Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2018, 276 Seiten, € 54,00, ISBN 978-3-8487-4252-3
Der digitale Wandel lässt sich nicht weghoffen, er verändert die Welt der sozialen Dienstleistungen erheblich: Bislang unbekannte Wettbewerber tauchen auf, Klienten und Mitarbeiter stellen veränderte Anforderungen oder neue Geschäftsmodelle werden möglich. Dieser Band informiert über Grundlagen und Herausforderungen des digitalen Wandels und stellt strategische Ansätze vor. Er liefert methodisches Knowhow, um die eigene Unternehmensstrategie neu zu justieren, digitale Dienstleistungen zu entwickeln oder Geschäftsmodelle zu gestalten. Die Potenziale von Branchensoftware, Sozialen Medien, Big Data, dem Internet der Dinge sowie von Assistenztechnologien werden aufgezeigt. Beiträge zu digitaler Teilhabe, Arbeitsgestaltung, Datensicherheit und Kompetenzentwicklung in einer digitalisierten Sozialwirtschaft runden den Sammelband ab.
Persönliche Verabschiedung: Prof. Dr. Andreas Koch mit der buss-Vorsitzenden Dr. Wibke Voigt (Mitte) und den beiden stellvertretenden Vorsitzenden, Gotthard Lehner (o.) und Dr. Bernd Wessel (u.)
Am 21. und 22. März veranstaltete der Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss) in Berlin unter dem Titel „Suchtarbeit 4.0“ seine 104. Wissenschaftliche Jahrestagung. Aber der heimliche Höhepunkt fand bereits vor der Tagung statt. In der Mitgliederversammlung am 20. März wurde der bisherige Geschäftsführer verabschiedet und der Nachfolger vorgestellt.
Seit 2005 hat Prof. Dr. Andreas Koch in enger Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle in Kassel und dem Vorstand den buss zu einer leistungsfähigen Dienstleistungsorganisation weiterentwickelt, die die Mitglieder in allen fachlichen und organisatorischen Fragen unterstützt. In dieser Zeit ist ein moderner Verband entstanden, der sich aber auch seiner langen Tradition seit der Gründung im Jahr 1903 bewusst ist. Innerhalb der Sucht- und Reha-Landschaft sowie gegenüber den Leistungsträgern genießt der buss heute ein hohes Ansehen.
Konsequent setzte sich Prof. Koch für die Interessen ‚seiner‘ Mitglieder sowie für Weiterentwicklungen im Versorgungssystem ein. Hervorzuheben sind die vielen individuellen Beratungen und Kontakte mit Einrichtungen, Leistungsträgern und Partnerverbänden. In zahlreichen Gremien und Projekten brachte Prof. Koch seine Kommunikations- und Konsensfähigkeit und seine ausgeprägte Zielorientierung gewinnbringend für die Sache und für die Beteiligten ein. 2014 hat er das Online-Magazin KONTUREN (dev.konturen.de/) auf Initiative des damaligen Vorsitzenden Dr. Martin Beutel mitkonzipiert und in den folgenden Jahren als Mitherausgeber maßgeblich vorangebracht. Außerdem war Prof. Koch als Vorstandsmitglied in der deQus (Deutsche Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Suchttherapie) für die Weiterentwicklung dieses wichtigen Unterstützungsangebotes für die Mitglieder mit verantwortlich.
Bei der Mitgliederversammlung verabschiedeten sich die Vorstandsmitglieder von buss und deQus einzeln von Prof. Koch und erzählten jeweils eine ganz persönliche Geschichte, die sie mit ihm verbinden. So entstand ein vielfältiges Bild wesentlicher Themen und Aufgaben aus fast 13 Jahren Verbandsarbeit.
Zum Abschluss ergriff Prof. Koch selbst das Wort. Noch nie habe er mit so vielen freundlichen und engagierten Menschen zusammengearbeitet. Die enorme Komplexität der Verbandsarbeit und die vielfältigen Kooperationsbeziehungen haben ihm außerordentlich viel Spaß gemacht. Und obwohl er es bislang mit den ‚Toten Hosen‘ gehalten hat (‚Ich würde nie zum FC Bayern gehen!‘) zieht es ihn nun in den Süden. Gemeinsam mit seiner Frau möchte er nochmal etwas ganz Neues ausprobieren. So wird er ab September 2018 bei den Ordenswerken des Deutschen Ordens die Verantwortung für den Geschäftsbereich Jugend- und Suchthilfe übernehmen und sich in München niederlassen.
