Autor: Simone Schwarzer

  • Qualität in der Medizin durch Ökonomisierung bedroht

    Ökonomische Ziele dürfen medizinische Entscheidungen nicht unangemessen beeinflussen. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) forderte im Rahmen ihres „Berliner Forums“ am 28. November 2018, die Bedürfnisse der Patienten wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Eine gute Patient-Arzt-Beziehung im Sinne der gemeinsamen Entscheidungsfindung sei für eine erfolgreiche Versorgung unverzichtbar und daher zu stärken. Darüber hinaus sei es notwendig, Strukturen zu verändern.

    In einer aktuellen Stellungnahme zu „Medizin und Ökonomie“ nennt die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) verschiedene Ansatzpunkte wie die Stärkung der ärztlichen Kompetenz im Rahmen der Krankenhausführung, eine bedarfsorientierte Krankenhausplanung und die patientenzentrierte Anpassung des DRG-basierten Vergütungssystems.

    Medizin und Ökonomie sind nicht zu trennen. Beeinträchtigen betriebswirtschaftliche Anforderungen jedoch eine evidenzbasierte, patientenorientierte Versorgung, gefährdet das unmittelbar das Patientenwohl. Unter dem ökonomischen Druck in vielen Kliniken werden heute wirtschaftlich lukrative Leistungen in Diagnostik und Therapie häufiger durchgeführt als beispielsweise schlecht vergütete Maßnahmen der „Sprechenden Medizin“. Dabei ist das ausführliche Gespräch mit dem Patienten die Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung und ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis. Derzeit werden zeitliche Aufwände für die Kommunikation jedoch kaum im System der Fallpauschalen berücksichtigt. Daher fordern die AWMF und ihre Fachgesellschaften, die so genannten Diagnosis Related Groups (DRGs) anzupassen. „Künftig müssen zeitliche Aufwände für das Arzt-Patienten-Gespräch, aber auch die Abstimmung mit anderen Fachkollegen in die Berechnung deutlich mehr einfließen“, fordert Professor Dr. med. Rolf Kreienberg, Präsident der AWMF. Das wird immer wichtiger, da Patienten zunehmend mehrfach und chronisch erkrankt sind und eine ganzheitliche Betreuung durch verschiedene Experten benötigen.

    Um das zu realisieren, muss sich auch die Rolle von Ärzten und Pflegenden in den Kliniken verändern. Die AWMF fordert eine gemeinsame Krankenhausführung, in der Ärzte und Pflegende mit kaufmännischen Direktoren auf Augenhöhe Entscheidungen treffen. Basis dafür sollte ein Wertemanagement im Krankenhaus sein, das nicht nur an betriebswirtschaftlichen Zielen ausgerichtet ist, sondern medizinische Überlegungen und Patientenorientierung integriert. „Notwendig sind dafür auch Arbeitsbedingungen, die eine qualitativ hochwertige Versorgung gewährleisten“, betont AWMF-Präsidiumsmitglied Dr. med. Manfred Gogol.

    Ursache für die teils schwierige Arbeitssituation in den Kliniken ist nicht zuletzt der betriebswirtschaftliche Erfolgsdruck und die dadurch bedingte Mengenausweitung der letzten Jahre. Trotz kürzerer Liegezeiten der Patienten ist die Zahl der Krankenhausbetten nur geringfügig gesunken, die Zahl der Behandlungsfälle hingegen deutlich gestiegen. „Die Zahl der Krankenhausbetten in Deutschland liegen weit über dem Durchschnitt in anderen EU-Ländern oder der OECD – ebenso die Anzahl der Behandlungsfälle“, so Kreienberg. Diese seien jedoch sehr unterschiedlich auf die verschiedenen Fächer verteilt. Eine hohe Bettendichte in einem Fach sei ein Treiber dafür, dass jedes einzelne Krankenhaus immer mehr Fälle durchschleuse. Außerdem geht diese Entwicklung zu Lasten der Qualität: „Kleinere Krankenhäuser führen Eingriffe durch, für die sie weder ausgestattet sind noch die notwendige Erfahrung haben“, warnt Kreienberg. Die AWMF fordert daher von der Politik auf Bundes- und Landesebene, die vielfältigen Aktivitäten der Fachgesellschaften zur qualifizierten Zentrenbildung zu unterstützen. Durch diese Spezialisierung in meist interdisziplinären, sektorenübergreifenden Teams ließe sich bei zahlreichen Krankheitsbildern die Versorgungsqualität nachweislich steigern.

    Dazu sei es notwendig, die Krankenhausplanung im Interesse der Patienten am regionalen Bedarf orientiert und sektorenübergreifend auszurichten. Die AWMF forderte am Ende ihres Berliner Forums, dass Politik, Krankenhausmanagement, Selbstverwaltung und Ärzteschaft, die seit vielen Jahren offensichtlichen Fehlentwicklungen im Krankenhaussystem gemeinsam mit Patientenvertretern zeitnah angehen: Nur so seien Über-, Unter- und Fehlversorgung zu bekämpfen. Der gesamte Maßnahmenplan der AWMF mit dem Titel „Medizin und Ökonomie – Maßnahmen für eine wissenschaftlich begründete, patientenzentrierte und ressourcenbewusste Versorgung“ steht hier zum Download bereit.

    Pressestelle der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), 05.12.2018

  • Suchthilfe in Deutschland 2017

    In diesem Bericht werden jährlich die wichtigsten aktuellen Ergebnisse der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) zusammengefasst. Die aktuell vorliegende Statistik basiert auf den Daten des Jahres 2017, die mit dem Deutschen Kerndatensatz zur Dokumentation im Bereich der Suchthilfe (KDS), der in seiner aktuellen Fassung seit 2017 Verwendung findet, erhoben worden sind. Im Jahr 2017 wurden in 849 ambulanten und 152 stationären Einrichtungen, die sich an der DSHS beteiligt haben, 322.697 ambulante Betreuungen und 33.588 stationäre Behandlungen durchgeführt.

    Die Suchthilfe in Deutschland zählt zu den größten Versorgungssystemen im Suchtbereich in Europa. Der Bericht bietet neben Informationen über die an der DSHS teilnehmenden Einrichtungen und das Betreuungsvolumen einen Überblick über störungsbezogene und soziodemographische Merkmale der betreuten/behandelten Klientel sowie über Merkmale der Betreuung/Behandlung.

