Autor: Simone Schwarzer

  • BISS – Berufliche Integration nach stationärer Suchtrehabilitation

    BISS – Berufliche Integration nach stationärer Suchtrehabilitation

    Wolfgang Indlekofer

    Zahlreiche Katamnesen belegen, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit im ersten Jahr nach der Rehabilitation – auch nach erfolgreichem Abschluss – für viele Drogenabhängige am größten ist und dass eine gelungene berufliche Reintegration die beste Voraussetzung für eine suchtmittelfreie Zukunft darstellt. Dennoch können auch dann, wenn ein festes Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis vorliegt, Krisen und Rückfälle auftreten. Diese Erfahrung wurde auch in der Rehaklinik Freiolsheim und in der dazugehörenden Adaptionseinrichtung im Integrationszentrum Lahr gemacht.

    Im Integrationszentrum Lahr mit 20 Adaptionsplätzen absolvieren die Rehabilitand/innen in ihrer letzten Behandlungsphase ein Praktikum in einem Betrieb des ersten Arbeitsmarktes. Die Praktikumsdauer beträgt acht bis zehn Wochen. Zwischenzeitlich sind es über 400 Betriebe in der Ortenau, die Praktikant/innen aus dem Integrationszentrum Lahr aufnehmen, da bereits viele sehr gute Erfahrungen mit den Rehabilitand/innen des Integrationszentrums gemacht wurden. Hinzu kommt, dass der Arbeitsmarkt in der Ortenau nahezu leergefegt ist und die Praktikumsgeber so die Möglichkeit haben, junge potenzielle Nachwuchskräfte unverbindlich kennenzulernen, ohne gleich mit einem Arbeitsvertrag einsteigen zu müssen. Für die Rehabilitand/innen stellt dieses Praktikum einen wichtigen ersten Schritt in die berufliche Reintegration dar und häufig auch die Chance auf einen festen Arbeitsplatz. Zwischen 50 und 65 Prozent aller Praktikant/innen des Integrationszentrums Lahr erhalten ein Angebot zur direkten Übernahme nach Beendigung der Adaptionsbehandlung. Zahlreichen Rehabilitand/innen wird auch ein Ausbildungsvertrag in Aussicht gestellt.

    Krise trotz Arbeit

    In der Vergangenheit hat sich jedoch gezeigt, dass viele Klient/innen zwar gerne das Arbeitsplatzangebot annehmen, dies aber zu Lasten der suchttherapeutischen Nachbetreuung geht. Im Fokus steht der Arbeitsplatz, die Drogenabhängigkeit wird als überwunden angesehen. Die Klient/innen sind überzeugt, den Ausstieg aus der Drogenabhängigkeit bewältigt zu haben. Doch hier begannen die Probleme:

    Manchmal bereits nach Wochen, in anderen Fällen nach einigen Monaten, kam es zu persönlichen Krisensituationen, Rückfälligkeit und Problemen am Arbeitsplatz. Gerade bei Rückfälligkeit wurde dies von den Betroffenen so lange wie möglich verheimlicht, bis dann letztlich nach Fehlzeiten, Abmahnungen etc. der Arbeitsplatz weg und der Wiedereinstieg in den Drogenkreislauf nahezu unvermeidlich war. In seltenen Fällen wandten sich die ehemaligen Rehabilitand/innen oder auch die Arbeitsgeber frühzeitig hilfesuchend an das Integrationszentrum Lahr. Im einen oder anderen Fall gelang es so, durch Kriseninterventionen, Entgiftungen, Auffangbehandlungen oder durch andere Maßnahmen den Wiedereinstieg in die Abhängigkeit zu vermeiden und den Arbeitsplatz zu erhalten. Viel zu häufig kam jedoch jede Unterstützung zu spät, und der Arbeitsplatz war verloren.

    Die Entwicklung von BISS

    Auf der Basis dieser Erfahrungen stellten die Leitungen der Rehaklinik Freiolsheim und des Integrationszentrums Lahr den Kontakt zur Deutschen Rentenversicherung (DRV) Baden-Württemberg – dem Hauptkostenträger der Rehabilitationsmaßnahmen – her, und ein Modellprojekt zur Unterstützung der beruflichen Reintegration im ersten Jahr nach Therapieabschluss wurde entwickelt. Es entstand das Modellprojekt „BISS“ (Berufliche Integration nach stationärer Suchtrehabilitation), das in einer dreijährigen Modellphase von 2010 bis 2012 vom Rehabilitationswissenschaftlichen Lehrstuhl der Universität Freiburg evaluiert wurde.

    Allen regulär entlassenen Rehabilitand/innen, die sich nach der Therapie in der Ortenau niederließen, wurde angeboten, am BISS-Modell teilzunehmen. Allen Betrieben, die ehemaligen Rehabilitand/innen einen Arbeitsplatz anboten, wurde ebenfalls eine Teilnahme offeriert.

    Zielsetzungen des Projektes

    Die Zielsetzungen des Projektes lassen sich wie folgt zusammenfassen:

    • Förderung der langfristigen Integration in den ersten Arbeitsmarkt von ehemals Suchtmittelabhängigen nach regulärem Abschluss einer Rehabilitationsbehandlung
    • Unterstützung und Begleitung ehemaliger Rehabilitand/innen während des ersten Arbeitsjahres nach der Therapie (im Falle einer begonnenen Berufsausbildung bis zum Abschluss der Ausbildung)
    • Unterstützung der Arbeitgeber, die bereit sind, ehemalige Suchtmittelabhängige in ein reguläres Arbeitsverhältnis einzustellen

    Von Beginn an war das Interesse der Rehabilitand/innen sehr groß, an diesem Modellprojekt teilzunehmen. Viele sahen darin die Chance, noch über die Therapie hinaus Unterstützung zu erfahren und während der beruflichen Reintegration begleitet zu werden. Die mit dem Modellprojekt verbundenen regelmäßigen Alkohol- und Drogenscreenings wurden nicht als Kontrolle oder Lebenseinschränkung erlebt, sondern von den meisten als Unterstützung und Absicherung einer langfristigen Abstinenz.

    Sehr erfreulich war, dass auch die Arbeitgeber das BISS-Angebot von Beginn an sehr gerne annahmen. Zum einen waren sie froh und dankbar, im Krisenfall einen kompetenten Ansprechpartner zu haben, zum anderen sahen sie durch das Projekt eine Risikominimierung im Falle der Einstellung von ehemaligen Drogenabhängigen, da diese noch einer gewissen Kontrolle unterlagen. Immer wieder kam es auch dazu, dass Arbeitgeber die Teilnahme am BISS-Projekt zur Bedingung für eine Einstellung machten.

    Angebote für die Klient/innen

    Die Angebote für die Klient/innen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

    • Unterstützung einer langfristigen Abstinenz durch die monatlich stattfindende BISS-Gruppe
    • Angebot von Einzelgesprächen auf Wunsch der BISS-Teilnehmer/innen
    • Unterstützung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Vermittlung von Praktika für Teilnehmer/innen, die aus der Adaptionsbehandlung heraus keinen Arbeitsplatz gefunden haben
    • Krisenintervention und rasche Organisation von Hilfen im Falle von Rückfälligkeit
    • Unterstützung und Förderung von Ausgleichsmaßnahmen im Freizeitbereich zur Kompensation von Arbeitsbelastungen
    • Durchführung von unangekündigten Alkohol- und Drogenscreenings zur Absicherung der Suchtmittelabstinenz

    Angebote für die Arbeitgeber

    Den Arbeitgebern werden folgende Angebote gemacht:

    • Regelmäßige Besuche am Arbeitsplatz mit Gesprächsangeboten für Arbeitgeber und Projektteilnehmer/innen
    • Ansprechpartner bei Rückfallverdacht, erhöhten Fehlzeiten oder sonstigen betrieblichen Auffälligkeiten
    • Angebot von Mediation mit Arbeitgebern und Projektteilnehmer/innen in Konfliktsituationen

    Prävention und rasche Hilfemaßnahmen bei Rückfälligkeit

    Einmal monatlich treffen sich alle BISS-Teilnehmer/innen zu einem Gruppengespräch zum allgemeinen Austausch und zur Planung gemeinsamer Aktivitäten. Auf der Basis einer Schweigepflichtsentbindung und eines Dreieckvertrages zwischen Klient/in, Arbeitgeber und Integrationszentrum hat jede/r Beteiligte jederzeit die Möglichkeit, das Integrationszentrum und die BISS-Mitarbeiter/innen zu kontaktieren. Auf diese Weise werden Rückfallkrisen, aber auch sich kumulierende psychosoziale Problemlagen und Konflikte zwischen Arbeitergeber und ehemaligen Klient/innen frühzeitig aufgegriffen und können im Idealfall Rückfälligkeit verhindern und Krisen lösen.

    Ist ein/e BISS-Teilnehmer/in nun tatsächlich rückfällig, können rasche Hilfsmaßnahmen eingeleitet werden. Diese reichen von Kriseninterventionen und hochfrequenten ambulanten Angeboten über eine Einweisung in eine Entgiftungseinrichtung bis hin zur erneuten stationären Kurzzeitrehabilitation zur Stabilisierung. Die getroffenen Maßnahmen werden zwischen Arbeitgeber, Integrationszentrum und Klient/in abgestimmt und verhindern so im Regelfall, dass der Arbeitsplatz verloren geht. Da die BISS-Teilnehmer/innen um diese Unterstützungsmöglichkeiten wissen, ist die Bereitschaft, über Rückfälligkeit zu sprechen, durchaus groß.

    Ergebnisse der Modellphase

    Der im Frühjahr 2013 vorgelegte Evaluationsbericht dokumentierte hervorragende Ergebnisse der Modellphase. So zeigte sich eine hohe Zufriedenheit sowohl bei den BISS-Teilnehmer/innen als auch bei den beteiligten Arbeitgebern. Diese berichteten von einer Absicherung und Ermutigung, die durch das BISS-Projekt gegeben wird. Auch die weiteren Beteiligten wie das kommunale Jobcenter und die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg waren von den geringen Abbruchquoten und den katamnestischen Erfolgsquoten begeistert. So zeigten die BISS-Teilnehmer/innen nach einem Jahr durchweg höhere Abstinenzquoten als die Vergleichsgruppe, die im Rahmen der Studie untersucht wurde. Ebenfalls signifikant war die deutlich höhere Zahl an Ausbildungsverhältnissen in der BISS-Gruppe.

    Die Evaluationsergebnisse und die positiven Rückmeldungen aller Beteiligten motivierten die DRV Baden-Württemberg dazu, das BISS-Modell ab 1. Januar 2014 in eine Regelförderung zu überführen. Für alle bei der DRV Baden-Württemberg versicherten BISS-Teilnehmer/innen erhält das Integrationszentrum Lahr einen Pauschalbetrag, der die Begleitung während des ersten Jahres nach der Therapie finanziert und somit möglich macht. Angeregt durch die Erfolge des BISS-Programms eröffnete die DRV Baden-Württemberg darüber hinaus allen Suchtberatungsstellen die Möglichkeit, eine zweite Nachsorgepauschale speziell zur Begleitung der Berufsintegration abzurechnen, d. h., neben der klassischen Nachsorgepauschale können Suchthilfeeinrichtungen nun, wenn sie ehemalige Rehabilitand/innen bei ihrer Berufsintegration begleiten, eine zweite Förderung durch die DRV Baden-Württemberg abrechnen.

