Am 01.01.2018 sollte der Zweite Glücksspieländerungsstaatsvertrag (GlüÄndStV) in Kraft treten. Dies ist gescheitert, da die Bundesländer sich nicht auf eine Ratifizierung einigen konnten. Die Fachstelle GlücksSpielSucht erwartet dadurch negative Konsequenzen für den Spieler- und Jugendschutz in Deutschland.
Nun ist es bittere Wahrheit: Der Zweite Glücksspieländerungsstaatsvertrag, der zum 01.01.2018 in Kraft treten sollte, ist Makulatur. Der Freistaat Thüringen hat den Zweiten GlüÄndStV zwar ratifiziert, aber es mussten alle 16 Bundesländer bis zum 31.12.2017 zustimmen, um das Gesetz in Kraft treten zu lassen. Die Thüringer Fachstelle GlücksSpielSucht sieht in diesem Scheitern einen Rückschritt bei der Verbesserung des Spieler- und Jugendschutzes, einem der zentralen Ziele des Glücksspielstaatsvertrages.
Obwohl die Fachstelle mit den Regelungen des Zweiten Staatsvertrages aus suchtpräventiver Sicht nicht zufrieden war, ist eine unveränderte rechtliche Situation – vor allem im Bereich des Spielerschutzes – noch besorgniserregender. Bereits zum vierten Mal scheiterte der Versuch der Länder, eine bundeseinheitliche Gesetzgebung zu schaffen. Wie viele neue Versuche brauchen die Länder noch, um zu einer einheitlichen Glücksspielregelung zu kommen? Oder ist das gar nicht mehr möglich? Eine Einigung ist schwer vorstellbar, wenn man zum Beispiel auf das Land Schleswig-Holstein blickt, welches innerhalb von fünf Jahren zweimal die Richtung wechselte.
Welche Konsequenzen hat diese Uneinigkeit der Länder für den Bereich des Glücksspielens und vor allem für die Spielerinnen und Spieler?
Illegale Angebote werden ohne Kontrollen im Hinblick auf den Spieler- und Jugendschutz am Markt etabliert, damit verbunden steigen die Nachfrage und die Umsätze. Das weckt neue Begehrlichkeiten bei Teilen der Wirtschaft, der Politik und im Sport. Die so ausgerichtete Marktgestaltung hebelt die bisher geltenden verhältnispräventiven Maßnahmen in wesentlichem Maße aus und berücksichtigt keinesfalls ausreichend die mit dem Glücksspiel verbundenen Suchtrisiken. Die Anbieter machen es deutlich besser als die Bundesländer. Sie sprechen mit einer Stimme, um ihre Interessen durchzusetzen. Aus Sicht der Thüringer Fachstelle GlücksSpielSucht hat der Boom der illegalen Anbieter von Onlinecasinospielen und Sportwetten den Handlungsspielraum der Länder eingeengt. Das Thema Liberalisierung ist in der öffentlichen Diskussion wesentlich präsenter als das Thema Vermeidung von Glücksspielsucht. Dabei wird immer mehr ausgeblendet, dass es charakteristisch für den Glücksspielmarkt ist, einen Großteil der Einnahmen durch eine kleine Spielergruppe zu erzeugen. Dieser Effekt wird durch problematische und pathologische Glücksspieler verstärkt, die häufiger, länger und intensiver spielen als Gelegenheitsspieler. Vor dem Hintergrund ökonomischer Unternehmensziele erklärt dies das Interesse der Glücksspielanbieter an genau dieser Spielergruppe. Sie stellen deren beste Kundengruppe dar. Glücksspielsucht führt zu verheerenden Auswirkungen mit finanziellen, psychischen und sozialen Konsequenzen für die Betroffenen sowie für ihr Umfeld. Letztendlich erzeugen Glücksspiele massive gesamtgesellschaftliche Schäden, die ihren Nutzen nicht aufwiegen. Eine Ausnahme bilden Lotterien.
Wie sollte es aus Sicht der Thüringer Fachstelle GlücksSpielSucht weitergehen?
