Autor: Simone Schwarzer

  • Praxis der hundegestützten Therapie

    Ernst Reinhardt Verlag, München 2016, 237 S., ISBN 978-3-497-02640-1, EUR 33,00, auch als E-Book erhältlich

    Wohlfarth_Mutschler2Warum ist es sinnvoll, einen Hund in einer Therapie einzusetzen? Welche Voraussetzungen sollten bei Mensch und Hund gegeben sein? Welche Eigenschaften sollte der ideale Therapiebegleithund besitzen, und worauf sollten Therapeuten besonders achten? Die Autoren zeigen ebenso wissenschaftlich fundiert wie praxisorientiert den aktuellen Stand der hundegestützten Therapie auf. Sie beschreiben, warum der Einsatz von Hunden in der Therapie positive Wirkungen auf therapeutische Prozesse haben kann. Das Buch ist ein unverzichtbares Grundlagenwerk für alle, die Hunde in der Therapie einsetzen möchten.

  • Sportexperte = Wettexperte?

    Bild_Tim und TorDie Teilnahme an Sportwetten bei 18- bis 20-jährigen Männern ist deutlich angestiegen.
    Anlässlich dieser besorgniserregenden Entwicklung hat die Hessische Landesstelle für Suchtfragen
    e. V. (HLS) in einem Gemeinschaftsprojekt mit den Landeskoordinierungsstellen Glücksspielsucht Niedersachsen (NLS) und Thüringen (fdr e. V.) das Erklärvideo „Sportexperte = Wettexperte?“ entwickelt. Es richtet sich vor allem an sport- und fußballbegeisterte junge Männer.

    Das Erklärvideo vermittelt in 90 Sekunden die Anreize von Sportwetten und zugleich ihre Risiken. In einfacher Sprache und mit animierten Bildern fördert es die Sensibilität und Aufmerksamkeit für das Thema Sportwetten. Das Video macht die mit Sportwetten oft verbundene Kompetenzüberschätzung der Wetter sowie die damit verbundenen Gefahren deutlich. Zusätzlich gibt es Hinweise auf Informationsmöglichkeiten und Unterstützungsangebote.

    Laut aktueller Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) stieg im vergangenen Jahr die Teilnahme an Sportwetten in der Gruppe der 18- bis 20-Jährigen sprunghaft an, von 5,7 Prozent im Jahr 2013 auf 12,8 Prozent im Jahr 2015. Der Problemspieler-Anteil ist unter den Sportwettern, verglichen mit anderen Glücksspielarten, relativ hoch. Hier gelten junge Männer und aktive Sportler als besonders gefährdet.

    Es erscheint so einfach und kalkulierbar: Wer sich etwas mit Fußball auskennt, braucht nur wenige Minuten für einen Tipp zu investieren und kann seinen Einsatz schnell vervielfachen. Die Gewinnspanne ist hoch. Viele Sportfans und Glücksspieler sind der Auffassung, dass erfolgreiche Sportwetten vom Wissen über den Sport und die jeweilige Liga abhängen. Sie neigen zur überhöhten Selbsteinschätzung ihrer Kompetenz und ihres Insiderwissens, riskante Folgen werden nicht bedacht. Die Aussicht auf das schnelle Geld lässt das Adrenalin steigen. Mögliche Risiken werden vernachlässigt, das Gefühl alles im Griff zu haben, überwiegt.

    Sportliche Großereignisse wie die diesjährige Fußball-Europameisterschaft erhöhen die Attraktivität von Sportwetten zusätzlich. Hierbei wird selten in der Öffentlichkeit thematisiert, dass Sportwetten Glücksspiele sind, ihr Ergebnis maßgeblich vom Zufall abhängt und Suchtrisiken mit ihnen verbunden sind.

