Autor: Simone Schwarzer

  • Gesundheitliche Folgen von Cannabiskonsum

    Gesundheitliche Folgen von Cannabiskonsum

    Prof. (apl.) Dr. Derik Hermann
    Prof. (apl.) Dr. Derik Hermann

    In der gesellschaftlich kontroversen Diskussion um eine Legalisierung bzw. die Möglichkeit eines legalen Erwerbs von Cannabis sind die Hauptargumente der Befürworter einer Legalisierung, dass Cannabis geringere gesundheitliche Schäden verursacht als Alkohol, dass Cannabis trotz des Verbots eine hohe Verfügbarkeit aufweist und somit die Prohibition versagt hat, dass der Justizapparat durch cannabisassoziierte, opferfreie Vergehen ineffizient belastet wird und dass ein gesellschaftsschädigender illegaler Drogenmarkt aufrechterhalten wird. Somit argumentieren die Befürworter vor allen Dingen mit den negativen Folgen der Prohibition für die Gesellschaft. Die Gegner einer Legalisierung argumentieren, dass Cannabis zu relevanten Gesundheitsschäden führt, der Jugendschutz nicht gewährleistet sei und dass durch die Legalisierung mit einer Zunahme des Cannabiskonsums gerechnet werden müsse. Es wird die Gefahr gesehen, dass eine Legalisierung von der Bevölkerung und insbesondere Jugendlichen als Zeichen der Ungefährlichkeit von Cannabis interpretiert würde. Für die Gegner einer Legalisierung stehen also die negativen Folgen von Cannabis für die Gesundheit im Vordergrund. Somit erscheint es sinnvoll, aktuelle Forschungsergebnisse aus wissenschaftlichen Studien zu den gesundheitsschädlichen Folgen von Cannabis mit in die Argumentation einzubeziehen.

    Wie wirkt Cannabis im Gehirn?

    1964 wurde der psychotrop wirkende Inhaltsstoff von Cannabis entdeckt, das Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC). Als zweithäufigster Inhaltsstoff wurde das nicht-psychotrop wirkende, also nicht high machende, Cannabidiol identifiziert. 1988 wurde entdeckt, dass THC an den Cannabinoid-1-Rezeptor (CB1) bindet, der vor allem im Gehirn vorkommt. Fünf Jahre später wurde ein zweiter Rezeptor entdeckt (CB2), der vorrangig in blutbildenden Zellen und der Milz lokalisiert ist. 1992 wurde das erste körpereigene (Endo)-Cannabinoid entdeckt (Anandamid), das an CB1 und CB2 bindet, 1995 ein zweites (Arachidonylglycerol) und mittlerweile eine Reihe weiterer Endocannabinoide mit nachrangiger Bedeutung. Seit der Entdeckung des Endocannabinoidsystems wird intensiv daran geforscht, die Funktion dieses Systems zu charakterisieren.

    Denkvorgänge im Gehirn entsprechen einer Weiterleitung elektrischer Impulse von einer Nervenzelle zu einer anderen, hierbei werden Impulse ggf. gehemmt oder verstärkt. Die Nervenzellenübertragung erfolgt durch Synapsen. Von der Präsynapse werden Neurotransmitter (Botenstoffe) ausgeschüttet, die durch den synaptischen Spalt zur Postsynapse diffundieren und dort an Rezeptoren binden. Der häufigste erregende Neurotransmitter im Gehirn ist das Glutamat. Damit das Gehirn gut funktioniert, ist es notwendig, dass eine feinjustierte Konzentration Glutamat präsynaptisch ausgeschüttet wird. Eine zu hohe Konzentration von Glutamat führt zu einer Übererregung wie bei einem zu hoch gedrehten Motor. Zu viel Glutamat ist toxisch, schädigt die Nervenzellen und kann zum Untergang der Nervenzellen führen (Exitotoxizität).