Der aktuelle Glücksspieländerungsstaatsvertrag gilt zunächst weiter bis 2021, spätestens dann muss ein neues Gesetzeswerk aufgelegt werden, wenn man das Glücksspielen in Deutschland nicht in einen rechtsfreien Raum entlassen will. Die Frist bis 2021 kann dabei auch eine große Chance sein, die Regelungen erneut auf den Prüfstand zu stellen, ehrlich die Konsequenzen aus der bereits erfolgten Teilliberalisierung zu beleuchten und an einer einheitlichen Regelung der 16 Bundesländer zu arbeiten. Dazu gehört aus Sicht der Fachstelle zwingend:
ein stärkerer Einbezug der Suchthilfe- und prävention in die Diskussion,
ein weiterhin bestehendes Verbot des Online-Glücksspiels und eine Stärkung des Vollzugs,
die Einführung der glücksspielübergreifenden Spielersperre,
die Anwendung der gleichen Spielerschutzanforderungen für die derzeit geduldeten Sportwettenanbieter, wie es sie für andere Anbieter riskanter Glücksspiele bereits gibt; hierzu gehört vor allen Dingen die Anbindung an das zentrale Sperrsystem,
eine Reform der Regelungen in der Glücksspielwerbung.
Wolfgang Schmidt-Rosengarten verabschiedete sich nach 20 Jahren als Geschäftsführer Anfang Januar von der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen e.V. (HLS), um sich beruflich zu verändern. Von nun an ist er im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration in Wiesbaden als Leiter des Suchthilfereferates tätig.
Ansgar Funcke, Vorstandsvorsitzender der HLS, dankt dem langjährigen Geschäftsführer für sein großes Engagement und seine Rührigkeit, mit der der – auch bundesweit anerkannte und vernetzte – Suchtexperte viele Themen vorangebracht hat. „Herr Schmidt-Rosengarten ist beharrlich durch viele Auseinandersetzungen und Diskussionen gegangen und hat geholfen, dass die HLS zu dem geworden ist, was sie heute darstellt, nämlich eine bewährte Ansprechpartnerin für Suchtfragen im eigenen Bundesland, die aber auch darüber hinaus großes Ansehen genießt.“
In den letzten Jahren entwickelte Wolfgang Schmidt-Rosengarten insbesondere Angebote, um den Auswirkungen des zunehmenden Medienkonsums und daraus resultierenden Abhängigkeiten zu begegnen. Stets hat er darum gekämpft, strukturelle Rahmenbedingungen zu verändern, die Suchterkrankungen fördern.
Susanne Schmitt
Mit Wirkung zum 1. April 2018 tritt Susanne Schmitt die Nachfolge von Wolfgang Schmidt-Rosengarten als Geschäftsführerin der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen e.V. an. Die 54-jährige Dipl.-Betriebswirtin verfügt über langjährige Erfahrung in der Gestaltung von Projekten und hat sich intensiv mit dem Themenbereich der Prävention befasst. Zuletzt war sie als Leiterin des HaLT Service Centers in Lörrach tätig. Dort war sie unter anderem für die bundesweite Koordination und Weiterentwicklung des kommunalen Alkoholpräventionsprogrammes „HaLT – Hart am LimiT“ für Kinder und Jugendliche verantwortlich.
Ansgar Funcke freut sich über die gute und kompetente Nachbesetzung der Stelle. „Ich bin sicher, dass Susanne Schmitt die Arbeit ihres Vorgängers engagiert weiter voranbringen und zugleich eigene, neue Akzente setzen wird. Ihre Erfahrungen aus verschiedenen Bereichen ihrer beruflichen Sozialisation wird sie in die Arbeit der HLS sehr gut einbringen können.“
Die 1949 gegründete HLS ist der Zusammenschluss der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege und ihrer Mitgliedsorganisationen, die auf dem Gebiet der Suchtprävention, -beratung, -therapie und Rehabilitation tätig sind. Die HLS wird vorrangig aus Mitteln des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration finanziert. Als zentrale Ansprechpartnerin für das Thema Suchtprävention in Hessen bietet die Hessische Landesstelle für Suchtfragen kompetente und umfangreiche Leistungen und Angebote.
Hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS), 28.11.2017 und 21.12.2017
Der illegale Handel im Darknet ist ein Zeichen für die zunehmende Komplexität der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität in der Europäischen Union. In dem neuen Bericht „Drugs and the darknet. Perspectives for enforcement, research and policy“ präsentieren die EU-Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA und Europol die neuesten Erkenntnisse darüber, wie der Handel im Darknet funktioniert und welche Gefahren daraus für die Gesundheit und Sicherheit entstehen können. Der englischsprachige Bericht steht unter http://www.emcdda.europa.eu/darknet zum Download bereit.
Der Hamburger BADO e. V. ist ein Zusammenschluss der freien Träger der Sucht- und Drogenhilfe in Hamburg und der zuständigen Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz zum Zweck der Dokumentation und Evaluation in der ambulanten Suchthilfe und stationären Eingliederungshilfe. Der BADO legte Ende des letzten Jahres seinen Bericht für das Jahr 2016 vor. Dieser basiert auf der Auswertung von 19.113 Betreuungsverläufen von 15.473 verschiedenen Personen, die in 60 Suchthilfeeinrichtungen und -projekten im Jahre 2016 beraten und betreut wurden. Die Nachfrage nach Suchthilfe entsprach nahezu genau dem hohen Vorjahresniveau.
