Autor: Simone Schwarzer

  • Nocebo-Effekt

    Sagt man Patienten, dass ein bestimmtes Medikament Nebenwirkungen hervorrufen kann, setzen diese häufig auch ein – selbst wenn es sich um ein wirkstofffreies Scheinmedikament handelt. Dieser so genannte Nocebo-Effekt wird noch verstärkt, wenn die Patienten Wertinformationen über das vermeintliche Medikament erhalten. Ein teures Scheinmedikament verursacht im Test stärkere Nebenwirkungen als ein günstiges. Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) haben diese Zusammenhänge jetzt in einer Studie untersucht; ihre Ergebnisse sind im renommierten Fachmagazin Science erschienen.

    Zurückzuführen ist dieses Phänomen auf die Erwartungshaltung der Patienten, die sich mit bildgebenden Verfahren sogar darstellen lässt. „Bei Erwartungseffekten ist das modulierende Schmerzsystem von großer Bedeutung. Erwartungen, die im Frontalhirn entstehen, können über das modulierende Schmerzsystem die Verarbeitung von schmerzhaften Reizen in tieferen Regionen des Nervensystems wie dem Hirnstamm oder dem Rückenmark beeinflussen“, erläutert Alexandra Tinnermann, Wissenschaftlerin im Institut für Systemische Neurowissenschaften des UKE. Um das modulierende Schmerzsystem unter negativen Erwartungen untersuchen zu können, haben sie eine neue Methode der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) angewandt. „Wir konnten in unserer Untersuchung zeigen, dass negative Erwartungen Auswirkungen auf drei wichtige Areale des modulieren-den Schmerzsystems – auf Frontalhirn, Hirnstamm und Rückenmark – haben.“

    In klinischen Studien berichten Patienten, die in der Placebo-Gruppe sind und dementsprechend ein Medikament ohne Wirkstoff erhalten haben, häufig von Nebenwirkungen. Diese passen oft genau zu den möglichen Nebenwirkungen des eigentlichen Medikamentes. Ein Scheinmedikament kann also nicht nur zur Besserung der Symptome beitragen (Placebo-Effekt), sondern auch die Nebenwirkungen des eigentlichen Medikaments hervorrufen (Nocebo-Effekt). „In unserer Studie haben wir untersucht, wie sich Wertinformationen über ein Medikament auf den Nocebo-Effekt auswirken“, sagt Wissenschaftlerin Tinnermann. Dazu erhielten die Probanden ein Scheinmedikament ohne medizinischen Wirkstoff. Um eine negative Erwartung zu wecken, wurde den Probanden mitgeteilt, dass das Medikament Nebenwirkungen hervorrufen kann, die zu einem erhöhten Schmerzempfinden führen. Zusätzlich zu dieser negativen Erwartung wurde eine Hälfte der Probanden darüber informiert, dass das Medikament günstig ist, die andere Hälfte, dass es teuer ist. Die Gruppe, die das teure Scheinmedikament erhalten hat, zeigte einen größeren Nocebo-Effekt – also ein höheres Schmerzempfinden – als die Gruppe, die das günstige Präparat erhalten hatte. Tinnermann: „Die Ergebnisse zeigen, dass der Wert eines Medikaments zusätzlich zu den negativen Erwartungen das Schmerzempfinden beeinflussen kann; auch die Verarbeitung von Schmerzreizen im Rückenmark wird durch diese Faktoren verändert.“

    Die Studie wurde unter Leitung von Prof. Dr. Christian Büchel am Institut für Systemische Neurowissenschaften des UKE durchgeführt; sie wurde vom Europäischen Forschungsrat (ERC) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt.

