Autor: Simone Schwarzer

  • Cannabiskonsum

    Eine Zunahme psychischer Störungen und Verhaltensstörungen durch Cannabiskonsum in der deutschen Bevölkerung haben Forschende des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) in einer Studie festgestellt. Im Untersuchungszeitraum zwischen 2009 und 2021 stieg zudem der Anteil der Cannabiskonsument:innen in der Allgemeinbevölkerung, und die registrierten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz wegen Besitzes geringer Mengen an Cannabis nahmen zu. Relativ gesehen war der Anstieg in den einzelnen Kategorien bei Konsument:innen zwischen 35 und 59 Jahren am stärksten ausgeprägt, während er bei Minderjährigen eher stagnierte. Cannabiskonsum und Gesundheitsprobleme scheinen nach den Ergebnissen der Studie zudem in den nördlichen Bundesländern und den Stadtstaaten stärker ausgeprägt zu sein, während bei Straftaten in diesem Zusammenhang kein eindeutiger geografischer Trend zu beobachten war. Ihre Studienergebnisse haben die Forschenden im Fachmagazin European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience (EAPC) veröffentlicht.

    Die Wissenschaftler:innen griffen für ihre Untersuchung auf bevölkerungsbezogene Erhebungen zum Cannabiskonsum sowie Routinedaten zurück. Letztere umfassen die Diagnosen in Verbindung mit Cannabiskonsum in ambulanten medizinischen Einrichtungen sowie Bagatelldelikte hinsichtlich des Besitzes von Cannabis. „Die Nachfrage nach ambulanten Behandlungen im Zusammenhang mit Cannabis ist stärker gestiegen als die Zahl der Konsument:innen, was eine zunehmende Herausforderung für das Gesundheitssystem darstellt. Auch die gestiegenen Raten für dokumentierte Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz müssen hinsichtlich der nun gesetzlich verankerten rückwirkenden Erlassung von Strafen bei der Bewertung dieser jüngsten Gesetzesänderungen in den Blick genommen werden“, sagt Dr. Jakob Manthey, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE.

    Originalpublikation:
    Manthey, Klinger, Rosenkranz et al. Cannabis use, health problems, and criminal offences in Germany: national and state-level trends between 2009 and 2021. European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience. 2024. DOI: doi.org/10.1007/s00406-024-01778-z

    Pressestelle des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, 2.5.2024

  • Liberalisierung von medizinischem Marihuana in den USA

    Die Freigabe von Marihuana für medizinische Zwecke hat sich in den USA kaum auf die psychische Gesundheit der breiten Bevölkerung ausgewirkt. Aber die Legalisierung zu Therapiezwecken nützt denen, für die sie gedacht ist. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Forschern der Universität Basel.

    In den USA wurde der Zugang zu Marihuana seit Mitte der 1990er Jahre in den meisten Bundesstaaten erleichtert – sei es durch die Freigabe für medizinische Zwecke oder durch eine Entkriminalisierung des Freizeitkonsums. Die Liberalisierung bleibt jedoch umstritten, und die Auswirkungen auf das Wohlbefinden einzelner Personengruppen sowie der therapeutische Wert von Marihuana werden weiterhin kontrovers diskutiert. Während die einen negative Folgen durch Abhängigkeit befürchten, überwiegt für andere der mögliche medizinische Nutzen für Personen, die unter chronischen Schmerzen, Übelkeit oder Krämpfen leiden. Ob die medizinische Cannabisgesetzgebung in den USA die Situation für kranke Menschen verbessert und ob sie sich negativ auf die psychische Gesundheit der Gesamtbevölkerung auswirkt, haben Basler Forscher nun in einer neuen Studie untersucht.

    Wahrscheinlichkeitsbasierte Analyse

    Für ihre Analyse haben die Forscher zwei große Datensätze zusammengeführt: Zum einen sind dies Daten von fast acht Millionen Personen, die zwischen 1993 und 2018 im Rahmen des „Behavioral Risk Factor Surveillance System“ an Telefonbefragungen teilgenommen haben, in denen unter anderem das psychische Wohlbefinden erfasst wird. Zum anderen handelt es sich um Daten aus dem „National Survey on Drug Use and Health“, der Informationen zu gesundheitsbezogenen Themen wie Drogenkonsum in den USA sammelt.

    Mittels statistischer Zuordnungen bildeten die Forscher verschiedene Gruppen. Die Gruppen umfassen Personen, die hinsichtlich des Konsums von Marihuana entweder mit hoher Wahrscheinlichkeit abstinent sind, Marihuana als Freizeitdroge verwenden oder es aus medizinischen Gründen konsumieren. Weiter konnten Personen identifiziert werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit unter chronischen Schmerzen leiden. Die psychische Gesundheit wurde anhand einer Selbsteinschätzung erfasst, bei der die Befragten die Anzahl Tage angaben, an denen sie im Vormonat psychische Probleme hatten.

    Positive Effekte bei therapeutischem Konsum

    Mit Hilfe statistischer Verfahren konnten die Forscher die Auswirkungen einer gesetzlichen Freigabe von Marihuana für medizinische Zwecke abschätzen. Das Resultat: Der erleichterte Zugang verbessert die psychische Gesundheit bei Personen, die Marihuana aus medizinischen Gründen konsumieren. Dasselbe gilt für Personen, die mit großer Wahrscheinlichkeit unter Schmerzen leiden. Die Studienautoren schätzen, dass diese beiden Gruppen durch die Gesetzesänderung pro Monat 0,3 Tage weniger in schlechter psychischer Verfassung verbringen.

    Gleichzeitig fanden die Forscher keinen Effekt auf die mentale Gesundheit von Freizeitkonsumenten oder auf jüngere Bevölkerungsgruppen. „Insgesamt zeigen unsere Ergebnisse, dass die Gesetzgebung zu medizinischem Cannabis in den USA den Menschen nützt, für die sie gedacht ist, ohne anderen Gruppen zu schaden“, fasst Studienleiter Prof. Dr. Alois Stutzer von der Universität Basel zusammen.

    Originalpublikation:
    Jörg Kalbfuss, Reto Odermatt, Alois Stutzer
    Medical marijuana laws and mental health in the United States
    Health Economics, Policy and Law (2024)
    doi: 10.1017/S1744133124000033

    Pressestelle der Universität Basel, 4.4.2024

  • 11. Alternativer Drogen- und Suchtbericht erschienen

    Die Cannabis-Teillegalisierung ist eines der Themen, mit denen die scheidende Ampelkoalition in Erinnerung bleiben wird. Wie die drogenpolitische Bilanz der Regierung insgesamt ausfällt, darüber gibt der aktuelle 11. Alternative Drogen- und Suchtbericht (ADSB) Aufschluss. Im Bericht, der am 18. Dezember online vorgestellt wurde, kommen Expert:innen aus der Suchtprävention, -hilfe und -forschung zu Wort, darunter Expert:innen der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS).