    Endocannabinoide wirken retrograd (rückwärts). Sie werden von der Postsynapse ausgeschüttet, diffundieren zur Präsynapse und binden dort an CB1-Rezeptoren. In der Präsynapse, also dort, wo andere Neurotransmitter ausgeschüttet werden und die elektrische Weiterleitung beginnt, hemmen Endocannabinoide die Ausschüttung von allen anderen Neurotransmittern. Damit können z. B. zu hohe, toxische Konzentrationen von Glutamat reduziert werden. Dieser wünschenswerte Effekt der Endocannabinoide war die Grundlage dafür, intensiv nach neuro-protektiven Eigenschaften von Cannabis zu suchen, z. B. in der Forschung zu ischämischem Schlaganfall, Schädel-Hirn-Traumata, Morbus Parkinson und Multipler Sklerose.

    Aus den bisher beschriebenen Funktionen des endocannabinoiden Systems lässt sich die Wirkung von Cannabis gut herleiten. Cannabis verlangsamt zentralnervöse Vorgänge, führt dadurch zu Müdigkeit, Antriebsminderung, Gleichgültigkeit, psychomotorischer Hemmung und Feinmotorikstörung. Vegetativ wird der Speichelfluss reduziert und durch eine direkte Erweiterung der Arterien der Blutdruck gesenkt mit reaktivem Anstieg des Pulses, was bei einer Überdosierung zu einem Kreislaufkollaps führen kann. Auch die neuronale Übertragung von Schmerzen wird gehemmt. Zusätzlich vermittelt das Cannabinoidsystem Hunger und die Induktion von Schlaf und hat eine wichtige Funktion beim Löschen von unangenehmen Erinnerungen. Gerade der letzte Punkt könnte hilfreich sein bei der Entwicklung neuer Therapien für psychiatrische Erkrankungen wie Depression oder psychische Traumata, die die Betroffenen häufig ein ganzes Leben lang verfolgen.

    Das zweithäufigste Cannabinoid Cannabidiol (CBD) macht nicht high, sondern begrenzt die gesundheitsschädliche Wirkung von THC und zeigt deutliche neuro-protektive Eigenschaften. Aktuell wird die Wirkung von CBD intensiv erforscht. THC führt zu einer Atrophie (Schrumpfung) des Gedächtniszentrums im Gehirn, des Hippocampus. Eine eigene Studie konnte zeigen, dass CBD vor dieser Schrumpfung schützt und dass die Schrumpfung nur auftritt, wenn Cannabissorten mit einem niedrigen CBD-Gehalt konsumiert wurden (Demirakca et. al 2011). Es gibt erste Anzeichen dafür, dass CBD in der Behandlung von Psychosen eingesetzt werden kann, gegen Angsterkrankung hilft und auch Depressionen lindert. CBD verhindert das Entstehen psychotischer Symptome durch THC.

    Gibt es einen Kausalzusammenhang zwischen Cannabis und Psychose?

    Zahlreiche Studien haben den Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und der Entwicklung einer Psychose untersucht. Mittlerweile wurden Studien mit großer Anzahl von Studienteilnehmern durchgeführt, teils mit langer Nachbeobachtungszeit, die eine hohe wissenschaftliche Aussagekraft aufweisen. Die Studienergebnisse zeigen eine gesicherte und valide Assoziation von Cannabiskonsum und Psychose. Das bedeutet: Personen, die Cannabis konsumieren, weisen eine zwei- bis dreifach erhöhte Wahrscheinlichkeit auf, eine Psychose zu entwickeln. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass Cannabis die Psychose verursacht. Vielmehr haben Cannabiskonsum und Psychosen gemeinsame Risikofaktoren, d. h., Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status, Gewalterfahrung, psychischen Traumata in der Kindheit, Alkohol-, Tabak- oder anderem Drogenkonsum weisen ein höheres Risiko für beides auf, Psychose und Cannabiskonsum. Je nach politischer Grundhaltung kann also die Haltung vertreten werden, dass ungünstige Lebensumstände zur Psychose geführt haben (und Cannabiskonsum nur eine kleine Rolle spielt) oder dass Cannabis die Psychose verursacht hat und die ungünstigen Lebensumstände keine Rolle spielen. Damit weist gerade die Debatte um den Umgang mit Cannabis eine hohe Anfälligkeit für politische motivierte Verzerrungen auf. Kann Wissenschaft da zu einer objektiven und neutralen Beurteilung beitragen? Wenn wissenschaftliche Studien kritisch hinterfragt und Verzerrungen offengelegt werden: Ja.

