Autor: Simone Schwarzer

  • Cannabis ist kein Allheilmittel in der Schmerztherapie

    Seit März 2017 stehen Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen durch eine Gesetzesänderung nun auch cannabisbasierte Arzneimittel zur Schmerzlinderung zur Verfügung. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG) weisen darauf hin, dass lediglich bei einem Bruchteil der Erkrankungen mit chronischen Schmerzen erwiesen ist, dass cannabisbasierte Arzneimittel helfen. Von einer Eigentherapie mit Cannabisblüten raten Experten ausdrücklich ab, da die Dosierungen ungenau seien und es zu unerwünschten, gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen kommen könne.

    „Es besteht keine ausreichende Evidenz, dass cannabisbasierte Arzneimittel in der Therapie bei Tumorschmerzen, rheumatischen und gastrointestinalen Schmerzen oder bei Appetitlosigkeit bei Krebs und AIDS wirksam sind“, erklärt Professor Dr. med. Winfried Häuser, Präsident des Deutschen Schmerzkongresses 2017 und Ärztlicher Leiter des Schwerpunktes Psychosomatik der Klinik Innere Medizin I des Klinikums Saarbrücken. Häuser wertete zusammen mit Kollegen aus insgesamt 750 identifizierten Studien elf systematische Übersichten zu diesem Thema aus, die zwischen Januar 2009 bis Januar 2017 erschienen sind. Die Forscher kommen in der aktuell im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Arbeit (https://www.aerzteblatt.de/archiv/193428) zu dem Ergebnis, dass keine ausreichende Evidenz für cannabisbasierte Arzneimittel (Dronabinol, Nabilon, Medizinalhanf, THC/CBD-Spray) bei Tumorschmerzen, rheumatischen und gastrointestinalen Schmerzen besteht. Auch positive Effekte bei Appetitlosigkeit, unter der Krebspatienten und Menschen mit AIDS häufig leiden, sind nach der wissenschaftlichen Auswertung nicht erwiesen. „Eine ausreichende Quantität der Evidenz besteht nur beim neuropathischen Schmerz“, ergänzt Häuser.

    „Cannabis als Schmerzmittel ist seit der Gesetzesänderung im März en vogue. Die intensive Medienberichterstattung hat dazu geführt, dass zum Teil auch Kopfschmerzpatienten eine Verordnung vehement einfordern“, berichtet PD Dr. med. Stefanie Förderreuther, Präsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) e.V. „Doch leider ist die Studienlage auch in diesem Bereich noch zu dürftig, als dass wir eine reguläre Behandlung mit Cannabinoiden empfehlen würden. Wir brauchen Studien, die beweisen, dass eines oder verschiedene Cannabinoide in der Behandlung von definierten Kopfschmerzsyndromen nicht nur wirksam, sondern vor allem auch sicher sind. Anders als bei allen zur Kopfschmerzbehandlung zugelassenen Substanzen fehlen entsprechende Daten.“ Die Oberärztin der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München warnt daher insbesondere vor der übereilten Verordnung von Cannabis bei Kopfschmerzen und Migräne.

    Die weibliche Hanfpflanze Cannabis sativa enthält etwa 500 verschiedene Komponenten, davon circa 100 Cannabinoide. Zwar ist die medizinische Wirksamkeit bei Schmerzlinderung und Entzündungen von zwei Cannabinoiden, nämlich Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), in Einzelfällen und durch einige klinische Studien erwiesen. Doch die Wirkeffekte auf den menschlichen Körper sind noch weitgehend unerforscht. „Es müssen zunächst für jedes Krankheitsbild methodisch gut gemachte randomisierte placebokontrollierte Studien vorliegen, die den gewünschten Effekt einer Schmerzlinderung belegen und die Art, Schwere und Häufigkeit von Nebenwirkungen wie zum Beispiel Verwirrtheit oder Psychosen erfassen“, betont Förderreuther. „Es ist darüber hinaus sehr wichtig, verschiedene Formen von cannabishaltiger Medizin zu unterscheiden“, erläutert Häuser. Derzeit sind 14 Sorten Cannabisblüten auf Rezept erhältlich – so genannter Medizinalhanf. Die Konzentration des darin enthaltenen Tetrahydrocannabinols (THC) liegt zwischen ein und 22 Prozent, die des Cannabidiols (CBD) zwischen 0,05 und 9 Prozent. „Erschwerend hinzu kommt, dass uns Dosierungsangaben für einzelne Indikationen fehlen“, mahnt Häuser. Des Weiteren stehen aus diesen Blüten gewonnene Extrakte mit definierten Konzentrationen an THC sowie synthetisch hergestellte THC-Analoga zur Verfügung.

    Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. begrüßt dennoch die Gesetzesänderung des Bundestags. Sie hebt nun die bisherige Barriere bei der Kostenerstattung von cannabishaltigen Rezeptur- und Fertigarzneimitteln auf. „Wichtig ist allerdings, dass Cannabinoide nicht als isoliertes Therapieverfahren, sondern in Kombination mit physiotherapeutischen und schmerzpsychotherapeutischen Verfahren genutzt werden“, fordern Häuser und Förderreuther. Jede Form einer Eigentherapie lehnen die Experten wegen unüberschaubaren Nebenwirkungen durch drohende Dosis-Schwankungen ab.

    Publikation:
    Häuser W, Fitzcharles M-A, Radbruch L, Petzke F: Cannabinoide in der Schmerz- und Palliativmedizin. Eine Übersicht systematischer Reviews und prospektiver Beobachtungsstudien. Dtsch Arztebl Int 2017; 114(38): 627-34; DOI: 10.3238/arztebl.2017.0627.

    Pressestelle der Deutschen Schmerzgesellschaft, 27.09.2017

  • Krankenkasse muss Adaptionsbehandlung bezahlen

    Im Verfahren des Landkreises Ravensburg gegen die AOK Baden-Württemberg zur Kostenübernahme einer Adaptionsbehandlung ist durch das Landessozialgericht Baden-Württemberg ein wichtiges Urteil ergangen (Az: L 11 KR 131/16).

    Das Landessozialgericht hat zugunsten des Landkreises Ravensburg entschieden und die AOK Baden-Württemberg verpflichtet, die Kosten für die Adaptionsbehandlung einer ehemaligen Patientin der Rehaklinik Freiolsheim zu übernehmen. Die Urteilsbegründung legt ausführlich dar, dass die Adaptionsbehandlung vom Landessozialgericht als Teil der medizinischen Rehabilitation gesehen wird. Der Senat hatte zuvor eine schriftliche Auskunft der Rehaklinik Freiolsheim eingeholt. Im Ergebnis wird die fachliche Argumentation der Klinik vollumfänglich mitgetragen, so dass das Landessozialgericht trotz des ‚alten Adaptions-Urteils’ des Bundessozialgerichts vom 26. Juni 2007 keinen Grund sah, eine Revision zuzulassen.

    Es bleibt zwar abzuwarten, ob die AOK Baden-Württemberg weitere rechtliche Schritte unternimmt. Aber das klar und gut verständlich formulierte Urteil gibt allen Adaptionseinrichtungen schon jetzt sehr gute Argumente an die Hand, gegen die bislang ablehnende Bewilligungspraxis vieler Krankenkassen bei Adaptionsbehandlungen  vorzugehen.

    Redaktion KONTUREN, 16.11.2017

  • Verkürzte Chromosomen

    Die Lebensdauer einer Zelle wird wesentlich durch die Endstücke ihrer Chromosomen bestimmt. Die Endstücke werden als Telomere bezeichnet. Raucherinnen und Raucher haben einer aktuellen Studie zufolge kürzere Telomere als nichtrauchende Menschen.

    Unsere Körperzellen erneuern sich durch Zellteilung. Bei jeder Zellteilung wird auch das Erbgut, das in den Chromosomen gespeichert ist, auf die neue Zelle übertragen. Dabei spielen die Endstücke der Chromosomen, die Telomere, eine wichtige Rolle. „Man kann sich Telomere wie die Plastikkappen an Schnürsenkeln vorstellen. Ohne diese Kappen fransen die Enden aus, und schließlich kann der ganze Schnürsenkel seine Funktion nicht mehr erfüllen“, erklärt Brian Luke von der Universität Heidelberg. Bei jeder Zellteilung werden die Telomere allerdings ein bisschen kürzer. Sind die Telomere aufgebraucht, wird auch die Zellteilung gestoppt. Das betreffende Gewebe stirbt ab, was letztlich Organversagen zur Folge haben kann. Die Länge der Telomere gilt daher als ein Marker für das biologische Alter einer Person.

