Autor: Simone Schwarzer

  • Kein Anhaltspunkt für einen Nutzen von EMDR bei Angststörungen

    Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) wird bislang hauptsächlich in der Traumatherapie eingesetzt. Hier bezahlen die Krankenkassen die Behandlung. Traumatische Ereignisse sollen dabei mit Hilfe der Aktivierung beider Gehirnhälften, zum Beispiel durch das Verfolgen eines hin und her bewegten Fingers mit den Augen, aufgearbeitet werden.

    Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat nun eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Universität Witten/Herdecke und der Fernuniversität Hagen untersucht, ob eine EMDR-Behandlung auch bei Angststörungen hilft. Die schlechte Studienlage lässt allerdings keine Aussagen zum Nutzen und Schaden von EMDR bei Angststörungen zu. Geeignete Studien zur gesundheitsökonomischen Bewertung fehlen ebenfalls.

    Zu diesem vorläufigen HTA-Bericht bittet das Institut nun bis zum 6. November 2019 um Stellungnahmen. Es handelt sich dabei um ein so genanntes Health Technology Assessment (kurz: HTA) in dem durch Gesetzesauftrag 2016 gestarteten IQWiG-Verfahren ThemenCheck Medizin. Die Fragestellungen der HTA-Berichte gehen stets auf Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern zurück – auch für den vorliegenden Bericht.

    Angststörungen sind keine Seltenheit

    Angststörungen sind in Deutschland mit rund 15 Prozent in der Bevölkerung häufiger als alle anderen psychischen Störungen. Frauen sind mit rund 21 Prozent öfter betroffen als Männer mit rund neun Prozent.

    Angststörungen treten auf, ohne dass sich die Patientinnen und Patienten in einer objektiv bedrohlichen Situation befinden. Dabei unterscheidet man zwei Gruppen: Bei phobischen Störungen wird die Angst durch bestimmte Reize oder Situationen ausgelöst (z. B. Menschenmengen, Tiere, Ärzte oder Höhe). Bei Patientinnen und Patienten mit „anderen Angststörungen“ treten sie unabhängig von externen Auslösern auf (z. B. plötzliche Panikattacken oder belastende Angstzustände im Alltag, deren Auslösung nicht nachvollziehbar ist).

    Als Ursachen für Angststörungen werden sowohl psychosoziale, psychologische und genetische als auch medizinische Ursachen diskutiert, die sich je nach Typ der Angststörung unterscheiden können. Je nach Ausprägung der Symptome kann es zu starken Einschränkungen im Leben der Betroffenen kommen: Angstbesetzte Situationen werden oft vermieden, sodass der soziale Kontakt beeinträchtigt sein kann. Das Ausüben eines Berufes oder sogar Alltagsaktivitäten wie Einkaufen oder Straßenbahnfahren sind zuweilen unmöglich.

    Gehirntraining soll Ängste mindern

    Die klassische EMDR-Methode folgt dem Behandlungsprotokoll von Dr. Francine Shapiro, die das Verfahren Ende der 1980er Jahre entwickelt hat: Nach einer Stabilisierungsphase wird in der Therapie ein prägnantes Bild des angstauslösenden Ereignisses identifiziert. Während die Patientin oder der Patient sich dieses Bild wieder vorstellt, leitet die Therapeutin oder der Therapeut dazu an, die Augen von Seite zu Seite zu bewegen, indem über einen kurzen Zeitraum zwei Finger im Blickfeld der Patientin oder des Patienten hin und her bewegt werden. Alternativ dazu können auch Töne im Wechsel rechts und links abgespielt werden oder die Patientenhände werden wechselweise berührt.

    Durch die wechselnden optischen, akustischen oder Berührungsreize soll neurobiologisch eine beidseitige Stimulation der beiden Gehirnhälften erzeugt werden. Nach mehreren Wiederholungen der EMDR-Behandlung sollte die negative Reaktion auf die Erinnerung immer schwächer werden – die Angststörung wird abgebaut.

    Studien ohne Aussagekraft

    Zwar haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 22 für die Fragestellung relevante Studien identifizieren können – wegen ausgeprägter methodischer Mängel dieser Studien (hohes Verzerrungspotenzial, ungeeignete Vergleichsgruppen, zu kurze Nachbeobachtung nach der Intervention oder auch mangelhafte Aussagen zur Randomisierung) konnten sie daraus aber keinen Anhaltspunkt für einen Nutzen der EMDR-Behandlung bei Angststörungen im Vergleich zu etablierten Therapieverfahren oder auch im Vergleich zu keiner Behandlung ableiten. Dies gilt für die patientenrelevanten Endpunkte Angst, Depression, angstspezifische Effekte wie Vermeidungsverhalten oder körperliche Symptome, gesundheitsbezogene Lebensqualität und psychosoziale Aspekte.

    Keine geeigneten gesundheitsökonomischen Studien

    Weil das Wissenschaftsteam keine geeigneten Studien identifizieren konnte, bleibt die gesundheitsökonomische Bewertung der Behandlung von Angststörungen mit EMDR ebenfalls offen.

    Das IQWiG bittet um Stellungnahmen und Themenvorschläge

    Interessierte Personen und Institutionen können nun bis zum 6. November 2019 schriftliche Stellungnahmen zum vorläufigen HTA-Bericht „Angststörungen: Führt der ergänzende Einsatz der Eye Movement Desensitization and Reprocessing Therapie bei psychotherapeutischen Behandlungs- und Anwendungsformen zu besseren Ergebnissen?“ beim IQWiG einreichen. Diese werden ausgewertet und gegebenenfalls in einer mündlichen Anhörung mit den Stellungnehmenden diskutiert. Danach wird der vorläufige HTA-Bericht finalisiert. Außerdem schreiben die Autorinnen und Autoren eine allgemein verständliche Version (HTA kompakt), und das IQWiG ergänzt das Paket um einen Herausgeberkommentar.

    Alle Dokumente werden auf der Website „ThemenCheck-Medizin.iqwig.de“ veröffentlicht sowie an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) übermittelt.

    Unabhängig von diesem HTA-Bericht ist es jederzeit möglich, Vorschläge für neue Themen einzureichen. Sie werden in der nächsten ThemenCheck-Auswahlrunde begutachtet, die im August 2020 beginnt.

    Originalpublikation und weitere Informationen finden Sie hier.

    Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), 08.10.2019

  • Ein Leben auf dem Schwebebalken

    Mabuse-Verlag, Frankfurt a. M. 2019, 179 Seiten, 29,95 €, ISBN 978-3-86321-439-5

    Das Buch verbindet die Lebensgeschichten suchtkranker Menschen aus einer salutogenetischen Perspektive mit den Fachthemen Alkoholabhängigkeit, stationäre Soziotherapie, Abstinenzkonzeption und Biografiearbeit. Der Kern sind acht Interviews mit Menschen in der Soziotherapie, die Faszinierendes, Alltägliches, Trauriges und Lustiges aus ihrem Leben teilen. Die fachlichen Kapitel runden den Blick in die Lebenswelten ab und ergänzen die Literatur der Suchtkrankenhilfe um den längst fälligen Teil der stationären Soziotherapie für Abhängigkeitserkrankte.

  • Shell Jugendstudie 2019

    Jugendliche melden sich vermehrt zu Wort und artikulieren ihre Interessen und Ansprüche nicht nur untereinander, sondern zunehmend auch gegenüber Politik, Gesellschaft und Arbeitgebern. Dabei blickt die Mehrheit der Jugendlichen eher positiv in die Zukunft. Ihre Zufriedenheit mit der Demokratie nimmt zu. Die EU wird überwiegend positiv wahrgenommen. Jugendliche sind mehrheitlich tolerant und gesellschaftlich liberal. Am meisten Angst macht Jugendlichen die Umweltzerstörung.