Mit großer Spannung wurde natürlich auch die Vorstellung des neuen Geschäftsführers erwartet. Dem Vorstand ist es gelungen, im Rahmen einer Ausschreibung viele Bewerberinnen und Bewerber für die Arbeit beim buss zu interessieren und zeitnah eine einstimmige Entscheidung zu treffen. Gero Skowronek passt mit seiner offenen Persönlichkeit sehr gut zum buss und übernimmt ab Juni 2018 die Aufgaben des Geschäftsführers. Er war zuletzt als Geschäftsführer der Paracelsus-Kliniken Deutschland tätig und hat davor als Leiter Personal und Recht beim Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf gGmbH auch den Wohlfahrtsbereich kennengelernt. Zudem konnte er in der Kommunalpolitik seiner Heimatstadt Düsseldorf viele Erfahrungen in der Netzwerkarbeit sammeln. Herr Skowronek ist verheiratet und hat zwei Kinder (eine Tochter und einen Sohn). In der Mitgliederversammlung und beim anschließenden Abendessen konnten die buss-Mitglieder ihren neuen Geschäftsführer persönlich kennenlernen.
Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss), 09.05.2018
Digitalisierung ist eine Revolution. Sie wird nicht nur die Wirtschaft und die Produktion radikal verändern, sondern auch unsere Kommunikation. Bis auf die Beziehungsebene werden die Auswirkungen spürbar werden. In sehr kurzen Zeitabständen werden immer weitere Innovationen marktreif. Nicht zuletzt wird sich durch die Digitalisierung das Arbeitsleben verändern. Es wird Aufgabe der Politik sein, dafür Sorge zu tragen, dass dieser Prozess die Gesellschaft nicht in Digitalisierungsgewinner und Digitalisierungsverlierer spaltet.
Die Digitalisierung ist bereits dabei, zunehmend alle Lebensbereiche zu durchdringen und zu verändern. Bereits heute sehen wir, dass ganze Häuser in kürzester Zeit im 3D-Druck erstellt werden, dass selbstfahrende Autos in Aussicht gestellt sind. Auch im Gesundheitsbereich werden heute Methoden eingesetzt, die vor wenigen Jahren noch nach Science-Fiction geklungen haben. Virtual Reality-Brillen finden erfolgreich Anwendung in der Arbeit mit demenzkranken Menschen oder in der Schmerztherapie. Depressionen werden mit Online-Therapieangeboten behandelt, und das Smartphone hilft bei der Hautkrebsvorsorge. Bewerbungsgespräche werden immer mehr von Chat-Bots und von mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Roboterelementen flankiert.
Die Dynamik dieser Entwicklungen ist atemberaubend, dabei stehen wir erst am Anfang. Gleichwohl ist die Digitalbranche schon größter Arbeitgeber in Deutschland. Von den fünf wertvollsten Konzernen der Welt sind Anfang 2018 fünf Digitalkonzerne.
Was kann die Digitalisierung der Suchthilfe und ihren Klient/innen bieten?
Ratsuchende informieren sich bereits heutzutage immer häufiger im Internet über Angebote, kommunizieren über soziale Netzwerke und suchen online nach seriösen Informationsmöglichkeiten und kompetenter Beratung. Zudem nutzen sie verstärkt mobile Kommunikationskanäle.
Auch wenn der Bedarf an individueller und qualitativ hochwertiger Beratung von Mensch zu Mensch bleiben wird, wird dennoch die Nachfrage und Akzeptanz gegenüber digitalen Dienstleistungen ansteigen. Die Digitalisierung wird deshalb auch für psychosoziale Dienste das Thema in den nächsten Jahren sein.