    Für den Zusammenhang zwischen Cannabis und Psychose müssen also sozioökonomische Faktoren in die Analyse miteinbezogen werden. Dann weisen Cannabiskonsumenten eine 41 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit auf, eine Psychose zu entwickeln (Moore et al. 2007). In die Analyse von Moore et al. wurden 35 Studien einbezogen und etwa 60 potentielle Einflussfaktoren berücksichtigt, so dass von einer hohen Validität ausgegangen werden kann.

    Zusätzlich zu sozioökonomischen Faktoren wurde in einer 2014 publizierten Studie gezeigt, dass auch biologische Faktoren zur Assoziation von Cannabis und Psychosen beitragen: Dieselben Gene, die das Risiko für eine Psychose erhöhen, erhöhen auch die Wahrscheinlichkeit, Cannabis zu konsumieren und vor allem größere Mengen Cannabis zu konsumieren (Power et al. 2014). Nicht nur ‚Cannabiskonsum führt zur Psychose‘, sondern auch ‚Disposition zur Psychose führt zu Cannabiskonsum‘. Personen, die ein starkes genetisches Risikoprofil für Psychosen aufweisen, scheinen die Wirkung von Cannabis gegenüber anderen Drogen oder Alkohol zu präferieren und konsumieren deshalb mit höherer Wahrscheinlichkeit Cannabis. Nicht nur die Substanzwirkung von Cannabis ist somit für das Auftreten einer Schizophrenie (die zu den Psychosen gehört) verantwortlich, vielmehr stellen Cannabiskonsumenten eine Selektion von Personen dar, die als Gruppe mehr Risiko-Gene für eine Schizophrenie aufweisen. Dieser genetische Zusammenhang kann auch erklären, warum in einer anderen Studie 46 Prozent der Patienten, die mit einer ersten cannabisinduzierten Psychose stationär behandelt wurden, eine Schizophrenie entwickelten, während nur 30 Prozent der Patienten mit einer amphetamininduzierten Psychose und fünf Prozent bei alkoholinduzierter Psychose eine Schizophrenie entwickelten. Über 18.000 Patienten mit cannabisinduzierten Psychosen waren zwischen 1987 und 2003 in Finnland in diese Studie eingeschlossen und acht Jahre lang nachverfolgt worden (Niemi-Pynttäri et al. 2013).

    Einige Studien zeigen, dass Cannabiskonsum insbesondere bei Jugendlichen das Risiko für die Entwicklung einer Psychose erhöht. Besonders gefährdet sind Jugendliche, die mit 15 Jahren (Arseneault et al. 2002) oder bereits vor dem 14. Lebensjahr (Schimmelmann et al. 2011) mit dem Cannabiskonsum begonnen haben.

    2005 wurde erstmals ein einzelnes Gen identifiziert, das das Risiko für Psychosen unter Cannabiseinfluss erhöht. Es handelte sich um eine genetische Variante im Dopaminabbau, die jedoch in drei späteren Studien mit knapp 5.000 Studienteilnehmern nicht verifiziert werden konnte. Stattdessen wurde ein anderes Gen (AKT1) identifiziert, das mit einem erhöhten Risiko für Psychose assoziiert ist; allerdings nur bei täglichem Cannabiskonsum und nicht, wenn Cannabis ausschließlich an Wochenenden oder seltener konsumiert wird.

    Um den Zusammenhang von Cannabis und Psychose besser quantifizieren zu können, wurde kalkuliert, wie viele Personen kein Cannabis konsumieren müssten, um einen Fall einer Psychose zu verhindern (Hickman et al. 2009). Ergebnis war, dass im Altersbereich von 20 bis 24 Jahren 1.360 Männer bzw. 2.480 Frauen auf Cannabiskonsum verzichten müssten, um einen Fall einer Psychose zu verhindern. Im Alter von 35 bis 39 müssten 2.900 Männer oder 3.260 Frauen auf Cannabis verzichten.

