Autor: Simone Schwarzer

  • Spitzenfrauen!

    Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2016, 294 Seiten, € 49,95, ISBN 978-3-95466-289-0

    Immer mehr junge Frauen entscheiden sich für ein Medizinstudium. Mittlerweile sind mehr als die Hälfte (70 Prozent) aller Studierenden der Medizin weiblich. Doch was kommt nach sechs Jahren Studium? Wie sieht die berufliche Entwicklung aus, welche Fachrichtungen werden präferiert, arbeiten sie lieber in der Klinik oder in Praxen? Und wer geht in Führung?

    Ein Blick auf die Verteilung innerhalb der Führungspositionen im Krankenhaus offenbart, dass Chefärztinnen nach wie vor unterrepräsentiert sind. Die Flexibilisierung der Arbeit sowie der Umbau tradierter Strukturen und Abläufe verändert nach und nach die Organisation Krankenhaus. Und der wachsende Anteil an weiblichen Führungskräften in der Medizin beeinflusst zunehmend die Vorstellungen von Führung und die Verhaltensmuster in Gesundheitsunternehmen. Ärztinnen in Führungspositionen sind längst dabei, die Arbeitswelt zu verändern. Auf der anderen Seite müssen sich Medizinerinnen früher und konsequenter darüber klar werden, welchen Karrierepfad sie einschlagen möchten. Dazu wirft „Spitzenfrauen!“ einen Blick auf Lebensläufe von Medizinerinnen, die ihren Weg gegangen sind. Sie schildern offen ihre Erfahrungen: Was oder wer hat sie gefördert? Welche Widerstände mussten sie überwinden? Worauf haben sie verzichtet, wie glücklich und zufrieden sind sie mit ihren Entscheidungen und wie gelingt es, Familie und Karriere zu vereinbaren?

  • Der Wechsel an der Spitze

    contec GmbH, Bochum 2016, 126 Seiten, € 49,80, ISBN 978-3-00-052887-3

    Gesellschaftliche Wandlungsdynamiken führen seit einigen Jahren zu einem steigenden Bedarf an fachlich ausgebildetem Personal für die interdisziplinären Hilfsangebote aller Teilbranchen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Aufgrund der Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung, des Anstiegs an Pflegebedürftigen und der Zunahme an chronisch kranken, multimorbiden Menschen gehen Schätzungen von einem extremen Arbeitsplatzwachstum innerhalb der Branche aus, der einen erhöhten Bedarf an Fach- und Führungskräften nach sich zieht.

    Dieses Arbeitsbuch soll Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft als Handlungsleitfaden für die strategische Nachfolgesicherung dienen. Es werden verschiedenste kurz- bis langfristige Problemstellungen behandelt und jeweils konkrete Lösungen entwickelt. Die theoretische und praktische Basis dafür bieten Erhebungen und Interviews mit Fachleuten aus verschiedenen Organisationen der Branche sowie Know-how und Erfahrungen aus Beratungsprojekten der contec GmbH.

  • Wiesn-Studie

    An Besuchern des Münchner Oktoberfests konnten Forscher des Klinikums der Universität München und des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislaufforschung e.V. (DZHK) zeigen, dass mit höherem Alkoholspiegel das Risiko für Herzrhythmusstörungen ansteigt. Die Studie, die ganz aktuell in der Zeitschrift „European Heart Journal“ veröffentlicht wurde, untersucht erstmals einen Zusammenhang zwischen akutem Alkoholkonsum und Herzrhythmusstörungen prospektiv, d.h. während bzw. unmittelbar nach dem Alkoholkonsum, an einer großen Anzahl von Probanden.

    Die Ergebnisse sind deshalb von besonderer Bedeutung, da Mediziner seit langem vermuten, dass durch Alkohol ausgelöste Herzrhythmusstörungen unter Umständen zu Vorhofflimmern führen können. Besteht Vorhofflimmern über einen längeren Zeitraum, können Schlaganfälle oder eine Herzschwäche die Folge sein. Dieser vermutete Zusammenhang zwischen dem Genuss großer Alkoholmengen über einen kurzen Zeitraum und dem Auftreten von Herzrhythmusstörungen bei sonst eigentlich Herzgesunden wird als „Holiday Heart Syndrome“ bezeichnet, wurde jedoch bislang nur in kleinen Studien und nicht prospektiv nachgewiesen.

    Unter der Führung der Wissenschaftler PD Dr. med. Stefan Brunner und PD Dr. med. Moritz Sinner, beide aus der Medizinischen Klinik und Poliklinik I des Klinikums der Universität München, konnten im Jahr 2015 an allen 16 Festtagen auf dem Münchener Oktoberfest 3.028 freiwillige Teilnehmer untersucht werden. Dabei hatten die Teilnehmer unterschiedliche Mengen an Alkohol konsumiert. Die Alkoholspiegel reichten dementsprechend von 0 bis 3,0 Promille (0-3,0 g/kg), der laut Studienprotokoll für die Teilnahme maximal erlaubten Alkoholmenge. Das Alter der Teilnehmer lag im Mittel bei 35 Jahren, 30 Prozent der Teilnehmer waren Frauen. Die Forscher registrierten Elektrokardiogramme (EKGs) mit einem tragbaren, Smartphone-basierten System, um den Herzrhythmus zu analysieren. Der Alkoholspiegel wurde mit einem Atemalkoholmessgerät erfasst. Bei der Durchführung des Projektes wurden die Autoren durch die Stiftung für Biomedizinische Alkoholforschung, das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislaufforschung e.V. (DZHK) und die Europäische Kommission unterstützt.

