Schattauer, Stuttgart 2017, 168 Seiten, € 29,99, ISBN 978-3-7945-3195-0, auch als E-Book erhältlich
In der psychosozialen und psychotherapeutischen Versorgung werden professionelle und praktische Kenntnisse zum Umgang mit teilweise schwer traumatisierten Flüchtlingen immer wichtiger. Das Buch gibt niedergelassenen und stationär arbeitenden Therapeuten und Ärzten sowie sozialpsychiatrischen Diensten einen an der Praxis ausgerichteten Überblick über die besonderen Anforderungen in der psychosozialen Arbeit mit Flüchtlingen. Was es im Umgang mit dieser speziellen Patientengruppe, etwa bei der Gestaltung des therapeutischen Settings oder bei der Überwindung von Sprachbarrieren, zu beachten gilt, wird praxisnah erläutert und anhand zahlreicher Fallbeispiele veranschaulicht. Neben der Diagnostik und psychotherapeutischen Behandlung befassen sich die Autoren unter anderem mit sozialen, juristischen und formalen Aspekten:
Wie beeinflusst die Arbeit mit einem Dolmetscher das therapeutische Setting?
Wie läuft ein Asylverfahren ab und wie sieht es mit der Krankenversicherung aus?
Auch Besonderheiten bei der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, von Familien und Kindern und bei der Begutachtung werden in den Blick genommen.
Die Hessische Landesstelle für Suchtfragen e. V. (HLS) hat im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration (HMSI) ein Erklärvideo für Flüchtlinge entwickelt. Es thematisiert Gefährdungen durch Alkoholkonsum bei Geflüchteten und ist ab sofort in den Sprachen Deutsch, Englisch, Arabisch, Dari und Tigrinya (Amtssprache in Eritrea) auf der Homepage der HLS (www.hls-online.org) verfügbar.
Gerade jüngere männliche Flüchtlinge versuchen manchmal, den Alltag mit dem Konsum von Alkohol zu überbrücken. Allerdings sind viele von ihnen aufgrund ihrer Herkunft nicht an den Konsum von Alkohol gewöhnt. Dies kann bei den Betroffenen zu Gesundheitsgefährdungen und aufgrund des Verhaltens im alkoholisierten Zustand zu Unmut in ihrer Umgebung führen.
Der Hessische Gesundheitsminister Stefan Grüttner betont, dass „wir alle gemeinsam in unseren Bemühungen nicht nachlassen dürfen, speziell junge Menschen vor den Gefahren von Alkoholmissbrauch zu warnen. Das Thema Alkohol geht uns alle an – wir alle müssen Verantwortung für einen maßvollen Alkoholkonsum übernehmen und weiter für die Problematik eines riskanten Konsums sensibilisieren.“
„Das Erklärvideo in verschiedenen Sprachen (u. a. Arabisch, Dari, Englisch) verdeutlicht in zwei Minuten die Risiken des Alkoholkonsums. Weiterhin gibt es Hinweise zu Informationsmöglichkeiten und Unterstützungsangeboten. In einfacher Sprache gehalten und mit animierten Bildern umgesetzt, fördert es die Sensibilität und Aufmerksamkeit für das Thema“, so Wolfgang Schmidt-Rosengarten, Geschäftsführer der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen, bei der Vorstellung des Videos.
„Vor dem Hintergrund, dass die geflüchteten Menschen fast alle über Smartphones verfügen, haben wir uns dazu entschlossen, die Botschaften nicht auf traditionellem Wege über Flyer zu kommunizieren, sondern über das Medium Erklärvideo“, erläutert Schmidt-Rosengarten.
Das mit Mitteln des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration finanzierte Video steht auf der Homepage der HLS (www.hls-online.org) zum Download bereit. Alle Organisationen, die mit geflüchteten Menschen arbeiten, sind eingeladen, das Video herunterzuladen und es in ihrem Bereich zu verbreiten. Auf YouTube ist das Video ebenfalls in allen Sprachvarianten eingestellt.
Hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS), 17.02.2017
Warum konsumieren einige Jugendliche exzessiv Drogen, während andere dem Drogenkonsum widerstehen können? Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) haben durch Messungen der Hirnaktivität von Jugendlichen verschiedene Merkmale gefunden, die die Entstehung von Suchterkrankungen bei Jugendlichen begünstigen könnten. Die Studie basiert auf Daten der europaweiten Stichprobe IMAGEN. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichten die UKE-Wissenschaftler nun mit US-Kollegen im renommierten Fachmagazin Nature Communications.
