Deutschland unternimmt viel zu wenig, um das Rauchen einzudämmen und das Nichtrauchen zu fördern. Deshalb landet die Bundesrepublik im europäischen Vergleich der Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums zum zweiten Mal in Folge auf dem vorletzten Platz, nur gefolgt von Österreich. Dies zeigt eine aktuelle Befragung in 35 europäischen Staaten, die „Tabakkontrollskala 2016“, die am 23. März bei der siebten Europäischen Tabakkontrollkonferenz in Porto vorgestellt wurde.
Deutschland ist das einzige Land in der EU, das noch uneingeschränkt Außenwerbung für Tabakprodukte erlaubt, und hat zudem seit 2010 keinerlei Maßnahmen ergriffen, um das Rauchen zu verringern. Lediglich die europäische Tabakproduktrichtlinie wurde im Jahr 2016 – wie es für alle EU-Mitgliedstaaten Pflicht ist – in nationales Recht umgesetzt. Andere Länder hingegen, allen voran Großbritannien und Nordirland, haben in den letzten Jahren immer wieder neue Regelungen eingeführt. Aktuelle Beispiele dafür sind eine standardisierte Verpackung für Tabakerzeugnisse oder ein Rauchverbot im Auto, wenn Kinder mitfahren.
„Dieses Ranking zeigt überdeutlich den großen Handlungsbedarf, der in Deutschland in der Tabakkontrolle besteht“, sagt Dr. Ute Mons, Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention und des WHO-Kollaborationszentrums für Tabakkontrolle am Deutschen Krebsforschungszentrum. „Ein besonders frappierendes Beispiel ist das längst überfällige Außenwerbeverbot. Es ist allerhöchste Zeit, den seit nunmehr fast einem Jahr vorliegenden und immer wieder verzögerten Gesetzentwurf für ein Verbot der Tabakaußenwerbung umzusetzen“, so Mons bei der siebten Europäischen Tabakkontrollkonferenz (European Conference on Tobacco or Health) in Porto.
Die Tabakkontrollskala quantifiziert und bewertet für die einzelnen Länder die Einführung von sechs Maßnahmen zur Verringerung des Rauchens in der Bevölkerung. Diese Maßnahmen sind von der Weltbank als wirksam eingestuft worden und sollten im Rahmen einer umfassenden Tabakpräventionsstrategie eingeführt werden. Dazu gehören Tabaksteuererhöhungen, rauchfreie öffentliche Räume, Aufklärungskampagnen, ein umfassendes Tabakwerbeverbot, Warnhinweise auf Tabakverpackungen und die Unterstützung beim Rauchstopp. Deutschland erreicht lediglich für Rauchverbote im öffentlichen Raum sowie für die Einführung der neuen Warnhinweise gerade einmal die Hälfte der möglichen Punkte, bei allen anderen Kriterien liegt es darunter.
Aufsteigen im Ranking kann ein Land, wenn es seit der letzten Erfassung neue Maßnahmen ergriffen hat. Deutschland hat in dieser Hinsicht in den letzten Jahren wenig geleistet und bietet daher der Tabakindustrie im europäischen Vergleich geradezu paradiesische Verhältnisse – mit gravierenden Folgen: Jedes Jahr sterben rund 121.000 Menschen an den Gesundheitsschäden, die das Rauchen verursacht.
Ute Mons, die sich dafür einsetzt, dass Deutschland wirksame Tabakpräventionsmaßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Bürger umsetzt, wurde bei der Europäischen Tabakkontrollkonferenz für ihre wissenschaftlichen und gesundheitspolitischen Leistungen mit einem der von der Association of the European Cancer Leagues (ECL) gestifteten Young Professional Awards ausgezeichnet.
In der Adaptionsbehandlung werden komplexe Leistungen vorgehalten, die zunehmend auch Behandlungsstrategien für Rehabilitanden mit komorbiden Störungen beinhalten müssen. Die Adaptionseinrichtungen verzahnen medizinische und soziale Aspekte, um die Rehabilitanden auf ihrem Weg zu einer selbständigen und abstinenten Lebensführung sowie bei der beruflichen Integration zu unterstützen. In diesem Handbuch werden erstmalig Inhalte, Ziele und Zielgruppen dieser Behandlungsform ausführlich beschrieben: In dem „Grundsatzpapier Adaptionsbehandlung“ des Bundesverbandes für stationäre Suchtkrankenhilfe e. V. (buss) formulieren die verbandszugehörigen Adaptionseinrichtungen Rahmenbedingungen und Schwerpunkte der Adaptionsbehandlung. In den weiteren Kapiteln werden die Bedeutung und die Effektivität der Adaptionsbehandlung aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt:
Ergebnisse einer Studie zur Effektivität der beruflichen und sozialen (Re-)Integration
Bedeutung der Adaption aus
– sozialmedizinischer Sicht und
– der Sicht der Deutschen Rentenversicherung
Beschreibung von Fallbeispielen
Basis- und Strukturdaten
Ergebnisse einer Patientenbefragung
MitarbeiterInnen in Suchthilfe-Einrichtungen und bei unterschiedlichen Leistungsträgern wird eine äußerst effektive Behandlungsform vorgestellt, deren umfassendes Behandlungsangebot für noch mehr abhängigkeitskranke Menschen genutzt werden sollte. Auch MitarbeiterInnen in benachbarten Leistungsbereichen (Psychiatrie, Jugendhilfe, Sozialhilfe, Jobcenter/Agentur für Arbeit u.v.m.) zeigt das Handbuch vielfältige Möglichkeiten, wie sie in ihrem beruflichen Kontext mit einem umfassenden, modernen Verständnis des komplexen Krankheits-/Störungsbildes „Sucht“ zielgerichtet arbeiten können.
Alkoholerkrankungen sind in Österreich ein weit verbreitetes Problem: Fünf Prozent der österreichischen Bevölkerung ab dem 16. Geburtstag sind alkoholabhängig (betroffen sind 7,5 Prozent der Männer und 2,5 Prozent der Frauen), weitere zwölf Prozent weisen einen problematischen Alkoholkonsum auf und sind gefährdet, abhängig zu werden (Uhl et al. 2009). In Wien gelten bei einer Bevölkerung von insgesamt 1,7 Millionen Menschen zwischen 35.000 und 75.000 Personen als alkoholabhängig, bei weiteren 135.000 bis 175.000 besteht ein Alkoholmissbrauch. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt die Prävalenz der Alkoholerkrankung in Österreich über dem europäischen Durchschnitt und ist fast 70 Prozent höher als in Deutschland (WHO 2014). Zur Verbildlichung: Fast jeder dritte Mann im Alter zwischen 50 und 54 Jahren ist in Österreich von einer Alkoholerkrankung betroffen (Czypionka et al. 2013, S. 28).
