Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2016, 245 Seiten, € 39,99, ISBN 978-3-662-48435-7,
auch als E-Book erhältlich
In diesem Fachbuch beschäftigen sich mehr als ein Dutzend renommierter Expertinnen und Experten mit den Ursachen von psychischen Störungen bei Frauen, zeigen konkrete präventive Maßnahmen auf und stellen mögliche Therapien und Perspektiven vor, wie die psychische Gesundheit von Frauen erhalten werden kann. Psychische Störungen treten nämlich bei Frauen und Männern zwar insgesamt gleich häufig auf, doch sind Frauen anderen Risiken, Belastungen und Erkrankungen ausgesetzt. Sie leiden häufiger an Depressionen, Angst- oder Essstörungen.
Das Buch richtet sich an Fachleute in der Medizin, vor allem in der Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Psychiatrie, in der Psychologie sowie an Expertinnen und Experten, die in der psychosozialen Betreuung und Beratung im Bereich Frauengesundheit tätig sind. Es ist auch für Lehrende und Studierende in diesen Fachgebieten zu empfehlen. Es analysiert die Grundlagen der psychischen Gesundheit von Frauen, zudem werden folgende Themenbereiche behandelt: Körperbild und Selbstzweifel, Gewalt und Früherkennung, Sexualität und Unsicherheit, Schwangerschaft beziehungsweise Elternschaft und Krisen, Reproduktionsmedizin und Psyche, Migration und Risiken sowie das Thema Psychotherapie und Gender.
Vom 19. bis 23. Juni sendete 3sat im Rahmen der Themenwoche „Sucht“ eine Reihe interessanter Dokumentationen, Infosendungen und Spielfilme. Die Beiträge beschäftigen sich mit verschiedenen Süchten und themenbezogenen Aspekten und können in der 3sat-Mediathek angesehen werden. http://www.3sat.de/page/?source=/specials/themenwoche/193068/index.html
Besonders hinzuweisen ist auf die Sendung „scobel: Volksdroge Alkohol“. Die Studiogäste Falk Kiefer, Gundula Barsch und Joachim Körkel diskutieren unterschiedliche Ansätze der Suchttherapie vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen und kulturellen Umfelds in Deutschland sowie politische Maßnahmen, die wünschenswert wären oder unterlassen werden. Hier geht es direkt zur Sendung: http://www.3sat.de/page/?source=/scobel/192250/index.html
Mit der neuen Broschüre „Basiswissen Sucht. Ein Leitfaden für die psychotherapeutische Praxis“ stehen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten nun gebündelt wertvolle Informationen für die Suchtanamnese in der Praxis zur Verfügung. Die Publikation wurde von der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen und der LandesPsychotherapeutenKammer Rheinland-Pfalz herausgegeben und von der gemeinsamen Fachkommission Sucht der beiden Kammern erarbeitet.
Psychotherapie ist die Kerndisziplin der Suchtbehandlung. Nur wenn eine Sucht erkannt ist, können Patientinnen und Patienten gezielt darauf angesprochen und ermutigt werden, etwas zu ändern. Insbesondere Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sind qualifiziert, eine Suchtstörung zu diagnostizieren und Patientinnen und Patienten entsprechend zu motivieren.
Die neue Broschüre „Basiswissen Sucht. Ein Leitfaden für die psychotherapeutische Praxis“ bietet übersichtliche Checklisten zu Alkohol, Amphetaminen, Cannabinoiden, Glücksspiel, Kokain, Medikamenten, Opioiden und Tabak. Erläutert werden Aspekte wie Wirkung, risikoarmer und problematischer Konsum, Konsumnachweise, klinische Symptomatik, Entzugserscheinungen und Laborbefunde. Die Checklisten weisen zudem auf Besonderheiten in der Psychotherapie hin und fassen Standardfragen und mögliche Fragen an Patientinnen und Patienten zusammen. Darüber hinaus informiert der Leitfaden über das komplexe Suchthilfesystem, über Abstinenznachweise und Laborparameter.
Suchtstörungen sind weit verbreitet und ziehen einen komplexen Behandlungsbedarf nach sich; häufig gehen sie mit komorbiden psychischen Erkrankungen einher. Um möglichst frühzeitig und zielgenau Hilfe anbieten zu können, sollte die Suchtanamnese daher zur Routine einer jeden psychotherapeutischen Praxis gehören. Die neue Broschüre bietet Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten eine praktische Hilfe, Patientinnen und Patienten frühzeitig zu erreichen und sie anzuregen, ihre Einstellung und ihr Verhalten zu ändern.
Beltz Verlag, Weinheim 2016, 2 DVDs, Laufzeit 225 Minuten, ISBN 978-3-621-28314-4, € 89,00
Imaginationstechniken können in den unterschiedlichsten Situationen und bei verschiedenen Störungsbildern unterstützend eingesetzt werden. Die Spannbreite der hier dargestellten Techniken reicht von Entspannungsübungen über Fantasiereisen bis hin zum Verändern einer negativen Erinnerung durch einen alternativen (guten) Ausgang. 23 Fallvideos mit erfahrenen Therapeutinnen zeigen, wie eine Therapiestunde mit dem Einsatz von Imaginationsübungen aussieht. Die Fallvideos der DVDs zeigen die Ausgangssituationen, die das Anwenden der imaginativen Techniken sinnvoll erscheinen lassen, und wie die Techniken durchgeführt werden. Die Übungen werden nachbesprochen und die Erfahrungen in den Alltag übertragen. Ein ausführliches Booklet erklärt gezielt Einsatz und Indikation der Techniken. Aus dem Inhalt:
Basale Imaginationstechniken und Entspannungsübungen
Imagination bei Diagnostik und Zielfindung
Imaginative Arbeit mit Traumata und negativen Erinnerungen
Die Humanwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln führt in Kooperation mit dem IKJ Institut für Kinder- und Jugendhilfe gGmbH, Mainz, das Projekt „Machbarkeit und Wirksamkeit kooperativer Leistungserbringung von Jugendhilfe und Suchthilfe für suchtbelastete Familien“ durch.
Das Erkenntnisinteresse des Forschungsprojektes besteht im Kern darin herauszufinden, ob sich das Konzept der kooperativen Leistungserbringung zwischen Jugend- und Suchthilfe im Bereich der Hilfen zu Erziehung in der Praxis als gangbarer und effektiver Weg erweist, um suchtbelasteten Familien die Aufmerksamkeit und Unterstützung zukommen zu lassen, die nötig sind, um Kinder wirksam zu schützen und deren physische und psychische Salutogenese zu fördern. Zur Durchführung des Projekts ist Expertise aus der Praxis gefragt. Die Verantwortlichen suchen Fachleute für verschiedene Möglichkeiten der Teilnahme.
Teilnehmen können alle öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe (beratend/ambulant/ stationär), die im Bereich der Hilfen zur Erziehung tätig sind, und alle Einrichtungen der Suchthilfe, die mit Jugendhilfeträgern kooperieren. Gesucht werden:
Fachleute, die sich an den Gruppendiskussionen beteiligen wollen (Zeitaufwand: ein Termin über eine Stunde),
Einrichtungen, die bereit sind, einmalig einen Fragebogen zu den wichtigsten Kriterien einer gelingenden Kooperation auszufüllen (Zeitaufwand ca. zehn Minuten),
Jugendhilfeeinrichtungen (beratend/ambulant/stationär im Bereich Hilfen zur Erziehung), die bereit sind, den (anonymisierten) Fallverlauf in der Betreuung von Familien mit Suchtproblematik zu drei Testzeitpunkten mittels Aufnahme-, Verlaufs- und Abschlussbögen zu dokumentieren (Zeitaufwand insgesamt ca. eine Stunde pro Fall).