Hauptdroge bleibt Alkohol
Trend zu mehr Kokain und Amphetaminen setzt sich fort
Unverändert gegenüber dem Vorjahr nannten zwei Drittel der Klientinnen und Klienten Alkohol als Hauptdroge, fast die Hälfte Cannabis, jeweils ein Drittel Opiate/Heroin bzw. Kokain, 17 Prozent Sedativa, 15 Prozent Amphetamine, 15 Prozent Crack, sieben Prozent Halluzinogene. Elf Prozent hatten eine Glücksspielproblematik. Etwa die Hälfte berichtete über polyvalente Konsummuster. Der in den letzten Jahren erfolgte Trend zu Kokain bzw. Amphetaminen setzte sich auch 2016 fort.
Gesundheitliche und psychosoziale Belastungen
Sehr viele der Klientinnen und Klienten begannen die Beratung oder Therapie mit schweren biographischen, aktuellen gesundheitlichen, psychischen und sozialen Belastungen sowie erheblichen Teilhabeproblemen am Arbeitsleben. 2.603 Klientinnen und Klienten waren ohne eigenen Wohnraum. Auf folgende Einzelergebnisse soll besonders hingewiesen werden:
706 Alkoholabhängige (17 Prozent) waren älter als 60 Jahre, 1.889 Opiatabhängige (43 Prozent) älter als 45 Jahre. Das Suchthilfesystem wie das Gesundheitswesen wird mehr Menschen versorgen müssen, bei denen typische Suchtfolgeerscheinungen mit zusätzlichen altersbedingten Problemen verbunden werden.
Minderjährige Alkohol- oder Opiatkonsument/innen nutzten nicht die Angebote der Suchthilfeeinrichtungen, bei den Cannabiskonsumenten waren 14 Prozent minderjährig.
Bis zu 43 Prozent der Frauen und bis zu 34 Prozent der Männer hatten in der Vergangenheit Suizidversuche unternommen. Diese hohen Prävalenzraten weisen auf die wichtigen suizidpräventiven Anforderungen hin, mit denen sich die Suchthilfeeinrichtungen auseinanderzusetzen haben.
Die BADO dokumentiert eine sehr hohe Haftbelastung vor allem der Männer mit einer Opiat-Abhängigkeitserkrankung. 72 Prozent der Männer hatten eine längere Zeit – im Mittel mehr als fünf Jahre – in einer Haftanstalt verbracht, sehr oft wegen mit der Abhängigkeitserkrankung verbundener Beschaffungsdelikte. Das Ergebnis legt die Forderung nach einer Entkriminalisierung dieser spezifischen Abhängigkeitserkrankung nahe.
Wie in den Jahren zuvor war auch 2016 das Fehlen eigenen Wohnraums ein außerordentliches Problem für 2.603 Klientinnen und Klienten.
Betreuungsergebnisse
Auch wenn die Ausgangslage bei sehr vielen Suchtmittelabhängigen oftmals schwierig war, legte die Hamburger Suchthilfe auch 2016 insgesamt gute Ergebnisse vor. 64 Prozent der Alkoholabhängigen lebten am Betreuungsende alkoholabstinent, 55 Prozent der Opiatabhängigen ohne Heroinkonsum. Mehr als drei Viertel der Alkoholabhängigen und zwei Drittel der Opiatabhängigen waren am Ende der Betreuung in hohem Maße abstinenzmotiviert. Psychische Belastungen gingen deutlich zurück, die gesundheitliche Situation verbesserte sich, und sehr viele stabilisierten oder verbesserten ihre sozialen Beziehungen.
Spezialthema: Klientinnen und Klienten aus suchtbelasteten Familien
In einer umfangreichen Spezialauswertung unter Einbeziehung von 9.695 Klientinnen und Klienten wurden solche aus suchtbelasteten Familien mit jenen verglichen, in deren Elternhaus kein Elternteil eine Suchtproblematik aufwies. Die Hauptergebnisse waren:
Etwa jeweils die Hälfte der alkoholabhängigen, opiatabhängigen, kokainabhängigen oder cannabisabhängigen Klient/innen stammte aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil ein Suchtproblem hatte. Dabei war dies etwa doppelt so häufig bei den Vätern der Fall. Bei elf bis 15 Prozent hatten beide Elternteile eine Suchtproblematik.
Die Klientinnen wuchsen häufiger als die Klienten in einem suchtbelasteten Elternhaus auf.