    Datensammlung

    Die Daten der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) werden jährlich bundesweit von ambulanten und stationären Einrichtungen der Suchthilfe erhoben. Die Dokumentation und Datenerhebung erfolgt seit Anfang 2017 mit dem von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) herausgegebenen Deutschen Kerndatensatz zur Dokumentation im Bereich der Suchthilfe 3.0 (KDS 3.0; Manual verfügbar unter: www.suchthilfestatistik.de). Auch in den Jahren vor 2017 erfolgte seit 1980 eine standardisierte Dokumentation im Bereich der Suchthilfe. Seit 2007 wurde mit einer früheren, in weiten Teilen kompatiblen Version des Kerndatensatzes dokumentiert. Da es im Datenjahr 2017 (wie auch im Einführungsjahr des alten KDS 2007) teilweise Probleme mit der Umstellung gab, wird für das Datenjahr 2017 auf längsschnittliche Vergleiche verzichtet. Im Rahmen des KDS werden sowohl Daten zur jeweiligen Einrichtung (z. B. Art der Angebote der Einrichtung, Mitarbeiterstruktur) als auch zur Klientel erfasst, wie z. B. soziodemographische Merkmale, anamnestische Daten, Diagnosen sowie Informationen zu Betreuungs-/Behandlungsverlauf und -ergebnissen (für einen Überblick der Neuerungen im KDS 3.0 siehe Braun & Lesehr, 2017).

    Einrichtungen der ambulanten und stationären Suchthilfe, die ihre Arbeit entsprechend der Vorgaben des Deutschen Kerndatensatzes zur Dokumentation im Bereich der Suchthilfe (DHS, 2018) dokumentieren und in aggregierter Form für die bundesweite Auswertung zur Verfügung stellen, können an der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) teilnehmen. Diese wird jährlich vom IFT Institut für Therapieforschung veröffentlicht.

    Hauptdiagnosen

    Ähnlich wie in den Vorjahren stellen sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich Personen mit Störungen aufgrund des Konsums von Alkohol, Cannabinoiden und Opioiden die drei größten Hauptdiagnosegruppen dar (Thaller, Specht, Künzel & Braun, 2017). Dabei sind alkoholbezogene Störungen die häufigste Hauptdiagnose (ambulant: 48 Prozent, stationär: 67 Prozent), gefolgt von Störungen im Zusammenhang mit Cannabinoiden (ambulant: 18 Prozent, stationär: 9 Prozent) und Opioiden (ambulant: 13 Prozent, stationär: 5 Prozent). Eine weitere häufige Hauptdiagnose sind Probleme aufgrund des Konsums von Stimulanzien (MDMA und verwandte Substanzen, Amphetamine, Ephedrin, Ritalin etc.; ambulant: 6 Prozent, stationär: 7 Prozent). Pathologisches Glücksspielen (PG) ist der sechste große Hauptdiagnosebereich (ambulant: 6 Prozent, stationär: 4 Prozent). Andere psychotrope Substanzen kommen vor allem stationär häufig vor (ambulant: 2 Prozent, stationär: 6 Prozent). Neu ist seit dem Jahr 2017 die Erfassung der Hauptdiagnose exzessive Mediennutzung, auf die jedoch nur geringe Anteile entfallen (ambulant: 1 Prozent, stationär: 0 Prozent).

    Der ausführliche Jahresbericht 2017 der deutschen Suchthilfestatistik steht hier zum Download bereit.

    Quelle: Suchthilfe in Deutschland 2017. Jahresbericht der deutschen Suchthilfestatistik (DSHS). © IFT Institut für Therapieforschung, München

  • Medizinische Verwendung von Cannabis

    Welche Evidenzdaten über die medizinische Verwendung von Cannabis und Cannabinoiden sind verfügbar? Was ist der Unterschied zwischen Cannabispräparaten und Arzneimitteln und warum ist dieser von Bedeutung? Wie ist dieser Themenbereich in der EU geregelt? Diese und andere Fragen sind Gegenstand eines neuen Berichts, der am 4. Dezember 2018 von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) veröffentlicht wurde: „Medical use of cannabis and cannabinoids: questions and answers for policymaking“ (Medizinische Verwendung von Cannabis und Cannabinoiden: Fragen und Antworten für die Politikgestaltung).

    Der Bericht trägt der Tatsache Rechnung, dass immer mehr europäische Länder in diesem Bereich politische Strategien und Verfahren entwickeln und daher ein zunehmendes Interesse an diesem Thema besteht. „Viele EU-Länder gestatten inzwischen die medizinische Verwendung von Cannabis oder Cannabinoiden in bestimmter Form oder ziehen eine solche Zulassung in Erwägung“, heißt es in dem Bericht. Allerdings

    bestehen hinsichtlich der dabei verfolgten Ansätze erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern – sowohl hinsichtlich der zugelassenen Produkte als auch in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihre Bereitstellung. Das Verständnis der vielfältigen nationalen Ansätze ist wichtig, um in der EU eine fundierte politische Debatte über dieses Thema führen zu können.

    In dem vorgelegten Bericht wird die aktuelle Praxis in der EU mit Blick auf die Bereitstellung dieser Substanzen für medizinische Zwecke untersucht. Darüber hinaus werden einige der einschlägigen komplexen Fragestellungen beleuchtet, um Orientierungshilfen für Wissenschaft, Politik und Praxis zu geben. In dem Bericht wird festgestellt, dass sich der Begriff der „medizinischen Verwendung von Cannabis und Cannabinoiden“ auf eine Vielzahl von Produkten und Präparaten beziehen kann, die verschiedene Wirkstoffe enthalten können und auf unterschiedlichem Wege verabreicht werden.

    Der Bericht bietet einen aktuellen Überblick über die für die medizinische Verwendung von Cannabis und Cannabinoiden verfügbaren Evidenzdaten. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass weitere Forschungsarbeiten und klinische Studien erforderlich sind, um die „erheblichen Lücken in den verfügbaren Evidenzdaten“ zu schließen.