    Der ADSB wird jährlich vom Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik akzept e. V. herausgegeben, dessen Vorsitzender Prof. Dr. Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt UAS ist. Der Bericht soll Unzulänglichkeiten der nationalen Drogenpolitik und evidenzbasierte Wege für ihre Weiterentwicklung aufzeigen. „Die aktuelle Ausgabe zeigt, dass die Drogenpolitik zwar in mancher Hinsicht vorangekommen ist, aber viele Verabredungen im Koalitionsvertrag nur unzureichend umgesetzt wurden. Versäumt wurden vor allem grundlegende Präventionsschritte in Bezug auf Alkohol, Tabak und Medikamente sowie die Einführung der lizensierten Verkaufsstellen für Cannabis“, so Stöver.

    Redaktionell verantwortet haben diese Ausgabe neben Stöver Ulla-Britt Klankwarth, ebenfalls ISFF, Nina Pritszens, stellvertretende akzept-Vorsitzende und vista gGmbH-Geschäftsführerin, sowie Christine Kluge Haberkorn von akzept. Auf rund 130 Seiten betrachten Expert:innen in Fachbeiträgen unter anderem die grundsätzliche Ausrichtung und Strukturen der Drogenpolitik. So kritisieren Stöver und Dr. Ingo Ilja Michels, ebenfalls ISFF, in einem Beitrag die „Antidrogenpolitik“ in Bezug auf andere psychoaktive Substanzen als Cannabis. Sie argumentieren, das Verbot dieser Drogen schädige mehr als der legale Konsum, und fordern eine Entkriminalisierung.

    Berliner Drug-Checking-Bilanz und erwarteter Anstieg bei synthetischen Opioiden

    Als Kernthemen behandelt der diesjährige ADSB:

    • offene Fragen aus der Teillegalisierung von Cannabis,
    • mögliche Maßnahmen in Bezug auf den Crack-Konsum,
    • die Frage, inwieweit Deutschland auf synthetische Opioide vorbereitet ist,
    • und die Drug-Checking-Praxis.

    So blicken Expert:innen der vista gGmbH, einem freien Träger der Drogen- und Suchthilfe, mit ihren Kooperationspartner:innen auf ein Jahr Berliner Drug-Checking-Modellprojekt zurück. Für die flächendeckende Einführung der Möglichkeit, psychoaktive Substanzen legal auf Wirkstoffgehalt und Verunreinigungen prüfen zu lassen, hat die scheidende Regierung rechtliche Grundlagen geschaffen. Bisher fehlt aber die Umsetzung durch die Länder weitestgehend. Die hohe Anzahl auffälliger Proben (47,2 Prozent), vor denen gewarnt wurde, zeige die Notwendigkeit von Drug-Checking als Maßnahme zur Schadensminimierung und zum Gesundheitsschutz, ziehen die Berliner Projektmitarbeitenden Bilanz.

    Adressiert wird auch das mögliche künftig verstärkte Aufkommen von synthetischen Opioiden wie Fentanyl in Deutschland als Folge des Wegfalls des Opiumanbaus in Afghanistan. So verweisen die Suchthilfe-Expert:innen Nina Pritszens, Dirk Schäffer und Dr. med. Maurice Cabanis in einer Analyse der geplanten Neuregelung zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung auf deren Wichtigkeit. Auch „Take-Home-Naloxon“ könnte als risikominimierende Maßnahme eine Rolle spielen. Das Nasenspray rettet bei Opioid-Überdosen Leben. Mit dem ISFF-Mitarbeitenden Simon Fleißner sowie Maria Kuban und Dirk Schäffer von der Deutschen Aidshilfe regt Suchtforscher Stöver in einem Beitrag die Aufhebung der Verschreibungspflicht und vermehrte Schulungen etwa für Polizist:innen an.

    Anforderungen an eine neue Bundesregierung

    Der aktuelle ADSB beschränkt sich aber wie in den Jahren zuvor nicht nur auf illegalisierte Drogen. Thematisiert werden auch risikomindernde Strategien für den Konsum von legalen Suchtmitteln wie Tabak. Und Jugendliche als Konsumgruppe werden in den Blick genommen. So enthält der Bericht unter anderem Präventionsempfehlungen in Bezug auf den Sedativa-Konsum von jungen Menschen. Das Phänomen ist laut ISFF-Leiter Prof. Dr. Bernd Werse und seinem Co-Autor auch durch die Corona-Krise beeinflusst.

    Mit Blick auf die kommende Bundestagswahl fasst der akzept-Vorsitzende Stöver zusammen: „Nach langer Durststrecke konnten wir in diesem Jahr einen längst überfälligen drogenpolitischen Paradigmenwechsel vollziehen, welcher nach dem 23. Februar 2025 droht, zunichte gemacht zu werden. Die aktuellen Entwicklungen auf dem Drogenmarkt insbesondere in Bezug auf Crack und synthetische Opioide machen es notwendig, dass schnell und flexibel reagiert wird und Hilfesysteme weiterentwickelt werden. Wir haben keine Zeit, ideologische Debatten zu führen – es braucht pragmatische Lösungen, um Menschenleben zu retten!“

    Der 11. Alternativen Drogen- und Suchtbericht ist auf www.alternativer-drogenbericht.de zu finden und im Verlag Pabst Science Publishers erschienen: gedruckt ( ISBN 978-3-95853-961-7) und als eBook (ISBN 978-3-95853-962-4). www.pabst-publishers.com

    Pressestelle der Frankfurt University of Applied Sciences, 18.12.2024

  • Die psychologische Hausapotheke

    Beltz Verlag, Weinheim 2024, 272 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-407-86799-5

    Die psychologische Hausapotheke vermittelt 30 alltagstaugliche Kompetenzen für den Umgang mit sechs großen Herausforderungen: Selbstwert, Partnerschaft, Stress, Krise, Schmerz und Schlaf. Verhaltenstherapeutin Sylvia Schmidt kann auf Erfahrungen mit über 500 Klient:innen zurückgreifen. Ob fehlende Nähe in der Partnerschaft, zu viel Stress im Job oder Kopfkino in der Nacht: Die psychologische Hausapotheke hat Tipps parat, um Abhilfe zu schaffen.

    Sylvia Schmidt zeigt, wie Menschen ihre mentale Gesundheit stärken und besser mit den täglichen Herausforderungen umgehen können, zum Beispiel das eigene Zeitmanagement anpassen, Resilienz stärken, den liebevollen Blick auf sich selbst trainieren oder Kopfschmerzauslöser entdecken. Die psychologische Hausapotheke gibt Denkanstöße und bietet leicht umsetzbare Aufgaben und Übungen.