    Die Häufigkeit der Herzrhythmusstörungen in der Allgemeinbevölkerung liegt bei ca. ein bis vier Prozent. In ihrer Studie fanden die Forscher Herzrhythmusstörungen bei 30,5 Prozent der Teilnehmer. In 25,9 Prozent der Fälle lag dabei eine so genannte Sinustachykardie vor, bei der das Herz schneller als normal schlägt. Die Atemalkoholkonzentration war dabei signifikant mit einem erhöhten Risiko für Herzrhythmusstörungen in Verbindung zu bringen: pro zusätzlichem Gramm pro Kilogramm Alkohol erhöhte sich das Risiko für Herzrhythmusstörungen um 75 Prozent.

    Die Forscher untersuchten zusätzlich den Einfluss von gewohnheitsmäßigem, chronischen Alkoholkonsum bei 4.131 Teilnehmern der so genannten KORA S4 Studie (Kooperative Gesundheitsforschung im Raum Augsburg), einer Untersuchung in der Allgemeinbevölkerung. „Diese Teilnehmer entsprechen der typischen Allgemeinbevölkerung. Die Allermeisten waren bei der Untersuchung gesund und allenfalls wenige waren schwere Trinker. Für diese Studie quantifizierten wir die mittlere konsumierte Alkoholmenge in Gramm pro Tag“, erklärt Dr. Sinner.

    In der KORA Studie wiesen nur 2,7 Prozent der Teilnehmer Herzrhythmusstörungen auf, wobei 0,4 Prozent eine Sinustachykardie hatten. Es bestand dennoch auch hier eine geringe, jedoch signifikante Assoziation zwischen der täglichen Alkoholmenge und Sinustachykardie. Die Wahrscheinlichkeit hierfür erhöhte sich um drei Prozent pro zusätzlichem Gramm Alkohol pro Tag. „Wir bestätigten den Zusammenhang zwischen Sinustachykardie und chronischem Alkoholkonsum in der KORA Studie. Zwar war der Effekt deutlich schwächer verglichen mit dem Einfluss von akutem Alkoholkonsum, dennoch konnten wir unsere Hauptergebnisse auf dem Oktoberfest bestätigen“, ergänzt Dr. Sinner.

    „Der Ausgangspunkt unserer Untersuchungen waren die nicht ausreichend schlüssigen Berichte über das ‚Holiday Heart Syndrom‘, das durch akuten Alkoholkonsum ausgelöste Vorhofflimmern. In unserer Studie konnten wir zwar nicht unmittelbar nachweisen, dass es aufgrund von akutem Alkoholkonsum sofort zu Vorhofflimmern kommt. Jedoch fanden wir eine sehr starke und robuste Assoziation mit zwischen Alkohol und Herzrhythmusstörungen, die als Vorstufe von Vorhofflimmern angesehen werden können“, geben die Autoren an.

    Die Forscher hegen den Verdacht, dass die auf dem Oktoberfest erfassten Herzrhythmusstörungen oftmals nur zeitlich begrenzt waren und diese zu einem Ende kamen, wenn die Teilnehmer wieder nüchtern wurden. Sicher ist dies jedoch nicht, da die EKGs nur einmalig registriert wurden. Sollten Teilnehmer bereits eine zugrundeliegende Herzerkrankung aufweisen, könnte die durch den Alkohol ausgelöste Herzrhythmusstörung auch fortdauern. „Um diese Fragen endgültig beantworten zu können, werden wir weitere Forschungsergebnisse mit längerer Erfassung des EKGs nach Alkoholkonsum benötigen“, fassen die Autoren zusammen.

    Originalpublikation:
    Alcohol consumption, sinus tachycardia, and cardiac arrhythmias at the Munich Octoberfest: results from the Munich Beer Related Electrocardiogram Workup Study, by Stefan Brunner et al. European Heart Journal. doi: 10.1093/eurheartj/ehx156

    Pressestelle des Klinikums der Universität München, 26.04.2017

  • Wolfram-Keup-Förderpreis 2018

    Der Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V. (buss) vergibt zum fünften Mal den „Wolfram-Keup-Förderpreis“ für die beste wissenschaftliche oder praxisorientierte Arbeit auf dem Gebiet der Entstehung und Behandlung von Substanzmissbrauch, Substanzabhängigkeit oder Verhaltenssucht.