„Unsere Ergebnisse belegen, dass eine unterdurchschnittliche Aktivierbarkeit des Belohnungssystems im Gehirn und eine geringere Funktion der präfrontalen Kontrollareale des Gehirns einen späteren problematischen Drogenkonsum begünstigen“, sagt Prof. Dr. Christian Büchel, Leiter des Instituts für Systemische Neurowissenschaften des UKE. Zudem konnten die Wissenschaftler zeigen, dass auch andere Gehirnareale bei den betroffenen Jugendlichen im Alter von 14 Jahren einen Entwicklungsrückstand hatten. „Durch unsere Untersuchung haben wir die Chance, frühzeitig – im Alter von 14 Jahren – diejenigen Jugendlichen zu identifizieren, die besonders gefährdet sind, mit 16 Jahren einen problematischen Drogenkonsum zu entwickeln“, sagt Prof. Büchel.
Vor Beginn der Studie war bereits bekannt, dass Jugendliche mit problematischem Drogenkonsum einen Hang zur Abenteuerlust haben. Das Team um Prof. Büchel untersuchte daher Daten von Jugendlichen aus der europaweiten Studie IMAGEN, bei denen die Abenteuerlust im Alter von 14 Jahren besonders deutlich ausgeprägt war. Bei der Auswertung der Messdaten der Hirnaktivitäten fanden die Wissenschaftler die möglichen Merkmale, die auf einen problematischen Umgang mit Alkohol, Tabak und Cannabis im Alter von 16 Jahren hinweisen könnten.
Die von den Hamburger Neurowissenschaftlern verwendeten Daten stammen aus der so genannten IMAGEN-Stichprobe. Das 2007 von der EU initiierte und in Deutschland mit Mitteln des Bundesforschungsministeriums (BMBF) im Rahmen des Projektes AERIAL weitergeführte Forschungsvorhaben ist die erste und weltweit größte Längsschnittstudie, die der Entwicklung von Süchten im Jugendalter auf den Grund geht. In die Studie wurden bislang 2.000 Mädchen und Jungen im Alter von 14 Jahren aufgenommen. Sie stammen aus Großbritannien, Irland, Frankreich und Deutschland. Allein 250 Jugendliche kommen aus Hamburg und werden vom Team um Prof. Büchel betreut. Alle teilnehmenden Jugendlichen wurden mit jeweils 14 und 16 Jahren intensiv befragt, psychologischen Tests unterzogen und genetisch untersucht. Mithilfe der funktionellen Kernspintomographie (fMRT) wurden zudem ihre Hirnaktivitäten aufgezeichnet. 2017, wenn viele der Jugendlichen schon 20 und 21 Jahre alt sind, beginnt die dritte Nachuntersuchungsphase.
Literatur:
Büchel, C. et al., Blunted ventral striatal responses to anticipated rewards foreshadow problematic drug use in novelty-seeking adolescents, Nat. Commun. 8, 14140 (2017)
Pressestelle des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, 22.02.2017
In diesem Artikel werden ausgewählte Ergebnisse einer Evaluation der Eingliederungshilfe Sucht in Hamburg vorgestellt. Die Studie wurde von der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) in Hamburg in Auftrag gegeben und vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS) realisiert. Der entsprechende Studienbericht liegt seit April 2016 vor (Degkwitz et al. 2016).
Eingliederungshilfe als Versorgungsbereich bei Abhängigkeitserkrankungen
Leistungen der Eingliederungshilfe (EGH) für Menschen mit Suchterkrankungen erhalten Personen, „die durch eine Behinderung (…) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind“ (SGB XII, §53). Diese Leistungen werden nach § 54, SGB XII, nachrangig zu Rehabilitationsmaßnahmen der Kranken-, Renten- und Unfallversicherung (als den vorrangig verpflichteten Kostenträgern) gewährt. Die EGH Sucht hat sich ab Mitte der 1970er Jahre als spezialisierter Leistungsbereich für Abhängigkeitserkrankte mit kooperierenden Einrichtungen in Hamburg und Umgebung als eine wichtige Säule der Hamburger Sozial- und Gesundheitspolitik etabliert. Die Angebote der EGH Sucht dienen als Vorbereitungsmaßnahmen zur medizinischen Rehabilitation (Vorsorge) sowie als sich anschließende Übergangsmaßnahmen nach einer Rehabilitation bzw. Adaption (Nachsorge). Unter die EGH fallen auch langfristige stationäre, teilstationäre und ambulante Maßnahmen für chronisch beeinträchtigte Abhängigkeitserkrankte, sofern der Anspruch auf medizinische Rehabilitation nicht oder nicht mehr besteht (BGV 2014).