Für die Teilnahme an der Gruppenfachdiskussion in Nordrhein-Westfalen können sich Interessierte bis 20.07.2017 direkt in der Doodle-Abfrage zur Terminfindung unter folgendem Link eintragen: https://beta.doodle.com/poll/m5hw2x32i74gnftr#table
Nicht zuletzt durch die Jahrestagung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung sind Kinder suchtkranker Eltern wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Immerhin geht man davon aus, dass ca. 2,65 Millionen Kinder und Jugendliche in Familien mit mindestens einem suchtkranken Elternteil aufwachsen. Aber auch unterhalb der Schwelle zur Sucht wird in deutschen Familien zu viel Alkohol getrunken. Eine Erhebung des Robert-Koch-Instituts hat ergeben, dass bis zu 6,6 Millionen Kinder bei einem Elternteil mit riskantem Alkoholkonsum und davon 4,2 Millionen Kinder bei einem Elternteil mit regelmäßigem Rauschtrinken leben. Und auch die Glücksspielsucht, Medikamentensucht und die Abhängigkeit von Crystal Meth eines Elternteils betreffen Kinder und Jugendliche.
Der Kinder- und Jugendschutz hat sich in den vergangenen Jahren mit der Problematik auseinandergesetzt. Denn diese Kinder erleben in den Familien körperliche Gewalt, Vernachlässigung oder werden sexuell missbraucht. Sie haben häufiger Schulschwierigkeiten, schwänzen öfter die Schule oder brechen sie ab. Das Risiko dieser Kinder, selbst suchtkrank zu werden, ist im Vergleich zu Kindern aus ‚nicht-süchtigen‘ Familien bis zu sechsfach erhöht. Eine elterliche Suchterkrankung ist eines der zentralen Risiken für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Die Prävention ist deshalb gefragt!
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz hat das Dossier „Kinder suchtkranker Eltern“, das erstmals 2012 erschienen ist, erneut von Henning Mielke, Geschäftsführer von NACOA Deutschland, der Interessenvertretung für Kinder aus Suchtfamilien e.V., überarbeiten lassen. Mit der Ausgabe 1/2017 liegt nunmehr eine aktualisierte Version vor, die neben grundlegenden Informationen auch auf rechtliche und pädagogische Aspekte eingeht und umfangreiche Hinweise auf Literatur, Studien sowie Ansprechpartner enthält.
Das Dossier „Kinder suchtkranker Eltern“ steht zum Download bereit. Die gedruckte Version kann kostenlos auch in höherer Stückzahl beim Herausgeber bezogen werden – ggf. fallen Versandkosten an: Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, Mühlendamm 3, 10178 Berlin, Fax: 030-400 40 333, Mail: info@bag-jugendschutz.de, online unter: www.bag-jugendschutz.de
Pressestelle der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (BAJ), 23.06.2017
Der Bundestag hat am Donnerstag, 22. Juni 2017, einstimmig Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern (Kinder suchkranker Eltern sind hier mit einbezogen) gefordert, als er einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen (18/12780) annahm.
Die Bundesregierung wurde unter anderem aufgefordert, eine zeitlich befristete interdisziplinäre Arbeitsgruppe unter Beteiligung des Familien-, des Sozial- und des Gesundheitsministeriums, relevanter Fachverbände und -organisationen sowie weiterer Sachverständiger einzurichten, die einvernehmlich Vorschläge zur Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil psychisch erkrankt ist, erarbeitet. Dabei soll sie auch auf die Auswirkungen und Möglichkeiten des bereits in Kraft getretenen Präventionsgesetzes eingehen.
Darüber hinaus müsse in die Aus- und Weiterbildung von Professionen investiert werden, die an der Versorgung von Kindern und deren psychisch kranken Eltern beteiligt sind. Zu den Professionen zählten unter anderem Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, Ärztinnen und Ärzte, Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen und -therapeuten. (hau/22.06.2017)
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung (z. B. Klientinnen und Klienten) verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für beide Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.
Hintergrund und Zielsetzung
Personen, die arbeitslos sind, weisen im Vergleich zu Erwerbstätigen diverse Risikofaktoren in Bezug auf ihren Gesundheitszustand auf. So wurde in einer Metaanalyse Arbeitslosigkeit als Ursache für zahlreiche Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit Langzeiterwerbsloser gefunden (Paul & Moser, 2009). Arbeitslosigkeit gilt als Risikofaktor für die Entwicklung psychischer und psychosomatischer Symptome und ist Grund für schlechtes subjektives Wohlbefinden und ein geringes Selbstbewusstsein. Auch auf ein problematischeres Substanzkonsum- bzw. Suchtverhalten unter arbeitslosen Personen gibt es Hinweise (Hollederer, 2008). Diskutiert werden mehrere Zusammenhänge von Arbeitslosigkeit und Suchterkrankungen (Henkel, 2011):
Arbeitslosigkeit erhöht das Risiko für riskanten Substanzkonsum und Abhängigkeitserkrankungen.
Chronisches Suchtverhalten führt häufig zum Verlust des Arbeitsplatzes und verringert gleichzeitig die Perspektive auf ein Beschäftigungsverhältnis.
Das schulisch-berufliche Qualifizierungsniveau ist bei einem hohen Anteil Suchtkranker, die sich in Behandlung befinden, gering, was bereits für sich genommen ein bedeutender Risikofaktor für Arbeitslosigkeit ist.
Substanzabhängige, die nach der Suchtbehandlung arbeitslos bleiben, sind deutlich stärker gefährdet, rückfällig zu werden, als Erwerbstätige.
Hinweise für die letzten beiden Punkte finden sich beispielsweise in der ARA-Studie (Henkel, Dornbusch & Zemlin, 2005; Zemlin, Henkel & Dornbusch, 2006), in der arbeitslose Alkoholabhängige nach Behandlung schlechtere Werte in den Bereichen Lebenszufriedenheit, Problembewältigungsstrategien, physische und psychische Gesundheit sowie in der sozialen Integration und Partizipation aufweisen und höhere Rückfallraten haben als Erwerbstätige. Unter den Arbeitslosen war der Anteil derjenigen ohne Berufsausbildung höher als bei Erwerbstätigen. Dies bestätigte sich auch in einer Untersuchung der Klientel in der deutschen Suchthilfe (Kipke et al., 2015). Arbeitslose Klienten, die aufgrund einer Hauptdiagnose im Bereich illegaler Substanzen in Beratung oder Betreuung waren, verfügten beinahe doppelt so häufig über keine abgeschlossene Hochschul- oder Berufsausbildung wie erwerbstätige Klienten.