    Das sind zentrale Resultate der 18. Shell Jugendstudie, die am 15. Oktober in Berlin vorgestellt wurde. „Bereits im Jahr 2015 hatten viele Jugendliche ein größeres Engagement für politische und gesellschaftliche Themen gezeigt. Dieses Engagement verstärken sie inzwischen durch ein zunehmendes Umwelt- und Klimabewusstsein. Obwohl die Jugendlichen optimistisch in ihre persönliche und die gesellschaftliche Zukunft blicken, sehen sie doch, dass es Zeit ist, zu handeln“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Mathias Albert von der Universität Bielefeld. Die Botschaft der Jugend an ältere Generationen ist: „Wir bleiben zuversichtlich, aber hört auf uns und achtet jetzt auf unsere Zukunft!“

    Die wesentlichen Ergebnisse im Detail:

    Interesse an Politik

    Das seit Beginn des Jahrtausends stark gestiegene Interesse an Politik bleibt stabil. Jugendliche meinen, dass politisches Engagement eine hohe Bedeutung hat. Diese Auffassung nimmt insbesondere bei Mädchen zu, bleibt jedoch vornehmlich auf höher gebildete Jugendliche beschränkt.

    Ängste und Sorgen

    Die Ängste und Sorgen reflektieren die Debatten der vergangenen Jahre. Umweltängste haben insbesondere bei höher Gebildeten stark an Bedeutung gewonnen. Die Debatten um Flucht und Migration spiegeln sich in gestiegener Angst sowohl vor Ausländerfeindlichkeit als auch – auf niedrigerem Niveau – vor Zuwanderung wider. Angst vor Zuwanderung äußern tendenziell eher die niedriger Gebildeten.

    Zuversicht und Gerechtigkeit

    Mehr als die Hälfte der Jugendlichen sieht die gesellschaftliche Zukunft eher positiv. 59 Prozent finden, dass es in Deutschland insgesamt gerecht zugeht. Das gilt für West- und Ostdeutschland gleichermaßen.

    Europäische Union

    50 Prozent der Jugendlichen stehen der EU insgesamt positiv, aber nur acht Prozent negativ gegenüber. Das Vertrauen in die Staatengemeinschaft hat eher zugenommen. Sie steht bei Jugendlichen für Freizügigkeit, kulturelle Vielfalt und Frieden, im Vergleich zu 2006 zunehmend aber auch für wirtschaftlichen Wohlstand und soziale Absicherung.

    Populismus

    Bestimmte rechtspopulistisch orientierte Aussagen stoßen auch bei Jugendlichen auf Zustimmung. So stimmen mehr als zwei Drittel der Aussage zu, dass man nichts Negatives über Ausländer sagen darf, ohne als Rassist zu gelten. Graduell sind westdeutsche Jugendliche und höher gebildete eher weltoffener als ostdeutsche und weniger gebildete.

    Vielfalt und Toleranz

    Die Trends zu einer immer bunteren Gesellschaft gehen bei Jugendlichen mit einem hohen Maß an Toleranz einher. Die Studie zeigt, dass Mädchen und Jungen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Minderheiten mit sehr großer Mehrheit positiv gegenüberstehen. Die Ablehnungswerte liegen durchweg bei unter 20 Prozent.

    Zufriedenheit mit der Demokratie, Politikverdrossenheit und Vertrauen in Institutionen

    Mehr als drei Viertel der Jugendlichen sind mit der Demokratie zufrieden. Gleichzeitig kritisieren mehr als zwei Drittel, dass die Politiker sich nicht um ihre Belange kümmern, was als Ursache für Politikverdrossenheit gesehen werden kann. Bei der Frage nach dem Vertrauen in Institutionen kommen die Polizei, das Bundesverfassungsgericht und Umweltschutzgruppen auf deutlich überdurchschnittliche Werte. Großen Unternehmen, Kirchen, Parteien und Banken wird deutlich weniger Vertrauen entgegengebracht.

    Wertorientierungen

    Für die überwältigende Mehrheit der Jugendlichen bilden nach wie vor gute Freunde, eine vertrauensvolle Partnerschaft und ein gutes Familienleben die wichtigsten Werte. Ein hoher Lebensstandard und die Durchsetzung eigener Bedürfnisse verlieren vergleichsweise stark an Bedeutung. Insgesamt stehen idealistische, eher sinnstiftende Wertorientierungen bei jungen Menschen wieder höher im Kurs. Gegenläufig ist die Entwicklung bei tendenziell mate­rialistischen Orientierungen, die darauf abzielen, die persönliche Macht und Durchsetzungskraft zu steigern.

    Eltern und Familie

    Im Ergebnis zeichnet sich ein relativ familienorientiertes Bild ab. Das Verhältnis der Jugendlichen zu ihren Eltern ist überwiegend gut. Die Mehrheit sieht ihre Eltern als Erziehungsvorbilder. Der Kinderwunsch ist stabil. Bei der Familiengründung wünschen sich vor allem westdeutsche Männer und Frauen, dass der Mann der Haupt- oder Alleinversorger der Familie ist.

    Religion

    Die große Mehrheit der Jugendlichen ist Mitglied einer Religionsgemeinschaft. Dabei liegt der Wert aktuell zwar niedriger als 2015, aber höher als 2002. Während die christlichen Konfessionen seit 2002 stetig an jugendlichen Mitgliedern verloren haben (allein zwischen 2015 und 2019 um fünf Prozentpunkte), haben der Islam und andere nicht-christliche Religionen an Bedeutung gewonnen. Der Anteil der Konfessionslosen stagniert. Der Anteil der Jugendlichen, für die der Glaube an Gott tatsächlich wichtig ist, liegt mit fast einem Drittel allerdings deutlich niedriger und hat seit 2002 sogar leicht abgenommen.

    Schule und Abschluss

    Der Trend zu höheren Bildungsabschlüssen hält an. Das Gymnasium ist unangefochten die populärste Schulform und unter den Mädchen sogar schon die Schule, die von einer absoluten Mehrheit besucht wird. Entsprechend ist das Abitur der mit Abstand am häufigsten angestrebte Schulabschluss. Der Trend zur akademischen Bildung nimmt weiter zu. Integrierte Schulformen, die in fast allen Bundesländern eingeführt wurden, verzeichnen die stärksten Zuwächse seit 2015. Der Anteil der Jugendlichen, die sie besuchen, hat sich seit 2002 verdoppelt. Entsprechend weniger Jugendliche gehen auf eine Haupt- oder Realschule.

    Zusammenhang Bildung und soziale Herkunft

    Nach wie vor lässt sich ein starker Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft feststellen. Bei Jugendlichen aus bildungsfernen Elternhäusern ist es nur halb so wahrscheinlich, dass sie das Abitur erreichen, wie bei Jugendlichen aus gebildeten Elternhäusern. Allerdings ist die Bildungspolitik der letzten Jahre insofern erfolgreich, als auch Jugendliche aus bildungsfernen Schichten das Abitur mittlerweile deutlich häufiger anstreben bzw. erreichen als früher.

    Die Studie wurde von Prof. Dr. Mathias Albert (Leitung, Universität Bielefeld), Prof. Dr. Gudrun Quenzel (Universität Vorarlberg), Prof. Dr. Klaus Hurrelmann (Hertie School of Governance) sowie einem Expertenteam des Münchner Forschungsinstituts Kantar um Ulrich Schneekloth im Auftrag der Deutschen Shell verfasst. Das Unternehmen finanziert die Jugendstudie bereits seit 1953. „Mit diesem Engagement für die Jugendforschung untermauern wir nicht zuletzt unsere Bereitschaft, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen“, sagt der Vorsitzende der Deutsche Shell Holding GmbH, Dr. Thomas Zengerly.