Die Betroffenen aus suchtbelasteten Familien, insbesondere wenn beide Elternteile betroffen waren, wiesen in der Regel noch stärkere biographische und psychosoziale Belastungen auf als Betroffene, die nicht in einem suchtbelasteten Elternhaus gelebt hatten. So hatten sie sehr viel häufiger körperliche und sexuelle Gewalt erfahren und sie hatten selbst häufiger Gewalt ausgeübt. Sie begannen früher mit dem Drogenkonsum und entwickelten sehr viel früher substanzgebundene Störungen. Sie lebten häufiger mit suchtbelasteten Partnerinnen bzw. Partnern zusammen, sie hatten seltener Clean-Kontakte oder engere Bezugspersonen, von denen sie Hilfe bekamen. Sie wiesen häufiger erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen auf und waren sehr viel häufiger erheblich psychisch belastet. Die Opiatabhängigen zeigten zudem häufiger risikoreiche Konsummuster wie iv-Konsum oder gemeinsame Spritzenbenutzung.
Klientinnen und Klienten mit minderjährigen Kindern
Die Klientinnen und Klienten, die in den Hamburger Suchthilfeeinrichtungen betreut wurden, hatten insgesamt 6.586 minderjährige Kinder. Davon lebten 2.280 Kinder im Haushalt der betreuten Person. Die Gefahr für diese Kinder, später selbst einmal eine Suchtproblematik zu entwickeln, ist deutlich erhöht. Die Suchthilfeeinrichtungen stehen somit vor ganz erheblichen Anforderungen bei der angemessenen Betreuung von Klientinnen und Klienten mit Kindern, bei der Auseinandersetzung mit Themen der Erziehung bzw. Trennung von den Kindern und zur Wahrung des Kindeswohls bei der Kooperation mit der Familienhilfe.
Der Statusbericht 2016 kann unter www.bado.de heruntergeladen oder als Printversion bestellt werden: barre@jugendhilfe.de, Tel. 040/85 17 35 13
Quelle: www.bado.de (17.01.2018) und „Suchthilfe in Hamburg. Statusbericht 2016 der Hamburger Basisdatendokumentation in der ambulanten Suchthilfe und der Eingliederungshilfe“, Zusammenfassung, S. I.
Humor ist amüsant. Lachen ist Vergnügen. Aber Suchterkrankung und Humor? Passt das überhaupt zusammen? Sucht ist ein multifaktorielles Problem, bei dem Gewohnheiten im Verhalten, die Fähigkeit zur Impulskontrolle, sozialisiertes Verhalten, Problemlösungsstrategien, Vererbung und viele andere Faktoren eine Rolle spielen. Im Laufe einer Suchterkrankung, z. B. während eines langjährigen Alkoholmissbrauchs, geht oftmals der Humor verloren. Kann seine Reaktivierung die Genesung unterstützen? Einiges spricht dafür: Humor entspannt, kann Schmerzen reduzieren und senkt Stresshormone. Er aktiviert Kreativität bei Problemlösungen und ermöglicht die Bewältigung von schwierigen Lebenssituationen. In der Arbeit mit Suchtkranken kann der Fokus auf Humor eine große Kraftquelle sein – sowohl für die professionellen Helfer/innen als auch für die Patient/innen.
Sozialer und aggressiver Humor
Der Duden definiert Humor als „Fähigkeit und Bereitschaft, auf bestimmte Dinge heiter und gelassen zu reagieren“. Die relativ neue Disziplin der Humorwissenschaft unterscheidet zwischen sozialem Humor und aggressivem Humor. Sozialer Humor beinhaltet einen Perspektivwechsel, ohne dass jemand abgewertet oder beschämt wird. Man kann sich und andere gut dastehen lassen, respektvoll sein, wertschätzend, und dabei Menschen und Situationen liebevoll karikieren.
Ein Arzt lernt einen Patienten mit langjährigem Alkoholabusus kennen. Im Erstanamnesegespräch fragt der Arzt den Patienten, wann er zum letzten Mal Sex hatte. „1945“, sagt der Patient. Der Arzt schaut ihn mitleidig an. Darauf der Patient mit einem Blick auf die Uhr: „Aber es ist doch erst 16:30 Uhr. Also noch gar nicht so lange her.“
Aggressiver Humor geht hingegen häufig mit der Herabsetzung einer Person oder Personengruppe einher, wirkt destruktiv und ist in der Therapie fehl am Platz:
Was ist der Unterschied zwischen einem Tumor und einer Krankenschwester?
Ein Tumor kann auch gutartig sein.