Auch die Daten zur Inanspruchnahme des Hilfesystems zeigen deutliche Zusammenhänge zwischen Erwerbsstatus und Suchterkrankungen. Eine Auswertung der Leistungsdaten aller AOK-Versicherten, die in den Jahren 2007 bis 2012 in ambulanter oder stationärer medizinischer Behandlung waren, zeigt, dass in der Population von Hartz IV-Empfangenden im Vergleich zu Kurzzeitarbeitslosen und Erwerbstätigen Suchtprobleme – unabhängig von Alter und Geschlecht – deutlich verbreiteter sind (Henkel & Schröder, 2015). Insgesamt 10,2 Prozent der ALG II-Bezieher (Arbeitslosengeld II) wurden mit einer Suchtdiagnose gemäß ICD-10 diagnostiziert. Bei ALG I-Empfängern betrug diese Diagnoserate 6,3 Prozent und bei Erwerbstätigen 3,7 Prozent.
Auch im suchtspezifischen Versorgungssegment liegt eine deutliche Belastung der Klientel durch Arbeitslosigkeit vor. Die jüngsten Daten der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) zeigen, dass über alle Hauptdiagnosen (HD) hinweg im Jahr 2015 mehr als jeder dritte Klient (38 Prozent) in ambulanten und jeder zweite Patient (53 Prozent) in stationären Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe am Tag vor Betreuungsbeginn ALG I oder ALG II bezog (Braun, Brand & Künzel, 2016a; alle Daten der DSHS sind verfügbar unter: http://www.suchthilfestatistik.de/).
Im Rahmen dieses Beitrags soll mithilfe der Daten der DSHS die Entwicklung der letzten Jahre sowie die aktuelle Situation der arbeitslosen Klientel, die wegen suchtbezogener Probleme in Betreuung/Behandlung ist, dargestellt werden. Der Beitrag schreibt eine Arbeit fort, die Trendverläufe bis 2011 darstellte (Kipke et al., 2015).
Alle zugrundeliegenden Daten aus der DSHS beziehen sich auf Betreuungs-/Behandlungsepisoden, die synonym auch als Fälle bezeichnet werden. Da derselbe Klient mehrere Behandlungsepisoden in einem Berichtsjahr absolviert haben kann, ist die Zahl der Fälle ungleich der Zahl der Klienten. Dasselbe gilt im stationären Setting für Patienten. Der einfacheren Lesbarkeit halber wird dennoch teilweise der Begriff Klient/Patient benutzt.
Methodik
Es werden wesentliche Charakteristika von arbeitslosen Klienten in ambulanten und stationären Suchthilfeeinrichtungen im zeitlichen Verlauf von 2007 bis 2015 dargestellt. Des Weiteren wird eine vergleichende Charakterisierung der arbeitslosen und erwerbstätigen Klientel im ambulanten Setting vorgenommen. Folgende Datenquellen werden herangezogen: 1) Für die Verlaufsdarstellung werden Daten der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS; aktuellster Tabellenband: Braun, Brand & Künzel, 2016; alle Tabellenbände verfügbar unter: https.//www.suchthilfestatistik.de/daten) genutzt, die jedes Jahr bundesweit in ambulanten Suchtberatungs-/behandlungseinrichtungen sowie (teil-) stationären Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen erhoben wurden. 2) Für die vergleichende Charakterisierung der Klientel werden Daten von Klienten mit unterschiedlichem Erwerbsstatus in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen hinsichtlich ihres soziodemographischen Hintergrunds, ihrer spezifischen Suchtproblematik und ihrer Betreuungsmerkmale gegenübergestellt (siehe Kurzbericht 2/2016 der DSHS; Künzel, Specht & Braun, 2016).
Eine ausführliche Beschreibung der Methodik der Deutschen Suchthilfestatistik findet sich in Dauber, Specht, Künzel und Braun (2016). Die Daten der DSHS ermöglichen eine systematische Analyse von Trends in Suchthilfeeinrichtungen, insbesondere aufgrund ihrer hohen Erreichungsquote in der ambulanten (geschätzte Erreichungsquote ≥ 74 Prozent) und stationären (geschätzte Erreichungsquote ≥ 64 Prozent) Suchthilfe (Dauber et al. 2016) und der hohen Vergleichbarkeit der Daten. Diese Vergleichbarkeit wird durch die einheitliche Verwendung des Deutschen Kerndatensatzes zur Dokumentation im Bereich der Suchthilfe erzielt (KDS; DHS, 2007). Die Grundgesamtheit der vorliegenden Analyse schließt alle Fälle ein, für die eine Hauptdiagnose (HD) vergeben wurde. Sie bezieht sich in ambulanten Einrichtungen auf alle Fälle, die im jeweiligen Jahr eine Betreuung begonnen bzw. beendet haben („Zugänge/Beender“) und im stationären Bereich auf alle Fälle, die im jeweiligen Jahr eine Betreuung beendet haben („Beender“). Für die Beschreibung der Arbeitslosenanteile in der Suchthilfe zwischen 2007 und 2015 wurden alle Fälle als „arbeitslos“ definiert, bei denen in den letzten sechs Monaten vor Betreuungsbeginn Arbeitslosigkeit nach Sozialgesetzbuch (SGB) II oder SGB III vorlag. In der Vergleichsgruppe „erwerbstätig“ wurden alle Fälle der erfassten Kategorien zu Erwerbstätigkeit zusammengefasst („Auszubildender“, „Arbeiter/Angestellter/Beamter“, „Selbstständig/Freiberufler“, „in beruflicher Rehabilitation“, „Sonstige Erwerbsperson“).
Für die vergleichende Gegenüberstellung von Klienten mit unterschiedlichem Erwerbsstatus wurden Daten zum Erwerbsstatus aus dem ambulanten Suchthilfesetting im Jahr 2015 in Gruppen zusammengefasst (Künzel et al., 2016): a) arbeitslose Klientel: Klienten, die am Tag vor Betreuungsbeginn und am Tag nach Betreuungsende arbeitslos nach SGB II oder SGB III waren, und b) erwerbstätige Klientel: Klienten, die am Tag vor und am Tag nach der Betreuung erwerbstätig waren.
Ergebnisse
Trends der Jahre 2007 bis 2015
Die Zahlen aus dem Jahr 2015 zeigen, dass der Anteil an arbeitslosen Klienten, die bereits sechs Monate vor Betreuungsbeginn erwerbslos waren, bei Fällen mit HD Opioide sowohl in ambulanten als auch in stationären Einrichtungen am höchsten (ambulant: 58 Prozent; stationär: 67 Prozent) und bei Fällen mit HD Stimulanzien am zweithöchsten (ambulant: 46 Prozent; stationär: 63 Prozent) war. Insgesamt ist der Anteil der Erwerbslosen im Verlauf der Jahre 2007 bis 2015 über alle HD in ambulanten Einrichtungen um etwa vier Prozentpunkte auf 36 Prozent gesunken und in stationären Einrichtungen um etwa einen Prozentpunkt auf 48 Prozent gestiegen. Der Anteil arbeitsloser Patienten war in stationären Einrichtungen insgesamt höher als in ambulanten Einrichtungen. Der größte Unterschied zwischen ambulantem und stationärem Setting in Bezug auf die Hauptdiagnosen fand sich bei Fällen mit HD Cannabis. Bei diesen Fällen lag im Jahr 2015 der Anteil Erwerbsloser bei 31 Prozent im ambulanten und bei 60 Prozent im stationären Setting.