Ausgangssituation
Das Behandlungsangebot für alkoholkranke Menschen wurde in Wien traditionell von einzelnen stationären Suchthilfeeinrichtungen geprägt, die als separate ‚Insellösungen‘ nebeneinander bestanden und nur geringfügig ambulante Leistungen zur Vor- und Nachbereitung eines stationären Aufenthaltes erbrachten (Uhl et al. 2009, S. 343 ff.). Diese Einrichtungen waren sowohl untereinander als auch mit dem sonstigen Gesundheits- und Sozialsystem kaum vernetzt; eine entsprechende Koordination der Suchthilfeeinrichtungen mit dem Ziel, die unterschiedlichen Angebote aufeinander abzustimmen und Nahtstellen zu schaffen, fehlte.
Langfristige poststationäre ambulante Betreuungen oder rein ambulante Angebote für Menschen, die eine stationäre Betreuung nicht in Anspruch nehmen konnten, waren nicht vorhanden. Durch das Fehlen ambulanter Angebote gab es keine begleitenden Betreuungsmöglichkeiten, um die Therapieinhalte nachhaltig im Alltag umzusetzen und die Teilhabe der Patient/innen am gesellschaftlichen Leben zu stärken. Die Folge waren hohe Rückfallraten und so genannte Drehtür-Effekte in den Einrichtungen und damit verbunden großes persönliches Leid auf Seite der Betroffenen sowie hohe volkswirtschaftliche Kosten für das Gesundheits- und Sozialsystem. Allein im Jahr 2011 entstand in Österreich laut einer Kosten-Nutzen-Analyse des Instituts für Höhere Studien netto ein volkswirtschaftlicher Schaden von 737,9 Millionen Euro, der auf die Alkoholerkrankung zurückzuführen war (Czypionka et al. 2013).
Das Projekt „Alkohol 2020“
Vor diesem Hintergrund wird seit Oktober 2014 in Wien unter dem Titel „Alkohol 2020“ im Rahmen eines Pilotprojekts ein integriertes Versorgungssystem für alkoholkranke Menschen umgesetzt, das einen frühzeitigen und niederschwelligen Zugang zu spezialisierten und qualifizierten Betreuungsangeboten sowie ein enges Nahtstellenmanagement und ein konstruktives Zusammenwirken der verschiedenen Einrichtungen aus dem Gesundheits- und Sozialbereich ermöglicht. Dieses Projekt wurde gemeinsam von der Pensionsversicherungsanstalt, der Wiener Gebietskrankenkasse und der Stadt Wien ins Leben gerufen und stellt in Österreich eine historisch erstmalige Kooperation dieser Kostenträger dar. Erstmals treten sie als gemeinsame Partner in der Konzeption, Umsetzung und Finanzierung der Betreuung inklusive Behandlung und Rehabilitation von alkoholkranken Menschen auf.
In Übereinstimmung mit der S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ (AWMF 2015) sieht das integrierte Versorgungssystem eine umfassende langfristig geplante multiprofessionelle Betreuung, ein begleitendes Case Management sowie integrierte Nahtstellen mit dem allgemeinen Gesundheits- und Sozialsystem vor. Ziel ist es, in einem guten Versorgungssystem durch frühzeitige Diagnose und Intervention eine erfolgreiche Behandlung und Rehabilitation alkoholkranker Menschen zu ermöglichen und eine nachhaltige soziale wie berufliche Reintegration dieser Menschen zu erreichen. Im Rahmen der integrierten Betreuung von „Alkohol 2020“ wird daher angestrebt, dass der niedergelassene Bereich, der klinische Bereich, die spezialisierte Suchtkrankenhilfe und das allgemeine Gesundheits- und Sozialsystem ihre Angebote aufeinander abstimmen, sich gegenseitig ergänzen und nahtlos miteinander kooperieren.
Versorgung von alkoholkranken Menschen
Dem spezialisierten Bereich der Suchtkrankenhilfe mit den Einrichtungen des Wiener Sucht- und Drogenhilfenetzwerks (SDHN) kommt in der Betreuung von Menschen mit einer Alkoholerkrankung die Schlüsselrolle zu. Die suchtspezifische Behandlung und Rehabilitation von alkoholkranken Menschen soll im Regelfall sowohl ambulant als auch stationär im spezialisierten Bereich des SDHN erfolgen. Der niedergelassene Bereich als häufig erste Anlaufstelle für Patient/innen mit gesundheitlichen Problemen übernimmt eine wesentliche Rolle in der Früherkennung, Frühintervention und Nachbetreuung. Die Versorgung im klinischen Bereich konzentriert sich auf Akut- und Schwerstfälle.
Um keine Parallelstrukturen zu schaffen, sondern alkoholkranke Menschen in allen Bereichen in die Gesellschaft zu integrieren, werden darüber hinaus Einrichtungen aus dem allgemeinen Gesundheits- und Sozialsystem durch einen eigenen Liaisondienst für die spezifischen Bedürfnisse alkoholkranker Menschen sensibilisiert und befähigt, ihre bestehenden Angebote auch für diese Zielgruppe zu öffnen. So können die Angebote aus dem allgemeinen Gesundheits- und Sozialsystem die spezialisierte Suchtkrankenhilfe bestmöglich ergänzen.
Im Mittelpunkt des integrierten Versorgungssystems stehen so genannte regionale Kompetenzzentren, die zum einen als erste Anlaufstelle für Menschen mit einer Alkoholerkrankung dienen und zum anderen das einrichtungsübergreifende Case Management verantworten und den niedergelassenen Bereich, den klinischen Bereich, den spezialisierten Bereich und die Angebote aus dem allgemeinen Gesundheits- und Sozialsystem miteinander vernetzen. Über die regionalen Kompetenzzentren ist ein niederschwelliger Zugang in das Betreuungssystem möglich. Alkoholkranke Menschen können sich direkt an ein regionales Kompetenzzentrum wenden oder aus dem Gesundheits- und Sozialsystem an ein Kompetenzzentrum vermittelt werden. In vielen Fällen wird diese Vermittlung durch Liaisondienste unterstützt.
Im regionalen Kompetenzzentrum wird von einem multiprofessionellen Team aus Ärzten/Ärztinnen (Allgemeinmedizin und Psychiatrie), Psycholog/innen und Sozialarbeiter/innen mittels umfassender multidimensionaler Diagnostik die bio-psycho-soziale Ausgangslage der Patient/innen erhoben und gemeinsam mit den Patient/innen ein individueller, an ihrem Bedarf orientierter Maßnahmenplan für die weitere Betreuung inklusive Behandlung und Rehabilitation erarbeitet. Faktoren wie Arbeitsleben, Wohnsituation und familiäres Umfeld werden dabei von Anfang an mitbetrachtet.
