Autor: Simone Schwarzer

  • Drogen- und Suchtbericht 2017

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, stellte am 18. August den Drogen- und Suchtbericht 2017 vor. Der jährlich erscheinende Bericht gibt eine umfassende Übersicht über die Aktivitäten der Bundesregierung im Drogen- und Suchtbereich.

    Die Drogenbeauftragte Marlene Mortler: „Der Drogen- und Suchtbericht 2017 macht deutlich, wie viel in dieser Legislaturperiode in der Drogen- und Suchtpolitik erreicht werden konnte. Ich denke dabei an das „Cannabis als Medizin“-Gesetz, das Verbot neuer psychoaktiver Stoffe, die Schockbilder auf Zigarettenverpackungen und die Novellierung des Substitutionsrechts. Ich kenne in Europa auch kein anderes Land, das so entschlossen auf die Herausforderung Crystal Meth reagiert hat wie Deutschland.“

    Klar sei aber, dass die Arbeit nicht weniger werde. Globale Trends stellten auch Deutschland vor neue Herausforderungen. Das beginne bei digitalen Angeboten, die zu einem Abrutschen in virtuelle Welten führen könnten, und reiche bis zur zunehmenden Zahl synthetischer Drogen auf dem Markt, die von vielen mit immer größerer Sorglosigkeit parallel konsumiert würden. Der diesjährige Bericht widmet dem Jahresschwerpunkt der Drogenbeauftragten „Kinder aus suchtbelasteten Familien“ ein Sonderkapitel.

    Mortler: „Suchtpolitik darf nicht bei den Suchtkranken selbst enden. Wir müssen uns viel mehr als bisher um die Kinder suchtkranker Menschen kümmern. Wenn wir die betroffenen Kinder nicht unterstützen, entwickelt ein Drittel von ihnen selbst eine Suchterkrankung und ein weiteres Drittel eine andere psychische Störung. Um Kindern Suchtkranker zu helfen, müssen alle ihre Hausaufgaben machen: Bund, Länder und Kommunen. Wir brauchen funktionierende Netzwerke und klare Ansprechpartner in den Städten und Gemeinden – und das nicht nur punktuell, sondern flächendeckend. Wir müssen die Länder gewinnen, den Aufbau dieser Strukturen finanziell zu unterstützen. Und der Bund muss die Frage beantworten, wie die Sozialsysteme zum Wohle dieser Kinder noch besser zusammenwirken können.“

    Der Drogen- und Suchtbericht führt außerdem die aktuellen Zahlen, Daten und Fakten rund um den Drogen- und Suchtmittelkonsum in Deutschland zusammen.

    „Besonders erfreulich sind die Trends beim Tabak- und Alkoholkonsum Jugendlicher. Die Bereitschaft Jugendlicher und Heranwachsender, Cannabis zu probieren, ist in den vergangenen Jahren dagegen gestiegen. Das ist auch deshalb so problematisch, weil der Wirkstoffgehalt von Cannabis heute etwa fünf Mal so hoch liegt wie noch vor 30 Jahren und deshalb die gesundheitlichen Auswirkungen gerade auf junge Menschen massiv gewachsen sind. Mir ist wichtig, dass wir der interessengetriebenen Verharmlosung von Cannabis in der nächsten Wahlperiode endlich die Fakten entgegensetzen – in den Schulen, in der betrieblichen Suchtprävention, überall da, wo junge Menschen sind. Hierfür werden wir in den kommenden Jahren einen Millionenbetrag in die Hand nehmen müssen“, so Mortler.

    Zum ersten Mal wird der Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung auch als so genanntes Flipbook erscheinen. In dieser multimedialen Version werden Texte und Grafiken durch Video- und Audiodateien ergänzt.

    Link zum Flipbook
    Download Drogen- und Suchtbericht 2017

    Pressestelle der Bundesdrogenbeauftragten, 18. August 2017

  • Kinder aus alkoholbelasteten Familien

    Hogrefe Verlag, Göttingen 2017, 3., neu ausgestattete Auflage, 278 Seiten, € 32,95, ISBN 978-3-801-72830-4, auch als E-Book erhältlich

    Das Aufwachsen in einer suchtbelasteten Familie kann für die Kinder langfristige Folgen haben, die auch im Erwachsenenalter noch spürbar sind. Allerdings gibt es auch viele Betroffene, die später ein weitgehend normales Leben führen können. Das Buch setzt sich kritisch mit den internationalen Forschungsergebnissen zu Risiken und Auffälligkeiten der Kinder von Abhängigen auseinander. Es thematisiert insbesondere auch die Chancen und Möglichkeiten für eine erfüllte Lebensgestaltung der Betroffenen.

    Das Buch geht ausführlich auf die Frage des erhöhten Abhängigkeitsrisikos der Betroffenen im Erwachsenenalter ein. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wird ein Modell der Transmission von Abhängigkeit in Suchtfamilien vorgestellt. In weiteren Kapiteln wird zudem aufgezeigt, wie Hilfeleistende, Eltern und Betroffene mit dem Abhängigkeitsrisiko umgehen sollten und welche Möglichkeiten der Prävention einer Suchtentwicklung existieren.