  • Suchthilfe in Deutschland

    DSHS Jahresbericht 2023

    Der aktuelle Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) ist am 30.11.2024 veröffentlicht worden. Wie in den Vorjahren werden die wichtigsten aktuellen Ergebnisse der Deutschen Suchthilfestatistik zusammengefasst. Im Jahr 2023 wurden in 897 ambulanten und 156 stationären Einrichtungen, die sich an der DSHS beteiligt haben, 331.537 ambulante Betreuungen und 36.868 stationäre Behandlungen durchgeführt. Die Suchthilfe in Deutschland zählt damit zu den größten Versorgungssystemen im Suchtbereich in Europa und weist eine hohe Qualifizierung und Differenzierung auf.

    Primäres Ziel dieses Jahresberichts ist eine breite Ergebnisdarstellung aktueller Daten der DSHS. Der Bericht bietet neben Informationen zu an der DSHS teilnehmenden Einrichtungen und dem Betreuungsvolumen einen Überblick über störungsbezogene und soziodemographische Merkmale der betreuten/behandelten Klientel sowie zu Merkmalen der Betreuung bzw. Behandlung.

    Ergänzend werden Auswertungen gegliedert nach ausgewählten Hauptmaßnahmen erstellt. Dies sind für das Datenjahr 2023: Ambulante medizinische Rehabilitation (ARS), (Reha-)Nachsorge (NAS), Assistenzleistung im eigenen Wohn- und Sozialraum (AWS), Psychosoziale Begleitbetreuung Substituierter (PSB) sowie Suchtberatung im Justizvollzug (SBJ). Im Sinne einer Kompaktzusammenfassung werden zentrale Parameter einerseits typ- und hauptdiagnosebezogen im Querschnitt visualisiert und darüber hinaus Trendprofile (ab Datenjahr 2017) bereitgestellt.

    Der Jahresbericht und die dazugehörigen Tabellenbände können auf der Website der DSHS heruntergeladen werden.

    Quelle: www.suchthilfestatistik.de, Meldung vom 30.11.2024

    KURZBERICHT 2/2024: Kokainkonsumstörungen in der ambulanten und stationären Suchthilfe

    Zusätzlich zu den Standardanalysen werden aus dem umfangreichen Pool der im Rahmen der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) erhobenen Daten für jährlich wechselnde Sonderauswertungen spezifische Betreuungs- und Behandlungsgruppen ausgewählt und in üblicherweise zwei Kurzberichten pro Jahr dargestellt.

    In Deutschland ist eine wachsende Verfügbarkeit von Kokain und eine zunehmende Anzahl an Konsumierenden zu verzeichnen. Angesichts der zentralen Rolle von psychosozialen Interventionen bei Kokainkonsumstörungen gilt diese Entwicklung als zukünftige Herausforderung für das Suchthilfesystem. Diese Sonderauswertung der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) soll die Personen, die aufgrund von kokainbezogenen Störungen Leistungen der ambulanten und stationären Suchthilfe in Anspruch nehmen, und ihre dortige Versorgung charakterisieren.

    Der Kurzbericht kann auf der Website der DSHS heruntergeladen werden.

    Quelle: www.suchthilfestatistik.de, Meldung vom 4.12.2024

  • Starker Anstieg der Sicherstellungen von Kokain und höherer Konsum

    Der jährliche Bericht der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) zur Situation illegaler Drogen in Deutschland wurde am 12. Dezember veröffentlicht. Dem neuen Bericht zufolge konsumierten zuletzt 3,6 Prozent aller Erwachsenen in Deutschland innerhalb des vergangenen Jahres illegale Drogen (inklusive Cannabis waren es 9,6 Prozent, Befragungszeitpunkt lag vor der Entkriminalisierung). Dabei schwanken die Zahlen zwischen den Bundesländern erheblich: beispielsweise in Berlin 19,3 Prozent und in Sachsen 7,0 Prozent (inklusive Cannabis).

    Der Bericht zeigt den Trend zu einem steigenden Konsum von Kokain sowie anderen Stimulanzien. Innerhalb von sechs Jahren ist der Anteil der Erwachsenen zwischen 18 und 59 Jahren, die mindestens einmal im Jahr Kokain konsumiert haben, von 0,6 Prozent (2015) auf 1,6 Prozent (2021) gestiegen. Leicht gestiegen ist auch der Anteil von Beratungen und Behandlungen wegen Kokain – ambulant wie stationär. Etwa zehn Prozent der Beratungen und Behandlungen wegen illegaler Substanzen betreffen Kokainkonsumierende. Die meisten der Konsumierenden sind Männer. Die Sicherstellungen von Kokain durch Polizei und Zoll haben ebenfalls einen Rekordwert erreicht: Wurden 2017 noch acht Tonnen Kokain in Deutschland sichergestellt, waren es 2023 43 Tonnen.

    Die gesundheitlichen Folgen des Konsums illegaler Substanzen sind erheblich. So liegt die Zahl der Drogentoten (zuerst im Frühjahr 2024 veröffentlicht) mit 2.227 Fällen im Jahr 2023 auf dem höchsten Wert seit der Datenerfassung. Der riskante Mischkonsum von mehr als einer Droge, ob legal oder illegal, ist besonders gefährlich: In zwei Dritteln aller Drogentodesfälle ist mehr als eine psychoaktive Substanz festgestellt worden.

    Burkhard Blienert, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen: „Die Zahlen sprechen eine sehr deutliche Sprache: Die Lage ist ernst. Auch in diesen unsicheren Zeiten, in denen Krisen und Kriege viele Menschen beunruhigen, dürfen wir Drogenkonsumierende und Suchtkranke nicht weiter an den Rand der Gesellschaft schieben oder gar ins Unsichtbare. Vielmehr muss die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels erfolgreicher werden, mit einem klaren Fokus auf die Organisierte Kriminalität. Wir brauchen einen gemeinsamen Kraftakt von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungsträgern für mehr Prävention, mehr Gesundheitsschutz und eine noch zielgenauere Beratung und Therapie. Wer jetzt stattdessen am Sucht- und Drogenhilfesystem sägt, der sorgt für noch mehr Konsum, riskiert Jugend- und Gesundheitsschutz und spielt auch mit Menschenleben.“

    Esther Neumeier, Leiterin der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD): „Wir brauchen zukünftig neben den Langzeittrends, mit denen wir die Gesamtsituation wissenschaftlich einschätzen, auch schnellere Wege, um neue Informationen zu gewinnen und weiterzugeben. Dafür notwendig sind mehr und schnellere toxikologische Analysedaten bei Vergiftungen und Todesfällen, aber auch zu aufgefundenen Substanzen. Und eine engere Vernetzung aller Akteure im Bereich der illegalen Substanzen, auf nationaler Ebene und lokal vor Ort – von der Strafverfolgung über das Hilfesystem, bis hin zu den Konsumierenden selbst.“

    Der REITOX-Jahresbericht bietet einen vollständigen Überblick über das Konsumverhalten in der Altersgruppe der 12- bis 64-Jährigen. Darüber hinaus zeigt er die aktuellen Entwicklungen in den Bereichen Prävention, Beratung, Behandlung, Schadensminderung und Angebotsbekämpfung mit Blick auf illegale Drogen in Deutschland auf und bietet entsprechende Hintergrundinformationen. Auch über den Konsum von Drogen und die Behandlungsmöglichkeiten im Strafvollzug wird berichtet.