Die erstellten Maßnahmenpläne decken jeweils den kompletten Betreuungsbedarf (somatisch/psychisch/sozial) sowohl in Hinblick auf die akute Krankenversorgung als auch auf die medizinische, soziale und berufliche Rehabilitation der jeweiligen Patient/innen ab und werden aus stationären und ambulanten Modulen zusammengesetzt, die sich in Dauer und Betreuungsintensität voneinander unterscheiden. Maßnahmenpläne können rein ambulant sein; kommt es zu einem stationären Aufenthalt, erfolgt immer eine ambulante Weiterbetreuung.
Solange definierte Mindeststandards eingehalten werden, können Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe auf Basis wissenschaftlicher Betreuungskonzepte ein vielfältiges Betreuungsangebot bereitstellen. Auch das Therapieziel muss den Möglichkeiten und Bedürfnissen der einzelnen Patient/innen entsprechen und kann durch Abstinenz, kontrolliertes Trinken, Trinkmengenreduktion oder sonstige Angebote erreicht werden.
Im regionalen Kompetenzzentrum, das die Angebote der verschiedenen Einrichtungen im Detail kennt, wird bei der Erstellung des Maßnahmenplans unter den vielfältigen Angeboten jeweils die Einrichtung gewählt, die über das für den individuellen Bedarf der jeweiligen Patient/innen am besten geeignete Therapiekonzept und Angebot verfügt. Gegenüber dem jetzigen System, in dem sich Patient/innen eigenständig über die bestehenden Angebote informieren und bei den Einrichtungen bzw. den Kostenträgern um einen Therapieplatz ansuchen müssen, bedeutet diese Unterstützung eine wichtige Verbesserung für die Patient/innen.
Gemeinsamer Bewilligungsprozess
Das regionale Kompetenzzentrum beantragt anschließend die Bewilligung des Maßnahmenplans beim Institut für Suchtdiagnostik (ISD) der Sucht- und Drogenkoordination Wien. Die zeitnahe Bewilligung erfolgt im Rahmen einer einmaligen persönlichen Begutachtung direkt in den Räumlichkeiten des regionalen Kompetenzzentrums durch ein multiprofessionelles Team des ISD.
Im Sinne eines integrierten Versorgungssystems gibt es im Projekt „Alkohol 2020“ einen kostenträgerübergreifenden gemeinsamen Bewilligungsprozess: Mit der Bewilligung des Maßnahmenplans durch das Institut für Suchtdiagnostik liegt gleichzeitig auch die Finanzierungszusage aller Kostenträger für die im Maßnahmenplan festgelegten Module vor. Die Kostenträger (Krankenversicherung, Pensionsversicherung und die Stadt Wien) verzichten damit im Interesse der Patient/innen auf die bisher üblichen eigenen, voneinander getrennten Bewilligungsprozesse. Durch den gemeinsamen Bewilligungsprozess kann die Betreuung inklusive Behandlung und Rehabilitation vorab langfristig sichergestellt werden, und Unterbrechungen im Betreuungsverlauf werden vermieden.
Infolge der Bewilligung informiert das regionale Kompetenzzentrum die Suchthilfeeinrichtungen über die bevorstehende Betreuung und vermittelt die Patient/innen an die erste betreuende Einrichtung im Maßnahmenplan. Eine Änderung des Maßnahmenplans ist während des Betreuungsverlaufs jederzeit nach entsprechender Bewilligung möglich. Während der gesamten Betreuungsphase übernimmt das regionale Kompetenzzentrum das einrichtungsübergreifende Case Management und bleibt zentraler Ansprechpartner für die Patient/innen sowie für alle betreuenden Einrichtungen. Durch die individuelle, bedarfsorientierte und langfristige Betreuung im Rahmen der Maßnahmenpläne können Patient/innen nachgehend betreut und ‚Drehtür-Effekte‘ deutlich reduziert werden.
Finanzierung
Im Vordergrund des integrierten Versorgungssystems „Alkohol 2020“ steht die Bereitstellung eines patientenorientierten Systems, in dem Patient/innen eine zentrale Anlaufstelle haben und die komplexe Art der Finanzierung im Hintergrund abläuft. Im Gegensatz zu Deutschland ist daher im suchtspezifischen Bereich keine Trennung der Leistungen und Zuständigkeiten in Form einer durch die Krankenkasse finanzierten Akutbehandlung („Entzugsbehandlung“) und einer von der Rentenversicherung bezahlten Rehabilitation („Entwöhnungsbehandlung“) vorgesehen. Stattdessen werden alle Leistungen zentral geplant, bewilligt und gemeinsam von der Krankenkasse, der Rentenversicherung und dem Land über einen variablen Finanzierungsschlüssel finanziert, der die in den Leistungen enthaltenen kurativen und rehabilitativen Anteile berücksichtigt. Dadurch kann ein gemeinsames, einheitliches administratives wie inhaltliches Prozessmanagement gewährleistet werden. Diese Art der Finanzierung bezieht sich nur auf den Bereich der spezialisierten Suchthilfe. Die Finanzierung des allgemeinen Gesundheitssystems inklusive des niedergelassenen Bereichs, der Krankenhäuser und der sonstigen Rehabilitationseinrichtungen bleibt davon unangetastet.
Die Steuerung wird ermöglicht durch die strukturelle Trennung zwischen den regionalen Kompetenzzentren (als zentrale Anlaufstelle für die Planung der Behandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen), der unabhängigen gemeinsamen Bewilligungsstelle und den für die Umsetzung der Maßnahmen zuständigen ambulanten und stationären Suchthilfeeinrichtungen. Um ein ökonomisches Eigeninteresse auszuschließen, dürfen die Träger der regionalen Kompetenzzentren und des Instituts für Suchtdiagnostik keine eigenen ambulanten und stationären Leistungen anbieten. Darüber hinaus ist durch ein flächendeckendes gemeinsames Dokumentationssystem im Suchthilfebereich für die Kostenträger eine transparente wirkungsorientierte Steuerung des Versorgungssystems möglich.
Pilotprojekt Phase 1
Dieses neue integrierte Versorgungssystem, das von der Pensionsversicherung, der Wiener Gebietskrankenkasse und der Stadt Wien gemeinsam entwickelt wurde, wird seit Oktober 2014 in Wien im Rahmen des Pilotprojekts „Alkohol 2020“ umgesetzt.
In der ersten Pilotphase von Oktober 2014 bis März 2016 (18 Monate) wurden in Kooperation mit spezialisierten Einrichtungen aus dem Sucht- und Drogenhilfenetzwerk in Wien Kapazitäten geschaffen, um bis zu 500 Personen in das Pilotprojekt aufzunehmen und im Rahmen des neuen integrierten Versorgungssystems zu betreuen. Voraussetzung für eine Teilnahme am Pilotprojekt war für Patient/innen das Vorliegen einer Anspruchsberechtigung sowohl bei der Stadt Wien, der Wiener Gebietskrankenkasse als auch der Pensionsversicherungsanstalt, zusätzlich gab es eine Altersgrenze von maximal 55 Jahren bei Eintritt ins Pilotprojekt. Über diese formellen Kriterien hinaus gab es keine inhaltliche Einschränkung der Zielgruppe.