    Neuropsychologische Defizite nur bei Konsumbeginn im Jugendalter

    Es ist bereits lange bekannt und ausreichend gut untersucht, dass während einer Intoxikation mit Cannabis Defizite im neuropsychologischen Bereich, z. B. Gedächtnis, Orientierung und Aufmerksamkeit, auftreten. Umstritten ist jedoch die Frage, ob diese Defizite auch nach Beendigung des Cannabiskonsums weiter bestehen bleiben, ob sie sich ganz oder nur teilweise zurückbilden und ob sie mit der Dauer und der Menge des konsumierten Cannabis in Zusammenhang stehen. Um diese Frage zu untersuchen, sind longitudinale Studien notwendig, die über einen langen Zeitraum an mehreren Messzeitpunkten neuropsychologische Leistungen und Cannabiskonsum erheben.

    In einer aussagekräftigen Studie wurden 1.037 Personen, die 1972/73 geboren wurden, einem Intelligenztest im Alter von 13 Jahren und 38 Jahren unterzogen (Meier et al. 2012). Der Cannabiskonsum wurde im Alter von 18, 21, 26, 32 und 38 Jahren erhoben. Diese Studie zeigte, dass fortgesetzter Cannabiskonsum mit einer Verminderung kognitiver Leistung verbunden war. Eine Verminderung des Intelligenzquotienten wurde nur bei den Personen beobachtet, die vor dem 18. Lebensjahr mit dem Cannabiskonsum begonnen hatten. Diese Defizite verschlechterten sich bei weiterem Konsum zusätzlich und bildeten sich nach einer Cannabisabstinenz nicht vollständig zurück. Dieser Effekt wurde bei Beginn des Cannabiskonsums im jugendlichen Alter sowohl für regelmäßigen als auch für unregelmäßigen Konsum nachgewiesen (mindestens ein Mal wöchentlicher Konsum). Wurde mit dem Cannabiskonsum erst im Erwachsenenalter begonnen, zeigte sich keine Verminderung des Intelligenzquotienten. Somit hat diese sehr hochwertige Studie zwei wichtige Hauptaussagen: Wird mit dem Cannabiskonsum vor dem 18. Lebensjahr begonnen, führt dies zu einer Minderung der Intelligenz, die sich auch bei späterer Cannabisabstinenz nicht zurückbildet. Wird erst nach dem 18. Lebensjahr begonnen, entstehen keine bleibenden Intelligenzdefizite.

    Eine weitere aktuelle Studie bestätigte diese Ergebnisse indirekt (Silins et al. 2014). Hier wurde nachgewiesen, dass Personen, die vor dem 17. Lebensjahr mit dem Cannabiskonsum begonnen hatten, bei täglichem Cannabiskonsum ein um 64 Prozent erhöhtes Risiko für einen Schulabbruch aufwiesen, ein um den Faktor 18 erhöhtes Risiko für eine Cannabisabhängigkeit, ein um den Faktor 8 erhöhtes Risiko bezüglich einer Abhängigkeit für andere Drogen und ein um den Faktor 8 erhöhtes Risiko für Suizidversuche. Bei mindestens wöchentlichem Cannabiskonsum, aber seltener als täglich, waren die entsprechenden Risiken noch etwa halb so hoch wie bei täglichem Cannabiskonsum.

    Als biologischen Mechanismus für neuropsychologische Defizite wird eine Interaktion mit dem endogenen Cannabinoidsystem vermutet, da nachgewiesen wurde, dass Endocannabinoide die Bildung, Reifung und Wanderung neuer Nervenzellen im Gehirn steuern, das Wachstum von Axonen bestimmen (ein Axon ist der Fortsatz einer Nervenzelle, über den Signale weitergeleitet werden) sowie die Entwicklung von Gliazellen (Gliazellen transportieren Flüssigkeit und  Nährstoffe zu den Nervenzellen) und die Position von verschiedenen Nervenzellen festlegen (Berghuis et al. 2007). Wenn Cannabis konsumiert wird, stört dies diesen feingesteuerten Umbauprozess, der während der Pubertät stattfindet. Im Erwachsenenalter finden sehr viel weniger Umbauprozesse statt, so dass Cannabiskonsum keine großen Veränderungen mehr bewirken kann. Tierversuche mit Ratten, denen Cannabinoide während der Pubertät verabreicht wurden, bestätigen eindeutig, dass neuropsychologische Defizite vor allem bei Beginn des Cannabiskonsums in der Pubertät auftreten.