    Der REITOX-Jahresbericht 2024 und alle Workbooks sind hier abrufbar: www.dbdd.de

    Gemeinsame Pressemitteilung des Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen und des IFT München, Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, 12.12.2024

  • Der kleine Unterschied?

    Der kleine Unterschied?

    *Der Fachbeirat Statistik der DSHS ist derzeit vertreten durch Rudolf Bachmeier, Heike Timmen, Eva Egartner, Wolfgang Klose, Corinna Mäder-Linke, Anja Mevius, Peter Raiser, Gabriele Sauermann, Iris Otto und Detlef Weiler

    Einleitung

    2021 hatten laut Epidemiologischem Suchtsurvey (ESA) 8,8 % der erwachsenen Wohnbevölkerung in Deutschland binnen der letzten 12 Monate Cannabis konsumiert, wobei die Konsumprävalenz unter Männern (10,7 %) höher war als unter Frauen (6,8 %) (1). Bei knapp einem Drittel der Konsumenten bzw. knapp einem Viertel der Konsumentinnen wurde das Konsumverhalten als problematisch eingestuft (1). Langfristiger Konsum von Cannabisprodukten begünstigt die Entwicklung von Cannabinoidkonsumstörungen (CUD) (2).

    Eine wichtige Anlaufstelle für Menschen mit CUD ist die (ambulante) Suchthilfe. Der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) zu Folge wurden 2023 in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen 26.633 Betreuungen aufgrund von CUD begonnen, wobei etwa 4 von 5 Fällen auf Männer entfielen. Nur im Bereich von Alkoholkonsumstörungen (73.746 Fälle) war das Betreuungsvolumen noch größer (3). Trendanalysen auf Basis der DSHS zeigten, dass sich die Anzahl der Betreuungsfälle aufgrund von CUD seit der Jahrtausendwende verdreifacht hat (2001: 10,1 Fälle pro Einrichtung, 2021: 33,2 Fälle pro Einrichtung), der Frauenanteil unter den Betreuten aber nur minimal gestiegen ist (2001: 15,6 %; 2021: 18,1 %) (4).

    Entwicklungen innerhalb der Gesamtheit der Hilfesuchenden mit CUD werden somit stark durch Entwicklungen bei hilfesuchenden Männern geprägt. Ob sich bei weiblichen Hilfesuchenden andere Trends zeigen, soll diese Arbeit beleuchten.

    Methodik

    Datenquelle

    Im Rahmen der vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) werden seit etwa 45 Jahren routinemäßig Daten aus ambulanten Suchthilfeeinrichtungen, stationären Rehabilitationseinrichtungen und Einrichtungen der Sozialen Teilhabe gesammelt und aufbereitet. Unsere Analysen nutzen Daten, die ambulante Suchthilfeeinrichtungen von 2001 bis 2023 für die DSHS zur Verfügung gestellt haben. Die an der DSHS teilnehmenden Einrichtungen spiegeln dabei jedes Jahr etwa 70 % aller ambulanten Suchthilfeeinrichtungen (5-7), wobei die Anzahl und Zusammensetzung des Teilnehmerpools leicht schwankt („offene Kohorte“).

    Die Datenerhebung erfolgt nach den bundesweit einheitlichen Standards des Deutschen Kerndatensatzes zur Dokumentation in der Suchthilfe (KDS) und umfasst soziodemographische und klinische Daten sowie Informationen zum Versorgungsverlauf samt Ergebnis. Eine detaillierte Auflistung der im KDS erhobenen Variablen und ihrer Ausprägungen findet sich im jährlich aktualisierten zugehörigen Manual (8). Um nationalen und internationalen Bedarfen Rechnung zu tragen, wird der KDS regelmäßig weiterentwickelt, so dass die analysierten Daten auf unterschiedlichen (miteinander kompatiblen) KDS-Versionen beruhen: 2001 – 2006: KDS; 2007 – 2016: neuer KDS 2.0; 2017 – 2023: KDS 3.0.

    Die DSHS nutzt keine personenbezogenen Daten, sondern Aggregatdaten: In jeder teilnehmenden Einrichtung werden die Daten fallweise gebündelt und in Form von Pivot-Tabellen aufbereitet. Die entsprechenden Tabellen werden anschließend über alle an der DSHS teilnehmenden Einrichtungen hinweg zu einem einzigen Gesamtdatensatz zusammengefasst. Somit stehen für jeden einzelnen Parameter geschlechts- und Hauptdiagnosebezogene Häufigkeitsverteilungen zu Verfügung (z. B. Anzahl Erstbetreuungen unter Männern mit CUD, Anzahl Betreuungen bei unter 30-jährigen Männern mit CUD), es ist aber nicht möglich, die einzelnen Informationen miteinander zu verknüpfen (z. B. Anzahl Erstbetreuungen bei unter 30-jährigen Männern mit CUD). Aufgrund der fallweisen Dokumentation können konkrete Personen mehrfach in den Datensatz eingehen. Eine ausführlichere Beschreibung der Prozesse innerhalb der DSHS wurde anderweitig publiziert (9). Die Ergebnisse aus den Routineläufen der DSHS sind in Form von Excel-Tabellenbänden öffentlich verfügbar (https://suchthilfestatistik-datendownload.de/Daten/download-CDS-2.html).

    Statistische Analyse

    Unsere Analysen schließen alle Betreuungszugänge aufgrund von Cannabinoidmissbrauch (ICD10-Diagnose: F12.1) und Cannabinoidabhängigkeit (ICD10-Diagnose F12.2) ein. Die Betreuungen wurden für die einzelnen Jahre getrennt nach (biologischem) Geschlecht aufbereitet und ausgewertet. Um die Relevanz von CUD in der ambulanten Suchthilfe zu spiegeln, haben wir zunächst

    • den Anteil an CUD-bedingten Betreuungen an allen Betreuungen im Zeitverlauf sowie
    • die durchschnittliche Anzahl an CUD-bedingten Betreuungen pro Einrichtung

    abgebildet. Anschließend wurden Trends hinsichtlich

    • Alter bei Betreuungszugang (in Jahren),
    • ausgewählter soziodemographischer Parameter (zusammenlebend mit minderjährigen Kindern, Abitur, Arbeitslosigkeit),
    • Erstbetreuung (d. h. ohne Vorerfahrung mit der Suchthilfe; ja/nein) und
    • Betreuungsergebnis (verbesserte Symptomatik ja/nein)

    bei hilfesuchenden Männern und Frauen gegenübergestellt.