Der Mediziner Paul McGhee (1994) hat ein mehrstufiges Humorprogramm entwickelt, mit dem Menschen ihrem eigenen Humor wieder stärker auf die Spur kommen können. Dieses setzt sich aus folgenden Schritten zusammen:
Den eigenen Humorstil und persönliche Humorvorlieben entdecken: Wo kann man noch lachen? Wann und wo bekommt man bereits beim Über-die-Schwelle-Treten eine Depression? Ist der eigene Humor verloren gegangen?
Die weiteren Schritte sollen dann zu mehr Selbstfürsorge und täglichem Humorerleben beitragen:
Verstehen, was eine spielerische Einstellung und Haltung zum Leben sein kann, und selbst eine entwickeln
Selbst Optimismus entwickeln, Humor praktisch einsetzen (Witze, lustige Geschichten erzählen)
Humor im Alltag und im eigenen Umfeld finden, die eigene Aufmerksamkeit dafür schulen und humorvolle Betrachtungsweisen erlernen
Über sich selbst lachen, sich selbst nicht so ernst nehmen
Erst die letzten Stufen der Humorarbeit fordern eine heitere Gelassenheit auch in stressigen Alltagssituationen:
Im Stress Humor finden
Die Schritte 1 bis 7 ins eigene Leben integrieren: Humor als Bewältigungs- und Überwindungsstrategie
Humor im Umgang mit Suchtpatienten
Sabine Link hat an der Hochschule Koblenz und der Universität Marburg das Humor-Stufenprogramm von McGhee für die Arbeit in Suchtkliniken angepasst und mit Patient/innen ausprobiert (siehe die Dissertation „Anstiftung zur heiteren Gelassenheit. Und: Vom ernsthaften Versuch einer evidenzbasierten Studie zum Humor in der Suchthilfe“). Insgesamt nahmen 90 Personen aus verschiedenen Einrichtungen der Suchthilfe an der Untersuchung teil (ambulante Nachsorge, medizinische Rehabilitation und qualifizierter Entzug). Sie wurden in zwei Altersklassen eingeteilt. Die Probanden nahmen an einem Humortrainingsprogramm teil. Es fanden Tests zu Beginn der Untersuchung, nach drei Monaten und nach sechs Monaten statt.
Das Ziel der Dissertation war die Untersuchung und Beantwortung der Frage, ob Humor und heitere Gelassenheit eine angezeigte Interventionsmaßnahme in einem suchttherapeutischen Setting sein können. Nach dem Humortraining zeigten die meisten Probanden eine positive Veränderung in ihrem Sinn für Humor, dies führte u. a. zu einer besseren Stressbewältigung. Außerdem nahm die Heiterkeit der Studienteilnehmer im Durchschnitt zu, während Werte wie Ernsthaftigkeit und schlechte Laune abnahmen. Durch die Humor-Interventionen verbesserte sich auch die allgemeine Befindlichkeit der Patient/innen. Das galt für deren Ausgeglichenheit, Gutgestimmtheit, leistungsbezogene Aktiviertheit, Extravertiertheit/Introvertiertheit und Erregtheit. Die Werte für Ängstlichkeit/Traurigkeit und allgemeine Desaktiviertheit sanken hingegen. Generell empfiehlt die Forscherin deswegen, eine Humor-Sensibilisierung in ambulanten und stationären Suchttherapien zu implementieren und eine Humor-Weiterbildung für Fachkräfte in der Suchthilfe einzusetzen. Nicht zuletzt ist sie der Meinung, dass man Humor auch als Teil der Einrichtungskultur etablieren sollte.
Sabine Link: Für Suchtpatienten abgewandeltes Humortraining nach Paul McGhee
Für die Arbeit in Suchtkliniken und in der Suchtberatung lohnt es sich also, den aufwertenden, wertschätzenden Humor und seine Einsatzmöglichkeiten genauer unter die Lupe zu nehmen. In Gesprächen versuchen Mediziner/innen und Psycholog/innen oft durch das Aktive Zuhören eine wertschätzende Haltung herzustellen. Dabei fasst der Arzt/Therapeut bzw. die Ärztin/Therapeutin in eigenen Worten zusammen, was der Patient/Klient bzw. die Patientin/Klientin gesagt hat.
„Ihrer Meinung nach macht eine Therapie keinen Sinn.“
„Sie sind der Meinung, Ihr Suchtproblem müssen Sie alleine in den Griff kriegen.“
„Ihnen ist Ihre Frau zu raumeinnehmend.“
Kennzeichnend beim Aktiven Zuhören sind die wohlwollende Grundhaltung, die zugewandte Körpersprache und vor allem eine möglichst große Wertfreiheit gegenüber dem Patienten/der Patientin. Gute Erfahrung machen Fachkräfte der Suchtarbeit aber auch damit, das Gesagte ab und an humorvoll zu spiegeln. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Ton, in dem das Gesagte vorgebracht wird. Er sollte freundlich sein und ein Augenzwinkern hörbar machen.