  • Arbeitssucht

    Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017, 54 Seiten, € 9,99, ISBN 978-3-658-18924-2, auch als E-Book erhältlich

    Ute Rademacher bietet eine praxisnahe Orientierung für den Umgang mit Arbeitssucht. Der Fokus liegt auf Empfehlungen für die Arbeitseinstellung, gesundem Arbeitsverhalten und den organisatorischen Rahmenbedingungen. Die gravierenden Folgen exzessiven und zwanghaften Arbeitens für die Betroffenen sowie ihr berufliches und soziales Umfeld sind vielen Menschen durch Medien und persönliche Erfahrungen bekannt. Dennoch sind sich Vorgesetzte, Personalverantwortliche und potenziell Betroffene oft unsicher, wo die Grenze zwischen Engagement und Arbeitssucht liegt. Ein Fragebogen zur Selbsteinschätzung und Erkennungszeichen arbeitssüchtigen Verhaltens geben hierfür eine klare Orientierung. Praktische Leitlinien für Führungskräfte sowie Checklisten für die Arbeitssucht-Prävention im eigenen Team und Unternehmen ergänzen die Darstellung der ökonomischen, medizinischen und psychologischen Forschung zur Arbeitssucht.

  • Lieber Smartphone als Fußball

    Sport ist nicht die liebste Freizeitbeschäftigung von Jugendlichen. Foto©Hochschule Heilbronn

    Jugendliche beschäftigen sich in ihrer Freizeit lieber mit Smartphone, Tablet und portablen Spielkonsolen als mit Sport: 10,3 Stunden Medienkonsum an Wochentagen und gar zwölf Stunden an den Wochenenden stehen 5,1 Stunden Sport pro Woche gegenüber. Das hat eine Studie zum Zusammenhang zwischen Mediennutzung und körperlicher Aktivität ergeben.

    Ein internationales Forscherteam hat dazu 391 Heranwachsende im Alter zwischen zehn und 14 Jahren in Tirol untersucht. Die Wissenschaftler haben einerseits den Body-Mass-Index (BMI) und die motorischen Fähigkeiten bestimmt, andererseits den Medienkonsum der Jugendlichen erfragt: Im Durchschnitt betätigten sich die Kinder und Jugendlichen an 4,4 Tagen der Woche sportlich. Sie waren durchschnittlich über einen Zeitraum von 5,1 Stunden aktiv. Professor Sebastian Kaiser-Jovy von der Hochschule Heilbronn kommentiert die Ergebnisse: „Als Teil eines zunehmend komplexen Freizeitverhaltens in der Jugend ist der Gebrauch von Medien ein bedeutender und bestimmender Faktor für die sportlichen Aktivitäten und die motorischen Leistungen.“ Zusammen mit seinen Kollegen Anja Scheu (Uni Mainz) und Prof. Dr. Klaus Greier (Uni Innsbruck) hat er die Studienergebnisse kürzlich in der renommierten „Wiener klinischen Wochenschrift – The Central European Journal of Medicine“ veröffentlicht.

    Wie sehr der Medienkonsum in Konkurrenz zu allen anderen Aktivitäten des täglichen Lebens tritt, zeigen die Erhebungsdaten: Im Durchschnitt verfügt jeder der Heranwachsenden über 5,6 der folgenden Geräte: Fernsehen, Mobiltelefon, Smartphone, Tablet, PC/Laptop, stationäre und portable Spielkonsolen, CD-Spieler, MP3-Player und Radio. 31,1 Prozent gaben an, sie könnten ohne Smartphone nicht leben. Die soziale Schicht spielt dabei keine Rolle. Die Anzahl der verfügbaren Medien ist ebenfalls unabhängig vom Alter, dem Schultyp oder dem sozialen Status der Familien. Sie ist auch unabhängig von einem möglichen Migrationshintergrund.

    Nahm man alle Medien in Betracht, so benutzten die Heranwachsenden die Geräte pro Tag im Durchschnitt 10,3 Stunden lang. Am Wochenende waren es bereits zwölf Stunden. Der Konsum von Medien mit Bildschirmen macht davon unter der Woche im Durchschnitt 8,2 Stunden aus, am Wochenende sind es 9,9 Stunden. Die Gesamtwerte waren bei den Jungen um 2,5 Stunden höher als bei den Mädchen.

    Starker Medienkonsum, ein hoher BMI-Wert und Migrationshintergrund korrelieren negativ mit sportlichen Aktivitäten und den motorischen Fähigkeiten. Allerdings bedingen sich die Faktoren gegenseitig und können sowohl Ursache als auch Nebeneffekt sein. Medienkonsum beeinflusst sportliche Aktivitäten bzw. motorische Fähigkeiten nicht per se. Es handelt sich eher um einen ‚Zeit-Killer‘ und ist damit Teil des komplexen Freizeitverhaltens bei Jugendlichen.

    Veröffentlichung:
    Kaiser-Jovy, S., Scheu, A. & Greier, K. (2017). Media use, sports activities, and motor fitness in childhood and adolescence. Wiener klinische Wochenschrift, 129(13-14), 464-471. https://doi.org/10.1007/s00508-017-1216-9

    Pressestelle der Hochschule Heilbronn, 11.08.2017

  • Arbeitslosigkeit

    Arbeitslosigkeit kann krank machen. Daten des aktuellen BKK-Gesundheitsreports belegen, dass stressbezogene Symptome, Depressionen, Angst und psychosomatische Beschwerden bei Arbeitslosen häufiger diagnostiziert werden als bei Berufstätigen. Trotz erfolgreicher Maßnahmen bestehen weiterhin Umsetzungsdefizite bei der Prävention und beruflichen Wiedereingliederung für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Die Zusammenarbeit von Psychotherapeuten und Arbeitsvermittlung sollte daher verbessert werden.

    Studien belegen: Psychische Erkrankungen können das Risiko eines Arbeitsplatzverlustes erhöhen. Doch der umgekehrte Fall ist keine Seltenheit, wie Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundesärztekammer betont: „Durch die Arbeitslosigkeit können sich die psychischen Beschwerden dann verstärken oder die Arbeitslosigkeit kann psychische Beschwerden verursachen.“ Die Betroffenen befinden sich dann in einem Teufelskreis, aus dem sie ohne professionelle Unterstützung nicht mehr herausfinden.

