Autor: Simone Schwarzer

  • Neue Website zur sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung

    Das Forschungsprojekt SOLEB (Sozialmedizinische Leistungsbeurteilung in der medizinischen Rehabilitation) hat eine Website entwickelt, die als Handlungshilfe für diejenigen Mitarbeitenden in der medizinischen Reha dienen soll, die sozialmedizinische Leistungsbeurteilungen erstellen.

    Die Seite www.leistungsbeurteilung-reha.de wendet sich an alle Berufsgruppen in der medizinischen Reha, die zur Leistungsbeurteilung beitragen können, neben der Ärzteschaft auch an in der Sozialberatung tätige Personen und Pflegekräfte. In die Entwicklung der Seite sind umfassende Expertisen, Erkenntnisse und Instrument-Entwicklungen aus den Reha-Einrichtungen eingeflossen. Berücksichtigt wurde dabei ausdrücklich die Nutzerperspektive der Personen und Instanzen, die sich bei der Erstellung von Gutachten und Einschätzungen am Reha-Entlassbericht orientieren, etwa die Dienste der Krankenkassen, der Rentenversicherung, der Agentur für Arbeit sowie Gutachter und Sozialrichter, aber auch Hausärzte, Fach- und Betriebsärzte. Die Website

    • vermittelt Fachwissen,
    • erläutert sozialmedizinische Fachbegriffe und deren korrekte Verwendung,
    • bildet Prozesse der Leistungsbeurteilung ab und
    • gibt Praxisbeispiele.

    Personen, die sich professionell mit der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung befassen, können sich außerdem in einem geschlossenen Diskussionsforum anmelden und fachlich online austauschen.

    Entwickelt wurde die Website im Forschungsprojekt SOLEB in Kooperation der Abteilungen Münster und Bad Rothenfelde des Institutes für Rehabilitationsforschung Norderney e.V. (IfR). Das Forschungsprojekt SOLEB (Sozialmedizinische Leistungsbeurteilung in der medizinischen Rehabilitation) wird durch den Förderverein des Institutes (VFR Norderney) finanziert.

    Weitere Informationen:
    Flyer: Leistungsbeurteilung-Reha.de – Online-Handlungshilfe für die Praxis
    Institut für Rehabilitationsforschung: www.ifr-norderney.de

    (Quelle: Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht, https://www.reha-recht.de, 11.02.2019)

  • Lebensrhythmus und Achtsamkeit

    Schattauer/Klett Cotta-Verlag, Stuttgart 2019, 318 Seiten, € 24,99, ISBN 978-3-608-40003-8, auch als E-Book erhältlich

    Spätestens der Medizinnobelpreis 2017 hatte Signalwirkung dafür, dass die Medizin der Zukunft auf eine Wiederherstellung intakter Rhythmen setzen wird. Dieses Buch zeigt, warum das so wichtig ist und wie wir unserem inneren Uhrwerk mehr Aufmerksamkeit schenken können – für eine bessere körperliche und psychische Gesundheit.

    Jeder von uns kennt den Tag-Nacht-Rhythmus und die Konsequenzen, wenn wir diesem entgegenleben. Nacht- und Schichtarbeit, hoher Stress und Jetlag stören unseren Rhythmus, was sogar zu schweren Erkrankungen wie Stoffwechselstörungen, Herzinfarkt und erhöhter Krebsrate führen kann. Jede Tageszeit besitzt spezielle Anforderungen und Wirkungen. So wird der Stoffwechsel tageszeitlich angepasst, Körpertemperatur, Blutdruck und Hormonlevel folgen bestimmten Taktungen.

    Das Buch stellt die Vielfalt biologischer, biochemischer, sozialer und kosmischer rhythmischer Prozesse dar, die unser Leben steuern, und erklärt, wie sie zu einem funktionierenden Ganzen beitragen. Was uns bei der Balance unserer inneren Uhr helfen kann, ist Achtsamkeit: Wie schärfe ich die Wahrnehmung des Augenblicks, so dass ich die Momente wieder stärker erlebe, statt sie im Alltag untergehen zu lassen? Wie kann ich achtsamer mit meiner Zeit umgehen? Dabei geht es ebenso um Lebenselixiere, die unseren Tagesablauf bereichern.

    Ein achtsamer Lebensrhythmus lohnt sich, denn: Ist unser innerer Takt hergestellt, können wir zur Ruhe kommen, sind ausgeglichen, gesünder, und alles in allem darf von einem beachtlichen Zugewinn an Lebensqualität ausgegangen werden. Und das ohne Medikamente, Operationen und sonstige unangenehme Nebenwirkungen.

  • DAK-Gesundheitsreport „Sucht 4.0“

    Die Printversion ist im medhochzwei Verlag erschienen.

    Der aktuelle DAK-Gesundheitsreport „Sucht 4.0“ untersucht umfassend die krankheitsbedingten Ausfalltage sowie ärztliche Behandlungen bei Suchterkrankungen und wirft einen Blick auf die Auswirkungen in der Arbeitswelt. Für die Untersuchung wurden Daten zur Arbeitsunfähigkeit von rund 2,5 Millionen erwerbstätigen Versicherten der DAK-Gesundheit durch das IGES Institut in Berlin ausgewertet – flankiert von Analysen der ambulanten und stationären Versorgung. Eine repräsentative Befragung von 5.000 Beschäftigten sowie eine Expertenbefragung geben Aufschluss über die Verbreitung und den Umgang mit den verschiedenen Suchtmitteln und Verhaltensweisen.

    Laut DAK-Gesundheitsreport 2019 fehlen Arbeitnehmer mit Hinweisen auf eine so genannte Substanzstörung deutlich öfter im Job als ihre Kollegen ohne auffällige Probleme. Der Krankenstand der Betroffenen ist mit 7,6 Prozent doppelt so hoch. Sie fehlen aber nicht öfter im Job, weil sie wegen ihrer Suchtproblematik krankgeschrieben werden. Vielmehr zeigen sich bei ihnen in allen Diagnosegruppen mehr Fehltage. Besonders deutlich ist der Unterschied bei den psychischen Leiden. Hier sind es mehr als dreimal so viele Fehltage. Bei Muskel-Skelett-Erkrankungen wie Rückenschmerzen gibt es ein Plus von 89 Prozent, bei Atemwegserkrankungen sind es 52 Prozent. Insgesamt gibt es nach der DAK-Studie unter den Erwerbstätigen 6,5 Millionen abhängige Raucher, 400.000 erfüllen die Kriterien einer Internet Gaming Disorder (Computerspielsucht), 160.000 Erwerbstätige sind alkoholabhängig.