    Erfahrungen mit BISS als Regelangebot

    Seit der Einführung von BISS als Regelangebot ab 1. Januar 2014 haben 133 Klient/innen am BISS-Programm teilgenommen. 104 dieser Teilnehmer/innen konnten in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden, und 39 Teilnehmer/innen absolvierten eine Berufsausbildung. Mit insgesamt 54 BISS-Teilnehmer/innen wurde ein Bewerbertraining durchgeführt.

    Das wohl beeindruckendste Ergebnis ist der hohe Anteil der regulären BISS-Beender. So haben von allen 133 Teilnehmer/innen, die bisher das Projekt beendet haben, 102 Teilnehmer/innen (77 Prozent) regulär mit laufendem Arbeitsverhältnis abgeschlossen. Lediglich 31 Teilnehmer/innen (23 Prozent) haben das Projekt vorzeitig abgebrochen. Darunter sind auch einige, die sich beruflich an anderen Orten neu orientiert haben und aufgrund der Entfernung nicht mehr teilnehmen konnten. Gemessen an Katamnese-Ergebnissen für Drogenabhängige sind diese Zahlen beachtlich.

    Bei 38 BISS-Teilnehmer/innen mussten Kriseninterventionen durchgeführt werden. Über die Hälfte dieser Kriseninterventionen waren so erfolgreich, dass die BISS-Teilnahme regulär beendet werden konnte und der Arbeitsplatz erhalten blieb. Bei ca. 40 Prozent der Kriseninterventionen waren der Abbruch der Maßnahme und meist auch der Arbeitsplatzverlust bzw. die Kündigung nicht vermeidbar. Insbesondere frühzeitige Interventionen durch hochfrequente ambulante Betreuungen waren erfolgsversprechend. War die Rückfälligkeit bereits so weit fortgeschritten, dass eine Entgiftung und eine Auffangbehandlung erforderlich waren, so konnte trotz großen Aufwands die langfristige Berufsintegration bei mehr als der Hälfte dieser Fälle nicht fortgesetzt werden.

    Auch als Regelangebot ist das BISS-Projekt sowohl für die Rehabilitand/innen als auch für die Arbeitgeber attraktiv. Teilweise entscheiden sich Drogenabhängige für die Durchführung der Adaption im Integrationszentrum Lahr, weil sie wissen, dass dort das BISS-Programm angeboten wird. Mit durchschnittlich 30 Teilnehmer/innen ist das BISS-Projekt ein wichtiger Baustein in der Angebotspalette des Integrationszentrums Lahr.

    Kontakt:

    Wolfgang Indlekofer
    Rehaklinik Freiolsheim
    Max-Hildebrandt-Str. 55
    76571 Gaggenau-Freiolshiem
    Tel. 07204/9204-0
    wolfgang.indlekofer@agj-freiburg.de
    www.rehaklinik-freiolsheim.de

    Angaben zum Autor:

    Wolfgang Indlekofer, Dipl.-Psych. und Psychologischer Psychotherapeut, ist Therapeutischer Gesamtleiter der Rehaklinik Freiolsheim, Gaggenau.

  • Das Projekt „Chancen und Wege“

    Das Projekt „Chancen und Wege“

    Clarissa Abromeit
    Monika Schnellhammer

    Hinter Langzeitarbeitslosigkeit verbirgt sich oft auch eine Suchtproblematik. Diese Erkenntnis brachte das Jobcenter und den Caritasverband in Osnabrück zusammen an einen Tisch. Heraus kam das erfolgreiche Kooperationsprojekt „Chancen und Wege“, das mittlerweile seit fünf Jahren läuft. Die Teilnehmer/ innen des Programmes sind Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen. „Chancen und Wege“ unterstützt sie mittels Arbeitsmöglichkeiten und sozialpädagogischer Betreuung dabei, sich Schritt für Schritt auf eine berufliche Tätigkeit vorzubereiten und Vermittlungshemmnisse abzubauen.

    Der problematische Konsum von Suchtmitteln, verhaltensbezogene Störungen, Komorbiditäten und psychische Erkrankungen sind Hemmnisse, die die (Wieder-)Eingliederung in den Erwerbsbezug verhindern können. Für Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen findet zu wenig adäquate Förderung statt, um Vermittlungsergebnisse und eine nachhaltige Verbesserung ihrer Situation zu erzielen. Zu dieser Erkenntnis gelangte auch das Jobcenter Osnabrück im Zuge der Umsetzung des SGB II. Die persönlichen Ansprechpartner/innen des Jobcenters sowie die Fallmanager/innen vermitteln zwar erfolgreich in Arbeit, jedoch ist es ihnen aufgrund ihrer hohen Fallzahlen nicht möglich, ihre Kunden so intensiv wie in einer Maßnahme zu begleiten. Außerdem wurde eine Suchtproblematik als wichtiges Thema vieler Arbeitsuchender erkannt.

    Gemeinsames Ziel: Stabilität schaffen durch Struktur

    Aus diesen Gründen schrieb das Jobcenter über das Regionale Einkaufszentrum Nord eine Maßnahme aus, welche folgende Inhalte aufweisen sollte: Die Maßnahme sollte tagesstrukturierend sein, auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereiten, zielgruppenspezifische Angebote umfassen und eine intensive Bearbeitung der Vermittlungshemmnisse ermöglichen. Mitarbeiter der Suchtberatung des Caritasverbandes in Osnabrück erarbeiteten daraufhin ein Konzept, das explizit diese Zielgruppe mit den entsprechenden Vermittlungshemmnissen erreichen sollte. Durch die suchtspezifische Fachlichkeit, die Nähe zur Fachambulanz für Suchtprävention und Rehabilitation, aber auch zu anderen Fachbereichen und Kooperationspartnern, sollte der Zugang erleichtert werden, und Schwellenängste der Teilnehmenden sollten verringert werden. Nicht allein die Preiskalkulation, sondern die Qualität der Maßnahme stand dabei im Vordergrund. Der Caritasverband Osnabrück bekam den Zuschlag zunächst für ein Jahr. Inzwischen läuft die Maßnahme im fünften Jahr nach der dritten Ausschreibung, diesmal voraussichtlich bis 2019.

    Das so zustande gekommene Projekt „Chancen und Wege“ (CuW) ist eine Maßnahme zur Aktivierung und Stabilisierung von erwerbsfähigen Erwachsenen nach § 16 Abs. 1 SGB II in Verbindung mit § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Die Teilnehmenden im Alter von über 25 Jahren weisen zahlreiche Vermittlungshemmnisse auf. Ziele der Maßnahme sind die Feststellung, Verringerung oder Beseitigung der Vermittlungshemmnisse und die Heranführung der Teilnehmenden an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Im besten Fall gelingt nach der Aktivierung und Stabilisierung die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, die weiterbegleitet und nachbetreut werden kann.

    An der Maßnahme „Chancen und Wege“ haben seit 2012 247 Personen teilgenommen. Davon konnten 227 Teilnehmende aktiviert werden. Das heißt, je nach Vermittlungshemmnis wurden gemeinsam individuelle Zielvereinbarungen erstellt, und die Teilnehmenden wurden zu weiterführenden Fachstellen begleitet. Hierbei kann es sich um Schuldnerberatung, Wohnungscoaching, Ambulant betreutes Wohnen, Integrationsfachdienst, Rechtliche Betreuung, Ambulante Assistenz oder fachärztliche Behandlungen handeln.

    Seit Juli 2014 wird die Maßnahme gemeinsam in Bietergemeinschaft mit der Dekra Akademie GmbH an einem gemeinsamen Standort durchgeführt. Sowohl die Möglichkeiten der praktischen Erprobung als auch die Netzwerke innerhalb der Dekra Akademie bieten den Teilnehmenden mehr Optionen für ihre beruflichen Perspektiven.

    Voraussetzungen für die Bewerbung und Durchführung sind die Trägerzertifizierung und die Maßnahmezulassung nach AZAV (Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung). Das AZAV-Zulassungsverfahren für Träger und Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung soll die Qualität der Dienstleistungen nachhaltig verbessern sowie Vergleichbarkeit und Transparenz unter den Dienstleistern herstellen. Die Maßnahme wird jährlich extern auditiert.

    Aufbau des Programms

    „Chancen und Wege“ verfügt über 44 Teilnehmerplätze. Das Jobcenter schließt mit den Teilnehmenden eine Eingliederungsvereinbarung über die Teilnahme bei CuW und vereinbart eine gegenseitige Schweigepflichtsentbindung. Am Ende der Zuweisungsdauer erstellt die zuständige Sozialpädagogin einen Abschlussbericht über den Maßnameverlauf. Dies ist für den Fallmanager im Jobcenter hilfreich, damit weitere Handlungsschritte geplant werden können.

    Die Teilnehmenden werden in drei Gruppen aufgeteilt und erhalten zu Beginn der Maßnahme einen Wochenplan (s. Abb. 2). Jede Gruppe erscheint an drei Tagen pro Woche für insgesamt mindestens 15 Stunden. Davon finden an zwei Tagen Lernmodule zum Training sozialer Kompetenzen, Gesundheitsförderung und Bewerbungscoaching statt. Zudem begeben sich die Teilnehmenden selbstständig auf Stellensuche und aktualisieren ihre Bewerbungsunterlagen. Einmal pro Woche bereiten sie gemeinsam ein gesundes Frühstück zu. Am Praxistag werden vier Gewerke (Holz, Metall, Lagerlogistik und Handel) angeboten. Die Teilnehmenden werden dazu angeregt, gemeinsam als Gruppe Projekte zu planen und umzusetzen. So stellen sie kleine Möbel und Gegenstände für den Gemeinschaftsbereich sowie nützliche Utensilien für den Eigengebrauch her. Weitere Arbeitserprobungen erfolgen bei begleiteten Praktika in externen Betrieben. Die Qualifizierungsmodule im EDV-Bereich festigen bestehendes Wissen und vertiefen es, ein Zertifikat wird nach erfolgreicher Teilnahme ausgestellt.

    Abb. 2: Beispiel für einen Wochenplan

    Kooperation zwischen „Chancen und Wege“ und Fachambulanz

    Die Teilnehmenden werden individuell über Angebote der Fachambulanz für Suchtprävention und Rehabilitation des Caritasverbandes Osnabrück informiert. Die Vermittlung und Begleitung erfolgt über die zuständige Sozialpädagogin. So werden Berührungsängste verringert und Erstkontakte hergestellt. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen CuW und Fachambulanz gelingt oftmals ein erfolgversprechender Prozess für die Teilnehmenden. Viele werden im Verlauf der Maßnahme der Beratungsstelle zugeführt. Langfristig konnten Beratungs- und therapeutische Settings in der Fachambulanz bei gut einem Viertel der Teilnehmenden etabliert werden.

    Auch nach einer erfolgreich beendeten Rehabilitation hat sich die Kooperation zwischen Fachambulanz und CuW als effektiv erwiesen. Das bedeutet, auch Personen in der Adaption, der ambulanten Behandlung oder Nachsorge können an CuW teilnehmen, um die in der Rehabilitation erlernten Schritte im Alltag umzusetzen. Gerade hier sind Strukturen und berufliche Perspektiven wichtig, um langfristig konsumfrei zu leben. Die Grundlagen für eine dauerhafte Wiedereingliederung in Beruf und Gesellschaft können über diesen Weg geschaffen werden. Abbildung 3 stellt die Netzwerkarbeit im Projekt „Chancen und Wege“ dar.