Wenn in der Suchthilfe oder Suchtprävention das Thema Digitalisierung im Mittelpunkt steht, geschieht dies bislang zumeist nur mit dem Fokus auf die Klient/innen. Entweder weil eine mögliche Suchtgefahr durch die exzessive Mediennutzung droht oder weil man die technischen Möglichkeiten als neue Kommunikationskanäle im Kontakt zu Klient/innen betrachtet. Vielfach unbeachtet bleibt, welche Änderungen des Arbeitsfeldes durch die veränderten Angebote entstehen, z. B. dass neue Qualifikationsanforderungen an die Mitarbeiterschaft gestellt werden. Aber auch die anstehenden Veränderungen von Arbeitsabläufen in der Verwaltung und dem Management von Einrichtungen durch diese Entwicklungen, bis hin zu der Frage, wie zukunftsfähig Suchtberatungsstellen, wie wir sie heute kennen, zukünftig noch sind, scheinen mir noch zu wenig im Blickfeld zu sein.
In der Suchtprävention und Suchthilfe haben sich in den letzten Jahren durchaus Aktivitäten entwickelt, digitale Techniken für das Arbeitsfeld zu nutzen. Im Internet finden sich strukturierte Programme, Apps und Selbsthilfemanuale. Informationsportale für unterschiedliche Zielgruppen geben Menschen Orientierung, bieten anonym und kostenfrei Hilfe, 24 Stunden/7 Tage. In Hamburg wird das komplette Angebot einer Beratungsstelle online vorgehalten. Fortbildungen sparen als Webinare Zeit und Fahrtkosten und vergrößern die Teilhabe an Fortbildungen. Erklärvideos lassen sich schnell in mehreren Sprachvariationen erstellen und kommen einem geänderten Rezeptionsbedürfnis nach.
Diesen digitalen Solitärangeboten der Suchthilfe steht im ambulanten Bereich eine Praxis gegenüber, in der potentielle Klientinnen und Klienten allerdings hinnehmen müssen,
dass viele Homepages von Suchtberatungsstellen kaum mehr als dürftige Informationen über das Angebot, die Mitarbeitenden und ihre Qualifikation bieten,
dass ihnen Anfragen per Email nicht angeboten werden,
dass zum Notieren der komplexen Öffnungszeiten einer Beratungsstelle laut Text auf dem Anrufbeantworter eine halbe DIN A4-Seite notwendig ist,
dass sie lange Anfahrtswege in Kauf nehmen sollen, um Informationen zu erhalten,
dass ihnen Gespräche nur zu Zeiten angeboten werden, zu denen sie vielfach arbeiten müssen.
Solchen Gegebenheiten stehen Wünsche und Bedürfnisse seitens der Klient/innen oder Angehörigen gegenüber, die sich wie folgt skizzieren lassen: schnelle kostenlose Unterstützung, Hilfe soll dann zur Verfügung stehen, wenn es gewünscht wird (24 Stunden/7Tage). Die Inanspruchnahme soll einfach und komfortabel sein, ohne Wartezeiten und Anrufbeantworter …
Ergänzt werden diese Anforderungen durch Wünsche seitens der (finanziellen) Auftraggeber der Einrichtungen: Die individuellen Problemlagen sollen schnell, effektiv, nachhaltig und kostengünstig verbessert werden, um persönliches Leid und gesellschaftliche Folgekosten zu minimieren bzw. potentielle Problemlagen erst gar nicht entstehen zu lassen.
Können digitale Assistenzsysteme bei der Bewältigung dieser Anforderungen helfen?
Es gibt mehrere Gründe, auf der Basis der Erfahrungen, die die Suchthilfe mit den vorhandenen Angeboten bereits gemacht hat, weitere digitale Assistenzsysteme zu entwickeln:
Die aufgezeigten generellen Veränderungen in unserer Umwelt durch digitale Angebote und eine damit einhergehende geänderte Rezeption von Informationen und Unterstützungsleistungen verändern zunehmend auch die Erwartungshaltungen der Klient/innen in Bezug auf Suchthilfeangebote.
Der demographische Wandel führt zu einer Zunahme immobiler Menschen nicht nur im ländlichen Raum. Zusätzlich sorgt die strukturelle Ausdünnung in ländlichen Gebieten auch für eine Reduzierung wohnortnaher Hilfestrukturen.
Digitale Techniken bieten neue Möglichkeiten der Begleitung von Klient/innen. Erfahrungen mit digital gestützten Angeboten in der Nachsorge zeigen, dass diese dazu beitragen können, mit Menschen in kritischen Situationen in Kontakt zu bleiben und Rückfällen vorzubeugen. Der Einsatz digitaler Techniken bietet die Chance, den Anspruch der Suchthilfe, individuell auf Klient/innen einzugehen, weiter auszubauen.