Fragestellung und Design
Die Zunahme an Personen pro Jahr, die Neu- bzw. Weiterbewilligungen erhalten, der Anstieg der Gesamtdauer bewilligter Maßnahmen sowie die generelle Kostensteigerung der EGH für Suchtkranke sind der Ausgangspunkt dieser Untersuchung. Die Studie sollte Hintergründe der genannten Entwicklungen klären sowie die Zielerreichung der Maßnahmen der Eingliederungshilfe Sucht untersuchen.
Die besondere Aufgabe oder Zielsetzung der Eingliederungshilfe besteht darin, „den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen“ (SGB XII, §53) und dabei „möglichst viel Raum zu eigenverantwortlicher Gestaltung ihrer Lebensumstände“ zu lassen und Selbstbestimmung zu fördern (SGB IX, §9, Abs. 3). Das zeigt sich an Kriterien wie finanzieller Unabhängigkeit, eigenem Wohnraum, der Fähigkeit zur Selbstversorgung und dem Nachgehen einer Beschäftigung. Bei Klientinnen und Klienten mit multiplen und chronischen Problemlagen, die sich häufig in Maßnahmen der Eingliederungshilfe befinden, nachdem vorrangige Kostenträger ausgeschieden sind, ist die Erreichung dieser Ziele allerdings nicht in einem Schritt, sondern nur koordiniert in der Versorgungskette möglich. Bei der Evaluation der Maßnahmen der EGH gelten daher die folgenden Verläufe am Ende einer Maßnahme als wichtige Indikatoren von Zielerreichung: der dauerhafte Maßnahmeabschluss (ohne Wiedereintritt), die Vermittlung in Maßnahmen vorrangiger Träger sowie die Vermittlung in Maßnahmen, die den Übergang in eine selbstbestimmte Lebensführung unterstützen.
Die Fragestellungen zur Zielerreichung in der EGH sowie zu maßnahme- und personenbezogenen Faktoren der Zielerreichung wurden insbesondere durch den Vergleich von Gruppen mit unterschiedlich intensiver Inanspruchnahme (gemessen in Tagen der Nutzung von EGH-Maßnahmen über fünf Jahre) retrospektiv untersucht.
In einer zusätzlichen prospektiven Untersuchung von Klientinnen und Klienten, die neu in Maßnahmen der EGH eingetreten sind, geht es vorrangig um die Wirksamkeit bezogen auf vereinbarte Ziele der Maßnahmen innerhalb eines 6-Monats-Zeitraums.
Die Evaluation der Eingliederungshilfe erfolgt anhand dreier Untersuchungsmodule: retrospektiv auf Grundlage der Dokumentation aller Maßnahmen der Eingliederungshilfe der letzten fünf Jahre (A), vertiefend aufgrund einer Aktenanalyse intensiverer Nutzer (B) sowie prospektiv für Neuaufnahmen in Maßnahmen der EGH (C).
A) Inanspruchnahme der Eingliederungshilfe Sucht über fünf Jahre (Gesamtübersicht)
Die Untersuchung des Versorgungsgeschehens erfolgte retrospektiv über einen 5-Jahres Zeitraum (2010 bis 2014). In dieser Zeit wurden in Hamburg fast 10.000 Maßnahmen der Eingliederungshilfe von etwa 3.000 unterschiedlichen Personen mit diagnostizierter Abhängigkeitsstörung in Anspruch genommen. Dabei wurden pro Jahr knapp 2.000 Maßnahmen der EGH von 1.100 bis 1.200 verschiedenen Personen mit diagnostizierter Abhängigkeitsstörung genutzt (Abbildung 1). Die Anzahl der Personen erhöht sich, aber noch stärker steigt die Anzahl an Tagen, die pro Person pro Jahr insgesamt in EGH-Maßnahmen verbracht wurden. Die durchschnittliche Maßnahmedauer pro Person steigt im 5-Jahresverlauf von 148 auf 181 Tage an.