    Das Erklärvideo ist abrufbar auf: http://www.wette-glueck.de/

    Hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS), 20.07.2016

  • Körper und Psyche in Balance

    Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2016, 224 S., ISBN 978-3-13-205841-5, EUR 19,99, auch als E-Book erhältlich

    9783132058415_cover_rDieses Buch bietet Einblicke für jeden in die Zusammenhänge von Körper und Geist und vermittelt das von Daniela Michel-Gremaud entwickelte ganzheitliche Körpertraining – zum Nachdenken und Nachmachen. In zwölf Themenkomplexen hat die Autorin verschiedene Methoden, z. B. aus Gymnastik, Yoga, Pilates, Atemtechniken und Körperpsychotherapie, zusammengetragen. Extra gefertigte Holzschnitte von Monika Sommerhalder leiten wirkungsvoll in die Kapitel ein. Das ganzheitliche Körpertraining hilft, die Körperwahrnehmung zu verbessern, und stellt Übungen bereit, um psychischen und körperlichen Problemen wirksam zu begegnen, von A wie Atmung bis Z wie Zentrieren.

  • Durch Alkohol in die Notaufnahme

    Notfallmediziner am Jenaer Uniklinikum behandeln mehr als 600 alkoholisierte Patienten jährlich. Foto: UKJ/ Anna Schroll
    Notfallmediziner am Jenaer Uniklinikum behandeln mehr als 600 alkoholisierte Patienten jährlich. Foto: UKJ/ Anna Schroll

    Alkoholisierte Patienten sind ein alltägliches Problem in der Notaufnahme: Allein im Jahr 2011 behandelten die Mediziner der Zentralen Notfallaufnahme (ZNA) am Universitätsklinikum Jena (UKJ) über 600 alkoholisierte Patienten, dies entspricht etwa 2,5 Prozent aller Patienten der ZNA. Doch wann werden die meisten alkoholisierten Patienten versorgt? Und ist der maßlose Umgang mit Alkohol ein Phänomen der Jugend? Um diese Fragen zu beantworten, untersuchten die Mediziner der ZNA und der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie am UKJ die alkoholisch bedingten Aufnahmen am Jenaer Uniklinikum in den Jahren 2010 und 2011.

    Die Anzahl alkoholisierter Patienten steigt: Während 2010 580 Patienten alkoholbedingt aufgenommen wurden, waren es im darauffolgenden Jahr 632. Etwa zwei bis drei Patienten wöchentlich besitzen einen deutlich erhöhten Promillewert, damit bezeichnen Mediziner Werte ab zwei Promille. „Wer bei diesen Patienten ausschließlich an Jugendliche nach einer langen Partynacht denkt, liegt falsch“, so Dr. Steffen Herdtle, Oberarzt an der ZNA des UKJ. Denn die Studie zeigt, dass auch Personen über 50 Jahre besonders häufig alkoholbedingt aufgenommen wurden. Insgesamt sind etwa 80 Prozent aller Patienten männlich.

    Die Jenaer Notfallmediziner behandeln diese Patienten meist in den nächtlichen Stunden zwischen 20.00 und 5.00 Uhr, etwa die Hälfte der Betroffenen zwischen Freitag und Sonntag. Zudem gibt es in den Sommermonaten Spitzenwerte. „Vor allem an Tagen mit besonderen Ereignissen oder an Feiertagen wie am Männer- bzw. Vatertag werden mehr Patienten als sonst aufgrund ihres Alkoholkonsums in der Notfallaufnahme behandelt“, bestätigt Herdtle.

    „Bei alkoholisierten Patienten sprechen wir von Hochrisikopatienten“, sagt Herdtle. Oft ist unklar, ob die Beschwerden des gestürzten Patienten alkoholbedingt oder durch Blutungen im Kopf entstehen. „Deshalb fällt die Diagnostik bei diesen Patienten sehr gründlich aus, vor allem die bildgebenden Verfahren“, bestätigt Herdtle. Die Mediziner benötigen bei der Behandlung alkoholisierter Patienten ein besonderes Maß an Professionalität, um speziell auf sie einzugehen.

    Während die Studie die meisten Erwartungen der Mediziner hinsichtlich Uhrzeit und Häufigkeit der Aufnahme von alkoholisierter Patienten bestätigte, gab es auch eine überraschende Erkenntnis: Die Ergebnisse am Jenaer Klinikum stimmen mit den Resultaten einer ähnlichen japanischen Studie exakt überein – sowohl die Verteilung der Geschlechter und des Alters, als auch die Häufigkeit und der Zeitpunkt der Aufnahme alkoholisierter Patienten.