    Trends im Konsum von Cannabis

    Bereits seit einigen Jahren gibt es einen Trend zu höherem THC- und niedrigerem CBD-Gehalt. In den USA hat sich in den letzten 20 Jahren der THC-Gehalt von etwa vier Prozent im Jahr 1995 auf etwa zwölf Prozent im Jahr 2012 erhöht, in den Niederlanden gab es einen ähnlichen Trend, der zu einer gesetzlichen Begrenzung des THC-Gehaltes auf 15 Prozent geführt hat. Auch aus Deutschland und Italien ist ein entsprechender Anstieg des THC-Gehaltes bekannt. Gleichzeitig enthalten neuere Cannabissorten nur noch wenig CBD, z. B. lag der CBD Gehalt in niederländischem Marihuana unter einem Prozent, während in die Niederlande importiertes Haschisch weiterhin einen CBD-Gehalt von  acht Prozent aufwies (Pijlmann et al. 2005).

    Ein weiterer Trend besteht im Aufkommen von Räuchermischungen, die synthetische Cannabinoide enthalten, erstmals mit dem Produkt „Spice“ 2008. Die Räuchermischungen werden regelmäßig durch die Aufnahme der Wirkstoffe ins Betäubungsmittelgesetz verboten, jedoch sind jeweils rasch neue Produkte mit anderen, nicht verbotenen synthetischen Cannabinoiden auf den Markt. Die in Räuchermischungen enthaltenen synthetischen Cannabinoide haben meist eine vier- bis achtfach stärkere Wirkung als Cannabis, einige Produkte haben aber sogar eine mehr als hundertfache Wirkstärke von THC. Diese Tatsache führt zu mehr Überdosierungen, die mit Kreislaufkollaps, Angst- und Panikattacken, psychotischen Symptomen, Verwirrtheitszuständen und epileptischen Anfällen einhergehen. Zusätzlich enthalten Räuchermischungen kein CBD und sind daher auch im Dauergebrauch potentiell schädlicher als die altbekannten Cannabissorten. Da es sich um chemisch andere Substanzen handelt als THC, sind synthetische Cannabinoide nicht durch übliche Drogentests im Urin nachweisbar.

    Hoher THC-Gehalt, niedriger CBD-Gehalt und synthetische Cannabinoide stellen einen Trend hin zu mehr gesundheitsschädlichen Cannabisprodukten dar. In der Geschichte gibt es vergleichbare Beispiele aus der Prohibition von Alkohol, z. B. in den USA 1919 bis 1933. Dort kam es zu einem verstärkten Verkauf von hochprozentigen Alkoholika wie Whisky anstatt von Bier und Wein sowie von selbstgebrannten Alkoholika, die oft gesundheitsschädliche Mengen von Methanol enthielten. Entsprechend kann der Trend zu gesundheitsschädlichen Cannabisprodukten als direkte Folge des Verbots von Cannabis angesehen werden.

    Schlussfolgerungen für die Legalisierungsdebatte

    Bisher wurde davon ausgegangen, dass Cannabis als direkte Substanzwirkung pauschal bei jedem Menschen Psychosen verursachen kann. Aktuelle Studien zeigen hingegen, dass es genetisch bedingte Unterschiede im individuellen Risiko gibt, durch Cannabiskonsum eine Psychose zu entwickeln. Zusätzlich konsumieren Personen, die Risiko-Gene für Psychosen tragen, häufiger und mehr Cannabis. Diese Personen würden evtl. auch ohne Cannabiskonsum eine Psychose entwickeln. Kalkulationen zeigen, dass eine hohe Zahl von mehreren Tausend Cannabiskonsumenten auf Cannabis verzichten müsste, um einen Fall einer Psychose zu verhindern. Aktuelle Studien relativieren also das von Cannabis ausgehende Risiko.