Die Anteile der arbeitslosen Klienten an allen Klienten in ambulanten und stationären Einrichtungen insgesamt sowie differenziert nach den Hauptdiagnosen Alkohol, Opioide, Cannabis, Kokain, Stimulanzien und Pathologisches Glückspielen sind in Abbildung 1 dargestellt. Der Anteil an erwerbslosen Patienten ist zwischen 2007 und 2015 im stationären Bereich bei Fällen mit HD Stimulanzien am stärksten (+16 Prozentpunkte) und bei Fällen mit HD Opioide am zweitstärksten (+9 Prozentpunkte) angestiegen. In ambulanten Einrichtungen war der stärkste Anstieg der Anteile Arbeitsloser ebenfalls bei Fällen mit HD Stimulanzien (+8 Prozentpunkte) zu beobachten, während der Anteil bei Fällen mit HD Alkohol am stärksten (-7 Prozentpunkte) zurückging.
Abbildung 1: Anteil arbeitsloser Klientel in der Deutschen Suchthilfestatistik von 2007 bis 2015 gesamt und nach Hauptdiagnosen, getrennt für ambulantes und stationäres Setting
Merkmale der Klientel mit unterschiedlichem Erwerbsstatus in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen im Jahr 2015
Fast alle Klienten (97 Prozent), die einen Tag vor der Betreuung erwerbstätig waren, befanden sich bereits sechs Monate vor Betreuungsbeginn in einem Arbeitsverhältnis, und 91 Prozent der arbeitslosen Klienten bezogen bereits sechs Monate vor Betreuungsbeginn Arbeitslosengeld (elf Prozent ALG I; 80 Prozent ALG II).
Der Anteil Alleinstehender war bei arbeitslosen Klienten deutlich höher (59 Prozent) als bei Erwerbstätigen (40 Prozent). Auch das Bildungsniveau der Klienten variierte nach dem Erwerbsstatus (s. Abbildung 2). Arbeitslose Klienten verfügten deutlich seltener über eine (Fach-)Hochschulreife (acht Prozent vs. Erwerbstätige: 18 Prozent) oder über einen Realschulabschluss (27 Prozent vs. Erwerbstätige: 38 Prozent) und hatten häufiger die Schule ohne Abschluss verlassen als Erwerbstätige (13 Prozent vs. Erwerbstätige: vier Prozent). Zudem hatte beinahe die Hälfte der arbeitslosen Klienten keine abgeschlossene Berufsausbildung (46 Prozent vs. Erwerbstätige: 14 Prozent).
Abbildung 2: Höchster Schulabschluss erwerbstätiger und arbeitsloser Klienten in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen (DSHS 2015; Künzel, Specht & Braun, 2015)
Neben soziodemographischen Merkmalen ergeben sich auch in der spezifischen Suchtproblematik Unterschiede zwischen Klienten in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen mit unterschiedlichem Erwerbsstatus. Während eine alkoholbezogene HD häufiger bei Erwerbstätigen vorlag, wiesen arbeitslose Klienten häufiger eine HD aus dem Spektrum der illegalen Substanzen auf. Die HD Opioide fand sich bei arbeitslosen Klienten fast viermal so häufig (22 Prozent vs. Erwerbstätige: sechs Prozent) und die HD Stimulanzien mehr als doppelt so häufig (elf Prozent vs. Erwerbstätige: fünf Prozent) wie bei Erwerbstätigen. Substanzbezogene Zusatzdiagnosen waren bei arbeitslosen Klienten häufiger als bei erwerbstätigen, insbesondere alkoholbezogene Störungen kamen deutlich häufiger vor.
Bezüglich der Betreuung von Klienten mit unterschiedlichem Erwerbsstatus in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen ergab sich, dass bei Substituierten fast viermal so häufig eine psychosoziale Begleitbetreuung vorlag, wenn sie arbeitslos waren, als wenn sie erwerbstätig waren (elf Prozent vs. drei Prozent). Zudem war der Anteil an Klienten, die ihre Betreuung unplanmäßig beendeten, unter den Arbeitslosen deutlich höher (43 Prozent) als unter den Erwerbstätigen (32 Prozent). Arbeitslose Klienten wurden nach Betreuungsende häufiger in eine stationäre Rehabilitationseinrichtung weitervermittelt als erwerbstätige (42 Prozent vs. 30 Prozent), während bei Erwerbstätigen die Vermittlung in eine Selbsthilfegruppe am häufigsten war (34 Prozent vs. 16 Prozent). Ein positives Betreuungsergebnis am Ende der Betreuung lag, unabhängig von der Art der Beendigung, bei erwerbstätigen Klienten häufiger vor als bei arbeitslosen Klienten (bei planmäßiger Beendigung: 86 Prozent vs. 72 Prozent; bei unplanmäßiger Beendigung: 43 Prozent vs. 28 Prozent). Arbeitslosen Klienten wurde häufiger eine Verschlechterung des Zustandes nach der Behandlung als Ergebnis attestiert als erwerbstätigen Klienten (bei planmäßiger Beendigung: zwei Prozent vs. ein Prozent; bei unplanmäßiger Beendigung: acht Prozent vs. vier Prozent).
Diskussion
Bei erwerbslosen Klienten liegen spezifische gesundheitsrelevante Risiken vor, die in der Literatur berichtet werden (Hollederer, 2008; Paul & Moser, 2009; Henkel et al., 2005; Zemlin et al., 2006). Dies spiegelt sich bei einem hohen Anteil arbeitsloser Klienten und Patienten in deutschen Suchthilfeeinrichtungen wider. Im Jahr 2015 war mehr als jeder dritte Klient in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen und fast jeder zweite Patient im stationären Setting arbeitslos. Im Verlauf von 2007 bis 2015 zeigte sich im ambulanten Setting ein leichter Rückgang und im stationären Setting ein leichter Anstieg des Anteils der arbeitslosen Klientel.
Der größte Unterschied im Anteil arbeitsloser Klienten zwischen ambulanten und stationären Behandlungssetting fand sich im Jahr 2015 bei der HD Cannabis (31 Prozent vs. 60 Prozent). Dieser Unterschied erklärt sich möglicherweise dadurch, dass im Vergleich zu ambulanten Klienten stationäre Cannabispatienten eine deutlich schwerere Störungsausprägung aufweisen, die im Zusammenhang steht mit auffallend hohem Konsum weiterer Substanzen und dem damit verbundenen erhöhten Risiko für die Entwicklung komorbider psychischer Störungen (Brand et al., 2016). Zusätzlich sind stationäre Cannabispatienten durch eine äußerst ungünstige (psycho-)soziale Situation belastet und scheinen im Vergleich zu ambulanten Cannabispatienten gerade in den Bereichen „Schule, Ausbildung, Beruf“ deutlich benachteiligt zu sein (Brand et al., 2016).