    Pressestelle des Universitätsklinikums Jena, 21.07.2016

  • Lotsennetzwerke der SuchtSelbstHilfe

    Cover_rIn der SuchtSelbstHilfe nehmen betroffene Menschen ihr Leben selbst in die Hand und helfen anderen auf dem Weg in ein ‚un-abhängiges‘ Leben. Helfer/innen in schwerer See nennt man Lotsen. Viele Lotsen bilden gemeinsam ein Lotsennetzwerk. Lotsennetzwerke der SuchtSelbstHilfe gibt es seit über zehn Jahren, und inzwischen liegen viele Erfahrungen vor. Sie zu systematisieren und ihre Qualität zu beschreiben, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, die Idee des Lotsennetzwerks weiterzuverbreiten und noch mehr betroffenen Menschen sichere Übergänge aus der Suchterkrankung zu bieten. Der Fachverband Drogen- und Suchthilfe e. V. (fdr) hat daher einen Leitfaden für Lotsennetzwerke formuliert, der als Vorlage für neue Projekte nützlich sein kann und gleichzeitig dem Qualitätsmanagement in den einzelnen Netzwerken dient.

    Den Leitfaden für Lotsennetzwerke können Sie hier herunterladen.
    Gedruckte Exemplare können Sie per E-Mail bestellen: mail@fdr-online.info
    Mehr Informationen zum Lotsennetzwerk des fdr finden Sie hier: http://www.lotsennetzwerk.de/

    Fachverband Drogen- und Suchthilfe (fdr), 11.08.2016

  • Flüchtlinge und (Opioid-)Abhängigkeit

    Flüchtlinge und (Opioid-)Abhängigkeit

    Unter den Flüchtlingen, die in den zurückliegenden Jahren Deutschland erreicht haben, findet sich eine nennenswerte Gruppe von Menschen mit riskantem, schädlichem oder abhängigem Konsummuster von psychoaktiven Substanzen. Dies betrifft nach unserer Beobachtung sämtliche gebräuchliche legale wie illegale Substanzen. Für die Suchthilfe ergeben sich hierdurch neue Herausforderungen. Zusätzlich bestehen etliche Hürden, die eine angemessene Behandlung dieser Patienten erschweren. In besonderem Maße gilt dies für Flüchtlinge mit einer Opioidabhängigkeit.

    Hintergrund

    Flüchtlinge aus Vorder- und Mittelasien, die seit 2014 nach Deutschland kommen, stammen vielfach aus Herkunftsländern, in denen der Opioidgebrauch endemisch (= örtlich begrenzt gehäuft auftretend, Anm. d. Red.), kulturell akzeptiert oder toleriert ist. Wir sehen Flüchtlinge aus Afghanistan, die bereits im Säuglings- oder Kleinkindalter mit Opium in Berührung kamen, da es gegen Durchfall und Husten in weiten Teilen des Landes sonst keine wirksamen Medikamente gibt. In Iran wird traditionell bei Schmerzen oder als Einschlafhilfe Opium konsumiert oder aus hedonistischen Gründen. Afghanistan und Iran zählen weltweit zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Konsum von Opium und Heroin. Die spärlichen Quellen aus Irak und Berichte irakischer Patienten hierzulande weisen auf eine steigende Anzahl von Opioidkonsumenten (Opium/Theriak) hin. Syrien weist wie andere arabische und nordafrikanische Länder eine zunehmende Prävalenz für das synthetische Opioid und Schmerzmittel Tramadol auf. Auch Stimulanziengebrauch wird in diesen Regionen beobachtet.

    (Bürger-)Krieg, Vertreibung, Flucht und (Opioid-)Abhängigkeit

    Seit 1979 herrschen in Afghanistan Krieg, Vertreibung und Flucht, Iraner fliehen seit den 1960er Jahren nach Europa, und auch Flüchtlinge aus Irak und Syrien bringen seit einigen Jahren nicht selten eine manifeste Opioidabhängigkeit mit. Hintergrund sind häufig Traumata infolge der kriegerischen und/oder tyrannischen Verhältnisse in ihren Heimatländern, unzureichend behandelte Schmerzen nach (Kriegs- )Verletzungen und/oder eine posttraumatische Belastungsstörung. Gewalterlebnisse, Entwurzelung und Migration sind generell Risikofaktoren für die Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung, so dass wir auch Patienten aus den aktuellen und anderen Herkunftsländern kennen, die erst hierzulande eine Abhängigkeitserkrankung entwickelt haben.