    Für viele Betroffene ist der Verlust des Arbeitsplatzes eine schwere Belastung. Arbeit ist zeitstrukturierend, sinnstiftend, statusvermittelnd, sozialisierend sowie zielführend. Bei Verlust des Arbeitsplatzes kommen zu den finanziellen Sorgen Motivationsprobleme und Antriebsschwäche hinzu. Das Zusammenspiel dieser Komponenten erschwert oft die Arbeitssuche. Die wichtigste Präventionsmaßnahme ist die Vermittlung einer neuen Beschäftigung.

    Das Präventionsgesetzt hat die Rahmenbedingungen zur Förderung der psychischen Gesundheit von Arbeitslosen verbessert. In Modellprojekten wie „JobFit“ oder „AktivA“ werden Arbeitslose in Stressmanagement, Bewegung, Ernährung und sozialer Kompetenz geschult. Die Ergebnisse zeigen positive Effekte auf Gesundheit und Lebensqualität der Teilnehmer.

    Defizite gibt es laut Dr. Dietrich Munz noch bei der Kooperation zwischen Arbeitsvermittlern, Psychotherapeuten und Betriebsärzten. Mitarbeiter in Jobcentern sollten geschult werden, um besser auf die Bedürfnisse von Menschen mit psychischen Beschwerden eingehen zu können. Eine motivierende Ansprache ist unter Umständen hilfreicher als die Betonung der Mitwirkungspflicht. Der berufliche Wiedereinstieg ist für die Betroffenen meist anstrengend. Betriebsärzte und Psychotherapeuten können diesen erleichtern, indem sie beratend zur Seite stehen. Sie sollten daher stärker von Unternehmen einbezogen werden, um geeignete Maßnahmen für psychisch Erkrankte zu erarbeiten.

    Aus Angst vor Stigmatisierung verheimlichen viele Menschen ihre psychischen Probleme und suchen sich keine professionelle Hilfe. Unerlässlich ist daher eine bessere Aufklärung der Bevölkerung und Bekämpfung von Vorurteilen. Nur so können psychisch kranke Menschen eine bessere Chance auf Wiederbeschäftigung entsprechend ihrer Möglichkeiten erhalten.

    Mehr zum Thema „Arbeitslosigkeit und psychische Gesundheit“ lesen Sie im Beitrag von Dr. Dietrich Munz in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin“ (ASU): https://www.asu-arbeitsmedizin.com

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM), 09.08.2017

  • Kinderschutz-Hotline

    Seit 1. Oktober 2016 fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) das Projekt „Medizinische Kinderschutz-Hotline“ des Universitätsklinikums Ulm. Nach einer sechsmonatigen Vorbereitungsphase stand die „Medizinische Kinderschutz-Hotline“ zunächst seit April 2017 für Medizinerinnen und Mediziner in den Bundesländern Berlin, Brandenburg und Baden-Württemberg im Pilotbetrieb zur Verfügung. Am 1. Juli 2017 ist nunmehr der bundesweite reguläre Betrieb der Hotline gestartet.

    Die Hotline richtet sich an medizinisches Fachpersonal. Hierzu gehören Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, (Kinder- und Jugendlichen-)Psychotherapeutinnen und -therapeuten sowie Pflegekräfte. Angehörige dieser Berufsgruppen können jetzt im ganzen Bundesgebiet und rund um die Uhr unter der Nummer 0800 19 210 00 bei Verdacht auf Misshandlung, Vernachlässigung oder sexuellen Missbrauch eine direkt verfügbare, kompetente, praxisnahe und kollegiale Beratung durch Ärztinnen und Ärzte mit speziellem Hintergrundwissen in Kinderschutzfragen erhalten.

    „Dem Gesundheitswesen kommt für den Kinderschutz eine Schlüsselfunktion zu“, macht Bundesfamilienministerin Dr. Katarina Barley deutlich. „Oft sind Ärztinnen und Ärzte die Ersten, zu denen ein akut misshandeltes oder vernachlässigtes Kind gebracht wird. Sie sind daher in besonderer Weise gefordert, im Sinne des Kinderschutzes zu handeln. Dafür brauchen sie Unterstützung und Handlungssicherheit.“

    Erste Erfahrungen aus dem Pilotbetrieb der Kinderschutz-Hotline zeigen, dass innerhalb des Gesundheitswesens Unsicherheiten beim Umgang mit Verdachtsfällen von Kindeswohlgefährdung bestehen. Gerade an der Schnittstelle zur Kinder- und Jugendhilfe erschweren unterschiedliche Fachsprachen und Herangehensweisen eine gute Zusammenarbeit im Sinne des Kindeswohls. Vor diesem Hintergrund bietet die Kinderschutzhotline eine spezifische Beratung an, beispielsweise bei Fragen wie: Was sind die gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf Schweigepflicht und ärztliches Handeln? Welche Schritte kann oder muss ich in einem Kinderschutzfall einleiten? Wo gibt es Hilfe vor Ort?

    Die Beraterinnen und Berater an der Hotline durchlaufen zusätzlich zu ihrer medizinischen Aus- und Weiterbildung einen Kurs zur „insoweit erfahrenen Fachkraft“, der sich üblicherweise an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe richtet. Den Beraterinnen und Beratern steht rund um die Uhr ein fachärztlicher Hintergrunddienst zur Verfügung. Das Angebot wird fortlaufend qualitätsgesichert begleitet und extern evaluiert.

    Anlässlich des Starts des Regelbetriebs der Kinderschutz-Hotline besuchte Bundesfamilienministerin Dr. Katarina Barley am 27. Juli 2017 den Berliner Standort des Projekts, das DRK-Klinikum Westend.