    In dem Bericht wird eine Auswahl von Fallstudien aus zahlreichen Drittländern – von den USA über Kanada und Australien bis hin zu Israel – vorgestellt, um unterschiedliche Ansätze für die Zulassung der medizinischen Verwendung von Cannabis zu veranschaulichen.  Darüber hinaus werden die Probleme bei der Entscheidungsfindung in diesem Bereich dargestellt und die vielfältigen Fragestellungen zusammenfassend erläutert, die eine Rolle spielen können, wenn Regierungen über die Zulassung von Cannabis oder Cannabinoiden für die medizinische Verwendung entscheiden. Fragen und Probleme betreffen unter anderem die Art der für Patienten zugelassenen Produkte, die medizinischen Voraussetzungen für ihre Verwendung und die Art der medizinischen und regulatorischen Aufsicht, unter der die Patienten diese Substanzen einnehmen dürfen.

    Alexis Goosdeel, Direktor der EMCDDA, erklärt hierzu: „In den meisten Ländern hat sich im Hinblick auf die Bereitstellung von Cannabis oder Cannabinoide enthaltenden Produkten und Präparaten für medizinische Zwecke im Laufe der Zeit ein Wandel vollzogen – oftmals als Reaktion auf die Nachfrage von Patienten oder Produktentwicklungen. Dieser Bericht soll einen objektiven Überblick über die derzeit verfügbaren Evidenzdaten, die aktuelle Praxis und die jüngsten Erfahrungen in diesem sich sehr schnell entwickelnden Bereich geben. Zudem soll das komplexe Geflecht der in der EU und anderen Teilen der Welt verfolgten Ansätze erläutert werden. Und schließlich wird in dem Bericht deutlich, wie wichtig es ist, bei diesem Thema eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, um eine Grundlage für Evaluierungen und Bewertungen zu schaffen.“

    Pressestelle der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA), 04.12.2018

  • Umsetzung der BORA-Empfehlungen

    Umsetzung der BORA-Empfehlungen

    BORA-Empfehlungen vom 14.11.2014

    In unserem Schwerpunktthema im Mai 2015 stellten wir die Frage „Wofür brauchen wir BORA?“. Zu dieser Zeit waren die BORA-Empfehlungen gerade frisch verabschiedet, und die Einrichtungen gingen daran, Maßnahmen umzusetzen und ihre Konzepte zu überarbeiten. Dies geschah in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß und mit unterschiedlichem Nachdruck durch die Leistungsträger. Dreieinhalb Jahre später werfen wir wieder einen Blick auf Maßnahmen zum Erwerbsbezug in der Suchtreha und fragen „Was hat sich getan?“. Dazu werden zwei Abschlussarbeiten vorgestellt, von denen die eine einen bundesweiten Überblick zur organisatorischen und konzeptionellen Entwicklung gibt und die andere sich auf die konkrete Umsetzung in einer Einrichtung konzentriert.

    Die Umsetzung der BORA-Empfehlungen der Deutschen Rentenversicherung im Bereich Suchtrehabilitation. Eine qualitative Analyse

    Bachelorarbeit von Natascha Otten

    Die Umsetzung der BORA-Empfehlungen der Deutschen Rentenversicherung im Bereich Suchtrehabilitation. Eine qualitative Analyse

    Am 01.03.2015 sind die „Empfehlungen zur Stärkung des Erwerbsbezugs in der medizinischen Rehabilitation“ in Kraft getreten. Diese Empfehlungen wurden von der Arbeitsgruppe BORA (Beruflich orientierte Rehabilitation Abhängigkeitskranker) erarbeitet, deren Mitglieder Expertinnen und Experten der Deutschen Rentenversicherung und der Suchtverbände waren. Ziel dieser Empfehlungen zur Stärkung des Erwerbsbezugs in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker (BORA-Empfehlungen) war es, neue Impulse für eine noch individuellere und an den Teilhabebedarfen der einzelnen Rehabilitandin bzw. des einzelnen Rehabilitanden orientierte Suchtrehabilitation zu geben.

    Im Rahmen der hier vorgestellten Bachelor-Abschlussarbeit setzt sich die Autorin mit dem Stand der Umsetzung dieser Empfehlungen auseinander. Ziel der Arbeit war unter anderem, aufzuzeigen, welche Probleme und Schwierigkeiten bei der Umsetzung auftreten können und welchen Mehrwert diese Empfehlungen für den Bereich der Suchtrehabilitation haben.

    Ausgangslage

    In einem vorausgehenden Forschungsprojekt von Studierenden der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg wurde eine Umfrage zum Stand der Umsetzung der BORA-Empfehlungen durchgeführt. Eine weitere ähnliche Umfrage erfolgte durch den Fachverband Sucht (FVS). Die in beiden Umfragen erzielten Ergebnisse ließen vermuten, dass sich die Umsetzung der BORA-Empfehlungen noch in einem Prozess befindet, da die meisten Kliniken zwar bereits ein BORA-Konzept entwickelt, jedoch noch keine Rückmeldung seitens der Federführer erhalten hatten. Die Mehrheit der Einrichtungen berichtete in den Umfragen von positiven Impulsen und Entwicklungen, lediglich vereinzelte Kliniken empfanden die Empfehlungen als sinnlos.

    Gegenstand der anschließenden Bachelorarbeit war es, die vorliegenden Umfrageergebnisse qualitativ zu evaluieren. Dazu führte die Autorin Experteninterviews durch. Als Interviewpartner wurden Führungskräfte aus Fachkliniken in unterschiedlichen Regionen Deutschlands ausgewählt. Zusätzlich wurden ein Einrichtungsleiter einer Adaptionseinrichtung und zwei Mitverfasser der BORA-Empfehlungen (ein Experte der Deutschen Rentenversicherung und ein Experte aus den Reihen der Suchtverbände) befragt, um einen möglichst guten Überblick zu gewährleisten.

    Fazit der Interviews

    Als eines der aktuellen Hauptprobleme der Umsetzung wurden fehlende finanzielle Ressourcen benannt. Die Ausgangssituationen der einzelnen Kliniken stellten sich als sehr unterschiedlich heraus, sodass auch der Bedarf an finanzieller Unterstützung verschieden groß ist. Für die Umsetzung der BORA-Empfehlungen ist es notwendig, entsprechende Instrumente für Screening- und Assessmentverfahren einzuführen, das vorhandene Personal weiterzubilden und ggf. auch neue berufsbezogene Therapieangebote zu etablieren – alles Maßnahmen, die Geld kosten. Dadurch wird deutlich, dass die fehlende finanzielle Unterstützung durch die Leistungsträger den Hauptgrund für die uneinheitliche Umsetzung darstellt.