    Behandlungsmöglichkeiten in den Herkunftsländern und auf der Flucht

    Afghanistan bietet lediglich in der Hauptstadt Kabul eine substitutionsgestützte Behandlung an. In Iran existiert ein entwickeltes Drogenhilfesystem mit Prävention, Entzugs- und Behandlungsmöglichkeiten, es werden mehr als 100.000 Patienten substituiert, u. a. in Gefängnissen. In Irak (mit irakisch Kurdistan) gibt es keine Behandlungsmöglichkeiten außer ‚kalten‘ Entzügen. Das syrische Gesundheitswesen ist nahezu völlig zerstört. Auf den Fluchtrouten nach Europa ist in Iran die Behandlung mit Methadon und Buprenorphin erlaubt, in Libanon und in der Türkei lediglich die Substitution mit Buprenorphin (für Flüchtlinge nicht zugänglich); in Griechenland ist die Zahl der Substitutionsplätze schon für einheimische Abhängige sehr begrenzt, das gilt auch für die nach Norden liegenden Balkanländer. Erst in Wien gibt es niedrigschwellige Zugänge zur Substitutionsbehandlung. Andere Hilfen wie niedrigschwellige Kontakt- und Informationsangebote, frühintervenierende und schadensmindernde Maßnahmen u. a. fehlen auf den Fluchtrouten fast vollständig.

    Die aktuelle Lage

    Aus den metropolitanen Regionen München, Frankfurt, Köln, Hamburg und Berlin melden niedrigschwellige Kontaktstellen, Drogenberatungsstellen, klinische Entzugsabteilungen und Substitutionspraxen/-ambulanzen spätestens seit der Jahreswende 2015/16 und deutlich früher als erwartet eine merkliche Zunahme von Anfragen zur Beratung und Behandlung von Flüchtlingen mit Substanzstörungen unterschiedlicher Art und Ausprägung:

    • Heroinabhängigkeit von Menschen aus Afghanistan, Iran und Irak
    • Problematischer Gebrauch von Alkohol unter Flüchtlingen, die aus kulturellen und/oder religiösen Gründen den Umgang mit dieser Substanz nicht gelernt haben und mit dem leichten Zugang zum Alkohol nicht umgehen können
    • Problematischer Gebrauch von Schmerzmitteln und Stimulanzien bei Flüchtlingen aus arabischen Ländern
    • Überwiegend inhalativer Konsum von Opioiden und (Meth-)Amphetamin von jungen Geflüchteten aus Syrien, die teilweise erst in Europa mit dem Konsum begonnen haben
    • Konsum von Amphetaminen und anderen Stimulanzien unter Flüchtlingen, die diese Substanzen als aufputschende Kriegsdrogen in regulären oder irregulären militärischen Verbänden kennengelernt haben
    • Problematischer Gebrauch von Cannabis unter jugendlichen Einwanderern aus dem Maghreb
    • Spielsucht bei Einwanderern der ersten und zweiten Generation mit islamischem Hintergrund

    Exakte Zahlen liegen nicht vor. Aus Flüchtlingscamps entlang der Fluchtrouten sind Vorfälle bekannt, bei denen es unter dem Einfluss von Alkohol zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen einzelnen ethnischen Gruppen kommt. Die eingangs geschilderte Prävalenz der Opioidabhängigkeit in den Herkunftsländern lässt erwarten, dass diese Entwicklung in den kommenden Monaten und Jahren zunehmen wird. Entwurzelung und erschwerte Integration von jungen männlichen Einwanderern bzw. Flüchtlingen sind erfahrungsgemäß der Nährboden für die Entwicklung von kriminellen Strukturen. Aus Flüchtlingslagern und Konsumräumen wurden erste Anhaltspunkte für ethnisch geprägte Konsumentengruppen und Händlerstrukturen berichtet.