„Sie halten eine Therapie nach dem Entzug für völligen Blödsinn und absolute Zeitverschwendung.“
„Sie meinen, Ihnen kann auf dieser Welt ohnehin niemand helfen und die Psychotanten hier haben gar keine Ahnung.“
„Für Sie ist Ihre Frau ein dominanter Napoleon.“
Ein Lächeln, ein Grinsen, ein Lachen löst die gespannte Stimmung und kann durchaus helfen, den Patienten/die Patientin zuhörbereit zu machen. Wichtig ist aber, wertschätzenden von abwertendem Humor unterscheiden zu können. Sätze wie „Sie mauern und sind absolut unkooperativ!“ sind destruktiv und verletzend. Es geht in der humorvollen Spiegelung darum, das Offensichtliche zu übertreiben, dabei aber weiterhin interessiert zu bleiben an der Meinung des Gegenübers.
Ein Problem bei Suchterkrankungen ist die hohe Rückfallquote. Eine durchschnittliche Suchterkrankung dauert 20 Jahre. In dieser Zeit kämpfen professionelle Helfer/innen immer wieder um die Aufmerksamkeit der Patient/innen und ihre Bereitschaft zur Veränderung von Gewohnheiten. Humor kann dabei helfen, die Spielregeln in der Klinik zu vermitteln oder Veränderungen anzuregen. Perspektivwechsel helfen bei den eingefahrenen Denkmustern der Patient/innen. Humorvolles Feedback kann zum Beispiel so formuliert werden:
Monatelang hatte sich die Patientin nach Abbruch des Entzugs nicht blicken lassen, auf einen Rückruf wartete man vergeblich. Plötzlich schwebte sie wieder ein, als sei sie gestern erst in der Klinik gewesen, und fragte nach ihren Werten. Statt sich zu ärgern, sagte die Ärztin: „Seit vier Monaten sitze ich hier und warte, dass Sie mir genau diese Frage stellen.“
Spielregeln kann man humorvoll zum Beispiel so vermitteln:
Auf dem Spielplatz eines Cafés hängt ein Schild: „Jedes unbeaufsichtigte Kind erhält von uns ein Eis, einen Liter Cola und einen Hundewelpen.“
„Ah, Sie sind die Trainerin für das Seminar heute?“ „Nein, ich gehöre hier zur Einrichtung.“
Ein Vorteil des Medikaments Humor ist seine schnelle Wirksamkeit. Humor beginnt in erster Linie bei einem selbst. Er ist im Alltag überall zu finden, es reicht, die Augen offen zu halten. In vielen Situationen kann man sich dann entscheiden, ob man sich ärgert – oder lacht. Um seinen eigenen Humor (wieder) zu entdecken, ist es hilfreich, sich z. B. Folgendes zu fragen:
Mit wem lache ich gerne?
Welcher Humor fällt mir leicht?
In welchen Situationen kann ich leicht die Perspektive wechseln?
Wie gut kann ich auch bei einer langjährigen Krankheit noch über mich selbst lachen?
Anschließend kann man versuchen, die Menschen, mit denen man gern lacht, und die Art von Humor, die einem leicht fällt, bewusst zu suchen. Wenn man sich seines Humors bewusst ist, kann man üben, ihn gezielt einzusetzen.
Ein Steg, extra „reserviert“ für Rollstuhlfahrer und gehbehinderte Personen
Selbst in Grenzsituationen kann Humor manchmal passend sein. Folgende Todesanzeige wurde z. B. im Schweizer Tagesanzeiger veröffentlicht:
Die Anzeige hatte Herr Jacob vor seinem Tod selbst bei der Zeitung hinterlegt.
Humor innerhalb des Mitarbeiterteams
Humor bezieht sich auf uns selbst und auf andere. Humor ist unerwartet und überrascht uns. Humor macht Schmerz erträglich und sich nicht nur über den eigenen Schmerz lustig. Auch professionelle Helfer/innen können davon profitieren, in ihrem Team einen liebevollen Humor zu pflegen und zu regelmäßigem Humor zu ermuntern. Zum Beispiel durch einen wöchentlichen Austausch von Patienten-Anekdoten.
Bei einem Patientengespräch in einer Klinik stellte sich die Psychologin vor. Der Patient verstand „Zoologin“. Er war irritiert, war er sich doch keiner Tierallergie bewusst.