    Netzwerkarbeit im Projekt „Chancen und Wege“

    Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung

    Neben den persönlichen Einzelgesprächen und dem Jobcoaching ist die Teilnahme am SKOLL-Training möglich. Dies wird in regelmäßigen Abständen angeboten. Die Ergebnisse der Maßnahme lassen die Überzeugung zu, dass die Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung bei der Wiedereingliederung in den Erwerbsbezug zu erheblichen Verbesserungen führen kann. Mit SKOLL im Settingansatz kann hier ein effektiver Beitrag geleistet werden.

    Das SKOLL Training beinhaltet zehn Trainingseinheiten, in denen es um den verantwortungsbewussten Umgang mit dem Suchtmittel bei riskantem Konsumverhalten geht. Im Mittelpunkt der Arbeit steht weniger die Abstinenz als die Auseinandersetzung mit der eigenen Situation. Ziel des Trainings ist es, den Konsum zu stabilisieren, zu reduzieren oder ganz einzustellen. Der Umgang mit Suchtdruck und sozialem Druck wird geübt, Stressbewältigung gelernt und ein Krisenplan erarbeitet. So werden Veränderungsprozesse bei riskant konsumierenden Menschen eingeleitet, und die Arbeitsfähigkeit wird wiederhergestellt.

    Diese vielfältigen Ansätze und Angebote werden gerne genutzt, die Teilnehmenden fühlen sich in der Regel durch die Maßnahme gut begleitet. Dies wird in regelmäßigen Abfragen zur Kundenzufriedenheit und durch den monatlichen Austausch mit den „Maßnahmepatinnen“ des Jobcenters deutlich.

    Die sozialpädagogische Begleitung

    Die sozialpädagogische Begleitung ist  das Herzstück der Maßnahme. Es finden regelmäßig Einzelgespräche statt, um die individuellen Vermittlungshemmnisse zu thematisieren und sie mithilfe von Zielvereinbarungen und durch Unterstützung zu verändern. In einem Aktivierungs- und Fortschrittsplan werden der Gesprächsverlauf und die Zielsetzungen für den Teilnehmer dokumentiert.

    Die Förderung der sozialintegrativen Aktivitäten nimmt einen hohen Stellenwert ein. Persönliche Kompetenzen wie Selbsteinschätzung und die Beurteilung der eigenen Leistungsfähigkeit wie auch lebenspraktische Fertigkeiten wie Verlässlichkeit, Selbstorganisation und äußeres Erscheinungsbild sind wichtige Faktoren bei der Arbeitsplatzsuche. Die Teilnehmenden lernen, dem Tag wieder eine Struktur zu geben, sich für eine Sache oder ein Projekt zu begeistern. Soziale Kompetenzen, wie z. B. im Team zielorientiert zusammenzuarbeiten, Konflikte konstruktiv zu lösen und die Meinung des anderen zu respektieren, können entwickelt und vertieft werden. Teilnehmende bringen ihre eigenen, unterschiedlichen Erfahrungen und beruflichen Kenntnisse für ihr Team ein. Eine besondere Aktivierung und Förderung der Selbstwirksamkeitserwartung wird über die „Kompetenzbilanz“, ein ressourcenaktivierendes Coachingverfahren, erzielt.

    Häufig werden bei Langzeitarbeitslosen mit Suchtproblematik neben den substanz- und verhaltensbezogenen Auffälligkeiten weitere Vermittlungshemmnisse festgestellt wie geringe Sozialkompetenz, mangelhafte oder fehlende fachliche Qualifizierungen, fehlende Schulabschlüsse und Ausbildungen, wenig ausgebildete Grundfertigkeiten sowie eine fehlende Tagesstruktur. Weitere gesundheitliche Probleme wie Hepatitis oder Herz- und Kreislauferkrankungen, verbunden mit fehlender Krankheits- und Problemeinsicht, gehen häufig mit stark beeinträchtigtem Selbstwertgefühl und mangelnder Motivation einher. Aber auch eingeschränkte Mobilität durch den Verlust oder das Fehlen eines Führerscheins oder finanzielle Schwierigkeiten stellen für viele Personen der Zielgruppe große Hemmnisse dar.

    Weitere Eingliederungshemmnisse dieser Zielgruppe können auch eine unkontrollierte Substitutionsbehandlung und die Nichteinhaltung von Auflagen sein, Probleme in und mit der Familie wie frühe Elternschaft, Trennung und/oder Scheidung, Tod eines Familienangehörigen oder Partners, Gewalt in der Familie und Erziehungsschwierigkeiten. Kaum erlebte (positive) Erfahrungswerte auf dem ersten Arbeitsmarkt, verbunden mit mangelnder Kenntnis von Arbeitstugenden und Perspektivlosigkeit, kennzeichnen die Zielgruppe.

    Abbau von Hemmnissen erhöht Jobchancen

    Im Durchschnitt wurden im letzten Maßnahmejahr zehn Vermittlungshemmnisse bei den Teilnehmenden festgestellt. Die zügig in den ersten Arbeitsmarkt vermittelten Personen wiesen demgegenüber durchschnittlich nur 7,5 Hemmnisse auf. Aufgrund der Fallzahlen kann nicht von einer statistischen Signifikanz ausgegangen werden. Aber die Ergebnisse können als Hinweis interpretiert werden, dass der Abbau von Hemmnissen die Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt deutlich erhöht.

    Eine erfolgreiche Vermittlung wurde durch die regelmäßige Ansprache von Arbeitgebern durch die Jobcoaches der DEKRA Akademie GmbH initiiert. Dabei werden die Vermittlungsprozesse selbst häufig durch vorausgehende Arbeitserprobungen eingeleitet. Mit den Teilnehmern, die in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden, kann eine Nachbetreuungsvereinbarung geschlossen werden. Sie umfasst regelmäßige Gespräche über die Entwicklung am Arbeitsplatz sowie die persönliche Situation.

    Die enge Zusammenarbeit mit dem Jobcenter Osnabrück, insbesondere den „Maßnahmepatinnen“ im Fallmanagement, mit den persönlichen Ansprechpartnern und den Mitarbeitenden im Arbeitgeberservice hat sich sehr bewährt. Die vielfältigen Kooperationen tragen zu einem guten Ergebnis zugunsten der Förderung der Teilnehmenden in der Maßnahme „Chancen und Wege“ stark bei.

    Fallbeispiel Herr Z

    Herr Z ist Teilnehmer der Maßnahme „Chancen und Wege“. In seiner Biographie spielte das Thema Alkohol schon seit der Kindheit eine Rolle. Er hat den Hauptschulabschluss gerade eben noch geschafft. Die Arbeitsbiographie ist geprägt von diversen Helfertätigkeiten und Gelegenheitsjobs. Zwischendurch kam es immer wieder zu Zeiten der Arbeitslosigkeit aufgrund fehlender Motivation und einer Alkoholabhängigkeit. Neben den geringen beruflichen Kenntnissen bestehen aufgrund des langjährigen Alkoholkonsums gesundheitliche Beschwerden (kognitive Einschränkungen, Sensibilitätsstörungen im rechten Arm) und hohe Schulden. Weiterhin besteht die Gefahr einer sozialen Exklusion. Nach eigenen Angaben fällt es ihm schwer, außerhalb der Szene Kontakte zu knüpfen. Er ist mittleren Alters und möchte seine Rentenansprüche aufbessern. Es geht hier exemplarisch also um folgende Vermittlungshemmnisse:

    • Gesundheitliche Einschränkungen aufgrund einer Suchterkrankung
    • Hohe Schulden
    • Geringe berufliche Kenntnisse

    Herr Z ist motiviert und nimmt pünktlich und zuverlässig an der Maßnahme teil. Seine kognitiven Fähigkeiten sind ausbaufähig. Seine Konzentrations- und Merkfähigkeiten sind schwach ausgeprägt, und er wirkt schnell überfordert. Es ist schon längere Zeit her, dass er konzentriert Aufgaben bearbeiten sollte. Durch Gedächtnistraining, Lesen in der Gruppe und selbstständige Bearbeitung von Arbeitsblättern wird er angeregt, diese Fähigkeiten zu trainieren.

    Im Verlauf der nächsten Wochen wird mit Herrn Z der Aktivierungs- und Integrationsfortschrittsplan erstellt. Hier werden die verschiedenen Lebensbereiche wie Gesundheit, soziales Netzwerk, Arbeit und Ausbildung, Finanzen und Wohnung besprochen. Auch ist es wichtig zu erfassen, ob bereits Unterstützung und Netzwerke an anderer Stelle bestehen (Kontakt zur Suchtberatung, Selbsthilfegruppe, ambulante Assistenz etc.). Gemeinsam verschaffen sich die Sozialpädagogin und Herr Z einen Überblick zu Unterstützungsbedarf und vorhandenen Kompetenzen.

    Mit Herrn Z werden Förderschritte und Ziele vereinbart und schriftlich in seinem Aktivierungs- und Integrationsfortschrittplan festgehalten. Diese müssen für ihn erreichbar, konkret und transparent sein. Außerdem wird verabredet, welche Handlungsschritte vorrangig sind. Es geht also um:

    • Abklärung somatischer Beschwerden
    • Gesundheitliche Stabilisierung
    • Förderung kognitiver Fähigkeiten
    • Sortieren und Vorbereiten seiner Unterlagen für einen Termin bei der Schuldnerberatung
    • Emotionale Entlastung
    • Klärung beruflicher Perspektiven
    • Durchführung einer Arbeitserprobung
    • Steigerung der Leistungsfähigkeit
    • Sinnvolle Freizeitgestaltung
    • Aufbau eines stabilen Netzwerkes

    In den kommenden Wochen geht es um die Erweiterung seiner Kompetenzen und die Bearbeitung der Vermittlungshemmnisse.

    Herr Z berichtet, dass für ihn die hohen Schulden eine große Belastung darstellen. Ständig erhält er Post von Inkassounternehmen und Rechtsanwälten. Dies führt zu Stress, den er mit Alkohol kompensiert, um seine Probleme zu verdrängen. Da es unter Alkoholeinfluss bereits zu peinlichen Situationen in der Öffentlichkeit kam, hat er sich in den letzten Jahren sehr zurückgezogen. Mittlerweile hat er nur noch zwei Bekannte, die ebenfalls suchterkrankt sind. Außerdem berichtet er, dass sein letzter Arztbesuch einige Jahre her ist, da er befürchtet, dass sich seine Leberwerte verschlechtert haben. Hinzu kommen häufige Magenbeschwerden.

    Im Rahmen der Einzelgespräche werden nun folgende Handlungsschritte erarbeitet:

    1) Herr Z wird umfassend über die Angebote der Fachambulanz des Caritasverbandes aufgeklärt. Nach mehreren Gesprächen mit der Sozialpädagogin lässt er sich darauf ein, in der Suchtberatung einen Termin für ein Erstgespräch zu vereinbaren, um über sein Konsummuster zu sprechen und weitere Unterstützungsmöglichkeiten zu klären. Herrn Z ist dieser Schritt sehr unangenehm, da er bereits im Suchthilfesystem bekannt ist. Er schämt sich für die Rückfälligkeit und dafür, dass er in der Beratung erneut Hilfe suchen muss.