    Die 18. Shell Jugendstudie stützt sich auf eine repräsentativ zusammengesetzte Stichprobe von 2.572 Jugendlichen im Alter von zwölf bis 25 Jahren, die von Kantar-Interviewern zu ihrer Lebenssituation und ihren Einstellungen und Orientierungen persönlich befragt wurden. Die Erhebung fand auf Grundlage eines standardisierten Fragebogens im Zeitraum von Anfang Januar bis Mitte März 2019 statt. Im Rahmen der qualitativen Studie wurden zwei- bis dreistündige Interviews mit 20 Jugendlichen dieser Altersgruppe durchgeführt.

    Die Studie ist im Beltz-Verlag erschienen und im Buchhandel für 24,95 Euro bzw. als E-Book für 22,99 Euro erhältlich.

    Webseite: www.shell.de/jugendstudie

    Der Podcast zur Shell Jugendstudie #dieseJugend ist auf allen gängigen Streaming-Plattformen verfügbar.

    Pressestelle von Shell, 15.10.2019

  • „Generationsunterschiede? Bilden wir uns ein!“

    Es gibt in der Bundesrepublik keine Generationen, die sich in ihren Einstellungen voneinander unterscheiden: Zu diesem Ergebnis gelangt der Marburger Soziologe Professor Dr. Martin Schröder in einer Studie (2018), in der er über 500.000 Einzeldaten von mehr als 70.000 Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmern auswertet. Immer neue Studien und populärwissenschaftliche Bücher über Generationenunterschiede beruhen demnach auf einer falschen Grundannahme, die von der Empirie nicht gestützt wird. Schröder veröffentlichte die Ergebnisse seiner Analyse in der September Ausgabe 2018 der „Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie“.

    Nachkriegsgeneration, 68er, Null Bock-Generation, Postmaterialisten: Alle paar Jahre rufen Trendforscher und Ratgeberautoren eine neue Generation aus. „Aber in Wirklichkeit gibt es die dahinter vermuteten Einstellungsunterschiede nicht“, sagt der Marburger Soziologe Professor Dr. Martin Schröder: Seiner Studie zufolge unterscheiden sich die verschiedenen Alterskohorten kaum in ihren Einstellungen zum Leben und zur Welt.

    Schröder legt in seinem Aufsatz dar, dass der präzise Generationenbegriff sozialwissenschaftlicher Klassiker durch theoretisch unscharfe Studien ebenso verwässert wird, wie durch populärwissenschaftliche Bücher. Schröder zitiert die Gemeinplätze, mit denen die einschlägigen Studien die angeblichen Generationen beschreiben, etwa das Bedürfnis der so genannten Generation Y nach emotionaler Bindung, aber auch nach einem gesicherten und eigenständigen Platz in der Gesellschaft: Welche Generation wünsche das nicht? Zudem würden ein- und derselben „Generation Y“ mitunter gegensätzliche Eigenschaften zugeschrieben, führt der Marburger Sozialforscher aus: auf der einen Seite zum Beispiel eine große Freiheitsneigung, auf der anderen eine starke Gemeinschaftsorientierung.

    All diese Studien leiden an einem gravierenden Mangel, behauptet Schröder: Um eine Generation von einer anderen abgrenzen zu können, müsste man ihre Angehörigen mit älteren oder jüngeren Personen vergleichen; genau das tun die Generationenforscher aber nicht, legt der Soziologe dar: Sie „vergleichen Einstellungen gar nicht kohortenübergreifend“. Als Kohorte bezeichnet die Soziologie eine Gruppe von Personen gleichen Alters.

    Bisher standen empirische Studien aus, die Einstellungen verschiedener Alterskohorten miteinander vergleichen. Schröder analysierte Umfragedaten aus einer Langzeituntersuchung: Seit dem Jahr 1984 befragt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Jahr für Jahr zirka 12.000 Privathaushalte und veröffentlicht die Ergebnisse der Erhebung im „Sozio-ökonomischen Panel“ (SOEP). „Wenn es wirklich Generationen gibt, dann müssten die unterschiedlichen Geburtenkohorten im Jugendalter unterscheidbare Einstellungen haben“, erklärt der Marburger Hochschullehrer.

    Das Ergebnis fällt ziemlich eindeutig aus: „Wenn man sich die Einstellungen unterschiedlicher Geburtenjahrgänge anschaut, fällt auf, dass die vermeintliche Generation Y genauso denkt wie so ziemlich alle anderen Generationen vor ihr“, sagt Schröder. Die wenigen und schwachen Effekte, die sich doch zeigen, weisen zudem oft in die genau gegenteilige Richtung dessen, was die Literatur vermutet. „Es gibt Einstellungsunterschiede, die sich in der gesamten Gesellschaft breit machen, aber die erfassen alle Generationen gleichermaßen.“

    Angesichts der Resultate hält es Schröder für sinnlos, Befragungen wie die „Shell Jugendstudie“ durchzuführen, um vermeintliche Generationen zu unterscheiden. „Das periodische Ausrufen neuer Generationen mit unterschiedlichen Einstellungsmustern illustriert die Konstruktion gesellschaftlicher Mythen und nicht tatsächlicher Generationenunterschiede.“

    Professor Dr. Martin Schröder lehrt Soziologie der Wirtschaft und Arbeit an der Philipps-Universität. In seiner Forschungsarbeit untersucht er empirisch, wie Gerechtigkeits- und Moralvorstellungen wirtschaftliches und politisches Handeln beeinflussen. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Warum es uns noch nie so gut ging und wir trotzdem ständig von Krisen reden“, Salzburg & München 2018, das bundesweit ein erhebliches Medienecho hervorrief.

    Originalveröffentlichung:
    Martin Schröder: Der Generationenmythos, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 3/2018, DOI: https://doi.org/10.1007/s11577-018-0570-6

    Pressestelle der Philipps-Universität Marburg, 31.10.2018

  • Resilienz am Arbeitsplatz

    Mabuse-Verlag, Frankfurt a. M., 2., vollständig überarbeitet Auflage 2019, 157 Seiten, 29,95 €, ISBN 978-3-86321-436-4

    Die psychische Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnt im betrieblichen Gesundheitsmanagement immer mehr an Bedeutung. Der Begriff Burnout ist in aller Munde. Es gibt aber auch Menschen, die nichts aus der Bahn wirft. Sie strahlen Gelassenheit aus und haben Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Sie sind resilient.
    Die Autor/innen stellen ein Praxismodell mit fünf Resilienzfaktoren für das Arbeitsleben vor. Denn Resilienz ist erlernbar! Das so genannte Resilienzbarometer verdeutlicht vorhandene Ressourcen und zeigt auf, in welchen Bereichen noch Entwicklungspotenziale schlummern.
    Diesem Buch liegt ein Gutschein für die Nutzung des Online-Resilienzbarometers bei, das von den Autor/innen entwickelt wurde.

  • Wirkungsvolle Suchtprävention vor Ort

    Am 9. Oktober 2019 haben die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung und der GKV-Spitzenverband gemeinsam den Startschuss zum 8. Bundeswettbewerb Kommunale Suchtprävention gegeben. Das Thema des diesmaligen Wettbewerbs lautet „Wirkungsvolle Suchtprävention vor Ort“.

