Autor: Simone Schwarzer

  • Europa-Konferenz Chronische Krankheiten

    EUR/RC66/11: Action plan for the prevention and control of noncoIn Europa sollen vorzeitige Todesfälle durch nichtübertragbare Krankheiten bis 2025 um 25 Prozent verringert werden. Die Teilnehmer der Konferenz „The European Response to Chronic Diseases – the Role of Civil Society“, die am 12. und 13. Dezember 2016 in Brüssel stattgefunden hat, bestätigten damit die Ziele des neuen Aktionsplans der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Europa. Die WHO sieht zur Bekämpfung von Krebs, Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes und chronischen Atemwegserkrankungen vor allem Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Ernährung, von mehr körperlicher Bewegung, der Luftreinhaltung sowie der Verbesserung von Lebensmittelprodukten vor.

    Für Deutschland nahm die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) an der EU-Konferenz teil. Die WHO entwirft in ihrem „Aktionsplan zur Prävention nichtübertragbarer Krankheiten 2016 – 2025“ die Zukunftsvision eines Europas, das frei von nichtübertragbaren Krankheiten, vorzeitigen Todesfällen und vermeidbaren Behinderungen ist. Um diese Ziele zu erreichen, sollen die wichtigsten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Leiden, Krebs, Diabetes und chronische Atemwegserkrankungen bekämpft werden. Krankheitsfördernd sind vor allem Tabak- und Alkoholkonsum, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, Bluthochdruck, Adipositas und Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung. „Auf dem Weg zur Vermeidung der chronischen Krankheiten haben wir Fortschritte gemacht“, berichtet DANK-Sprecher Dr. Dietrich Garlichs. „Aber es existieren in Europa teilweise erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern, und Deutschland liegt in vielen Bereichen deutlich zurück.“

    Wie die neuesten Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) belegen, hat Deutschland etwa einen überdurchschnittlichen Alkoholkonsum in Europa. Während im Schnitt jeder EU-Bürger pro Jahr zehn Liter puren Alkohol trinkt, sind es in Deutschland elf Liter – Spitzenkonsument ist Litauen mit 14 Litern pro Kopf und Jahr, Schweden und Italiener trinken hingegen mit etwa sieben Litern deutlich weniger. Beim Rauchen belegt Deutschland einen schlechten 15. Platz unter den 28 EU-Ländern. Beim Obst- und Gemüseverzehr landet Deutschland laut OECD-Index sogar auf dem drittletzten Platz unter 28 EU-Staaten.

    Unausgewogene Ernährungsmuster haben direkte Auswirkungen auf Erkrankungsraten. So stellte kürzlich der Euro Herz Index fest, dass Deutschland bei der Herzgesundheit aufgrund eines ungesunden Lebensstils mit zu hohem Zucker- und Alkoholkonsum sowie zu wenig Gemüse- und Obstverzehr beim Vergleich von 30 europäischen Ländern nur Rang 14 einnimmt – trotz seiner leistungsstarken Krankenversorgung. „Wir verfügen gewissermaßen über einen hochwertigen Reparaturbetrieb, was das Herz betrifft“, resümiert DANK-Sprecher Garlichs. „Noch wichtiger wäre es allerdings, diese Erkrankungen überhaupt gar nicht erst entstehen zu lassen.“

    Um hier voranzukommen, empfiehlt der WHO-Europaplan die Nutzung von Steuern, um die Nachfrage nach Tabak, Alkohol sowie Nahrungsmitteln und Getränken mit hohem Gehalt an Zucker, Fett und Salz zu beeinflussen. Schließlich wirbt der Aktionsplan für veränderte Rezepturen von Lebensmittelprodukten: Transfette und gesättigte Fette sollten durch ungesättigte Fette ersetzt, Salz- und Zuckergehalt reduziert werden. „Diese Bereiche stellen für Deutschland fraglos zentrale Handlungsfelder dar, wenn wir bei der Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten vorankommen wollen“, betont DANK-Sprecher Garlichs.