    Aus dem Nachlass des Projektes „Frühwarnsystem zur Erfassung von Veränderungen der Missbrauchsmuster chemischer Substanzen in der Bundesrepublik Deutschland“, das Professor Wolfram Keup initiiert und bis zu seinem Tod am 4. Januar 2007 geleitet hat, wird zur Erinnerung an den Stifter alle zwei Jahre der „Wolfram-Keup-Förderpreis“ öffentlich ausgeschrieben und vergeben.

    Alle Personen und Institutionen, die sich in der wissenschaftlichen Forschung oder der therapeutischen Behandlungspraxis mit dem Thema Sucht beschäftigen, sind aufgefordert, sich mit eigenen Untersuchungen oder Projekten um den Wolfram-Keup-Förderpreis 2018 zu bewerben. Die vorgelegten Arbeiten müssen sich mit der Entstehung oder der Behandlung von Substanzmissbrauch, Substanzabhängigkeit oder Verhaltenssucht beschäftigen. Dabei kann es sich um wissenschaftliche Studien handeln, aber auch um die Realisierung von Präventionsmaßnahmen oder die Erprobung von Behandlungskonzepten. Der Förderpreis ist mit einem Preisgeld von 2.000 € ausgestattet.

    Einsendeschluss ist der 31. Oktober 2017. Die Preisverleihung erfolgt im Rahmen der Wissenschaftlichen Jahrestagung des buss am 21. März 2018 in Berlin. Weitere Details finden Sie in den Ausschreibungsunterlagen unter www.suchthilfe.de.

    Kontakt:
    Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V.
    Prof. Dr. Andreas Koch
    Wilhelmshöher Allee 273
    34131 Kassel
    Tel. 0561/77 93 51
    Fax 0561/10 28 83
    buss@suchthilfe.de
    www.suchthilfe.de

    Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss), 26.04.2017

  • Katamnesen in der Ambulanten Rehabilitation Sucht

    Katamnesen in der Ambulanten Rehabilitation Sucht

    Renate Walter-Hamann
    Dr. Theo Wessel

    Der Deutsche Caritasverband (DCV) und der Gesamtverband für Suchthilfe – Fachverband der Diakonie Deutschland (GVS) haben im Jahr 2012 mit der Einführung von Katamnesen in der Ambulanten Rehabilitation Sucht (ARS) begonnen und mittlerweile Ergebnisse aus vier Erhebungsjahrgängen (2013 bis 2016 = Entlassjahrgänge 2011 bis 2014) vorliegen. Im „Jahrbuch Sucht 2015“ (hrsg. v. DHS) sind die Ergebnisse der beiden ersten Entlassjahrgänge 2011 und 2012 dargestellt (S. 199–213). Im Rahmen des verbandsübergreifenden Fachtages „Ergebnisse der Katamnesen Ambulante Rehabilitation Sucht – Wirkungsdialog und daraus abgeleitete Perspektiven“ am 15.11.2016 in Frankfurt am Main wurden die Ergebnisse aller vorliegenden Entlassjahrgänge bei alkoholbezogener Störung (F10, ICD-10) dargestellt. Vorgestellt wurden außerdem Katamnesedaten zur ambulanten Rehabilitation bei Pathologischem Glückspiel (F63, ICD-10) und bei Illegalen Drogen (F11, F12, F14, F15, F16 und F19, ICD-10). In weiteren Tagungsbeiträgen wurden die Ergebnisse einer Umfrage bei den beteiligten Einrichtungen zur Bewertung der Implementierung der Katamnesen ARS dargestellt sowie Sonderauswertungen zu Veränderungen im Erwerbsstatus im Rahmen von ARS. Vorträge zur Bewertung der Katamnesen ARS von einem Leistungsträger (DRV) und aus internationaler Perspektive ergänzten und vertieften die Ergebnisse. Eine Podiumsdiskussion unter Beteiligung von Vertretern der Leistungsträger VdEK und DRV Schwaben, der beiden Verbände DCV und GVS und des Referenten aus Amsterdam, der die internationale Perspektive vertrat, rundeten den Fachtag ab. Die Resonanz der Teilnehmenden zu diesem Fachtag war außerordentlich positiv.

    Einführung

    Schätzungen aus verschiedenen Quellen weisen auf eine Gesamtzahl von etwa 8.000 Fällen ARS (ohne ambulante Nachsorge) pro Jahr in Deutschland hin. Die Deutsche Rentenversicherung weist 369 anerkannte ambulante Fachstellen aus, die ARS anbieten. Etwa 220 Fachstellen sind in Caritas oder Diakonie organisiert. Von diesen Fachstellen konnten bis zu 95 im Rahmen des Katamnese-Projektes erreicht werden (45 Prozent). Die technische Unterstützung des Projektes erfolgt durch Redline-Data, Ahrensbök (Jens Medenwaldt). Die Ziele des Implementierungsprojektes konnten weitgehend erreicht werden.