    2) Gelegentlich kommt es innerhalb der Maßnahme zu Fehlzeiten. Herr Z meldet sich öfter wegen Magenbeschwerden ab. Auch dies wird in den Einzelgesprächen thematisiert. Herr Z war schon seit Jahren nicht beim Hausarzt. Er hat die Befürchtung, dass etwas mit seinem Magen nicht in Ordnung ist und sich seine Leberwerte weiter verschlechtert haben. Diese Ängste werden ausführlich mit der Sozialpädagogin besprochen. Nach mehreren Gesprächen sieht Herr Z ein, dass mit den jetzigen Magenbeschwerden und den daraus resultierenden Fehlzeiten keine beruflichen Perspektiven entwickelt werden können.

    Es wird vereinbart, dass Herr Z in Begleitung der Sozialpädagogin seinen Hausarzt aufsucht. Es stellt sich heraus, dass Herr Z ein Magengeschwür hat, das gut behandelt werden kann. Seine Leberwerte sind erhöht, jedoch noch nicht besorgniserregend. Der Hausarzt empfiehlt ebenfalls eine Kontaktaufnahme zur Suchtberatung und eine abstinente Lebensweise. Außerdem sollte Herr Z alle sechs Monate einen Gesundheitscheck machen, um Veränderungen frühzeitig festzustellen.

    Nach einer mehrwöchigen Medikamenteneinnahme gegen das Magengeschwür fühlt sich Herr Z viel besser. Auch ist er viel gelöster und freudiger, da sich seine Befürchtungen nicht bestätigten. Er fühlte sich entgegen seinen Erwartungen bei dem Arzt gut aufgehoben und ernstgenommen, sodass er sich nun regelmäßige Arztbesuche vorstellen kann.

    Die Suchterkrankung bzw. Leberwerte bleiben weiterhin ein Thema,  Herr Z kann sich mittlerweile auf das Angebot der Suchtberatung einlassen.

    3) Die Schuldenproblematik besteht schon seit Jahren. Herr Z hat den Überblick verloren. Es wird eine Schufaauskunft beantragt. Außerdem bringt Herr Z alle Unterlagen mit, die er finden konnte. An zwei Nachmittagen werden seine Papiere nach Gläubigern und Datum sortiert. Bereits jetzt wirkt Herr Z erleichtert, da er mit den Unterlagen nicht mehr alleine dasteht. Herr Z wird über verschiedene Möglichkeiten wie Vergleichszahlungen und das Verbraucherinsolvenzverfahren informiert. Um fachliche Unterstützung zu erhalten, wird ein Termin in der Schuldnerberatung vereinbart. Herr Z fühlt sich durch die Vorsortierung seiner Unterlagen gut vorbereitet und nimmt den Gesprächstermin alleine wahr.

    4) Herr Z hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. In den Einzelgesprächen mit dem Jobcoach werden Fähigkeiten, Stärken und berufliche Kenntnisse erfragt. Herr Z gibt an, dass er Erfahrungen als Helfer in den Bereichen Garten und Landschaftsbau, in der Produktion und im Lagerbereich hat.

    Parallel tauscht sich der Jobcoach mit dem praktischen Anleiter aus, um auch über die Entwicklungen aus den hausinternen Praxisprojekten informiert zu sein. Aufgrund kognitiver Einschränkungen ist es wichtig, dass nach beruflichen Perspektiven geschaut wird, in denen es um einfache und sich wiederholende Abläufe geht. Weiterhin ist die Sensibilitätsstörung im rechten Arm zu berücksichtigen. Er kann diesen nicht schwer belasten und hat gelegentlich Taubheitsgefühle.

    Am Praxistag der Maßnahme ist Herr Z im Holzbereich tätig. Hier wird darauf geachtet, dass er aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen keine schweren Maschinen bedient. Er hat sich für ein Gemeinschaftsprojekt mit einem anderen Teilnehmer entschieden. Sie bauen eine Garderobe für den Gruppenraum. Herr Z übernimmt die Planung (Form, Farbe) und welches Material benötigt wird. Außerdem übernimmt er leichte Schleifarbeiten, die er mit großer Sorgfalt ausführt. Der andere Teilnehmer ist für die Umsetzung (Sägen, Leimen, Schrauben, etc.) zuständig. Hier zeigt sich, dass Herr Z besonders gut im Team arbeiten kann. Er hält sich an Absprachen und ist kompromissbereit.

    Im Verlauf der Maßnahme macht Herr Z eine positive Entwicklung durch. Nachdem er sich gesundheitlich stabilisieren konnte (regelmäßige Arztbesuche) nimmt er weiterhin Gespräche in der Suchtberatung wahr. Parallel geht er wöchentlich zur Orientierungsgruppe Alkohol. Diese wird ebenfalls von der Suchtberatung angeboten. Außerdem hat er sich über das Angebot verschiedener Selbsthilfegruppen informiert. Diese thematisieren nicht nur die Suchtproblematik sondern auch das Freizeitverhalten. Nach der Kontaktaufnahme zur Schuldnerberatung werden weitere Schritte für das Verbraucherinsolvenzverfahren eingeleitet. Die Selbstorganisation seiner Unterlagen behält Herr Z bei. Der Jobcoach arbeitet mit Herrn Z an seiner beruflichen Perspektive. Zunächst wird er ein weiteres Praktikum absolvieren, um positive Referenzen für seine Bewerbungsunterlagen zu sammeln. Auch gab es Gespräche mit dem zuständigen Fallmanager vom Jobcenter Osnabrück, um Fördermöglichkeiten abzuklären.

    Kontakt und Angaben zu den Autorinnen:

    Monika Schnellhammer
    Geschäftsführerin des Caritasverbandes für die Stadt und den Landkreis Osnabrück
    MoSchnellhammer@caritas-os.de

    Clarissa Abromeit
    Dipl.-Soz.Päd./Soz.Arb., Koordinatorin der Maßnahme „Chancen und Wege“
    CAbromeit@caritas-os.de

  • Die Relevanz von Assessments in der arbeitsbezogenen Ergotherapie

    Die Relevanz von Assessments in der arbeitsbezogenen Ergotherapie

    Petra Köser
    Frank Zamath

    Die arbeitsbezogene Ergotherapie in der Behandlung und Rehabilitation von Abhängigkeitserkrankten hat sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt. Ihre Hauptaufgabe ist die Diagnostik der Arbeitsfähigkeiten und die Förderung der Produktivität und Teilhabe. Je nach Störungsbild wenden Therapeuten komplexe arbeitsplatzorientierte Verfahren an, um die Arbeits- und Funktionsfähigkeit zu erhalten. Ergotherapeuten und -therapeutinnen behandeln Krankheiten, die mit Veränderungen des Verhaltens, des Gedächtnisses, der Körperfunktionen und des alltäglichen Lebens einhergehen. Sie greifen dabei auf psychosoziale, kognitive und arbeitstherapeutische Interventionen zurück. Sie haben eine staatlich anerkannte Fachschulausbildung mit fachtherapeutischen Weiterbildungen absolviert oder Ergotherapie studiert.

    Ergotherapeuten, deren Behandlungsauftrag auf die Teilhabeproblematik gerichtet ist, sind mit Berufskontexten vertraut. Sie kennen die in Deutschland gebräuchlichsten Messverfahren zur Überprüfung und Dokumentation der kognitiven und funktionellen Leistungsfähigkeit. Diese Verfahren sind nicht nur wichtig für die Wirksamkeitsforschung, sondern auch für die Qualitätssicherung der Behandlung. Die Ergotherapie ist in stationären Rehabilitationseinrichtungen für Abhängigkeitserkrankte fest etabliert und fördert die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gesellschaft (DRV, 2013).

    Die MBOR-Strategie (Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation; Bethge, 2017) stellt den Bezug zur Arbeitswelt stärker als bisher in den Mittelpunkt und verändert die klinischen Versorgungsstrukturen (www.medizinisch-berufliche-orientierung.de). In der Suchtreha erfolgt die Teilhabeförderung nach den „Empfehlungen zur beruflichen Orientierung in der Rehabilitation Abhängigkeitskranker“ (BORA) in so genannten Basismaßnahmen, Kernmaßnahmen und spezifischen Maßnahmen (Weissinger/Schneider, 2015). Diese werden nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufsgruppen wie Ergotherapeuten, Ärzten und Psychologen wirksam. Die Ergotherapie als multimodale Funktionstherapie leistet einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit im Alltags- und Berufsleben der Betroffenen (WFOT, 2012), besonders bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit in den Komponenten Aktivitäten und Partizipation nach der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF; Bickenbach, Cieza et al., 2012).

    Das Spektrum arbeitstherapeutischer Interventionen ist vielfältig (vgl. Höhl, Köser, Dochat, 2015; Storck/Plössl, 2015). Arbeitstherapie wird nicht mehr nur von traditionellen körperfunktionsorientierten Ansätzen dominiert und begleitend als materialgebundenes Gruppenangebot durchgeführt. Mit fortschreitender Professionalisierung gewinnen auch solche Interventionstypen an Bedeutung, die an der Schnittstelle zur ambulanten Versorgung (medizinische Rehabilitation oder Leistungen zu Arbeit und Ausbildung) erbracht werden (Gühne/Riedel-Heller 2015). Solche Leistungen beinhalten beispielsweise aktivierende verhaltenstherapeutische Methoden, die Ergotherapeuten eigenverantwortlich durchführen (Zamath, 2015). Ergotherapeuten erheben Arbeitsanamnesen, Arbeitsplatz- und Ressourcenanalysen, nutzen arbeitsdiagnostische Instrumente und gestalten den therapeutischen Prozess bei der Wiedereingliederung mit. In Gruppen- und Einzelsitzungen werden arbeitsrelevante Fertigkeiten zur Förderung der Kognition, Motivation, Emotionswahrnehmung oder Stressbewältigung vermittelt, vor allem dann, wenn die Frage „nach der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit und gegebenenfalls nach der Schaffung eines an die Erkrankung angepassten Arbeitsplatzes“ zu klären ist (Linden/Gehrke, 2013, S. 11).

    Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen leiden häufig unter motorischen, kognitiven und psychosozialen Einschränkungen, die sich auf die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz auswirken. In der MBOR sind sozialmedizinische Aussagen zur Belastbarkeit zu treffen. In diesem Zusammenhang spielt die arbeitsbezogene Ergotherapie eine wichtige Rolle und wirkt mit, das Ziel der Rentenversicherung, die Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen bzw. zu erhalten (DRV, 2013), zu erreichen. Mit ihren beruflich orientierten Behandlungseinheiten trägt die Ergotherapie dazu bei zu beurteilen, inwieweit abhängigkeitserkrankte Menschen weniger als drei Stunden, zwischen drei und sechs Stunden oder mehr als sechs Stunden pro Tag leistungsfähig sind (vgl. Zamath, 2017a).

    Im Folgenden werden verschiedene Funktions- und Leistungstests, Selbst- und Fremdratings sowie Profil- und Dokumentationsverfahren vorgestellt, die innerhalb der arbeitsbezogenen Ergotherapie Abhängigkeitserkrankter relevant sind.

    IMBA – Integration von Menschen mit Behinderungen in die Arbeitswelt

    Wenn es darum geht, einen Menschen nach seiner Erkrankung wieder in Arbeit zu bringen, kommt IMBA (Integration von Menschen mit Behinderungen in die Arbeitswelt) zum Einsatz (www.imba.de). Das Verfahren dient als Entscheidungshilfe im Rehabilitationsprozess und bezieht sich auf die Passung der arbeitsrelevanten Fähigkeiten von Klienten mit den Anforderungen eines Arbeitsplatzes (Zamath, 2017c).