    Hürden zur Behandlung

    • Bei Geflüchteten, insbesondere denjenigen, die erst während oder nach der Flucht eine Substanzstörung bzw. eine Sucht entwickelt haben, ist zu berücksichtigen, dass viele kein Verständnis von ihrer Erkrankung haben und eine Entzugssymptomatik nicht kennen oder nicht als solche deuten. Die meisten geflüchteten Süchtigen haben keine Vorstellung von den sozialen und medizinischen Hilfemöglichkeiten jenseits von staatlicher Repression. Generell wird Sucht eher nicht als Krankheit, sondern als moralische Verfehlung oder als unglücklicher Schicksalsschlag angesehen.
    • Für viele Flüchtlinge (und Migranten der vorherigen Jahre) stehen die hierzulande etablierten Behandlungsmöglichkeiten bestenfalls eingeschränkt zur Verfügung:
    • Der „Notfallschein“ (24-Stunden-Kostenübernahmeschein) berechtigt allenfalls zur Entzugsbehandlung bei Abhängigkeit von Opioiden, Alkohol, Benzodiazepinen und anderen Substanzen. Dies führt überdies zu der paradoxen Situation, dass Patienten nach der Entlassung nicht ambulant abstinenzorientiert weiterbehandelt werden können.
    • Erst mit der Ausstellung einer Gesundheitskarte für Asylbewerber (in NRW, Bremen, Hamburg und seit kurzem auch in Berlin) ist eine ambulante abstinenzorientierte Therapie bzw. bei Opioidabhängigkeit eine Substitution möglich.
    • Abstinenzorientierte stationäre Langzeitbehandlungen stehen generell nicht zur Verfügung, tagesstrukturierende, alltagsorientierte und stabilisierende abstinenzbasierte Hilfen ebenfalls nicht.
    • Eine weitere Hürde besteht darin, dass für Anamnese, Untersuchungen und Folgegespräche keine Sprachmittler/Dolmetscher zur Verfügung stehen oder diese nicht von den Kostenträgern bezahlt werden. Benötigt werden nicht nur Sprachmittler mit notwendigen (sub)kultur- und fluchtsensiblen Kenntnissen für den Arztkontakt, sondern auch zur vorbereitenden und begleitenden Motivationsarbeit, damit eine Intervention nicht schon vor oder mit dem Beginn scheitert.
    • Es fehlt eine Plattform, auf der bisherige Veröffentlichungen zum Thema, Seminarberichte, Ankündigungen von Veranstaltungen und Fortbildungen, muttersprachliche Materialien u. ä. zur Verfügung stehen.
    • Ebenfalls ungeklärt und unvorbereitet ist die psycho-soziale Begleitung hinsichtlich Finanzierung, Kulturkompetenz und sprachlicher Verständigung. Zu klären ist, wie „erforderliche psychiatrische, psychotherapeutische oder psycho-soziale Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen“ erbracht werden können, wie die BtMVV (= Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung, Anm. d. Red.) formuliert. Die KVen (= Krankenversicherungen, Anm. d. Red.) sehen das regional durchaus unterschiedlich.
    • Es stehen keine Informationsmaterialien in den Sprachen der hauptsächlich betroffenen Konsumentengruppen zur Erkrankung selbst, zu den unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten, zur Schadensminderung/safer use, zu Begleiterkrankungen u. a. zur Verfügung. Bei einem nennenswerten Anteil der Geflüchteten handelt es sich um Analphabeten, so dass auch Bilder und gesprochene Informationen (Audiodateien) zur Verfügung gestellt werden müssen.
    • Beschaffungskriminalität im Zusammenhang mit der Opioidabhängigkeit und praktisch der Konsum selbst können ein Abschiebegrund sein. Dies hindert Konsumenten am Zugang zur Beratung und Therapie.
    • Viele Flüchtlinge sind in ländlichen Regionen untergebracht. Es ist damit zu rechnen, dass substanzabhängige Flüchtlinge auf der Suche nach suchtmedizinischer Hilfe vom Land in die Städte kommen werden und sich dabei ihre rechtliche, soziale und gesundheitliche Lage zusätzlich destabilisiert.
    • Es steht zu befürchten, dass Opioidkonsumenten von Tabletten oder inhalativem Heroinkonsum auf das Spritzen von Heroin umsteigen mit den bekannten Risiken für Infektionskrankheiten.
    • Wir beobachten, dass nicht nur einzelne Geflüchtete in die Beratung und Behandlung kommen, sondern diese zu mehreren erscheinen. Teilweise leben sie in einem Zimmer in der Unterkunft zusammen, hausen in einer Notunterkunft oder haben sich zu sozialen Zweckbündnissen zusammengeschlossen. Hier ist zu überlegen, wie mit solchen sozialen Netzwerken und deren hoher Bindungskraft (im Guten wie im Schlechten) umzugehen ist.
    • Den sozialarbeiterischen und medizinischen Teams in den Aufnahmestellen ist die Symptomatik einer Opioidabhängigkeit und anderer Abhängigkeitserkrankungen in der Regel nicht bekannt. Deshalb kann dort auch keine gezielte Beratung und Vermittlung stattfinden.