In Deutschland leben circa zehn Millionen Menschen, die Probleme mit Suchtmitteln haben. Davon erreicht die Suchthilfe mit ihren umfangreichen Angeboten jedoch nur einen einstelligen Prozentsatz. Es ist seit vielen Jahren der ausgesprochene Wunsch der Suchthilfe, mehr Menschen, und diese zu einem früheren Zeitpunkt, mit dem Suchthilfesystem in Kontakt zu bringen. Auch die Politik hat dieses Ziel mit mehreren entsprechenden Modellvorhaben und Forschungsarbeiten unterstützt, ohne dass sich jedoch in der Praxis große positive Veränderungen gezeigt hätten.
Die Tatsache, dass Suchthilfeangebote nur einen Bruchteil der betroffenen Menschen erreichen, muss Anlass sein, darüber nachzudenken, wie mithilfe digitaler Angebote der Erreichungsgrad erweitert werden könnte. Möglichkeiten der unkomplizierten und niedrigschwelligen Zugänge zum Hilfesystem sind hier primär zu nennen. Diese digitalen Angebote sollten über eine Schnittstelle zur Kontaktaufnahme mit einer professionellen Hilfeeinrichtung verfügen. Der Kontakt kann je nach den Bedürfnissen der/des Betroffenen per E-Mail-Chat, telefonisch oder face-to-face erfolgen.
Die Erfahrungen zeigen, dass Klient/innen nach wie vor Wert auf den persönlichen Kontakt zu ihrem Berater/ihrer Beraterin oder ihrem Therapeuten/ihrer Therapeutin legen. Allerdings liegen inzwischen bei verschiedenen Krankheitsbildern (z. B. Depressionen) Befunde vor, die auch bei einer ausschließlich online durchgeführten Therapie keine signifikanten Unterschiede bzgl. der Beziehungsqualität im Vergleich zu einer face-to-face-Therapie zeigen.
Datenschutz
Die aktuell große Dynamik bei der Entwicklung digitaler Angebote auch im Bereich der Suchthilfe und Suchtprävention erzeugt aufgrund des Anspruchs der Ressourcenschonung und des Verbraucherschutzes einen dringlichen Bedarf nach Systematisierung und Qualitätsbewertung der Angebote.
Das Thema Datenschutz verdient gerade im sensiblen Bereich der Suchhilfe höchste Beachtung. Die gesetzlichen Vorgaben zur Datensparsamkeit und Datenvermeidung sind auch bei Angeboten der Suchthilfeträger unbedingt zu beachten. Elektronische Kommunikationswege sollten die aktuell sichersten Übertragungsstandards verwenden. Die Diskussion um den Datenschutz darf allerdings nicht dazu missbraucht werden, um Veränderung zu unterbinden.
Fördermöglichkeiten
Die Politik hat die enorme Bedeutung des digitalen Wandels erkannt und stellt Fördermöglichkeiten zur Verfügung, die auch für Suchthilfeträger von Interesse sein können. In Hessen hat z. B. das Sozialministerium zwölf Millionen Euro für innovative E-Health-Projekte in den Haushalt 2018/19 eingestellt.
Während das Internet per se keine räumlichen Grenzen kennt, existieren diese allerdings in starkem Maße in den gesetzlichen Finanzierungsvorgaben bei Kommunen und Ländern. Diese Herausforderung bedarf eines kreativen Umgangs mit der Finanzierung von internetgestützten Angeboten, die auch von Menschen außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs in Anspruch genommen werden (können).
Handlungsschritte
Suchthilfeträger sollten jetzt die Zeit dafür nutzen, sich intensiv mit der Thematik zu beschäftigen, die Mitarbeiterschaft fortzubilden, zu prüfen, inwieweit digitale Assistenzangebote die aktuellen Hilfemöglichkeiten erweitern können, und diese dann mit Hilfe staatlichen Fördermöglichkeiten entwickeln.