    Alkohol

    Der Großteil der direkten Krankmeldungen bei Suchtproblemen ist auf Alkohol zurückzuführen (74 Prozent). Laut Studie der DAK-Gesundheit hat jeder zehnte Arbeitnehmer in Deutschland einen riskanten Alkoholkonsum. Damit setzen sich rund vier Millionen Erwerbstätige mit ihrem Trinkverhalten Risiken aus, krank oder abhängig zu werden. „Die hohe Zahl der Betroffenen ist alarmierend. Der riskante Umgang mit Alkohol bleibt ein zentrales Problem in unserer Gesellschaft, das auch gravierende Folgen in der Arbeitswelt hat“, sagt der Vorstandsvorsitzende der DAK-Gesundheit Andreas Storm. „Sucht ist eine Krankheit, die jeden treffen kann. Wir wollen eine breite und offene Debatte anstoßen. Wir müssen hinsehen, hinhören und handeln, um Betroffene nicht allein zu lassen. Ist es Genuss, Gewohnheit oder bereits Sucht?“ Beim Thema Alkoholprävention fehlen flächendeckende und wirksame Angebote. Die DAK-Gesundheit schließt diese Versorgungslücke ab sofort mit einem neuen Online-Selbsthilfeprogramm bei Alkoholproblemen.

    Besonders junge Erwerbstätige trinken riskant: Jeder Sechste zwischen 18 und 29 Jahren ist betroffen. Der Anteil der Beschäftigten dieser Altersgruppe mit riskantem Alkoholkonsum ist fast doppelt so groß wie unter den 40- bis 49-Jährigen. Insgesamt verdeutlicht die Beschäftigtenbefragung im Rahmen des DAK-Reports auch mögliche arbeitsbedingte Risikofaktoren für den Umgang mit Alkohol: So ist der Anteil der Beschäftigten mit einem Alkoholproblem größer, je häufiger sie an der Grenze der Leistungsfähigkeit gearbeitet haben. Auch starker Termin- und Leistungsdruck sowie emotional belastende Situationen bei der Arbeit werden als mögliche Risikofaktoren für einen erhöhten Alkoholkonsum genannt. „Sucht betrifft alle Bereiche unseres Lebens und damit auch stark das Berufsleben“, betont die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler. „Umso wichtiger ist es, dass auch Arbeitgeber offen mit dem Thema Sucht umgehen. Sie müssen ihrer Fürsorgepflicht gerecht werden und Mitarbeiter frühzeitig ansprechen und Hilfe anbieten.“

    Die Analyse zeigt die Folgen des Trinkverhaltens für die Arbeitswelt. Je höher der Alkoholkonsum, desto gravierender sind die Auswirkungen:

    • Jeder neunte Arbeitnehmer mit riskantem Trinkverhalten gibt an, in den letzten drei Monaten wegen Alkohol abgelenkt oder unkonzentriert bei der Arbeit gewesen zu sein. Bei Erwerbstätigen mit einer möglichen Alkoholabhängigkeit sagt dies fast jeder Zweite (47,3 Prozent).
    • 6,8 Prozent der Beschäftigten mit riskantem Alkoholkonsum geben an, deshalb zu spät zur Arbeit gekommen zu sein oder früher Feierabend gemacht zu haben. Bei Beschäftigten mit einer möglichen Alkoholabhängigkeit sind es 27,2 Prozent.
    • 3,8 Prozent der Beschäftigten mit riskantem Alkoholkonsum trinken nach eigenen Angaben Alkohol auch mehrmals pro Monat oder häufiger bei der Arbeit. Bei Beschäftigten mit einer möglichen Abhängigkeit sind es 17,2 Prozent.
    • Bei 1,4 Prozent der Arbeitnehmer mit riskantem Trinkverhalten hat ihr Alkoholkonsum nach eigenen Angaben eine Rolle für eine oder mehrere Krankmeldungen innerhalb des vergangenen Jahres gespielt. Bei Beschäftigten mit einer möglichen Alkoholabhängigkeit sind es 7,2 Prozent.

    Computerspielen

    Erstmals untersucht der Report auch das Thema Gaming und seine Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Demnach spielt mehr als jeder zweite Erwerbstätige (56,1 Prozent) Computerspiele. 6,5 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland gelten als riskante Gamer. Das heißt: 2,6 Millionen Beschäftigte zeigen auffälliges Nutzungsverhalten. Jeder Vierte von ihnen spielt auch während seiner Arbeitszeit. Vor allem junge Erwerbstätige zwischen 18 und 29 Jahren sowie Männer sind laut DAK-Report riskante Computerspieler (11,6 Prozent und 8,5 Prozent).

    • Auch das Gamen beeinflusst die Arbeitswelt und die Gesundheit stark:
    • Jeder vierte Arbeitnehmer mit riskantem Spielverhalten gibt an, während der Arbeitszeit Computerspiele zu spielen. Bei Erwerbstätigen mit Computerspielsucht sagt das fast jeder Zweite.
    • Etwa jeder zehnte Arbeitnehmer mit riskantem Spielverhalten (9,4 Prozent) war in den letzten drei Monaten nach eigenen Angaben wegen des Computerspielens abgelenkt oder unkonzentriert bei der Arbeit. Bei Erwerbstätigen mit einer Computerspielsucht betrifft dies mehr als jeden Dritten (34,1 Prozent).
    • 8,6 Prozent der riskanten Gamer kamen wegen ihres Spielens zu spät zur Arbeit oder machten deshalb früher Feierabend. Bei computerspielsüchtigen Beschäftigten sind es 24,8 Prozent.
    • Bei 0,7 Prozent der Arbeitnehmer mit riskantem Spielverhalten hat das Spielen eine Rolle für eine oder mehrere Krankmeldungen innerhalb des vergangenen Jahres gespielt. Bei süchtigen Beschäftigten sind es 9,7 Prozent.