    Ein internationales Forschungsteam aus England und Indonesien hat in einem wissenschaftlichen Review und einer Meta-Analyse aufzeigen können, dass Rauchen mit verkürzten Telomeren in Zusammenhang steht. Studienleiterin Wahyu Wulaningsih und ihr Team haben 84 Studien zusammengetragen, in denen der Einfluss des Zigarettenrauchens auf die Telomerlänge untersucht wurde. Den Ergebnissen zufolge haben Raucherinnen und Raucher kürzere Telomere im Vergleich zu Personen, die nie geraucht haben. Zudem konnte das Team eine Dosis-Wirkungs-Beziehung finden: Je länger eine Person bereits raucht, desto kürzer sind die Telomere. Das biologische Alter von Raucherinnen und Raucher schreitet somit schneller voran als das von nichtrauchenen Personen.

    Ursache für kürzere Telomere seien vermutlich freie Radikale, die durch das Rauchen vermehrt gebildet werden. Freie Radikale sind Sauerstoffverbindungen, denen ein Elektron fehlt. Solche Verbindungen gelten als aggressiv, weil sie anderen Molekülen Elektronen entreißen. Freie Radikale können somit auch das DNA-Mokelül, das unser Erbgut enthält, schädigen. Bei Personen, die das Rauchen aufgegeben haben, scheinen sich die Telomere jedoch auch regenerieren zu können. Denn die Telomere sind bei ihnen länger als bei aktuell Rauchenden.

    Quelle: www.drugcom.de, 27.10.2017

  • Personalmanagement in Einrichtungen der Sozialen Arbeit

    Beltz Juventa, Weinheim 2017, 2., vollständig überarbeitete Auflage, 285 Seiten, € 24,95, ISBN 978-3-7799-2351-0, auch als E-Book erhältlich

    Die Motivation und Qualifikation des Personals gilt als wichtigste Ressource und Personalmanagement als Erfolgsfaktor in der Leitung von Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens. Personenbezogene Soziale Dienstleistungen sind per se ein interaktives Geschehen, das nur begrenzt kontrolliert und gesteuert werden kann. Zwischen Leitung und Mitarbeiter/innen bedarf es also einer Kultur der Vereinbarung, des Vertrauens und der Transparenz. Eine vorausschauende wie flexible Personalarbeit über die Bindung der Mitarbeiter/innen durch Achtung ihrer Lebenswirklichkeiten oder die Berücksichtigung neuer Kommunikationsformen ist unausweichlich. Die Vielfalt der Adressatengruppen erfordert dabei eine Vielfalt in der Zusammensetzung des Personals, um passgenaue Angebote und kultursensible Zugänge entwickeln zu können.

    Das Buch bietet sowohl eine systematische Übersicht über die Herausforderungen der Personalarbeit als auch konkrete Reflexions- und Arbeitshilfen für diese anspruchsvolle Aufgabe.

  • Gesundheitsökonomische Evaluationen kompakt

    APOLLON University Press, Bremen 2016, 2. Auflage, 188 Seiten, € 19,90, ISBN 978-3-943001-32-7

    In der Diskussion um die immer knapper werdenden Ressourcen unseres Gesundheitssystems tragen gesundheitsökonomische Evaluationen maßgeblich dazu bei, Lösungen für eine gerechte Verteilung der Mittel zu finden. Sie bieten damit Hilfestellung für ein hochbrisantes Thema.