Insgesamt suchten während der ersten Pilotphase 843 Personen das regionale Kompetenzzentrum auf. Der Großteil dieser Personen meldete sich ohne Vermittlung aus dem Gesundheits- und Sozialsystem eigenständig beim regionalen Kompetenzzentrum (46 Prozent). Knapp ein Drittel wurde von einer teilnehmenden Einrichtung aus dem Sucht- und Drogenhilfenetzwerk an das regionale Kompetenzzentrum vermittelt. Zehn Prozent wurden jeweils über die Liaisondienste aus den Wiener Krankenanstalten und über die Case Manager der Wiener Gebietskrankenkasse und der Pensionsversicherungsanstalt vermittelt. Ein geringer Anteil kam über eine Überweisung aus dem niedergelassenen Bereich zum regionalen Kompetenzzentrum. Der Frauenanteil betrug konstant ein Drittel, zwei Drittel der Personen waren Männer. Dies entspricht den Prävalenzzahlen in Wien.
Etwa ein Viertel der Personen, die sich in der ersten Pilotphase beim regionalen Kompetenzzentrum meldeten, war nicht anspruchsberechtigt, wies keine relevante Indikationsstellung auf oder wurde akut in eine Notaufnahme gebracht.
Abbildung 2: Personen im regionalen Kompetenzzentrum
In der ersten Pilotphase wurde in Folge für insgesamt 524 Personen ein Maßnahmenplan erstellt. Mehr als zwei Drittel dieser Maßnahmenpläne bestanden aus rein ambulanten Modulen, nur ein Drittel beinhaltete stationäre Maßnahmen. Dies zeigt deutlich, dass die neu geschaffenen ambulanten Angebote einen bestehenden Bedarf erfüllen, der bisher nicht ausreichend abgedeckt wurde. Bis Ende März 2016 wurden 465 Personen vom Institut für Suchtdiagnostik begutachtet, für 461 Personen wurden die jeweiligen Maßnahmenpläne (zum Teil nach Änderung durch das Institut für Suchtdiagnostik) bewilligt, fünf Personen wurden indikationsentsprechend in andere Behandlungsangebote vermittelt (Regionalpsychiatrie/Drogeneinrichtungen). 58 Personen sind nicht zur Bewilligung erschienen bzw. der Bewilligungsprozess war mit Ende der Pilotphase 1 noch nicht abgeschlossen.
Abbildung 3: Erstellte Maßnahmenpläne
Die Patient/innen, die in der ersten Pilotphase im neuen Versorgungssystem betreut wurden, waren im Schnitt 43 Jahre alt, wobei Frauen (43,7 Jahre) geringfügig älter waren als Männer (43,3 Jahre). Fast die Hälfte der Personen war zwischen 40 und 50 Jahre alt, knapp zehn Prozent der Personen waren 30 Jahre alt oder jünger, und 20 Prozent waren älter als 50 Jahre. 15 Prozent der Patient/innen waren obdachlos oder in einer betreuten Wohnform untergebracht. Die Hälfte der Patient/innen lebt allein, etwa 30 Prozent leben in einer Beziehung (davon zwölf Prozent in einer gemeinsamen Wohnung mit Kindern), sechs Prozent sind alleinerziehend.
Die meisten der Patient/innen hatten einen guten Bildungsabschluss: 43 Prozent verfügen über eine abgeschlossenen Lehre, 25 Prozent haben Abitur oder studiert. Nur ein Prozent verfügt über keinen Abschluss. Während der Betreuung in der Pilotphase waren 60 Prozent der Patient/innen arbeitslos, 25 Prozent hatten einen Arbeitsplatz, und 15 Prozent waren nicht erwerbstätig.
Insgesamt wurde das Pilotprojekt von den Patient/innen sehr gut angenommen. Die Rückmeldungen sind überwiegend positiv und begrüßen, dass das neue integrierte Versorgungssystem eine Erleichterung und eine verbesserte Betreuung für Menschen mit einer Alkoholerkrankung in Wien bewirkt. Die Angebote des Pilotprojektes werden sehr positiv angenommen, was sich auch in einer sehr geringen Abbruchsquote widerspiegelt: Nur drei Prozent der Personen, die einen Maßnahmenplan erhalten haben, haben diesen nicht angetreten, nur 19 Prozent der Patient/innen haben bisher den Maßnahmenplan vor dem geplanten Ende der Betreuung abgebrochen.
Abbildung 4: Nicht-Antritts-Quote und Abbruchquote (MNP = Maßnahmenplan)
Die Kosten für diese erste Pilotphase beliefen sich auf weniger als drei Millionen Euro und lagen damit um 13 Prozent unter den prognostizierten Kosten von 3,5 Millionen Euro. Dieser Betrag beinhaltet alle ambulanten und stationären Leistungen in den betreuenden Einrichtungen (Leistungsmodule) sowie die Leistungen des regionalen Kompetenzzentrums, die Kosten für den Bewilligungsprozess durch das Institut für Suchtdiagnostik, für das Nahtstellenmanagement durch die Liaisondienste sowie für das Dokumentationssystem und für eine umfassende externe Evaluierung (Rahmenmodule).
Trotz der deutlich umfassenderen Leistungen und einer Betreuungsdauer von mehr als einem Jahr entsprechen die Betreuungskosten im integrierten Versorgungssystem „Alkohol 2020“ während der Pilotphase 1 damit pro Person den bisherigen Betreuungskosten im rein stationären Versorgungssystem bei einer Aufnahmedauer von durchschnittlich nur knapp zwei Monaten.
Fallbeispiele aus der Pilotphase 1
Herr. W ist 53 Jahre alt und wies in den vergangenen 30 Jahren immer wieder problembehaftete Alkoholkonsummuster auf. Nach der Scheidung von seiner Partnerin und insbesondere nach einer Krebsdiagnose im Jahr 2010 stieg sein Konsum sehr stark an. Herr W. hatte in der Vergangenheit bereits einen stationären Aufenthalt sowie eine ambulante Behandlung seiner Alkoholkrankheit in Anspruch genommen, empfand diese Maßnahmen aber als wenig hilfreich.
Von seinem Sohn erfuhr er vom Projekt „Alkohol 2020“ und wandte sich an das regionale Kompetenzzentrum. Dort wurde mit dem Klienten eine ambulante Therapie beim Verein p.a.S.S. vereinbart. Die medizinischen und psychotherapeutischen Angebote nahm Herr W. sehr gut an, es konnte damit begonnen werden, die Gewalterfahrungen, die Herr W. im Kindesalter gemacht hat, aufzuarbeiten.