    Hierfür wurden zunächst Anteilswerte bei Beginn (2001) und Ende (2023) des Beobachtungszeitraums erfasst und mögliche Unterschiede anhand nicht-überlappender 95 %-Konfidenzintervalle (KI) bewertet. Diese Intervalle geben eine Spannweite an, in der der wahre Parameterwert mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % liegt. Sobald sich Konfidenzintervalle überlappen, lässt sich ein Unterschied nicht statistisch nachweisen. Anschließend wurde für alle Variablen der geschlechtsspezifische Gesamttrend über Joinpoint-Analysen (Joinpoint Trend Analysis Software Version 4.9.1.0 (10)) ermittelt. Im Rahmen von Joinpoint-Analysen lassen sich Bruchpunkte in Zeitreihen (sog. Joinpoints (JP)) identifizieren, an denen sich die Trendrichtung oder Trendstärke signifikant verändert (11-13). Für unsere Analysen wurde ein Signifikanzniveau von 5 % gewählt.

    Ergebnisse

    Relevanz von CUD in der ambulanten Suchthilfe in Deutschland

    2001 erfolgten bei Männern 7,7 % [95 %-KI: 6,8 %; 8,6 %] der 40.288 Betreuungszugänge aufgrund von CUD, bei Frauen waren es 5,0 % [3,2 %; 6,8 %] der 11.554 Betreuungszugänge. Bis 2023 hatte sich der entsprechende Anteil bei beiden Geschlechtern in etwa verdreifacht, bei Männern auf 19,8 % [19,3 %; 23,3 %] (von 107.411 Betreuungszugängen) und bei Frauen auf 13,6 % [12,7 %; 14,5 %] (von 39.102 Betreuungszugängen). Damit wurden 2001 in jeder Einrichtung im Mittel 8,5 CUD-bedingte Betreuungen bei Männern durchgeführt, 2023 waren es 23,7. Für Frauen lagen die entsprechenden Werte bei 1,6 und 5,9 (siehe Abbildung 1).

    Abbildung 1: Relevanz von CUD in der ambulanten Suchthilfe, 2001 – 2023

    Alter bei Betreuungsbeginn

    2001 lag das Durchschnittsalter der wegen CUD betreuten Männer mit 21,8 Jahren ähnlich hoch wie das der wegen CUD betreuten Frauen mit 21,7 Jahren. Bis 2023 stieg das Durchschnittsalter bei Männern auf 25,9 Jahre und bei Frauen auf 26,4 Jahre. Hierbei wechselten bei beiden Geschlechtern stabile Phasen mit Phasen des Anstiegs (siehe Abbildung 2).

    Abbildung 2: Durchschnittsalter der wegen CUD betreuten Männer und Frauen, 2001 – 2023

    Lebenssituation

    2001 teilte einer von 20 wegen CUD betreuten Männern (4,8 %; [1,1 %; 8,4 %]) bzw. eine von 7 wegen CUD betreuten Frauen (14,6 %; [6,6%; 22,5 %]) den Haushalt mit minderjährigen Kindern. Während bei Männern bis 2023 ein beständiger Anstieg auf nahezu das Doppelte des Ausgangswertes zu beobachten war (8,1%; [6,7 %; 9,5 %]), blieb der Anteilswert bei Frauen auf einem im Vergleich dazu signifikant höheren Niveau stabil (16,6 %; [14,0 %; 19,3 %]) (siehe Abbildung 3).

    Abbildung 3: Mit minderjährigen Kindern zusammenlebende wegen CUD betreute Männer und Frauen, 2001 – 2023

    Schulabschluss Abitur

    Das (Fach-)Abitur hatte 2001 einer von 20 wegen CUD betreuten Männern (4,5 %; [0,8 %; 8,3 %]) bzw. eine von 14 wegen CUD betreuten Frauen (7,0 %; [0,0%; 15,6 %]). Diese Anteilswerte werden statistisch als vergleichbar eingestuft. 2023 hatten Männer in einem Siebtel der Fälle (13,6 %; [12,1 %; 15,2 %]) und damit häufiger das (Fach-)Abitur als 2001. Bei Frauen lag der entsprechende Anteil bei einem Sechstel (17,7 %; [7,0 %; 28;4 %])wobei statistisch kein Unterschied zu 2001 nachweisbar war. Auch 2023 bestand kein Geschlechtsunterschied hinsichtlich des Anteils mit (Fach)Abitur. Im Beobachtungszeitraum wechselten bei beiden Geschlechtern Anstiegsphasen und stabile Phasen (siehe Abbildung 4).

    Abbildung 4: (Fach-)Abitur bei wegen CUD betreuten Männern und Frauen, 2001 – 2023

    Erwerbsstatus

    Der Anteil an Arbeitslosen unter wegen CUD betreuten Männern war 2001 mit einem Fünftel (20,4 %; [16,0 %; 24,8 %]) ähnlich hoch wie 2023 mit einem Viertel (24,8 % [23,6 %; 26,1 %]). Wegen CUD betreute Frauen waren 2023 in 3 von 10 Fällen arbeitslos (29,7 % [27,2 %; 32,2 %]) und damit signifikant häufiger als 2001, als ein Sechstel arbeitslos war (15,8 % [4,8 %; 26,9 %]). Somit war Arbeitslosigkeit unter Frauen und Männern 2001 ähnlich weit verbreitet, 2023 waren Frauen aber signifikant häufiger arbeitslos als Männer. Nach einem anfänglichen Anstieg ist bei beiden Geschlechtern der Anteil an Arbeitslosen in den letzten etwa 15 Jahren des Beobachtungszeitraums rückläufig (siehe Abbildung 5).

    Abbildung 5: Arbeitslosigkeit bei wegen CUD betreuten Männern und Frauen, 2001 – 2023

    Erstbetreute

    Während 2001 jeweils etwa 4 von 5 wegen CUD betreuten Männern (79,2 %; [77,5 %; 80,9 %]) bzw. Frauen (82,2 % [78,5 %; 85,9 %]) mit der laufenden Betreuung erstmalig in Kontakt zum Suchthilfesystem traten, waren Erstbetreuungen 2023 mit jeweils 5 von 9 Fällen sowohl bei Männern (55,2 % [54,2 %; 56,2 %]) als auch Frauen (58,9 %; [57,0 %; 60,8 %]) signifikant seltener. Nach einem anfänglichen starken Rückgang hat sich der Anteil an Erstbetreuungen bei beiden Geschlechtern ab 2008 bzw. 2009 stabilisiert (siehe Abbildung 6).