    Die Autorin vermittelt in kompakter Form die Intention und Notwendigkeit von gesundheitsökonomischen Evaluationen. Sie stellt relevante Kosten- und Nutzenarten sowie die verschiedenen Methoden detailliert dar und geht auf den Ablauf sowie die wesentlichen Prinzipien der Evaluationen ein. Auch die Grenzen der Methoden sowie Fragen der Lebensqualitätsmessung werden mit einbezogen. Zahlreiche Übungsaufgaben und praxisorientierte Beispiele sorgen für einen leichten Zugang und eine systematische Vertiefung der Inhalte. So lernt der Leser Schritt für Schritt, die Kosten und Nutzen verschiedener Maßnahmen in Relation zueinander zu setzen, die geeigneten Methoden anzuwenden und die richtigen Entscheidungen für die Praxis zu treffen. Eine leicht verständliche Einführung in die komplexe Thematik – geeignet für Studierende und Berufspraktiker!

  • Neues aktiva-Gutachten zur Kostenentwicklung in der Reha

    Die AG MedReha hat die aktiva – Beratung im Gesundheitswesen GmbH mit der Neuauflage des jährlichen Gutachtens zum Stand November 2017 beauftragt. Wie in den vergangenen Jahren werden anhand von Modellrechnungen die Auswirkungen der Kostenentwicklung auf die betriebswirtschaftliche Situation der Einrichtungen für das Jahr 2018 dargelegt. Die Struktur des Gutachtens wurde etwas verändert: Personal- und Materialkosten werden als getrennte Module dargestellt und es werden zwei Sonderfragestellungen analysiert (jährlicher Steigerungswert der DRV und Aufwand bei multiresistenten Erregern). In der Zusammenfassung (S. 35) heißt es:

    „Die Ergebnisse zeigen, dass die Rehabilitationseinrichtungen auch für das Jahr 2018 in vielen wichtigen Bereichen mit Kostensteigerungen rechnen müssen, wodurch die notwendigen Vergütungssatzsteigerungen zwischen 2,16 und 3,17 Prozent prognostiziert werden. Die Prognosesicherheit für das kommende Jahr ist aufgrund der geopolitischen Entwicklungen eingeschränkt, so dass Abweichungen der Prognosen insbesondere im Bereich der Sachmittel möglich sind.

    Der Notwendigkeit für überdurchschnittliche Personalkostensteigerungen aufgrund der schwierigen Personalsituation auf dem Arbeitsmarkt wurde nur im Maximalszenario des Modells Rechnung getragen. Daher sollten sich die Steigerungen der Vergütungssätze für das Jahr 2018 an dem Maximalwert von 3,17 Prozent orientieren. Dabei handelt es sich um Steigerungsraten für den reinen Betrieb der Rehabilitationseinrichtungen, um die Kostensteigerungen des Jahres 2018 im Durchschnitt zu refinanzieren. Eine Bewertung der Investitionsmittelanteile und deren Finanzierung muss auf Basis der individuellen Situationen der Rehabilitationseinrichtungen zu diesen Steigerungsraten addiert werden.“

    Das „Gutachten zur aktuellen und perspektivischen Situation der Einrichtungen im Bereich der medizinischen Rehabilitation“ in der Neuauflage 2017 steht zum kostenlosen Download bereit.

    Redaktion KONTUREN, 10.11.2017

  • Drogentrends in Frankfurt am Main – Weniger Cannabiskonsum, mehr E-Zigaretten und E-Shishas

    Frankfurter Jugendliche kiffen, trinken und rauchen weniger. Seit der ersten Studienbefragung 2002 sind sie auch signifikant älter geworden, wenn sie zum ersten Mal legale oder illegale Drogen probieren – im Schnitt zwischen 14 und 15 Jahre alt. Doch der Markt schläft nicht. Vor allem E-Zigaretten und das Spiel mit virtuellen Realitäten werden Jugendschutz und Prävention vor neue Herausforderungen stellen. Das sind – kurz zusammengefasst – die zentralen Botschaften der aktuellen Drogentrendstudie MoSyD 2016 (Monitoring-System Drogentrends). Gesundheitsdezernent Stefan Majer nannte vor allem die rückläufigen Konsumzahlen bei Cannabis bemerkenswert, die seit 2010 stetig gestiegen waren. Der Stadtrat sieht damit das häufige Argument widerlegt, dass der Cannabiskonsum steigt, je mehr darüber gesprochen wird: „Wir haben uns sehr intensiv mit dem Thema jugendlichem Cannabis auseinandergesetzt, denn wir sind zutiefst davon überzeugt, dass Jugendliche mit sachlichen Informationen und Gesprächsangeboten viel eher zu erreichen sind als mit Verboten.“