    Ziel des 8. Bundeswettbewerbs ist es, wirkungsvolle Maßnahmen und Projekte zur kommunalen Suchtprävention intensiver kennenzulernen und sie bundesweit bekannt zu machen. Darüber hinaus sollen diejenigen Städte, Gemeinden und Landkreise ausgezeichnet werden, die mit ihrer wirkungsvollen Herangehensweise im Bereich der suchtpräventiven Aktivitäten ein gutes Beispiel für andere Kommunen geben.

    Eingeladen zur Teilnahme sind alle deutschen Städte, Gemeinden und Landkreise. Teilnahmeberechtigt sind außerdem Kommunalverbände sowie die Träger der kommunalen Selbstverwaltung in den Stadtstaaten. Präventionsaktivitäten Dritter (z. B. Wohlfahrtsverbände, Schulen, Kindertagesstätten, Jugendeinrichtungen, Sportvereine, Krankenkassen) sind willkommen, können aber nur als Bestandteil der Bewerbung einer Kommune berücksichtigt werden.

    Als Anreiz zur Wettbewerbsteilnahme steht ein Preisgeld in Höhe von insgesamt 60.000 Euro zur Verfügung. Zusätzlich lobt der GKV-Spitzenverband einen Sonderpreis von 20.000 Euro zum Thema „Gesundheitsförderung und Prävention für Kinder aus suchtbelasteten Familien“ aus.

    Der Wettbewerb wird vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) betreut, das für die Laufzeit des Wettbewerbs ein Wettbewerbsbüro eingerichtet hat. Kontaktdaten zum Wettbewerbsbüro, Informationen zum Wettbewerb sowie die Bewerbungsunterlagen stehen im Internet unter https://kommunale-suchtpraevention.de/ zur Verfügung. Einsendeschluss für die Wettbewerbsbeiträge ist der 15. Januar 2020. Die Preisverleihung findet im Juni 2020 in Berlin statt.

    Pressestelle des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu), 09.10.2019

  • Gesundheit von Kindern und Jugendlichen

    Jedes sechste Kind wird innerhalb eines Jahres wegen einer Unfallverletzung ärztlich behandelt. Knapp 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen zeigen Symptome einer Essstörung. Die motorische Leistungsfähigkeit stagniert auf niedrigem Niveau. 36 Prozent der 3- bis 17-Jährigen haben in den letzten sieben Tagen mindestens ein Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel eingenommen. Die Adipositasraten sind nicht gestiegen. Kinder und Jugendliche mit beidseitigem Migrationshintergrund haben seltener Neurodermitis (3,5 Prozent vs. 6,9 Prozent) und ADHS (2,0 Prozent vs. 5,4 Prozent) als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. Heranwachsende aus der niedrigen Einkommensgruppe sind im Vergleich zur mittleren und hohen Gruppe sportlich häufiger inaktiv (28,2 Prozent gegenüber 18,4 Prozent bzw. 11,1 Prozent).

    Das Themenspektrum der in Deutschland einzigartigen „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KiGGS) ist breit. Im Bundesgesundheitsblatt, Ausgabe Oktober 2019, sind in elf Beiträgen neue Ergebnisse aus der zweiten Welle der KiGGS-Studie veröffentlicht. „Der KiGGS-Studie ist es in bester Weise gelungen, unserem Anspruch Daten für Taten zu entsprechen“, betont Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts.

    Die KiGGS-Basiserhebung von 2003 bis 2006 lieferte erstmalig belastbare Aussagen über die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in allen Altersgruppen, nicht nur aus Befragungen, sondern auch aus körperlichen Untersuchungen. Danach gab es vielfältige Reaktionen im politischen und gesellschaftlichen Raum. Aktivitäten gegen Adipositas, Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung findet seither auf sehr vielen Ebenen mit ganz unterschiedlichen Akteuren statt. Das Gesundheitsziel „Gesund aufwachsen“ steckt den Rahmen dafür ab.

    Public Health ist die Öffentliche Sorge für die Gesundheit aller. „KiGGS liefert die Basis für Public-Health-Aktivitäten für die Gesundheit aller Kinder und Jugendlichen“, unterstreicht Wieler. Durch die regelmäßige Wiederholung des Surveys und entsprechende Trendanalysen kann der Erfolg gesundheitspolitischer Aktivitäten auf Bevölkerungsebene überprüft werden.

    Sechs der elf Beiträge im Bundesgesundheitsblatt gehen auf die körperliche und psychische Gesundheit ein: seltenere Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen wie Epilepsie oder Herzerkrankungen (die aufgrund der großen Stichprobe der KiGGS-Studie gut abgebildet werden können), Unfallverletzungen, außerdem Schmerzen, Essstörungssymptome und die Lebensqualität bei Heranwachsenden mit chronischen Erkrankungen (Asthma bronchiale, Neurodermitis, Adipositas und ADHS). Die in KiGGS erhobenen Daten zum Anwendungsverhalten für Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel einschließlich der Selbstmedikation sind eine wertvolle Ergänzung zu Verordnungsdaten.

    Die Beiträge zu Gesundheitsrisiken und Gesundheitsverhalten befassen sich mit dem  Body-Mass-Index von Kindern und Jugendlichen und mit der motorischen Leistungsfähigkeit. Den Abschluss des Schwerpunktheftes bilden zwei Beiträge zum Zusammenhang von Gesundheit und sozialer Lage, einem ganz entscheidenden Einflussfaktor für ein gesundes Aufwachsen.

    Weitere Informationen: www.rki.de/kiggs

    Pressestelle des Robert Koch-Instituts, 08.10.2019

  • Das Modell „prospektive Standardkatamnese“ in der ambulanten Rehabilitation Sucht

    Das Modell „prospektive Standardkatamnese“ in der ambulanten Rehabilitation Sucht

    1 Einleitung

    Die ambulante medizinische Rehabilitation Abhängigkeitskranker wird in Deutschland schon seit vielen Jahren erfolgreich umgesetzt. Wirksamkeitsnachweise konnten verschiedentlich erbracht werden (Linster & Rückert, 1998, 2000; Walter-Hamann & Wessel, 2015; Lange et al., 2018). Die fachliche Einbindung der ambulanten medizinischen Rehabilitation in das umfassende Leistungsspektrum einer Suchtberatungsstelle hat sich dabei bewährt, weil dadurch eine Behandlungskontinuität sichergestellt wird, die für viele suchtkranke Menschen hilfreich ist.

    Der Baden-Württembergische Landesverband für Prävention und Rehabilitation gGmbH (bwlv) ist in Baden-Württemberg der größte Träger sowohl der Suchtkrankenhilfe als auch von Integrationsfachdiensten für schwerbehinderte Menschen. Er hat im Jahre 2005 für alle eigenen ambulanten Beratungs- und Behandlungsstellen die Implementierung einer prospektiven Standardkatamnese in einer neuen Form beschlossen. Diese sieht vor, die Überprüfung des Behandlungserfolgs sowie die Untersuchung von längerfristigen Effekten anhand von Erhebungen zu drei Messzeitpunkten – Beginn und Ende der Behandlung sowie Katamnese – vorzunehmen. Mittlerweile liegen Ergebnisse aus sechs Entlassjahrgängen vor. In diesem Artikel sollen das Modell der prospektiven Standardkatamnese sowie Überlegungen zur Implementierung von Katamnesen vorgestellt werden. Anhand von ausgewählten Ergebnissen zum Erfolg der Implementierung und zu Effekten im Behandlungsverlauf werden mögliche Vorteile des Modells aufgezeigt.