Abbildung 1: Entwicklung der Maßnahmedauer in Tagen (MW) pro bewilligter Maßnahme und pro Person sowie Entwicklung der Anzahl von Maßnahmen und Personen über die Jahre 2010 bis 2014
Hinsichtlich der Art der Beendigungen von Maßnahmen wird insgesamt, bezogen auf den 5-Jahres-Zeitraum, ein Drittel der Maßnahmen regulär beendet, und bei einem weiteren Drittel folgen fortgesetzte Maßnahmen in der Eingliederungshilfe. Das übrige Drittel der EGH-Maßnahmen wird abgebrochen (durch den Klienten oder durch die Einrichtung). Im Verlauf der fünf Jahre geht der Anteil regulärer Beendigungen zurück, und es steigt der Anteil an Maßnahmen, die in der EGH fortgesetzt bzw. verlängert werden.
Die Fortsetzung von Maßnahmen konzentriert sich auf bestimmte Maßnahmetypen. Die Typen von Maßnahmen werden in der Eingliederungshilfe Sucht traditionell unterteilt nach dem Inhalt, und zwar nach Vorsorge, Nachsorge, Übergang sowie nach der Art der Erbringung: stationär, teilstationär oder ambulant. Bei den fortgesetzten Maßnahmen handelt es sich eher um Maßnahmen am Ende der Versorgungskette der Eingliederungshilfe, bei denen, wenn der Übergang in eine selbstbestimmte Lebensführung oder die Vermittlung an vorrangige Kostenträger noch nicht gelingt, weitere Hilfen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erfolgen, die längerfristig angelegt sind. Ein fortlaufender, dauernder Verbleib in Maßnahmen der Eingliederungshilfe betrifft etwa ein Zehntel des Personenkreises mit Abhängigkeitsstörungen in der EGH.
B) Merkmale intensiver Nutzer der Eingliederungshilfe
Die Frage nach personenbezogenen Merkmalen von Menschen, die EGH intensiver in Anspruch nehmen, sollte durch eine Analyse von Personenakten untersucht werden. Die vorliegenden Akten wurden konsekutiv nach folgenden Kriterien einem Screening unterzogen: innerhalb der letzten fünf Jahre mindestens zwei Jahre ununterbrochen in Maßnahmen oder im selben Zeitraum mehr als dreimalige Inanspruchnahme von Maßnahmen in Einrichtungen der EGH.
Es wurden 302 Akten nach den genannten Kriterien zufällig ausgewählt. Die betroffenen Personen waren im Durchschnitt in den letzten fünf Jahren 902 (±538) Tage in EGH-Maßnahmen. Bei den Personen, deren Akten nicht in die Analyse einbezogen wurden, waren es 221 (±294) Tage, woraus erkennbar wird, dass sich die hier untersuchten intensiven Nutzerinnen und Nutzer im Vergleich zu der übrigen Klientel seit 2010 viermal länger in EGH-Maßnahmen befanden.
Die intensiven Nutzer wurden nochmal anhand des Kriteriums über/unter 730 Tage (also zwei Jahre) Inanspruchnahme im Verlauf von fünf Jahren in zwei Gruppen „intensive“ und „sehr intensive Nutzer“ unterteilt. Damit sollten personen- und maßnahmebezogene Aspekte identifiziert werden, die mit einer besonders intensiven Inanspruchnahme assoziiert sind.
Die „sehr intensiven Nutzer“ waren bei einer Gesamtzahl von 1.312 Aufenthaltstagen seit 2010 (das sind mehr als drei von fünf Jahren) gegenüber den „intensiven Nutzern“ mit durchschnittlich 404 Tagen (etwas über einem Jahr) erheblich länger in EGH-Maßnahmen (Tabelle 1). Sie sind im Durchschnitt fast fünf Jahre älter. Andere personenbezogene Faktoren, darunter Primärdroge, Störungsbeginn und ‑dauer, Komorbiditäten (psychiatrisch, körperlich), Kinder sowie Partnerbeziehung, differenzieren nicht zwischen den Gruppen, d. h., bezogen auf diese Aspekte haben beide Gruppen gleich problematische Ausgangsbedingungen. Nur in gesetzlicher Betreuung sind die „sehr intensiven Nutzer“ signifikant häufiger.
Die letzte Maßnahme in der Eingliederungshilfe dauerte bei der Klientel, die sich durch eine „sehr intensive“ Inanspruchnahme auszeichnet, mit durchschnittlich 29 Monaten (also 2,5 Jahren) deutlich länger als in der Vergleichsgruppe (ein halbes Jahr). Während „intensive“ Nutzerinnen und Nutzer häufiger zuletzt Maßnahmen der stationären Vorsorge und Nachsorge wahrgenommen haben, befinden sich die „sehr intensiven“ Nutzerinnen und Nutzer häufiger in teilstationären Übergangseinrichtungen und ambulanten Maßnahmen, in denen vermehrt die längerfristig angelegten Betreuungen erfolgen.
