale sowie ihrer Betreuungsprozesse vergleichend beschrieben. Die Analyse hat zum Ziel, die Situation und damit verbundene Unterstützungsbedarfe der wohnungslo­sen Klientinnen und Klienten und der in schwierigen Wohnverhältnissen lebenden Klientel aufzuzeigen. Im Folgenden wird die im Bericht vorangestellte Zusammenfassung wiedergegeben.

    Zusammenfassung

    Während vor allem Männer (73 Prozent) aufgrund einer eigenständigen Suchtproblematik Hilfen in Anspruch nehmen, besteht die Gruppe der Personen aus dem sozialen Umfeld vorwiegend aus Frauen (74 Prozent). Zu Beginn der Betreuung sind die betreuten Klientinnen und Klienten des Jahres 2018 durchschnittlich 38,5 Jahre alt (Männer: 37,8 Jahre; Frauen: 40,4 Jahre). Das aktuelle mittlere Alter der Klientel liegt mit 39,7 Jahren leicht darüber.

    Auswertungen nach Hauptproblemgruppen

    Zwei Drittel der Betreuungen betreffen Klientinnen und Klienten mit einem problematischen Alkohol- oder Opioidkonsum (Alkohol: 37 Prozent, Opioide: 29 Prozent). Cannabisklientinnen und -klienten machen einen Anteil von 18 Prozent und problematische Glücksspielerinnen und Glücksspieler einen Anteil von fünf Prozent aus.

    Alkohol

    Die betreuten Klientinnen und Klienten mit dem Hauptproblem Alkohol sind durchschnittlich 47,5 Jahre alt. Rund ein Drittel der Betreuungen wird von Frauen in Anspruch genommen (34 Prozent). Als weitere Problembereiche in anderen Lebensbereichen werden am häufigsten psychische (85 Prozent) und körperliche Gesundheit (71 Prozent) genannt, ebenso mit 72 Prozent oft vertreten sind problematische familiäre Situationen. Eine Abklärung in den genannten Lebensbereichen findet in über der Hälfte der Betreuungen statt (zwischen 54 Prozent und 60 Prozent). Die Klientinnen und Klienten wohnen überwiegend selbstständig in eigenem Wohnraum (86 Prozent). Etwas weniger als die Hälfte lebt allein (44,5 Prozent). Gemeinsam mit Kindern leben 18 Prozent.

    Rund ein Viertel der Klientinnen und Klienten mit dem Hauptproblem Alkohol gibt an, problematisch verschuldet zu sein (24 Prozent). Insgesamt sind 33 Prozent der betreuten Menschen mit Alkoholproblemen auf Arbeitslosengeld und Sozialhilfe angewiesen (ALG I: fünf Prozent, ALG II: 26 Prozent, Sozialhilfe: zwei Prozent). Eine im Jahr 2018 beendete Betreuung von Menschen mit Alkoholproblemen dauerte durchschnittlich 218,3 Tage. Bei 46 Prozent der beendeten Betreuungen wurden Kooperationen mit einer oder mehreren Institutionen dokumentiert. Wenn Kooperationen stattgefunden haben, dann waren diese am häufigsten mit den Kosten- und Leistungsträgern (47 Prozent), dem sozialen Umfeld (35 Prozent) und stationären Suchthilfeeinrichtungen (28 Prozent). 64 Prozent aller Betreuungen werden regulär oder durch eine geplante Weitervermittlung beendet, 32 Prozent enden durch vorzeitigen Abbruch durch die Klientinnen und Klienten.

    Opioide

    Die im Jahr 2018 betreuten Klientinnen und Klienten mit dem Hauptproblem Opioide sind durchschnittlich 42,7 Jahre alt. Knapp ein Viertel der Betreuungen wird von Frauen in Anspruch genommen (22 Prozent). Als weitere Problembereiche in anderen Lebensbereichen werden am häufigsten psychische (71 Prozent) und körperliche Gesundheit (66 Prozent) genannt. Mehr als die Hälfte der Personen gibt zudem problematische familiäre (57 Prozent) und finanzielle (55 Prozent) Situationen an. Eine Abklärung in den genannten Lebensbereichen findet in über der Hälfte der Betreuungen statt (zwischen 47 Prozent und 53 Prozent). Die Opioid-Klientinnen und -Klienten leben im Vergleich zur Klientel mit anderen Hauptproblemen am häufigsten allein (52 Prozent). Gemeinsam mit Kindern leben 13 Prozent. Die überwiegende Mehrheit wohnt selbständig in eigenem Wohnraum (73 Prozent). Über die Hälfte der betreuten Opioid-Klientel hat problematische Schulden (59 Prozent).

    Nur 16 Prozent der Betreuten mit der Hauptdiagnose Opioide sind erwerbstätig. Entsprechend hoch ist der Anteil derjenigen, die auf Arbeitslosengeld und Sozialhilfe angewiesen sind (ALG I: zwei Prozent, ALG II: 65 Prozent, Sozialhilfe: sieben Prozent). Die Dauer der 2018 beendeten Betreuungen von Menschen mit einer Opioidproblematik betrug durchschnittlich 536,7 Tage. In knapp zwei Drittel der Fälle wird die aktuelle Betreuung als psychosoziale Begleitbetreuung (61,5 Prozent), bei einem Viertel als ambulante Sucht- und Drogenberatung (26 Prozent) klassifiziert. Fünf Prozent der Betreuungen beinhalten eine Substitutionsbehandlung. Weniger als die Hälfte der Betreuungen wird entweder regulär (35 Prozent) oder durch einen planmäßigen Wechsel in eine andere Behandlungsform (zwölf Prozent) beendet. Anteilig am häufigsten wird ein Abbruch durch die Betreuten dokumentiert (39 Prozent).

    Insgesamt wurden 13.100 der Betreuungen von Substituierten in Anspruch genommen. Dies entspricht einem Anteil von 69 Prozent aller dokumentierten Betreuungen von Menschen mit einer Opioidproblematik. Eine vergleichende Auswertung zeigt, dass substituierte Klientinnen und Klienten mit durchschnittlich 43,3 Jahren etwas älter als nicht substituierte Opioidabhängige (41,3 Jahre) sind. Sie sind tendenziell sozial besser eingebunden und leben eher selbständig. Sie haben etwas häufiger einen Ausbildungsabschluss, was jedoch keinen Einfluss auf den Grad der Erwerbstätigkeit und auf die Haupteinkommensquelle hat. Weiterhin zeigt sich, dass substituierte Klientinnen und Klienten über etwas größere Behandlungsvorerfahrungen verfügen. Sie weisen höhere Anteile weiterer Suchtprobleme auf und haben eine höhere Testrate hinsichtlich HBV-, HCV- und HIV-Infektionen. Ihre Betreuungsdauer ist erheblich länger als die der nicht substituierten Betreuten. Am Ende der Betreuung hat die Gruppe der substituierten Klientinnen und Klienten zu einem etwas höheren Anteil eine Verbesserung hinsichtlich der Hauptproblematik erreicht, während die Anteile erreichter Abstinenz bzw. einer Verschlechterung etwa gleich hoch sind wie bei nicht Substituierten. Betreuungsabbrüche sind dagegen bei substituierten Klientinnen und Klienten etwas seltener.