Als erster Schritt in diese Richtung wäre es notwendig, dass sich das Arbeitsfeld den aktuellen Entwicklungen stärker öffnet und verstehen lernt, was es eigentlich heißt, am Anfang einer „digitalen Revolution“ zu stehen, und welche Auswirkungen diese „disruptive Technologie“ für das eigene Arbeitsfeld hat. Hierbei könnten die Verbände eine koordinierende Funktion einnehmen und umgehend entsprechenden Fortbildungsangebote anbieten.
In einem zusätzlichen Qualifizierungsprogramm könnten technikaffine und innovative Mitarbeiter/innen mit Unterstützung der verbandlichen Fortbildungsakademien und Landesstellen für Suchtfragen zu „Digitalen Lotsen“ ausgebildet werden. Die Teilnehmer/innen erhalten dabei einen Überblick über die Digitalisierung im psychosozialen und E-Health-Bereich. Weitere Themen wären z. B. die Klärung von Rechtsfragen und Datenschutzaspekten im Kontext der Digitalisierung. Auch die Kommunikation in internetbasierten Netzwerken wie Foren, Blogs und sozialen Medien sollte Teil der Qualifizierung sein.
Ihr Wissen und ihre Erfahrungen geben die Digitalen Lotsen als Multiplikatoren zielgerichtet an Kollegen/innen weiter. Praktische Hilfe im Umgang mit den neuen Anwendungsfeldern digitaler Assistenzmöglichkeiten zählt ebenso zu ihren Aufgaben wie das Bestreben, die Motivation für den digitalen Wandel weiter zu stärken. Durch den regelmäßigen Fachaustausch auf Landes- und/oder Bundesebene bauen die Digitalen Lotsen die digitale Fitness der Suchthilfe zum Wohle der Klientinnen und Klienten weiter aus.
Ausblick
Die schon angesprochene Dynamik der technischen Entwicklung wird sich auch in Zukunft fortsetzen. Die Rolle sprachgesteuerter Assistenzsysteme (Amazons Alexa oder Echo von Google) wird stärker, die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) wird ‚Maschinen‘ in die Lage versetzen, eigenständig zu kommunizieren. Der Fortschritt in den Bereichen Virtual Reality und Augmented Reality wird ganz neue Eisatzmöglichkeiten dieser Techniken erschließen.
Die digitale Revolution ist keine Entwicklung, die man befürworten oder ablehnen kann, sondern ein kultureller Wandel, den es zu gestalten gilt. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass nicht nur etablierte Firmen, sondern ganze Branchen durch die Digitalisierung von einem tiefgreifenden Wandel erfasst werden können. So wird die Taxibranche weltweit durch Unternehmen wie Uber in ihrer Existenz bedroht. Der traditionelle Einzelhandel wird durch Online-Anbieter immer mehr in die Defensive gedrängt und kann nur mit neuen, kundenorientierten Konzepten überleben.
Die freie Wohlfahrtspflege hat derzeit praktisch ein Monopol in der Suchtprävention und der ambulanten Suchtberatung. Dies resultiert – neben anderen historischen und gesetzlichen Gründen – auch daraus, dass mit diesen Arbeitsfeldern bislang kein Geld zu verdienen ist. Sollte Letzteres durch die Etablierung neuer, digitaler Geschäftsmodelle möglich werden, könnten Start-ups ganz schnell Angebote etablieren, die nicht unbedingt in der Tradition der Suchthilfeträger stehen (analog den zunehmend erfolgreicheren FinTechs in der Finanzwirtschaft) und zu einer völligen Neujustierung der Arbeitsfelder führen.
Ich würde mir wünschen, dass die Suchthilfeträger einer solchen Entwicklung nicht passiv zusehen, sondern möchte sie ermuntern, die fachlichen Kompetenzen der Suchthilfe um digitale Kompetenzen zu erweitern und diese Angebote selbst zur Verfügung zu stellen.
Den ersten Schritt haben Sie dazu heute mit dem Besuch dieser Veranstaltung gemacht. Dazu auch meinen herzlichen Glückwunsch an den buss. Es ist meines Wissens der erste bundesweite Suchtkongress, der das Thema so prominent aufgreift. Ein gutes und wichtiges – ein notwendiges Signal.
Herzlichen Dank.
Angaben zum Autor:
Wolfgang Schmidt-Rosengarten ist Leiter des Referats Prävention, Suchthilfe im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration in Wiesbaden. Vorher war er rund 20 Jahre Geschäftsführer der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen e.V. (HLS) in Frankfurt am Main.