Unter den „sehr intensiven“ Nutzerinnen und Nutzern beträgt der Anteil derer, die die Maßnahme dauerhaft beenden („Beendigung der Maßnahme“) 30 Prozent und ist damit geringer als bei den „intensiven“ Nutzern (70 Prozent). Das heißt, die Maßnahme wird mehrheitlich über den letzten Bewilligungszeitraum hinaus verlängert. Bei diesem Verbleib der „sehr intensiven“ Nutzer in Maßnahmen handelt es sich, wie oben angedeutet, häufig um Aufenthalte in längerfristig angelegten teilstationären und ambulanten Maßnahmen wie z. B. die Betreuung im eigenen Wohnraum.
Hinsichtlich der zu erreichenden Zielsetzungen zeigen sich in den wiederholten längerfristigen Maßnahmen positive Effekte. Das gilt z. B. für funktionale Beeinträchtigungen nach ICF, die zu Beginn und am Ende von Maßnahmen dokumentiert werden. Das Ausmaß an „funktionalen Beeinträchtigungen insgesamt“ bezogen auf die letzte Maßnahme nimmt im Verlauf in beiden Gruppen signifikant ab. Dabei verbessern sich die „sehr intensiven Nutzer“ etwas weniger (Tabelle 1).
Die vereinbarten Zielsetzungen der beiden Gruppen unterscheiden sich kaum. Am häufigsten werden in beiden Gruppen suchtmittelbezogene Ziele zur Einleitung bzw. Sicherung der Abstinenz vereinbart. Inhaltlich geht es für die „sehr intensiven“ Nutzerinnen und Nutzer häufiger um gesundheitsbezogene Ziele und um Ziele im Hinblick auf die grundlegende Bewältigung von Alltag und Haushalt. Bei den „intensiven Nutzern“ geht es häufiger um Ziele, die sich auf das eigenständige Wohnen beziehen. Eine Verbesserung in den Zielbereichen Sucht und Alltagsbewältigung ist im Rahmen des letzten Bewilligungszeitraums insgesamt häufiger bei den „sehr intensiven“ Nutzerinnen und Nutzern zu beobachten. Bei „intensiven Nutzern“ finden sich zu einem geringeren Anteil Verbesserungen (und damit häufiger Verschlechterungen) in den Zielbereichen persönliches Ziel, Alltagsbewältigung, Wohnen und Sucht (Tabelle 1).
C) Prospektive Untersuchung der Wirksamkeit
Mit der prospektiven Untersuchung wurde für neu in die Eingliederungshilfe eintretende Klientinnen und Klienten die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen hinsichtlich der vereinbarten suchtbezogenen und teilhabebezogenen Zielsetzungen untersucht. Für die Erhebung konnten über einen Zeitraum von zwölf Monaten 255 Klientinnen und Klienten erreicht werden, von denen in der Nach- bzw. Abschlusserhebung 247 Klienten durch die Fachkräfte wieder erreicht wurden, wobei nur von einem Teil (N=136) auch der selbst ausgefüllte Klientenfragebogen vorlag.
Die Mehrheit der Untersuchungsteilnehmer befand sich in einem stationären Setting, nur ein Zehntel war in einer teilstationären Maßnahme. Bei über der Hälfte der Maßnahmen handelt es sich um Vorsorge, womit dieser Maßnahmetyp in der prospektiven Untersuchung aufgrund des Einschlusskriteriums des Neueintritts überrepräsentiert ist. Zu Maßnahmebeginn waren die Klienten im Durchschnitt gut 40 Jahre alt und liegen damit nur leicht unter dem Durchschnittsalter der Klienten der Eingliederungshilfe in Hamburg insgesamt (41,7 Jahre). Mehr als vier Fünftel sind Männer. Bei zwei Dritteln geht es vorrangig um Alkoholprobleme, etwa ein Fünftel gab ‚harte‘ illegale Drogen wie Heroin oder Kokain als Hauptproblemsubstanz an.
Die Evaluation zeigt, dass die Zielsetzungen mehrheitlich erreicht werden. So haben aus Sicht der Fachkräfte mehr als zwei Drittel der Untersuchungsteilnehmer ihre suchtbezogene Zielsetzung überwiegend oder sogar vollständig erreicht (Abbildung 2, linke Seite). Bei mehr als zwei Dritteln hat sich der Umgang mit Suchtmitteln verbessert (Abbildung 2, rechte Seite).