    Zusammenfassung/Exzerpt aus: „Health at a Glance: Europe 2016 – State of Health in the EU Cycle“, Chapter 4: Determinants of health. © OECD/European Union 2016

    • Smoking among children (15-year-olds)
      Deutschland: 17. Platz von 27
      Im EU-Durchschnitt rauchen 14 Prozent der Jungen und Mädchen mindestens einmal wöchentlich. Deutschland liegt hier im Durchschnitt. 15 Prozent der Jungen und 13 Prozent der Mädchen rauchen einmal wöchentlich. In Schweden sind es nur sieben Prozent der Mädchen und sechs Prozent der Jungen, in Island (nicht EU-Mitglied) sind es nur drei Prozent der Jungen und Mädchen.
    • Adults smoking daily
      Deutschland: 15. Platz von 28
      In allen EU-Staaten ist der Anteil der rauchenden Erwachsenen im Vergleich zum Jahr 2000 rückläufig, besonders bei Männern konnte der Anteil deutlich gesenkt werden. Trotzdem rauchen im EU-Durchschnitt noch 21 Prozent der Bürger. Deutschland liegt genau im EU-Durchschnitt, während die skandinavischen Länder deutlich niedrigere Prozentsätze verzeichnen können (z. B. Schweden: zwölf Prozent).
    • Drunkenness among 15-year-olds
      Deutschland: 13. Platz von 27
      Im EU-Durschnitt waren 24 Prozent der 15-jährigen Mädchen und 27 Prozent der 15-jährigen Jungen schon mindestens zweimal in ihrem Leben betrunken. In Deutschland geben dies 23 Prozent der Mädchen und 26 Prozent der Jungen an. In Luxemburg beträgt der Anteil 14 und 15 Prozent (Mädchen und Jungen), in Island sogar nur sechs Prozent der Mädchen und Jungen.
    • Alcohol consumption among adults
      Deutschland: 18. Platz von 28
      Die EU verzeichnet den höchsten Alkoholkonsum weltweit. Im Durchschnitt trinkt jeder EU-Bürger zehn Liter puren Alkohol im Jahr. In Deutschland sind es fast elf Liter, und während der Konsum im EU-Durchschnitt seit dem Jahr 2000 gesunken ist, ist er in Deutschland fast konstant geblieben. In Litauen trinken die Menschen über 14 Liter pro Kopf, während es in Schweden nur gut sieben Liter sind und in Italien etwas über sieben Liter. Beim regelmäßigen so genannten Komasaufen verzeichnet Deutschland den fünfthöchsten Anteil in der EU-Region. Über 40 Prozent der deutschen Männer ‚besaufen‘ sich regelmäßig. Bei den Frauen in Deutschland sind es immerhin 25 Prozent.
    • Measured overweight (including obesity) among children at various ages
      Deutschland: 15. Platz von 22
      Im EU-Durchschnitt sind 21 Prozent der Mädchen und 23 Prozent der Jungen übergewichtig oder adipös. Deutschland verzeichnet bei den 12- bis 16-jährigen Kindern/Jugendlichen 22 Prozent übergewichtige oder adipöse Mädchen und 27 Prozent Jungen. In Polen wurden die 13- bis 18-Jährigen gemessen und dort sind neun Prozent der Mädchen übergewichtig oder adipös und 21 Prozent der Jungen. Weltweit und in der EU hat der Anteil an übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen zugenommen.
    • Self-reported obesity among adults
      Deutschland: 15. Platz von 28
      16 Prozent der Erwachsenen in der EU sind adipös (self-reported). Deutschland liegt mit 17 Prozent knapp über dem Durchschnitt. Am schlechtesten schneidet Malta mit 26 Prozent ab, am besten Rumänien mit neun Prozent. Ähnlich wie beim Rauchen ist das Bildungslevel ein entscheidender Faktor für den Anteil an adipösen Menschen in einer Gesellschaft. Menschen mit niedrigerem Bildungsstand sind im EU-Durchschnitt zu 21 Prozent adipös, Menschen mit hohem Bildungslevel nur zu elf Prozent. In Deutschland sind Bürger mit niedrigem Bildungslevel zu 25 Prozent adipös, während nur 13 Prozent der gut ausgebildeten Bürger in Deutschland als adipös gelten.