    Von Lehrkräften wird die Vermutung geäußert, der Anstieg des Cannabiskonsums in den vergangenen Jahren hänge mit dem zunehmenden Schulstress durch G8 zusammen. Dies müsse erst näher untersucht werden, betonte Majer, ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Einführung und Abkehr von G8 bestehe allerdings. Auch die Aussagen von einem Großteil der Jugendlichen, Cannabis zum Entspannen zu rauchen, passten zu der These. Laut MoSyD 2016 ist dagegen Fakt, dass 13 Prozent der 15- bis 18-Jährigen in Frankfurt überhaupt keine Drogen nehmen. Der Wert ist gegenüber dem Vorjahr erneut gestiegen. Vor allem der klassische Glimmstengel ist für immer mehr junge Leute passé. Das Nichtrauchen ist für einen Großteil der Jugendlichen auch der Grund, weshalb sie kein Cannabis rauchen. Für die Verantwortlichen im Drogenreferat ist dies ein gewichtiges Argument für Prävention gegen das Rauchen: „Das ist gleichzeitig wirksame Cannabis-Prävention.“ Stadtrat Stefan Majer fordert, die offensive Werbung für E-Zigaretten zu verbieten. Sie richte sich häufig gezielt an junge Leute, die schädlichen Wirkungen für die Gesundheit blieben unerwähnt. Tatsächlich zeigt die jüngste MoSyD-Befragung, dass mehr Jugendliche zu E-Produkten greifen.

    Der MoSyD Jahresbericht 2016, eine separate Zusammenfassung sowie die bereits Anfang 2017 vorgelegte MoSyD Szenestudie zur offenen Drogenszene in Frankfurt am Main stehen auf der Homepage der Stadt Frankfurt zum Download zur Verfügung.

    Quelle: Internetpräsenz Drogenreferat der Stadt Frankfurt am Main, 27.10.2017

  • Alkoholatlas Deutschland 2017

    Alkoholkonsum verursacht für die Gesellschaft direkte und indirekte Kosten von rund 39 Milliarden Euro im Jahr. Dem gegenüber stehen Einnahmen durch die Alkoholsteuer von nur 3,2 Milliarden Euro. Doch wer trinkt und in welchem Maße? Riskanter Alkoholkonsum ist in gehobenen sozioökonomischen Schichten stärker verbreitet als etwa unter Arbeitslosen. Darüber hinaus gibt es enorme regionale Unterschiede beim Trinkverhalten und bei den gesundheitlichen Folgeschäden. Der erste Alkoholatlas des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) bietet umfassende Informationen rund um das Thema Alkohol.

    Gefördert durch das Bundesgesundheitsministerium und auf Initiative der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler, hat das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ) den ersten Alkoholatlas herausgebracht. Dieser zeigt, dass sich bei den Erwachsenen in allen Altersgruppen ein deutlicher Zusammenhang zwischen Sozialstatus und Häufigkeit des Alkoholkonsums abzeichnet. In höheren sozialen Schichten ist er stärker verbreitet als in niedrigeren. So konsumieren rund 70 Prozent der Männer mit hohem Sozialstatus mindestens einmal in der Woche Alkohol, 58 Prozent der Männer mit mittlerem Sozialstatus und nur 49 Prozent der Männer mit niedrigem Sozialstatus. Von den Frauen mit hohem Sozialstatus trinkt rund die Hälfte mindestens wöchentlich Alkohol und 21 Prozent trinken wöchentlich sogar riskante Mengen. Von den Frauen mit niedrigem Sozialstatus konsumiert lediglich ein Viertel mindestens wöchentlich Alkohol und nur rund neun Prozent tun dies in riskanten Mengen.