Abbildung 2: Erreichung suchtbezogener Zielsetzung (links) und Umgang mit Suchtmitteln (rechts) wäh¬rend der Maßnahme aus Sicht der Betreuer (N=246)
In zentralen Lebensbereichen wie z. B. Gesundheit, Freizeitaktivitäten oder sozialen Beziehungen kam es während der Maßnahme aus Sicht der Klientinnen und Klienten sowie der Fachkräfte zu deutlichen Verbesserungen.
Gefragt nach dem Grad der Zielerreichung bei den von den Klientinnen und Klienten persönlich formulierten „zwei wichtigsten“ Zielsetzungen, gab die Mehrheit für beide Ziele an, dass eine Erreichung „eher“ oder sogar „völlig“ zutreffe. Insbesondere das erstgenannte Ziel, das sich vorrangig auf die Bewältigung ihrer Suchtproblematik bezieht, wurde von fast zwei Dritteln vollständig erreicht (Abbildung 3, linke Seite). Nur knapp sechs Prozent teilten mit, dass dies nicht zutrifft. Bezogen auf das zweite persönliche Ziel ist es ein Zehntel, das angab, dieses nicht erreicht zu haben (Abbildung 3, rechte Seite). Schaut man auf die Ziele, die nicht erreicht wurden, so sind es unter den wichtigsten hauptsächlich wohnungsbezogene Zielsetzungen (zu 40,0 Prozent) und unter den zweitwichtigsten ebenfalls wohn- (zu 46,7 Prozent) und arbeitsbezogene Ziele (zu 37,5 Prozent).
Abbildung 3: Erreichung der zwei wichtigsten persönlichen Zielsetzungen während der Maßnahme aus Sicht der Klienten
In fast allen standardisiert erhobenen Untersuchungsbereichen sind statistisch signifikante positive Veränderungen während der Eingliederungshilfemaßnahme eingetreten. Die Leistungsbeeinträchtigungen nach ICF sind zurückgegangen, und die gesundheitsbezogene Lebensqualität hat sich im körperlichen und psychischen Bereich während der Maßnahme signifikant verbessert. Auch die psychische Symptombelastung hat sich insgesamt verringert. In der prospektiven Untersuchung zeigt sich eine hohe Zufriedenheit bei den Teilnehmern mit den Bereichen Ausstattung und Atmosphäre, Betreuung, Behandlungsverlauf sowie Vorbereitung auf die Zeit nach der Betreuung.
Ferner erhöhte sich die Selbstwirksamkeitserwartung unter der Betreuung deutlich, was für eine Stabilisierung der eingetretenen Veränderungen von Bedeutung sein dürfte. Bezogen auf die Ziele der Eingliederungshilfe erweisen sich die hier untersuchten Maßnahmen überwiegend als erfolgreich.
Mit der prospektiven Untersuchung konnte im Rahmen einer externen Evaluation für die Eingliederungshilfe gezeigt werden, dass die definierten Ziele zu einem großen Anteil vollständig erreicht werden. Das bekräftigt die Stellung der Eingliederungshilfe als ein Versorgungssegment für Menschen mit Abhängigkeitsproblemen, die im Rahmen der regulären Gesundheitsversorgung sowie des Rehabilitationswesens nicht erreicht werden bzw. denen die (vorwiegend stationären) Behandlungsmaßnahmen der Regelversorgung nicht zugänglich sind.
Kontakt:
Dr. Peter Degkwitz
Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS)
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Tel. 040/74 10 57 904 p.degkwitz@uke.de www.zis-hamburg.de
Angaben zum Autor:
Dr. Peter Degkwitz, Sozialwissenschaftler, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS), Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), Hamburg. Er arbeitet seit Anfang der 1990er Jahre in epidemiologischen Projekten sowie zur Evaluation von harm reduction-Maßnahmen und Substitutionsbehandlung. Sein besonderes Interesse gilt interdisziplinaren Suchtmodellen.
Literatur:
Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) (2014) Suchthilfebericht 2013.Hamburg
MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2017, 242 Seiten, € 39,95, ISBN 978-3-95466-290-6
Süchtiges Verhalten und der Konsum von Substanzen, die seelische Veränderungen bewirken, sind von jeher ein menschliches Phänomen und Bestandteil jeder Kultur. Tabak, Alkohol, Medikamente und illegale Drogen sowie maßloses Verhalten beim Glücksspiel, bei der Internetnutzung, am Arbeitsplatz, beim Einkaufen oder beim Sex sind Beispiele von Sucht und Abhängigkeit. Dabei sind Kontrollverlust und steigende Konsummengen keine Randerscheinungen: Allein in Deutschland leiden ca. sechs Millionen Menschen an süchtigen Störungen, ihren körperlichen und seelischen Folgen und Funktionsstörungen. Dennoch ist außerhalb der Welt der Experten zu wenig über die Folgeprobleme der psychotropen Substanzen bekannt.