    Rauchen

    Das Rauchen von Zigaretten ist laut DAK-Report die am stärksten verbreitete Sucht, die auch die Arbeitswelt betrifft. 22 Prozent der Erwerbstätigen greifen zum Glimmstängel. Unter den jungen Erwerbstätigen zwischen 18 und 29 Jahren gibt es mit 16,3 Prozent den geringsten Anteil. Bei den 60- bis 65-jährigen Berufstätigen raucht fast jeder Vierte (23,7 Prozent). Fast jeder zweite Raucher raucht auch während seiner Arbeitszeit, also außerhalb der Arbeitspausen.

    Derzeit dampfen rund fünf Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland E-Zigarette. Diese Quote ist über alle Altersgruppen hinweg in etwa gleich. Raucher von E-Zigaretten greifen oft parallel zur herkömmlichen Zigarette, belegt der DAK-Report. Dampfer finden sich deshalb fast ausschließlich unter Rauchern und Ex-Rauchern. Mit 85 Prozent konsumiert die deutliche Mehrheit der Dampfer Liquid mit Nikotin. „Dampfen mit Nikotin oder Tabak führt in die Abhängigkeit, genau wie herkömmliche Zigaretten“, warnt Andreas Storm. „Deshalb brauchen wir endlich ein umfassendes Werbeverbot für Tabak, Zigaretten und E-Zigaretten. Diese Forderung unterstützt auch die Fachgesellschaft der Lungenärzte mit Hinweis auf die Gesundheitsrisiken. Weil E-Zigaretten gesundheitsgefährdende Suchtmittel sind, dürfen sie nicht vom geplanten Tabakwerbeverbot der Bundesregierung ausgenommen werden.“

    Mit Blick auf die Ergebnisse des Reports bietet die DAK-Gesundheit ab sofort ein neues präventiv ansetzendes Hilfsangebot bei Alkoholproblemen an – und schließt damit eine Versorgungslücke in Deutschland. Bislang fehlen flächendeckende und wirksame Angebote. Versicherte der Krankenkasse können das kostenlose Online-Coaching „Vorvida“ nutzen, um ihren Alkoholkonsum zu reduzieren. Eine aktuelle wissenschaftliche Untersuchung des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf (UKE) belegt die Wirksamkeit: Bei den Teilnehmern sank das riskante Trinkverhalten um bis zu 75 Prozent. Die DAK-Gesundheit ist die erste Krankenkasse, die das Programm der Hamburger GAIA AG ihren Versicherten anbietet. Das Online-Coaching „Vorvida“ ist auf Smartphones und Tablets mobil voll nutzbar. Es kann auch über die digitale Gesundheitsplattform „Vivy“ genutzt werden. Alle Daten werden vertraulich behandelt und nicht weitergegeben. Eine Anmeldung ist auf www.vorvida.de/dak möglich.

    Pressestelle der DAK-Gesundheit, 16.04.2019

  • Aktionswoche Alkohol startet zum siebten Mal

    „Kein Alkohol am Arbeitsplatz!“ ist der thematische Schwerpunkt der siebten Auflage der Aktionswoche Alkohol vom 18. bis 26. Mai 2019. Aus gutem Grund: Zehn Prozent der Beschäftigten – von der Aushilfskraft bis zur Geschäftsführung – trinken aus gesundheitlicher Sicht zu viel Alkohol. Deutschland zählt weltweit zu den führenden Nationen, wenn es um den riskanten Konsum von Alkohol geht.

    „Gerade in der Arbeitswelt ist Alkohol schon in geringen Mengen folgenreich. Verminderte Konzentration und Leistung führen zur Gefährdung der Arbeitssicherheit und zu einer Belastung des sozialen Umfelds. Alkohol spielt bei jedem fünften Arbeits- und Wegeunfall eine Rolle und mit zunehmendem Alkoholkonsum fehlen Beschäftigte auch häufiger am Arbeitsplatz“, sagt Christina Rummel, stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS).

    „Arbeiten und Alkohol – das passt nicht zusammen!“, betont auch Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung und Schirmherrin der Aktionswoche Alkohol. „Wer schon im Job zur Flasche greift, der braucht Hilfe, und zwar von allen Seiten. Auch die Arbeitgeber sind hier gefragt: Schauen Sie genau hin, fragen Sie nach, kümmern Sie sich um Ihre Mitarbeiter! Es darf kein Tabu mehr sein, über Sucht zu sprechen, denn Suchtgefährdung kennt weder Dienstbeginn noch Feierabend!“

    Die Aktionswoche Alkohol findet unter Federführung der DHS alle zwei Jahre statt. Langjährige Partner der Aktionswoche sind die BARMER und die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund). Weitere Kooperationspartner sind unter anderen die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), die Landesstellen für Suchtfragen und regionale Netzwerke der Suchthilfe und der Suchtprävention.

    Die BARMER bietet gezielte Präventions- und Beratungsangebote, um Menschen vor riskantem Alkoholkonsum und anderen Suchtgefährdungen zu schützen. „Leider steigt die Zahl der Menschen, für die Alkohol zu einem ernsten Gesundheitsproblem wird, ungebremst weiter an. In den Jahren von 2014 bis 2017 nahmen die Fälle von behandlungsbedürftigem Alkoholmissbrauch um 3,8 Prozent zu. Rund die Hälfte dieser Fälle entfallen auf Menschen im Alter von 50 bis 69 Jahren. Für alle Betroffenen ist es wichtig, dass Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen Auffälligkeiten offen ansprechen und dazu motivieren, eine Therapie zu machen“, so Gabriela Leyh, Landesgeschäftsführerin der BARMER Berlin/Brandenburg. Hilfreich seien außerdem Angebote von Selbsthilfegruppen.