    2 Stichprobe, Untersuchungsdesign und Methoden

    2.1 Stichprobe (Entlassjahrgänge 2007 – 2012)

    Der Beginn der Datenerhebung war im Oktober 2005. Zielgruppe sind alle abrechenbaren Fälle der ambulanten medizinischen Suchtrehabilitation. Die Fälle aus dem Entlassjahrgang 2006 wurden aus der hier betrachteten Stichprobe herausgenommen, weil zu ihnen keine Daten aus dem (damals) neuen Kerndatensatz vorliegen (dieser wurde erst 2007 eingeführt). Die Stichprobe umfasst n=2.032 Fälle. Von n=111 Fällen liegen keine Einverständniserklärungen für die Erhebung mit Fragebögen vor, so dass insgesamt eine Stichprobe von n=1.921 dem Artikel zugrunde liegt. Untersucht wurden somit die Entlassjahrgänge 2007 bis 2012 von insgesamt 20 Einrichtungen.

    Vergleichsweise hoch ist mit einem Drittel (33,9 Prozent) der Frauenanteil bei der ambulanten Entwöhnungsbehandlung. Diese Form der Behandlung ist speziell für Frauen aufgrund der Wohnortnähe und der Behandlungszeiten eine Alternative zur klassischen stationären Entwöhnungs­behandlung, bei der der Frauenanteil 28,7 Prozent (Bachmeier et al., 2018) beträgt. Beim Familienstand fällt auf, dass Männer eher ledig (29,5 vs 19,8 Prozent) und Frauen eher geschieden oder verwitwet sind (30,6 vs 16,7 Prozent). Erwartungsgemäß leben die Rehabilitanden in stabilen Wohnverhältnissen. Die Erwerbsquote ist mit 71,7 Prozent deutlich höher als bei stationären Entwöhnungsbehandlungen (41,4 Prozent, vgl. Bachmeier et al., 2018). Während Männer eher erwerbstätig sind, finden sich in der Gruppe der Frauen eher nicht erwerbstätige Personen (Schülerinnen, Studentinnen, Hausfrauen). Die Sicherheit des Arbeitsplatzes ist nach Selbstangaben nur bei 8,2 Prozent gefährdet. 67,9 Prozent besitzen zum Zeitpunkt der Aufnahme eine gültige Fahrerlaubnis, bei 25,3 Prozent wurde sie wegen Alkohol oder Drogen entzogen. Das Durchschnittsalter der gesamten Stichprobe beträgt M=46,7 Jahre. 

    2.2 Untersuchungsdesign prospektive Katamnese

    Das „Modell prospektive Katamnese“ sieht drei Messzeitpunkte vor: Beginn und Ende der Behandlung sowie 1-Jahreskatamnese. Im Unterschied zu retrospektiven Katamnesen wird in prospektiven Katamnesen „von Anfang an festgelegt, welche Merkmale zu Beginn, zum Abschluss und im Rahmen der Katamnese erhoben werden sollen“ (DHS, 2019, S. 111).

    Die Datenerhebung erfolgt als schriftliche Befragung der Rehabilitanden und Therapeuten*. Neben Fragen aus dem Kerndatensatz Katamnese (KDS-2) wurden weitere Themenbereiche (z. B. Motivation, Selbstbewusstsein) aufgenommen. Insgesamt kommen fünf Fragebögen zum Einsatz, wobei die Fragen zu den verschiedenen Messzeitpunkten weitgehend identisch sind:

    + Fragebogen zu Beginn der Rehabilitation (Rehabilitand)
    + Fragebogen zu Beginn der Rehabilitation (Therapeut)

    + Fragebogen zum Ende der Rehabilitation (Rehabilitand)
    + Fragebogen zum Ende der Rehabilitation (Therapeut)

    + Fragebogen Kerndatensatz Katamnese (Rehabilitand)

    In jeder Einrichtung wurde ein Dokumentationsbeauftragter geschult, dabei wurden folgende Inhalte vermittelt:

    • Allgemeiner Ablauf
    • Aufgabenverteilung und Zuständigkeiten der verschiedenen Mitarbeiter(Dokumentationsbeauftragte, Therapeutische Mitarbeiter, Verwaltungsfachkräfte)
    • Zielgruppe
    • Beginn der Datenerhebung
    • Fragebögen
    • Dokumente und Arbeitshilfen
    • Fallbeispiele

    Die Fragebögen zu Beginn der ambulanten Rehabilitation sollen innerhalb der ersten vier Wochen nach der ersten abrechenbaren Stunde von dem Rehabilitanden und dem Therapeuten ausgefüllt werden. Die Fragebögen zum Ende der ambulanten medizinischen Rehabilitation sollen (sowohl von dem Rehabilitanden als auch von dem Therapeuten) in einem Zeitraum von vier Wochen vor dem Behandlungsende (Finanzierungsende) ausgefüllt werden. Bricht der Rehabilitand die Behandlung vorzeitig ab, ist dafür Sorge zu tragen, dass der entsprechende Fragebogen beantwortet wird, um eine positive Selektion zu vermeiden.

    Für 1-Jahreskatamnesen ist eine Schwankungsbreite des Erhebungszeitraums von minus einem Monat bis plus zwei Monaten vorgesehen. Für die katamnestische Erhebung gilt, dass die Rehabilitanden elf Monate nach Finanzierungsende angeschrieben werden sollten. Bei diesem Anschreiben wird ein Fragebogen sowie ein Freiumschlag mit der Adresse der Beratungsstelle beigelegt (Porto zahlt Empfänger). Ist sechs Wochen nach Erstversendung noch keine Katamnese eingetroffen, wird ein erstes Erinnerungsschreiben versandt. Weitere sechs Wochen später wird bei noch nicht eingetroffener Katamnese ein zweites Erinnerungsschreiben mit erneutem Fragebogen und Freiumschlag versandt. Durch die Vergabe einer Fallnummer ist eine anonymisierte Auswertung sichergestellt.

    In Tabelle 1 werden die Rücklaufquoten für den Fragebogen zu Beginn und zum Ende der ambulanten medizinischen Rehabilitation (Rehabilitand) differenziert nach Geschlecht und Diagnose aufgelistet. Die Rücklaufquoten zu Beginn der Behandlung sind befriedigend. Die Rücklaufquoten am Ende der Behandlung verdeutlichen, dass es nicht immer gelungen ist, vorzeitige Beender zum Ausfüllen eines Fragebogens zu bewegen. Geschlechtsspezifische Unterschiede in den Rücklaufquoten lassen sich nicht erkennen. Die Gruppe der Rehabilitanden mit Hauptdiagnose Opioide hat deutlich niedrigere Rücklaufquoten, was u. a. mit einer schlechteren Haltequote zu erklären ist.

    Tabelle 1: Rücklaufquoten der Fragebögen für Rehabilitanden

    2.3 Auswertungen

    Bei den Auswertungen handelt es sich um deskriptive Darstellungen mit Angaben zu Häufigkeiten, Prozenten sowie Mittelwerten und Standardabweichungen. Darüber hinaus wurden Chi-Quadrat-Tests und für Mittelwertsvergleiche t-Tests durchgeführt. Die Berechnung der Effektstärken erfolgte beim t-Test mit Cohen´s d und beim Chi-Quadrat-Test mit Cramer-V. Als Programm für die Auswertung wurde SPSS Statistics Version 21 verwendet.