Durch den guten Therapieverlauf konnte Herr W. im Herbst 2016 seinen Beruf als Altenpfleger, den er seit 2010 nicht mehr ausüben konnte, wieder aufnehmen.
***
Frau Y. ist 41 Jahre alt und begann bereits mit elf Jahren, Alkohol zu konsumieren. Zum Zeitpunkt des Erstgesprächs hatte Frau Y. einen episodisch stark auftretenden Konsum (bis zu elf Gläser Wein). Bei Frau Y. wurden bereits zuvor mehrere psychische Störungen diagnostiziert. Sie gilt als zu 50 Prozent behindert und bezieht Bedarfsorientierte Mindestsicherung. Frau Y. besitzt keinen Schulabschluss und hatte bisher meist nur kurze Beschäftigungsverhältnisse. Ihre Tagesstruktur besteht hauptsächlich aus Computerspielen – laut eigenen Angaben, um ihren Problemen zu entfliehen. Sie wurde im Rahmen eines Krankenhausaufenthalts auf das Projekt „Alkohol 2020“ hingewiesen.
Aufgrund der sehr komplexen Multiproblemlage wurde im regionalen Kompetenzzentrum gemeinsam mit Frau Y. vereinbart, dass eine längere Betreuung im Ausmaß von zwölf Monaten sinnvoll wäre. Ebenso wurde eine Beschäftigungsmaßnahme organisiert, um die Fähigkeiten von Frau Y. zu stärken, ihr langfristig eine Perspektive am Arbeitsmarkt zu eröffnen und eine sinnvolle Tagesstruktur zu ermöglichen.
Frau Y. begann ihre ambulante Therapie beim Verein Grüner Kreis. Sie kann das Erarbeitete im Alltagsleben gut umsetzen und macht eindeutige Fortschritte. Sie ist seit einigen Monaten auch rückfallfrei. Des Weiteren konnte Frau Y. in den zweiten Arbeitsmarkt integriert werden. Sie arbeitet seit einigen Monaten als Teilzeitbeschäftigte in einem sozialökonomischen Betrieb in Wien.
Ausblick: Pilotprojekt Phase 2
Seit April 2016 wird das Projekt „Alkohol 2020“ in Wien im Rahmen einer zweiten Pilotphase fortgeführt. In dieser Pilotphase beteiligen sich zusätzlich die vier bundesweit zuständigen Sonderversicherungsträger (Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft/SVA, Sozialversicherungsanstalt der Bauern/SVB, Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau/VAEB, Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter/BVA) sowie örtlich ansässige Krankenversicherungsträger (Krankenfürsorgeanstalt der Bediensteten der Stadt Wien/KFA, Betriebskrankenkassen) an der Finanzierung des Projekts. Pro Monat können bis zu 100 alkoholkranke Menschen, die bei einem der teilnehmenden Kostenträger krankenversichert sind, neu in das Projekt aufgenommen und im Rahmen von „Alkohol 2020“ versorgt werden.
Das integrierte Versorgungskonzept wird kontinuierlich weiterentwickelt und adaptiert. Unter anderem wird das Leistungsangebot durch Kooperationen mit weiteren Einrichtungen laufend ausgebaut, um die Patient/innen bedarfsgerecht zu versorgen. Auch das Case Management des regionalen Kompetenzzentrums wurde seit Beginn der Pilotphase 2 intensiviert. Nach Ende des Maßnahmenplans erfolgt nun ein Abschlussgespräch mit den Patient/innen im regionalen Kompetenzzentrum, in dem unter anderem rückblickend die Betreuung im Maßnahmenplan sowie zukünftige Möglichkeiten zur Rückfallbewältigung thematisiert werden und eine gute Anbindung an das allgemeine Gesundheits- und Sozialsystem sichergestellt wird.
Ziel ist es, bis zum Jahr 2020 ein integriertes Versorgungssystem aufzubauen, das bewirkt, dass alkoholkranke Menschen nachhaltig subjektiv und objektiv gesünder und in das gesellschaftliche Leben integriert sind.
Kontakt:
Lenea Reuvers, M.A.
Leiterin Projekt „Alkohol 2020“
Sucht- und Drogenkoordination Wien gGmbH
Modecenterstraße 14/Block B/2.OG
1030 Wien
Österreich lenea.reuvers@sd-wien.at Projekt „Alkohol 2020“
Angaben zur Autorin:
Lenea Reuvers studierte Internationale Beziehungen und Ökonomie an der University of Warwick (UK) und der SAIS Johns Hopkins University (Bologna/USA). Nach ihrem Studium arbeitete sie in der Außen- und Entwicklungspolitik, bevor sie zur Sucht- und Drogenkoordination Wien wechselte. Dort leitet sie seit August 2013 das Projekt „Alkohol 2020“ mit dem Ziel, ein integriertes Versorgungssystem für alkoholkranke Menschen aufzubauen, in dem erstmals die verschiedenen Bereiche des Gesundheits- und Sozialsystems wie auch verschiedene Kostenträger miteinander kooperieren.
Literatur:
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) (Hrsg.) (2015). S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen”. AWMF-Register Nr. 076-001. URL: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/076-001.html (letzter Zugriff am 01.02.2017).
Czypionka, T., Pock, M., Röhrling, G., Sigl, C. (2013). Volkswirtschaftliche Effekte der Alkoholkrankheit. Eine ökonomische Analyse für Österreich. Wien: Institut für höhere Studien.
PVA/SDW/WGKK (2014). Alkohol 2020 – Gesamtkonzept für eine integrierte Versorgung von Menschen mit einer Alkoholerkrankung in Wien, Wien: Sucht- und Drogenkoordination Wien gGmbH.
Uhl, A., Bachmayer, S., Kobrna, U., Puhm, A., Kopf, N., Beiglböck, W., Eisenbach-Stangl, I., Preinsberger, W., Musalek, M. (2009). Handbuch Alkohol – Österreich. Zahlen, Daten, Fakten, Trends. 3., überarbeitete und ergänzte Auflage. Wien: Bundesministerium für Gesundheit.
World Health Organization (WHO) (2014). Global status report on alcohol and health 2014. Geneva: WHO.
World Health Organization (WHO) (2015). The European health report 2015 / Targets and beyond – reaching new frontiers in evidence. Copenhagen: WHO.
Das Bundeskabinett hat am 15. März 2017 die Dritte Verordnung zur Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) beschlossen. Die BtMVV regelt die zentralen Ziele der ärztlichen Substitutionstherapie von Menschen, die durch den Gebrauch illegaler Drogen abhängig geworden sind. Die betäubungsmittelrechtlichen Vorgaben an die Substitutionstherapie sind insgesamt darauf ausgerichtet, den Beteiligten zu einem Leben ohne Drogen zu verhelfen. Derzeit befinden sich über 77.000 Menschen mit einer Abhängigkeit von illegalen Drogen in einer Substitutionsbehandlung.