    Cannabis

    Die Betreuten mit dem Hauptproblem Cannabis sind zu Betreuungsbeginn durchschnittlich 25,7 Jahre alt und damit im Vergleich zu den anderen Hauptdiagnosegruppen am jüngsten. Knapp ein Fünftel der Betreuungen wird von Frauen in Anspruch genommen (18 Prozent). Der Anteil Minderjähriger liegt bei 16 Prozent. Als weitere Problembereiche in anderen Lebensbereichen werden am häufigsten psychische Gesundheit (65 Prozent), das familiäre Umfeld (59 Prozent) sowie die Schul- und Ausbildungssituation (58 Prozent) genannt. Eine Abklärung in den genannten Lebensbereichen findet in über der Hälfte der Betreuungen statt (zwischen 52 Prozent und 54 Prozent).

    Ein Drittel der Klientinnen und Klienten mit einer Cannabisproblematik lebt mit einem Elternteil zusammen (33 Prozent), ein weiteres Drittel lebt allein (33 Prozent). Im eigenen Haushalt wohnt etwas mehr als die Hälfte dieser Klientel (55 Prozent), knapp ein Drittel (31 Prozent) wohnt bei anderen Personen. Der überwiegende Teil der Betreuten mit einer Cannabisproblematik hat keine problematischen Schulden (74 Prozent). Ein im Vergleich zu den anderen Hauptdiagnosegruppen hoher Anteil von knapp einem Fünftel der durchschnittlich sehr jungen Betreuten befindet sich während der Betreuung in seiner Schulausbildung (18 Prozent). Etwas weniger als die Hälfte der Betreuten ist aktuell nicht erwerbstätig (42 Prozent), lediglich ein Fünftel ist abhängig beschäftigt oder selbständig tätig (21 Prozent).

    Bei der Aufnahme der Betreuung kommt den Auflagen öffentlicher Institutionen im Vergleich zu den anderen Hauptproblemgruppen eine erhebliche Bedeutung zu: Bei 22 Prozent dieser Klientel existiert zu Beginn der Betreuung eine strafrechtliche Auflage. Die im Jahr 2018 beendeten Betreuungen von Klientinnen und Klienten mit einer Cannabisproblematik dauern durchschnittlich 147,8 Tage. In etwa jedem zweiten Fall wird die Betreuung regulär bzw. planmäßig beendet (52 Prozent). Hinzu kommt ein Anteil von weiteren zehn Prozent der Betreuungen, die durch einen planmäßigen Wechsel in eine andere Betreuung enden. 35 Prozent der Betreuungen werden durch die Klientinnen und Klienten vorzeitig abgebrochen

    Pathologisches Glücksspielen

    Die im Jahr 2018 betreuten problematisch Glücksspielenden sind durchschnittlich 36,6 Jahre alt. Im Vergleich zu den anderen Hauptdiagnosegruppen ist der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund mit 37 Prozent am größten. Rund ein Drittel (34 Prozent) lebt allein und etwa ein Viertel (23 Prozent) zusammen mit Kindern. Überwiegend wohnen die Klientinnen und Klienten in eigenem Wohnraum (78 Prozent). Die im ambulanten Suchthilfesystem betreuten problematisch glücksspielenden Personen sind überwiegend hoch verschuldet. Ein Drittel von ihnen hat problematische Schulden in einer Höhe von mehr als 10.000 Euro (34 Prozent), fast ebenso viele haben Schulden bis zu 10.000 Euro (32 Prozent). Über die Hälfte (60,5 Prozent) der Klientinnen und Klienten ist zum letzten Dokumentationszeitpunkt erwerbstätig. Entsprechend groß ist auch der Anteil derjenigen, deren Hauptquelle des Lebensunterhalts die Berufstätigkeit ist (60 Prozent). Den bedeutendsten Anteil der Betreuten bilden pathologische Glücksspielerinnen und Glücksspieler, die an Geldspielautomaten in Spielhallen und Gaststätten spielen (70 Prozent).

    Als weitere Problembereiche in anderen Lebensbereichen werden bei den problematisch Glücksspielenden am häufigsten die Bereiche psychische Gesundheit (83 Prozent) und Finanzen (82 Prozent) sowie das familiäre Umfeld (78 Prozent) genannt. Eine Abklärung in den genann-ten Lebensbereichen findet bei mehr als der Hälfte der Betreuungsfälle statt (zwischen 54 und 56 Prozent). Eine 2018 abgeschlossene Betreuung problematischer Glücksspielerinnen und Glücksspieler dauerte durchschnittlich 174,1 Tage. Insgesamt werden 49 Prozent der Betreuungen planmäßig beendet (durch reguläre Beendigung oder einen planmäßigen Wechsel der Behandlungsform). Mit 44 Prozent annähernd so häufig werden die Betreuungen durch die Klientinnen und Klienten abgebrochen.

    Kreistyp-spezifische Aspekte

    Für die Sonderauswertung „Kreistyp-spezifische Aspekte“ werden ausgewählte Indikatoren der Datensammlung der ambulanten Suchthilfe in Zusammenhang mit kreisspezifischen Merkmalen gestellt. Die Erreichungsquote zeigt sich mit 3,5 Klientinnen und Klienten pro tausend Einwohnerinnen und Einwohnern in den ländlichen Kreisen am niedrigsten und mit 5,0 Klientinnen und Klienten pro tausend Einwohnerinnen und Einwohnern in den kreisfreien Großstädten mit weniger als 450 Tausend Einwohnerinnen und Einwohnern am höchsten.

    Personen aus dem sozialen Umfeld eines Menschen mit Suchtproblem finden sich – gemessen an der Gesamtanzahl geleisteter Betreuungen – mit zwölf Prozent relativ am häufigsten in Einrichtungen des Kreistyps städtischer Kreis mit weniger als 300 Tausend Einwohnerinnen und Einwohnern und am wenigsten häufig in ländlichen Kreisen (7,6 Prozent). Klientinnen und Klienten mit Alkoholproblemen beim ländlichen Kreistyp stehen anteilig im Vordergrund, die Cannabisklientel ist dort die zweitgrößte Hauptproblemgruppe. In den kreisfreien Großstädten stellt die Opioidgruppe die stärkste Gruppe, gefolgt von Alkohol- und dann Cannabisklientel.