    3 Ergebnisse

    3.1 Unterscheiden sich Fälle mit bzw. ohne Einverständniserklärung?

    Die Angaben aus Fragen des Deutschen Kerndatensatzes (KDS) wurden mit den Angaben aus den Klientenlisten der Implementierungsstudie „gematched“. So konnte untersucht werden, ob sich Fälle mit Einverständniserklärung (n=1.921) von Fällen ohne Einverständniserklärung (n=111) unterscheiden. Bei den meisten Variablen zeigten sich keine Unterschiede zwischen diesen beiden Populationen (z. B. Geschlecht, Hauptdiagnose, Nationalität, Auflagen, Partnerbeziehung, Migrationsstatus, höchster Schulabschluss, höchster Ausbildungsab­schluss, Erwerbs­situation, Wohnsituation, problematische Schulden, ambulante medizinische Rehabilitation in der Vorbehandlung). Bei folgenden Variablen konnten Unterschiede ermittelt werden:

    • Form der Entlassung: Fälle ohne Einverständniserklärung beenden im Verlauf der Behandlung die Therapie eher vorzeitig. Die Abbruchquote durch den Rehabilitanden ist deutlich höher (30,9 vs 10 Prozent; p=.000; Cramer-V=.193).
    • Es gibt deutliche Unterschiede bzgl. der Quoten von Rehabilitanden ohne Einverständniserklärung in den jeweiligen Einrichtungen (range 0 bis 26 Prozent, p = .000, Cramer-V = .286).
    • Fälle ohne Einverständniserklärung haben im Vorfeld mehr Erfahrungen mit der Suchtkrankenhilfe (Jemals zuvor Suchthilfe beansprucht: 77,6 vs 62,7 Prozent, p=002; Cramer-V=.074). Dies zeigt sich z. B. bei den Angaben zu Vorerfahrungen mit stationären Entwöhnungsbehandlungen oder Entgiftungen.
    • Folgerichtig finden sich bei den Fällen ohne Einverständniserklärung mehr Wiederaufnahmen (56,1 vs 45,8 Prozent, p=.045; Cramer-V=.049).
    • Familienstand: Bei den Fällen ohne Einverständniserklärung finden sich eher ledige oder geschiedene Rehabilitanden (p=.048; Cramer-V=.073).

    Zusammengefasst lässt sich unter Berücksichtigung der Effektstärken konstatieren, dass die Fälle ohne Einverständniserklärung mehr Erfahrungen im Hinblick auf suchtspezifische Vorbehandlungen haben und die Therapie eher vorzeitig abbrechen. Der größte Effekt ergibt sich allerdings bei den unterschiedlichen Quoten von Rehabilitanden ohne Einverständniserklärung in den jeweiligen Einrichtungen. Die Vermittlung der Notwendigkeit von Datenerhebungen durch die jeweiligen Therapeuten wird in den Einrichtungen offenbar unterschiedlich gestaltet. In Implementierungsstudien sollte diesem Aspekt besondere Beachtung geschenkt werden.

    3.2 Behandlungsverlauf

    Die Behandlungsdauer liegt im Durchschnitt bei 208 Tagen. Erwähnenswert ist die Dauer der Vorbereitungsphase vor Beginn der ambulanten medizinischen Rehabilitation. Diese beträgt insgesamt knapp vier Monate (M=3,9) und ist durch keine Regelfinanzierung abgedeckt. Bei Rehabilitanden, die illegale Substanzen konsumieren, ist die Vorbereitungsphase im Schnitt ca. einen Monat länger als bei Alkoholkonsumenten. Die Ergebnisse zur Hauptdiagnose zeigen, dass die ambulante medizinische Rehabilitation in der Regel nur bei der Indikation Alkoholabhängigkeit (93,5 Prozent) durchgeführt wird. 85,9 Prozent beenden die Behandlung planmäßig, wobei Geschlechtsunterschiede nicht bedeutsam sind.

    3.2.1 Suchtmittelkonsum   

    Die Entwicklung des Substanzkonsums wurde nach Hauptdiagnosen getrennt ausgewertet. Die nachfolgenden Aussagen beziehen sich nur auf Rehabilitanden mit der Hauptdiagnose Alkohol (für die anderen Diagnosegruppen sind die Fallzahlen zu niedrig).

    Mittels Selbstangaben zum Suchtmittelkonsum wurde zu Beginn und am Ende der Behandlung der Suchtmittel­konsum erfasst. Es wurden nur Fälle ausgewertet, bei denen zu Beginn und am Ende ein Fragebogen vorlag. Es fällt auf, dass bereits zu Beginn der Behandlung 85,3 Prozent der Rehabilitanden abstinent von Alkohol leben (14,5 Prozent kein Konsum in den letzten zwölf Monaten, 70,8 Prozent kein Konsum in den letzten 30 Tagen). Im Verlauf der Behandlung kann die Alkoholabstinenz stabilisiert werden, so dass am Ende der Behandlung 89,7 Prozent abstinent von Alkohol leben (78,1 Prozent kein Alkoholkonsum während der Behandlung, 11,6 Prozent kein Alkoholkonsum in den letzten 30 Tagen). Etwa ein Fünftel der Rehabilitanden (21,9 Prozent) hatte während der Behandlung einen Rückfall mit Alkohol. Substanzen wie Opioide, Kokain, Crack, Amphetamine, Stimulantien, Ecstasy, Halluzinogene sowie flüchtige Lösungsmittel spielen bei Alkohol-Patienten keine Rolle. Bei 6,3 Prozent der Klientel wurde Cannabis in den letzten zwölf Monaten vor der Behandlung konsumiert. Während der Behandlung haben nur zwei Prozent der Rehabilitanden Cannabis konsumiert.

    Eine etwas größere Bedeutung beim Begleitkonsum spielen Barbiturate/Schmerzmittel und Beruhigungsmittel. Da es sich um Selbstangaben handelt, kann nicht geklärt werden, ob es sich dabei zum Teil um Substanzen handelt, die ärztlich verschrieben wurden. Gesondert dargestellt wird der Tabakkonsum. Ein Großteil der Alkohol-Rehabilitanden raucht zu Beginn der Behandlung (fast) täglich (60,8 Prozent). Im Verlaufe der Behandlung gelingt es kaum, das Rauchverhalten positiv zu beeinflussen. Der Anteil der täglichen Raucher (60,1 Prozent) ist nahezu auf dem gleichen Niveau (vgl. Tabelle 2).

    Tabelle 2: Substanzkonsum zu Beginn und am Ende der Behandlung (Rehabilitanden mit Hauptdiagnose Alkohol; N = 1.309; Daten mit zwei Messzeitpunkten)
    3.2.2 Zufriedenheit mit verschiedenen Lebensbereichen

    In allen Lebensbereichen ergibt sich im Verlauf der Behandlung eine Verbesserung der Zufriedenheit (vgl. Tabelle 3), die jeweils statistisch abgesichert ist (t-Test; p=.000). Bei Betrachtung der Effektstärken zeigen sich die größten Effekte bei der Zufriedenheit in Bezug auf Straftaten (d=0,66). Hier muss jedoch berücksichtigt werden, dass nur ein geringer Anteil der Rehabilitanden (n=71) dieses Item beantwortet hat, weil bei den meisten Rehabilitanden keine Straftaten oder sonstige Delikte vorliegen. Weiterhin verbessern sich bei den Rehabilitanden die Zufriedenheitswerte in Bezug auf den seelischen Zustand (d=0,41), die Alltagsbewältigung (d=0,34) und die Freizeitgestaltung (d=0,32). Die kleinsten Effekte ergeben sich beim Suchtmittelgebrauch (d=0,15), bei der Wohnsituation (d=0,20), bei der Familie (d=0,22) oder bei Freunden und Bekannten (d=0,22). Bei der Entwicklung der Zufriedenheit mit dem Suchtmittelkonsum muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Rehabilitanden bereits zu Behandlungsbeginn sehr gute Zufriedenheitswerte (M=1,86) haben, die vermutlich durch Effekte der Vorbereitungsphase zu erklären sind.