    Publikation:
    Tinnermann, A., Geuter, S., Sprenger, C., Finsterbusch, J., Büchel, C. Interactions between brain and spinal cord mediate value effects in nocebo hyperalgesia. Science (2017). 357. DOI: 10.1126/science.aan1221

    Pressestelle des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), 05.10.2017

  • Suchtprävention in der Heimerziehung

    In Einrichtungen der öffentlichen Erziehung ist es für Pädagoginnen und Pädagogen eine herausfordernde Aufgabe, mit riskantem Konsumverhalten der Kinder und Jugendlichen angemessen umzugehen. Doch was ist ‚riskant‘? Wie können Fachkräfte auf welches Konsumverhalten frühzeitig und erfolgversprechend reagieren?

    Diese Fragen nimmt das Handbuch „Suchtprävention in der Heimerziehung“ praxisorientiert auf. Konkrete Tipps können sofort im Arbeitsalltag erprobt und angewandt werden. Anregungen helfen, einzelne Bausteine oder ein Gesamtkonzept zur Gesundheitsförderung und Suchtprävention in das bestehende pädagogische Konzept der Einrichtung zu integrieren. Und: Fachkräfte der Suchthilfe und Suchtprävention können über die Arbeitshilfe das Gespräch mit Fachkräften der Jugendhilfe suchen und Unterstützung anbieten.

    Das Handbuch wird von der DHS und Nadja Wirth herausgeben – in Kooperation mit dem LWL-Landesjugendamt Westfalen, gefördert von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit.

    Die Arbeitshilfe für die Praxis kann bei der DHS oder bei der BZgA kostenfrei bestellt werden: http://www.dhs.de/informationsmaterial/bestellung.html
    order@bzga.de

    Ein Download steht zur Verfügung unter:
    www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Broschueren/Suchtpraevention_Heimerziehung.pdf

    DHS-Newsletter 5-2017, 14.09.2017

  • Klopfen gegen den Stress

    Mabuse-Verlag, Frankfurt a. M. 2017, 160 Seiten, € 19,95, ISBN 978-3-86321-328-2

    Für viele Beschäftigte in pflegerischen Berufen gehört Stress zum Berufsalltag dazu. Die Anforderungen, die an das Personal gestellt werden, sind vielfältig. Jedes pflegerische Handeln dient dem anspruchsvollen Ziel, zum Wohl und zur Heilung der anvertrauten Pflegebedürftigen und Patienten beizutragen. Pflege ist in einen strukturellen Rahmen eingebunden und Bedingungen unterworfen, die die Entstehung von belastendem Stress sehr begünstigen. Die Bedürfnisse und Ansprüche der Patienten und Pflegebedürftigen mit all den damit verbundenen Aufgaben lassen oft wenig Spielraum, den eigenen, deutlich erlebten Stress zu verringern.

    Mit den Klopftechniken der Energetischen Psychologie zeigen sich ganz neue Wege, schnell und situationsbezogen auf stressvolle Momente im Pflegealltag zu reagieren. Emotionale Belastungen wie negative Gefühle und Ängste lassen sich überraschend schnell reduzieren. Und auch wenn die Zeit im hektischen Berufsalltag immer zu kurz erscheint, gelingt es mit Hilfe der in diesem Buch vorgestellten und leicht umzusetzenden Technik, belastende Zustände so zu verändern, dass emotionales Wohlbefinden wieder hergestellt werden kann. Dr. med. Michael Bohne, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ist renommierter Auftritts-Coach für Opernsänger und klassische Musiker.

  • Psychodynamische Therapien

    Psychodynamische Therapien sind bei Menschen mit psychischen Erkrankungen nach dem aktuellen Stand der Forschung genauso wirksam wie andere „evidenzbasierte“ Verfahren wie beispielsweise die Kognitive Verhaltenstherapie. Dies geht aus einem gemeinsamen Forschungsprojekt von Wissenschaftler/innen der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), der Psychologischen Hochschule Berlin (PHB), der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (AAU) sowie der Technischen Universität Dresden (TUD) hervor, dessen Ergebnisse am 1. Oktober in der renommierten Zeitschrift „American Journal of Psychiatry“ veröffentlicht wurden.