    Auffällig war, dass zum Zeitpunkt der Befragung die Umsetzung und Finanzierung von zusätzlichen Maßnahmen im Norden Deutschlands bereits weit fortgeschritten war. Es zeichnete sich eine Art Nord-Süd-Gefälle ab.

    Auch wenn die BORA-Empfehlungen eher als eine Art Ergänzung der bisherigen Strukturen und Prozesse zu verstehen sind, sehen die befragten Experten in ihnen einen Mehrwert, insbesondere für die Evaluation der bisherigen Rehabilitationsprozesse. Durch BORA werden neue Impulse gegeben, um den Reha-Prozess noch individueller zu gestalten und somit bessere Chancen für eine berufliche Wiedereingliederung zu schaffen. Dieses Ziel sollte gerade von den Leistungsträgern auch finanziell unterstützt werden.

    Ausblick

    Wie der Name schon sagt, handelt es sich aktuell lediglich um Empfehlungen ohne verpflichtende Umsetzung für die Einrichtungen. Allein deswegen kann eine bundesweit einheitliche Umsetzung nicht erwartet werden. Die Ergebnisse der qualitativen Erhebung haben gezeigt, dass BORA eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung der beruflichen Orientierung in der Suchtrehabilitation darstellt. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie sich der weitere konzeptionelle Umsetzungsprozess gestalten wird. Sinnvoll erscheint, in drei bis vier Jahren eine erneute Umfrage durchzuführen, weil dann davon auszugehen ist, dass der Umsetzungsprozess weitestgehend abgeschlossen ist und eine umfassende Beurteilung vorgenommen werden kann. Am Ende sollte jedoch die Frage diskutiert werden, ob es nicht sinnvoller wäre, BORA als ein verbindliches Rahmenkonzept einzuführen und zu finanzieren.

    Die Bachelorarbeit steht hier zum Download bereit.

    Kontakt:

    Natascha Otten
    N.Otten@bghw.de

    Angaben zur Autorin:

    Natascha Otten, Absolventin der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg im Bereich Sozialversicherung mit dem Schwerpunkt Unfallversicherung, ist Mitarbeiterin der Berufsgenossenschaft Handel- und Warenlogistik in Essen.

    Evaluation der Implementierung eines neuen beruflich orientierten Rehabilitationskonzeptes für Abhängigkeitskranke (BORA) – Eine empirische Pilotstudie in der Fachklinik Hirtenstein

    Bachelorarbeit von Melanie Zirnsak

    Evaluation der Implementierung eines neuen beruflich orientierten Rehabilitationskonzeptes für Abhängigkeitskranke (BORA) – Eine empirische Pilotstudie in der Fachklinik Hirtenstein

    Im Januar 2017 wurden in der Fachklinik Hirtenstein fünf Zielgruppen implementiert, welche sich an den „Empfehlungen zur Stärkung des Erwerbsbezugs in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker“ (BORA-Empfehlungen; Beckmann u. a. 2014, S. 1) orientieren. Die Implementierung dieser BORA-Zielgruppen stellte den Evaluationsgegenstand einer Pilotstudie dar, welche im Rahmen einer Bachelorarbeit durchgeführt wurde. Da die BORA-Empfehlungen erst 2014 herausgegeben wurden, besitzen sie eine hohe Aktualität und Relevanz für Praxis und Forschung.

    Bei den Empfehlungen der Arbeitsgruppe BORA steht die Förderung der beruflichen Integration im Fokus. Das Augenmerk liegt hierbei nicht auf einer konzeptionellen Neuentwicklung, sondern auf der Weiterentwicklung von bereits bestehenden Therapiekonzepten (vgl. Koch 2015, o.S.). Die BORA-Empfehlungen „beziehen sich auf ein Raster mit fünf Gruppen“ (ebd., o.S.) von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden, welche sehr verschiedene therapiebezogene Bedürfnisse haben können. Abbildung 1 stellt die Aufgliederung in diese fünf Zielgruppen dar.

    Abb. 1: Die fünf BORA-Zielgruppen (Eigene Darstellung in Anlehnung an Beckmann u. a. 2014, S. 11 f.). BBPL = Besondere Berufliche Problemlagen

    Ziel

    Die Arbeit gliedert sich in zwei Bereiche: die theoretische Hinführung zum Thema sowie den Methodenteil. Im theoretischen Teil werden Grundlagen der Suchttherapie, das dynamische Zusammenspiel der einzelnen Therapieziele sowie die Einfluss- und Wirkfaktoren in der Suchttherapie dargestellt. Im Anschluss wird auf die Arbeits- und Berufsorientierung in der Suchttherapie eingegangen. Neben der geschichtlichen Entwicklung geht es hier vor allem um die Aufbereitung und Erläuterung der BORA-Empfehlungen.

    Ziel ist es, die Auswirkungen der Implementierung der fünf Zielgruppen in der Praxis zu erheben und zu bewerten. Die genaue Fragestellung lautet: Wie wirkt sich aus Sicht der therapeutischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Implementierung erwerbsbezugshomogener Bezugsgruppen (ebhB) nach den BORA-Empfehlungen auf die soziale Situation, die Arbeitsweise in den Gruppen und die Gesamtsituation in der Klinik aus?

    Methode

    Die Fragestellung untergliedert sich in fünf Forschungsfragen. So soll evaluiert werden, wie sich die Implementierung auf

    1. die Arbeit in den Bezugsgruppen,
    2. die soziale Situation in den Gruppen,
    3. die soziale Situation zwischen den Gruppen sowie
    4. auf die Gesamtsituation in der Klinik und
    5. die berufliche Tätigkeit der Therapeutinnen und Therapeuten

    auswirkt. Aus diesen Forschungsfragen wurden im Rahmen der Operationalisierung Dimensionen erarbeitet, welche wiederrum Grundlage für die Entwicklung von Indikatoren waren (vgl. Schnell u. a. 2013, S. 118). Die möglichen Auswirkungsbereiche sowie deren Aufgliederung in Dimensionen sind in Abbildung 2 dargestellt.