    Abbildung 6: Erstbetreute unter wegen CUD betreuten Männern und Frauen, 2001 – 2023

    Ergebnis bei Betreuungsende

    2001 hatte sich die CUD-Problematik bei Betreuungsende bei 4 von 9 Männern (55,2 % [51,0 %; 59,4 %]) verbessert. Bei Frauen lag der Anteil mit etwa der Hälfte der Fälle (51,8 %; [40,1 %; 63,6 %]) ähnlich hoch. 2023 war bei jeweils knapp 2 von 3 betreuten Männern (61,0 % [59,9 %; 62,0 %]) bzw. Frauen (60,6 % [58,5 %; 62,7 %]) eine Verbesserung zu verzeichnen. Bei Männern überstieg dieser Anteil den Ausgangswert signifikant, bei Frauen war er vergleichbar. Der Anteil an Betreuungen, die mit einer verbesserten Suchtproblematik enden, geht bei beiden Geschlechtern nach einem anfänglichen Anstieg seit 2007 leicht zurück (siehe Abbildung 7).

    Abbildung 7: Anteil an mit verbesserter Suchtproblematik beendeten Betreuungen unter wegen CUD betreuten Männern und Frauen, 2001 – 2023

    Diskussion

    Die nach Geschlecht stratifizierten Analysen unterstreichen, dass sich der Anteil CUD-bedingter Betreuungen in der ambulanten Suchthilfe bei Männern wie Frauen von 2001 bis 2023 verdreifacht hat – bei Männern aber von einem deutlich höheren Ausgangsniveau aus. Das Durchschnittsalter der Hilfesuchenden hat sich von Anfang auf Mitte 20 erhöht. Der Anteil an Erstbetreuungen war, nach einem anfänglichen Rückgang, in den letzten 15 Jahren des Beobachtungszeitraums stabil. Zeitgleich sinkt der Anteil an Betreuungen, die mit einer verbesserten CUD-Symptomatik enden – wobei die entsprechenden Anteilswerte bei Männern noch über dem Ausgangsniveau bzw. bei Frauen auf dem Ausgangsniveau liegen. All diese Trendverläufe sind bei Männern und Frauen nahezu deckungsgleich, weswegen die in der Hauptpublikation (4) diskutierten Erklärungsansätze für beide Geschlechter greifen dürften.

    Das steigende Durchschnittsalter der Hilfesuchenden könnte damit zusammenhängen, dass auch Cannabiskonsumierende im Mittel älter werden (14). Ein zweiter Erklärungsfaktor dürfte das erhebliche Rückfallrisiko (15) sein, das sich auch im gesunkenen Anteil an Erstbetreuungen spiegelt. Naturgemäß sind Hilfesuchende bei jeder neuen Betreuungsepisode älter als bei der vorhergehenden. Dass Betreuungen seltener mit einer verbesserten CUD-Problematik enden, sollte im Kontext der rückläufigen Erstbetreuungen gesehen werden und nicht als abnehmende Effektivität der Suchthilfe missinterpretiert werden. Menschen, die wiederholt wegen CUD Suchthilfe nachfragen, dürften eine höhere psycho-soziale und medizinische Problemlast haben als Erstbetreute. Die Chance für eine Verbesserung im Zuge der Betreuung dürfte bei komplexeren Fällen geringer sein (16-19).

    Zugleich zeigen sich gewisse soziodemographische Unterschiede zwischen den wegen CUD betreuten Männern und Frauen. So leben Frauen durchwegs häufiger mit minderjährigen Kindern zusammen als Männer, obgleich bei Männern diesbezüglich ein gewisser „Aufholeffekt“ zu beobachten ist. Zudem haben hilfesuchende Frauen tendenziell häufiger das (Fach-)Abitur, wobei die „Abiturquote“ bei beiden Geschlechtern im Zeitverlauf steigt. Diese Entwicklungen dürften teilweise durch das steigende Durchschnittsalter miterklärbar sein. Zugleich scheinen ungünstige Arbeitsmarktentwicklungen Frauen eher zu treffen als Männer, da der Anstieg im Anteil an Arbeitslosen bei Frauen stärker bzw. der Rückgang dieses Anteils schwächer ausgeprägt ist als bei Männern.

    Eine Einordnung dieser Beobachtungen erscheint aufgrund fehlender Vergleichsstudien herausfordernd: Der Mikrozensus 2019 geht davon aus, dass ein Fünftel der Erwachsenen mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt lebt (20). Unter wegen CUD hilfesuchenden Männern und Frauen ist diese Lebenssituation seltener zu finden. Allerdings ist zu bedenken, dass das Gros der Betreuten jünger als 35 Jahre ist, während der Mikrozensus alle Altersgruppen einschließt. Eventuell befindet sich die hilfesuchende Klientel überwiegend in einer Altersspanne vor der Familiengründung. Vor dem Hintergrund, dass elterliche CUD ein wichtiger Prädiktor für dysfunktionale Erziehungsstrategien und späteren Cannabiskonsum der eigenen Kinder ist (21), sollte der steigende Anteil an Männern, die mit minderjährigen Kindern zusammenleben, in der Betreuungsarbeit aktiv aufgegriffen werden.

    Der steigende Anteil an Hilfesuchenden mit Abitur ist im Kontext der steigenden (Fach-)Abiturquote auf Bevölkerungsebene zu sehen. In der Altersgruppe der unter 35-Jährigen haben Frauen häufiger das (Fach-)Abitur als Männer (22), was sich mit der Beobachtung deckt, dass wegen CUD betreute Frauen tendenziell häufiger das (Fach-)Abitur haben als ihre männlichen Pendants. Auch der Trend bezüglich Arbeitslosigkeit in der hilfesuchenden Klientel spiegelt auf höherem Ausgangsniveau weitgehend Entwicklungen auf Bevölkerungsebene. Allerdings ist anders als auf Bevölkerungsebene (23) Arbeitslosigkeit unter betreuten Frauen weiter verbreitet als unter betreuten Männern. Daher sollte gerade in der Betreuung von Frauen die (Re-)Integration in den Arbeitsmarkt gezielt thematisiert werden.

    Fazit

    Zwar erlauben die Aggregatdaten der DSHS keine Rückschlüsse auf wechselseitige Einflüsse zwischen einzelnen Parametern, dennoch geben sie tragfähig Aufschluss, wie sich die Rolle von CUD in der ambulanten Suchthilfe und das soziodemographische Profil der Hilfesuchenden seit der Jahrtausendwende verändert hat. Hierbei zeigen sich bei Männern und Frauen zwar grundsätzlich ähnliche Entwicklungen, allerdings unterscheidet sich das Ausgangsniveau bzw. die Trendstärke zwischen beiden Geschlechtern. Bei der Interpretation ist zu beachten, dass die Punktschätzer in der weiblichen Klientel bedingt durch kleine Fallzahlen mit vergleichsweise großer Unsicherheit behaftet sind, was den statistischen Nachweis augenscheinlicher Unterschiede erschwert. Da 4 von 5 CUD-bedingten Betreuungen Männer betreffen, stellt sich die Frage, ob bestimmte Themen (z. B. Elternschaft, Arbeitslosigkeit), die für Frauen eine andere Relevanz haben, angemessen adressiert werden. Hier besteht nachgelagerter Forschungsbedarf.