    Abhängigkeitserkrankungen stellen eine ernsthafte Bedrohung für die Erwerbsfähigkeit dar. Deswegen bietet die Deutsche Rentenversicherung Betroffenen spezielle Rehabilitationsmaßnahmen an, die ihnen helfen können, sich aus ihrer Sucht zu befreien. Hierdurch wird den Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, in ein abstinentes (Arbeits-)Leben zurückzukehren. „Alkoholsucht ist eine schleichende Erkrankung, der meist jahrelanger oder jahrzehntelanger Alkoholmissbrauch zu Grunde liegt. Vor diesem Hintergrund finden wir es wichtig, über Alkohol am Arbeitsplatz zu sprechen und die Forderung ‚Kein Alkohol am Arbeitsplatz‘ zu unterstützen, denn damit kann – neben einer Vielzahl weiterer guter Gründe für einen alkoholfreien Arbeitsplatz – in vielen Fällen verhindert werden, dass Menschen durch ständigen und täglichen Alkoholkonsum in die Abhängigkeit abgleiten“, so Gunnar Friemelt, Leiter des Grundsatzreferates Rehabilitationsrecht der Deutschen Rentenversicherung Bund.

    „Die betriebliche Suchtprävention leistet einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung von gesundheitlichen Gefährdungen durch riskanten Suchtmittelgebrauch bei Erwachsenen“, hebt die Arbeitswissenschaftlerin Dr. Elisabeth Wienemann hervor. „Mit Beratungs- und Schulungsangeboten für Führungskräfte und Mitarbeitende, mit vereinbarten Gesprächs- und Interventionsleitfäden“, so die Forscherin, „gibt sie den Betrieben bestens erprobte Instrumente an die Hand, um die Gesundheit zu fördern und die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten zu erhalten.“

    In ganz Deutschland beteiligen sich wieder zahlreiche Fachkräfte und Ehrenamtliche aus den Bereichen Suchthilfe, Suchtprävention und Sucht-Selbsthilfe sowie zahlreiche Firmen und Verwaltungen an der Aktionswoche Alkohol. Insgesamt finden über 1.300 Veranstaltungen statt. Die DHS unterstützt die Veranstalter vor Ort mit vielfältigen Aktionsideen und kostenlosen Aktionsmaterialien. Mitmach-Aktionen, Infoveranstaltungen, Selbsttests, Filme und Vorträge regen dazu an, über den eigenen Umgang mit Alkohol nachzudenken.

    Weitere Informationen:

    www.aktionswoche-alkohol.de
    www.sucht-am-arbeitsplatz.de
    www.dhs.de

    Pressestelle der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), 16.05.2019

  • KI oder k.o. – Digitalisierung als Herausforderung für das Suchthilfesystem

    KI oder k.o. – Digitalisierung als Herausforderung für das Suchthilfesystem

    Wolfgang Schmidt-Rosengarten

    Das Thema digitale Transformation ist in der Suchthilfe angekommen. Träger engagieren sich, Verbände agieren. Das sind positive erste Schritte. Das Arbeitsfeld muss sich allerdings in aller Breite und Tiefe den aktuellen Entwicklungen weiter öffnen und verstehen lernen, was es eigentlich heißt, am Anfang einer „digitalen Revolution“ zu stehen, und welche Auswirkungen diese „disruptive Technologie“, die in anderen Bereichen ganze bisherige Geschäftsmodelle zerstört, für die Suchthilfe hat. Digitalisierung ist kein Ereignis, sondern ein Prozess, der auch massive Veränderungen der Arbeitsstruktur und Arbeitsabläufe mit sich bringt.

    Digitalisierung ist nicht die ‚Aufhübschung‘ eines Geschäftsmodells durch einen Internetanschluss. Onlineberatung ergibt wenig Sinn, wenn im Hintergrund wie vor Jahrzehnten gearbeitet wird. Wenn sich eine Organisation ernsthaft damit beschäftigt, digitalisierte Prozesse in die Arbeit zu integrieren, reicht es bei der Umsetzung nicht aus, nur die verfügbaren neuen Technologien für neue Produkte einzusetzen. Vielmehr hat der Einsatz digitalisierter Prozesse weitreichende Konsequenzen für die Organisationsstruktur, das Arbeitskonzept, die Arbeitsprozesse, die Qualifikation des Personals, die Arbeitszeiten sowie die Führungskompetenzen (junge Mitarbeiter haben mehr Ahnung als ältere Kollegen). Eine Neuausrichtung der gesamten Geschäftsstrategie auf digitale Handlungsprozesse ist erforderlich.

    Und noch eine weitere Dimension gilt es zu berücksichtigen: Die digitale Wandlung ist ein disruptiver Prozess. Diese vielfach gehörte Aussage liest sich so einfach. Dabei bedeutet dieser Satz doch, dass aktuelle Geschäftsmodelle zerstört werden und völlig neue Player auf der Angebotsseite, wie aus dem Nichts, auftauchen. Mit anderen Worten: Wäre es auch in der Suchthilfe vorstellbar, dass sich in absehbarer Zeit Plattformen etablieren, die, von völlig fachfremden Betreibern geführt, keine eigenen Dienste anbieten, sondern nur als digitale Vermittlungsplattform für die komfortable Abwicklung von Dienstleistungen zwischen Anbietern und Nutzern agieren? 

    Die professionelle Suchthilfe und ihre Entwicklung in den letzten 50 Jahren

    Die Suchthilfe in ihrer professionellen Ausrichtung hat in den letzten 50 Jahren gezeigt, dass sie ein flexibles und vitales System ist, das sich den unterschiedlichen, von außen an sie herangetragenen Veränderungen (neue Substanzen, Mittelkürzungen) anpassen konnte. Die Kreativität der Träger und die Unterstützung aus dem politischen Raum waren hierbei wichtige Faktoren.

    Es muss jedoch die Frage gestellt werden, ob die bisherigen Überlebensstrategien und Anpassungsprozesse des Suchthilfesystems auch beim digitalen Wandel greifen. Um es vorwegzunehmen: Ich glaube es nicht. Wir haben es bei der digitalen Transformation nicht mit einem weiteren Veränderungsschritt, vergleichbar mit den oben genannten, zu tun, sondern mit einem Prozess, der gezeigt hat, dass er das Potential besitzt, bisherige Geschäftsmodelle zu zerstören. 