    Abb. 2: Mögliche Auswirkungsbereiche der Implementierung der ebhB

    Für die Evaluation wurde eine quantitative Erhebung mittels zweier Fragebogen durchgeführt. Ein standardisierter Online-Fragebogen wurde durch einen weitgehend standardisierten papiergebundenen Fragebogen ergänzt. Es wurden alle elf therapeutisch tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachklinik Hirtenstein befragt. Hierdurch handelt es sich um eine Vollerhebung. Da mittels der Befragung die Veränderungen durch die Implementierung erhoben wurden, die Erhebung selbst jedoch erst nach der Implementierung stattfand, handelt es sich um eine quasi-indirekte Veränderungsmessung (vgl. Gollwitzer/Jäger 2014, S. 95). Das Erhebungsinstrument wurde einem zweistufigen Pretest unterzogen. Der Erhebungszeitraum betrug 17 Tage.

    Nur Ergebnisse von Personen, die schon mindestens drei Monate in der Fachklinik Hirtenstein beschäftigt sind, gingen in die Bewertung ein, da nur diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl die Vorher- als auch die Nachher-Situationen kennengelernt haben und somit die Auswirkungen in der Fachklinik einschätzen und bewerten können.

    Ergebnisse

    Die Rücklaufquote lag sowohl bei der Online- als auch bei der papiergebundenen Umfrage bei 100 Prozent.

    1. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gaben an, dass die Arbeit in den erwerbsbezugshomogenen Bezugsgruppen die Konzentration, die Zielgerichtetheit und die Beteiligung der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden erhöht hat. Zudem hat sich die Anschlussfähigkeit erhöht, und es hat eine Veränderung der Themenschwerpunkte stattgefunden.
    2. In Bezug auf die soziale Situation innerhalb der Bezugsgruppen wurden ebenfalls Veränderungen wahrgenommen. So haben sich hier die Gruppenkohäsion und die wechselseitige Unterstützung erhöht. Auch trug die Implementierung zur Verringerung von Konflikten und zur Erhöhung der Interaktion innerhalb der einzelnen Gruppen bei. Die Befragten äußerten zudem, dass sie eine Erhöhung bei der Übereinstimmung von Themen wahrnehmen. Lediglich bei der Identifizierung der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden mit der Gruppe konnten die Befragten keine Veränderung feststellen.
    3. Im Bereich der sozialen Situation zwischen den einzelnen Bezugsgruppen verringerte sich die Abgrenzung zwischen den Gruppen. Im Hinblick auf die wechselseitige Unterstützung sowie die Interaktion zwischen den Gruppen wurde eine Erhöhung wahrgenommen, eine Bildung elitärer Gruppen wurde nicht beobachtet. Das Konfliktniveau wurde als unverändert eingestuft.
    4. Auf die Gesamtsituation in der Klinik hat sich die Einführung ebenfalls ausgewirkt. So wurde von den Befragten eine Verbesserung der Gesamtatmosphäre festgestellt. Auch werden berufsbezogene Aspekte nun stärker in den Behandlungsprozess eingebunden, und der Stellenwert der erwerbsbezogenen Behandlungsanteile hat sich erhöht. Nach Meinung der Befragten kann nun besser auf arbeitsbezogene Probleme eingegangen werden, und die Erwerbstätigkeit rückt stärker in den Fokus.
    5. Bei den Auswirkungen auf die berufliche Tätigkeit der Therapeutinnen und Therapeuten kann festgestellt werden, dass sich die erforderliche Aktivität durch therapeutisch Arbeitende sowie der Aufwand bei der Anwendung therapeutischer Techniken unverändert blieben. Bezüglich der Arbeitsinhalte ist eine Veränderung festzustellen und der allgemeine Arbeits- und Dokumentationsaufwand hat sich durch die Einführung der ebhB erhöht.

    Die Auswirkungen der Implementierung der ebhB werden durch die Forscherin größtenteils als vorteilhaft bewertet. So werden vier der Ergebnisse als neutral eingestuft, und lediglich die Erhöhung des allgemeinen Arbeitsaufwands und des Dokumentationsaufwands wird als negativ eingestuft. Die Bewertung erfolgte auf Grundlage der theoretischen Fundierung.

    Diskussion

    Insgesamt werden die wahrgenommenen Veränderungen überwiegend als positiv eingestuft. Insbesondere kann hier herausgestellt werden, dass die Implementierung der ebhB dem Ziel der BORA-Empfehlungen, der Diversität der Bedürfnisse von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden besser gerecht werden zu können, zuträglich ist (vgl. Beckmann u. a. 2014, S. 17). So deuten die Ergebnisse darauf hin, dass erwerbsbezugshomogene Bezugsgruppen in einigen Bereichen zu einer bedarfsgerechteren Versorgung von Personen mit Abhängigkeitserkrankungen beitragen können. Werden die Ergebnisse der Evaluation in der Fachklinik Hirtenstein betrachtet, so kann die Implementierung aufgrund vielfältiger Verbesserungen nur befürwortet werden und sollte auch von anderen Rehabilitationseinrichtungen in Betracht gezogen werden.

    Aufgrund des eingeschränkten Studiendesigns und der geringen Anzahl partizipierender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten die Ergebnisse äußerst vorsichtig interpretiert werden. Es ist nicht möglich, die Ergebnisse auf andere Kontexte zu übertragen, sie können also nicht für die Allgemeinheit von Rehabilitationseinrichtungen generalisiert werden (vgl. Gollwitzer/Jäger 2014, S. 42). Um ein flächendeckendes Bild zu erhalten, wäre es wünschenswert, dass auch andere Rehabilitationseinrichtungen Studien bezüglich der Auswirkungen durchführen. Auch wäre es sinnvoll, zusätzlich eine Befragung der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden vorzunehmen, um eine abschließende Bewertung der Implementierung zu ermöglichen (vgl. Döring 2014, S. 171).

    Die Bachelorarbeit kann bei der Redaktion KONTUREN angefordert werden: redaktion@konturen.de

    Kontakt:

    Melanie Zirnsak
    melaniezirnsak@googlemail.com

    Angaben zur Autorin:

    Melanie Zirnsak, Absolventin der Hochschule für angewandte Wissenschaften Kempten im Bereich Gesundheitswirtschaft mit dem Schwerpunkt Prävention und Gesundheitsförderung, ist Studentin der Ludwig-Maximilians-Universität in München im Bereich Public Health.