„Sucht. Gehirn. Gesellschaft“ präsentiert – im Spannungsfeld von Hirnforschung und Gesellschaft – umfassendes Wissen zu den wichtigsten Substanzen und Suchtstoffen sowie süchtigen Verhaltensweisen, ihrer Verbreitung und den Hintergründen. Das Buch erleichtert das Erkennen von Suchtproblemen. Zudem werden Empfehlungen zu ihrer Vermeidung und Wege aus der Abhängigkeit dargestellt, insbesondere für Betroffene und Angehörige.
Fachhochschulverlag, Frankfurt a. M. 2016, 288 Seiten, € 22,00, ISBN 978-3-943787-62-7
Das Buch zielt auf die Chancen und Risiken der E-Zigarette für die öffentliche Gesundheit und die Schadensminimierung für Raucher/innen in der Tabakprävention. Es ist die erste zusammenfassende Darstellung über E-Zigaretten – deren Geschichte, Toxikologie, Verbreitung und Konsummuster. Autor/innen aus unterschiedlichen Disziplinen und Professionen gehen den Fragen nach, welche Bedeutung ‚Dampfprodukte‘ in der Jugendkultur und bei Erwachsenen haben, welche geschlechtsspezifischen Besonderheiten existieren, ob die E-Zigarette als Einstiegsdroge dient und welche Rolle die Tabakindustrie bei der Verbreitung der E-Zigarette spielt. Gleichzeitig wird über den Stand der E-Zigaretten-Debatte in England, der Schweiz und Italien berichtet.
Tabakkonsum ist ein außerordentliches Problem, das außergewöhnliche Maßnahmen erfordert. Die Europäische Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte bei der Bekämpfung des Tabakkonsums erzielt, namentlich durch die Verabschiedung des Rahmenübereinkommens der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (FCTC) und die Ausarbeitung eines Fahrplans mit Maßnahmen, der 2015 von den Gesundheitsministern der Länder der Region unterzeichnet wurde. Trotz dieser Verpflichtungen und der erzielten Fortschritte ist die Eindämmung des Tabakgebrauchs nach wie vor eine schwierige und komplexe Aufgabe.
Die Tabakindustrie und ihre Verbündeten widersetzen sich hartnäckig jeglichen effektiven Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums, und ihre Anstrengungen und Strategien zur Unterminierung des politischen Prozesses werden immer energischer und raffinierter. Um die von der Tabakindustrie verbreiteten Mythen zu widerlegen, benötigt die Politik klare Fakten und fundierte Argumente. Doch bisher gibt es noch keine einheitliche Anlaufstelle für all jene Informationen, die es den Regierungen und Gesundheitsbehörden ermöglichen, eine wirksame Antwort auf die Machenschaften der Tabakindustrie zu geben. Vor diesem Hintergrund hat das WHO-Regionalbüro für Europa das Playbook zum Thema Tabakbekämpfung entwickelt.
Das Playbook ist ein leicht zugängliches Online-Tool, das die von der Tabakindustrie verbreiteten Mythen, die oft als Fakten dargestellt werden, widerlegen soll. Es soll für die Politik und die Allgemeinheit die Fakten über den Tabakkonsum zusammenstellen. Der Inhalt des Playbooks spiegelt die Herausforderungen wider, denen die Verantwortlichen im Kampf gegen den Tabakkonsum bei der Umsetzung der einzelnen Artikel des Rahmenübereinkommens gegenüberstehen, und umfasst die von ihnen herausgearbeiteten Argumente für eine erfolgreiche Bekämpfung des Vorgehens der Tabakindustrie.