    Pressemitteilung der Deutschen Diabetes Gesellschaft, 14.12.2016

  • „Qualität in der Suchtprävention“

    cover-doku_rZum vierten Mal – nach 2009, 2011 und 2013 – fand die Fachtagung „Qualität in der Suchtprävention“ statt, dieses Mal vom 7. bis 8. März 2016 in Hannover. Diese Fachtagungen, die in guter Kooperation zwischen den Ländern und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) organisiert werden, sind in der Suchtprävention eine wichtige Konstante geworden und konnten bereits viele Impulse für Praxis und Forschung geben.

    Für die BZgA sind qualitätsgesicherte Maßnahmen im Bereich der Suchtprävention seit vielen Jahren ein zentrales Anliegen. Auf der diesjährigen Tagung, die in Kooperation mit der Niedersächsischen Landesstelle für Suchtfragen (NLS) veranstaltet wurde, stand das Spannungsfeld zwischen anspruchsvollen Forschungsdesigns und den inhaltlichen und methodischen Grenzen von Wirksamkeitsnachweisen in der Suchtprävention im Vordergrund. Gemeinsam wurde diskutiert, welches Evaluations- und Evidenzparadigma zukünftig gelten kann. Im Vortrag von Dr. Anneke Bühler stand das „Memorandum zur Evidenzbasierung in der Suchtprävention“ im Mittelpunkt, das wichtige Impulse für den Diskurs über Chancen und Möglichkeiten der Qualitätssicherung in der Suchtprävention gibt.

    Im Kontext des Präventionsgesetzes stellt sich die Frage, welche Auswirkungen das neue Gesetz und seine Umsetzung auf Länder- und Bundesebene auf die Suchtprävention haben wird. Dazu referierte Peter Lang (BzgA) und betonte, dass das Thema Suchtprävention – als ein Schwerpunktthema, wenn es um die Gesundheit der Menschen in Deutschland geht – selbstverständlich im Rahmen der Umsetzung des neuen Gesetzes Berücksichtigung finden muss.

    In acht Workshops konnten sich die Teilnehmer/innen an zwei Tagen austauschen und auch weiter qualifizieren. Dabei stand die praktische Umsetzung von Evidenz in der Suchtprävention, also die qualitätsgesicherte Projektarbeit von der Planung über die Umsetzung bis zur Evaluation, im Mittelpunkt. Aber auch die Standards einer Qualifizierung von Fachkräften für Suchtprävention waren ein Schwerpunktthema. Daneben wurden die Themen Vernetzung, Partizipation und übergreifendes Monitoring zur Steuerung der Suchtprävention behandelt. Auch der so genannte Policy mix in der Suchtprävention sowie das Dokumentationssystem Dot.sys gehörten zu den Workshop-Themen.

    Qualitätssicherung in der Suchtprävention ist ein Thema, das an Bedeutung über die Jahre gewonnen hat – und dies nicht nur, weil zum Teil heftige Diskussionen über eine effiziente Mittelverwendung geführt werden. Auf diese Problematik ging auch der Abschlussvortrag von Dr. Alfred Uhl ein. Mit dem Vortragstitel „Suchtprävention der Zukunft – qualitätsgesichert und gut finanziert oder ökonomisiert und unterfinanziert?“ wurde eine der zentralen Fragen gestellt, die es mittelfristig zu beantworten gilt.

    Die Tagungsdokumentation kann heruntergeladen werden auf www.nls-online.de unter Downloads >Tagungsdokumentationen.

    NLS, Ingeborg Holterhoff-Schulte, 14.12.2016

  • „Die Zukunft hat begonnen“

    „Die Zukunft hat begonnen“

    Wolfgang Schmidt-Rosengarten
    Wolfgang Schmidt-Rosengarten

    Seit geraumer Zeit stößt man in den Medien auf den Begriff Industrie 4.0. Er beschreibt die schon eingeläutete nächste Stufe der industriellen Revolution, auf der sich die physikalische und die virtuelle Welt noch stärker verbinden. Im „Internet der Dinge“ (IoT – Internet of Things) kommunizieren Menschen, Maschinen, Gegenstände und Softwaresysteme miteinander. Das IoT trägt sowohl den Ansprüchen von Kunden Rechnung, die Produkte verlangen, die immer mehr ihren eigenen individuellen Vorstellungen entsprechen, als auch den Anforderungen an Unternehmen, kostengünstig zu produzieren (vgl. http://industrie-wegweiser.de/industrie-4-0/).