Der höchste Anteil arbeitsloser Klienten fand sich sowohl im ambulanten als auch im stationären Behandlungssetting bei der HD Opioide. Bei etwa zwei Drittel der Klienten, die sich aufgrund einer opioidbezogenen Störung in Behandlung begaben, lag Arbeitslosigkeit vor. Allerdings waren nicht nur Klienten mit der HD Opioide deutlich häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen, sondern auch Klienten mit der HD Stimulanzien. So zeigten die Trendbeobachtungen seit 2007 auch einen deutlichen Anstieg des Anteils Erwerbsloser mit HD Stimulanzien, so dass im Jahr 2015 im stationären Bereich 63 Prozent der Klienten mit HD Stimulanzien erwerbslos waren. Dies könnte bedingt sein durch die schnelle Entwicklung psychischer Auffälligkeiten als Konsequenz des Stimulanzienkonsums, was auch den Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge haben könnte (Milin, Schäfer & Mühlig, 2016). Dadurch wiederum könnte sich die Motivation für eine (insbesondere stationäre) Behandlung erhöhen (Kipke et al., 2015).
Die Ergebnisse der Gegenüberstellung erwerbstätiger und arbeitsloser Klienten in ambulanten Einrichtungen bestätigen vorliegende Erkenntnisse zu soziodemographischen und gesundheitsrelevanten Zusammenhängen von Arbeitslosigkeit und Suchterkrankung (Henkel et al., 2005; Zemlin et al., 2006). Auch ein Vergleich des sozioökonomischen Status arbeitsloser Suchtkranker im Jahr 2009 (Kipke et al., 2015) mit der aktuellen Situation im Jahr 2015 bestätigt diese Befunde. Nach wie vor liegt bei arbeitslosen Suchtkranken eine deutlich schlechtere Qualifizierung hinsichtlich Schul- und Ausbildungsabschluss vor. Die aktuelle Situation arbeitsloser Suchtkranker zeigt auch, dass deutlich mehr arbeitslose als erwerbstätige Klienten ohne feste Partnerschaft leben. Entsprechend können fast zwei Drittel der arbeitslosen Klienten nicht auf diese wichtige Ressource zurückgreifen. Außerdem weisen Klienten, bei denen während der Suchtbehandlung Arbeitslosigkeit vorlag, häufiger eine HD aus dem Spektrum der illegalen Substanzen sowie deutlich häufiger substanzbezogene Zusatzdiagnosen auf als erwerbstätige Klienten. Diese Beobachtungen untermauern weiterhin bestehende Hinweise auf ein erhöhtes Risiko Arbeitsloser für riskanten Substanzkonsum und ein ungünstigeres Gesundheits- und Suchtverhalten (Hollederer, 2008; Henkel, 2011).
Die spezifischen Suchtproblematiken, die bei arbeitslosen Klienten beobachtet wurden, schlagen sich offenbar auch in den Daten zum Betreuungsabschluss nieder. Klienten, die arbeitslos waren, brachen die ambulante Suchtbehandlung häufiger vorzeitig ab und bekamen, unabhängig von der Art der Beendigung, häufiger eine Verschlechterung ihres Zustandes nach Behandlungsende attestiert als erwerbstätige Klienten.
Schlussfolgernd ist festzuhalten, dass sich die dargestellten epidemiologischen Trends in Bezug auf arbeitslose Klienten/Patienten in der Deutschen Suchthilfe (Kipke et al., 2015) weiter fortsetzen und die Unterschiede der sozioökonomischen Charakteristika zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen in der Suchthilfe über die letzten Jahre eine hohe Stabilität aufwiesen.
Danksagung
Das Projekt „Deutsche Suchthilfestatistik“ wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Gesundheit gefördert. Unser Dank gilt den teilnehmenden Klienten/Patienten und Einrichtungen sowie den Mitgliedern des Fachbeirats Suchthilfestatistik (R. Gaßmann, A. Koch, P. Missel, G. Sauermann, R. Walter–Hamann, T. Wessel).
Deklaration möglicher Interessenkonflikte
Es bestehen keinerlei Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Erstellung dieser Publikation.
Rebecca Thaller (M.Sc. Psych.), Sara Specht (MPH) und Jutta Künzel (Dipl.-Psych.) sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am IFT Institut für Therapieforschung, München, im Bereich Therapie- und Versorgungsforschung. Dr. Barbara Braun (Dipl.-Psych.) leitet am IFT den Bereich Therapie- und Versorgungsforschung sowie den Bereich Forschung Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern.
Literatur:
Brand, H., Künzel, J., Pfeiffer-Gerschel, T. & Braun, B. (2016). Cannabisbezogene Störungen in der Suchthilfe: Inanspruchnahme, Klientel und Behandlungserfolg. SUCHT, 62(1), 9 -21.
Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2016a). Deutsche Suchthilfestatistik 2015. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2016b). Deutsche Suchthilfestatistik 2015. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitations-einrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2015a). Deutsche Suchthilfestatistik 2014. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2015b). Deutsche Suchthilfestatistik 2014. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitations-einrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
Braun, B., Brand, H., Künzel, J. & Pfeiffer- Gerschel, T. (2014a). Deutsche Suchthilfestatistik 2013. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2014b). Deutsche Suchthilfestatistik 2013. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
Bundesagentur für Arbeit (2017). Arbeitsmarkt in Zahlen. Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf, Februar 2017. Nürnberg: Bundesagentur für Arbeit.
Dauber, H., Specht, S., Künzel, J. & Braun, B (2015). Suchthilfe in Deutschland 2015. Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS). Online Bericht. Verfügbar unter http://www.suchthilfestatistik.de
DGB Bereich Arbeitsmarktpolitik (2010). Gesundheitsrisiko Arbeitslosigkeit – Wissensstand, Praxis und Anforderungen an eine arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung. Arbeitsmarkt aktuell, 9. Berlin: DGB.
Henkel, D. & Schröder, H. (2015). Suchtdiagnoseraten bei Hartz-IV-Beziehenden in der medizinischen Versorgung im Vergleich zu ALG-I-Arbeitslosen und Erwerbstätigen: eine Auswertung der Leistungsdaten aller AOK-Versicherten der Jahre 2007–2012. Suchttherapie, 16(03), 129-135.
Henkel, D. (2011). Unemployment and substance use: a review of literature (1990 – 2010). Current Drug Abuse Reviews 4, 24 – 28.
Henkel, D., Dornbusch, P. & Zemlin, U. (2005). Prädiktoren der Alkoholrückfälligkeit bei Arbeitslosen 6 Monate nach Behandlung: Empirische Ergebnisse und Schlussfolgerungen für die Suchtrehabilitation. Suchttherapie, 6(04), 165-175.
Hollederer, A. (2008). Psychische Gesundheit im Fall von Arbeitslosigkeit. Praktische Arbeitsmedizin, 12(10), 29-32.
Kipke, I., Brand, H., Geiger, B., Pfeiffer-Gerschel, T. & Braun, B. (2015). Arbeitslosigkeit und Sucht–Epidemiologische und soziodemographische Daten aus der Deutschen Suchthilfestatistik 2007–2011. SUCHT, 61(2), 81-94.
Künzel J., Specht, S. & Braun B. (2016). Klientinnen und Klienten in ambulanten Einrichtungen der Suchthilfe mit unterschiedlichem Erwerbsstatus vor und nach der Betreuung. Kurzbericht Nr.2/2016 – Deutsche Suchthilfestatistik 2015. München: IFT Institut für Therapieforschung.
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Sonntag, D., Bauer, C. & Eichmann, A. (2008b). Deutsche Suchthilfestatistik 2007. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
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Im Text wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit überwiegend die männliche Form verwendet, Frauen sind damit eingeschlossen.