    Weitere Informationen: www.kinderschutzhotline.de

    Pressestelle des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ), 27.07.2017

  • Das Projekt Su+Ber

    Das Projekt Su+Ber

    Im ersten Teil des Artikels (vom 11. Juli 2017) wurden die Schwachstellen des Versorgungssystems im Hinblick auf die Reintegration in Arbeit von abhängigkeitskranken Langzeitarbeitslosen als Hintergrund für die Entstehung des Projektes Su+Ber beschrieben. Im zweiten Teil wird nun das Projekt selbst vorgestellt. Im Rahmen des Projekts Su+Ber (Sucht und Beruf – Beruflicher Neustart trotz Sucht) haben Langzeitarbeitslose mit Abhängigkeitserkrankung in Baden-Württemberg seit Anfang 2016 die Möglichkeit, sich im Rahmen einer Arbeitsfördermaßnahme ohne Abstinenzverpflichtung mit dem eigenen Suchtverhalten auseinanderzusetzen, soweit dieses eine berufliche Reintegration und eine soziale Teilhabe konkret beeinträchtigt oder gefährdet. Die Projektförderung erfolgt etwa zur Hälfte aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF).

    Zentrale Entwicklungsziele des ESF-Projekts Su+Ber

    Karl Lesehr

    Anstelle eines weiteren Abmühens an bestehenden sozialleistungsrechtlichen Abgrenzungen und an Schnittstellen, die den institutionellen Eigenlogiken entsprechen, wird in Su+Ber eine neuartige und konsequent nutzerorientierte Vernetzung von Jobcenter, Arbeitshilfeträger und Suchtberatung entwickelt. Dabei ist die Beratungsstelle als anerkannter Leistungserbringer der ambulanten Suchtrehabilitation an einer zeitlichen, örtlichen, personellen und fachlichen Vernetzung zweier teilhabeorientierter Sozialleistungen (Suchtreha und Arbeitsförderung) im Lebensalltag der langzeitarbeitslosen Menschen beteiligt. Durch diese Leistungsvernetzung wird für die Projektteilnehmer eine auch über den Zeitpunkt einer Arbeitsaufnahme hinausreichende Betreuungskontinuität ermöglicht. Durch projektspezifische Instrumente und durch standardisierte Bausteine der Zusammenarbeit soll erreicht werden, dass die beiden Leistungsträger jeweils ihre volle Leistungsverantwortung beibehalten, sich aber auch wie die beiden Leistungserbringer als Partner einer gemeinsamen Entwicklungsförderung verstehen und sich ungeachtet aller eigenen abgegrenzten Leistungszuständigkeiten auf eine gemeinsame Suche nach der im Einzelfall wirksamsten Förderungsoption einlassen.

    Kooperation kann nur dann funktionieren, wenn für alle Beteiligten auch Erfolge erkennbar werden: Das Projekt Su+Ber konzentriert sich deshalb ganz bewusst auf Langzeitarbeitslose, für die schon nach einer relativ kurzen und durch suchtrehabilitative Leistungen gestützten Arbeitsfördermaßnahme eine realistische Chance auf die Reintegration in einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz vermutet und dann realisiert werden kann. Als mögliche Zielgruppen wurden daher definiert:

    • Langzeitarbeitslose, die hinreichend stabil substituiert und an einer vollwertigen beruflichen Reintegration nachweislich interessiert sind,
    • Langzeitarbeitslose, die aufgrund gescheiterter Rehaerfahrungen oder auch persönlicher Entscheidung aktuell nicht zu einer abstinenzgebundenen Suchtrehamaßnahme fähig oder bereit sind (v. a. Alkohol), bei denen aber begründete Aussicht besteht, dass sie mit einem strukturierten Suchtmittelkonsum hinreichend arbeitsfähig und in der Lage sind, ihren Lebensalltag nachhaltig ohne suchtbedingte Krisen in den Griff zu bekommen,
    • langzeitarbeitslose Rehabilitanden aus einer (teil)stationären Suchtrehamaßnahme, die sich bereits für eine Suchtmittelabstinenz entschieden haben und für die eine Rückkehr in die vertraute soziale Umgebung wünschenswert ist, die aber nach ihrer regulären Entlassung noch nahtlos eine gezielte alltagsnahe Weiterbehandlung und Förderung für eine wirksame berufliche Reintegration brauchen,
    • langzeitarbeitslose Teilnehmer aus ambulanter Suchtreha, die sich zwar für eine Suchtmittelabstinenz entschieden haben, die aber im Rehaverlauf wiederholt Probleme bei der Aufrechterhaltung einer umfassenden Abstinenz hatten und die aktuell auch nicht für eine stationäre Suchtrehamaßnahme gewonnen werden können; diese Teilnehmer können dann in die arbeitsorientierte ambulante Suchtreha im Projekt Su+Ber übernommen werden, wenn trotz der Suchtmittelrückfälle während der ambulanten Reha eine erfolgreiche Weiterführung der Suchtrehabilitation im Rahmen des Projekts Su+Ber zu vermuten ist.

    Das Projekt Su+Ber geht davon aus, dass sich für eine derartige konkrete Arbeitsplatzperspektive vor allem Klienten gewinnen lassen, die bereits seit langem wiederholt oder kontinuierlich Betreuungsleistungen der Beratungsstelle nutzen oder die durch abstinenzgebundene Suchtrehamaßnahmen nicht wirksam im Erwerbsalltag stabilisiert werden konnten. Entscheidende Voraussetzung für das Projekt Su+Ber ist deshalb ein Konzept suchtrehabilitativer Leistungen, das sich konsequent an einer konstruktiven Bewältigung von Arbeitsrealität orientiert und bei dem eine Suchtmittelabstinenz nur eine mögliche (und oft auch wünschenswerte) Option im Umgang mit Suchtmitteln darstellt. Ziel der suchtrehabilitativen Arbeit im Projekt Su+Ber ist demnach die Entwicklung einer beschäftigungssichernden eigenen Problemwahrnehmung und Risikokompetenz, also einer der aktuellen Lebenslage entsprechenden Selbststeuerungskompetenz und -bereitschaft.