    Psychodynamische Therapieverfahren zählen in der aktuellen Versorgungspraxis neben psychopharmakologischen und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlungsansätzen weltweit zu den am weitesten verbreiteten Behandlungsangeboten für Menschen mit psychischen Erkrankungen. In Zusammenhang mit Forderungen nach mehr Wirksamkeitsnachweisen gerieten psychodynamische Therapien in der jüngeren Vergangenheit zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. In aktuellen Behandlungsleitlinien erscheinen sie häufig nur als Methode der zweiten Wahl, in manchen Ländern ist sogar ein weitgehender Ausschluss von der Regelversorgung zu verzeichnen.

    Vor diesem Hintergrund gingen Christiane Steinert (JLU), Thomas Munder (PHB), Sven Rabung (AAU), Jürgen Hoyer (TUD) und Falk Leichsenring (JLU) der Frage nach, wie wirksam psychodynamische Therapien im Vergleich zu „evidenzbasierten“ Verfahren sind. In einer Meta-Analyse fassten die Autor/innen 23 hochwertige randomisiert-kontrollierte Studien zusammen, in denen insgesamt 2.751 Patientinnen und Patienten mit psychischen Erkrankungen untersucht wurden. 21 Studien verglichen psychodynamische Therapie mit kognitiver Verhaltenstherapie, zwei Studien mit Pharmakotherapie. Die behandelten Störungsbilder umfassen depressive Erkrankungen (acht Studien), Angststörungen (vier Studien), Posttraumatische Belastungsstörungen (eine Studie), Essstörungen (vier Studien), Substanzbezogene Störungen (zwei Studien) und Persönlichkeitsstörungen (vier Studien).

    Anders als in herkömmlichen Meta-Analysen wurden die in diesen Studien miteinander verglichenen Behandlungen nicht auf Unterschiedlichkeit, sondern erstmalig explizit hinsichtlich ihrer Gleichwertigkeit bewertet, was strengere methodische Maßstäbe erfordert. Zusätzlich berücksichtigten die Wissenschaftler/innen die Qualität der einbezogenen Studien sowie mögliche Interessenskonflikte innerhalb der Studien aber auch innerhalb des eigenen Forschungsteams. Sven Rabung zum Ergebnis der Studie: „Die zusammenfassende Auswertung der vorliegenden Studien belegt, dass die psychodynamischen Therapien grundsätzlich als genauso wirksam wie die evidenzbasierten Vergleichsbehandlungen, und speziell auch die kognitive Verhaltenstherapie, gelten können.“

    Rabung führt weiter aus: „Die vorliegende Meta-Analyse belegt somit eindrücklich das Potential psychodynamischer Therapien als gleichwertige Behandlungsoption im Reigen der verfügbaren evidenzbasierten Behandlungsalternativen. Dies ist von großer Versorgungsrelevanz, da jedes Therapieverfahren nur bei einem Teil der Patient/innen zum gewünschten Erfolg führt und deswegen potente Behandlungsalternativen benötigt werden.“

    Publikation:
    Steinert C, Munder T, Rabung S, Hoyer J, Leichsenring F: Psychodynamic Therapy: As Efficacious as Other Empiracally Supported Treatments? A Meta-Analysis Testing Equivalence of Outcomes. Am J Psychiatry 2017; 174:943–953; doi: 10.1176/appi.ajp.2017.17010057
    Begleitendes Editorial: Milrod B: The Evolution of Meta-Analysis in Psychotherapy Research. Am J Psychiatry 2017; 174:913–914; doi: 10.1176/appi.ajp.2017.17050539

    Pressestelle der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, 06.10.2017

  • Fetale Alkoholspektrumstörung

    Unter der Schirmherrschaft der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler, trafen sich am 29./30. September 2017 Vertreter aus Medizin, Wissenschaft und Politik auf der Fachtagung des Vereins FASD Deutschland. Anlässlich dieser Tagung appelliert die Drogenbeauftragte erneut, auf Alkohol in der Schwangerschaft komplett zu verzichten, und veröffentlicht die aktualisierte Informationsbroschüre „Die Fetale Alkoholspektrumstörung – Die wichtigsten Fragen der sozialrechtlichen Praxis“.