    Der Migrationshintergrund weist eine stärkere Variationsbreite zwischen den Kreistypen auf. In allen Kreistypen werden Personen mit Migrationshintergrund häufiger innerhalb der Opioidklientel erreicht als innerhalb der Alkoholklientel. In den Großstädten finden sich deutlich häufiger alleinlebende Menschen bezogen auf die Gesamtklientel. In ländlichen Kreisen leben anteilig mehr Klientinnen und Klienten mit Kindern zusammen als in den kreisfreien Großstädten. Eine große Variationsbreite weist auch die Betreuungsdauer auf. Diese liegt zwischen 161 Tagen in ländlichen Kreisen und 270 Tagen in den kreisfreien Großstädten mit weniger als 450 Tausend Einwohnerinnen und Einwohnern.

    Betreute Personen in stabilen und prekären Wohnverhältnissen

    Insgesamt wurden 58.561 Betreuungen von Personen mit einer eigenständigen Suchtproblematik ausgewertet. Von diesen wurden sechs Prozent der Gruppe „wohnungslos“, elf Prozent der Gruppe „instabil“ und 83 Prozent der Gruppe „stabil“ zugewiesen.

    Die Gruppe der wohnungslosen Menschen (Klientinnen und Klienten ohne festen Wohnsitz oder Wohnung sowie vorübergehend in Wohnheimen oder Notunterkünften untergebrachte Menschen) wird vor allem vom Opioidklientel geprägt (48 Prozent), gefolgt von den Hauptproblemen Alkohol (22 Prozent) und Cannabis (19 Prozent). Problematisches Glücksspielen oder problematischer Konsum von Substanzen wie Stimulanzien oder anderen sind mit zusammen zwölf Prozent eine eher kleine Gruppe.

    Insgesamt zeigen sich deutliche Unterschiede in der Verteilung der Hauptprobleme innerhalb der Wohnsituationsgruppen, so dass bei dieser Betrachtung von einem Zusammenhang von Wohnsituation und Konsummuster auszugehen ist. Ein Fünftel der betreuten wohnungslosen Klientel sind Frauen. In der Gruppe der von Wohnungslosigkeit bedrohten Personen liegt der Anteil mit 22 Prozent etwas darüber, während er in der Gruppe mit stabilen Wohnverhältnissen mit 29 Prozent am höchsten ist. Fast ein Drittel (30 Prozent) der betreuten Klientinnen und Klienten in der Gruppe „wohnungslos“ haben einen Migrationshintergrund, während dies für weniger als ein Viertel (23 Prozent) der Klientinnen und Klienten in stabilen Wohnverhältnissen gilt.

    Knapp ein Viertel der wohnungslosen Klientinnen und Klienten und genau ein Viertel der in einer instabilen Wohnsituation lebenden Klientinnen und Klienten haben leibliche, minderjährige Kinder. Fünf Prozent der wohnungslosen Klientinnen und Klienten leben mit minderjährigen Kindern in einem gemeinsamen Haushalt, drei Prozent mit eigenen minderjährigen Kindern. In der Gruppe der Klientinnen und Klienten mit „instabiler“ Wohnsituation liegt der Anteil mit neun Prozent für minderjährige Kinder und sechs Prozent für eigene minderjährige Kinder im Haushalt noch darüber.

    Mehr als die Hälfte der Klientinnen und Klienten in prekären Wohnverhältnissen bestreiten ihren Lebensunterhalt hauptsächlich durch den Bezug von Arbeitslosengeld II und somit deutlich häufiger als die selbstständig wohnenden Klientinnen und Klienten. Die zweithäufigste Lebensunterhaltsquelle der wohnungslosen Klientinnen und Klienten ist der Bezug von Sozialhilfe (und andere staatliche Leistungen). Ein besonderes Augenmerk sollte dem mit jeweils zwölf Prozent in beiden prekären Wohnsituationsgruppen verhältnismäßig großen Anteil an Klientinnen und Klienten gelten, die aktuell die Schule besuchen, studieren oder sich in einer anderen beruflichen Ausbildung befinden.

    Zusammenfassend lassen sich zwischen den Gruppen zum Teil deutliche Unterschiede abbilden. Dies trifft auf Konsummuster ebenso wie auf die finanzielle Situation und mutmaßlich auch auf andere Ressourcen wie soziale Unterstützung aus dem Umfeld zu. Auch bezüglich der Kontinuität der Betreuung und weiterer Inanspruchnahme von Hilfsangeboten finden sich geringfügige Unterschiede im Hinblick auf die Wohnsituation.

    Der vollständige Monitoringbericht steht auf der Homepage der Landesstelle Sucht NRW zum Download zur Verfügung. Um gedruckte Exemplare zu bestellen, senden Sie bitte eine E-Mail an kontakt@landesstellesucht-nrw.de.

    Pressestelle der Landesstelle Sucht NRW, 22.01.2020. Quelle: Monitoring der ambulanten Sucht- und Drogenhilfe in Nordrhein-Westfalen 2018. Schwerpunktthema „Klientinnen und Klienten in stabilen und prekären Wohnverhältnissen“, hrsg. v. Geschäftsstelle der Landesstelle Sucht NRW, S. 5-8.

  • Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien

    Ungekürzter Aufruf zur Aktionswoche

    Die vergessenen Kinder sind – dank dem Deutschen Bundestag – endlich auf der politischen Agenda. Mit einem Entschließungsantrag aus dem Juni 2017 hat das Parlament entschieden, dass suchtbelastete Familien und die insgesamt ca. drei Millionen Kinder eine optimale interdisziplinäre Versorgung bekommen sollen.

    Hierfür wurde eine Arbeitsgruppe „Kinder psychisch- und suchtkranker Eltern“ einberufen. Kurz vor Weihnachten übergab sie Ihren Abschlussbericht an den Bundestag. Leider ist es nicht gelungen, sich in der Arbeitsgruppe über konkrete Finanzierungsmodelle für viele der dringend erforderlichen Hilfen zu einigen. […]

    Für Kinder aus suchtbelasteten Familien existieren in Deutschland schätzungsweise 200 spezialisierte Hilfeangebote, die die Kinder dabei unterstützen, möglichst unbeschadet aus der belasteten familiären Situation hervor zu gehen. Die Effektivität dieser Angebote ist in der Praxis vielfach erwiesen. Doch kommen heute nur sehr wenige der insgesamt drei Millionen betroffenen Kinder in den Genuss dieser Angebote. Sie wären in jeder Gemeinde nötig, damit mehr Kinder Unterstützung erhalten, um sich gesund zu entwickeln. Für diese Angebote gibt es bislang keinerlei gesetzliche Regelung zur Finanzierung. Sie waren und sind auf den guten Willen der Kommune, der Träger und/oder auf Spenden angewiesen. Dies droht auch so zu bleiben. Die Initiatoren der Aktionswoche und die an ihr beteiligten Aktivist/innen rufen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages dazu auf: Bitte, denken Sie über den Bericht der Arbeitsgruppe hinaus. Suchen Sie Lösungen für diese offenen Fragen:

    • Bekanntlich leiden die meisten Kommunen unter großer Finanznot. Schon für die bisherigen Aufgaben in der Jugendhilfe sind sie nicht mit ausreichenden Mitteln ausgestattet. Wie soll eine Gemeinde präventive Gruppenangebote z. B. für Kinder aus suchtbelasteten Familien über ihre Jugendhilfebudgets finanzieren, wenn sie von den Ländern nicht hinreichend mit Geldern ausgestattet wird?
    • Wie soll sich in Deutschland ein flächendeckendes Hilfesystem entwickeln, wenn die Hürden für Förderungen so gestaltet sind, dass die von den Krankenkassen zur Verfügung stehenden Mittel nicht in Anspruch genommen werden können?
    • Wie sollen freie Träger für ihre Gruppenangebote Zugang zu Förderungen z. B. im Rahmen des Bündnisses für Gesundheit der gesetzlichen Krankenkassen erhalten, wenn sie keine Antragsberechtigung haben? Dies steht nur den Kommunen zu. Wenn die Angebote (wegen fehlenden Problembewusstseins oder fehlender Mittel für den zu entrichtenden Eigenanteil der Gemeinde) nicht die nötige Unterstützung durch die Kommune haben, sind sie von Förderungen praktisch ausgeschlossen. Von einer Regelfinanzierung kann unter diesen Bedingungen nicht die Rede sein.

    […] Kinder aus Suchtfamilien sind die größte bekannte Risikogruppe für eine eigene Suchterkrankung und lebenslang hochgefährdet für psychische Krankheiten sowie soziale Störungen. Laut dem aktuellen DAK-Kinderreport entfallen auf diese Kinder um 32 Prozent höhere Gesundheitskosten. Auch ist die Gefahr, Bildungsversager zu werden, bei diesen Kindern besonders hoch. Dafür sind in der Regel nicht mangelnde Intelligenz, sondern die ständigen Sorgen um die Eltern, das geringere Selbstbewusstsein, Versagensängste, geringere Stimulanz im Elternhaus und Defizite in der sozialen Kompetenz ursächlich. Studien legen nahe, dass die Schädigungen der Kinder in der lebenslangen Perspektive zu Kosten in Milliardenhöhe führen. Das Leid der Kinder ist mit Geld nicht zu ermessen.

    Wie in jedem Jahr wird die bundesweite Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien die politischen Forderungen mit zahlreichen Veranstaltungen und Aktionen unterstreichen. Alle Einrichtungen, Initiativen, Projekte aus Jugend- und Suchthilfe und der Sucht-Selbsthilfe und ihre Verbände sind eingeladen mitzumachen. Die Veranstaltungen sorgen dafür, dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, Wissen zu vermitteln, Hoffnung zu verbreiten und betroffenen Familien und den Kindern Wege zu Hilfe und Genesung zu weisen. […]

    Alle Informationen zu Veranstaltungen und Anregungen zum Mitmachen finden sich auf der Website www.coa-aktionswoche.de Kontakt: info@coa-aktionswoche.de. Schirmherrin der deutschen Aktionswoche ist die Schauspielerin Katrin Sass. […]

    Pressestelle von NACOA Deutschland e.V., 23.01.2020

  • Dani und die Dosenmonster

    Mabuse-Verlag, Frankfurt a. M. 2019, 67 Seiten, 16,95 €, ISBN 978-3-86321-441-8

    Als Danis Papa arbeitslos wird, ziehen kurz darauf komische Gestalten in die Wohnung ein. Erst ist nur eine da, aber bald sind sie überall: die Dosenmonster. Je mehr Papa trinkt, desto mehr fehlt ihm die Energie, sich um seinen Sohn zu kümmern. So sehr Dani sich auch bemüht – alleine schafft er es nicht, die Dosenmonster zu vertreiben. Zum Glück weiß Tante Julia, was zu tun ist.

    Das Buch zum Thema Alkoholabhängigkeit soll als Türöffner für Gespräche dienen und Mut machen, den Dosenmonstern den Kampf anzusagen. Fachliche Ratschläge dazu gibt der Psychologe Sören Kuitunen-Paul im Anschluss an die Bildergeschichte. Für Kinder ab 6 Jahren.

  • Arbeitsgruppe „Kinder psychisch und suchterkrankter Eltern“

    Der Deutsche Bundestag hat am 22. Juni 2017 einstimmig die Bundesregierung auf-gefordert, eine zeitlich befristete interdisziplinäre Arbeitsgruppe unter Beteiligung der zuständigen Bundesministerien, relevanter Fachverbände und -organisationen sowie weiterer Sachverständiger einzurichten, die einvernehmlich Vorschläge zur Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil psychisch erkrankt ist, erarbeitet (vgl. Bundestagsdrucksache 18/12780).

    Die Arbeitsgruppe konstituierte sich am 12. März 2018 unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Seitens der Bundesregierung waren außerdem das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, der Arbeitsstab der Drogenbeauftragten der Bundesregierung und das Bundesministerium für Gesundheit beteiligt. Die Arbeitsgruppe war interdisziplinär mit 37 Vertreterinnen und Vertretern aus der Kinder- und Jugendhilfe, dem Gesundheitswesen, der Behindertenhilfe und aus Wissenschaft und Forschung besetzt. Zudem waren auch Vertreterinnen und Vertreter aus den Ländern und von den kommunalen Spitzenverbänden beteiligt. Für die DHS nahm Gabriele Sauermann (Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband e.V.) an der Arbeitsgruppe teil.

    Die Arbeitsgruppe konnte sich auf 19 Empfehlungen verständigen und diese konsentieren. Es wurden Empfehlungen ausgesprochen u. a.

    • für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe,
    • für präventive Leistungen,
    • für eine verbesserte Kooperation zwischen Jugendhilfe und Gesundheitshilfe sowie
    • für die Entwicklung eines kommunalen Gesamtkonzeptes, das interdisziplinäre Angebote bereithält und Schnittstellen unterschiedlicher Leistungssysteme gut managt.

    Der Abschlussbericht steht öffentlich auf der Website der Arbeitsgrupp und als Drucksache 19/16070 des Deutschen Bundestages zur Verfügung.

    Quelle: Mitteilung der DHS, 09.01.2020

  • Non-Responder-Studie

    Zum Einfluss des Klinikaufwands auf das Antwortverhalten der finalen Non-Responder in der stationären Alkoholentwöhnung und zur Schätzung ihres Abstinenzverhaltens liegt nun der Abschlussbericht der Non-Responder-Studie vor.