    Weil im Rahmen von Industrie 4.0 zunehmend Maschinen Arbeiten verrichten, die vorher von Menschen durchgeführt wurden – bei gleichbleibender oder sogar gesteigerter Produktivität – werden bereits Forderungen nach einer ‚Robotersteuer‘ laut. Auch wenn die Idee, die Wertschöpfung von Robotern zu besteuern und im Gegenzug die Besteuerung von Arbeit zu verringern, sehr kontrovers diskutiert wird, zeigt es, dass die anstehenden Entwicklungen grundlegende Änderungen für die bisherigen Arbeits- und auch Angebotsstrukturen bedeuten (vgl. Balser, 2016).

    Veränderungen durch die Digitalisierung

    Ganze Branchen, die derzeit aus dem Alltag nicht wegzudenken sind, werden sich auflösen oder sich grundlegend wandeln, und das nicht nur im produzierenden Gewerbe. Die Veränderungen, die durch die Digitalisierung möglich werden, betreffen alle Lebensbereiche, wie die folgenden Beispiele zeigen:

    • Die gesamte Struktur des Einzelhandels ändert sich, wenn Güter und Lebensmittel im Internet geordert und innerhalb weniger Stunden per Drohnen ins Haus geliefert werden.
    • Start-up-Unternehmen, so genannte FinTechs (Financial Tech), beginnen derzeit, die etablierte Banken- und Versicherungsbranche durcheinanderzuwirbeln, indem sie Finanzdienstleistungen mit einem Minimum an Personal und unter gänzlichem Verzicht auf repräsentative Immobilien per Internet preiswert anbieten. Im Deutsche Bank Research „Fintech – Die digitale (R)evolution im Finanzsektor“ (Teil 1, 2014, S. 5) heißt es: „So gerät der Finanzsektor in diesen Bereichen also nicht durch eigene, der Branche zugehörige Finanzdienstleister in Bedrängnis, sondern zunehmend durch technologiegetriebene Unternehmen, die sich digital und mit großer Dynamik in den Markt für leicht zu standardisierende Finanzprodukte und -dienste drängen, um Kunden und Marktanteile zu gewinnen.“
    • Die Autoindustrie muss ihr Geschäftsmodell, immer mehr Autos zu produzieren, umstellen, wenn durch die Verbreitung der „Sharing Economy“ via Internet nicht mehr der persönliche Besitz eines Fahrzeugs wichtig ist, sondern nur der Wunsch, schnell, unkompliziert und jederzeit von A nach B zu kommen. Längst haben deshalb Autohersteller wie beispielsweise BMW mit „DriveNow“ und Daimler mit „car2go“ eigene Mobilitätsdienste aufgebaut oder sind daran beteiligt wie z. B. Volkswagen an „Greenwheels“. Auch andere Autohersteller denken bereits darüber nach, in Zukunft eigenes Carsharing anzubieten (vgl. http://www.carsharing-news.de/).
    • Meist unbemerkt ist der 3D-Druck heute schon im Alltag von Millionen Menschen angekommen. So stammen Hörgeräte und Zahnersatz inzwischen sehr oft aus 3D-Druckern. Beim 3D-Druck werden die Werkstücke computergesteuert aus einem oder mehreren flüssigen oder festen Werkstoffen nach vorgegebenen Maßen und Formen gefertigt. Die Bauteile oder Ersatzteile können auch in kleinen Margen „just in time“ selbst hergestellt werden. Zulieferer und Lagerkapazitäten werden hierbei nicht mehr gebraucht. Ein Grund, weshalb diese Technik auch in Gasturbinen und Flugzeugtriebwerken Anwendung findet.
    • Die Taxibranche wird weltweit durch Unternehmen wie Uber in ihrer Existenz bedroht, denn mit den Möglichkeiten des Internts kann jeder Autofahrer zum Taxifahrer werden.
    • Vom Urlaub aus die eigene Wohnung überwachen, vom Büro aus die Heizung zu Hause regulieren, ein Kühlschrank, der meldet, wenn Lebensmittel nachgekauft werden müssen: Im Bereich Smart Home macht das Internet der Dinge via App all dies heute schon möglich.
    • Die Überalterung der Gesellschaft und die steigende Lebenserwartung bei gleichzeitiger Ausdünnung der Infrastruktur im ländlichen Bereich sowie der Wunsch von immer mehr Menschen, ihren Gesundheitsstatus permanent selbstständig überwachen zu können, führen zu einer immensen Dynamik im Bereich E-Health. Immer neue Anwendungen kommen auf den Markt, bei denen der Kontakt zwischen Behandler/in und Patient/in per App über das Internet hergestellt wird.
    • Fachkräftemangel im Pflegebereich und der Wunsch vieler Menschen, möglichst lange in den eigenen vier Wänden wohnen zu können, bieten einen enormen Markt für internetgestützte Assistenzsysteme.
    • Im Bereich E-Mental-Healthcare (Gesundheitsversorgung per Internet für Menschen mit psychischen Erkrankungen) gibt es erste Untersuchungen, die das positive Potenzial internetbasierter Nachsorge nach einer stationären Therapie belegen (vgl. https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/index.php?id=137792). Therapieangebote per Internet z. B. bei Depressionen oder Angststörungen werden in der Literatur als wirksam und nachhaltig bewertet (Knaevelsrud, Wagner & Böttche, 2016).