    Die Fetale Alkoholspektrumstörung ist eine oftmals unterschätze oder gänzlich unentdeckte Erkrankung mit gravierenden Folgen: Die Symptome reichen von intellektuellen Beeinträchtigungen, Wachstumsminderung und Verhaltensstörungen bis hin zu Herzfehlern. Viele dieser gesundheitlichen Auswirkungen bedeuten für die Betroffenen umfangreiche Einschränkungen im Alltag sowie im schulischen und beruflichen Bereich. Dabei ist FASD kein Randproblem: Jedes Jahr kommen in Deutschland bis zu 10.000 Kinder mit der allein durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft verursachten unumkehrbaren Fetalen Alkoholspektrumstörung (FAS/FASD) auf die Welt.

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler: „FASD ist in jedem Fall vermeidbar. Deswegen kann man nur appellieren, in der Schwangerschaft konsequent zu bleiben und auf alkoholische Getränke jeder Art zu verzichten. Alles andere gefährdet die Gesundheit der Kinder. Ich setze mich seit langem dafür ein, dass Betroffene die richtige Unterstützung erhalten. Noch immer sind viele Angehörige und Betroffene unsicher, welche Rechte sie haben und welche Hilfsangebote sie wahrnehmen können“, so die Drogenbeauftragte. „Betroffenen kann der Lebensweg durch gezielte Unterstützung enorm erleichtert werden. Dabei helfen kann der jetzt überarbeitete Ratgeber zu allen sozialrechtlichen Fragen rund um die Erkrankung FASD.“

    Die Drogenbeauftragte hat sich von Beginn ihrer Amtszeit intensiv für die Prävention von FASD, eine bessere Diagnose und eine aktivere Unterstützung der Betroffenen eingesetzt.  Auch ihr aktueller Jahresschwerpunkt „Kinder aus suchtbelasteten Familien“ widmet sich den Auswirkungen der Sucht der Eltern auf die Kinder – etwa 3 Millionen Kinder in Deutschland haben mindestens einen suchtkranken Elternteil.

    Informationen über die sozialrechtlichen Grundlagen sind nicht nur für die Betroffenen und deren Angehörige, sondern auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozial- und Jugendämter von großer Bedeutung. Durch die Pflegestärkungsgesetze I und II, das Regelbedarf-Ermittlungsgesetz, die Reform der Kinder- und Jugendhilfe sowie durch das Bundesteilhabegesetz haben sich wichtige Änderungen ergeben, die ab sofort in der überarbeiteten Version nachzulesen sind.

    Pressestelle der Bundesdrogenbeauftragten, 28.09.2017

  • Gesundheitspsychologie

    Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2017, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, 427 Seiten, € 28,00, ISBN 978-3-17-026149-5, auch als E-Book erhältlich

    Welche psychosozialen Bedingungen tragen zur Entstehung von organischen und psychischen Krankheiten bei? Was erhält Menschen gesund? Welche Rolle spielt dabei Stress? Dieses Lehrbuch stellt in der 2., überarbeiteten und erweiterten Auflage eine systematische Einführung in die Gesundheitspsychologie dar. Der Autor gibt eine in sich geschlossene Übersicht über die zentralen Theorien, aktuellen Ergebnisse der Forschung und Anwendungsmöglichkeiten der Gesundheitspsychologie. Ausgehend von den Problemen unseres medizinischen Gesundheitssystems entwickelt er die Grundfragen und -begriffe einer modernen Psychologie der Gesundheit.

    Theoretische Modelle der Krankheitsentstehung, der Salutogenese und Resilienz werden als Orientierung herangezogen, um die psychischen und sozialen Einflüsse auf den Gesundheits- und Krankheitsprozess systematisch zu beschreiben. Großen Raum nimmt dabei die Bedeutung der Gesundheitspsychologie für die Praxis ein, vor allem für die Prävention und Gesundheitsförderung.