    Literatur:
    • Beckmann, Ulrike/Eckstein, Gerhard/Hennig, Uwe/Hoffmann, Sabine/Koch, Andreas/Köhler, Joachim u. a. (2014): Empfehlungen zur Stärkung des Erwerbsbezugs in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker vom 14. November 2014. Deutsche Rentenversicherung Bund. Berlin.
    • Döring, Nicola (2014): Evaluationsforschung. In: Nina Baur und Jörg Blasius (Hrsg.): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden: Springer Verlag für Sozialwissenschaften, S. 167–181.
    • Gollwitzer, Mario/Jäger, Reinhold S. (2014): Evaluation kompakt, 2., überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz.
    • Koch, A., Wofür brauchen wir BORA? – Ausgangssituation und Aufgabenstellung, KONTUREN online, verfügbar unter: http://www.konturen.de/titelthema/wofuer-brauchen-wir-bora, 6. Mai 2015 [letzter Zugriff 29. November 2018]
    • Schnell, Rainer/Hill, Paul Bernhard/Esser, Elke (2013): Methoden der empirischen Sozialforschung, 10., überarbeitete Auflage. München: Oldenbourg Verlag.
  • Spiritualität in Psychiatrie & Psychotherapie

    Pabst Science Publishers, Lengerich 2018, 412 Seiten, € 35,00, ISBN 978-3-95853-382-0, auch als E-Book erhältlich

    Psychiatrie und Psychotherapie sind gemeinhin vor allem für ein rationales und empirisches Vorgehen bekannt. In der Diagnostik und Therapie psychischer Störungen folgen Behandler, meist unter Zeitdruck, festgelegten Schritten, standardisierten Tests und vorgegebenen Klassifikationen. Doch gerade in den zwischenmenschlichen Kontakten und dem Anvertrauen persönlichster Dinge gibt es auf beiden Seiten viele schwer fassbare Momente, Gefühle und Impulse, die häufig zu wichtigen Wirkfaktoren einer gelingenden Behandlung werden können.

    Spiritualität und Religiosität mögen hier mitschwingen oder dominieren – ob auf Seiten der Patienten oder Therapeuten, ob als kulturelle Grundlage, diffuser Glaube oder zentraler Lebensinhalt. Vor diesem Hintergrund haben Georg Juckel, Knut Hoffmann und Harald Walach Beiträge zusammengestellt, die ausgehend von Christentum, Islam, Judentum und Buddhismus relevante therapeutische Ressourcen detailliert beschreiben. Zudem werden Bereiche der Krankenhausseelsorge, sinngebende Therapieverfahren und ‚Spiritualität für Atheisten‘ aufgegriffen.

    Die Beschäftigung mit Spiritualität und Religiosität in der psychotherapeutischen und psychiatrischen Praxis eignet sich einerseits zur konstruktiven Selbstreflexion und stellt andererseits ein erweitertes Behandlungsrepertoire zur Verfügung. Patienten sind wesentlich häufiger offen für Spiritualität oder Religiosität, als viele Therapeuten vermuten. Das vorliegende Buch will dazu anleiten, bisher vernachlässigte Potentiale zu nutzen und religiös-spirituelle Therapieressourcen zu aktivieren.

  • Cannabis weiterhin prominenteste illegale Droge

    Workbook Drogen
    Kurzbericht

    Am 7. Dezember 2018 wurde der aktuelle Jahresbericht der deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD), ehemals bekannt unter dem Namen „REITOX-Bericht“, veröffentlicht. Er liefert umfangreiches Zahlenmaterial und Hintergrundinformationen zur Drogensituation in Deutschland.

    Cannabis

    Sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen nimmt Cannabis unter den illegalen Drogen weiterhin die prominenteste Rolle ein. Im Vergleich zu anderen Drogen dominiert Cannabis mit einer 12-Monats-Prävalenz von 7,3 Prozent unter 12- bis 17-Jährigen und 6,1 Prozent unter 18- bis 64-Jährigen deutlich. Der Anteil der Jugendlichen und Erwachsenen, die im gleichen Zeitraum irgendeine andere illegale Droge konsumiert haben, liegt bei 1,2 Prozent bzw. 2,3 Prozent. Insgesamt zeigt die Cannabisprävalenz bei Jugendlichen und Erwachsenen bei wellenförmigem Verlauf einen zunehmenden Trend.

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler: „Cannabiskonsum ist und bleibt ein Thema, sowohl bei den Jugendlichen, als auch bei den Erwachsenen. Das ist keine gute Entwicklung! Wer in jungen Jahren regelmäßig kifft, schädigt sich fürs ganze Leben: Merkfähigkeit, Konzentration und Leistungsfähigkeit lassen nach, Depressionen und Schizophrenie können die Folge sein. Daher werden wir ab 2019 eine halbe Million Euro mehr für den Ausbau einer bundesweiten Cannabisprävention mit dem starken Fokus auf Schulen in die Hand nehmen. Damit machen wir klar und deutlich: „Cannabis kann abhängig machen, ist nicht harmlos und hip, sondern eine Droge mit immensen gesundheitlichen Nebenwirkungen!“

    Basierend auf den aktuellsten Bevölkerungsumfragen des Jahres 2015 haben in Deutschland etwa 14,4 Millionen Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren sowie 479.000 Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren zumindest einmal in ihrem Leben eine illegale Droge konsumiert. Dies entspricht einer Lebenszeitprävalenz von 28,2 beziehungsweise 10,2 Prozent.

    Dr. Tim Pfeiffer-Gerschel, Geschäftsführer der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen-und Drogensucht: „Die uns vorliegenden Daten zu Sicherstellungen und zum Konsumverhalten in der Bevölkerung weisen nicht immer in die gleiche Richtung – dennoch können uns beide Informationsquellen wertvolle Hinweise zu verschiedenen Aspekten des Marktgeschehens liefern, die unter Einbeziehung weiterer Informationen zu einem Gesamteindruck beitragen.“

    Sicherstellungen

    Die Sicherstellungsmenge von Kokain ging verglichen mit dem Vorjahr um 337 Prozent nach oben, damit ist bei Kokain der bedeutendste Anstieg im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Sicherstellungsmenge von Marihuana stieg um 30 Prozent an, was auf beträchtliche Einzelsicherstellungen zurückzuführen ist. Der stärkste Rückgang mit 693.668 sichergestellten Tabletten ist für Ecstasy, nach einer Rekordsicherstellungsmenge in 2016, zu verzeichnen  (-69 Prozent). Der starke Rückgang ist durch drei große Sicherstellungen im Jahr 2016 zu erklären, die die Rolle Deutschlands als Transitland zwischen den Niederlanden und der Türkei belegen. Sicherstellungen dieser Größenordnung wurden 2017 nicht verzeichnet. Im Vergleich zum Vorjahr wurde 10 Prozent weniger Heroin und 30,9 Prozent weniger Haschisch sichergestellt.