    Tabelle 3: Zufriedenheit mit einzelnen Lebensbereichen zu Beginn und am Ende der Behandlung
    3.2.3 Veränderungen im intrapsychischen Bereich

    Neben den Fragen des Kerndatensatzes Katamnese (KDS-2) wurden weitere Fragen (nachfolgend kursiv) in die Fragebögen integriert. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. auch Tabelle 4):

    Abstinenzmotivation
    Ich möchte dauerhaft abstinent leben: Die Abstinenzmotivation ist bereits zu Beginn der Behandlung auf einem sehr hohen Niveau und kann im Verlauf der Behandlung weiter stabilisiert werden.

    Akzeptanz der Suchtkrankheit
    Ich kann meine Suchtkrankheit akzeptieren: Insgesamt lässt sich konstatieren, dass es im Rahmen der therapeutischen Arbeit gelingt, bei den Rehabilitanden die Akzeptanz der Suchtkrankheit zu verstärken. Den deutlichsten Effekt gibt es bei Cannabisabhängigen (d=0,55).

    Problembewusstsein
    Ich habe erkannt, dass mein Suchtmittelkonsum in vielen Bereichen meines Lebens zu Problemen geführt hat: Das Problembewusstsein ist bereits zu Beginn der Behandlung sehr ausgeprägt und bleibt auch während der Behandlung weitgehend konstant. Den stärksten Effekt gibt es wiederum bei der Gruppe der Cannabisabhängigen (d=0,30).

    Therapiemotivation
    Frage zu Beginn: Ich bin bereit, mich aktiv in die Therapie einzubringen.
    Frage am Ende: Ich habe mich aktiv in die Therapie eingebracht.
    Die Therapiemotivation, die zu Beginn der Behandlung auf hohem Niveau ist, nimmt im Behandlungsverlauf ab. Während zu Behandlungsbeginn die Therapiemotivation eher überschätzt wurde, gibt es vermutlich zum Behandlungsende eine realistischere Einschätzung.

    Selbstbewusstsein
    Ich halte mich für einen selbstbewussten Menschen: Das Selbstbewusstsein kann im Verlauf der Behandlung gestärkt werden. Zu Behandlungsbeginn gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Männern und Frauen dergestalt, dass Frauen weniger Selbstbewusstsein haben. Im Behandlungsverlauf kann aber das Selbstbewusstsein bei den Frauen mehr gestärkt werden als bei den Männern (d=0,40 versus d=0,19).

    Tabelle 4: Intrapsychische Variablen zu Beginn und am Ende der Behandlung

    4 Zusammenfassung, Diskussion und Schlussfolgerungen für die Praxis

    4.1 Erfolgsfaktoren für die Implementierung

    In klassischen Katamnesestudien wird häufig die Situation der Rehabilitanden zum Katamnesezeitpunkt ohne Bezug zur Situation zu Behandlungsbeginn erhoben. Das hier vorgestellte „Modell prospektive Katamnese“ sieht drei Erhebungszeitpunkte vor, so dass Effekte im Behandlungsverlauf erfasst und die Angaben zum Katamnesezeitpunkt mit den vorherigen verglichen werden können. (Inwieweit die Veränderungswerte stabil sind, soll in anderen Artikeln untersucht werden.) Da der Rehabilitand den Fragebogen bereits im Rahmen der Behandlung ausfüllt, können bei etwaigen Rückfragen die Therapeuten behilflich sein. Dadurch wird die compliance erhöht. Im Grunde handelt es sich hier um eine Art Katamneseschulung, die auch von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS, 2019) als Strategie zur Verbesserung der Teilnahme und des Rücklaufs empfohlen wird. Bei der Implementierung von Katamnesen ist es wichtig, die Therapeuten in der Vermittlung des Sinns von Datenerhebungen zu schulen. Darin liegt ein bedeutsamer Erfolgsfaktor. Es konnte gezeigt werden, dass die Bereitschaft der Rehabilitanden zur Teilnahme an Studien nicht so sehr von Variablen der Rehabilitanden abhängt, sondern vielmehr von der Überzeugungskraft der Therapeuten und ihrer Fähigkeit, die Notwendigkeit von Studien zu vermitteln. Zusammenfassend empfiehlt sich bei der Implementierung von Katamnesen ein prospektiver Ansatz mit mehreren Messzeitpunkten sowie eine umfassende Schulung der durchführenden Personen.

    4.2 Effekte im Behandlungsverlauf

    Vor Beginn der ambulanten medizinischen Rehabilitation gibt es in der Beratungsstelle in der Regel eine Vorbereitungsphase ohne Regelfinanzierung zur Förderung der Abstinenz­motivation und der Veränderungs- und Behandlungsbereitschaft. In dieser Phase (ca. vier Monate) werden mit hoher Wahrscheinlichkeit erste therapeutische Effekte erzielt. So leben zu Beginn der ambulanten Rehabilitation bereits einige Rehabilitanden eine gewisse Zeit abstinent von Alkohol (und Drogen), und die Zufriedenheit ist in vielen Lebensbereichen auf einem hohen Niveau. Die Alkoholabstinenz kann während der Behandlung stabilisiert werden, während es beim Tabakkonsum kaum Veränderungen gibt. Es sollte überlegt werden, ob zusätzlich je nach Indikation Tabakentwöhnungskurse auch im Rahmen der ambulanten Rehabilitation angeboten werden. Während der Behandlung zeigen sich bzgl. der Zufriedenheit in verschiedenen Lebensbereichen aus Sicht der Rehabilitanden im psychischen Bereich die größten positiven Effekte. Im Rahmen der ambulanten medizinischen Rehabilitation gelingt es zudem, die Akzeptanz der Suchtkrankheit zu stärken und das Selbstbewusstsein speziell bei den Frauen zu verbessern. Die Effekte im Behandlungsverlauf ergänzen in einem positiven Sinne die Ergebnisse von Katamnesen und helfen bei deren Interpretation.

    4.3 Schlussfolgerungen

    Die ambulante medizinische Rehabilitation wird hauptsächlich bei der Indikation Alkoholabhängigkeit durchgeführt. Erste Ergebnisse bei Konsumenten von illegalen Drogen im Behandlungsverlauf zeigen, dass diese Behandlungsform auch für diese Indikation durchaus eine erfolgreiche Option darstellt. Die Organisation, Durchführung und Auswertung von prospektiven Katamnesen im ambulanten Setting ist sehr aufwändig. Katamnese­erhebungen sollten sich daher auf eine definierte und begrenzte Population (z. B. ambulante medizinische Rehabilitation) beziehen. Prinzipiell sind selbstverständlich auch für weitere Klientengruppen ambulanter Suchthilfeeinrichtungen Katamnesestudien wünschenswert. Diese sollten aber nicht als Standardkatamnese, sondern eher im Rahmen von finanzierten Forschungsprojekten durchgeführt werden.

    *Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit die männliche Sprachform verwendet. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts.

    Kontakt:

    Detlef Weiler
    Baden-Württembergischer Landesverband für Prävention und Rehabilitation gGmbH
    Referat Qualitätsmanagement und Forschung
    Renchtalstraße 14
    77871 Renchen
    Tel. 07843/949-203
    detlef.weiler@bw-lv.de

    Angaben zu den Autoren:

    Detlef Weiler ist Diplom-Psychologe und arbeitet beim Baden-Württembergischen Landesverband für Prävention und Rehabilitation (bwlv) im Referat Qualitätsmanagement und Forschung. Zuvor war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in verschiedenen Institutionen tätig (z. B. Institut für Therapieforschung in München, Universitätskrankenhaus Hamburg Eppendorf).
    Dr. Hans Wolfgang Linster war wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie am Psychologischen Institut der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Jetzt ist er im Ruhestand und dort weiterhin als Lehrbeauftragter tätig.
    Wolfgang Langer, Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut, ist Leiter der Suchtberatungsstellen Rastatt und Baden-Baden. Seit 1987 ist er als Therapeut und Berater im Bereich Suchtbehandlung tätig.