Eine Anekdote, die das ganze Team zum Lachen brachte. Bei dieser Art der Anekdoten kann der Humor auch mal deftiger werden. Er ermöglicht dem Team eine bessere Bewältigung der Arbeitsbelastungen. Wichtig ist die Sensibilität: Patienten-Anekdoten sollten nur in einem geschützten Rahmen erzählt werden.
Humor lässt sich nicht verordnen. Eine humorvolle heitere Stimmung im Team entsteht, wenn es Raum für Anekdoten gibt, wenn es ein Ritual der witzigsten Geschichten geben darf.
Humorvolle Laune steckt an – im Team, die Patient/innen, privat. Therapeut/innen, Ärzte/Ärztinnen und Pflegepersonal können sich und Patient/innen immer wieder mit wertschätzendem Humor zum Perspektivwechsel einladen. Das stärkt Motivation und Durchhaltekraft – sowohl bei Patient/innen als auch bei den Mitarbeiter/innen. Humor ist als Medikament völlig kostenfrei. Man muss es nur passend dosieren. Darüber darf diskutiert werden.
Tipp der Redaktion: Anschauliche und unterhaltsame Beispiele für Humor in einer tragischen Lebenssituation bieten die Filme „Ziemlich beste Freunde“ (2011) und „Lieber leben“ (2017).
Nächste Termine:
Offenes Humortraining für Ärzte und Pflegekräfte aller Fachrichtungen: 16.–17.03.2018 in Leipzig
Infos und Anmeldung: http://www.arztmithumor.de/aerzte/
HumorDialog, 3-Tages-Workshop für Führungskräfte: 20.–22.04.2018 in Würzburg
Infos und Anmeldung: https://www.humordialog.de
Eva Ullmann ist Gründerin und Leiterin des Humorinstituts. Sie arbeitet nach einem Pädagogik- und Medizinstudium seit vielen Jahren als Humoristin, Autorin und Rednerin.
Dr. Kareen Seidler ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Pressesprecherin des Instituts. Sie fasst die manchmal komplizierte Humorforschung verständlich zusammen.
Literatur und Buchtipps:
Eva Ullmann und Albrecht Kresse: Humor im Business: Gewinnen mit Witz und Esprit, Berlin: Cornelsen, 2008
Eva Ullmann und Isabel García: Ich rede2: Spontan und humorvoll in täglichen Kommunikationssituationen, Hörbuch
Paul McGhee: How to develop your sense of humour: An 8 step humour development training program, Dubuque, IA: Kendall/Hunt, 1994.
Sabine Link: Anstiftung zur heiteren Gelassenheit. Und: Vom ernsthaften Versuch einer evidenzbasierten Studie zum Humor in der Suchthilfe, Marburg/Lahn 2014, im Internet zugänglich unter: https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2014/0416/ (letzter Zugriff 05.01.2018)
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2017, 196 Seiten, € 34,00, ISBN 978-3-17-033491-5, auch als E-Book erhältlich
Das gesellschaftliche Bewusstsein für die Folgen interpersoneller Gewalt insbesondere an Kindern und Jugendlichen ist in den letzten Jahren enorm gewachsen. Dazu hat die psychotraumatologische Forschung wesentlich beigetragen, indem sie eindeutig darauf hinweist, dass unverarbeitete belastende Lebenserfahrungen in Form chronischer Stress- und Affektdysregulation Ursache für eine Vielzahl psychischer und körperlicher Störungen sein können. Transdiagnostisch und am neuen Lernparadigma der Gedächtnisrekonsolidierung ausgerichtet, bietet dieser Ansatz Psychotherapeuten einen innovativen und integrativen konzeptuellen Rahmen sowie einen methodenübergreifenden Behandlungsalgorithmus, der diesen Erkenntnissen Rechnung trägt.
Das Factsheet gibt Empfehlungen für die Suchtprävention und hält spezielle Informationen für Fachkräfte und Multiplikatoren aus der Suchthilfe bereit. Dargestellt werden z. B. Konsumenten-Typen und Konsummotive, Bezugs- und Informationsquellen von Konsumenten, Indikatoren für einen NpS-Konsum, Tipps für den Umgang mit NpS-Konsumenten in der Beratungsstelle sowie Schnittstellen zu Kooperationspartnern. Der Anhang widmet sich dem Verhalten im Drogennotfall und Minimalregeln zur Risikominimierung.
Das 44-seitige Factsheet kann über die Online-Infobörse „Neue Drogen“ heruntergeladen werden. Die Website http://infoboerse-neue-drogen.de/ ist im Dezember 2017 an den Start gegangen und richtet sich an alle, die mit dem Thema NpS zu tun haben: Konsumenten, Angehörige, Fachstellen der Suchtversorgung sowie der Jungendhilfe etc. Sie hält ein breit angelegtes Informations- und Beratungsangebot vor. Projektträger ist der Landes-Caritasverband Bayern e.V.