    Literatur
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    4. Stampf A, Schwarzkopf L, Batalla A, Feingold D, Fischer B, Hoch E. Cannabis-related treatment demand at the eve of German cannabis legalization – a 20-years trend analysis. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci. 2024.
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    9. Schwarzkopf L, Braun B, Specht S, Dauber H, Strobl M, Künzel J, et al. Die Deutsche Suchthilfestatistik – DSHS. Eine Einführung in Datenerfassung, Datensammlung, Datenverarbeitung und Auswertungen. Konturen online Fachportal zu Sucht und sozialen Fragen [Internet]. 2020. Available from: https://dev.konturen.de/fachbeitraege/die-deutsche-suchthilfestatistik-dshs/.
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    20. Bundeszentrale für politische Bildung. Soziale Sitation in Deutschland. Eltern und Kinder 2021 [Available from: https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61594/eltern-und-kinder/#:~:text=Im%20Jahr%202019%20lebten%20lediglich%2036%2C2%20Prozent%20der,lag%20dieser%20Anteil%20deutschlandweit%20noch%20bei%2042%2C8%20Prozent.
    21. Hill M, Sternberg A, Suk HW, Meier MH, Chassin L. The intergenerational transmission of cannabis use: Associations between parental history of cannabis use and cannabis use disorder, low positive parenting, and offspring cannabis use. Psychol Addict Behav. 2018;32(1):93-103.
    22. Statistisches Bundesamt (Destatis). Bevölkerung (ab 15 Jahren): Deutschland, Jahre (bis 2019), Geschlecht, Altersgruppen, Allgemeine Schulausbildung (Code: 12211-9012) 2024 [Available from: https://www-genesis.destatis.de/datenbank/online/statistic/12211/table/12211-9012.
    23. Statistisches Bundesamt (Destatis). Erwerbslosenquote: Deutschland, Monate, Geschlecht, Altersgruppen, Original- und bereinigte Daten (Code: 13231-0003) 2024 [21.11.2024]. Available from: https://www-genesis.destatis.de/datenbank/online/statistic/13231/table/13231-0003.
    Kontakt:

    PD Dr. Larissa Schwarzkopf
    Leiterin Forschungsgruppe Therapie und Versorgung
    IFT Institut für Therapieforschung
    Leopoldstraße 175
    80804 München
    www.ift.de
    schwarzkopf(at)ift.de

    Angaben zu den Autorinnen:

    PD Dr. Larissa Schwarzkopf, IFT Institut für Therapieforschung München, Leiterin der Forschungsgruppe Therapie und Versorgung
    Alisa Stampf, IFT Institut für Therapieforschung München, Forschungsgruppe Therapie und Versorgung
    Prof. Dr. Eva Hoch, IFT Institut für Therapieforschung München, Institutsleiterin

  • „Fallbeispiel Thomas“ – Kinderschutz verstehen und verbessern

    Auf welche Weise können Fachkräfte unterschiedlicher Professionen und Institutionen zusammenwirken, um Kinder zu schützen? Wie kann Fallarbeit zum Wohl des Kindes gelingen? Forschende der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) vermitteln dieses Fachwissen nun praxisnah in einem multimedialen Projekt, dem „Fallbeispiel Thomas“, und setzen damit ihr Engagement für die Lehre zum Kinderschutz fort. Unter https://goto.frankfurt-university.de/fallbeispiel-thomas ist ein Lernformat für Studierende und für die Fortbildung von Fachkräften in der Jugendhilfe entstanden. Es zeichnet die Lebensgeschichte von Thomas als Fallbeispiel im Kinderschutz mit pseudonymisierten Daten nach.

    Federführend konzipiert und geleitet wurde das Projekt von Prof. Dr. Maud Nordstern, Professorin für Kinder- und Jugendschutz an der Frankfurt UAS. Eine der Besonderheiten des Multimedia-Projekts, das von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre gefördert wurde: Nicht nur Expert:innen ordnen den Fall fachlich ein und liefern Hintergrundinformationen. Der heute erwachsene Betroffene berichtet selbst von seinem Lebensweg. Projektleiterin Nordstern: „Thomas eröffnet den Studierenden ein tiefes Verständnis der inneren Welt eines misshandelten Kindes. Seine Beiträge regen zum Überdenken eigener Haltungen an, und der Fallbezug motiviert zur Aneignung des erforderlichen Fachwissens aus Psychologie, Medizin, Recht und Pädagogik.“

    Thomas‘ Geschichte

    Thomas lebt in seiner Kindheit zunächst mit seinen Eltern, die aufgrund ihrer schweren psychischen Erkrankungen nicht in der Lage sind, die Bedürfnisse eines Kindes wahrzunehmen und angemessen zu erfüllen. Er erlebt seelische und körperliche Gewalt. Mit Hilfe engagierter Menschen, Fachwissen und intensiver Elternarbeit eröffnet sich ihm schließlich ein Weg aus dieser Familie. Nach Jahren im Kinderheim wird er ein Pflegekind, darf eine neue und befriedigende Eltern-Kind-Beziehung erleben, die schließlich in eine Adoption mündet.

    Multimediales Lehrbuch für Selbstlernende, Studierende und Fachkräfte

    Zum Fallbeispiel gehören neben privaten Bildern über 80 Videos, die der wissenschaftliche Projektmitarbeiter Benjamin Christ inhaltlich mitentwickelt und aufgezeichnet hat. Darunter finden sich neben Thomas‘ Schilderungen Berichte seiner Pflege- und späteren Adoptiveltern sowie seiner erwachsenen Tochter. Stellungnahmen von Expert:innen aus unterschiedlichen Disziplinen zum Fall und Vorlesungen zur Thematik ergänzen diese persönlichen Perspektiven. Fachtexte vermitteln zudem theoretische Hintergründe.

    Projektleiterin Nordstern: „Diese außergewöhnliche Fülle an Perspektiven auf diesen Fall eint die konsequente Bezugnahme aller Mitwirkenden auf das Erleben und die Bedürfnisse des betroffenen Kindes. Damit wird das persönliche Wohl des betroffenen Kindes zum Dreh- und Angelpunkt des Fallverstehens, der staatlichen Intervention, der intensiven Elternarbeit und einer langfristigen Hilfeplanung.“ Darüber hinaus bietet das Projekt mit vielen Übungen den Lernenden die Möglichkeit, das vermittelte Wissen zu verinnerlichen.