    Die oben genannten Beispiele sind schon jetzt Realität, und es ist unrealistisch anzunehmen, die Bereiche der Suchthilfe und Suchtprävention wären von solchen tiefgreifenden Veränderungen, die zum Verschwinden ganzer Branchen und Strukturen führen, komplett ausgenommen. Suchthilfe und Suchtprävention bestehen zu weiten Teilen aus Kommunikation. Und wenn die Kommunikation zwischen Menschen bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen ebenso wie die Rezeption von Informationen immer stärker per Internet geschieht, müssen Suchthilfe- und Suchtpräventionsangebote diesem Verhalten und den damit verbundenen Erwartungen Rechnung tragen. Die Suchthilfe ist deshalb gefordert, Konzepte für eine nachfragegerechte Gestaltung der derzeitigen Angebote und Dienstleistungen zu entwickeln.

    Anforderungen an die Suchthilfe

    Voraussichtlich werden auch im Bereich der Suchthilfe mithilfe der Digitalisierung sehr schnell Geschäftsmodelle möglich, die Kundeninteressen oder Kostenträgerinteressen befriedigen und dafür die aktuellen Strukturen, Einrichtungen und Mitarbeitenden nicht mehr in dem Umfang benötigen, wie es zurzeit noch der Fall ist. Die Einführung der Smartphones, deren Existenz heute nicht mehr wegzudenken ist und mit denen viele der digitalen Möglichkeiten ‚in der Hosentasche‘ transportiert werden können, liegt erst neun Jahre zurück. Ein Indiz, das zeigt, wie rasant die aktuellen Entwicklungen vorangehen.

    Deshalb ist es eine dringende Aufgabe für die Suchthilfeverbände, sich an zentraler Stelle mit dem aktuellen Stand der digitalen Transformation und speziell mit den Entwicklungen und Möglichkeiten im Bereich E-Mental-Healthcare auseinanderzusetzen. In einem ersten Schritt sollten die bereits existierenden Angebote im Bereich der Suchthilfe und Suchtprävention (Online-Beratung per E-Mail oder Chat, Foren, interaktive Homepages, internetgestützte Selbstkontrollprogramme, Apps etc.) strukturiert erfasst und die gemachten Erfahrungen ausgewertet werden. Neben Angeboten aus Deutschland sollten aufgrund der langjährigen Erfahrungen mit entsprechenden Angeboten auch solche aus der Schweiz und den Niederlanden einbezogen werden. Problemstellungen im Bereich des Datenschutzes müssen mitdiskutiert und praktikable Lösungen gefunden werden.