    Trotz des bisher von Gegnern der Legalisierung propagierten Risikos, dass jeder Konsum von Cannabis unmittelbar bei jedem Konsumenten zu einer lebenslangen Psychose führt, ist Cannabis weit verbreitet. Dieses Argument hat seine abschreckende Wirkung verfehlt. Aktuelle Studien machen zudem deutlich, dass das Risiko für Psychosen auch vom Alter bei Beginn des Cannabiskonsums abhängt, weil die Entwicklung des Gehirns gestört wird. Neuropsychologische Defizite durch Cannabis entstehen nur, wenn der Cannabiskonsum im jugendlichen Alter begonnen wird, aber nicht bei Konsumbeginn im Erwachsenenalter. Dies steht im krassen Gegensatz zu dem jetzigen Image von Cannabis als Jugenddroge, das dringend verändert werden muss.

    Cannabis ist nicht harmlos. Cannabiskonsum sollte daher so gering gehalten werden wie möglich. Darüber besteht eine Einigkeit bei den Befürwortern und den Gegnern einer Legalisierung. Aktuelle Studien belegen deutlich, dass Cannabis definitiv als Jugenddroge nicht geeignet ist, sondern im Gegenteil für Jugendliche besonders riskant ist. Daher kommt dem Jugendschutz eine besondere Bedeutung zu.

    Empfehlungen der EMCDDA

    Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (engl. European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction, EMCDDA, www.emcdda.europa.eu) hat sich seit 2010 in einem von der EU-Kommission finanziell geförderten Projekt intensiv mit der Frage der Cannabispolitik auseinandergesetzt und Empfehlungen entwickelt (ALICE RAP, 2014). Diese Empfehlungen – „Policy paper 5. Cannabis: From prohibition to regulation“ – stellen einen Mittelweg dar zwischen einem Verbot von Cannabis mit strafrechtlicher Verfolgung und einem freien, legalen Verkauf von Cannabis. Kernpunkt der Empfehlung ist, dass Cannabis von staatlichen Einrichtungen legal verkauft wird, aber die Verkaufsbedingungen sehr strengen Regeln unterliegen und streng kontrolliert werden sollten. Insbesondere soll der Jugendschutz damit verbessert werden. Hintergrund dieser Empfehlung ist die Einsicht, dass die aktuelle Prohibition von Cannabis versagt hat. Die Prohibitionspolitik geht davon aus, dass durch das Verbot von Cannabis die Verfügbarkeit reduziert wird. In einer aktuellen Umfrage des Eurobarometers im Juni 2014 schätzten 55 Prozent der 15- bis 24-Jährigen die Verfügbarkeit von Cannabis als leicht oder sehr leicht ein. Bei anderen Drogen hingegen, z. B. Ecstacy oder Kokain, scheint die Prohibition zu wirken, hierfür wurde die Verfügbarkeit nur von 20 Prozent als leicht oder sehr leicht eingeschätzt.

    Wenn die Prohibition funktionieren würde, dann müsste eine Verschärfung der Cannabisgesetze die Häufigkeit des Konsums reduzieren, während eine Liberalisierung den Cannabiskonsum erhöhen müsste. In England, Griechenland und Finnland wurden die Strafen reduziert, seit diesem Zeitpunkt ging der Konsum von Cannabis aber zurück. In Italien stoppte auch eine Erhöhung der Strafe nicht den Anstieg des Cannabiskonsums, während in Dänemark nach einer Straferhöhung genauso häufig Cannabis konsumiert wurde wie zuvor. Die Prävalenz von Cannabiskonsum ist also unabhängig von dem angedrohten Strafmaß.

    Ein legaler Verkauf von Cannabisprodukten würde die Möglichkeit eröffnen, Regeln und Bedingungen an Public-Health-Aspekten zur orientieren und so auf einen möglichst wenig gesundheitsschädlichen Konsum von Cannabis hinzuwirken.

    Kontakt:

    Prof. (apl.) Dr. Derik Hermann
    Leitender Oberarzt
    Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin
    Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
    J 5, 68159 Mannheim
    Derik.Hermann@zi-mannheim.de
    www.zi-mannheim.de

    Angaben zum Autor:

    Prof. (apl.) Dr. Derik Hermann hat in Heidelberg und Mannheim Medizin studiert. Die Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie hat er am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim absolviert. Nach Tätigkeiten als Oberarzt an der Charité Berlin Mitte 2007 und als Ärztlicher Direktor der suchtmedizinischen Klinik des Klinikum Stuttgart 2014 kehrte er jeweils wieder an die Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit zurück, wo er aktuell als Leitender Oberarzt tätig ist. Forschungsschwerpunkte sind  MRT- und PET-Untersuchungen zu Alkohol, Cannabis und Opiaten.