Erica Metzner, Leiterin des Suchthilfezentrums (l.), und Beate Schwarz, Projektleiterin „Sucht im Alter“. Foto: Stadtmission Nürnberg
Unter dem Titel „Gesundheit für Ältere gestalten – Lebensqualität fördern“ hatte der Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek) zur Bewerbung um den vdek-Zukunftspreis 2017 aufgerufen. Das Projekt SAM (Suchtgefährdete Alte Menschen) der Stadtmission Nürnberg wurde mit dem zweiten Platz und einem Preisgeld von 3.500 Euro ausgezeichnet.
Das Projekt SAM (Suchtgefährdete Alte Menschen) der Stadtmission Nürnberg unterstützt Pflegekräfte und
Pflegeeinrichtungen dabei, Betreute mit problematischem Alkohol- oder Medikamentenkonsum besser zu versorgen. Dabei sollen gemeinsam mit den Betroffenen Wege des Umgangs mit der Suchterkrankung gefunden werden. Auch Angehörige erhalten bei SAM Beratung und Unterstützung.
Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit bei älteren Menschen ist ein Massenphänomen. Nach offiziellen Statistiken sind etwa 400.000 der über 60-Jährigen in Deutschland alkoholabhängig, und etwa zehn Prozent der Bewohner in Alten- und Pflegeheimen haben einen problematischen Alkoholkonsum. Eine Medikamentenabhängigkeit, insbesondere von Schlaf- und Schmerzmitteln, besteht nach Schätzungen gar bei 25 Prozent aller über 70-Jährigen. Eine große Herausforderung für die Einrichtungen – und ein Feld mit dringendem Handlungsbedarf. „Das sind jedoch absolute Tabuthemen“, sagt Sozialpädagogin Erica Metzner, Leiterin des Suchthilfezentrums der Stadtmission Nürnberg. „Zum einen herrscht eine gewisse Handlungsangst bei den Pflegekräften. Schließlich sollen die Persönlichkeitsrechte der Bewohner respektiert werden. Zum anderen sehen auch Angehörige bei auffälligem Verhalten oft weg und sagen sich, der Betroffene ist halt so, weil er alt ist.“
Am Suchthilfezentrum stiegen die Anfragen von ambulanten und stationären Einrichtungen zum Umgang mit Suchterkrankten in den letzten Jahren immer weiter an. Das nahm Metzner zum Anlass, das Projekt SAM ins Leben zu rufen. SAM ist Ende 2016 mit einer Laufzeit von drei Jahren gestartet. Die Einrichtungen erhalten von der Stadtmission Coachings, um eine Leitlinie für ihr Haus zu entwickeln: Wie steht die Einrichtung als Ganzes zur Suchtproblematik? Wie können Risiken und Risikofälle wahrgenommen und dokumentiert werden? „Es geht um die Prozessgestaltung“, sagt Projektleiterin Beate Schwarz, ebenfalls ausgebildete Sozialpädagogin. „Die Einrichtung definiert für sich: So geht unser Dienst mit Suchtfällen um.“ Pflegekräfte werden im Anschluss an die Leitlinienarbeit zum konkreten Umgang mit den betreuten alten Menschen geschult: Wie verhalte ich mich? Wie kann ich den Konsum oder die Risiken ansprechen?
Auch eine Angehörigengruppe wurde ins Leben gerufen. Die Teilnehmenden erhalten Entlastung und Unterstützung in ihrer schwierigen Rolle als engste Bezugspersonen – und oftmals einzige Sozialkontakte der Betroffenen. Ihnen wird auch vermittelt, wie sie Verhaltensweisen umsetzen können, die sie selbst stärken. Eine ehrenamtliche Helferin, die früher selbst suchtkrank war, bringt zudem ihre Erfahrungen in die Gruppe ein.
Nicht über, sondern mit den Betroffenen zu entscheiden, müsse das Ziel sein, sagt Metzner. Sie sieht es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe an, Sucht als Krankheit, als eine psychische Erkrankung zu sehen und davon wegzukommen, Betroffene mit Schuldzuschreibungen und Abwertung zu versehen. Denn mit einer Krankheit kann man umgehen, und sie ist behandelbar. „Es gibt allerdings keinen Umgang mit Sucht, ohne das Kind beim Namen zu nennen“, ergänzt Schwarz.
Kontakt: beate.schwarz@stadtmission-nuernberg.de
Text: Raffaele Nostitz
Quelle: „ersatzkasse magazin. spezial“, Oktober 2017, hrsg. v. vdek