    Ergebnisse der Katamnesen ARS aus den Entlassjahrgängen 2011 bis 2014

    In den Jahren 2011 bis 2014 bewegten sich die Fallzahlen ARS zwischen 2.350 und 3.150 pro Jahr. Davon waren etwa 41 Prozent ARS ohne stationäre Beteiligung, 23 Prozent mit stationärer Beteiligung und 36 Prozent ambulante Nachsorge. 80 bis 85 Prozent der Fälle wiesen die Hauptdiagnose Alkohol (F10) auf, sieben bis acht Prozent die Hauptdiagnose Illegale Drogen (F11, F12, F14, F15, F16, F19) und fünf bis sieben Prozent die Hauptdiagnose Pathologisches Glücksspiel (F63). Eine starke Beteiligung am Projekt erfolgte aus den Bundesländern Niedersachsen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen.

    Die ARS weist bei der Diagnose F10 (Alkohol) und einem Rücklauf ab 45 Prozent Abstinenzquoten nach DGSS 4 von 50 bis 54 Prozent für alle im Kalenderjahr Entlassenen auf, wenn keine stationäre Rehabilitationsmaßnahme beteiligt war. Mit stationärer Beteiligung (Kombinationsbehandlungen) liegt die Erfolgsquote bei 43 bis 52 Prozent.

    Die soziodemographischen Merkmale der Rehabilitanden in der ARS ohne stationäre Beteiligung werden deutlich günstiger beschrieben als die der Rehabilitanden in der ARS mit stationärer Beteiligung – mit den entsprechenden unterschiedlichen Auswirkungen auf die Ergebnisqualität. Somit werden verschiedene Zielgruppen erreicht. Insgesamt zeigt sich, dass die indikative Zuweisung der Rehabilitanden zum ambulanten und/oder stationären Setting zielgruppengerecht erfolgt.

    Bewertung der Implementierung von Katamnesen ARS

    Die am Katamnese-Projekt beteiligten Einrichtungen wurden gefragt, wie sie die Implementierung der Katamnesen ARS bewerten. Insgesamt haben sich 56 Einrichtungen an der Umfrage beteiligt, 43 davon haben kontinuierlich zu allen Entlassjahrgängen Daten zur Verfügung gestellt. 80 Prozent geben an, dass die Implementierung von Katamnesen ARS gelungen ist. 68 Prozent benutzen die Ergebnisse als einrichtungsbezogene Auswertung. Insgesamt haben Katamnesen eine hohe Relevanz für die eigene Arbeit (Erfolgskontrollen, Konzeptverbesserungen usw.). 44 Prozent der Umfragebeteiligten wünschen sich auch zukünftig verbandliche Unterstützung bei der Durchführung von Katamnesen (Austausch, Schulungen, Forum usw.).

    Zusatzauswertungen „Illegale Drogen“ und „Pathologisches Glücksspiel“

    In den vier Erhebungsjahrgängen 2013 bis 2016 gab es 630 ARS-Fälle „Illegale Drogen“, davon waren 65 Prozent ohne und 35 Prozent mit stationärer Beteiligung. Die Hauptdiagnose Cannabis (F12) hat einen Anteil von etwa 40 Prozent, Opioide machen 20 bis 30 Prozent aus und Kokain zwölf bis 14 Prozent.

    Der Anteil Arbeitsloser reduzierte sich bis zum Behandlungsende im Vergleich zum Behandlungsbeginn um sieben bis zwölf Prozent, der Anteil Erwerbstätiger erhöhte sich um acht bis zwölf Prozent. Zum Katamnesezeitpunkt (ein Jahr nach Beendigung ARS) reduzierte sich der Anteil Arbeitsloser nochmals um drei Prozent bei ARS ohne stationäre Beteiligung und um zehn Prozent bei ARS mit stationärer Beteiligung (Kombibehandlung).

    Insgesamt gab es 70 bis 80 Prozent planmäßige Beendigungen der ARS-Maßnahmen. Die Katamnese-Rücklaufquote lag bei etwa 30 Prozent. Bei ARS ohne stationäre Beteiligung war die Rücklaufquote höher und die Abstinenzquote nach DGSS 4 lag bei 38 Prozent. Bei ARS mit stationärer Beteiligung lag die Abstinenzquote nach DGSS 4 bei 30 Prozent. Die Gruppe der „definiert Rückfälligen“ (Nichterreichte) betrug bei ARS ohne stationäre Beteiligung 34 Prozent und bei ARS mit stationärer Beteiligung 37 Prozent.

    In den vier Erhebungsjahrgängen 2013 bis 2016 gab es 373 ARS-Fälle „Pathologisches Glücksspiel“, davon waren 75 Prozent ohne und 25 Prozent mit stationärer Beteiligung. Auch hier zeigt sich am Behandlungsende eine deutliche Reduktion des Anteils Arbeitsloser von sieben bis zwölf Prozent und eine Zunahme des Anteils Erwerbstätiger von neun bis 13 Prozent.

    Insgesamt gab es auch hier etwa 70 bis 80 Prozent planmäßige Beendigungen der ARS-Maßnahmen. Die Katamnese-Rücklaufquote lag bei acht Prozent. So sind die Fallzahlen zu gering für eine Berechnung der Abstinenzquote bzw. der Veränderungen im Erwerbsstatus zum Katamnesezeitpunkt.