    Literatur:
    • ALICE RAP – Addiction and Lifestyles in Contemporary Europe Reframing Addictions Project. Policy paper 5. Cannabis: From prohibition to regulation, 2014. Online verfügbar unter: http://www.alicerap.eu/resources/documents/cat_view/1-alice-rap-project-documents/19-policy-paper-series.html
    • Arseneault et al. Cannabis use in adolescence and risk for adult psychosis: longitudinal prospective study. BMJ 2002; 325:1212-3.
    • Berghuis et al. Hardwiring the brain: endocannabinoids shape neuronal connectivity. Science 2007; 316:1212-6.
    • Demirakca et al. Diminished Gray Matter in the Hippocampus of Cannabis Users: Possible Protective Effects of Cannabidiol. Drug and Alcohol Dependence 2011; 114:242-5.
    • Hickman et al. If cannabis caused schizophrenia – how many cannabis users may need to be prevented in order to prevent one case of schizophrenia? England and Wales calculations. Addiction 2009; 104:1856-61.
    • Meier et al. Persistent cannabis users show neuropsychological decline from childhood to midlife. Proc Natl Acad Sci U S A. 2012;109:E2657-64.
    • Moore et al. Cannabis use and risk of psychotic or affective mental health outcomes: a systematic review. Lancet 2007; 370:319-28.
    • Niemi-Pynttäri et al. Substance-induced psychoses converting into schizophrenia: a register-based study of 18,478 Finnish inpatient cases. J Clin Psychiatry 2013; 74(1); e94-9.
    • Power et al. Genetic predisposition to schizophrenia associated with increased use of cannabis. Mol Psychiatry. 2014; 19:1201-4.
    • Schimmelmann et al. Cannabis use disorder and age at onset of psychosis-a study in first-episode patients. Schizophr Res. 2011; 129:52-6.
    • Silins et al. Young adult sequelae of adolescent cannabis use: an integrative analysis. The Lancet Psychiatry 2014; 1, 286–293.
  • Modelle der Cannabisregulierung

    Modelle der Cannabisregulierung

    Frank Zobel
    Marc Marthaler

    In den letzten Jahren hat international ein so grundlegender Wandel in der Drogenpolitik – insbesondere in Bezug auf Cannabis – stattgefunden, dass ohne Weiteres von einem Paradigmenwechsel gesprochen werden kann. Mit dem Erlass von neuen Gesetzgebungen für Cannabis in US-amerikanischen Staaten und in Uruguay gerät die über Jahrzehnte international vorherrschende Cannabispolitik allmählich ins Wanken. Damit einher geht die Entwicklung von neuen Regulierungsmodellen, die zeigen, wie sich Gesellschaften zu Beginn des XXI. Jahrhunderts den Umgang mit dieser jahrzehntelang verbotenen Substanz vorstellen. Im Folgenden werden bestehende und geplante Modelle dargestellt. Dieser Artikel stützt sich in weiten Teilen auf den Bericht von Zobel & Marthaler (2014).

    Was in der Öffentlichkeit über viele Jahre als kaum hinterfragte Tatsache akzeptiert wurde – nämlich dass Cannabis illegal ist – wurde maßgeblich durch das „Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel“ von 1961 festgelegt (engl. „Single Convention on Narcotic Drugs“, verabschiedet von den Vereinten Nationen/United Nations). Dieses Abkommen bildete seitdem die Basis der weltweiten Drogenpolitik und damit auch des Cannabisverbotes. Im Verlauf der letzten Jahre haben sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger von vier Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika sowie das Parlament des unabhängigen Staats Uruguay für die Legalisierung des Cannabiskonsums und die Regulierung des Cannabismarktes ausgesprochen. Schon zuvor sind in verschiedenen Regionen Spaniens und Belgiens Vereinigungen von Cannabiskonsumierenden entstanden, während das holländische Modell, welches den Verkauf und den Besitz kleiner Mengen von Hanfprodukten toleriert, Reformen unterzogen wurde.