    Mit der über einen Zeitraum von drei Jahren durchgeführten Non-Responder-Studie wurde zum ersten Mal eine systematische Untersuchung der Erfolgsquoten in der stationären Alkoholentwöhnung unter Einbeziehung der Spät-Antwortenden durchgeführt.

    Auf der Grundlage der Studienergebnisse lassen sich Zusammenhänge zwischen Antwortverhalten und Abstinenzverhalten abschätzen, die eine validere Schätzung der Erfolgsquoten von Entwöhnungsbehandlungen ermöglichen. Mit dem Fortsetzungsprojekt Non-Responder-Studie II wurde eine Untersuchung des Einflusses von Klinikmerkmalen auf das Antwortverhalten von Patienten und Patientinnen der stationären Alkoholentwöhnung in der routinierten Ergebnismessung (Routinekatamnese) durchgeführt und es wurden Modelle zur Vorhersage des Abstinenzverhaltens in der Gruppe der Nicht-Antwortenden (Non-Responder) erstellt.

    Im Ergebnis hat sich gezeigt, dass die bisherigen Berechnungsformen den Erfolg unterschätzen. Die Ergebnisse der Studie können deshalb als Ausgangspunkt für eine Diskussion der Berechnungsformeln der katamnestischen Erfolgsquoten dienen. Zudem wurden Gründe für das Nicht-Antworten identifiziert, die in den routinemäßig durchgeführten Katamnesebefragungen berücksichtigt werden können, um die Quote der Antwortenden zu erhöhen.

    Quelle: Website des BMG, 17.01.2020

  • Männlichkeiten und Sucht

    Männlichkeiten und Sucht

    Kaum ein Faktor beeinflusst die persönliche Identitätsentwicklung und Sozialisation so früh und grundlegend wie die geschlechtliche Zuordnung. Gesellschaftlich festgeschriebene Rollenbilder und damit verbundene Erwartungen stellen schon sehr früh die Weichen für den persönlichen Lebensweg. Anhand der uns umgebenden Vorbilder beginnen wir von klein auf, unser eigenes Verhalten zu entwickeln. Vorgelebte Rollen und ihre Merkmale werden als Normalität wahrgenommen, imitiert und gerade in der frühen Kindheit unreflektiert verinnerlicht. Daraus entwickeln sich Persönlichkeitsaspekte, die den Umgang mit anderen Menschen im weiteren Leben entscheidend mitbestimmen.

    Der Einfluss von Rollenbildern zeigt sich ebenso im Kontext von Suchterkrankungen, denn sowohl im Konsumverhalten als auch in den Motiven für den Konsum lassen sich deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede erkennen. „Beide Geschlechter leiden geschlechtstypisch und aus bipolar entgegengesetzten Gründen, denen die Einseitigkeit der Rollenverteilung zugrunde liegt.“ (Macha, Witzke 2008, S. 274) Als primäre Identifikationsfiguren gehören die Eltern zu den stärksten Einflussfaktoren, sie prägen die Auffassung der Geschlechterrollen entscheidend mit. Im Kontext von Männlichkeit kommt dem Vater als Rollenvorbild eine besondere Bedeutung zu. Stark sein, keine Schwäche zeigen, unbedingte Leistungsbereitschaft – dies sind Beispiele für Attribute, mit denen Klienten von Suchthilfeeinrichtungen ihre eigene Männerrolle häufig assoziieren. Es sind Attribute, die oftmals vom Vater vorgelebt und vom Sohn übernommen wurden. Auch das Trinken von Alkohol als männliche Verhaltensweise wird häufig vom direkten Rollenmodell abgeschaut und übernommen. Etwa ein Drittel der alkoholabhängigen Männer hatte selbst einen alkoholabhängigen Vater, was für eine generationsübergreifende Abhängigkeitsentwicklung spricht (vgl. Vosshagen 1997).

    „Reine Männersache?! – Suchthilfe in NRW“

    Um Fachkräfte für geschlechtsspezifische Perspektiven in der Arbeit mit suchtkranken Männern zu sensibilisieren und zu qualifizieren, startete die Koordinationsstelle Sucht des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe im Juni 2017 das Projekt „Reine Männersache?! – Suchthilfe in NRW“. Im Verlauf des Projektes, das im August 2019 endete, wurden insbesondere elf Lehrfilme entwickelt, die relevante Themen aus der praktischen Arbeit mit suchtkranken Männern aufgreifen. Diese und weitere Ergebnisse des Projekts werden im Folgenden vorgestellt.

    Filmreihe „Männlichkeiten und Sucht“

    Die Filmreihe „Männlichkeiten und Sucht“ gibt Einblicke in die Gedankenwelt suchtkranker Männer. Es geht um vorherrschende Rollenbilder, damit verbundene Erwartungshaltungen und auch darum, wie mit dem daraus entstehenden Druck umgegangen werden kann. In den gesellschaftlich verankerten sozialen Geschlechternormen gibt es oft sehr wenig Spielraum: Entspricht eine Verhaltensweise nicht dem vorherrschenden Männerideal, so wird sie schnell als weiblich deklariert. Dies kann bei Männern zu einem inneren Druck führen, vor allem, wenn sie das weibliche Geschlecht noch immer mit dem „schwachen Geschlecht“ assoziieren. Somit wird das nicht-männliche Verhalten nicht nur automatisch weiblich, sondern auch als schwach wahrgenommen. Und Schwäche gilt eben als genaues Gegenteil des starken und unbezwingbaren Idealmannes.

    Lust und Frust der Männerrolle

    Die elf Kurzfilme der Reihe betrachten den Zusammenhang von männlichem Geschlecht und Suchtverhalten sowohl aus fachlicher als auch persönlicher Perspektive und greifen Themen auf, die in Therapie und Beratung oft von besonderer Bedeutung sind. Experten aus der Sucht- und/oder Männerarbeit sowie Betroffene kommen zu Wort und geben Einblick in ihre Erfahrungen. Aspekte wie Sexualität, Gewalterfahrungen oder das Verhältnis von Arbeit und Freizeit sind zwar nicht ausschließlich Männerthemen, es handelt sich jedoch um Themenbereiche, in denen gesellschaftlich oft noch eine ziemlich feste und unflexible Vorstellung des idealen Mannes herrscht: Männer sind Verführer, nicht Verführte, manchmal Täter, nie Opfer, und immer ganz oben in Sachen Kompetenz im Arbeitsbereich. Auch wenn es mittlerweile einen gesellschaftlichen Entwicklungsprozess gibt, der mit einer Pluralisierung dieses Rollenbildes einhergeht, ist es noch immer weit verbreitet und bei Männern oft tief im Selbstverständnis verankert.