    Neben der Dokumentation vorhandener Schlüsselqualifikationen (vgl. dazu Items Melba®) lassen sich mit IMBA körper- oder umweltbezogene Merkmale wie Körperhaltung, Körperfortbewegung oder physische Ausdauer erheben. In Kombination mit IMBA kann das ELA-Verfahren (Einschätzung körperlicher Leistungsfähigkeiten bei arbeitsbezogenen Aktivitäten; Drüke, Zander, Alles, 2010), das weiter unten noch einmal genannt wird, zur Beurteilung der arbeitsrelevanten physischen Leistungsfähigkeit eingesetzt werden (www.iqpr.de).

    Kognitive Leistungsfähigkeit

    Zur Beurteilung des kognitiven Leistungsvermögens im Erwerbsleben nutzen Ergotherapeuten Testverfahren mit hohem Normierungsumfang und zufriedenstellenden Testgütekriterien. So bieten Ibrahimovic und Bulheller (2013) eine umfangreiche Testbatterie zur Beschreibung beruflicher Interessen und Fähigkeiten. Mit ihrem Konzentrationstest kann man etwa die Frage beantworten, ob jemand in der Lage ist, ein bestimmtes Arbeitspensum zu leisten oder unter Zeitdruck eine gute Arbeitsqualität zu erreichen. Dabei müssen Zielsymbole nach einer vorgegebenen Regel markiert werden. Zusätzlich werden häufig computergestützte Kognitionstrainings wie COGPACK® (www.markersoftware.com) oder RehaCom® (www.rehacom.de) eingesetzt. Bei diesen Verfahren geht es hauptsächlich um die Diagnostik und Therapie von Störungen der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Exekutivfunktionen. Solche Hirnleistungstrainings gehören neben anderen arbeitstherapeutischen Interventionen zu den Angeboten einer BORA-Kernmaßnahme.

    MELBA – Merkmalprofil zur Eingliederung Leistungsgeminderter und Behinderter in Arbeit

    Mit MELBA (Merkmalprofil zur Eingliederung Leistungsgeminderter und Behinderter in Arbeit) werden bei den Rehabilitanden mit Hilfe verschiedener Informationsquellen Fähigkeiten wie Arbeitsorganisation, Feinmotorik oder Schlüsselqualifikationen eingeschätzt (Kleffmann et al., 2000). Schlüsselqualifikationen wie Auffassung, Konzentration und Kulturtechniken können in der Arbeitsdiagnostik prognostische Hinweise zur Befähigung und Eignung für bestimmte Tätigkeiten liefern. Die Ergebnisse werden mit konkreten Arbeitsplatzanforderungen in Beziehung gesetzt und im Profilvergleich dokumentiert.

    Zur Beurteilung berufsbezogener Fähigkeiten wie Rechtschreibkompetenz oder Rechenfähigkeit eignen sich Arbeitsproben. Beispiele hierfür sind die „Arbeitsprobe zur berufsbezogenen Intelligenz. Büro- und kaufmännische Tätigkeiten“ (Schuler/Klingner, 2005; Görlich/Schuler, 2010) oder die „Arbeitsprobe zur berufsbezogenen Intelligenz. Technische und handwerkliche Tätigkeiten“ (Görlich, Schuler, 2007).

    In DRV-Einrichtungen werden MELBA und IMBA zur Identifikation beruflicher Problemlagen vielfach eingesetzt (BAR, 2016), beispielsweise im Rahmen einer „Verhaltensbeobachtung zur arbeitsbezogenen Leistungsbeurteilung“ (DRV 2015, S. 121). Die noch relativ neue Ergänzung durch das Assessment Melba®+Mai (www.miro-gmbh.de/de/melbamai/) ergänzt das Assessment Melba und ermöglicht auch den Vergleich der körperlichen Fähigkeiten eines Menschen mit den Anforderungen einer Tätigkeit.

    O-AFP – Osnabrücker Arbeitsfähigkeitenprofil

    Das O-AFP (Osnabrücker Arbeitsfähigkeitenprofil; Wiedl, Uhlhorn, 2006) gehört zu den Assessments mit zufriedenstellenden Testgütekriterien, die sich für die Beurteilung psychisch erkrankter Menschen eignen. Damit werden mittels der Skalen „Lernfähigkeit“, „Fähigkeit zur sozialen Interaktion“ und „Anpassung“ die Arbeitsfähigkeiten mit der Bezugsreferenz allgemeiner Arbeitsmarkt gemessen (Zamath, 2017b). Das O-AFP ist ein Instrument zur Selbst- und Fremdeinschätzung. Es wird nach einer Verlaufsbeobachtung, in der Klienten in einer Therapie- oder Arbeitssituation Tätigkeiten ausgeführt haben, angewendet (Köhler, 2011). Fähigkeitsprofile wie MELBA oder O-AFP gehören zu den BORA-Kernmaßnahmen (Weissinger/Schneider, 2015).

    Mini ICF-APP – Mini-ICF-Rating für Aktivitäts- und Partizipationsbeeinträchtigungen bei psychischen Erkrankungen

    Die Abgrenzung zwischen Symptomen, Fähigkeitsbeeinträchtigungen und Lebensführung bei Abhängigkeitserkrankten ist komplex. Für die sozialmedizinische Begutachtung werden deshalb Rechtsvorschriften neben der ICD-10 ganzheitlich im Sinne der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) ausgelegt (Rose/Köllner, 2016). Mit diesem Ansatz können psychische Erkrankungen über Körperfunktionen hinaus erklärt werden.

    Auch die Arbeitstherapie nutzt die ICF als Bezugsrahmen, um den Zusammenhang zwischen Gesundheitsstörungen und der Leistungsfähigkeit zu verstehen (Hucke/Poss, 2015). So können sich in Rehabilitationskliniken tätige Ergotherapeuten nach den „Praxisempfehlungen für die (Arbeits-)Fähigkeitsbeurteilung bei psychischen Erkrankungen“ weiterbilden (Zamath, 2017a). In der Arbeitsdiagnostik nutzen sie das Mini-ICF-APP (Mini-ICF-Rating für Aktivitäts- und Partizipationsbeeinträchtigungen bei psychischen Erkrankungen; Linden, Baron, Muschalla, 2009) als Kurzinstrument zur Fremdbeurteilung von Aktivitäts- und Partizipationsstörungen bei psychischen Erkrankungen, das besonders von Fachgesellschaften empfohlenen wird. Damit wird eingeschätzt, in welchem Ausmaß ein Rehabilitand in seiner Leistungsfähigkeit bei der Durchführung arbeitsbezogener Aktivitäten beeinträchtigt ist. Im Fremdrating werden so Fähigkeiten wie „Flexibilität und Umstellungsfähigkeit“, „Kompetenz und Wissensanwendung“, „Widerstands- und Durchhaltefähigkeit“ oder „Gruppenfähigkeit“ beurteilt.

    AVEM – Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster

    Das Assessment AVEM (Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster; Schaarschmidt/Fischer, 2003) wird regelhaft in DRV-Kliniken eingesetzt (BAR, 2016). Ergotherapeuten erfassen damit die Einstellung zur Arbeit und klären gesundheitliche berufsbezogene Risiken ihrer Klienten ab (Kegler, 2014). Aus der Einschätzung lassen sich etwa Ansprüche auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ableiten. Kooperationen mit anderen Rehabilitationsträgern werden als spezifische Maßnahmen für BORA-Rehabilitanden durchgeführt, wenn ein weiterer Bedarf an Unterstützung zur beruflichen Wiedereingliederung festgestellt wurde (Weissinger/Schneider, 2015). Dies erfolgt häufig, wenn die Arbeitsfähigkeit für einen bestimmten Beruf auch bei gutem Verlauf nicht innerhalb von sechs Monaten und nach langandauernder Arbeitsunfähigkeit erreichbar ist. Dies ist etwa der Fall, wenn die Prognose für eine berufliche Wiedereingliederung wegen gesundheitsschädigender Verhaltensmuster durch den AVEM negativ bewertet wird (Rose/Köllner, 2016). Darüber hinaus kann das Verfahren zur Individualisierung der Rehabilitationsmaßnahme und zur Erfolgskontrolle des Rehabilitationsprozesses herangezogen werden.

    DIAMO – Fragebogen zur Diagnostik von Arbeitsmotivation

    Der Erfassung motivationaler Faktoren zu Beginn einer Rehabilitation kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Der DIAMO (Fragebogen zur Diagnostik von Arbeitsmotivation) wurde entwickelt, um Rehabilitanden mit besonderen beruflichen Problemlagen nach ihrer arbeitsbezogenen Motivation zu unterscheiden. Dies verschafft diagnostische Ansatzpunkte für eine differenzierte Zuweisung zu bestimmten Behandlungsformen auch innerhalb der arbeitsbezogenen Ergotherapie. Beispielsweise ist es möglich, Rehabilitanden mit mangelnder Motivation psychosoziale Interventionen und Beratungen zur Motivationsförderung anzubieten. Rehabilitanden mit resignativer Haltung hinsichtlich beruflicher Zielperspektiven können frühzeitig identifiziert werden. Die Auswertung des Fragebogens ermöglicht einen Abgleich von Selbst- und Fremdeinschätzung zur Arbeitsmotivation, sie kann auch als Einstieg für die Auseinandersetzung mit den arbeitsbezogenen Motiven genutzt werden.

    Der Therapeutin bzw. dem Therapeuten wird mit dem DIAMO ermöglicht, gemeinsam mit den Rehabilitanden motivationsfördernde und -hemmende Faktoren im Arbeitstherapie-Setting zu berücksichtigen (Ranft et al., 2009). Der DIAMO wird als Basismaßnahme durchgeführt (Weissinger/Schneider, 2015).

    WAI – Work Ability Index

    International ist der WAI (Work Ability Index) ein anerkanntes Verfahren, um Arbeitsfähigkeit zu messen (Ilmarinen, 2009). Mit diesem Fragebogen wird eingeschätzt, inwiefern sich eine Person durch ihren Gesundheitszustand zur Bewältigung von Arbeitsanforderungen in der Lage sieht (Zamath, 2017b). Laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Beschäftigung (BAUA, 2013) ist der WAI ein Instrument, mit dem die aktuelle und künftige Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit verschiedener Altersgruppen bewertet werden kann.

    Nach einer Studie (Bethge et al., 2012) hat der WAI prognostische Bedeutung für eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit und Teilhabe nach einer MBOR. So ermöglicht die WAI-Erhebung die Vorhersage erwerbsminderungsbedingter Rentenanträge. Für das MBOR-Stufenkonzept kann der WAI als ein Indikator dienen, um die Zuordnung zu den Stufen B und C zu unterstützen. Die Stufen sind mit den oben beschriebenen BORA-Maßnahmen (Kern und spezifische Maßnahmen) vergleichbar (Weissinger/Schneider, 2015).

    Ergotherapeuten können mit dem Assessment Therapieverläufe in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit darstellen, um den Aufbau von Motivation und Selbstwirksamkeit zu unterstützen (Mathiaszyk, 2013). Der WAI ist über ein Netzwerk frei zugänglich (http://www.arbeitsfaehig.com/de/work-ability-index-(wai)-382.html).