Das Playbook ist als lebendige Informationsquelle gedacht, die auf der Grundlage von Rückmeldungen regelmäßig aktualisiert und um neue Argumente erweitert wird. Dabei werden auch neue Entwicklungen bei den Strategien der Tabakindustrie berücksichtigt. Alle Verantwortlichen im Bereich der Tabakbekämpfung sind aufgefordert, zum Erfolg des Playbooks beizutragen, indem sie auch weiterhin Argumente und Konzepte beisteuern und von ihren Erfahrungen mit der Nutzung des Playbooks berichten. Beiträge können an folgende E-Mail-Adresse gesandt werden: eurotobaccofree@who.int
Die Gesundheitsministerien und die anderen Akteure im Bereich der Tabakbekämpfung streben entschlossen ein gemeinsames Ziel an: eine Europäische Region frei von tabakbedingten Erkrankungen und Todesfällen. Es besteht die Hoffnung, dass das Playbook sich als wertvolle Informationsquelle für den Erfahrungs- und Praxisaustausch im Hinblick auf die Bekämpfung der Taktik der Tabakindustrie erweisen und dass dies die Bemühungen zur Bekämpfung des Tabakkonsums in der gesamten Europäischen Region beflügeln wird.
Das Playbook wurde vom Gesundheitsministerium der Russischen Föderation im Rahmen des Projekts zur Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten finanziert.
Quelle: Website der WHO, Regionalbüro für Europa, 12.01.2017
Vielen Internetabhängigen fällt es schwer, das Haus zu verlassen, oder sie wissen nicht, wo sie Hilfe bekommen können. Mit dem Forschungs- und Versorgungsprojekt OASIS (Online-Ambulanz-Service für Internetsüchtige und deren Angehörige) sollen Betroffene dort erreicht und abgeholt werden, wo ihre Sucht entstanden ist, nämlich im Netz. Bei Bedarf werden sie in eine entsprechende Behandlungseinrichtung in ihrer Nähe vermittelt.
Das mit dem Zentrum für Telematik im Gesundheitswesen (ZTG) entwickelte Online-Angebot umfasst zunächst eine ausführliche Untersuchung und Diagnosestellung unter Einsatz von psychologischen Fragebögen und einer Webcam-basierten Online-Sprechstunde. In einer zweiten Online-Sprechstunde werden Betroffene und Angehörige hinsichtlich allgemeiner und spezifischer Behandlungsmöglichkeiten vor Ort beraten, und die Veränderungs- und Therapiemotivation der Betroffenen soll gestärkt werden.
Der Online-Ambulanz-Service für Internetsüchtige richtet sich an Erwachsene ab 18 Jahren in ganz Deutschland, die vermuten unter einer Internetabhängigkeit zu leiden. Für Angehörige von Betroffenen ab 14 Jahren bietet das OASIS-Projekt ebenfalls eine Unterstützung an. Mit Hilfe eines unverbindlichen und anonymen Selbsttests (www.onlinesucht-ambulanz.de) bekommen die Betroffenen bzw. Angehörigen eine erste Einschätzung, ob eine behandlungsbedürftige Abhängigkeit bestehen könnte. Falls sich daraus der Verdacht auf eine abhängige Internetnutzung ergibt, werden die Personen dazu eingeladen, das ausführliche Beratungsangebot auf der Online-Plattform zu nutzen.
Das OASIS-Projekt wird vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert und ist ein Angebot des LWL-Universitätsklinikums für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum.
Online-Ambulanz-Service für Internetsüchtige, 3. Februar 2017
Die vielfältigen Beiträge der Autorinnen und Autoren aus Psychiatrie, Sozialwissenschaft, Psychotherapie und Sozialarbeit sind ein Plädoyer für die Notwendigkeit und den Nutzen einer geschlechter-/gendersensiblen Suchtarbeit. Sie berücksichtigen das weite Spektrum der Suchthilfe – von der Prävention über die Beratung und Behandlung bis hin zum strukturellen Einbezug von Genderaspekten in den Einrichtungen.
Die Expert/innen liefern eine Fülle an Hintergrundwissen und geben praktische Hilfestellungen. Einzelne Beiträge widmen sich spezifischen Themen wie Traumafolgestörungen bei Frauen oder dem häufig immer noch tabuisierten Thema männlicher Gewaltbetroffenheit. Das Buch wirbt für eine differenzierte Umgehensweise, eröffnet neue und spannende Perspektiven und zeigt Wege auf, wie sich Gender als Querschnittsaufgabe in der Suchthilfe verankern lässt. Auch wird der Spur nachgegangen, wie sich das eigene Geschlecht und das des Gegenübers – u.a. im Hinblick auf unterschiedliche sexuelle Orientierungen – bewusst in die Beratung und Behandlung einbeziehen lassen, um passgenauer, gerechter, erfolgreicher zu arbeiten. Ein anregendes und nützliches Buch für alle Fach- und Führungskräfte in der Suchthilfe.
Zu diesem Thema findet am 1./2. März 2017 in Frankfurt a. M. eine Fachtagung statt.