    Konzeptionelle Umsetzung des ESF-Projekts Su+Ber

    Für diese Projektideen konnte im Förderaufruf NaWiSu im Herbst 2015 die Unterstützung der Landespolitik, aber auch der Regionaldirektion für Arbeit und der DRV Baden-Württemberg gewonnen werden. Mit sechs Standorten konnte das Projekt Su+Ber zum Jahresbeginn 2016 starten. Beteiligt sind sechs Jobcenter (davon drei von Optionskommunen), sechs federführende Suchtberatungsstellen (die sich im Vorfeld mit anderen Suchtberatungsstellen im regionalen Einzugsgebiet auf eine gemeinsame Nutzung dieses Projekts verständigt hatten) und sechs an diesem Projekt interessierte Arbeitshilfeträger. Projektträger ist die Werkstatt Parität Stuttgart. Die zunächst aus haushaltstechnischen Gründen auf zwei Jahre begrenzte Projektlaufzeit wird nach aktuellem Stand wohl bis Ende 2018 auf dann drei Jahre verlängert werden, um so auch sinnvolle erste Entwicklungsdaten gewinnen zu können.

    Im Projekt werden aus Landesmitteln nur die Suchtberatungsstellen (Aufwand für 0,8 Vollzeitkräfte) und der Projektträger gefördert; für die Arbeitsfördermaßnahmen wurden im Projektaufruf vergleichsweise günstige Personalschlüssel definiert, die eine intensive Kooperation ermöglichen sollen und von den beteiligten Jobcentern voll finanziert werden. Die DRV Baden-Württemberg fördert die wissenschaftliche Begleitung des Projekts durch das Institut für Therapieforschung München (IFT). Die Entwicklung der notwendigen Rahmenkonzeption für eine projektspezifische ambulante Suchtreha sowie die Einbindung der projektbezogenen Evaluation in die Systematik der Deutschen Suchthilfestatistik wurden ergänzend einmalig vom Suchtreferat des Sozialministeriums gefördert.

    Das Projekt sieht für die Teilnehmer drei Projektphasen vor:

    • In der Phase A (Clearing) bemühen sich die beteiligten Einrichtungen um die Gewinnung und Motivierung von Projektteilnehmern (Grobclearing, Erarbeitung einer persönlichen Entwicklungsperspektive). Dies erfolgt zunächst in den jeweils eigenen Handlungsfeldern und mündet im gemeinsamen prognostischen Verfahren eines Grobclearings, bei dem alle mit dem potentiellen Projektteilnehmer persönlich befassten Kontaktpersonen eine Einschätzung abgeben sollen (also Jobcenter, Beratungsstelle, Arbeitshilfeträger, Substitutionsarzt, Bewährungshelfer o. ä.). Das Grobclearing dient der für jede Sozialleistung erforderlichen prognostischen Einschätzung der aktuell nutzbaren Fähigkeiten und Ressourcen. Es muss zwingend ergänzt werden um eine Klärung der persönlichen Entwicklungsperspektiven und der Teilhabebereitschaft. Die Ergebnisse dieses umfassenden Grobclearings bilden die Grundlage einer gemeinsam abgestimmten Behandlungs- und Maßnahmenempfehlung gegenüber der DRV Baden-Württemberg bzw. dem Jobcenter. Um schon in dieser Phase der Teilnehmergewinnung die Erfahrungen an einem konkreten Arbeitsplatz motivationsklärend nutzen zu können, wurde im Projektverlauf die Möglichkeit geschaffen, dass potentielle Projektteilnehmer quasi auf Probe dem Arbeitshilfeträger für eine Arbeitsfördermaßnahme zugewiesen werden und dass dann in diesem Setting alle weiteren Clearingaktivitäten erfolgen.
    • Die Phase B (Training, Entwicklung) besteht aus der Integration einer sechs- bis achtmonatigen Maßnahme der Arbeitsförderung und einer Maßnahme der projektspezifischen ambulanten Suchtreha. Die Teilnahme ist nur möglich, wenn die Teilnehmer sich freiwillig für diese Leistungsvernetzung entscheiden und mit dem Projektkonzept einverstanden sind. Im Projekt Su+Ber wird zudem eine personelle Verflechtung zwischen der Suchtberatung und dem Sozialdienst des Arbeitshilfeträgers angeregt, die Arbeitsfördermaßnahme sollte regelmäßig auch vor Ort suchtkompetent begleitet und beobachtet werden (sechs bis acht Wochenstunden). Die Leistungen der ambulanten Suchtreha sollen dabei bestmöglich in die Arbeitsplatzstruktur und in den Lebensalltag der Teilnehmer eingebunden sein und hier v. a. einen konfrontierend-stützenden Charakter haben: Ziel ist es, die Kompetenz der Teilnehmer, ihre arbeitsplatzrelevanten Risiken und Schwächen zu erkennen, zu fördern und die Teilnehmer dann gezielt bei konstruktiven Verhaltensmustern zu unterstützen.Nach den ersten acht Wochen in Phase B wird das Grobclearing wiederholt; dabei sollen sowohl das aktuelle Reintegrationsziel als auch der dafür gewählte Weg über das Projekt Su+Ber überprüft und bei Bedarf zusammen mit dem Teilnehmer Entscheidungen zur Veränderung der individuellen Entwicklungsplanung getroffen werden. Bis zum Ende der sechs- bis achtmonatigen Arbeitsfördermaßnahme soll eine Vermittlung an einen sozialversicherungspflichtigen eigenen Arbeitsplatz intensiv versucht und über Betriebspraktika unterstützt werden.Bei einer vorzeitigen Beendigung der Projektteilnahme nach dem zweiten Grobclearing oder auch bei einer Beendigung ohne erfolgreiche Vermittlung an einen eigenen Arbeitsplatz findet eine abschließende Auswertung statt, in der der Teilnehmer von allen Beteiligten eine differenzierte Bewertung der mit ihm gemachten Erfahrungen erhält. Gemeinsam wird dann nach anderen, möglicherweise wirksameren, Fördermöglichkeiten und Behandlungsformen oder nach anderen aktuell vorrangigen Interventionsformen gesucht; entsprechende Maßnahmen werden möglichst unmittelbar im Kontext der Leistungsvernetzung eingeleitet. Grundhaltung bei all diesen Bemühungen ist, dass eine Maßnahme zwar vielleicht nicht zum gewünschten Ergebnis geführt und der Teilnehmer möglicherweise bislang unbekannte Entwicklungsbedarfe entdeckt hat, dass aber eine vorzeitige Beendigung oder eine Beendigung ohne Arbeitsplatzvermittlung nicht automatisch schon als Versagen oder Scheitern des Teilnehmers wahrgenommen wird.
    • In der Phase C (nachhaltige Stabilisierung der Arbeitsreintegration) hat der Teilnehmer im Regelfall einen eigenen Arbeitsplatz und kann dann für weitere zwölf Monate eine intensive suchtrehabilitative Begleitung und Stabilisierung seiner alltäglichen Arbeits- und Lebenssituation nutzen, auch direkt am Arbeitsplatz oder im familiären Umfeld. In diese Weiterbetreuung können im Interesse von Beziehungskontinuitäten auch Fachkräfte des Arbeitshilfeträgers integriert werden.