    FCE-Verfahren – Functional Capacity Evaluation

    „Die interne Belastungserprobung wird als Leistungserprobung mit diagnostischem Schwerpunkt unter idealen Standardbedingungen gesehen, um die persönliche psychische und physische Leistungsfähigkeit der Klienten einzuschätzen. Ziel hierbei ist, frühzeitig die Möglichkeiten einer Wiedereingliederung oder die Einleitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu planen“ (Mallach, 2015, S. 272). Zur objektiven Erfassung der individuellen arbeitsbezogenen funktionellen Leistungsfähigkeit wurden spezielle FCE-Systeme (Functional Capacity Evaluation) entwickelt, die Einzug in die medizinische Rehabilitation gefunden haben. Hierunter fallen zum Beispiel die Verfahren EFL (Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit) und ELA (Einschätzung körperlicher Leistungsfähigkeiten bei arbeitsbezogenen Aktivitäten).

    Das EFL-Verfahren nach Susan Isernhagen (1992), bei dem Work Hardening oder die physische Konditionierung zur Überprüfung der Arbeitsfähigkeit eine entscheidende Rolle spielt, ist weit verbreitet. Darüber hinaus können nach dem Evaluationsverfahren Ala® (Arbeitstherapeutische Leistungsanalyse) Belastungserprobungen mit standardisierten WorkPark-Therapiegeräten durchgeführt werden. Damit werden etwa die Lastenhandhabung, Gangleistung oder verschiedene Arbeitspositionen getestet. FCE-Instrumente sollen nach den BORA-Empfehlungen auch in Einrichtungen der Rehabilitation Abhängigkeitserkrankter zum Einsatz kommen.

    WRI – Worker Role Interview

    „Analyse und Diagnostik der beruflichen Ausgangsbedingungen erhalten durch die BORA-Empfehlungen einen herausragenden Stellenwert, sie werden nunmehr der Analyse und Diagnostik des suchtbezogenen Krankheitsverlaufes gleichgestellt. Es geht nicht mehr nur um die Erfassung anamnestischer Daten zur schulischen und beruflichen Situation des Rehabilitanden, sondern vielmehr um den Gesamtkontext des Erwerbsbezuges“ (Köser et al., 2015). Ein geeignetes Assessment aus ergotherapeutischer Sicht stellt hierzu das WRI (Worker Role Interview; Velozo, Kielhofner, Fisher, 2007) dar. Es ermöglicht im Rahmen eines semistrukturierten Interviews mit anschließender Auswertung die Identifizierung von psychosozialen und Umweltfaktoren in den Bereichen Selbstbild, Werte, Interessen, Rollen, Gewohnheiten und Umwelt, die die Rückkehr in den Arbeitsprozess gefährden oder fördern können (Köller Looser, 2009).

    HiPRO – Hildesheimer-Projekt-Assessment

    Das Hildesheimer-Projekt-Assessment (HiPRO) erfasst Ressourcen und Defizite und bezieht Klienten als Experten für ihre Lebenswelt in die psychosoziale Ergotherapie ein (Düchting, 2008). In der Praxis tätige Ergotherapeuten mit Schwerpunkt Arbeitstherapie nutzen das Instrument, um die Kompetenzen in den Bereichen berufsübergreifende Grundfähigkeiten, soziale und emotionale Fähigkeiten zu erfassen. Dabei werden objektive Ergebnisse aus der Arbeits- und Leistungsdiagnostik berücksichtigt und mit den Rollenerwartungen im Arbeitsleben wie etwa Konzentration, Ausdauer und Arbeitsplanung verknüpft. Die Gütekriterien wurden für unterschiedliche Diagnosegruppen untersucht.

    Kontakt und Angaben zu den Autoren:

    Frank Zamath ist nach einem Lehramtsstudium und Ergotherapie-Examen in Münster seit 2002 am Alexianer Krankenhaus Köln angestellt. Neben der Koordination und Konzeption der teilstationären Arbeitstherapie ist er im Bereich der Leistungsdiagnostik tätig. Seit 2010 ist er Mitglied im Leitungsteam des DVE-Fachausschusses Arbeit und Rehabilitation (DVE = Deutscher Verband der Ergotherapeuten) mit Vorträgen und Veröffentlichungen zu diesem Thema. Frank Zamath ist Mitglied der DGPPN – Referat Gesundheitsfachberufe (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde) und der DGSP (Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie). Kontakt: f.zamath@alexianer.de

    Petra Köser ist Ergotherapeutin seit 1984. Sie verfügt über langjährige berufliche Erfahrung in der psychiatrischen Arbeitstherapie. Seit 1997 ist sie als Lehrkraft mit den fachlichen Schwerpunkten Arbeit und Rehabilitation tätig – aktuell an der ETOS Ergotherapieschule Osnabrück. Nebenberufliche Tätigkeit als Referentin und Autorin. Seit 1999 ist Petra Köser für den buss aktiv, zurzeit im Rahmen des Qualitätszirkels „Arbeitsbezogene Maßnahmen“ als Moderatorin und fachliche Begleiterin. Seit 2008 ist sie Vorsitzende des Fachausschusses Arbeit und Rehabilitation des DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten). Kontakt: petrakoeser@aol.com

    Literatur und Links:
    • Bethge M (2017). Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation. Rehabilitation 56: 14-21
    • Bethge M, Radoschewski FM, Gutenbrunner C (2012). The Work Ability Index as a screening tool to identify the need for rehabilitation: longitudinal findings from the Second German Sociomedical Panel of Employees. J Rehabil Med, 44: 980-987
    • Bickenbach J, Cieza A, Rauch A, Stucki G (Hrsg.) (2012). Die ICF-Core-Sets. Manual für die klinische Anwendung. 1. Aufl. Bern: Huber
    • Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.) (2013). Why WAI? – Der Work Ability Index im Einsatz für Arbeitsfähigkeit und Prävention. Erfahrungsberichte aus der Praxis. 5. Auflage. Dortmund
    • Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) (Hrsg.) (2016). ICF-Praxisleitfaden 4 Trägerübergreifende Informationen und Anregungen für die praktische Nutzung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) bei den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Rehabilitation). Frankfurt am Main: BAR
    • Deutsche Rentenversicherung (DRV) (2013). Vereinbarungen im Suchtbereich. Berlin: DRV Bund
    • Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) (2015). KTL – Klassifikation therapeutischer Leistungen in der medizinischen Rehabilitation. 6. Auflage. Deutsche Rentenversicherung. Berlin: DRV Bund
    • Drüke T, Zander R, Alles T (2010). Therapieplanung in der MBO-Rehabilitation: Einschätzung körperlicher Leistungsfähigkeit bei arbeitsbezogenen Aktivitäten (ELA). Ein FCE-System in der rehabilitativen Praxis. Praxis klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation 86(1): 40-44
    • Düchting M (2008). Begleiter für die Arbeitstherapie. Assessment: HIPRO. Ergopraxis 6: 28-29
    • Görlich Y, Schuler H (2007). Arbeitsprobe zur berufsbezogenen Intelligenz. Technische und handwerkliche Tätigkeiten. Göttingen: Hogrefe
    • Görlich Y, Schuler H (2010). Arbeitsprobe zur berufsbezogenen Intelligenz. Büro- und kaufmännische Tätigkeiten, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage mit Schablonenauswertung, Göttingen: Hogrefe
    • Gühne U, Riedel-Heller SG (2015). Die Arbeitssituation von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen in Deutschland. Im Auftrag von Gesundheitsstadt Berlin e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde DGPPN).
      https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/6f086cca1fce87b992b2514621343930b0c398c5/Expertise_Arbeitssituation_2015-09-14_fin.pdf (abgerufen am 21.07.2017)
    • Höhl W, Köser P, Dochat (Hrsg.) (2015). Produktivität und Teilhabe am Arbeitsleben – Arbeitstherapie, Arbeitsrehabilitation und Gesundheitsförderung. Spektrum der Ergotherapie: Idstein: Schulz-Kirchner
    • Hucke B, Poss N (2015). Die ICF als Bezugsrahmen moderner Arbeitstherapie. In: Höhl W, Köser P, Dochat, A (Hrsg). Produktivität und Teilhabe am Arbeitsleben – Arbeitstherapie, Arbeitsrehabilitation und Gesundheitsförderung. Spektrum der Ergotherapie: Idstein: Schulz-Kirchner
    • Ibrahimovic N, Bulheller S (2013). Coaching-Tool: berufliche Orientierung – berufliche Interessen (CT-BOBI). 3. Erweiterte Aufl. Ein Testverfahren zur Beschreibung der beruflichen Orientierung der beruflichen Interessen in über 30 Kategorien und Fassetten. Schwelm: Human-Factor-Services
    • Ilmarinen J. (2009). Work Ability – a comprehensive concept for occupational health research and prevention. Scand J Work Environ Health, 35(1), 1-5
    • Isernhagen SJ (1992). Functional capacity evaluation: rationale, procedure, utility of the kinesiophysical approach. Journal of Occupational Rehabilitation, 2: 157-168
    • Kegel C (2014). Die Einstellung zur Arbeit erfassen. Arbeitsbezogene Erlebens- und Verhaltensmuster (AVEM). ergopraxis 10: 36-37
    • Kleffmann, A, Föhres, F, Müller B, Weinmann, S (2000). Melba (Merkmalprofil zur Eingliederung Leistungsgeminderter und Behinderter in Arbeit) – Ein Instrument zur beruflichen Rehabilitation und Integration (Manual) (3. Aufl.). Siegen: Universität-Gesamthochschule
    • Köhler K (2011). Assessment: Osnabrücker Arbeitsfähigkeitenprofil. Die berufliche Zukunft einschätzen. ergopraxis 7-8: 30-31
    • Köller Looser B (2009). Assessment: Worker Role Interview – Arbeitsrückkehr realistisch einschätzen. ergopraxis 7-8: 28-29
    • Köser P, Kasberg A, Höhl W, Zamath F, Mallach D für den Fachausschuss Arbeit & Rehabilitation im DVE (2015). Arbeitsbezogene Ergotherapie in Suchtreha-Kliniken. BORA aus Sicht des Deutschen Verbandes der Ergotherapeuten e. V., KONTUREN online (06.05.2015), verfügbar unter https://dev.konturen.de/titelthema/titelthema-2-2015-die-bora-empfehlungen/arbeitsbezogene-ergotherapie-in-suchtreha-kliniken-2/ (abgerufen am 21.07.2017)
    • Linden M, Gehrke G (2013). Therapieziele und Therapieoptionen einer verhaltenstherapeutisch orientierten Ergotherapie. Verhaltenstherapie 23: 6-11. DOI: 10.1159/000348596
    • Linden M, Baron S, Muschalla B (2009). Mini-ICF-Rating für Aktivitäts- und Partizipationsstörungen bei psychischen Erkrankungen: Mini-ICF-APP. Ein Kurzinstrument zur Fremdbeurteilung von Aktivitäts- und Partizipationsstörungen bei psychischen Erkrankungen in Anlehnung an die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation. 1. Aufl. Bern: Huber
    • Mallach D (2015). Angebote für Patienten in der Unfallbehandlung und der gesamten Medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation. In: Höhl W, Köser P, Dochat (Hrsg.). Produktivität und Teilhabe am Arbeitsleben – Arbeitstherapie, Arbeitsrehabilitation und Gesundheitsförderung. Spektrum der Ergotherapie: Idstein: Schulz-Kirchner
    • Mathiaszyk LP (2013). Wie arbeitsfähig ist der Klient? Assessment: Work Ability Index (WAI). ergopraxis 4: 22-23
    • Ranft A, Fiedler RG, Greifemann B, Heuft G (2009). Optimierung und Konstruktvalidierung des Diagnostikinstruments für Arbeitsmotivation (DIAMO). Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 59: 21-30
    • Rose, A, Köllner V (2016). Sozialmedizinische Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen in Deutschland. Grundlagen und Grundbegriffe. Psychotherapie im Dialog 17(2), 59-64
    • Schaarschmidt U, Fischer AW (2003). AVEM – Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster. Frankfurt am Main: Sets und Zeitlinger
    • Schuler H, Klingner Y (2005). Arbeitsprobe zur berufsbezogenen Intelligenz. Büro und kaufmännische Tätigkeiten. 1. Auflage, Göttingen: Hogrefe
    • Storck J, Plößl I (Hrsg.) (2015). Handbuch Arbeit. Wie psychisch erkrankte Menschen in Arbeit kommen und bleiben. 3. vollständig überarbeitete Auflage. Köln: Psychiatrie Verlag
    • Velozo C, Kielhofner G, Fisher D (2007). Worker Role Interview (WRI) (Deutsche Übersetzung) Idstein: Schulz Kirchner Verlag.
    • Weissinger V, Schneider R (2015). Teilhabe Abhängigkeitserkrankter am Arbeitsleben – Erfordernisse für ein organisationsübergreifendes Schnittstellenmanagement. In: Weber A, Peschkes L, de Boer W (Hrsg). Return to Work – Arbeit. Grundlagen der beruflichen Reintegration. Stuttgart: Gentner Verlag, 622ff.
    • Wiedl KH, Uhlhorn S (2006). Osnabrücker Arbeitsfähigkeitenprofil (O-AFP). Göttingen: Hogrefe
    • World Federation of Occupational Therapists (2012). Definition of Occupational therapy.  http://www.wfot.org/AboutUs/AboutOccupationalTherapy/DefinitionofOccupationalTherapy.aspx
    • Zamath F (2017a). Arbeitsunfähig, erwerbsgemindert oder berufsunfähig? Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit (Teil 1). Ergotherapie und Rehabilitation (56)3, 28-32
    • Zamath F (2017b). So schätzen Sie die Leistungsfähigkeit Ihrer Klienten evidenzbasiert ein. Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit (Teil 2). Ergotherapie und Rehabilitation (56)4, 16-19
    • Zamath F (2017c). IMBA – Arbeitsanforderungen und Fähigkeiten vergleichen. ergopraxis (10)5, 34-35
    • Zamath F (2015). Wie können Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen besser in Arbeit gebracht werden? Et Reha (54)4, 19-22