Mit der Neuregelung werden folgende bislang in der BtMVV geregelte Punkte in die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer überführt:
Voraussetzungen für die Einleitung und Fortführung der Therapie
der Umgang mit dem Gebrauch weiterer legaler oder illegaler Substanzen während einer Substitutionstherapie (Beikonsum)
das Verschreiben des Substitutionsmittels zur eigenverantwortlichen Einnahme durch Patientinnen und Patienten, die einen gefestigten Umgang mit ihrem Suchtverhalten haben
die Entscheidung über die Erforderlichkeit einer zusätzlichen psychosozialen Betreuung
Der Grundsatz, dass Substitutionsmittel nur zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden, also nur im Beisein von Fachpersonal eingenommen werden dürfen, bleibt auch in Zukunft erhalten. Die bisherige Ausnahme einer Verschreibung des Substitutionsmittels an gefestigte Patientinnen und Patienten zur eigenverantwortlichen Einnahme (Take-Home-Verschreibungen) wird fortentwickelt. In begründeten Einzelfällen dürfen Substitutionsärztinnen und -ärzte ein Mittel künftig für den Bedarf von bis zu 30 Tagen (statt grundsätzlich bis zu sieben Tagen) auch bei Inlandsaufenthalten verschreiben. Das erleichtert sowohl die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte als auch den Weg der Substitutionspatienten in ein selbstbestimmtes Leben.
Um die wohnortnahe Versorgung der Betroffenen zu verbessern, wird zudem der Katalog der Einrichtungen, die Substitutionsmittel an Betroffene ausgeben dürfen, ausgeweitet. Hierzu zählen künftig etwa Rehabilitationseinrichtungen, Gesundheitsämter, Alten- und Pflegeheime sowie Hospize.
Die Vorschriften zur Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs, die im Rahmen einer Substitutionstherapie unverzichtbar sind, werden dagegen in der BtMVV fortgeführt.
Die Neuregelungen zielen auch darauf ab, mehr Ärztinnen und Ärzte für die Beteiligung an der Substitutionsbehandlung zu gewinnen und damit die Versorgung der Substitutionspatientinnen und -patienten, vor allem im ländlichen Raum, zu verbessern. Mit der BtMVV werden die vor über 20 Jahren erlassenen betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften zur Therapie von Patientinnen und Patienten mit einer Abhängigkeit etwa von Heroin weiterentwickelt. Maßgeblich hierfür sind aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Versorgungserfordernisse.
Die Verordnung bedarf der Zustimmung des Bundesrates.
transcript Verlag, Bielefeld 2016, 415 Seiten, € 39,99, ISBN 978-3-8376-3285-9, auch als E-Book erhältlich
Mehr als drei Jahrzehnte Frauensuchtarbeit in Deutschland: Was ist aus den ursprünglichen Konzepten geworden? Welche Errungenschaften und Entwicklungen lassen sich nachzeichnen? Welche neuen Herausforderungen sind zu beobachten?
Dieser Band gibt erstmals einen umfassenden Überblick über theoretische Bezüge, Geschichte und Prämissen der Frauensuchtarbeit und untersucht, wie ihre Konzepte implementiert und weiterentwickelt wurden. Die Beiträge beleuchten aus Sicht von Wissenschaft und Praxis zentrale Themen der frauenbezogenen Suchtarbeit und reflektieren, welche Anforderungen sich vor dem Hintergrund von gesellschaftlichen Transformationsprozessen, Generationenwechsel und Feminismus ergeben.
Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt a. M. 2016, 208 Seiten, € 24,90, ISBN 978-3-95558-177-0
„Das Buch gibt den Anstoß zu einer Diskussion in der Psychoanalyse, die heute weltweit mit den modernsten Kommunikationsformen arbeitet und als Analyse im Cyberspace dazu führt, dass an der analytischen Praxis zwangsläufig dies oder jenes modifiziert wird. Die Autoren befassen sich mit den besonderen Facetten der neuen Aufgabe, so dass dieser wichtige Band den Anfang einer Debatte markiert.“ (Christopher Bollas, PhD, Psychoanalytiker)
Die Beiträge geben ein anschauliches Beispiel dafür, dass die neuen Technologien zum integralen Bestandteil unseres Alltags geworden und mittlerweile still und heimlich ins psychoanalytische Setting eingedrungen sind. Sie gehen der Frage nach, wie sich diese Technologien auf die psychoanalytische Praxis auswirken, und erörtern Vor- und Nachteile ihrer Übernahme.
„[Der Sammelband] wirft nicht nur die Frage auf, welche Chancen und Risiken sich für Analytiker und Analysanden durch die Variation des analytischen Settings durch moderne Kommunikationsmittel bieten. Die Aufsätze gehen weit darüber hinaus, indem sie die Frage aufwerfen, wie sich die Psyche im Cyberspace entfaltet. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Kindern und Jugendlichen, die als Digital Natives in die digitale Welt hineingeboren werden. (…) Angesichts der Möglichkeiten von Augmented Reality, die schon heute viel mehr kann, als kleine Pokémons auf Bildschirmen in unsere Umwelt zu projizieren, könnte die Frage, wie sich die Psyche im Cyberspace entfaltet, zu einer der Kernfragen des 21. Jahrhunderts werden.“ (Marlen Hobrack, in: Der Freitag)
Die Aktionswoche Alkohol findet alle zwei Jahre statt und wird in diesem Jahr bereits zum sechsten Mal aufgelegt. Dabei haben sich bereits Zehntausende beteiligt und an einer oder mehrerer der vielen Veranstaltungen teilgenommen. Um auch in der Zukunft möglichst viele Menschen für die Aktionswoche begeistern zu können und sie noch bekannter zu machen, wurde ein Kurzfilm entwickelt: Was die Aktionswoche ist, warum sie sinnvoll ist und wer wie mitmachen kann – all das wird in dem neuen Video zur Aktionswoche Alkohol erklärt. Der Film wurde mit freundlicher Unterstützung des Bundesverbandes für stationäre Suchtkrankenhilfe e. V. und der Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband realisiert. Die Botschaft des Films lautet „Machen Sie mit und seien Sie dabei!“
Auch Sie dürfen das Erklärvideo gerne für Ihre Öffentlichkeitsarbeit verwenden, um über die Aktionswoche Alkohol zu informieren und für Ihre Veranstaltung(en) zu werben. Sie finden das Video hier und auf dem YouTube-Kanal der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS).
Die Aktionswoche Alkohol ist auch auf Facebook vertreten. Auf www.facebook.com/aktionswochealkohol können sich Veranstalter und Interessierte zusätzlich über Neuigkeiten zur Aktionswoche informieren sowie Fragen und Kommentare zum Thema Alkohol posten.