    Erfahrungen und Ergebnisse aus dem ersten Projektjahr 2016

    An allen Projektstandorten wurden zwischen den beteiligten Akteuren verbindliche und regelmäßige (teilweise monatlich) fallbezogene Arbeitsformen aufgebaut, die von den Beteiligten durchweg als lohnend und hilfreich erlebt werden: In der fallbezogenen Vernetzung geht es nicht mehr nur um Informationsaustausch, sondern zunehmend darum, wie nächste Schritte für einen konkreten Menschen gemeinsam wirksam gestaltet werden können. Vor allem die für das Projekt an mehreren Standorten definierten ‚Scharnierverantwortlichen‘ in den Jobcentern werten diese Netzwerkstrukturen als sehr hilfreich und trotz hoher Sitzungsdichte erstaunlich effizient. Während sich die beteiligten Jobcenter meist relativ leicht über die Beauftragung solcher institutioneller Bezugspersonen für das Projekt Su+Ber verständigen konnten, erwies sich eine vergleichbare Verankerung in den beteiligten Suchtberatungsstellen und v. a. auch in kooperierenden anderen Suchtberatungsstellen teilweise als strukturell mühsam und sogar konflikthaft.

    An einzelnen Standorten gab es durch das Projekt Su+Ber erstmals mehr als nur punktuelle Gesprächskontakte zwischen Suchtberatung und Arbeitshilfeträgern. Das Eintauchen in die Denkvorstellungen und in die Handlungswirklichkeiten der jeweils anderen Seite bedeutet natürlich auch Verunsicherung, wird aber vielerorts als Neuland erlebt, in dem auch bislang unbekannte Entwicklungsmöglichkeiten für die eigenen Klienten/Kunden gestaltet werden können. Allein schon die eigenen Suchtklienten außerhalb des Beratungszimmers in einer vergleichsweise normalen Alltagssituation mit all ihren Implikationen erleben zu können, kann Horizonte öffnen.

    Mit dem relativ einfachen Instrument des Grobclearings wurde eine effiziente Form gefunden, in der sich die verschiedensten Akteure trotz aller fachlichen und menschlichen Unterschiede in eine gemeinsame Entwicklungsplanung einbringen und gleichzeitig von den Einschätzungen anderer profitieren können. Nicht zuletzt ist die gemeinsame Bearbeitung dieses Grobclearings für die Teilnehmer selbst eine sehr differenzierte und letztlich stärkende Beziehungserfahrung – sie können im Idealfall ein entwicklungsorientiertes persönliches Beziehungsnetz erleben.

    Gleichzeitig wird über das Projekt Su+Ber auch deutlich, wie ‚behandlungsfixiert‘ in den beteiligten Suchtberatungsstellen teilweise noch gearbeitet wird. Aus den ersten Schwierigkeiten bei der Teilnehmergewinnung ging hervor, wie wenig die Frage einer konkreten Reintegration in Arbeit beispielsweise bei der Rehagesamtplanung und Rehavermittlung bislang schon berücksichtigt wird oder auch wie selten solche Rehaplanungen nicht nur das Ergebnis eines individualisierten Beratungsprozesses sind, sondern auch die differenzierte Expertise eines ganzen Teams einbeziehen.

    Ähnliches gilt für die Fachkräfte der Arbeitshilfeträger, die ja auch in vielen sonstigen Arbeitsfördermaßnahmen mit Menschen mit Abhängigkeitsstörungen konfrontiert sind und deshalb notgedrungen oft sehr pragmatisch-kurzfristige Problemlösungen im Umgang mit diesen Menschen entwickelt haben. Jetzt in der Auseinandersetzung mit suchtkompetenten Kollegen zu entdecken, dass deren zentrales Handwerkszeug eine reflektierte und methodisch geschulte Beziehungsarbeit ist, hilft diesen Fachkräften, einen umfassenderen Blick auf die Lebenslage und damit auf die Entwicklungsoptionen und Förderungsbedarfe des einzelnen Teilnehmers zu finden.