    Wirkstoffgehalt

    Während der Wirkstoffgehalt bei Cannabisblüten mit durchschnittlich 13,1 Prozent einen neuen Höchststand erreicht und sich dieser beim Kokain im Straßenhandel seit 2011 mehr als verdoppelt hat (2017 bei 78,4 Prozent), ist bei den Amphetaminen ein markanter Rückgang zu verzeichnen. Nach einem Peak im Jahr 2016 (42,1 mg/Konsumeinheit (KE)) hat sich der Wirkstoffgehalt wieder deutlich auf 18 mg/KE reduziert.

    Der vorliegende Jahresbericht wird jährlich durch die Deutsche Drogenbeobachtungsstelle (DBDD) als Beitrag zum Europäischen Drogenbericht erstellt. Die acht Workbooks und der zehnseitige Kurzbericht finden Sie unter www.dbdd.de.

    Gemeinsame Pressemitteilung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung und der DBDD, 07.12.2018

  • Abstinent durch Selbsthilfegruppe

    Neu erschienen ist eine Statistik der fünf Sucht-Selbsthilfe- und Abstinenzverbände (Blaues Kreuz in Deutschland e.V., Blaues Kreuz in der Evangelischen Kirche – Bundesverband e.V., Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe – Bundesverband e.V., Guttempler in Deutschland e.V. und Kreuzbund e.V.) für das Jahr 2017. Die Erhebung enthält wichtige Angaben zur Arbeit in den Sucht-Selbsthilfegruppen und deren Leistungen sowie zu Entwicklungen und neuen Tendenzen. Finanziell gefördert wurde die Erhebung von der Techniker Krankenkasse. 

    Grundsätzliche Feststellungen

    2017 wurden in den 4.110 Gruppenangeboten der fünf Sucht-Selbsthilfe- und Abstinenzverbände fast 70.000 Personen erreicht, davon waren rund 30.000 Frauen und 40.000 Männer, die die Gruppen besuchten. Die Zahl der Angehörigen, die eine Gruppe besuchten, ging in 20 Jahren von ca. 30 Prozent auf 19 Prozent zurück. Hier sehen die fünf Verbände Handlungsbedarf. Interessant ist der starke Anstieg der Abhängigen von illegalen Drogen auf knapp 3.200 Personen im Vergleich zu 830 Personen im Jahr 2010. Dies darf als Indiz für die erfolgreiche suchtstoffübergreifende Arbeit der Verbände gewertet werden.

     Altersstruktur und Rückfallquote

    Fast die Hälfte der Gruppenteilnehmenden in den fünf Verbänden ist zwischen 41 und 60 Jahren alt. In dieser Altersgruppe finden die meisten neuen Gruppenteilnehmenden in die Selbsthilfe. Der hohe Anteil der über 60-Jährigen ist mit der außerordentlichen Haltequote und mit rückfallprophylaktischen Gründen verknüpft. Aus der Erhebung ergab sich, dass gut jeder fünfte Suchtkranke durch die Selbsthilfegruppe abstinent geworden ist und kein Angebot der beruflichen Suchthilfe nutzen musste.

    Insgesamt wurde deutlich, dass die Sucht-Selbsthilfe eine wertvolle Arbeit leistet und dazu beiträgt, dass Suchtkranke abstinent bleiben und nicht zuletzt Behandlungserfolge aus der beruflichen Suchthilfe gesichert werden. So blieben 87 Prozent der Suchtkranken ohne Rückfall. Nur 13 Prozent wurden rückfällig. Ermutigend ist, dass mehr als drei Viertel der rückfällig gewordenen Personen wieder zu einem stabilen abstinenten Leben zurückfinden konnten. Der stellvertretende Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, Dr. Peter Raiser, stellt fest: „Die Erhebung der fünf Sucht-Selbsthilfeverbände zeigt einmal mehr, dass die Sucht-Selbsthilfegruppen ein unverzichtbarer Teil des Suchthilfesystems sind. Durch ihre Arbeit bleiben in Deutschland mehr als 50.000 Suchtkranke suchtfrei bzw. stabilisieren sich nach einem Rückfall.“

    Ausbildungen in der Sucht-Selbsthilfe

    In den Sucht-Selbsthilfeverbänden haben sich mittlerweile rund 11.000 Menschen zu Gruppenleitenden, ehrenamtlich Mitarbeitenden in der Suchtkrankenhilfe (Grundausbildung) bzw. Mitarbeitenden in der betrieblichen Suchtkrankenhilfe ausbilden lassen, die sich nun in der Selbsthilfe engagieren.

    Die Statistik 2017 der fünf Sucht-Selbsthilfe- und Abstinenzverbände kann eingesehen werden auf: http://www.dhs.de/arbeitsfelder/selbsthilfe/statistik-der-fuenf-selbsthilfe-und-abstinenzverbaende.html

    Pressestelle der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), 06.12.2018

  • Gutachten „Angemessene Vergütung“

    Angemessene Vergütung für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Zuständigkeitsbereich der Deutschen Rentenversicherung
    Ein Beitrag zur Entgeltregulierung im Sozialversicherungsrecht

    Duncker & Humblot, Berlin 2018, 124 Seiten, € 69,90, ISBN 978-3-428-15594-1, auch als E-Book oder in Kombination Print & E-Book erhältlich

    Die gesetzliche Rentenversicherung erbringt Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für ihre Versicherten unter Inanspruchnahme geeigneter Rehabilitationsdienste und ‑einrichtungen. Diese Dienste und Einrichtungen haben nach dem SGB IX Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Da wegen der Marktmacht der Rentenversicherungsträger das vom Gesetzgeber gewollte Wettbewerbskonzept versagt, ist die Vergütung der Rehabilitationsleistungen nach Maßgabe eines zweistufigen Verfahrens aus Kostenprüfung und Vergütungsvergleich zu ermitteln, welches das Bundessozialgericht für andere nicht wettbewerblich strukturierte Leistungserbringermärkte entwickelt hat.