Karl Lesehr
Psychosoziale Stabilisierung durch Arbeit
Dass ein drohender Arbeitsplatzverlust für viele Menschen mit Suchtproblemen eine erstmals ernsthaft aufrüttelnde Bedeutung haben kann, kennt wohl jede Fachkraft in der Suchthilfe. Gleichzeitig gilt für die Arbeit mit Suchtkranken aber auch die Erfahrung, dass geregelte Arbeit und Beschäftigung ganz wesentlich zur Stabilisierung von Lebenslagen beitragen können, die durch eine Suchtproblematik in unterschiedlichster Art und Weise beeinträchtigt sind. 1968 wurde Sucht vor Gericht als behandlungsbedürftige Krankheit anerkannt, was von einigen Akteuren schnell als vermeintlich vorrangige Leistungszuständigkeit der Krankenversicherung verstanden wurde. In der schließlich 1978 – wieder auf gerichtlichen Druck hin – zustande gekommenen Suchtvereinbarung wurde dann eine gemeinsame Leistungszuständigkeit von Kranken- und Rentenversicherung für die damals bekannten Behandlungsangebote bei Abhängigkeitsstörungen geregelt. Diese Entwicklung war keineswegs zufällig: In der aus den ersten Heilstätten entstandenen stationären Suchtrehabilitation war die berufliche Reintegration – anders als in der Rehabilitation bei sonstigen psychiatrischen Erkrankungen – bereits ein zentrales Ziel des Behandlungssystems. Diese durch die Suchtvereinbarung bestätigte medizinische Suchtrehabilitation hat sich in den letzten Jahrzehnten weiter fachlich ausdifferenziert, um bei suchtassoziierten Teilhabebeeinträchtigungen für ganz unterschiedliche Patientengruppen jeweils qualifizierte und passgenaue Entwicklungsanstöße geben zu können.
Gerade weil dieses teilhabeorientierte Behandlungsangebot sich insgesamt unstrittig bewährt hat und weltweit als Erfolgsmodell gilt, ist es aber auch notwendig, seine ‚Schwachstellen‘ in den Blick zu nehmen. Dabei interessieren in diesem Beitrag weniger die zahlreichen behandlungs- und teilhaberelevanten ‚Schnittstellen‘, um deren Verbesserung sich die Suchtreha seit langem bemüht. Für das Projekt Su+Ber impulsgebend ist stattdessen die These, dass mit strukturell neuartigen Förder- und Behandlungsformen für langzeitarbeitslose Menschen mit Abhängigkeitsstörungen wesentliche Verbesserungen ihrer beruflichen und sozialen Teilhabe erreicht werden könnten (teilhaberelevante Versorgungsschwachstellen).
Schon in den 90er Jahren hat Günther Wienberg (1992) mit dem einprägsamen Begriff der „vergessenen Mehrheit“ darauf aufmerksam gemacht, dass ein großer Teil der diagnostizierten Abhängigkeitskranken faktisch keinen Zugang zu spezialisierten suchtrehabilitativen Hilfen hat bzw. sie nicht in Anspruch nimmt. In dieser Versorgungsanalyse hat Wienberg verdeutlicht, dass dafür methodische und strukturelle Aspekte des Versorgungssystems mitverantwortlich sind und eben nicht nur eine unzureichende oder fehlende Krankheitseinsicht dieser Menschen, wie es das alte Jellinek-Modell mit seiner „Tiefpunkt-Theorie“ vermeintlich nahelegte.
Teilhaberelevante Schwachstellen des Suchtbehandlungssystems
In der überwiegend wohnort- und alltagsfernen stationären Suchtreha hat sich die Reintegrationsperspektive bei langzeitarbeitslosen Patienten fast zwangsläufig auf die Perspektive einer ‚Teilhabebefähigung‘ verkürzt. Im Wesentlichen gelingt nur in der Drogenrehabilitation, bei der häufig auch ein Wohnortwechsel der Patienten eingeplant wird und längere Behandlungszeiten nutzbar sind, die unmittelbare Verknüpfung von Suchtbehandlung und Arbeitsintegration in nennenswertem Umfang. Die ARA-Studie (Dieter Henkel et al. 2005) hat schon vor Jahren verdeutlicht, wie gering auch nach einer formal erfolgreichen Alkoholrehabilitationsmaßnahme für langzeitarbeitslose Rehabilitanden die Chancen auf eine nachhaltig erfolgreiche berufliche Reintegration und damit auch auf einen Erhalt der erreichten Suchtmittelabstinenz sind. Auch die neu entwickelten Instrumente einer arbeitsorientierten Rehanachsorge bleiben noch zu oft im Beratungssetting und damit auf einer reflektierenden Metaebene stehen und haben dann viel Distanz zum komplexen realen Lebensalltag des Rehabilitanden.
Die Regelung des § 16a SGB II wird auch über zehn Jahre nach ihrer Einführung ganz überwiegend nur dafür genutzt, dass Jobcenter Kunden mit vermuteten oder diagnostizierten Abhängigkeitsstörungen an die Suchtberatung verweisen und so möglichst auch in weiterführende Suchtbehandlungen vermitteln. Eine unmittelbare Einbeziehung der Fach- und Steuerungskompetenz der Suchtberatungsstellen in die wohnortnahen Bemühungen um eine konkrete berufliche Reintegration langzeitarbeitsloser Abhängigkeitskranker ist dagegen nur an wenigen Standorten Realität geworden. Dementsprechend sind in den Suchtberatungsstellen das Interesse, aber auch die Handlungskompetenzen für eine direkte suchtkompetente Unterstützung der Klienten bei ihrer nachhaltigen beruflichen Integration in diesem Jahrzehnt kaum gewachsen.
Mit der Drogensubstitutionsbehandlung, die sich längst von einer Überbrückungshilfe zu einem grundständigen Behandlungsangebot für Drogenabhängige entwickelt hat, wurde das bislang für die Suchtrehabilitation grundlegende Paradigma einer (zumindest aktuell angestrebten) Suchtmittelabstinenz als Voraussetzung für eine erfolgreiche berufliche Reintegration auch aus einer medizinischen Perspektive in Frage gestellt. Gleichzeitig entfallen aber für diese durch die Krankenversicherung finanzierte und als ambulante Behandlung im Lebensalltag konzipierte Behandlungsoption aufgrund der für die Suchtrehabilitation bislang geltenden abstinenzorientierten Behandlungskonzepte weitgehend alle in der Suchtvereinbarung seinerzeit für unverzichtbar gehaltenen suchtrehabilitativen Leistungsmöglichkeiten. Langzeitarbeitslose Substituierte (wie im Übrigen auch andere nicht abstinenzwillige oder -fähige Abhängigkeitskranke) sind deswegen für eine berufliche Reintegration fast ausschließlich auf das Leistungsportfolio des SGB II angewiesen. In diesem wurden in den letzten Jahren aber viele Beschäftigungsangebote radikal abgebaut, die angesichts der oft vielfältigen Teilhabebeeinträchtigungen eine wenigstens schrittweise Arbeitsintegration ermöglichen sollen. Außerdem finden im SGB II generell die spezifischen Dynamiken abhängigkeitskranker ‚Kunden‘ nur höchst unzureichend und wenig systematisch Berücksichtigung. So können z. B. aufgrund der leistungsrechtlichen Vorgaben des SGB II die für die suchtkranken Menschen dringend notwendigen Unterstützungsleistungen nach einer Wiedereingliederung an einem Arbeitsplatz im Rahmen einer Arbeitsförderung kaum ermöglicht werden. Aber auch die für alle Fördermaßnahmen im SGB II maßgebliche leistungsrechtliche Definition der „Langzeitarbeitslosigkeit“ mit ihrem Konstrukt der „schädlichen Unterbrechungen“ wirkt gerade bei Menschen mit Abhängigkeitsstörungen allzu oft als Leistungsbarriere: Bei guter Arbeitsmarktkonjunktur findet nämlich mancher von ihnen relativ leicht einen Arbeitsplatz, scheitert dann aber nach kurzer Zeit aufgrund seines Suchtverhaltens. Diese Krisenerfahrung kann dann aber wegen dieser Regelung oft nicht zeitnah und motivationsfördernd für die Einleitung geeigneter Fördermaßnahmen genutzt werden.