    Veränderungen im Erwerbsstatus: Interferenzstatistische Analysen

    92 Prozent der zu Beginn der ARS Erwerbstätigen verbleiben in der Erwerbstätigkeit, während der ARS-Maßnahme werden acht Prozent arbeitslos. Etwa 25 Prozent der zu Beginn der ARS Arbeitslosen gelangen während der ARS-Maßnahme in Erwerbstätigkeit. Die Merkmale dieser Gruppe: Die Menschen sind jünger, beziehen häufiger ALG I als ALG II, beenden die ARS-Maßnahme regulär, bewerten die ARS-Maßnahme als erfolgreich und sie weisen weniger Vorbehandlungen auf (Entzug). Ihre Alkoholstörung war weniger schwer ausgeprägt und die Dauer der Arbeitslosigkeit war geringer. Etwa zehn Prozent der zu Beginn der ARS-Maßnahme Nichterwerbstätigen sind am Ende der Maßnahme erwerbstätig (Schüler, Studenten).

    Bewertung des Katamnese-Projektes und der Ergebnisse aus Sicht eines Rehabilitationsträgers

    Die vier gängigen Formen der ARS sind: ARS ohne stationäre Beteiligung, ambulante Entlassform zum Ende einer stationären Rehabilitation, Wechsel in die ambulante Rehabilitationsform nach Abschluss der stationären Rehabilitation, ARS als Bestandsform von Kombitherapie (ARS mit stationärer Beteiligung).

    Teilhabeaspekte stehen bei der ARS im Vordergrund, insbesondere gilt es, mit den ICF-Kontextfaktoren des sozialen Feldes des Rehabilitanden zu arbeiten. Zentrale Aufgaben der Teilhabe-Leistungen sind die Verbesserung der Erwerbsfähigkeit und das Erreichen von Erwerbstätigkeit. In diesem Zusammenhang spielen arbeitsbezogene Interventionen während der ARS-Maßnahme eine wichtige Rolle. Ein sozialmedizinischer Jahresverlauf von Rehabilitanden aus dem Jahr 2010 zeigt, dass 90 Prozent der Rehabilitanden im Erwerbsleben verbleiben (59 Prozent lückenlose Rentenversicherungsbeiträge, 31 Prozent lückenhafte Rentenversicherungsbeiträge).

    Die Rehabilitandenbefragung nach Beendigung einer ambulanten Suchtrehabilitation mit 4.287 Beteiligten in den Jahren 2013 bis 2015 zeigt, dass die subjektiv wahrgenommenen Erfolge der Rehabilitationsleistungen auf deutliche Verbesserungen in den Bereichen Gesundheitszustand, Leistungsfähigkeit und kurzzeitige Abstinenz hinweisen. Insgesamt geben 90 Prozent der Beteiligten deutliche Verbesserungen an.

    Etwa die Hälfte der Rehabilitanden gibt an, während der ARS keine Beratung und Hilfe bekommen zu haben, um die Situation am Arbeitsplatz zu erleichtern. 60 Prozent sind zu Beginn der ARS und zum Befragungszeitpunkt bei Behandlungsende voll berufstätig, 24 Prozent sind zum Befragungszeitpunkt arbeitslos. 81 Prozent geben an, dass sich die berufliche Leistungsfähigkeit durch die ARS-Maßnahme deutlich verbessert hat. Für die Zukunft gilt die Empfehlung, bei ARS-Verlängerungsanträgen die therapeutische Unterstützung für eine stabile Erwerbssituation der Rehabilitanden mehr als bisher zu berücksichtigen.

    Die Bewertung von Katamnesen aus internationaler Perspektive

    Seit etwa 30 Jahren gibt es deutsche und internationale Studien zur Bewertung von Wirkungen suchttherapeutischer Maßnahmen. Als evidenzbasierte Faustregel kann angenommen werden, dass nach stationärer oder ambulanter Suchtrehabilitation 50 Prozent der Alkoholabhängigen ein Jahr nach der Behandlung durchgehend alkoholabstinent sind. Amerikanische Studien weisen auf 19 Prozent Einjahresabstinenz hin, im ambulanten Behandlungszweig kommt es im Jahr nach der Behandlung zu etwa 80 Prozent abstinenten Tagen.

    In den Niederlanden zeigte sich in dem Projekt „Resultaten scoren“ (fünf Jahreskohorten 2005 bis 2009 mit insgesamt 15.786 behandelten und 8.326 telefonisch erreichten Klienten) eine Abstinenzrate von 23 Prozent in den letzten 30 Tagen vor dem Befragungszeitpunkt (Schippers, Nabitz, Buisman, 2009). Im Vergleich hat Deutschland eine Abstinenzquote von 75 Prozent in den letzten zwölf Monaten (Katamnesebefragung) bei 693 erreichten Klienten (nach DGSS 3).