    Literatur:
    • Bachmeier, R. / Bick-Dresen, S. / Dreckmann, I. / Feindel, H. / Kemmann, D. / Kersting, S. / Kreutler, A. / Lange, N. / Medenwaldt, J. / Mielke, D. / Missel, P. / Premper, V. / Regenbrecht, G. / Sagel, A. / Schneider, B. / Strie, M. / Teigeler, H. / Weissinger, V. (2018). Effektivität der stationären Suchtrehabilitation – FVS-Katamnese des Entlassjahrgangs 2015 von Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige. Sucht aktuell, 1, 49-65.
    • Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) (Hrsg.) (2010). Deutscher Kerndatensatz zur Dokumentation im Bereich der Suchtkrankenhilfe. Stand: 05.10.2010. www.dhs.de
    • Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) (Hrsg.) (2019). Deutscher Kerndatensatz zur Dokumentation im Bereich der Suchtkrankenhilfe 3.0. Stand: 01.01.2019. www.dhs.de
    • Lange, N. / Neeb, K. / Parusel, F. / Missel, P. / Bachmeier, R. / Brenner, R. / Fölsing, S./ Funke, W. / Herder, F. / Kersting, S. / Klein, T. / Kramer, D. / Löhnert, B. / Malz, D. / Medenwaldt, J. / Bick-Dresen, S. / Sagel, A. / Schneider, B. / Steffen, D. / Verstege, R. / Weissinger, V. (2018). Effektivität der ambulanten Suchtrehabilitation – FVS-Katamnese des Entlassjahrgangs 2015 von Ambulanzen für Alkohol- und Medikamentenabhängige. Sucht aktuell, 1, 87-94.
    • Linster, H.W. & Rückert, D. (1998). Ambulante Behandlung von Abhängigkeitskranken. Ein Beitrag zur Untersuchung der Effektivität ambulanter Entwöhnungsbehandlung von Alkoholikern/innen. Sucht Aktuell, 3+4, 25-30.
    • Linster, H.W. & Rückert, D. (2000). Wirksamkeit ambulanter Entwöhnungsbehandlung abhängigkeitskranker Patientinnen und Patienten. In DHS (Hrsg.). Individuelle Hilfen für Suchtkranke. Früh erkennen, professionell handeln, effektiv integrieren. Schriftenreihe zum Problem der Suchtgefahren, Band 42, 187- 210. Freiburg: Lambertus.
    • Walter- Hamann, R. & Wessel, t (2015). Einführung von Katamnesen in der Ambulanten Rehabilitation Sucht – Ausgewählte Ergebnisse der ersten Entlass-Jahrgänge 2011 und 2012. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.): DHS Jahrbuch Sucht 2015. Pabst, Lengerich: S. 199-213.
  • Suizid bei Jugendlichen verhindern

    Die weltweit zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen zwischen 15 und 29 Jahren ist die Selbsttötung. Jährlich nehmen sich in Deutschland rund 500 junge Menschen das Leben, was neun Prozent aller Todesfälle entspricht. Und auf jeden Suizid kommen noch einmal zwischen zehn und 20 Suizidversuche. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben jetzt das Online-Suizidpräventionsprogramm [U25] des Caritasverbands evaluiert und legen Zwischenergebnisse vor. Demnach hat sich aufgrund der besonderen Form der Beratung durch junge Menschen, die selbst maximal 25 Jahre alt sind, die allgemeine Situation bei 47 Prozent der Jugendlichen in Lebenskrisen verbessert; die Suizidgefährdung wurde signifikant reduziert.

    Noch bis Herbst 2020 wird das FAU-Projekt, das seit 2017 läuft, vom Bundesgesundheitsministerium gefördert. Projektpartner ist der Deutsche Caritasverband. Als nächstes plant das Forschungsteam die repräsentative Befragung aller [U25]-Beraterinnen und -Berater in Deutschland.

    Weitere Informationen unter:
    https://www.fau.de/2019/09/news/wissenschaft/suizid-bei-jugendlichen-verhindern/

    Pressestelle der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 11.09.2019

  • RWI-Studie: Jugend-Suizide steigen nach Ferienende an

    Unter Jugendlichen in Deutschland geht fast jeder achte Todesfall auf Selbsttötung zurück. Die Gründe für diesen Schritt dürften sehr unterschiedlich sein. Wie eine aktuelle Studie des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung zeigt, scheint die Schule dabei jedoch zum Teil eine Rolle zu spielen: Die Wahrscheinlichkeit einer Selbsttötung ist insbesondere an den ersten beiden Schultagen nach Ferienende erhöht. In dieser Zeit könnten gezielte Präventionsprogramme eingesetzt und Hinweise auf spezielle Hilfsangebote für Kinder und Jugendliche wie die „Nummer gegen Kummer“ (116 111) gegeben werden. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie:

    • Von rund zehn Millionen Deutschen im Alter zwischen sechs und 19 Jahren nehmen sich pro Jahr durchschnittlich 221 das Leben.
    • Während der Ferien ist die Wahrscheinlichkeit einer Selbsttötung unter Kindern und Jugendlichen verringert (um 19 Prozent). Statistisch gesehen kommt es somit in dieser Altersgruppe innerhalb von acht Ferientagen deutschlandweit zu einem Suizidfall weniger als innerhalb von acht Schultagen.
    • Am höchsten ist die Suizidrate an den ersten beiden Schultagen nach den Ferien. Die Wahrscheinlichkeit eines Suizids ist an diesen Tagen deutlich erhöht (um gut 30 Prozent).
    • Schüler sind vom Anstieg der Suizidrate an Schultagen stärker betroffen als Schülerinnen.
    • Die RWI-Studie basiert auf Daten der deutschen Todesursachenstatistik der Jahre 2001 bis 2015.

    „Im Verhältnis zur großen Zahl der Personen kommen Suizide unter Jugendlichen zum Glück relativ selten vor. Der Anstieg der Suizidrate nach den Ferien deutet aber darauf hin, dass ein gewisser Zusammenhang zwischen der Schule und psychischen Krisen von Jugendlichen besteht“, sagt RWI-Gesundheitsökonomin Dörte Heger, eine der Autorinnen der Studie. Allerdings könne die Studie nicht zeigen, ob das an Problemen mit Mitschülern, Schwierigkeiten im Unterricht oder an ganz anderen Gründen im schulischen Umfeld liege.

    „In jedem Fall sollten Eltern, Lehrer und Akteure der Bildungspolitik die psychische Verfassung der Schüler und die Gefahren von Mobbing und Schulstress noch stärker in den Blick nehmen, insbesondere an den ersten Tagen nach den Ferien“, so Heger. So könnten gezielte Präventionsprogramme eingesetzt und Hinweise auf spezielle Hilfsangebote für Kinder und Jugendliche wie die „Nummer gegen Kummer“ (erreichbar per Telefon unter 116 111) gegeben werden.

    Originalpublikation:
    Ruhr Economic Paper #820. Chandler, V., D. Heger und C. Wuckel, „The Perils of Returning to School – New Insights into the Seasonality of Youth Suicides“

    Deutsche Zusammenfassung der Studie:
    RWI Impact Note „Stress in der Schule? Mehr Suizide nach Ferienende“

    Pressestelle des RWI – Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, 30.09.2019