    Neue Marktstrukturen und neue Wettbewerber

    In der Debatte um die Digitalisierung in der Suchthilfe scheint mir ein Aspekt viel zu kurz zu kommen: der mit der Digitalisierung einhergehende Wandel der Marktstrukturen.

    Digitale Plattformen sind das zentrale Geschäftsmodell der digitalen Ökonomie. Das Grundprinzip der „digital matching“-Unternehmen ist einfach: Sie bieten selbst keine Waren an, sondern nur eine digitale Vermittlungsplattform für die einfache Abwicklung von Transaktionen. Damit schieben sie sich zwischen Anbieter und Kunden (Nutzer). Vor allem für die Endkunden ist das praktisch. Sie finden alle Angebote an einer Stelle, können Preise oder Funktionen vergleichen und sofort ordern. Kleineren Anbietern bieten Plattformen die Möglichkeit, ihre Angebote ‚der ganzen Welt‘ bekannt zu machen und anzubieten, ohne allzu große Investitionen, z. B. in Immobilien, tätigen zu müssen.

    Digitale Plattformen werden aber nicht nur von großen internationalen Firmen wie Amazon, Uber oder Booking.com betrieben. Für fast jede Branche gibt es inzwischen diese Geschäftsmodelle. Egal, ob solche Plattformen regional, national oder international agieren, immer gilt, dass die Plattformbetreiber selbst keinerlei Qualifikationen bezüglich der angebotenen Güter oder Dienstleistungen besitzen.

    Mit Pflegedienstleistungen ist die Plattformökonomie bereits in einem Segment des psychosozialen Arbeitsfeldes zu finden. Das „Uber-Prinzip“ in der Pflege bedeutet: Über eine Plattform bieten Menschen mit unterschiedlichstem Erfahrungs- und Ausbildungsgrad Dienstleistungen in den Bereichen Begleitung, Betreuung und Pflege für kürzere oder längere Dauer an. In manchen Modellen arbeiten die Menschen auf selbständiger Basis, in anderen als Angestellte des Plattformunternehmens. Gesellschaftlich entscheidend ist, was dabei mit dem Gesamtsystem der Begleitung, Betreuung und Pflege passiert – mit seiner Stabilität, Fachlichkeit und Qualität.

    Was bedeutet das übertragen auf Suchthilfe und Suchtprävention?

    SCENARIO 1: Digitale Hilfe und digitale Vermittlung von Hilfe

    „Die neuen Technologien … verändern vorhandene … oder gestalten neue Hilfeprozesse [und] ermöglichen damit die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle“. (Kreidenweis 2017, S. 164)

    Verbraucher kennen und schätzen das Konzept der digitalen Plattformen und übertragen ihre Erwartungen an den Angebotsservice auch auf andere (non-profit) Dienstleistungsbereiche. Die Anforderungen und Ansprüche von Kundenseite an die Anbieter von psychosozialen Dienstleistungen werden also wachsen (z. B. 24 Stunden 7 Tage die Woche erreichbar sein). Die Legalqualifikation der Anbieter (Hochschulabschlüsse der Mitarbeiter plus Zusatzqualifikationen, lange Felderfahrung des Trägers) wird bei der Suche nach Informationen und Unterstützung nicht mehr so stark im Vordergrund stehen.

    Die freie Wohlfahrtspflege hat derzeit praktisch ein Monopol in der Suchtprävention und der ambulanten Suchtberatung. Dieses Monopol resultiert neben historischen und gesetzlichen Gründen auch daraus, dass man mit diesen Arbeitsfeldern bislang kein Geld verdienen kann. Sollte dies durch die Etablierung neuer, digitaler Geschäftsmodelle möglich werden, könnten Start-ups ganz schnell Angebote etablieren, die nicht unbedingt in der Tradition der Suchthilfeträger stehen (analog den zunehmend erfolgreichen Fin Techs in der Finanzwirtschaft) und die zu einer völligen Neujustierung der Arbeitsfelder führen könnten. (Fachfremde) Anbieter könnten sich als Dienstleister gemäß den heutigen Kunden(Klienten-)anforderungen entwickeln und mit digitalen Services Menschen in schwierigen Lebenslagen oder schambesetzten Situationen einfach, bequem und rund um die Uhr Unterstützung zukommen lassen. Oder aber sie könnten auch ‚nur‘ eine Plattform für entsprechende Anbieter ins Leben rufen. Diese Plattform könnte z. B. folgende Services anbieten:

    • Ein mit künstlicher Intelligenz (KI) ausgestatteter Chatbot gibt 7 Tage rund um die Uhr Antworten auf die wichtigsten, immer wiederkehrenden Fragen.
    • 24h lang Direktvermittlung zu spezialisierten Rechtsanwälten
    • Abklärung, ob ein Anspruch auf medizinische Reha besteht, plus anschließende komplette Abwicklung und Betreuung der Formalitäten inkl. Buchung eines entsprechenden Rehaplatzes
    • Chat mit fachkundiger Person von 8 bis 20 Uhr jeden Tag
    • schnelle Terminvermittlung in ortsnahe Suchthilfeeinrichtung
    • Online-/Teleberatung, Online-/Teletherapie

     SCENARIO 2: Matching und Online-Direktvermittlung zur Fachkraft

    Die Mieten in den Innenstädten haben inzwischen schwindelerregende Höhen erreicht. Die Mietkosten nehmen bei öffentlichen Einrichtungen einen immer größer werdenden Anteil an den Gesamtbudgets ein. Die Kommunen als Leistungsträger sind nicht mehr bereit, Räume zu finanzieren, die nur acht bis zehn Stunden am Tag genutzt werden. Zudem hat sich eine neue Generation von Fachkräften auch im psychosozialen Bereich etabliert, die ihre Arbeitsverhältnisse möglichst flexibel gestalten und im Arbeitszeitumfang permanenten Spielraum haben möchte. Der herrschende Fachkräftemangel stärkt ihre Position bei der Durchsetzung dieser Vorstellungen gegenüber potentiellen Arbeitgebern.