    Schlussfolgerungen

    Abhängigkeitserkrankungen sind unter Flüchtlingen und Einwanderern kein seltenes, vor allem aber ein jeweils komplexes Phänomen. Drogenpolitik und Suchthilfe haben darauf bisher unzureichend reagiert. Zu entwickeln ist ein Konzept, das alle Formen der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen einschließt. Die Entwicklung der Opioidabhängigkeit in der Gruppe der jüngst nach Deutschland geflüchteten Menschen kann sich zu einem besonderen Problem ausweiten – aus dem Blickwinkel von Public Health wie aus Sicht der Inneren Sicherheit. Die Drogenpolitik in Bund und Ländern, Polizeibehörden, Fachverbände, Drogenhilfeträger sowie die Kostenträger sollten sich deshalb gemeinsam mit diesem Thema beschäftigen und ein aktuelles Lagebild erstellen. Die Hürden zur Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen, vordringlich bei Opioidabhängigkeit, müssen aus den vorgenannten Gründen beseitigt werden. Schnelles, abgestimmtes und kompetentes Handeln kann viel Leid für die Betroffenen und ihre Familien abwenden und Schaden für die Gesellschaft verhindern.

    Dieser Text entstand nach dem Fachaustausch zum Thema „Flüchtlinge in Deutschland – eine Herausforderung auch für die Sucht- und Drogenpolitik?“ am 25. Mai 2016, zu dem die Drogenbeauftragte der Bundesregierung eingeladen hatte.

    Kontakt:

    Hans-Günter Meyer-Thompson
    meyerthompson@gmail.com

    Angaben zu den Autoren:

    Dieter Ameskamp: Sozialpädagoge bei Asklepios Hamburg Nord Ochsenzoll, Klinik für Abhängigkeitserkrankungen, Ambulanz Altona
    Dr. med. Thomas Kuhlmann: Chefarzt und Ärztlicher Leiter, Psychosomatische Klinik Bergisch Gladbach
    Astrid Leicht: Diplom-Pädagogin, Geschäftsführung Fixpunkt Berlin
    Hans-Günter Meyer-Thompson: Arzt bei Asklepios Hamburg Nord Ochsenzoll, Klinik für Abhängigkeitserkrankungen, Ambulanz Altona
    Dr. med. Sibylle Quellhorst: FÄ für Allgemeinmedizin, Koordination der medizinischen Versorgung Flüchtlinge, Gesundheitsamt Hamburg-Altona
    Prof. Dr. Dr. Dr. Felix Tretter: Bayerische Akademie für Suchtfragen in Forschung und Praxis BAS e. V., 2. Vorsitzender
    Dr. Theo Wessel: Gesamtverband für Suchthilfe e. V. (GVS) Fachverband der Diakonie Deutschland, Geschäftsführer

  • Interkulturelle Perspektiven für das Sozial- und Gesundheitswesen

    Frankfurt a. M.: Mabuse Verlag, 2. Aufl. 2016, 324 S., ISBN 978-3-938304-99-0, EUR 39,95

    1499gr_392x550-ID9985-dc9935f5df8b2ef37c229375e83e136eMenschen mit Migrationshintergrund treffen im Sozial- und Gesundheitswesen auf zahlreiche Zugangsbarrieren. Soll eine gleichberechtigte Teilhabe von Klient/innen und Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund gewährleistet werden, müssen sowohl individuelle Einstellungen als auch institutionelle Strukturen überdacht werden. Das Buch stellt Konzepte vor, wie die aktive Teilhabe dieser Personengruppen im Sozial- und Gesundheitswesen gelingen kann.