    Titelfoto©Ulrike Niehues-Paas

  • Diagnostik der Internetsucht

    Seit Jahren ist eine zunehmende Zahl von Personen zu verzeichnen, die auf Grund ihres Internetnutzungsverhaltens Probleme in verschiedenen Lebensbereichen entwickeln sowie Symptome und Einschränkungen aufweisen, die für Suchterkrankungen typisch sind. Vor diesem Hintergrund wird die Existenz von internetbezogenen Störungen (auch Internetsucht) kaum noch bezweifelt. Stattdessen finden sich immer mehr Anlaufstellen, die Betroffenen Beratung oder Psychotherapie anbieten.

    Auch die wissenschaftliche Forschung hat seit der erstmaligen Beschreibung der „Internet Addiction“ vor annähernd 20 Jahren Fortschritte gemacht. Zahlreiche Prävalenzstudien geben über die Verbreitung des Störungsbildes in unterschiedlichen Bevölkerungsschichten Auskunft, experimentelle Studien untersuchen die neurowissenschaftlichen Korrelate, und erste klinische Studien überprüfen die Wirksamkeit unterschiedlicher Interventionsformen.

    Selbsteinschätzung durch Fragebogenverfahren

    Auch in der Diagnostik internetbezogener Störungen wurden zuletzt große Fortschritte erzielt. Mittlerweile stehen mehrere Fragebogenverfahren zur Verfügung, die auf der Basis von Selbstbeurteilungen eine erste Klassifikation des individuellen Nutzungsverhaltens ermöglichen. Besonders verbreitet sind in Deutschland die Compulsive Internet Use Scale (CIUS), der Internet Addiction Test (IAT) sowie die Skala zum Onlinesuchtverhalten (AICA-S bzw. OSV-S). Diese Instrumente wurden erfolgreich validiert und stehen jeweils auch als ökonomische Kurz-Screenings zur Verfügung.

    Die Entwicklung von AICA-SKI:IBS

    Demgegenüber sind klinische Beurteilungsinstrumente, die sich nicht auf die Selbsteinschätzung, sondern den klinischen Eindruck stützen, rar gesät. Bei der Diagnostik psychischer Störungen spielen Fragebogenverfahren zwar zweifellos eine wichtige Rolle, jedoch stützen sich klinische Diagnosen im Wesentlichen auf andere Informationsquellen. Einen wichtigen Zugang zur Bestimmung klinischer Störungen stellen seit jeher klinische Checklisten zur Fremdeinschätzung dar sowie strukturierte klinische Interviews, welche für die meisten psychischen Erkrankungen verfügbar sind. Für internetbezogene Störungen fehlten derartige Instrumente hingegen bislang, was zu Unsicherheiten in der klinisch diagnostischen Beurteilung führte.

    Um diese Lücke zu schließen, wurde durch Mitarbeiter der Ambulanz für Spielsucht der Klinik für Psychosomatische Medizin an der Universitätsmedizin Mainz nun ein solches Interview entwickelt. AICA-SKI:IBS (Strukturiertes Klinisches Interview zu Internetbezogenen Störungen) basiert auf den neun diagnostischen Kriterien, die im DSM-5 für die „Internet Gaming Disorder“ formuliert wurden. Der Aufbau ist übersichtlich gehalten und sieht eine strukturierte Exploration jedes einzelnen Kriteriums über vorformulierte Fragen und klare Beurteilungsregeln vor.

    Da sich der diagnostische Prozess bei internetbezogenen Störungen erfahrungsgemäß als anspruchsvoll erweist und individuelle Besonderheiten zu berücksichtigen sind, ermöglicht AICA-SKI:IBS bei der Diagnostik ein adaptives Vorgehen. Dies bedeutet, dass eine individuelle Anpassung des Interviews möglich ist und im Bedarfsfall auf ergänzende Fragen zur Exploration der Thematik zurückgegriffen werden kann, bis eine ausreichende diagnostische Sicherheit besteht.

    Einsatzmöglichkeiten und Versionen von AICA-SKI:IBS

    AICA-SKI:IBS ist das Produkt der langjährigen klinischen Erfahrung der Ambulanz für Spielsucht Mainz und wurde in einer Kurzversion (AICA-Checkliste) ebenfalls erfolgreich im Rahmen der klinischen Studie STICA eingesetzt. Somit eignet sich AICA-SKI:IBS nicht nur zur Erstdiagnostik, sondern kann ebenfalls zur Therapieplanung und zur Abbildung von Therapieverläufen (individuell und im Rahmen klinischer Studien) genutzt werden. Dementsprechend bietet sich ein Einsatz in unterschiedlichen Kontexten an, etwa in psychosozialen Beratungsstellen, Ambulanzen und Kliniken.

    Um AICA-SKI:IBS einem möglichst großen Personenkreis zugänglich zu machen, steht es Interessierten kostenfrei zur Verfügung. Aktuell kann es auf Anfrage über die Mailadresse AICA.diagnostik@uni-mainz.de oder als Download auf der Seite des Fachverbandes Medienabhängigkeit e.V. (www.fv-medienabhaengigkeit.de) bezogen werden.

    Dr. Kai W. Müller, Ambulanz für Spielsucht, Mainz, 10.08.2017

  • Muslime in Alltag und Beruf

    Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2017, 135 Seiten, € 19,99, ISBN 978-3-662-53374-1, auch als
    E-Book erhältlich

    In diesem Buch erfahren alle, die Flüchtlingen und Asylbewerbern begegnen – privat wie beruflich –, wie sie zu einem guten Miteinander beitragen können. In Deutschland gibt es viele Neubürger und Migranten: Exilanten, Flüchtlinge und Asylbewerber. Ein Großteil kommt aus islamischen Gesellschaften und ist mit manchen anderen Normen und Werten aufgewachsen. Deshalb ist davon auszugehen, dass wir immer öfter Muslimen in Beruf und Alltag begegnen. Sie gehören zu uns. Damit das Zusammenleben und die Zusammenarbeit gelingt, ist ein fundiertes interkulturelles Wissen notwendig: kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Mentalitäten, Verhaltensregeln, Kommunikationsstrategien und Tabus. Dieses Praxisbuch hilft, Muslime zu verstehen, und vermittelt Ideen zum gemeinsamen Handeln – mit zahlreichen Fallbeispielen und Checklisten. Es richtet sich als Beratungsbuch und Arbeitsgrundlage an alle Personen im deutschsprachigen Raum, die mit Muslimen zu tun haben, in privaten und öffentlichen Einrichtungen wie Behörden und Schulen und in Betrieben.

  • Info-Angebot für Migrant/innen zur medizinischen Reha

    Im Zeitraum September 2013 bis November 2016 wurde das Projekt „MiMi-Reha: Implementierung und Evaluation eines Info-Angebotes für MigrantInnen zur medizinischen Reha auf Basis der ‚MiMi-Kampagnentechnologie‘“ durchgeführt. Ziel des Forschungsprojekts war es, über muttersprachliche Info-Veranstaltungen mögliche Barrieren zur Reha-Antragstellung bei Migrantinnen und Migranten zu verringern. Basierend auf der bereits etablierten MiMi-Kampagnentechnologie aus dem Projekt „Mit Migranten für Migranten – Interkulturelle Gesundheit in Deutschland (MiMi)“ des Ethno-Medizinischen Zentrums Hannover wurden Migrant/innen als Mediatoren geschult, fremdsprachige Informationsmaterialien entwickelt und Info-Veranstaltungen durchgeführt.

    Die teilnehmenden Migrant/innnen bewerteten das muttersprachliche Info-Angebot durchweg positiv. So konnten z. B. Informationsdefizite zum rechtlichen (Reha-)Anspruch und dem Verfahren der Antragstellung reduziert werden. Entwickelt wurden folgende Broschüren:

    • Wegweiser Medizinische Rehabilitation (auf Deutsch, Englisch, Griechisch, Italienisch, Russisch, Serbokroatisch, Spanisch oder Türkisch)
    • Wegweiser Medizinische Rehabilitation (für Mediatoren und Multiplikatoren)
    • Praxisleitfaden Interkulturelle Kompetenz für die Reha-Beratung
    • Ausfüllhilfe für den Rehabilitationsantrag

    Die Broschüren können auf der Internetseite des Ethno-Medizinischen Zentrums e.V. unter der Rubrik „Reha“ als PDF-Datei heruntergeladen oder angefordert werden. Beim Download des „Wegweisers Medizinische Rehabilitation“ kann die gewünschte Sprache ausgewählt werden, nachdem man erst auf das deutsche Dokument und dann auf „Download PDF“ klickt.

    Das Projekt wurde von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH; Prof. Dr. med. Christoph Gutenbrunner) und dem Ethno-Medizinischen Zentrum Hannover (EMZ; Ramazan Salman) in Kooperation mit der DRV Bund, der DRV Nord, der DRV Oldenburg-Bremen und der DRV Rheinland-Pfalz durchgeführt.