    Ein riskanter Konsum bedeutet: Pro Tag nehmen Frauen mehr als ein Glas Bier (0,3 Liter) oder 0,1 Liter Wein bzw. Männer mehr als zwei Gläser (0,6 Liter) Bier oder 0,2 Liter Wein zu sich. Insgesamt ist die Anzahl derer, die Alkohol in gesundheitlich problematischer Menge zu sich nehmen, enorm – allein in Deutschland gilt der Alkoholkonsum von etwa 9,5 Millionen Menschen als riskant. Ganz ohne Alkohol leben in Deutschland nur knapp drei Prozent der Erwachsenen.

    „Das Problembewusstsein ist beim Thema Alkoholkonsum nach wie vor zu niedrig“, so die Drogenbeauftragte Marlene Mortler. „Jedes Jahr sterben bei uns mehr als 20.000 Menschen an den Folgen ihres Alkoholkonsums, etwa 10.000 Kinder kommen jedes Jahr alkoholgeschädigt auf die Welt, und etwa 2,65 Millionen Kinder haben mindestens einen alkoholkranken Elternteil. Um für die dramatischen Folgen eines unkontrollierten Alkoholkonsums zu sensibilisieren, habe ich die „Kinder aus suchtbelasteten Familien“ dieses Jahr in den Mittelpunkt meiner Arbeit gerückt. Mit dem jetzt erschienenen Alkoholatlas legt das DKFZ einen umfassenden Überblick über die Verbreitung des Alkoholkonsums in Deutschland, über seine Folgen und die Spannbreite der international diskutierten Handlungsoptionen vor. Wir leisten damit auch einen Beitrag zur aktuellen Debatte in der Europäischen Union – die estnische Ratspräsidentschaft hat das gemeinsame Vorgehen gegen den Alkoholmissbrauch weit oben auf die politische Agenda gesetzt. Jedem muss klar sein: Alkohol ist bestenfalls ein Genussmittel, jedoch absolut kein Lebensmittel, welches wie die Butter zum Brot gehört.“

    Mit dem Alkoholatlas Deutschland 2017 weist das Deutsche Krebsforschungszentrum auf die Bedeutung von Alkohol als Risikofaktor für Krebs und zahlreiche andere Erkrankungen hin sowie auf die schwerwiegenden Folgen des riskanten Alkoholkonsums für die Gesellschaft. Darüber hinaus bietet er Informationen zu Herstellung und Marketing, sozialen und ökonomischen Aspekten des Alkoholkonsums sowie geeigneten Präventionsmaßnahmen. Mit dem Alkoholatlas schließt das DKFZ an den renommierten Tabakatlas an, der Medien und Öffentlichkeit umfassend über das Thema Rauchen informiert.

    Prof. Dr. Michael Baumann, der Vorstandvorsitzende des DKFZ, sagt: „Der Alkoholatlas fasst zahlreiche Daten, die ansonsten über verschiedene Fachpublikationen verteilt sind, verständlich in einem einzigen Werk zusammen und macht sie so einem breiten Publikum zugänglich. Der Atlas soll als umfassendes, anschauliches Grundlagenwerk der Politik und der Bevölkerung fundiertes Wissen über die Probleme des Alkoholkonsums liefern und zu einer gesellschaftlichen Debatte anregen. So kann er als wichtige Grundlage für Maßnahmen zur Alkohol- und Krebsprävention dienen.“

    Deutschland liegt mit einem Konsum von 11 Litern Reinalkohol pro Jahr und Person (im Alter von 15 Jahren und älter) etwas über dem durchschnittlichen Alkoholkonsum der EU-Mitgliedstaaten von 10,6 Litern. Seit mehreren Jahren sinkt jedoch der Alkoholkonsum insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Heute trinkt nur noch jeder zehnte Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren regelmäßig Alkohol. Vor 15 Jahren waren es noch fast doppelt so viele. Außerdem nehmen Jugendliche zunehmend Abstand vom gefährlichen ‚Komasaufen‘. Diesen Trend zu einem moderaten Alkoholkonsum gilt es, durch geeignete Präventionsmaßnahmen zu unterstützen, um die gravierenden gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen des riskanten Alkoholkonsums zu verringern.

    Interessante Daten aus dem Alkoholatlas bietet die Kurzübersicht.
    Erhältlich ist der Alkoholatlas über den Buchhandel oder als Download.

    Pressestelle des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), 19.10.2017