    Anschließend sollten Modelle konzipiert werden, wie bereits heute Elemente der digitalen Kommunikation im Bereich der Suchthilfe und Suchtprävention den Einrichtungen vor Ort zur Verfügung gestellt werden können, beispielsweise die Online-Buchung von verfügbaren Terminen, die die Klient/innen selbst vornehmen können. Das Team der Beratungsstelle braucht so weniger Zeit für Telefonate, und durch kurzfristige Absagen frei gewordene Termine können durch die Internetbuchung schnell wieder belegt werden. Entsprechende Programme sind verfügbar und werden in Arztpraxen bereits vielfach verwendet.

    Bei dem einzuleitenden Prozess sollte das Hauptaugenmerk immer darauf gerichtet sein, wie die digitalen Interventionsmöglichkeiten mit den Face-to-Face-Kontakten kombiniert werden können, um die Versorgung von Betroffenen sinnvoll zu ergänzen bzw. junge Zielgruppen mit suchtpräventiven Botschaften besser zu erreichen.

    Kontakt:

    Wolfgang Schmidt-Rosengarten
    Hessische Landesstelle für Suchtfragen e. V. (HLS)
    Zimmerweg 10
    60325 Frankfurt a. M.
    Tel. 069/71 37 67 77
    wsr@hls-online.org
    www.hls-online.org

    Angaben zum Autor:

    Wolfgang Schmidt-Rosengarten ist Erziehungswissenschaftler und Suchttherapeut. Seit 1998 ist er Geschäftsführer der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen e. V. (HLS).

    Literatur und Links:
  • Abhängigkeit von „Crystal Meth“

    S3-Leitlinie Methamphetamin-bezogene Störungen - Kurzfassung, 1Leistungsfähiger, konzentrierter, angstfreier – diese Attribute könnten der Werbung eines Coaching-Seminars für Führungskräfte entnommen sein. Es sind jedoch die Eigenschaften, die der synthetischen Psychodroge „Crystal Meth“ zugeschrieben werden und diese für viele Menschen attraktiv machen. „Aggressivität, Unruhe und Wahnvorstellungen – das ist die andere Seite der Droge. Oft wird im Verlauf der Sucht die Dosis erhöht, um die erwünschten Effekte zu erzielen. Das verstärkt den Druck, ständig neuen Stoff zu besorgen“, betonte Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, anlässlich der Vorstellung der S3-Leitlinie Methamphetamin-bezogene Störungen in Berlin am 2. Dezember. „Glaubt man, durch sie zunächst zum Heroen zu werden, wird man durch ihr Suchtpotenzial schnell zu ihrem Sklaven. Der körperliche Verfall ist dann nur noch eine Frage der Zeit.“

    Methamphetamin ist eine illegal hergestellte, kristalline Substanz („Crystal“) mit hohem Suchtpotenzial. Jährlich werden ca. 3.000 Personen wegen ihres Crystal-Konsums auffällig. Längst beschränkt sich der Konsum der Droge nicht mehr nur auf die grenznahen Regionen zu Tschechien. Mittlerweile sehen sich Ärzte, Pflegekräfte und Mitarbeiter der Suchthilfe auch in anderen Regionen der Republik mit den Folgen des Crystal-Konsums konfrontiert.

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, dazu: „Der Konsum von Crystal Meth ist in den letzten Jahren in vielen Regionen Deutschlands zu einer echten Herausforderung geworden. Umso wichtiger ist neben unserer intensiven Präventionsarbeit eine gute medizinische Versorgung der Betroffenen. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, das Wissen über die richtige Behandlung in einer medizinischen Leitlinie zusammenzufassen. Diese soll in Zukunft überall in Deutschland eine Behandlung auf höchstem medizinischem Niveau ermöglichen. Deutschland geht mit der vorliegenden Behandlungsleitlinie auch international mit großen Schritten voran. Die gute Botschaft lautet: Die Abhängigkeit von Crystal Meth ist heilbar.“

    Um den Berufsgruppen im Gesundheitswesen mehr Handlungssicherheit im Umgang mit akut intoxikierten oder abhängigen Patienten zu geben, hat das Bundesministerium für Gesundheit die Bundesärztekammer dabei unterstützt, eine Behandlungsleitlinie zu erarbeiten. Diese wurde vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) zusammen mit einem interdisziplinär besetzten Expertenpanel erarbeitet und liegt nun vor. Federführende Fachgesellschaft war die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN).