    Vor dieser Ausgangslange entwirft Horst Bossong (2018) folgendes Scenario: „Die Spezialisierung psychosozialer Einrichtungen wie Schuldnerberatung, Suchtberatung, Erziehungsberatung etc. könnten auf einer gemeinsamen digitalen Plattform zusammengefasst werden. Solche im virtuellen Raum etablierten Gemeinschaftspraxen könnten ihre von freien Mitarbeitenden angebotenen Dienstleistungen just in time anbieten.

    Die Anmeldung samt Anamnese erfolgt über ein Online-Tool. Ein Algorithmus matcht den Hilfesuchenden mit einer passgenau qualifizierten Fachkraft für eine (standardisiert festgelegte) Menge an Beratungsstunden. Sie erbringt die Beratung, Betreuung und Therapievermittlung sodann in ‚hybrider‘ Form, d. h. ohne festes Büro, sondern in je nach Einzelfall verabredeten variablen Formaten, etwa virtuell oder auch an einem physischen Orten zu einem dem Klienten passenden Zeitpunkt.“ 

    SCENARIO 3: Ein Handlungsfeld für große Player

    Die Mediangruppe ist ein privat geführter Klinikträger mit 120 Einrichtungen und 15.000 Mitarbeitern. Mit 18.000 Betten und Behandlungsplätzen werden pro Jahr etwa 230.000 Patienten versorgt. Die Mediangruppe ist auch in der medizinischen Rehabilitation für suchtkranke Menschen aktiv. Dieser große Player in der Sucht-Reha hat die Digitalisierung zur Chefsache erklärt und im April 2018 einen neuen Chief Development Officer (CDO) eingestellt, der sich auf Geschäftsführungsebene gezielt der Digitalisierungsstrategie des Unternehmens widmet. In einer Pressemitteilung gab Dr. André M. Schmidt, CEO bei Median, bekannt, dass das Unternehmen im Bereich Digitalisierung eine Vorreiter-Position anstrebt (Pressemeldung, 04.04.2018). Dies als Beispiel für einen ‚Großen‘, der sich schon massiv auf den Weg gemacht hat.

    Nur durch das Bewusstmachen solcher Szenarien wird der notwendige Handlungsdruck deutlich. Ihm muss die aktive Auseinandersetzung folgen, um wünschenswerte Entwicklungen zu fördern und Entwicklungsrisiken frühzeitig begegnen zu können. 

    Suchthilfe muss handeln, warum?

    Das Suchthilfesystem in Deutschland zeichnet sich durch differenzierte Leistungserbringer aus, die ein breit gefächertes Angebot für Betroffene und deren Angehörige bereithalten. Diese Angebote weisen heute hohe Standards und qualitätssichernde Begleitmaßnahmen auf. Wenn die Vielfalt der Leistungserbringer und eine nicht auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Trägerlandschaft auch zukünftig die Maximen im Bereich der Suchtprävention und der ambulanten Suchtberatung darstellen sollen, muss sowohl die Suchthilfe handeln als auch die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen sicherstellen.

    Dieses Handeln seitens der Suchthilfeträger muss bereits zu einer Zeit passieren, in der das Bestehende noch sehr gut läuft. Und das fällt schwer. Denn so lange es gut läuft, versuchen alle Beteiligten, das Bestehende möglichst zu bewahren. Es wäre allerdings fatal, wenn sich die Suchthilfe im Heute verkämpft und dadurch den realistischen Blick auf morgen vernachlässigt. 

    Die Notwendigkeit digitaler Strategien

    Aber es gibt noch eine andere Gefahr: Die Suchthilfe darf sich bei dem Thema Digitalisierung nicht in zu vielen Einzelprojekten verlieren. Letztlich ist die Digitalisierung eine strategisch-strukturelle Aufgabe. Man kann nicht einfach kleine Einzelprojekte aneinanderreihen und denken, das reiche. Um ein gutes Gesamtergebnis zu erzielen und die richtigen Entscheidungen zu treffen, braucht es dringend ein Gesamtkonzept – eine Digitalisierungstrategie sowohl für den einzelnen Suchthilfeträger als auch für das Suchthilfesystem als Ganzes. Zur Entwicklung dieser Strategien sind die bisherigen Konzepte nur bedingt tauglich. Es müssen völlig neue Formate und Kooperationen entwickelt werden.

    Der Prozess der digitalen Transformation erfordert enorme Ressourcen. Einzelne kleine wie auch große Einrichtungen sind personell und finanziell überfordert, so dass träger- und verbandsübergreifendes Handeln unumgänglich erscheint, will man die Digitalisierung mitgestalten und nicht nur Zuschauer sein. Dazu müssen sowohl die Träger als auch das System Suchthilfe Strategien entwickeln, wie sie den digitalen Wandel bewältigen wollen. Aktuell scheinen mir diese Strategien zu fehlen, gleichwohl werden digitale Produkte wie Apps oder Online-Beratungsmöglichkeiten bereits umgesetzt bzw. geplant.

    Um Nachhaltigkeit zu erreichen und Fehlinvestitionen zu vermeiden, lassen sich die Umsetzungsschritte einer Strategie zur Bewältigung des digitalen Wandels wie in Abb. 1 gezeigt skizzieren:

    Abb. 1

    Trägerinterne Strategieentwicklung

    Mit Unterstützung externer Expertise aus dem Bereich der Organisationsentwicklung sollten trägerintern im Rahmen einer Strategieentwicklung folgende Fragestellungen geklärt und folgende Arbeitsschritte abgearbeitet werden (s. Abb. 2):

    Abb. 2

    Lösungen entwickeln in „Future Labs“

    Auch wenn die Suchthilfe träger- und verbandsübergreifend agiert, kann sie den anstehenden Wandel nicht alleine bewältigen. Politik muss sie dabei unterstützen. Politik kann aber auch erwarten, dass Lösungen überregional und trägerübergreifend gesucht werden, z. B. in „Entwicklungslabors“ oder „Future Labs“. In solchen Future Labs finden sich Mitarbeitende unterschiedlicher Fachbereiche, externe Expert/innen (z. B. aus Hochschulen, der Start-up-Szene) und Mitarbeitende anderer Organisationen zusammen (s. Abb. 3). Diese Innovationsnetzwerke arbeiten an neuen Konzepten, Services und Geschäftsmodellen, die sie als Empfehlungen und Orientierungen dem Suchthilfesystem zur Verfügung stellen. Aber auch Fragestellungen zum Datenschutz und ethischen Dimensionen der Digitalisierung in der Suchthilfe könnten, ressourcenschonend, zentral diskutiert und die Ergebnisse z. B. über Handreichungen oder Webinare kostengünstig in die Fläche gebracht werden.