    Die Betrachtung von Suchtverhalten aus geschlechtsspezifischer Sicht bietet eine besondere Verständnisebene, die für den Therapieprozess förderlich sein kann. Oft genug dient das Suchtmittel als Ventil zum Abbau von Druck, der aus dem Gefühl heraus entsteht, dem gesellschaftlichen Rollenbild nicht gerecht werden zu können. Auch das Verständnis der familiären Rollenverteilung oder von Partnerschaft kann eng mit der verinnerlichten Geschlechterrolle zusammenhängen. Das Zusammenspiel von Geschlecht und dem Konsum von Rauschmitteln ist vielschichtig und oftmals tief im Unbewussten jedes Einzelnen verankert.

    Film: Modul 1 – Lust und Frust der Männerrolle 

    Sucht und Männlichkeit

    Seit rund 20 Jahren befasst sich die LWL-Koordinationsstelle Sucht schon mit dem Thema „Männlichkeiten und Sucht“. Die Relevanz des geschlechtsspezifischen Aspektes wird auch bei einem Blick auf folgende Zahlen deutlich: Weltweit lassen sich gravierende Unterschiede im Konsumverhalten von Männern und Frauen feststellen. So wurden in Deutschland im Jahr 2015 100.000 Fälle von Alkoholabhängigkeit bei Männern diagnostiziert, bei Frauen dagegen „nur“ 36.000 (Deutsches Krebsforschungszentrum 2017). In Suchteinrichtungen stellen Männer zwei Drittel der Klienten. Männer konsumieren in den meisten Kategorien (mit Ausnahme von Medikamenten) härter, häufiger und riskanter als Frauen und tun dies auch häufiger in der Öffentlichkeit. Alkohol und Tabak sind bekannte Beispiele für männlich konnotierte Suchtmittel: Jeder kennt das Bild des großgewachsenen, harten und natürlich rauchenden Cowboys oder das des Whisky trinkenden und Zigarre rauchenden erfolgreichen Geschäftsmannes. Dies sind nur zwei von vielen gängigen Klischees. Übertrieben männliche Rollenbilder gibt es in den Medien zuhauf. Das Ungleichgewicht im Konsumverhalten zwischen den Geschlechtern erstreckt sich über Tabak und Alkohol hinaus auch auf die meisten anderen Substanzen. Die Demonstration, viel vertragen zu können, dient der Darstellung von Macht und Stärke – und so eben auch von Männlichkeit. Das verinnerlichte Konstrukt der eigenen Geschlechterrolle ist dabei ebenso unflexibel wie empfindlich: Jede Abweichung vom vermeintlich männlichen Verhaltenskodex wird direkt mit Unmännlichkeit assoziiert und bietet so Angriffsfläche für Hohn und Spott der Geschlechtsgenossen.

    Obwohl Gender-Mainstreaming und die Berücksichtigung des sozialen Geschlechts mittlerweile weitgehend als förderlicher Aspekt in der Ansprache von Suchtkranken betrachtet werden, ist männerspezifische Suchtarbeit in vielen Einrichtungen nicht strukturell verankert (vgl. Stöver et al. 2017, S. 9). Für den Klienten können deshalb in Gesprächen Hemmschwellen entstehen, wenn es beispielsweise um ein sensibles Thema wie Sexualität geht. Um nicht in unangenehme Situationen zu kommen, werden wichtige Themen im Zweifel also lieber nicht angesprochen und können somit auch nicht erfolgreich bearbeitet werden.

    Um geschlechtersensibel arbeiten zu können, ist es für Fachkräfte notwendig, sich die eigene Geschlechtsauffassung bewusst zu machen. Verinnerlichte Rollenzuschreibungen müssen reflektiert und hinterfragt werden, vor allem auch unter Berücksichtigung der sich ständig verändernden gesellschaftlichen Realität: Rollenbilder wandeln sich zunehmend, neue und oftmals widersprüchliche Erwartungen und die damit einhergehenden Auswirkungen auf Sozialisationsprozesse und Wahrnehmungsmuster können zu mangelnder Orientierung und damit zu wachsender Unsicherheit führen. Ein klarer und konsequenter Standpunkt zur eigenen Geschlechterrolle ist für die Fachkraft daher notwendig, um dem Klienten eine zuverlässige Orientierungshilfe zu sein.

    Nicht nur für weibliche Fachkräfte kann männersensible Arbeit eine Herausforderung darstellen. Konkurrenzdenken und Imponiergehabe beispielsweise sind zwischen Männern oft Störfaktoren für eine konstruktive Gesprächsführung. Eine ausgeprägte Leistungsorientierung, bei der Erfolge hochgelobt und Rückschläge totgeschwiegen werden, kann effektives Arbeiten deutlich erschweren. Auch hier taucht schließlich wieder die Befürchtung auf: Wer Hilfe braucht, gilt als schwach und unmännlich. Leichter und unverfänglicher ist es da, eigene Leistungen zu betonen und sich zu profilieren. Die Erkenntnis, dass die Abweichung von männlichen Rollenklischees nicht gleichbedeutend mit dem Verlust der eigenen Männlichkeit ist, muss häufig erst noch erarbeitet werden. Durch das Erkennen und Verstehen der mit dem Geschlecht verbundenen Gründe und Funktionen des Konsums kann der Klient dabei unterstützt werden, alternative und vor allem risikoärmere Verhaltensweisen zu entwickeln und das Ausleben seiner Männlichkeit vom Konsumverhalten zu trennen. Das Aufdecken von jungen- und männerspezifischen Mythen im Kontext des Suchtmittelkonsums ist  ein ebenso notwendiger Schritt wie das Umdenken von Leistungs- und Exzessorientierung zur Genussorientierung (vgl. Heckmann 2007).

    Film: Modul 2 – Sucht und Männlichkeit

    Praxishandbuch „Männlichkeiten und Sucht“

    In dem von der LWL-Koordinationsstelle Sucht herausgegebenen Praxishandbuch „Männlichkeiten und Sucht“ wurde das Thema für die ambulanten und stationären Einrichtungen der Suchthilfe praxisorientiert aufbereitet. Die aktuelle dritte Auflage von 2017 berücksichtigt Ergebnisse der 2014 durch das Institut für Suchtforschung (ISF) erfolgten Evaluation und diente als Ausgangsbasis der Arbeit des Projektes „Reine Männersache?! – Suchthilfe in NRW“. Das Handbuch ist in elf Themenmodule gegliedert, welche neben dem grundsätzlichen Zusammenhang von Geschlecht und Sucht auch Aspekte wie Vaterschaft, Partnerbeziehungen, Familie, Freundschaften und Emotionalität behandeln. Die einzelnen Module werden ausführlich beleuchtet, und ausgewählte Methoden zur praktischen Gruppenarbeit mit Klienten werden vorgestellt und detailliert beschrieben. Die Methoden sind in unterschiedliche Schwierigkeitsstufen eingeteilt, welche dabei helfen sollen, sie entsprechend der Komplexität und Teilnahmebereitschaft der Arbeitsgruppe angemessen auszuwählen. Benötigte Arbeitsmaterialen für die Anwendung der Methoden werden auf der beiliegenden CD-ROM mitgeliefert.