Nachgewiesene Streckmittel und Begleitstoffe. Quelle: Substanzmonitoring in Konsumräumen – Analysenergebnisse der Untersuchungen des Jahres 2017, Universitätsklinikum Freiburg
Was ist eigentlich in illegalen Drogen enthalten? Das wollte die Stadt Frankfurt wissen und hat Proben aus drei Drogenkonsumräumen untersuchen lassen. Vor allem der Wirkstoffgehalt von Heroin war deutlich geringer als erwartet.
Von der Herstellung bis zum Konsum gehen illegale Drogen wie Heroin und Kokain durch viele Hände. Händler strecken die Drogen, um ihre Gewinnspanne zu erhöhen. Was letztlich bei Konsumierenden ankommt, das wollte die Stadt Frankfurt genauer wissen und ließ erstmals Rückstände aus Drogenverpackungen und Spritzen analysieren. Gesundheitsdezernent Stefan Majer erklärt: „Der Handel und Konsum von illegalen Drogen stellt nach wie vor ein großes Dunkelfeld dar. Niemand kann sagen, was genau er oder sie gerade konsumiert.“
Die Proben stammen aus Drogenkonsumräumen, in denen sich Abhängige ihre Drogen unter hygienischen Bedingungen spritzen können und schnell Hilfe bekommen, falls ein Notfall eintritt. Mehr als 400 Heroin- und Kokainproben wurden an das Institut für Rechtsmedizin der Universität Freiburg geschickt und unter der Leitung von Prof. Dr. Volker Auwärter analysiert. Bei der Analyse von Heroinproben zeigte sich ein auffälliges Ergebnis: Der durchschnittliche Reinheitsgehalt betrug nur neun Prozent. Sicherstellungen von Heroin in der Europäischen Union legen jedoch Reinheitsgehalte von etwa 19 Prozent auf der untersten Handelsebene nahe.
Heroin, das in Frankfurt von Konsumierenden erworben wird, enthält somit überwiegend andere Substanzen. Darunter sind Begleitstoffe, die bei der Herstellung der Droge entstehen, und Streckmittel, die von Händlern zwecks Gewinnmaximierung hinzugefügt werden. Häufige Streckmittel in Heroin waren Paracetamol und Coffein. Das scheinbar harmlose Schmerzmittel Paracetamol kann gefährlich sein, weil es bei Überdosierungen schwere Leber- und Nierenschäden verursachen kann. Aufhorchen ließ, dass an zwei Verpackungen Spuren des synthetischen Opioids Fentanyl gefunden wurden. Regina Ernst, Leiterin des Frankfurter Drogenreferats, betont: „Fentanyl spielte 2017 bei mindestens drei Frankfurter Drogentoten eine Rolle.“ Fentanyl wird als besonders gefährlich eingestuft, weil es etwa 100-mal stärker wirkt als Heroin und die Gefahr einer lebensbedrohlichen Überdosierung besonders hoch ist.
Das Problem der Dosierung kann auch auftreten, wenn Straßenheroin ausnahmsweise mal einen höheren Wirkstoffgehalt als üblich aufweist. So schwankte der Heroingehalt der analysierten Proben zwischen einem und 58 Prozent. Gifte wie Strychnin wurden hingegen nicht in den untersuchten Heroinproben gefunden.
Der Reinheitsgehalt von Kokain lag hingegen mit durchschnittlich über 70 Prozent etwa auf dem Niveau, das auch in anderen europäischen Ländern beobachtet wird. Ein häufiges Streckmittel war das Medikament Levamisol, das normalerweise gegen Darmparasiten in der Tiermedizin eingesetzt wird. Der Konsum von mit Levamisol verschnittenem Kokain kann eine lebensgefährliche Bluterkrankung verursachen und die Gefäße schädigen, was zum Absterben von Gewebe führt.
Auwärter und sein Team schreiben in der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse, dass sie entgegen den Erwartungen von Konsumierenden in keiner Kokainprobe Amphetamine wie Crystal Meth oder neue synthetische Drogen wie Badesalz gefunden haben.