Quelle: Website der Aktionswoche Alkohol, 10.03.2017
Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) beauftragte im Jahre 2015 ein interdisziplinäres wissenschaftliches Team (Klaus Wölfling, Matthias Brand, Nicole Krämer, Sabine Löber, Astrid Müller, Bert te Wildt) mit der Erstellung eines Gutachtens („Neue elektronische Medien und Suchtverhalten“). Gegenstand des Gutachtens war die Sichtung und Aufbereitung des aktuellen Kenntnisstands über mögliche negative Folgen, die mit der Nutzung neuer Medien in Zusammenhang stehen. Insbesondere bestand der Auftrag darin, die vorliegende Vielfalt der wichtigsten wissenschaftlichen und klinischen Studien zum Thema Internetsucht systematisch zu sondieren und eine Einschätzung darüber zu geben, inwieweit hier von einer konkreten Gesundheitsgefährdung auszugehen ist. Basierend auf den Inhalten dieses mehrere hundert Seiten umfassenden Gutachtens, wurde von den Mitarbeitern des TAB (Autoren: Michaela Evers-Wölk, Michael Opielka, Matthias Sonk, 2016) eine zusammenfassende Stellungnahme ausgefertigt, welche wesentliche Inhalte des Originalgutachtens enthält.
Aus dieser Zusammenfassung geht hervor, dass es eine ausreichende empirische Evidenz dafür gibt, dass Internetsucht nicht nur ein existierendes Phänomen ist, sondern es auch mit teils gravierenden negativen Effekten auf die psychische und vermutlich auch physische Gesundheit in Zusammenhang steht. Weiter geht hervor, dass davon auszugehen ist, dass Internetsucht als Überbegriff aufzufassen ist und eine entsprechende feinkörnigere Bestimmung des Subtyps notwendig erscheint. Hier wird auf grundsätzlichen weiteren Forschungsbedarf hingewiesen, gleichzeitig jedoch betont, dass ein Suchtverhalten insbesondere hinsichtlich der Nutzung von (Online-)Computerspielen, Online-Pornographie, Online-Einkaufsplattformen und Online-Glücksspielen gut dokumentiert ist. Insbesondere neurowissenschaftliche Studien bestätigen die Nähe der Internetsucht zu anderen Abhängigkeitserkrankungen, wobei gleichwohl davon auszugehen ist, dass exzessive Nutzungsmuster auch ein sekundärer Ausdruck einer anderen psychischen Problematik sein können.
Das Gutachten beinhaltet nicht wirklich neue Erkenntnisse, ist jedoch vor dem Hintergrund seiner gesundheitspolitischen Bedeutung nicht zu unterschätzen. Hier erscheinen insbesondere die dem Gutachten angeschlossenen Empfehlungen, die seitens des interdisziplinären Teams ausgesprochen wurden, von Relevanz. Konkret beinhalten diese:
eine Intensivierung der wissenschaftlichen Forschung zur Internetsucht, insbesondere die Durchführung klinischer Studien zur Bestimmung der Wirksamkeit von Interventionsmaßnahmen, sowie zur Identifikation von Risikofaktoren für Internetsucht,
eine deutliche Verbesserung der Versorgungssituation von Betroffenen und deren Angehörigen,
eine möglichst großflächige Implementierung von Maßnahmen der Prävention und Frühintervention sowie deren systematische Evaluation und
die klare Forderung, Internetsucht als eigenständiges Störungsbild anzuerkennen und somit für Betroffene eine Versorgungssicherheit zu schaffen.
Die auf dem Gutachten basierende Stellungnahme ist frei zugänglich und kann auf der Website des TAB als PDF-Dokument in einer Lang- und einer Kompaktfassung abgerufen werden. Eine Veröffentlichung der wesentlichen Inhalte des Originalgutachtens ist seitens der Autoren ebenfalls geplant.
Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2016, 132 Seiten, € 14,95, ISBN 978-3-95466-291-3
Kaum eine öffentliche Debatte erlangt derzeit so viel Aufmerksamkeit in Politik, Medien und Medizin wie die Frage nach der Legalisierung von Cannabis. Häufig prallen mit den Gegnern und Befürwortern der Cannabislegalisierung extreme Positionen und Ideologien aufeinander, ohne dass den medizinisch-wissenschaftlichen Fakten Rechnung getragen würde. Dieses Buch informiert über sämtliche Bereiche, die mit der Cannabispflanze zu tun haben: von der Botanik über die Inhaltsstoffe bis hin zu den verbreiteten Handelsformen.
Mit Blick auf die wechselvolle Geschichte von Cannabis wird deutlich, dass es bei Fragen der Legalisierung nicht immer nur um die Gesundheit des Menschen geht. Oft stehen politische und wirtschaftliche Interessen im Vordergrund. Kompakt und präzise bietet das „Weißbuch Cannabis“ einen aktuellen und leserfreundlichen Leitfaden zu allen Aspekten von Cannabis. Handelt es sich bei der Pflanze und ihren Wirkstoffen um ein vielseitiges Medikament mit geringen Nebenwirkungen? Oder dient die Legalisierung der Arzneimitteltherapie nur als Vorwand, um Cannabis als Droge und Genussmittel leichter zugänglich zu machen?
Mit dem bevorstehenden Inkrafttreten des Gesetzes „Cannabis als Medizin“ wird im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Cannabisagentur eingerichtet. Die Cannabisagentur wird den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland steuern und kontrollieren. Unmittelbar nach ihrer Einrichtung wird die Cannabisagentur ein EU-weites Ausschreibungsverfahren starten und anschließend Aufträge zum Anbau an geeignete Unternehmen vergeben. Ziel ist es, die Versorgung schwerkranker Patientinnen und Patienten künftig mit in Deutschland angebautem Cannabis in pharmazeutischer Qualität sicherzustellen.
Die Cannabisagentur wird als neues Fachgebiet in der Abteilung „Besondere Therapierichtungen“ im BfArM eingerichtet. Weitere Aufgaben werden bei der Bundesopiumstelle im BfArM angesiedelt. Darunter auch eine Begleiterhebung, um weitere Erkenntnisse über die Wirkung von Cannabis als Medizin zu gewinnen. Wie bisher wird die Bundesopiumstelle außerdem die Importe von Cannabis überwachen, mit denen die Versorgung der Patientinnen und Patienten sichergestellt wird, solange noch keine Ernte in Deutschland erfolgen kann. Das BfArM geht davon aus, dass im Jahr 2019 Cannabis aus dem Anbau in Deutschland zur Verfügung stehen wird, da der Anbau unter den betäubungs- und arzneimittelrechtlichen Vorgaben erst umgesetzt werden muss. Der Import von Cannabis wird auch über diesen Zeitpunkt hinaus möglich sein. Derzeit wird Cannabis zu medizinischen Zwecken aus den Niederlanden und Kanada importiert. Grundsätzlich kann Cannabis aus jedem Land importiert werden, das den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken unter staatlicher Kontrolle durchführt und das Cannabis in Arzneimittelqualität anbieten kann.