    Fortbildungsprogramm

    Durch das im Rahmen des Projektes entwickelte Fortbildungsprogramm werden männliche Fachkräfte für die geschlechtsspezifische Arbeit mit suchtkranken Männern nicht nur sensibilisiert, sondern auch qualifiziert. Aufbauend auf den Modulen des Praxishandbuchs werden ihnen konkrete Methoden und Handlungsempfehlungen vermittelt, um durch geschlechtssensible Arbeit einen besseren Zugang zu ihren Klienten zu bekommen.

    Die Fortbildungen beinhalten Informationen zu männlicher Sozialisation, zu Abwehrmechanismen sowie männlichem (Sucht-)Verhalten und Erleben. Die Teilnehmer führen praktische Übungen in der Rolle des Gruppenleiters einerseits und in der Rolle des Klienten andererseits durch. Ziel der Fortbildungen ist es, Fachkräfte zu befähigen, mit unterschiedlichen Gruppendynamiken umzugehen und männerspezifische Angebote in ihren Arbeitsalltag zu integrieren.

    Im September und November 2018 sowie im Februar 2019 wurden die jeweils dreitägigen Fortbildungen mit insgesamt 36 Teilnehmern durchgeführt. Die im Rahmen der Projektförderung begrenzten Teilnehmerplätze waren schnell ausgebucht, sodass die Koordinationsstelle Sucht im April 2019 bereits einen Zusatztermin anbot. Die durchweg positive Evaluation der Fortbildungsveranstaltungen sowie die hohe Nachfrage zeigen deutlich, dass dem Thema in der praktischen Arbeit eine hohe Relevanz zukommt. Auch 2020 findet die Fortbildung „Männlichkeiten und Sucht“ daher wieder statt (9. bis 11. September 2020 in Freckenhorst).

    Arbeitskreis Mann & Sucht

    Neben den Fortbildungen bietet auch der Arbeitskreis Mann & Sucht männlichen Fachkräften in der Suchthilfe ein Forum zum kollegialen Austausch. Er gibt ausgewählte Impulse zur männerspezifischen Suchtarbeit, eröffnet Perspektiven und dient darüber hinaus als Plattform für aktuell relevante Themen aus den Einrichtungen der Teilnehmer.

    Weiteres Material

    Mit der Projektwebsite www.maennersache-sucht.de wurde eine Plattform gestaltet, über die sich Interessierte einen ersten Einblick in das Thema und die einzelnen Module des Handbuchs verschaffen können. Auch die im Projekt erstellten Filme sind hierüber abrufbar. Um das Thema darüber hinaus weiterzuverbreiten, wurden außerdem Poster, Postkarten und Taschentuchboxen mit speziell für den Kontext erstellten Motiven produziert. Obwohl die männlichen Fachkräfte im Fokus des Projektes stehen, sollen diese Materialien auch weiblichen Fachkräften als Aufhänger für den kollegialen Erfahrungsaustausch und als Einstiegsmöglichkeit im Klientenkontakt dienen. Die Projektaktivitäten zielen auf eine Verbesserung der gender- bzw. männersensiblen Arbeitsweisen in der Suchthilfe ab, wovon letztendlich vor allem suchtgefährdete und abhängigkeitserkrankte Jungen und Männer profitieren sollen.

    Ausblick

    Die Erfahrung, dass das Verständnis der eigenen Männlichkeitskonstruktion und  ihres Zusammenhangs mit der persönlichen Suchtbiografie wichtig und förderlich sein kann, unterstreichen auch die interviewten Männer der Filmreihe: „Ich kann einen gewissen Stolz empfinden, die Sucht überwunden zu haben. Und auch die Freiheit, machen zu können, was ich möchte, und nicht in der Sucht gefangen zu sein. Von daher fühle ich mich jetzt deutlich männlicher als zu abhängigen Zeiten.“ (F. Happel im Film „Modul 2: Sucht und Männlichkeiten“, ab 4:21).

    Mit Ende der 27-monatigen Laufzeit am 30. August 2019 ist das Projekt „Reine Männersache!? – Suchthilfe in NRW“ zwar abgeschlossen, das Thema jedoch bleibt  weiterhin relevant. Was heißt es heute, ein Mann zu sein? Wie erleben sich Männer mit männlichen Klienten in der Suchthilfe? Wie können Frauen von den bisherigen Erfahrungen und Ergebnissen profitieren? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Veranstaltung zum Projektabschluss am 12. Juni 2019, mit der im Rahmen des Projektes ein letzter Impuls gesetzt werden konnte. Zum einen wurden die gesammelten Projektergebnisse der Fachöffentlichkeit vorgestellt, zum anderen sollte vor allem das Thema sowohl männlichen als auch weiblichen Fachkräften zugänglich gemacht und dessen Wichtigkeit betont werden. Von Mitgliedern des Fachbeirats durchgeführte Workshops luden dazu ein, sich mit einzelnen Aspekten vertiefend zu beschäftigen, und boten die Möglichkeit zum kollegialen Diskurs. Die erstellten Informationsmaterialien, die in das Fortbildungsprogramm des LWL aufgenommenen Fortbildungen, die Projektwebsite sowie nicht zuletzt die Filmreihe „Männlichkeiten und Sucht“, welche nicht nur im Internet, sondern auch auf DVD erhältlich ist, sollen nachhaltig die Sensibilisierung für die besonderen Chancen und Herausforderungen männerspezifischer Suchtarbeit unterstützen.

    Das Projekt „Reine Männersache!? – Suchthilfe in NRW“ wurde gefördert vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales als Maßnahme des Aktionsplans gegen Sucht NRW.