    So kann die Suchthilfe in Deutschland, insbesondere im Bereich der ARS, ihre Effektivität mittels Routine-Katamnesen nachweisen. Mehr als 50 Prozent der Klienten sind nach der Therapie abstinent. Im internationalen Vergleich ist das ein herausragendes Ergebnis.

    Strukturelles Monitoring und Benchmarking sind ein Weg zur weiteren Verbesserung von Suchthilfe. Die Katamnese-Methodik kann der Anfang einer europäischen Standardisierung sein. Eine schnelle Rückmeldung der Katamneseergebnisse an die Einrichtungen kann zur Verbesserung der ARS-Maßnahmen führen.

    Podiumsdiskussion

    Die abschließende Podiumsdiskussion verlief sehr lebhaft und informativ. Stichworte aus der Diskussion: ARS hat eine gute Wirksamkeit, Kombitherapien sollten mehr genutzt werden, die berufliche Orientierung in der ARS sollte weiter gestärkt werden, eine Veröffentlichung der Katamneseergebnisse ist weiterhin wichtig, Verlängerungsanträge ARS sind die Regel und nicht die Ausnahme, das ARS-Rahmenkonzept aus 2008 ist überarbeitungsbedürftig, die Katamnese-Durchführung liegt im Interesse der Leistungserbringer, insgesamt steht die ambulante Suchthilfe sehr unter Druck.

    Fazit: Auch zukünftig sollten Fachveranstaltungen dieser Art durchgeführt werden.

    Kontakt:

    Dr. Theo Wessel
    Gesamtverband für Suchthilfe e.V. (GVS) – Fachverband der Diakonie Deutschland
    Invalidenstraße 29
    10115 Berlin
    Tel. 030/83 001-501
    wessel@sucht.org
    www.sucht.org

    Angaben zu den Autoren:

    Dr. Theo Wessel ist Geschäftsführer des Gesamtverbandes für Suchthilfe e.V. (GVS) – Fachverband der Diakonie Deutschland.
    Renate Walter-Hamann ist Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Katholische Suchtkrankenhilfe und Leiterin des Referats Basisdienste und besondere Lebenslagen beim Deutschen Caritasverband e.V. in Freiburg.

  • Der Selbstheilungscode

    Beltz Verlag, Weinheim 2017, 335 Seiten, ISBN 978-3-407-86443-7, € 19,95, auch als E-Book erhältlich

    Tobias Esch, einer der führenden Köpfe der Mind-Body-Wissenschaft, erforscht seit Jahren, wie Selbstheilung funktioniert und welche Faktoren neben der etablierten Medizin für Gesundheit und Zufriedenheit entscheidend sind. Neurowissenschaftliche und psychologische Studien können inzwischen zeigen, dass selbst chronische Krankheiten wie Diabetes, Asthma oder Bluthochdruck durch positive Emotionen und Entspannung gelindert werden können wie auch durch Ernährung und Bewegung. Wer diesen Selbstheilungscode im Blick behält, kann die eigenen Selbstheilungskräfte aktivieren und zu einem Leben finden, das von Wohlbefinden, innerer Stärke und Sinnerfahrung geprägt ist.

    Mit einem Vorwort von Eckart von Hirschhausen

  • Narzissmus im Netz

    Soziale Medien wie Facebook und Twitter spielen im Leben vieler Menschen weltweit eine große Rolle. Knapp zwei Milliarden Menschen waren Ende 2016 auf Facebook aktiv, 500 Millionen posten regelmäßig Bilder auf Instagram, mehr als 300 Millionen kommunizieren via Twitter. Inwieweit soziale Medien bevorzugt von Menschen mit einer narzisstischen Ader genutzt werden, haben zahlreiche Studien in den vergangenen Jahren untersucht – mit widersprüchlichen Ergebnissen. Mal war der Zusammenhang zwischen Narzissmus und dem Auftritt bei Facebook, Twitter und Co. eindeutig gegeben, mal nur schwach nachweisbar, und bisweilen drehte er sogar ins Gegenteil.

    Neue Ergebnisse präsentieren jetzt Wissenschaftler des Leibniz Instituts für Bildungsverläufe Bamberg und der Universität Würzburg. Sie konnten zeigen, dass es einen schwachen bis mäßig stark ausgeprägten Zusammenhang zwischen einer bestimmten Form von Narzissmus und den Aktivitäten in sozialen Medien gibt. Beim differenzierten Blick auf bestimmten Verhaltensweisen oder auf die Herkunft der Teilnehmer zeigt sich in einigen Fällen sogar ein ausgeprägter Effekt.

    Verantwortlich für diese Studie sind Professo r Markus Appel, Inhaber des Lehrstuhls für Medienkommunikation an der Universität Würzburg, und Dr. Timo Gnambs, Leiter des Arbeitsbereichs Educational Measurement am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe, Bamberg. Sie haben für ihre Meta-Analyse die Ergebnisse aus 57 Studien mit insgesamt mehr als 25.000 Teilnehmern zusammengefasst. Ihre Ergebnisse haben sie jetzt im „Journal of Personality“ veröffentlicht.