Cannabis wird ausschließlich zu medizinischen Zwecken angebaut werden. Es handelt sich also um ein Arzneimittel. Dieses Cannabis muss daher alle arznei- und betäubungsmittelrechtlichen Anforderungen erfüllen. Es wird nur solches Cannabis verwendet werden, das entsprechend der Vorgaben der „Guten Praxis für die Sammlung und den Anbau von Arzneipflanzen“ (Good Agricultural and Collection Practice, GACP) angebaut wurde und die Vorgaben der relevanten Monografien und Leitlinien erfüllt.
Wenn der Anbau in Deutschland erfolgt, wird die Cannabisagentur die Ernte in Besitz nehmen und die Auslieferung an Apotheken zur Versorgung von Patientinnen und Patienten steuern. Der Anbau erfolgt jedoch nicht im BfArM oder durch das BfArM selbst, sondern durch Unternehmen, die im Ausschreibungsverfahren ausgewählt und von der Cannabisagentur beauftragt werden. Die Ernte wird nicht ins BfArM transportiert, nicht dort gelagert und auch nicht von dort aus weiterverteilt. Diese Schritte werden räumlich bei den jeweiligen Anbaubetrieben bzw. weiteren beauftragten Unternehmen angesiedelt sein. Nach den Vorgaben im Einheitsübereinkommen muss die Cannabisagentur das Cannabis aufkaufen. Die Cannabisagentur wird dann einen Herstellerabgabepreis festlegen und das Cannabis an Hersteller von Cannabisarzneimitteln, Großhändler oder Apotheken verkaufen. Dabei darf das BfArM keine Gewinne oder Überschüsse erzielen. Bei der Preisbildung werden jedoch die beim BfArM anfallenden Personal- und Sachkosten berücksichtigt. Auf den tatsächlichen Abgabepreis in der Apotheke hat das BfArM jedoch keinen Einfluss. Die Vertriebswege von Herstellern und Händlern werden den gesetzlichen Regelungen entsprechen und sind daher mit den Regelungen beim Vertrieb anderer betäubungsmittelhaltiger Arzneimittel identisch.
Mit Blick auf zu erwartende und benötigte Verbrauchs- und Erntemengen wird sich das BfArM in der Ausschreibung festlegen. Der exakte künftige Mengenbedarf kann derzeit jedoch nur geschätzt werden. Bisher hatten etwa 1.000 Patientinnen und Patienten eine Ausnahmeerlaubnis zum Erwerb von Cannabis zu medizinischen Zwecken. Bei einem durchschnittlichen Tagesbedarf von einem Gramm pro Person würden 365 Kilogramm pro Jahr benötigt, um alleine diese Patientinnen und Patienten kontinuierlich über die Verordnung von Cannabis zu versorgen. Für die Zukunft wird genau zu beobachten sein, wie sich das Verschreibungsverhalten entwickelt und inwieweit Cannabis für Patientinnen und Patienten eine adäquate Behandlungsform darstellt. Grundsätzlich soll der Zugang zu Cannabisarzneimitteln nur für solche Patientinnen und Patienten offenstehen, die mit anderen verfügbaren Arzneimitteln nicht zufriedenstellend therapiert werden können.
Durch Inkrafttreten des beschlossenen Änderungsgesetzes wird die Verschreibungsfähigkeit für weitere Cannabisarzneimittel hergestellt. Ärztinnen und Ärzte können künftig auch Medizinal-Cannabisblüten oder Cannabisextrakt in pharmazeutischer Qualität auf einem Betäubungsmittelrezept verschreiben. Dabei müssen sie arznei- und betäubungsmittelrechtliche Vorgaben einhalten. Neben den neuen Regelungen bleiben die bisherigen Therapie- und Verschreibungsmöglichkeiten für die Fertigarzneimittel Sativex® und Canemes® sowie das Rezepturarzneimittel Dronabinol bestehen.
Das BfArM wird nicht zur Therapie selbst oder zu den Anwendungsgebieten von Cannabisarzneimitteln beraten. Wie bei anderen Arzneimitteln auch, gibt das BfArM keine Therapieempfehlungen. Die Abgabe der entsprechenden Arzneimittel an die Patientinnen und Patienten wird nach Vorlage des Betäubungsmittelrezepts in der Apotheke erfolgen. Das bisherige Erlaubnisverfahren nach § 3 Absatz 2 BtMG zum Erwerb von Medizinal-Cannabis zum Zweck der ärztlich begleiteten Selbsttherapie wird dann entfallen.
Einzelne Patientinnen und Patienten werden künftig Medizinal-Cannabisblüten oder Cannabisextrakt erhalten. Cannabisblüten bestehen aus den blühenden, getrockneten Triebspitzen der weiblichen Pflanze von Cannabis sativa L. (Cannabaceae). Die zwei hauptsächlich an der Wirkung von Cannabis beteiligten Inhaltsstoffe heißen Delta-9-Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol. Der Gehalt an Delta-9-Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol variiert je nach Sorte. Ein Cannabisextrakt wird aus Cannabisblüten unter Verwendung eines Auszugsmittels in pharmazeutischer Qualität hergestellt. Ein Extrakt enthält einen bestimmten Gehalt von Delta-9-Tetrahydrocannabinol und wird in der Apotheke zu einer üblichen Arzneimittel-Darreichungsform, wie beispielsweise Kapseln oder Tropflösung, für die Einnahme durch die Patientinnen und Patienten verarbeitet.
Zur Anwendung von Cannabisblüten und nicht zugelassenen Cannabisextrakten liegen bislang nur begrenzte Informationen zu Wirksamkeit und Sicherheit vor. Trotz zahlreicher Veröffentlichungen ist die Menge der tatsächlich auswertbaren wissenschaftlichen Daten derzeit noch gering. Daher kommt der Begleiterhebung, die künftig in der Bundesopiumstelle durchgeführt wird, eine besondere Bedeutung zu. Ärztinnen und Ärzte melden dazu dem BfArM anonymisierte Daten zur Therapie mit Cannabisarzneimitteln, die über fünf Jahre gesammelt und dann ausgewertet werden. Diese Daten werden im Anschluss eine grundsätzliche Einschätzung zulassen, ob die Anwendung von Cannabisarzneimitteln in nicht zugelassenen Indikationen mehr Chancen als Risiken beinhaltet. Sie können damit Grundlage sein für die weitere klinische Forschung mit Cannabisarzneimitteln mit dem Ziel, langfristig die Zulassung von Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis zu erreichen.
Pressestelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), 03.03.2017