Preisträgerin Jun.-Prof. Dr. Sophie Baumann (Mitte) mit Dr. Wibke Voigt, Vorsitzende des buss, und Dr. Bernd Wessel, stellvertretender Vorsitzender
Wirken computergenerierte Rückmeldebriefe besser als persönliche Beratungsgespräche? In ihrer Studie „How alcohol use problem severity affects the outcome of brief intervention delivered in-person versus through computer-generated feedback letters“ untersuchten Jun.-Prof. Dr. Sophie Baumann (Medizinische Fakultät TU Dresden/Universitätsmedizin Greifswald) und ihre Forschergruppe, ob Personen mit unterschiedlicher Alkoholproblemschwere unterschiedlich von persönlichen Beratungen und ressourcensparenden computergenerierten individualisierten Rückmeldebriefen profitieren. Für diese Arbeit wurden sie mit dem Wolfram-Keup-Förderpreis 2018 ausgezeichnet. Der Preis wurde bei der Eröffnung der 104. Wissenschaftlichen Jahrestagung des Bundesverbandes für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss) im März in Berlin verliehen. In diesem Rahmen stellte Jun.-Prof. Dr. Sophie Baumann ihre Studie in kurzen Zügen vor:
Allgemeinkrankenhauspatientinnen und -patienten im Alter von 18 bis 64 Jahren mit gesundheitsriskantem Alkoholkonsum (n = 961) wurden zufällig einer von drei Studienbedingungen zugeordnet:
a) persönliche Kurzberatung,
b) computergenerierte individualisierte Rückmeldebriefe oder
c) keine Intervention (Kontrollgruppe).
Beide Interventionen wurden direkt auf der Station sowie einen und drei Monate später übermittelt. Ergebnismaß war die Veränderung im Alkoholkonsum pro Tag nach sechs, zwölf, 18 und 24 Monaten. Der Wert des Alcohol Use Disorders Identification Test (AUDIT-Wert) wurde als Moderator der Interventionswirksamkeit untersucht.
Es konnte festgestellt werden, dass Personen mit einem AUDIT-Wert von 8 oder weniger, die computergenerierte individualisierte Rückmeldebriefe erhielten, ihren Alkoholkonsum signifikant stärker reduzierten als Personen in der Kontrollgruppe (p < 0,05). Persönliche Beratungen waren bei Personen mit höherem Alkoholkonsum tendenziell wirksamer als keine Intervention, der Unterschied war allerdings nicht statistisch signifikant. Personen mit einem AUDIT-Wert zwischen 7 und 8, die Rückmeldebriefe erhielten, reduzierten ihren Alkoholkonsum nach sechs, zwölf und 18 Monaten signifikant stärker als Personen, die persönliche Beratungen erhielten (ps < 0,05). Kostengünstige computergenerierte individualisierte Rückmeldebriefe können also bei Personen mit einer niedrigen Alkoholproblemschwere einer persönlichen Beratung überlegen sein. Personen mit höherer Problemschwere benötigen eher ein intensiveres Beratungsangebot. Eine Zusammenfassung der Studie auf Deutsch steht auf der Website des buss zum Download bereit.
Der Wolfram-Keup-Förderpreis wird alle zwei Jahre vom Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss) für eine wegweisende wissenschaftliche oder praxisorientierte Arbeit aus der Suchthilfe vergeben und ist mit einem Preisgeld von 2.000 Euro ausgestattet. Er wurde dieses Jahr zum fünften Mal verliehen. Informationen über den Preis, die bisherigen Preisträger/innen und die prämierten Arbeiten finden sich auf der Website des buss (www.suchthilfe.de > Verband > Förderpreis).
Zur Jury des Wolfram-Keup-Förderpreises 2018 gehörten Dr. Wibke Voigt, Vorstandsvorsitzende des buss, die Vorstandsmitglieder Hans-Joachim Abstein, Ulrike Dickenhorst und Thomas Hempel sowie folgende externe Gutachterinnen:
Dr. Ursula Havemann-Reinecke, Oberärztin, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Göttingen, Vorstandsmitglied der DHS
Dr. Dunja Hinze-Selch, Chefärztin, Fachkliniken St. Marien – St. Vitus GmbH, Neuenkirchen
Doris Sarrazin, ehem. Referatsleiterin der LWL-Koordinationsstelle Sucht, Münster
Der nächste Wolfram-Keup-Förderpreis wird 2020 verliehen. Die Ausschreibung hierfür wird im April 2019 bekannt gegeben.
Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss), 03.05.2018
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2017, 110 Seiten, € 36,00, ISBN 978-3-17-022618-0, auch als E-Book erhältlich
Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) verpflichtet die Einrichtungen der ambulanten und stationären Rehabilitation, ein internes QM-System aufzubauen und nachzuweisen. Für stationäre Rehabilitationseinrichtungen besteht eine Zertifizierungspflicht. Dieser Praxisleitfaden bietet dem Leser neben den wichtigsten Anforderungen und Vorgaben der BAR und der DIN ISO einen detaillierten Leitfaden zur Entwicklung eines internen QM-Systems in einer ambulanten und stationären Rehabilitationseinrichtung. Im Praxisteil werden Hilfestellungen zur Interpretation und Anwendung der BAR-Anforderungen und der ISO-Normen gegeben. Eine Fülle von Tipps macht diesen Praxisleitfaden zu einem hilfreichen Werkzeug für Projektleiter in Rehabilitationseinrichtungen.
Mit der aktuellen Version des Deutschen Kerndatensatzes (KDS 3.0), der für die Basisdokumentation schon seit Januar 2017 eingesetzt wird, haben sich auch einige Regelungen für die Katamnese geändert. Deshalb haben der Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss), der Fachverband Sucht (FVS), der Deutsche Caritasverband (DCV) und der Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe (GVS) einen neuen Katamnese-Fragebogen entwickelt, der ab 2018 verbandsübergreifend bundesweit eingesetzt wird. Einige Items im Katamnese-Fragebogen wurden gegenüber der alten Version verändert, insbesondere wurde ein Modul für die stoffungebundenen Suchtformen ergänzt. Neu ist auch, dass Konsumveränderungen bei nicht durchgehender Abstinenz abgefragt werden.
Das Ziel eines flächendeckenden Einsatzes des neuen Katamnese-Fragebogens hat dazu geführt, dass die Abstimmung und Fertigstellung etwas länger gedauert hat. Es bleibt den einzelnen Einrichtungen überlassen, ob sie die Befragung der Patientinnen und Patienten, die schon im Januar/Februar 2018 hätte erfolgen sollen, nun mit einer Verzögerung nachholen. Auf keinen Fall sollte jedoch der alte Katamnese-Fragebogen eingesetzt werden, weil dessen Item-Struktur nicht mehr mit der Erfassung nach KDS 3.0 zusammenpasst. Den neuen Katamnese-Fragebogen stellen die Suchtverbände nun allen interessierten Einrichtungen in Deutschland in mehreren technischen Varianten zur Verfügung. Außerdem kann der Fragebogen als Printversion bestellt werden.
Der Fragebogen kann in der neutralen einheitlichen Form eingesetzt werden, er liegt als PDF-Dokument vor.
Der Fragebogen kann individuell für jede Einrichtung angepasst werden. Dazu liegen schreibgeschützte Word-Dateien vor (als .DOC und .DOCX), in die rechts oben auf der ersten Seite die Word-Bild-Marke der Einrichtung einfügt werden kann, um das Dokument dann auszudrucken und zu vervielfältigen (siehe Beispieldatei). Dabei ist zu beachten, dass diese Dateien in der Bildschirmansicht unscharf aussehen können. Das liegt am Schreibschutz, bei Druck oder im PDF-Format ist alles in der gewohnten Qualität zu sehen.
Man kann auch mit der Agentur, die den Bogen erstellt hat, Kontakt aufnehmen und nach Zusendung der Word-Bild-Marke der Einrichtung den individuellen Bogen als PDF-Dokument oder als gedrucktes Exemplar (kostenpflichtig) bestellen. Dazu liegt ein Bestellformular vor.
Das Vorgehen bei der Katamnesebefragung (Anschreiben, Erinnerung etc.) verändert sich erstmal nicht. Als weitere wichtige Aufgabe bleibt den Verbänden, gemeinsam mit den Einrichtungen die Abläufe zu optimieren und Ideen für weitere Formen der Erhebung zu entwickeln. Ein entsprechender Leitfaden zur Katamneseerhebung wird demnächst entwickelt.
Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss), 26.04.2018