    Narzissten halten sich für besonders begabt, bemerkenswert und erfolgreich. Sie lieben es, sich vor anderen zu präsentieren, und brauchen die Bestätigung durch Dritte: So beschreiben Psychologen das typische Verhalten von Menschen, die landläufig als Narzissten bezeichnet werden. „Dementsprechend wird vermutet, dass soziale Netzwerke wie Facebook für sie eine ideale Bühne bieten“, sagt Markus Appel. In dem Netzwerk finden sie leicht eine große Zahl von Adressaten; sie können dort gezielt die Informationen über sich preisgeben, die ihnen ins Konzept passen. Und sie können akribisch an ihrer Selbstdarstellung feilen. Kein Wunder, dass deshalb schon frühzeitig in der Wissenschaft die Befürchtung aufkam, soziale Netzwerke könnten Narzissten geradezu ausbrüten.

    Ganz so schlimm ist die Situation anscheinend nicht, wie die jetzt veröffentlichte Meta-Analyse zeigt. Drei Hypothesen haben die beiden Wissenschaftler darin auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht. Zum einen die These, dass die prahlerischen Narzissten häufiger in sozialen Netzwerken zu finden sind als Vertreter einer anderen Form von Narzissmus – des sogenannten „verletzlichen Narzissmus“. Letztere sind geprägt von einer starken Unsicherheit, einer Überempfindlichkeit im Umgang mit anderen Menschen und mit dem Drang, sich von der Öffentlichkeit zurückzuziehen.

    Die zweite These besagt, dass der Zusammenhang zwischen Narzissmus und der Zahl der Freunde sowie bestimmten Aktivitäten der Selbstpräsentation deutlich größer ist – verglichen mit den sonstigen Aktivitäten, die in sozialen Netzwerken möglich sind.

    In ihrer dritten Hypothese stellen die Wissenschaftler die Behauptung auf, dass der Link von Narzissmus und dem Verhalten im Netz kulturellen Einflüssen unterliegt. In Kulturen, in denen das Individuum weniger zählt als die Gemeinschaft oder in denen die Rollen eindeutig festgeschrieben sind, bieten soziale Medien Narzissten die Chance, aus diesem Gerüst von Regeln auszubrechen und sich so zu präsentieren, wie es für sie in der Öffentlichkeit nicht möglich wäre.

    Tatsächlich bestätigt die Auswertung der 57 Studien die Hypothesen der Wissenschaftler. Großspurige Narzissten sind in sozialen Netzwerken häufiger anzutreffen als „verletzliche Narzissten“. Und je größer die Zahl der Freunde und je häufiger jemand Bilder von sich hochlädt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen Narzissten handelt. Dabei spielt das Geschlecht der Nutzerinnen und Nutzer keine Rolle; auch das Alter zeigt keinen Einfluss. Typische Narzissten verbringen mehr Zeit in ihrem Netzwerk als der durchschnittliche Besucher, und sie zeigen dort typische Verhaltensmuster.

    Geteilt fällt das Ergebnis für den Einfluss der Kultur auf das Nutzungsverhalten aus. „In Ländern, in denen ausgeprägte soziale Hierarchien und eine ungleiche Machtverteilung im Durchschnitt eher akzeptiert werden wie etwa Indien oder Malaysia, ist die Korrelation zwischen Narzissmus und dem Verhalten in sozialen Medien stärker ausgeprägt als in Ländern wie etwa Österreich oder den USA“, sagt Markus Appel. Einen vergleichbaren Einfluss des Faktors „Individualismus“ zeigte die Auswertung der Daten aus 16 verschiedenen Ländern von vier Kontinenten hingegen nicht.

    Ist die vielzitierte „Generation Me“ also ein Produkt von sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram, weil diese narzisstische Tendenzen fördern? Oder sind ihre Vertreter sowieso da und finden nur auf diesen Seiten die ideale Spielwiese für sie? Diese Fragen konnten die beiden Wissenschaftler mit ihrer Studie nicht wirklich beantworten.

    „Wir vermuten, dass das Verhältnis von Narzissmus und dem Verhalten in sozialen Medien dem Muster einer sich selbst verstärkenden Spirale folgt“, sagt Markus Appel. Eine individuelle Disposition steuere die Netzaktivitäten; diese Aktivitäten wiederum verstärkten die Disposition. Um diese Frage endgültig zu klären, seien jedoch weitere Untersuchungen über längere Zeiträume hinweg notwendig.

    Publikation:
    Narcissism and Social Networking Behavior: A Meta-Analysis. Timo Gnambs and Markus Appel. Journal of Personality. DOI: 10.1111/jopy.12305

    Pressestelle der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 11.04.2017

  • Vernachlässigung bei Kindern

    In einer aktuellen Studie haben Forscher der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig den Stresshormonpegel von misshandelten Kindern untersucht. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass ihr Pegel ab einem bestimmten Alter unter dem von nicht misshandelten Kindern liegt. Diese Reaktion hat weitreichende neurobiologische Folgen auf das Erleben und Verhalten. Die Studie wurde kürzlich im renommierten „Journal of Child Psychology and Psychatry“ veröffentlicht.