    Abb. 3

    Zur Einleitung einer solchen Entwicklung könnten in einem nationalen Future Lab „Suchthilfe“ mit externer multiprofessioneller Expertise folgende Fragestellungen bearbeitet werden (s. Abb. 4):

    Abb. 4

    Aktueller Stand und Ausblick

    In den letzten Monaten sind im Bereich der Suchthilfe vielfältige Entwicklungen und Fortschritte zu konstatieren, die die aufgezeigte Richtung unterstützen:

    • Im Januar 2019 haben die Wohlfahrtsverbände, das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland und der Bundesverband Deutscher Startups ein gemeinsames Positionspapier veröffentlicht (https://www.social-startups.de/wohlfahrtsverbaende/). Darin ist vereinbart, dass sich diese Organisationen stärker austauschen und zusammenarbeiten wollen, um effektiver zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen beizutragen und innovative Lösungen zu entwickeln. Die Verbände fordern in ihrem Positionspapier, dass bei der staatlichen Förderung mehr Priorität und Mittel für gemeinsame Begegnungs- und Experimentierräume sowie für die Verbreitung von erfolgreichen innovativen Projekten bereitgestellt werden. Nötig sind Förderprogramme, die den speziellen Bedürfnissen sozialer Innovationen gerecht werden, damit diese entwickelt und realisiert werden und schließlich den Menschen und der Gesellschaft dienen können.
    • Des Weiteren startete im April die Hessische Landesstelle für Suchtfragen ihr vom Bundesgesundheitsministerium finanziertes bundesweites Modellprojekt „Digitale Lotsen in der Suchthilfe“.

    Angesichts der anstehenden Herausforderungen beim digitalen Wandel ist es unabdingbar, dass zum einen die Verbände eine koordinierende und strukturierende Funktion einnehmen und zum anderen die Politik Unterstützung bietet. Ein Vorhaben von einer solchen Dimension bedarf unbedingt vorheriger strategischer Überlegungen auf Trägerebene, aber auch auf der Ebene des Systems, damit die entwickelten Instrumente und das fachliche Vorgehen die Ziele erreichen, die vorher definiert wurden. Solche Ziele, die sowohl einer Verbesserung der Versorgung als auch der Weiterentwicklung des Suchthilfesystems dienen, könnten z. B. sein:

    • dem Fachkräftemangel begegnen: Technische Assistenzsysteme können vorhandene Mitarbeitende von Routineaufgaben entlasten.
    • den demographischen Wandel gestalten: Mit Teleangeboten kann Immobilität begegnet werden (auch in strukturschwachen ländlichen Regionen).
    • eine bessere Klientenzentrierung/-versorgung erreichen: Technische Assistenzsysteme ermöglichen eine niedrigschwellige Kontaktaufnahme mit dem Hilfesystem und erschließen damit neue Zielgruppen.
    • die Attraktivität der Angebote für Klienten erhalten: Zielgruppengemäß offeriert entsprechen die Möglichkeiten technischer Assistenzsysteme dem geänderten Dienstleistungsanspruch der Klientel.
    • die Attraktivität des Arbeitsfeldes Suchthilfe erhalten bzw. steigern: Als möglicher Arbeitsplatz steht die Suchthilfe im Wettbewerb mit anderen psychosozialen Arbeitsfeldern. Technische Assistenzsysteme und deren arbeitnehmerfreundliche Ausgestaltung (Homeoffice-Konzepte u. Ä.) können dazu beitragen, den Bedürfnissen der neuen Generation von Fachkräften, die ihre Arbeitsverhältnisse möglichst flexibel gestalten und im Arbeitszeitumfang permanenten Spielraum haben möchte, entgegenzukommen.
    Kontakt:

    Wolfgang Schmidt-Rosengarten
    w.schmidt-rosengarten@t-online.de

    Angaben zum Autor:

    Wolfgang Schmidt-Rosengarten ist Leiter des Referats Prävention, Suchthilfe im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration in Wiesbaden. Vorher war er über 20 Jahre Geschäftsführer der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen e.V. (HLS) in Frankfurt am Main.

    Literatur:
  • Ausschreibung

    Der Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V. (buss) vergibt zum sechsten Mal den „Wolfram-Keup-Förderpreis“ für die beste wissenschaftliche oder praxisorientierte Arbeit auf dem Gebiet der Entstehung und Behandlung von Substanzmissbrauch, Substanzabhängigkeit oder Verhaltenssucht.

    Aus dem Nachlass des Projektes „Frühwarnsystem zur Erfassung von Veränderungen der Missbrauchsmuster chemischer Substanzen in der Bundesrepublik Deutschland“, das Professor Wolfram Keup initiiert und bis zu seinem Tod am 4. Januar 2007 geleitet hat, wird zur Erinnerung an den Stifter alle zwei Jahre der „Wolfram-Keup-Förderpreis“ öffentlich ausgeschrieben und vergeben.

    Alle Personen und Institutionen, die sich in der wissenschaftlichen Forschung oder der therapeutischen Behandlungspraxis mit dem Thema Sucht beschäftigen, sind aufgefordert, sich mit eigenen Untersuchungen oder Projekten um den Wolfram-Keup-Förderpreis 2020 zu bewerben. Die vorgelegten Arbeiten müssen sich mit der Entstehung oder der Behandlung von Substanzmissbrauch, Substanzabhängigkeit oder Verhaltenssucht beschäftigen. Dabei kann es sich um wissenschaftliche Studien handeln, aber auch um die Realisierung von Präventionsmaßnahmen oder die Erprobung von Behandlungskonzepten. Der Förderpreis ist mit einem Preisgeld von 2.000 € ausgestattet.