    Download Broschüren MiMi-Reha

    Download Abschlussbericht MiMi-Reha

    Redaktion KONTUREN, 02.08.2017

  • Nahtlosverfahren aus dem qualifizierten Entzug

    Alkohol-, drogen- oder von Medikamenten abhängige Menschen sollen künftig nach einem qualifizierten Entzug im Krankenhaus direkt in eine Einrichtung der ambulanten oder stationären Suchtrehabilitation verlegt werden, wenn dies medizinisch notwendig ist. Entsprechende Handlungsempfehlungen haben die Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG), die Deutsche Rentenversicherung Bund und der Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek), der BKK Dachverband, der IKK e.V., die KNAPPSCHAFT und die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau getroffen. Ziele des so genannten Nahtlosverfahrens: Durch eine effektive Organisation der Anschlussversorgung sollen die Behandlung Abhängigkeitskranker verbessert und die Versorgungsbereiche (Krankenhaus, Rehabilitation, Suchtberatungsstellen) enger miteinander verzahnt werden. Von dem ‚Nahtlosverfahren‘ profitieren Betroffene, die bei den beteiligten Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern versichert sind. Die konkrete Umsetzung soll nun auf Landesebene durch die Vertragspartner (Krankenkassen, Rentenversicherungsträger, Krankenhäuser) zügig beschlossen werden.

    „Leider nehmen viele suchtkranke Menschen nach einem qualifizierten Entzug in einem Krankenhaus keine medizinische Rehabilitation in Anspruch oder treten bewilligte Rehabilitationsleistungen nicht an. Dies birgt das Risiko eines Rückfalls. Mit dem Nahtlosverfahren wollen wir die Inanspruchnahme in der Suchtrehabilitation steigern und den so genannten Drehtüreffekt im Krankenhaus möglichst vermeiden“, erklärt Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek, der die Handlungsempfehlungen federführend für die anderen Verbände der Krankenkassen verhandelt hat.

    „Dreh- und Angelpunkt ist das Krankenhaus, das wie bisher den Reha-Antrag beim zuständigen Rehabilitationsträger (Rentenversicherung oder gesetzliche Krankenkasse) stellt sowie den ärztlichen Befund- und Sozialbericht erstellt. In Abstimmung mit den Rehabilitationsträgern und der aufnehmenden Reha-Einrichtung wird die nahtlose Verlegung vom Krankenhaus in die Suchteinrichtung organisiert. ‚Herzstück‘ des Nahtlosverfahrens ist die begleitete Anreise des Patienten durch einen Mitarbeiter der Suchteinrichtung oder einer Suchtberatungsstelle. Damit wollen wir erreichen, dass alle Patienten tatsächlich ‚ohne Umwege‘ in der Rehabilitation ankommen“, so Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der DKG.

    „Mit den Handlungsempfehlungen haben wir in Zusammenarbeit mit den Suchtfachverbänden vereinbart, wie wir die Versorgung Abhängigkeitskranker organisieren und verbessern wollen. Die Empfehlungen enthalten Aussagen zur Leistungszuständigkeit, zur Mitwirkung der Krankenhäuser und weitere Details zum Nahtlosverfahren. Innerhalb von nur fünf Arbeitstagen sollen die Reha-Träger über den Rehabilitationsantrag entscheiden. Damit beschleunigen wir das Verfahren und verbessern die Versorgung der Versicherten. Gleichzeitig wollen wir erreichen, dass die Suchtkranken schneller als bisher in das Arbeitsleben integriert werden können“, so Brigitte Gross, Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Bund.

    Die Handlungsempfehlungen können auf der Homepage der Deutschen Rentenversicherung sowie auf der Homepage des vdek heruntergeladen werden.

    Gemeinsame Pressemitteilung des Verbands der Ersatzkassen (vdek), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), der Deutschen Rentenversicherung Bund, der IKK, der Knappschaft und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG), 28.07.2017

  • Sozialpädagogisches Können

    Lambertus Verlag, Freiburg im Breisgau 2017, 8., von Ursula Hochuli Freund aktualisierte und erweiterte Auflage, 224 Seiten, 21,00 €, ISBN 978-3-7841-2757-6

    Die in Fachwelt und Ausbildung breit rezipierte Publikation über das Konzept multiperspektivische Fallarbeit des 2013 verstorbenen Burkhard Müller wurde in der Neuausgabe von Ursula Hochuli Freund durchgesehen und im Hinblick auf den Stand des Fachdiskurses aktualisiert. Das Buch eignet sich als Lehrbuch für die Aus- und Weiterbildung in Studiengängen der Sozialpädagogik und Sozialarbeit. Auch Praktiker/innen der Sozialen Arbeit werden viele hilfreiche Themen und Reflexionsfragen entdecken.

  • NADA Filmprojekt

    Unter dem Titel NADA Akupunktur in schweren Zeiten hat die deutsche NADA (National Acupuncture Detoxification Association) einen 22-minütigen Film über das Anwendungsspektrum und den Nutzen der Ohrakupunktur nach dem NADA-Protokoll in Deutschland hergestellt. Zu Wort kommen u. a. Ärzte, Klinikleiter, ein Trauma-Experte, eine Hebamme, ein Mitarbeiter aus dem arbeitsmedizinischen Dienst der Hamburger Polizei sowie eine Mitarbeiterin aus dem stationären Pflegedienst. Patientinnen und Patienten aus psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen, der Traumatherapie, der Suchttherapie und der Kinder- und Jugendpsychiatrie bereichern diesen Film mit ihren Erfahrungen aus der Praxis.

    Der Film kann auf DVD im Rahmen von NADA-Schulungen vor Fachpublikum (z. B. im Fortbildungsbereich von Kliniken und therapeutischen Einrichtungen) vorgeführt werden, ist allerdings nicht für eine allgemeine Öffentlichkeit bestimmt. Mit dem Erwerb einer DVD erhalten Sie daher das Recht, den Film zu vorstehendem Zweck vorzuführen. Weitergehende Rechte wie z. B. Verleih oder Vermietung der DVD oder der Gebrauch der DVD für andere Nutzungen werden nicht eingeräumt.

    Die DVD mit dem Film kann in der Geschäftsstelle der NADA gegen eine Schutzgebühr von 10,00 Euro (inkl. Versandkosten) erworben werden:.

    NADA – Deutsche Sektion e.V.
    Eifflerstraße 3
    22769 Hamburg
    Tel. 040/43 25 45 15
    kontakt@nada-akupunktur.de
    www.nada-akupunktur.de

    NADA-Deutsche Sektion e.V.

  • Lässt sich Selbstkontrolle trainieren?

    Selbstkontrolle hat einen guten Ruf: Zahlreiche Studien belegen, dass sie in verschiedensten Lebensbereichen positiv wirkt. Eine so erstrebenswerte Fähigkeit sollte sich doch trainieren lassen – oder nicht? Psychologen der Universität des Saarlandes werteten in einer Metaanalyse 33 Studien zu Selbstkontrolltrainings aus. Die Wirksamkeit dieser Trainings zeigte sich nur bedingt. Die Ergebnisse der Studie werden demnächst in der Fachzeitschrift „Perspectives on Psychological Science“ erscheinen.

    Selbstkontrolle ist die Fähigkeit, das eigene Verhalten zu kontrollieren. Dazu gehört vor allem, innere Impulse zu unterdrücken oder zu steuern – wie zum Beispiel der Student, der bei schönem Wetter in der Bibliothek lernt, anstatt zum Badesee zu fahren, oder die ehemalige Raucherin, die in einer Stresssituation nicht zur beruhigenden Zigarette greift. Auch um eine ‚gute Miene zum bösen Spiel‘ machen zu können, bedarf es an Selbstkontrolle. Wie viele Studien zeigen, haben Menschen, die sich gut selbst kontrollieren können, mehr Erfolg, stabilere soziale Beziehungen und sind bei besserer körperlicher und psychischer Gesundheit. Da wäre es doch beruhigend, wenn sich Selbstkontrolle durch Übung trainieren ließe. „Die Ergebnisse unserer Metaanalyse legen nahe, dass dies möglich ist – auch wenn noch viele Fragen offen sind“, sagt Malte Friese, Professor für Sozialpsychologie an der Universität des Saarlandes.

    Gemeinsam mit Julius Frankenbach, Veronika Job und David Loschelder wertete er Studien aus, in denen die Wirksamkeit von Selbstkontrolltrainings untersucht wurde. Der Gedanke hinter diesen Trainings basiert auf dem so genannten Ressourcenmodell der Selbstkontrolle. Dieses geht davon aus, dass sich Selbstkontrolle wie ein Muskel trainieren lässt: je häufiger man eine Tätigkeit, die Selbstkontrolle erfordert, gezielt ausübt, desto stärker wird die Fähigkeit und desto mehr Kontrollressourcen hat man, wenn man sie braucht. So wird in einigen Trainings beispielsweise geübt, Alltagstätigkeiten wie Zähneputzen mit der nicht-dominanten Hand auszuführen oder eine aufrechte Haltung zu bewahren anstatt gebeugt am Schreibtisch zu sitzen. Wirksamkeitsstudien untersuchen häufig, inwiefern sich die eingeübten Selbstkontrollfähigkeiten auch auf andere Lebensbereiche auswirken, also beispielsweise mit dem Rauchen aufhören zu können, weniger aggressives Verhalten zu zeigen oder körperliche Anstrengungen länger durchzuhalten. Die Psychologen haben sich 33 solcher Trainingsstudien genauer angeschaut und über alle diese Studien hinweg die Stärke des Trainingseffekts geschätzt. Durch die gleichzeitige Betrachtung mehrerer Studien erlaubt diese so genannte Metaanalyse bessere Schlussfolgerungen als einzelne Studien.

    Im Durchschnitt zeigten sich kleine bis mittlere Trainingseffekte, die aber von Studie zu Studie stark schwankten. „Warum die Trainings effektiv sind – also welche psychologischen Mechanismen diesem Effekt zugrunde liegen – ist aber nach wie vor nicht ganz klar“, sagt Malte Friese. „Möglich ist, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer solcher Trainings auch eine Erwartung aufgebaut haben, dass ihnen die Übungen helfen würden. Ein Teil des Trainingserfolgs könnte demnach auf eine Art Placebo-Wirkung zurückgehen und nicht darauf, dass spezifisch die Ausübung von Selbstkontrolle geübt wurde.“

    Anders als frühere Analysen bezogen die Saarbrücker Wissenschaftler auch unveröffentlichte Arbeiten mit ein. „Häufig werden Studien über nicht erfolgreiche Trainings nicht publiziert“, gibt Malte Friese zu bedenken. „Wenn man lediglich die veröffentlichten Studien mit einbezieht, ergibt sich ein größerer Trainingseffekt.“ Sein Fazit lautet: „Nach dem heutigen Stand des Wissens lässt sich Selbstkontrolle durch Übung zumindest kurzfristig stärken, aber es gibt noch viele offene Fragen: Wie groß ist der Effekt wirklich? Warum wirken die Trainings? Wie lange halten die Effekte an?“

    Originalstudie:
    Friese, M., Frankenbach, J., Job, V., & Loschelder, D. (in press). Does self-control training improve self-control? A meta-analysis. Perspectives on Psychological Science.

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs), 11.05.2017