    Für die Untersuchung wurden über 500 Kinder einbezogen, etwa die Hälfte erfuhr in der Kindheit Gewalt, sexuellen Missbrauch oder Vernachlässigung – sei es körperlich, emotional oder kognitiv. „In unserer Stichprobe hatten wir sehr viele vernachlässigte Kinder. Dieser Aspekt ist in der öffentlichen Wahrnehmung unterrepräsentiert, wir sprechen von der ‚Vernachlässigung der Vernachlässigung‘. Dabei kann die Vernachlässigung von Kindern schwerwiegende Folgen haben. In unserer Studie traten für diese Gruppe die größten Effekte im Stresshormonpegel auf“, sagt Dr. Lars White, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Leipzig.

    Um den Stresshormonpegel von misshandelten und nicht misshandelten Kindern zu vergleichen, analysierten die Forscher den Cortisol-Spiegel der Kinder im Alter von drei bis 16 Jahren. Cortisol, umgangssprachlich auch als das Stresshormon bekannt, ist eines von vielen Stresshormonen, das dem Körper in bestimmten Situationen schnell und direkt Energie bereitstellt. Um das Hormon zu untersuchen, analysierten die Wissenschaftler die Haare von misshandelten Kindern sowie nicht misshandelten Kindern aus der LIFE CHILD Depression Kohorte des Leipziger Forschungszentrums für Zivilisationserkrankungen. Denn in den Haaren lagert sich das Cortisol über längere Zeiträume ein. „Das ist ein ganz besonderer Aspekt unserer Studie, denn die Haaranalyse für Stresshormone gibt es noch nicht lange, und sie wurde bislang noch nicht in einer so großen Stichprobe von belasteten und unbelasteten Kindern eingesetzt“, hebt White eine Besonderheit der Untersuchung hervor. Der Vorteil der Methode: Der Cortisol-Spiegel lässt sich so über mehrere Monate hinweg beobachten und zeigt die längerfristige Anpassung des Körpers an stressvolle Situationen.

    „In der Wissenschaft geht man davon aus, dass bei chronischem Stress – unter dem die misshandelten Kinder leiden – der Stresshormonpegel ab einem gewissen Punkt abfällt. Der Körper passt sich der Situation mit einer Erschöpfungsreaktion an, deswegen fällt der Stresshormonpegel dann unter den normalen Wert, womöglich auch um andere Körpersysteme vor zu großer Cortisol-Ausschüttung zu schützen“, erklärt Studienleiter Dr. Lars White. Für diese Annahme liefert die aktuelle Leipziger Studie einen guten Beleg: Misshandelte Kinder wiesen darin einen niedrigeren Cortisol-Spiegel auf als nicht misshandelte Kinder. Besonders deutlich lässt sich dieser Effekt bei Kindern mit Vernachlässigungserfahrungen und Misshandlungen im Säuglingsalter beobachten.

    „Wir wissen, dass vernachlässigte und misshandelte Kinder in ihrem Leben dauerhaft hohem Stress ausgesetzt sind, aber ihre biologischen Stressregulationssysteme sind zunehmend weniger in der Lage, diese Stresserfahrungen so zu regulieren, dass sie zu einem gesunden Entwicklungsverlauf beitragen“, so White. Die Folgen des veränderten Cortisol-Spiegels sind gravierend: Im weiteren Verlauf kann es zu neurobiologischen Veränderungen kommen, die sich etwa in einer gesteigerten Aggressivität, Hyperaktivität oder auch Ängstlichkeit äußern.

    Allerdings trat der Effekt des zu niedrigen Stresshormonpegels erst bei Kindern ab neuneinhalb Jahren auf. „Daraus ergibt sich ein Zeitfenster in der frühen Kindheit, in dem der Effekt noch nicht zu beobachten ist. Interventionen wie Therapie- und Unterstützungsangebote müssen möglichst frühzeitig, also am besten vor dem neunten Lebensjahr, stattfinden, um die Lebensumstände für das Kind zu verbessern“, erläutert White die Implikationen der Untersuchung für die Praxis. So könne die Erschöpfungsreaktion und damit der Abfall des Stresshormonpegels noch verhindert werden.

    Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Studie wurde unter Leitung der Leipziger Universitätsmedizin, der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters unter der Leitung von Prof. Kai von Klitzing, in Zusammenarbeit mit Dr. Marcus Ising vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie, Prof. Dr. Clemens Kirschbaum und Dr. Tobias Stalderder von der TU Dresden sowie Dr. Nicolas Tsapos vom Amt für Jugend, Familie und Bildung Leipzig durchgeführt.

    Publikation:
    Reduced hair cortisol after maltreatment mediates externalizing symptoms in middle childhood and adolescence, in Journal of Child Psychology and Psychiatry, doi: 10.1111/jcpp.12700

    Pressestelle der Universität Leipzig, 30.03.2017