    Kontakt:

    Sandy Doll, sandy.doll@lwl.org
    Maik Pohlmann, maik.pohlmann@lwl.org
    Markus Wirtz, markus.wirtz@lwl.org

    Projektkoordination „Reine Männersache!? – Suchthilfe in Nordrhein-Westfalen“
    Landschaftsverband Westfalen-Lippe
    Dezernat 50
    LWL-Koordinationsstelle Sucht
    48133 Münster

    Literatur:
    • Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.), Alkoholatlas Deutschland 2017. URL: http://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/download/Publikationen/sonstVeroeffentlichungen/Alkoholatlas-Deutschland-2017_Doppelseiten.pdf  (Stand: 25.10.2018)
    • Heckmann, Gier, Macht, Ohnmacht: Männliches Suchtverhalten. In: W. Hollstein, M. Matzner (Hrsg.), Soziale Arbeit mit Jungen und Männern. München 2007, S. 155 – 173
    • Macha, M. Witzke, Familie und Gender. Rollenmuster und segmentierte gesellschaftliche Chancen. Frankfurt am Main 2008
    • Stöver, A. Vosshagen, P. Bockholdt, F. Schulte-Derne, Männlichkeiten und Sucht – Handbuch für die Praxis, Hrsg.: Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Münster 2017
    • Vosshagen, Geschlechtsspezifische Aspekte der Alkoholabhängigkeit bei Männern. Dissertation. Essen 1997
  • Aktivierung von Opioid-Rezeptor aufgeklärt

    Tobias Claff und Prof. Dr. Christa Müller von der Universität Bonn betrachten einen Glasträger, auf dem sich die Opioid-Rezeptor-Kristalle bilden. © Foto: Volker Lannert/Uni Bonn

    Forscher der Universität Bonn haben zusammen mit Kollegen aus Shanghai, Brüssel, Kanada und den USA den Bindemechanismus eines wichtigen Schmerzrezeptors aufgeklärt. Die Ergebnisse erleichtern die Entwicklung neuer Wirkstoffe. Die heute gegen starke Schmerzen eingesetzten Opioide können abhängig machen und haben zum Teil lebensbedrohliche Nebenwirkungen. Die Ergebnisse erscheinen im renommierten Fachjournal Science Advances.

    Opioide zählen zu den wirksamsten heute verfügbaren Schmerzmitteln. Dazu gehören beispielsweise Morphium oder auch Oxycodon, das früher in den USA oft sehr leichtfertig verschrieben wurde. Mit gravierenden Konsequenzen: Hunderttausende von Patienten wurden abhängig; viele von ihnen landeten später bei Drogen wie Heroin oder Fentanyl.

    Oxycodon bindet im Körper an so genannte Opioid-Rezeptoren. Davon gibt es drei verschiedene Typen – MOP, DOP und KOP. Die bislang verfügbaren Schmerzmittel aktivieren vor allem die M-Form (auch µ-Rezeptor genannt). Die Stimulierung von MOP kann aber nicht nur süchtig machen, sondern zusätzlich lebensgefährliche Nebenwirkungen haben. Die wohl schwerwiegendste ist die Lähmung des Atemzentrums. Die häufigste Todesursache nach Heroin-Konsum ist denn auch Atemstillstand.

    „Arzneistoffe, die selektiv an den DOP-Rezeptor binden, haben diese drastischen Nebenwirkungen vermutlich nicht“, hofft Prof. Dr. Christa Müller vom Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn. Die Betonung liegt auf „selektiv“: Die Opioid-Rezeptoren sind einander so ähnlich, dass viele Wirkstoffe alle drei Formen aktivieren. Um Substanzen zu finden, die ganz spezifisch nur an den DOP-Rezeptor andocken, muss man daher exakt wissen, was bei der Bindung genau passiert.

    Räumliche Struktur bis auf Atomebene sichtbar gemacht

    Diese Frage kann die aktuelle Studie nun beantworten. „Wir haben den DOP-Rezeptor mit zwei verschiedenen Molekülen aktiviert, den Komplex aufgereinigt und dann seine Struktur mit Röntgenstrahlung aufgeklärt“, erklärt Tobias Claff, der den Hauptteil der Experimente durchgeführt hat. Dazu wird der Komplex aus Rezeptor und Wirkstoff in einen kristallinen Zustand überführt. Das Kristallgitter lenkt das Röntgenlicht auf charakteristische Weise ab. Aus der Intensitäts-Verteilung der gebeugten Strahlung lässt sich daher auf die räumliche Struktur des Komplexes schließen – und zwar bis hin zur Anordnung jeden einzelnen Atoms.

    „Wir konnten so zeigen, welche Teile des Rezeptors für die Bindung der Wirkstoffe verantwortlich sind“, sagt Claff. „Mit diesem Wissen sollte es nun möglich sein, ganz gezielt neue Substanzen herzustellen, die ausschließlich DOP aktivieren.“ Das Interesse an solchen Pharmaka ist groß – auch deshalb, weil der DOP-Rezeptor anders als sein MOP-Pendant nicht vor allem gegen akute, sondern gegen chronische Schmerzen wirkt. Diese sind bislang nur sehr schwer zu therapieren.

    Die Röntgenkristallografie ist kein neues Verfahren. Die Struktur so genannter G-Protein-gekoppelter Rezeptoren (dazu gehören auch die Opioid-Rezeptoren) ließ sich so aber bis vor kurzem nicht aufklären. Diese Membranproteine sitzen in dem dünnen fettähnlichen Häutchen, das den Zellinhalt wie eine Art Beutel umschließt. Aufgrund ihrer Fettlöslichkeit müssen sie während der Kristallisation aufwändig stabilisiert werden. Ansonsten denaturieren sie und ändern dadurch ihre räumliche Struktur. „Es gibt weltweit nur wenige Laboratorien, die diese Probleme beherrschen“, betont Christa Müller.

    An der Universität Bonn können angehende Pharmazeuten während ihres Masters oder Staatsexamens ins Ausland gehen. Das Institut verfügt dazu über ein breites Netz von Kooperationspartnern – eine Tatsache, die etwa auch im Studien-Ranking des CHE Centrum für Hochschulentwicklung regelmäßig sehr positiv bewertet wird. Tobias Claff nutzte diese Möglichkeit: „Ich habe ein Jahr meines Masters an einem Institut der ShanghaiTech University verbracht“, erklärt er. „Dort hat man in den letzten Jahren die Kristallografie von Membranproteinen entscheidend vorangetrieben.“ In Shanghai erlernte Claff die aufwändige Methode – ein Know-how, von dem nun auch seine Heimatuni profitiert, an die er inzwischen zurückgekehrt ist.

    Dass sich ein Master-Student ein solch schwieriges Problem vorknöpfe, komme nicht häufig vor, betont Prof. Müller. „Dieser Erfolg ist eine ganz außergewöhnliche Leistung“, sagt sie. „Er zeigt zudem auch, wie gut die Fachgruppe Pharmazie mit ihrem internationalen Austauschprogramm aufgestellt ist.“

    Originalpublikation:
    Tobias Claff, Jing Yu, Véronique Blais, Nilkanth Patel, Charlotte Martin, Lijie Wu, Gye Won Han, Brian J. Holleran, Olivier Van der Poorten, Michael A. Hanson, Philippe Sarret, Louis Gendron, Vadim Cherezov, Vsevolod Katritch, Steven Ballet, Zhi-Jie Liu, Christa E. Müller, Raymond C. Stevens: Elucidating the active delta-opioid receptor crystal structure with peptide and small molecule agonists. Science Advances, DOI: 10.1126/sciadv.aax9115

    Pressestelle der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 27.11.2019