    Einsendeschluss ist der 31. Oktober 2019. Die Preisverleihung erfolgt im Rahmen des Gemeinsamen Suchtkongresses „Zusammenhalten und zusammen gestalten“ von buss und Fachverband Sucht am 18. Juni 2020 in Münster. Weitere Details finden Sie in den Ausschreibungsunterlagen auf www.suchthilfe.de.

    Kontakt:
    Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V.
    Wilhelmshöher Allee 273
    34131 Kassel
    Tel. 0561/77 93 51
    Fax 0561/10 28 83
    buss@suchthilfe.de
    www.suchthilfe.de

    Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss), 9. Mai 2019

  • HIV früh erkennen und behandeln

    Bei Drogenkonsument/innen und Substituierten wird HIV oft zu spät diagnostiziert oder bleibt lange unbehandelt. Ein Leitfaden der Deutschen Aidshilfe unterstützt Ärztinnen und Ärzte in der täglichen Praxis.

    Die Broschüre „HIV früh erkennen und behandeln. Ein Leitfaden für die Suchtmedizin“ soll Ärztinnen und Ärzte dabei unterstützen, HIV zu thematisieren, einen HIV-Test anzubieten und gegebenenfalls den Therapiebeginn einzuleiten, um schwere Erkrankungen zu vermeiden. Der Leitfaden ist Teil der Kampagne „Kein Aids für alle – bis 2020!“. Er wurde gemeinsam mit Fachleuten aus Suchtmedizin, HIV-Behandlung, Drogenhilfe und Selbsthilfe entwickelt.

    Prof. Dr. Markus Backmund, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, unterstützt das Projekt: „Wir Suchtmediziner/innen können eine Schlüsselrolle einnehmen, wenn es darum geht, Aids-Erkrankungen zu verhindern. Für viele Patient/innen sind wir die einzige Anlaufstelle im Gesundheitsbereich. Durch die Substitutionsbehandlung stehen wir kontinuierlich in Kontakt mit ihnen – eine gute Grundlage für regelmäßige HIV-Tests und erfolgreiche Behandlungen.“

    Frühe Diagnose und Behandlung sind möglich

    Menschen, die intravenös Drogen konsumieren oder substituiert werden, sind nicht nur deutlich häufiger von HIV betroffen als die Gesamtbevölkerung. Bei ihnen wird HIV oft auch zu spät diagnostiziert. Auch wenn die Infektion bekannt ist, bleiben sie in vielen Fällen lange ohne Therapie – obwohl eine HIV-Infektion nach den medizinischen Leitlinien so früh wie möglich behandelt werden sollte. Schwere Erkrankungen bis hin zu Aids sind die Folge. Außerdem bleibt HIV ohne Therapie beim Sex übertragbar.

    In Zahlen: 4,9 Prozent der Teilnehmer/innen in der DRUCK-Studie des Robert-Koch-Instituts (2016) waren HIV-positiv (Gesamtbevölkerung: 0,1 Prozent). Die Therapiequote bei Patient/innen mit HIV-Diagnose lag bei nur 55 Prozent (insgesamt: 92 Prozent).

    Haupthindernisse für einen frühzeitigen Therapiebeginn sind zu seltene und unregelmäßige HIV-Tests, häufige Ortswechsel sowie häufig ärztliche Bedenken, dass die regelmäßige Einnahme der Medikamente nicht gelingen könnte. Studien und Erfahrungen aus der Praxis zeigen jedoch: Auch Drogenkonsument/innen sind motiviert, sich behandeln zu lassen, und die Therapie funktioniert ähnlich zuverlässig wie bei anderen Patient/innen. „HIV-Therapien sind inzwischen simpel und wirken selbst dann gut, wenn die Adhärenz nicht perfekt ist“, betont Dr. Hubert Schulbin, substituierender HIV-Spezialist in Berlin. Ähnliches gilt mittlerweile für Hepatitis C. Auch bei der HCV-Infektion unterbleibt häufig eine Therapie, weil Ärztinnen und Ärzte oder Patient/innen Bedenken haben – trotz hervorragender Heilungschancen.

    Ob HIV oder HCV: Grundlage für eine erfolgreiche Therapie sind Gespräche. So lassen sich regelmäßige Tests empfehlen, Risiken ausloten und Ängste vor der Diagnose oder Nebenwirkungen ausräumen. Dazu sagt Armin Schafberger, Arzt und Medizinreferent der Deutschen Aidshilfe: „Solche Gespräche sind manchmal nicht einfach, weil sie sensible Themen wie Drogenkonsum und Sexualität berühren. Diese Broschüre soll es in jeder Hinsicht erleichtern, im entscheidenden Moment die Weichen Richtung Therapieerfolg zu stellen.“

    Tipps von Anamnese über Testverfahren bis Weiterbehandlung

    Die kompakte Broschüre liefert:

    • Informationen über Test- und Abrechnungsmöglichkeiten
    • Gesprächsleitfäden
    • einen Entscheidungsbaum zu Test und Behandlung von HIV und Hepatitis C
    • aufschlussreiche Fallbeispiele
    • Links zu weiteren Informationen und HIV-Schwerpunkteinrichtungen

    Aids ist heute vermeidbar

    Mit der Kampagne „Kein Aids für alle!“ arbeitet die Deutsche Aidshilfe darauf hin, dass in Deutschland im Jahr 2020 kein Mensch mehr an Aids erkranken muss. Zurzeit leben laut Robert-Koch-Institut mehr als 11.000 Menschen unwissentlich mit HIV – also mit der Gefahr einer vermeidbaren schweren Erkrankung. Wenn die Infektion hingegen rechtzeitig diagnostiziert und behandelt wird, können Menschen mit HIV heute alt werden und leben wie alle anderen. HIV ist unter einer gut wirksamen Therapie auch nicht mehr übertragbar.

    Mehr Informationen:

    Die Broschüre zum Download / Bestellmöglichkeit

    Ähnliche Broschüren sind bereits für Hausarztpraxen und die Gynäkologie erschienen:
    Hausarztpraxen
    Gynäkologie

    Fortbildungen für Ärzt_innen

    Kampagne „Kein Aids für alle – bis 2020!“

    Pressestelle der Deutschen Aidshilfe, 16.04.2019