    Zu Projektbeginn hat sich die Projektgruppe intensiv mit dem Institut für Therapieforschung München (IFT) über Möglichkeiten und Details einer wissenschaftlichen Evaluation verständigt. Ziel war es, für alle standardisierten Evaluationsdaten die EDV-gestützte Datenerhebung für die Deutsche Suchthilfestatistik zu nutzen und deshalb alle weiteren für das Projekt notwendigen teilnehmerbezogenen Daten auch darüber zu erheben. Nachdem der Verfasser dieses Artikels als Mitglied des Fachausschusses Statistik der DHS damals unmittelbar in die Überarbeitung des Kerndatensatzes Sucht eingebunden war und zudem in Baden-Württemberg vom Sozialministerium mit der Erweiterung des KDS 3.0 um einen landesspezifischen Datensatz und dessen Implementierung in die Dokusoftware beauftragt war, waren hier zahlreiche Synergieeffekte möglich.

    Im bisherigen Projektverlauf mussten die Initiatoren lernen, dass zahlreiche Klienten (v. a. Substituierte), die nach Einschätzung der betreuenden Beratungsstelle durchaus für eine Projektteilnahme geeignet und daran auch interessiert wären, viel stärker in ihrem aktuellen (eben auch arbeitslosen) Lebensstil verankert sind, als sie sich bislang wohl selbst eingestanden hätten. Es wird verstärkt deutlich, dass vielerorts das Behandlungskonzept der Drogensubstitution immer weniger mit der Perspektive einer Verbesserung beruflicher Teilhabe verbunden ist: Für viele Mitarbeiter in der Suchthilfe und angrenzenden Gebieten impliziert das Bemühen um die Aufnahme einer Arbeit den Ausstieg aus der Substitutionsbehandlung (was auch die Premos-Studie – aber als eher problematisch – skizziert, vgl. Wittchen et al., 2011). Gleichzeitig wurde deutlich, dass für eine wirksame Motivierung für eine berufliche Reintegration eben nicht nur der einzelne Patient/Klient, sondern eben auch verstärkt die subjektiven Realitäten des familiären und sozialen Umfelds einbezogen werden müssen.

    Für den Verfasser als fachlichen Begleiter des Projekts Su+Ber war und ist die schönste Erfahrung, dass immer wieder Projektmitarbeiter in der Suchtberatung begeistert entdecken, welche Gestaltungsfreiräume sich für sie in ihrer Arbeit mit dem Projekt auftun. Natürlich ist dieses Projekt mit einem erheblichen Mehraufwand an Arbeit verbunden, und natürlich stellen sich in einem solchen Vernetzungsprojekt zahlreiche Fachfragen und auch datenschutzrechtliche Unsicherheiten. Gemeinsam wurden aber bislang für alle diese Fragen konstruktive und alltagstaugliche Lösungen gefunden. Dennoch muss allen Beteiligten klar bleiben, dass niemand für alle Situationen und alle individuellen Bedarfe von Hilfe Suchenden eine passende Problemlösung bereitstellen kann – schon gar nicht im Rahmen eines Modellprojekts, das die Ergebnisse ganz spezifischer Lösungswege sauber evaluieren will.

    Konzeption für eine ambulante Suchtrehabilitation im Rahmen des ESF-Projekts Su+Ber

    Zentrales Arbeitsergebnis aus dem ersten Projektjahr ist die intensive Erarbeitung einer Rehakonzeption für das Su+Ber-Projekt, die zum Jahresende 2016 auch von der DRV Baden-Württemberg anerkannt wurde. Mit dieser Konzeption gewährt die DRV Baden-Württemberg für das Projekt Su+Ber zahlreiche Entwicklungsfreiräume. Dafür ist die Projektgruppe dankbar und sie ist stolz zugleich, denn es war auch in der Projektgruppe Mut notwendig, um in diesem Maß über bewährte Formen hinaus zu denken und dennoch die gewohnte Leistungsqualität ambulanter Suchtreha nicht aus dem Blick zu verlieren. Viele dieser Entwicklungsfreiräume gilt es nun im weiteren Projektverlauf teilnehmerorientiert und kreativ zu nutzen und zu gestalten – immer mit Blick auf eine wirksame und nachhaltige Reintegration in Arbeit und die darauf orientierte Evaluation der Projektarbeit. Im Folgenden werden wesentliche Innovationen dieser Rehakonzeption dargestellt:

    • Für die ambulante Suchtreha im Projekt Su+Ber wurden die möglichen Zielgruppen (Indikationskriterien) erweitert, es besteht keine Abstinenzvoraussetzung und auch keine zwingende Abstinenzperspektive – zentrales suchtrehabilitatives Kriterium ist vielmehr eine stabile berufliche Reintegration bei dafür notwendiger Reduktion bzw. Auflösung suchtassoziierter Risiken.
    • Die DRV Baden-Württemberg ist bereit, die Ergebnisse des leistungsträgerübergreifenden und interdisziplinären Grobclearings als wesentlichen Baustein der für eine Leistungszusage notwendigen Erfolgsprognose zu nutzen. Analog dazu werden auch projektbezogene Entscheidungen zur vorzeitigen Beendigung einer Projektteilnahme von der DRV für die bewilligte Suchtrehamaßnahme übernommen (im Regelfall endet mit der Projektteilnahme also auch die ambulante Suchtreha, sofern nicht gemeinsam mit dem Rehabilitanden die Weiterführung in einer anderen Suchtrehaform vereinbart wurde).
    • Im Projekt Su+Ber sollen geeignete Verfahren zur Erarbeitung teilhaberelevanter persönlicher Entwicklungsziele und -bereitschaften entwickelt werden, auf deren Grundlage die Nutzung unterschiedlicher Rehaformen wirksamer gesteuert werden könnte.
    • Für die auf eine unmittelbare Arbeitsintegration orientierte ambulante Suchtreha wurden vorläufig sieben suchtrehabilitative Entwicklungsdimensionen formuliert, die für die Fachkräfte sowie für den einzelnen Teilnehmer eine verständliche Grundlage für die jeweiligen in einer Rehagesamtplanung zu vereinbarenden suchtrehabilitativen Leistungen sein sollen. Die Verfasser der Konzeption erhoffen sich von einer konsequenten Zuordnung aller suchtrehabilitativen Leistungen zu diesen sieben Dimensionen, dass darüber auch eine qualitative Professionalisierung der entsprechenden suchtrehabilitativen Kompetenzen der Fachkräfte in der Suchtberatung/ambulanten Suchtrehabilitation erleichtert werden kann.
    • Die ersten Erfahrungen mit den Projektteilnehmern haben rasch gezeigt, dass die vertrauten Arbeitsformen ambulanter Suchtreha bei ihnen auf wenig Gegenliebe und teilweise sogar auf offene Ablehnung stoßen. Manche Teilnehmer wären z. B. mit den üblichen Gruppensitzungen weitgehend überfordert. Sehr positiv ist deshalb, dass sich die DRV Baden-Württemberg darauf eingelassen hat, für die Arbeit im Projekt Su+Ber statt der sonst verbindlichen Klassifikation therapeutischer Leistungen (KTL) projektspezifische Leistungskategorisierungen zuzulassen und zu erproben. Der von der Projektgruppe entwickelte Katalog suchtrehabilitativer Leistungen im Projekt Su+Ber gliedert sich auf der ersten Ebene in sieben Inhaltsdimensionen und ordnet diesen dann auf einer zweiten Ebene Leistungsarten zu (jeweils etwa zehn Maßnahmen mit dem einzelnen Teilnehmer bzw. mit einer Gruppe oder im sonstigen sozialen Kontext). Diesen damit inhaltlich und formal definierten Maßnahmen werden dann Zeiteinheiten in 10-Minuten-Schritten zugeordnet. Mit dieser Variabilität von Zeit und der Unabhängigkeit der Leistungsarten von Therapieschulen sollen auch kleinteilige Interventionsformen ermöglicht werden, die im Setting der Arbeitsfördermaßnahme oder im Alltag von den Teilnehmern gut umgesetzt werden können. Für eine Leistungsabrechnung werden solche kleinteiligen Zeiteinheiten dann zu den für die ambulante Suchtreha geltenden Abrechnungseinheiten zusammengefasst.
    • Während sich in den letzten Jahren v. a. in der stationären Suchtrehabilitation das Spektrum arbeitsbezogener Suchtrehaleistungen deutlich ausdifferenziert hat, geht das Projekt Su+Ber bei seiner Leistungsvernetzung davon aus, dass alle unmittelbar auf die Arbeitsintegration bezogenen Förderleistungen in der vorrangigen Leistungszuständigkeit des SGB II bleiben. Für Leistungen wie z. B. das Bewerbungstraining wird die Suchtreha deshalb im Regelfall nur supportiv einbezogen, um dabei die spezifischen Probleme und Risiken, die aufgrund einer Abhängigkeitsstörung bestehen, zu thematisieren.
    • Für das Projekt Su+Ber besteht von Seiten der DRV Baden-Württemberg sowohl die Bereitschaft zu den im Projektverlauf notwendig kurzfristigen Leistungsentscheidungen als auch zu einer Langfristigkeit für die im Projektverlauf konzipierte Gesamtbetreuungszeit (inklusive einer gegebenenfalls für die Absicherung der vollen Projektlaufzeit noch erforderlichen Suchtrehanachsorge). Gleichzeitig besteht die Bereitschaft, einen Übergang in das Projekt Su+Ber aus anderen (abstinenzorientierten) Rehaformen bei fachlicher Begründung und einer Mitwirkungsbereitschaft des Rehabilitanden zeitnah zu ermöglichen.

    Nach den erwartbaren anfänglichen Schwierigkeiten nicht nur bei der Teilnehmergewinnung, sondern auch bei der konkreten Umsetzung des Projekts im ersten Projektjahr sind die Initiatoren wirklich neugierig darauf, welche differenzierten ersten Ergebnisse und Bewertungen der Projektarbeit sie vom IFT in den nächsten Wochen und Monaten als externes Feedback erwarten dürfen.

    Literatur beim Verfasser. Alle im Text erwähnten projektbezogenen Unterlagen sind als Datei über den Verfasser erhältlich.

    Kontakt:

    Karl Lesehr, M.A.
    Fachberatung Sucht im Projekt Su+Ber
    Werkstatt PARITÄT gemeinnützige GmbH
    Hauptstraße 28
    70563 Stuttgart
    lesehr@paritaet-bw.de
    www.werkstatt-paritaet-bw.de

    Angaben zum Autor:

    Karl Lesehr war lange als Mitarbeiter und Leiter einer Suchtberatungsstelle tätig. Danach arbeitete er als Referent für Suchthilfe beim Diakonischen Werk Württemberg und beim PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg. Als Ruheständler nimmt er Beratungsaufträge wahr. Neben der Mitwirkung im Projekt Su+Ber hat er noch die fachliche Leitung des Projekts VVSub (zur verbesserten Behandlungskooperation zwischen Arzt und Suchtberatung in der Substitutionsbehandlung).