Die o. g. Schwachstellen in der aktuellen Versorgungsstruktur haben Auswirkungen für die betroffenen Menschen und für die fachlichen Akteure in den Versorgungsstrukturen:
Es gibt bis heute trotz der AOK-Studie (Henkel & Schröder, 2015, 2016) nahezu keine versorgungspolitisch sinnvoll nutzbaren Zahlen über den Anteil der Langzeitarbeitslosen mit Abhängigkeitsstörungen.
Aber auch in keiner der an der Suchtbehandlung oder der Arbeitsförderung beteiligten Institutionen wird das maßnahmen- oder förderungsrelevante Ausmaß suchtassoziierter Probleme festgestellt, ebenso wenig wie die aktuelle teilhaberelevante Mitwirkungsfähigkeit und -bereitschaft. Gerade bei den oft länger dauernden psychosozialen Betreuungen Substituierter gibt auch der im KDS dokumentierte soziodemografische Eingangsstatus dafür zu wenig aktuelle Informationen.
Die vielerorts genutzte Strategie zur Qualifizierung von Jobcenter-Mitarbeitenden für eine sachgerechtere Problemidentifizierung und Problemansprache bei Kunden mit möglichen Suchtproblemen kann zwar die Zuweisung von Kunden nach § 16a SGB II an die Suchtberatung erhöhen und verbessern, löst dort aber keineswegs die für die Zielgruppe (angesichts nur begrenzter Rehaperspektive, v. a. aufgrund der Abstinenzgebundenheit) bestehenden Motivierungs- und Reintegrationsprobleme.
Das Konzept ‚erfolgreiche Suchtbehandlung und Abstinenz als notwendige Voraussetzung für eine berufliche Reintegration‘ ist in seiner Ausschließlichkeit hochselektiv. Es nutzt auch zu wenig die differenzierten Erkenntnisse der Motivationsforschung und vor allem nicht die realen Entwicklungsperspektiven betroffener Menschen: Einerseits sind in der Lebensrealität zahlreiche Menschen mit Abhängigkeitsstörungen auch längerfristig relativ unauffällig in Arbeit, andererseits haben aber viele Langzeitarbeitslose aufgrund ihrer Biografie und aktuellen Lebenslage selber kaum mehr ernsthaft Interesse an einer beruflichen Reintegration.
Die Ausgrenzung von Betroffenengruppen aus dem suchtrehabilitativen Angebot verstärkt aber auch eine generalisierte Misserfolgserwartung für diese Menschen im Gesamtversorgungssystem. Die Ausgrenzung reduziert das gesellschaftliche Interesse an konstruktiven Fördermaßnahmen und führt mit dazu, dass Langzeitarbeitslose mit Abhängigkeitsstörungen zu den Jobcenterkunden mit den geringsten Chancen auf eine nachhaltige Vermittlung in Arbeit zählen, also auch die schlechteste gesundheitliche Erfolgserwartung haben.
Diese ‚Misserfolgserwartung‘ trägt implizit weiter dazu bei, dass sich tradierte Strukturen einer individualisierten Rehavermittlung ohne umfassende Rehagesamtplanung in vielen Suchtberatungsstellen bis heute erhalten können und dass regionale, einrichtungsübergreifende und fallbezogene Kooperationen zwischen Suchtberatungsstellen und Jobcentern zur Verbesserung der Chancen einer beruflichen Reintegration eher Seltenheitswert haben.
Der sozialleistungsrechtlich in der Regel nicht abgesicherte Status der Suchtberatungsstellen erschwert vor allem im Bereich der Drogensubstitution eine teilhabeorientierte Behandlungskooperation (im Sinne der alten Suchtvereinbarung) auf Augenhöhe. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass viele Kommunen, die die Suchtberatung (mit)finanzieren, trotz mancher gut gemeinter Steuerungsbemühungen selten nachhaltig teilhabeorientierte Steuerungsimpulse mit ihrer Finanzierung verbinden und dafür dann auch ihre eigene Mitwirkungsbereitschaft einbringen.
Strukturelle Herausforderungen an das Suchthilfesystem
Die Landesstelle für Suchtfragen Baden-Württemberg hat sich in den letzten Jahren wiederholt mit den o. g. Problemzusammenhängen befasst und dafür auch intensiv das Gespräch mit dem Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung (DRV) und der Landespolitik gesucht. Als Institution der Suchthilfe hat sich die Landesstelle im Gegensatz zu Wienberg zunächst auf das eigene Handlungsfeld und damit auch auf die dort mögliche Kooperation mit den Jobcentern beschränkt.
Fachlicher Hintergrund für die Gespräche waren zum einen die schon seit über einem Jahrzehnt gesammelten Erfahrungen aus dem Projekt Q-Train der AG Drogen Pforzheim, in dem sich überwiegend substituierte Drogenabhängige in einer Arbeitsfördermaßnahme im konkreten Arbeitsalltag mit den Beeinträchtigungen durch ihren Suchtmittelkonsum und ihr suchtassoziiertes Sozialverhalten auseinandersetzen können und müssen. Nach Möglichkeit werden sie dann an einen festen Arbeitsplatz vermittelt, wo sie nach Bedarf noch weiter betreut werden. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation zu diesem Projekt machen deutlich, dass sich durch den unmittelbaren suchttherapeutischen Fokus auf Arbeitsprozess und Arbeitsleistung bei den auf einen geeigneten Arbeitsplatz vermittelten Teilnehmern vergleichbare Stabilisierungs- und sogar Abstinenzeffekte erreichen lassen wie über eine traditionelle Drogenrehabilitationsmaßnahme.
Einen weiteren wichtigen Hintergrundaspekt bildeten zum anderen die Ergebnisse der bereits erwähnten ARA-Studie und die darauf aufbauenden intensiven Bemühungen der AHG-Fachklinik Wilhelmsheim, durch den Aufbau und die Verbesserung einer möglichst nahtlosen Kooperation mit den zuweisenden Suchtberatungsstellen und den Jobcentern die Reintegrationschancen für ihre langzeitarbeitslosen Rehabilitanden spürbar zu erhöhen.