    Technisch umgesetzt wurde die Webseite von Léonie Kaminski und Oliver Gubba aus dem Bereich Content Operations der Frankfurt UAS, im Schnitt tätig war Lothar Eichhorn, Mitarbeiter des Fachbereichs soziale Arbeit und Gesundheit an der Frankfurt UAS. Die stellvertretende Projektleiterin war Prof. Dr. iur. Carola Berneiser, Professorin für Familienrecht, Kinder- und Jugendhilferecht sowie Kinderschutz an der Frankfurt UAS. Fachlich beriet das Team die Psychologin Dr. Monika Nienstedt-Westermann, die Thomas und seine Familie begleitet hat.

    Das multimediale Lehrangebot ergänzt den bereits bestehenden Online-Kurs „Interdisziplinärer Kinderschutzfachtag“, den die Forscherinnen Nordstern und Berneiser in Kooperation mit dem Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen für die Lehre an Hochschulen entwickelt und mit Förderung des Hessischen Kultusministeriums für den Schulbereich erweitert haben.

    Auch der Interdisziplinäre Kinderschutzfachtag hat unter https://goto.frankfurt-university.de/kinderschutzfachtag vor kurzem einen neuen Webauftritt erhalten, der vom Content Operations-Team der Frankfurt UAS umgesetzt wurde. Beide Kurse basieren auf dem „Frankfurter Modell: Kinderschutz in der Lehre“. Berneiser: „Das nun auch multimedial aufbereitete Fallbeispiel Thomas ergänzt den interdisziplinären Kinderschutzfachtag online in idealer Weise. Am meisten freut es mich, dass wir mit einer eigenen Homepage den niedrigschwelligen Zugang zu diesen wichtigen Inhalten ermöglicht haben.“

    Beide Angebote sind über die gemeinsame Übersichtsseite https://goto.frankfurt-university.de/kinderschutz erreichbar.

    Mehr zum „Frankfurter Modell: Kinderschutz in der Lehre“

    Das von Prof. Dr. Maud Nordstern und Prof. Dr. Carola Berneiser initiierte „Frankfurter Modell: Kinderschutz in der Lehre“ gilt mit seiner juristischen, medizinischen, psychologischen und sozialpädagogischen Einführung in die häufigsten Formen der Kindeswohlgefährdung bundesweit als Pilotprojekt. Es wurde teilweise mit Lehrenden der Medizinischen Fakultät der Goethe-Universität entwickelt und erhielt 2019 den renommierten HanseMerkur Kinderschutzpreis.

    Pressestelle der Frankfurt University of Applied Sciences, 14.11.2024

  • Drogenkonsumräume in Deutschland 2023

    Erstmals seit dem Jahr 2017 wurde in Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Aidshilfe e.V. und der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht eine deutschlandweite Erhebung unter den Drogenkonsumräumen (DKR) in Deutschland durchgeführt. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland insgesamt 32 DKR zumindest zeitweise betrieben. 29 dieser 32 DKR beteiligten sich an der Erhebung. Sie verfügten über 302 Konsumplätze; die übrigen drei DKR verfügten über weitere 45 Konsumplätze.

    Die teilnehmenden DKR waren im Jahr 2023 regulär circa 47 Stunden pro Woche geöffnet. Dabei hatten nahezu alle DKR regulär montags bis freitags geöffnet, etwas mehr als zwei Drittel auch samstags und gut die Hälfte auch sonntags.

    Insgesamt zählten die 29 teilnehmenden DKR etwa 18.500 unterschiedliche Nutzer*innen, die im Jahr 2023 die DKR genutzt haben. In den teilnehmenden DKR wurden etwa 650.000 Konsumvorgänge registriert. Hierbei gab es 650 Notfälle, aber keinen Todesfall nach der Nutzung eines DKR. Mit einem Anteil von gut 50 % entfielen die meisten Konsumvorgänge auf Opioide, wobei hiervon Heroin den mit Abstand größten Anteil hatte. Crack wies einen Anteil von circa 19 % aller Konsumvorgänge in den DKR auf, Kokain einen Anteil von etwa 14 %. Ein Cocktail aus Kokain/Crack und Opioiden wurde in etwa 9 % der Vorgänge registriert. Der Konsum von Amphetaminen, Benzodiazepinen sowie weiterer Substanzen oder Substanzkombinationen spielte eine untergeordnete Rolle.

    Die häufigste Konsumform war der inhalative Konsum, auf den gut 60 % der Konsumvorgänge entfielen. Hierauf folgte mit etwa 35 % der intravenöse Konsum und mit deutlichem Abstand (3 %) der nasale Konsum. Dieses Muster spiegelte sich näherungsweise bei den zur Verfügung gestellten Konsumplätzen der DKR wider: Rund 40 % der Plätze waren im Jahr 2023 ausschließlich für den inhalativen Konsum vorgesehen, etwas mehr als 30 % ausschließlich für den i.v. Konsum und knapp 30 % waren flexibel nutzbare Konsumplätze.

    Die DKR registrierten im Jahr 2023 etwa 52.000 Beratungen oder Vermittlungen in weiterführende Hilfen. Dies entspricht bei 18.500 unterschiedlichen Nutzer*innen in etwa drei Beratungs- oder Vermittlungsvorgängen pro Nutzer*in. In den kommenden Jahren werden diese Kennzahlen noch differenzierter erhoben werden.

    Bei den Ergebnissen ist zu berücksichtigen, dass es sich hier um Durchschnittswerte über alle 29 teilnehmenden DKR handelt. Die Unterschiede bei den Konsumvorgängen, Konsumplätzen sowie Anzahl Beratungen und Vermittlungen waren zwischen den einzelnen DKR zum Teil sehr groß.

    Die hier präsentierten Daten stellen eine Untergrenze der insgesamt zu erwartenden Nutzer*innen- und Konsumzahlen in Deutschland dar. Dies liegt zum einen daran, dass drei DKR, die im Jahr 2023 zusammengenommen über 45 Konsumplätze verfügten, in der Erhebung fehlen. Zum anderen gab es vereinzelt DKR, die wegen technischer Schäden im Jahr 2023 längere Zeit geschlossen waren.

    Alles in allem gibt die Erhebung dennoch sehr umfassende und wichtige Einblicke in die bedeutsame Arbeit der DKR. Sie umfasst belastbare Zahlen zur Anzahl der nutzenden Personen, aber auch zu den Konsumvorgängen und insbesondere den Notfällen und (nicht vorhandenen) Todesfällen nach Nutzung eines DKR. Damit können die vorliegenden Ergebnisse als Basis für weitere Diskussionen hinsichtlich einer nach wie vor nicht flächendeckenden Versorgung mit DKR in Deutschland dienen.

    Auszug aus dem Bericht „Drogenkonsumräume in Deutschland 2023“: Zusammenfassung, S. 2

    Publikation:
    Bergmann, H., Neumeier, E., Schäffer, D., Kuban, M. (2024). Drogenkonsumräume in Deutschland 2023. DBDD: München & DAH: Berlin.

    Mitteilung der Deutschen Aidshilfe, 5.12.2024