    „Für die Erstellung der Handlungsempfehlungen haben wir die gesamte international verfügbare wissenschaftliche Literatur zu dem Thema gesichtet und ausgewertet. Aus den Ergebnissen haben wir insgesamt 135 Empfehlungen insbesondere für die Akut- und Postakutbehandlung sowie die Behandlung von Begleiterkrankungen und speziellen Patientengruppen erstellt“, berichtet Dr. Josef Mischo, Präsident der Ärztekammer des Saarlandes und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Sucht und Drogen der Bundesärztekammer. „Damit verfügen wir in Deutschland weltweit über die erste Behandlungsleitlinie für Patienten mit Methamphetamin-bezogenen Störungen, die die höchsten Qualitätskriterien einer ‚S3-Leitlinie‘ erfüllt“, so Mischo.

    Prof. Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, Ärztliche Direktorin an der LVR-Klinik Köln und Beauftragte der DGPPN bei der Leitlinienerstellung, weist darauf hin, dass sich die S3-Leitlinie an alle Berufsgruppen in der ambulanten und stationären Suchthilfe richtet, zudem an ärztliche und psychologische Psychotherapeuten, Mitarbeiter im Bereich Nachsorge und Rehabilitation sowie an Selbsthilfeorganisationen. „Nun gilt es, die darin enthaltenen wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Versorgungspraxis zu bringen – zum Nutzen der Patienten, ihrer Angehörigen sowie auch der damit befassten medizinischen Berufsgruppen.“

    Die Leitlinie kann im Internet in einer Kurz- sowie in einer Langfassung abgerufen werden: www.crystal-meth.aezq.de

    Gemeinsame Pressemitteilung der Bundesdrogenbeauftragten, der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), 02.12.2016

  • Wechsel an der Spitze der Deutschen Rentenversicherung Bund

    Gundula Roßbach. Quelle: Bildarchiv DRV Bund/Chaperon
    Gundula Roßbach. Quelle: Bildarchiv DRV Bund/Chaperon
    Dr. Axel Reimann. Quelle: Bildarchiv DRV Bund/Chaperon
    Dr. Axel Reimann. Quelle: Bildarchiv DRV Bund/Chaperon

    Dr. Axel Reimann, Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, wurde am 06.12.2016 im Deutschen Technikmuseum Berlin mit einem Festakt in Gegenwart von rund 300 geladenen Gästen verabschiedet. Gundula Roßbach wurde zur Präsidentin und Brigitte Gross zur Direktorin ernannt.

    In ihrer Laudatio würdigte die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales Gabriele Lösekrug-Möller das Lebenswerk von Reimann. Während Reimann seine Ruhestandsurkunde erhielt, bekam Gundula Roßbach ihre Ernennungsurkunde zur Präsidentin. Brigitte Gross wurde zur Direktorin ernannt. Die Wahl von Roßbach und Gross durch die Bundesvertreterversammlung erfolgte bereits im Sommer dieses Jahres. Anlässlich der Verabschiedung teilte die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, mit: „Dr. Axel Reimann hat die Deutsche Rentenversicherung als ihr Präsident verlässlich, sachlich und fachlich kompetent geführt und vertreten. Für sein unermüdliches Engagement im Dienst von mehr als 50 Millionen Rentenversicherten und 20 Millionen Rentnerinnen und Rentnern gebührt ihm unser aller Dank.“

    Nach den Worten von Valerie Holsboer, Vorsitzende der Vertreterversammlung und der Bundesvertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung Bund, hat sich Reimann wirkungsvoll für die Interessen der gemeinsamen Rentenversicherung eingesetzt und dabei auch wichtige Impulse für die sozialpolitische Diskussion gesetzt. Sie dankte Reimann für die gute Zusammenarbeit mit der Selbstverwaltung und würdigte sein Wirken in Institutionen wie etwa der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung (GVG), der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) oder der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS). Werner Krempl, Vorsitzender des Erweiterten Direktoriums der Deutschen Rentenversicherung Bund, würdigte Reimanns unermüdlichen Einsatz im Dienste einer gemeinsamen Deutschen Rentenversicherung. „Mit Ihrer Arbeit, deren herausragender Qualität und Kontinuität, Ihrer hohen Verlässlichkeit und Ihrer geduldigen, kollegialen, freundlichen Art, mit der Sie die Ziele der Deutschen Rentenversicherung verfolgt haben, haben Sie sich große Wertschätzung und Anerkennung erworben.“ Mit diesen Worten würdigte Annelie Buntenbach, Vorsitzende des Bundesvorstands der Deutschen Rentenversicherung Bund, Reimanns Tätigkeit. Mit Blick auf sein außerordentliches Engagement ehrte sie, gemeinsam mit Alexander Gunkel, dem alternierenden Vorsitzenden des Bundesvorstands, Reimann mit der Verdienstmedaille der Deutschen Rentenversicherung.