Und schließlich haben die gegenüber der ambulanten Suchthilfe teilweise durchaus vorwurfsvollen Äußerungen der DRV zum Rückgang der Suchtreha-Antragszahlen und die darauf aufbauenden Strukturdiskussionen mit der DRV Baden-Württemberg mit dazu beigetragen, dass eine Arbeitsgruppe der Landesstelle für Suchtfragen Baden-Württemberg im November 2013 eine Rahmenkonzeption zur beruflichen Reintegration langzeitarbeitsloser Abhängigkeitskranker in den ersten Arbeitsmarkt vorgelegt hat. Nach geduldiger und auch hartnäckiger Weiterverfolgung dieser konzeptionellen Ansätze veröffentlichte das Land schließlich im August 2015 den Förderaufruf zur Einreichung von Projektanträgen zur „Förderung der nachhaltigen Wiedereingliederung langzeitarbeitsloser Abhängigkeitskranker in den Arbeitsmarkt nach der Rahmenkonzeption der Landesstelle für Suchtfragen Baden-Württemberg (NaWiSu)“. Die Projektförderung erfolgt etwa zur Hälfte aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und richtet sich im Gegensatz zu den meisten anderen ESF-Projekten zur Arbeitsmarktintegration überwiegend an die zu einer Leistungsvernetzung eingeladenen Suchtberatungsstellen. Dieser Förderaufruf bildet den Rahmen für das Projekt Su+Ber (Sucht und Beruf – Beruflicher Neustart trotz Sucht), das im Folgenden vorgestellt wird.
Ziele des ESF-Förderaufrufs NaWiSu
Ausgangspunkte für den Förderaufruf waren, wie auch schon für die Rahmenkonzeption der Landesstelle für Suchtfragen, folgende Einschätzungen:
In der Gruppe der ‚dauerhaft‘ Langzeitarbeitslosen gibt es – übrigens neben gut einem Drittel abstinent lebender Menschen (!) – eine offenbar wachsende Teilgruppe von Menschen, bei denen eine Abhängigkeitsstörung oder ein suchtassoziierter Lebensstil als wesentliches Integrationshindernis festgestellt oder vermutet werden kann. Diese Teilgruppe der Langzeitarbeitslosen ist nicht nur arbeitsmarktpolitisch, sondern vor allem sozialpolitisch ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem.
Es scheint unstrittig, dass Jobcenter und Arbeitshilfeträger mit ihren aktuellen Leistungsmöglichkeiten weniger in ihrer Qualifikation als vielmehr strukturell bzw. leistungsrechtlich überfordert sind, wenn es um eine nachhaltige berufliche Reintegration von Langzeitarbeitslosen mit Abhängigkeitsstörungen geht. Unabhängig von allen angestrebten Verbesserungen der Arbeitsmarktinstrumente im SGB II können Bemühungen der Jobcenter deshalb nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, störungsspezifische Fachkompetenzen und Interventionsmöglichkeiten besser und unmittelbar in zielgruppenspezifische Reintegrationsmaßnahmen einzubinden.
Die Bemühungen, mit Hilfe des § 16a SGB II die Suchtberatungsstellen stärker in Aktivitäten für eine berufliche Reintegration einzubinden, waren bislang bestenfalls insoweit erfolgreich, als es dabei um die verstärkte Vermittlung in klassische Suchtrehamaßnahmen ging. Darüber hinaus ist die Suchtberatung aber angesichts ihrer Finanzierungsstruktur (freiwillige Leistung der öffentlichen Daseinsvorsorge) und der dadurch sehr begrenzten Ressourcen und Leistungsmöglichkeiten bislang kaum in der Lage, aus eigenen Kräften einen ausreichenden, störungsbezogenen Beitrag für eine nachhaltige berufliche Reintegration suchtkranker Menschen zu leisten.
Damit strukturelle Verbesserungen der beruflichen Reintegration langzeitarbeitsloser Menschen mit Abhängigkeitsstörungen gelingen können, werden daher im Förderaufruf NaWiSu folgende fünf Veränderungen angestrebt:
Um wirksame fallbezogene Kooperationen zu ermöglichen, müssen in Ergänzung zu den tradierten stationären und damit in aller Regel wohnort- und v. a. alltagsfernen Behandlungsmodellen wohnortnahe ambulante Behandlungsansätze und Fördermaßnahmen verstärkt werden.
Für die Teilnehmer müssen integrierte und zeitlich überschaubare Fördermaßnahmen mit einer klaren Zielperspektive entwickelt werden. Dabei sollte die berufliche Reintegration maßnahmenleitend sein, und auch die suchtbezogene Behandlung sollte vorrangig auf dieses Ziel orientiert sein: Die Behandlung muss für die Teilnehmer einen erkennbaren Gewinn für ihre aktuellen persönlichen Entwicklungsperspektiven haben.
Die Suchtberatungsstellen werden für solche integrierten Behandlungs- und Reintegrationsmaßnahmen nur dann einen nennenswerten und stabilen Beitrag leisten können, wenn solche Leistungen wenigstens teilweise als suchtrehabilitative Leistungen eigenständig finanziert werden und die Suchtberatung dem Jobcenter damit auch als gleichwertiger Leistungspartner gegenübertreten kann.
Angesichts der seit langem eher stagnierenden Entwicklung der ambulanten Suchtrehabilitation hat die stärkere Einbindung einer wohnortnahen beruflichen Reintegration aber nur dann eine Erfolgsperspektive, wenn die bisher für die Suchtreha verbindlichen Behandlungsgrundsätze zugunsten einer unmittelbaren Orientierung auf eine nachhaltige Arbeitsintegration gelockert und dafür auch neuartige Arbeits- und Interventionsformen ermöglicht werden.
Gleichzeitig muss die ambulante Suchtreha die in den letzten Jahren aufgebauten spezifischen Erfahrungen und Kompetenzen der stationären Suchtreha stärker auch für ihren Arbeitsbereich nutzen. Für die Einrichtungen und Fachkräfte der ambulanten Suchthilfe gilt es zudem, neben den natürlich weiterhin sinnvollen und notwendigen Angeboten der traditionellen stationären oder ambulanten Suchtreha im Bewusstsein der Mitarbeitenden und in den Arbeitsstrukturen ein neues Handlungskonzept aufzubauen und zu implementieren und dann auch klientenorientierte Brücken zwischen den unterschiedlichen Optionen einer nachhaltigen Teilhabeförderung zu nutzen. Diese strukturelle Entwicklung v. a. der Suchtberatungsstellen soll im Aufruf NaWiSu modellhaft gefördert werden.
Im Rahmen des Förderaufrufs wird seit Jahresbeginn 2016 das Projekt Su+Ber (Sucht und Beruf – Beruflicher Neustart trotz Sucht) durchgeführt. Welche Entwicklungsziele und konkrete Maßnahmen es beinhaltet, wird im zweiten Teil des Artikels vorgestellt. Dieser erscheint in Kürze im Rahmen von Teil 2 des Titelthemas „Wege in Arbeit“.
Karl Lesehr war lange als Mitarbeiter und Leiter einer Suchtberatungsstelle tätig. Danach arbeitete er als Referent für Suchthilfe beim Diakonischen Werk Württemberg und beim PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg. Als Ruheständler nimmt er Beratungsaufträge wahr. Neben der Mitwirkung im Projekt Su+Ber hat er noch die fachliche Leitung des Projekts VVSub (zur verbesserten Behandlungskooperation zwischen Arzt und Suchtberatung in der Substitutionsbehandlung).