    Inhalt:

    A. Gegenstand und Gang der Untersuchung

    B. Dreistufiges Verfahren der Erbringung stationärer Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch Träger der gesetzlichen Rentenversicherung in Vertragseinrichtungen i.S.d. § 38 SGB IX

    C. Vergütungsvertrag für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (zweite Verfahrensstufe)

    D. Vergütungshöhe: Ausführung der Leistung nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, insbesondere zu angemessenen Vergütungssätzen (§ 36 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB IX)

    E. Ermittlung der angemessenen Vergütung i.S.d. § 36 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB IX nach Maßgabe des Zwei-Stufen-Verfahrens des Bundessozialgerichts

    F. Zusammenfassung der Ergebnisse

    Literatur- und Sachwortverzeichnis

  • Expertise zu Tätigkeiten und Potentialen der Suchtberatung

    Die Caritas Suchthilfe e. V. (CaSu), Freiburg, und der Gesamtverband für Suchthilfe e.V. (GVS – Fachverband der Diakonie Deutschland), Berlin, haben gemeinsam die Expertise „Tätigkeiten und Potentiale der Funktion ‚Suchtberatung‘“ in Auftrag gegeben, die jetzt vorliegt. Damit wollen die Verbände die Suchtberatungsstellen in ihrer Aufgabenerfüllung und ihrer kommunal und regional verankerten Rolle unterstützen. Verfasst wurde die Expertise von Prof. Dr. Rita Hansjürgens, Alice-Salomon-Hochschule, Berlin.

    Der innovative Kern der vorliegenden Untersuchung liegt in der Beschreibung der von Fachkräften der Sozialen Arbeit im Rahmen der Suchtberatung tatsächlich wahrgenommenen Tätigkeiten. Diese hat Prof. Hansjürgens in ihrer mehrjährigen Forschungsarbeit auf der Basis von Selbstbeschreibungen der Mitarbeiter/innen in Suchtberatungsstellen qualitativ rekonstruiert. Darüber hinaus konnte sie die Wirkung der Tätigkeiten datenbasiert auf der Grundlage der Deutschen Suchthilfestatistik beschreiben.

    Die Expertise „Tätigkeiten und Potentiale der Funktion ‚Suchtberatung‘“ wurde von CaSu und GVS mit dem Ziel in Auftrag gegeben, die Stellung und das besondere Portfolio von Suchtberatung im Feld suchtbezogener Hilfen und in der (kommunalen) Daseinsvorsorge herauszuarbeiten. Darüber hinaus zeigt sie Herausforderungen auf, die sich durch die unterschiedlichen Logiken der Ressourcenausstattung ergeben.

    Suchtberatungsstellen werden von Fachverbänden zwar als wichtiger Hilfeakteur im Feld suchtbezogener Hilfen eingeschätzt, aber ihre Bedeutung und Wirkung für Betroffene sowie für die sozialwirtschaftliche und gesellschaftspolitische Dimension wurden bisher nicht explizit herausgearbeitet. Dies kann die hier vorliegende Expertise in Gänze auch nicht leisten, aber sie ordnet Suchtberatung in einen Gesamtkontext ein und stellt die Potentiale für Klient/innen und auch für den Bereich suchtspezifischer Angebote dar.

    Die Untersuchung verfolgt das Anliegen, die Grundlage für eine Diskussion zu liefern, welche dazu beitragen soll, die Potentiale von Suchberatung – unter Berücksichtigung ihrer sozialpolitischen und sozialadministrativen Allokation und deren Implikationen – zu erhalten bzw. auszubauen.

    Der Expertise vorangestellt ist ein Exzerpt, welches die wesentlichen Punkte und Ergebnisse zusammenfasst. Das Papier aus Exzerpt und Expertise steht auf den Websites der Verbände CaSu und GVS zum Download zur Verfügung:

    http://www.caritas-suchthilfe.de/informationen/positionen-und-stellungnahmen/positionen
    http://www.sucht.org/fileadmin/user_upload/Mediendownloads/Expertise_und_Exzerpt.pdf

    Redaktion KONTUREN, 13.12.2018

  • Weiterbildung zur Suchttherapeutin/ zum Suchttherapeuten

    Die Gremien der Renten- und Krankenversicherung haben beschlossen, dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 17. August 2017, welches die Zugangsvoraussetzungen zur Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten betrifft, zu folgen.

    Das BVerwG hat mit Urteil vom 17. August 2017 zu Az. 3 C 12.16 entschieden, dass die Voraussetzung für der Zugang zur Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten nach  § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a Psychotherapeutengesetz (PsychThG) mit einer im Inland an einer Universität oder gleichstehenden Hochschule bestandenen Abschlussprüfung im Studiengang Psychologie, die das Fach Klinische Psychologie einschließt, erfüllt wird (vgl. Pressemitteilung vom 17.08.2017 zum Urteil des BVerwG).

    Durch die Beschlüsse der Rehabilitationsträger, dem Urteil des BVerwG zu folgen, ändern sich die Zulassungsvoraussetzungen bei Personen, die einen Masterabschluss in Psychologie aufweisen. Bisher wurde der konsekutive Master in Psychologie mit Berechtigung zur Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten für die Weiterbildung zum Suchttherapeuten gefordert. Unter Berücksichtigung des Urteils entfällt das Kriterium „konsekutiv“, und es wird nunmehr ein Master in Psychologie mit Berechtigung zur Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten für die Weiterbildung zum Suchttherapeuten gefordert. Auf den Studiengang, in dem der Bachelor absolviert wurde, kommt es deshalb nicht mehr an.

    Die Deutsche Rentenversicherung hat hierüber alle Weiterbildungsinstitute, die eine von der Renten- und Krankenversicherung geprüfte Weiterbildung zum Suchttherapeuten anbieten, informiert. Von einer Änderung der „Auswahlkriterien zur Prüfung von Weiterbildungen für Gruppen- und Einzeltherapeuten im Tätigkeitsfeld der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker gemäß den Anlagen 1 und 2 der Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen vom 4.5.2001“ in der Fassung vom 23. September 2011 sieht die DRV derzeit ab. Es soll jedoch einen entsprechenden Hinweis im Internetangebot der Rentenversicherung geben.

    Redaktion KONTUREN, 13.12.2018