    Reimann (65) studierte Mathematik und Wirtschaftswissenschaften und trat 1983 nach mehrjähriger wissenschaftlicher Tätigkeit in den Dienst der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Ab 1987 leitete er dort das Grundsatzreferat für Versicherungsmathematik und sozialrechtliche Fragen. 1992 wurde er Leiter der Abteilung Rehabilitation. 1999 wechselte er zum Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) in Frankfurt/Main und wurde dessen stellvertretender Geschäftsführer. Seit 2005 ist Reimann Mitglied des Direktoriums der Deutschen Rentenversicherung Bund, seit 2014 ist er deren Präsident.

    Nachfolgerin Reimanns ist Gundula Roßbach (52), die ihr Amt als Präsidentin am 1. Januar 2017 antritt. Roßbach ist bereits seit 2014 Mitglied des Direktoriums und war vorher Geschäftsführerin der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg. Brigitte Gross (54) wird zum 1. Januar 2017 neues Mitglied des Direktoriums. Sie ist zurzeit Leiterin der Rehabilitationsabteilung der Deutschen Rentenversicherung Bund.

    Deutsche Rentenversicherung Bund, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, 06.12.2016

  • Ess-Störungen

    TRIAS Verlag, Stuttgart 2015, 144 Seiten, € 19,99, ISBN 978-3-830-46883-7, auch als E-Book erhältlich

    skmbt_c28016120814160Bulimie, Anorexie oder Orthorexie – eine Essstörung betrifft immer die ganze Familie. Doch wie findet diese nach der Therapie wieder zurück zu einem ‚normalen‘ (Ess)Alltag? Wie lassen sich eingeschliffene Gewohnheiten und Verhaltensweisen ändern? Woran zeigt sich ein drohender Rückfall, und wie können Sie ihn abwenden? Experten geben lebensnahen Rat, und Betroffene und ihre Eltern sprechen offen von Krisen und vom Gelingen. Das Buch unterstützt Menschen mit Ess-Störungen und ihre Angehörigen darin, mehr Sicherheit im Umgang mit der Erkrankung zu bekommen und sich während und nach einer Therapie selbst helfen zu können. Folgende Themen werden behandelt:

    • Heilung als gemeinsamer Weg: Alltagshürden wie Familienfeiern, Einkaufen oder Urlaube meistern
    • Gemeinsam stark sein: Sich als Familie neu finden
    • Gesunde Ernährung wiederentdecken: 73 Rezepte von Betroffenen getestet, lecker und ausgewogen
  • Gesund, gesünder, Orthorexia nervosa

    Springer Fachmedien, Wiesbaden 2015, 185 Seiten, ISBN 978-3-658-07405-0, € 29,99, auch als E-Book erhältlich

    klotter-et-al_orthorexia-nervosaOrthorexia nervosa lässt sich als zwanghaftes und übertrieben gesundheitsbewusstes Essverhalten beschreiben. Dieses Essproblem wird in dem vorliegenden Buch ausführlich dargestellt. Dabei werden die gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen aufgezeigt und empirische Studien hierzu vorgestellt. Nicht nur das rigider werdende Schlankheitsideal, sondern auch die zunehmenden Gesundheitszwänge führen dazu, dass das Essverhalten kollektiv problematisiert ist. Zugleich verlagert sich die Identitätsfindung verstärkt auf das Essen. So nimmt es nicht Wunder, dass Essprobleme und Essstörungen weite Verbreitung finden, die zu sozialer Isolation und Mangelernährung führen können.