    Das aktuelle Spektrum der Regulierungsmodelle ist breit gefächert. Es umfasst verhältnismäßig offene, marktwirtschaftliche Märkte in den Bundesstaaten Colorado und Washington, einen streng durch den Staat verwalteten und geregelten Markt in Uruguay, die Tolerierung des Verkaufs von kleinen Mengen in den Niederlanden und die Gründung von nicht gewinnorientierten Vereinigungen von Cannabiskonsumierenden innerhalb rechtlicher Grauzonen in Spanien und Belgien. Wo liegen die Gemeinsamkeiten, wo die Unterschiede der verschiedenen existierenden oder geplanten Modelle?

    Das marktwirtschaftliche Modell der US-Bundesstaaten Colorado und Washington

    Der Cannabiskonsum ist in den Vereinigten Staaten seit jeher höher als in Europa. Hier liegt einer der Gründe, warum elf Bundesstaaten schon während der 1970er Jahre den Cannabiskonsum entkriminalisiert haben. In den 1990er Jahren entwickelte sich mit der medizinischen Verschreibung von Cannabis ein neues Phänomen, und bis 2015 hatten mehr als zwanzig Bundesstaaten eine Regelung für den therapeutischen Gebrauch von Cannabis.

    Diese Entwicklung hat den Bestrebungen zur Legalisierung und Marktregulierung für Cannabisprodukte für den rekreativen Gebrauch in den Vereinigten Staaten neuen Elan verschafft, und im November 2012 stimmten die Bürger der Bundesstaaten Washington und Colorado für die ersten regulierten Cannabismärkte der Welt. Colorado führte am 1. Januar 2014 erstmalig weltweit einen solchen Markt ein, Washington folgte am 8. Juli desselben Jahres, und in den zwei Bundesstaaten Oregon und Alaska wurde noch im gleichen Jahr ein entsprechendes Gesetz angenommen.

    Regulierungsmodalitäten

    In Washington und Colorado ist der Cannabismarkt in die drei Teile Produktion, Verpackung/Vertrieb und Verkauf gegliedert. Die Beteiligung auf einer der drei Ebenen erfordert eine staatliche Lizenz und eine Bewilligung der Gemeinde. In Washington verhindern die gesetzlichen Bestimmungen, dass man gleichzeitig auf mehreren Ebenen des Cannabismarktes tätig sein kann, wogegen in Colorado zunächst die umgekehrte Logik galt: Hier durften die Produzenten nur einen kleinen Teil (30 Prozent) ihrer Produktion an Händler verkaufen; den größten Teil mussten sie in ihren eigenen Geschäften anbieten. Diese Art der Produktion und Vermarktung lehnte sich an die Bestimmungen des medizinischen Gebrauchs von Cannabis an. Tatsächlich wurden in den ersten Monaten in Colorado Lizenzen ausschließlich an Produzenten und Händler erteilt, die im therapeutischen Bereich aktiv waren. Der Vorteil lag zweifellos darin, dass die Partner bekannt und schon mit einem regulierten Cannabismarkt vertraut waren. Ende 2014 wurden diese Regeln hinfällig, und die Bevorzugung von Produzenten und Händlern aus dem Bereich der medizinischen Cannabisprodukte wurde aufgehoben.

    Cannabis wird in undurchsichtigen Verpackungen verkauft, die von Kinderhänden nicht geöffnet werden können (child proof) und die zudem mit einer amtlichen Produktinformation versehen sein müssen, die unter anderem über den THC-Gehalt und die verwendeten Düngemittel Auskunft gibt (Ingold, 2013). Für den Erwerb von Cannabisprodukten – ebenso wie für Alkohol – gilt sowohl in Colorado wie auch in Washington ein Mindestalter von 21 Jahren. In spezifischen Verkaufsstellen darf pro Einkauf höchstens eine Unze (ca. 28,4 Gramm) erworben werden. In Colorado dürfen nicht ansässige Personen nur ein Viertel dieser Menge kaufen, während Einwohner zudem bis zu sechs Pflanzen zum Eigengebrauch halten können. In Washington gibt es keine Einschränkungen für auswärtige Cannabiskonsumierende. Die Haltung von bis zu 15 eigenen Pflanzen ist hingegen nur Einwohnern erlaubt, die im Besitz einer ärztlichen Verschreibung sind.

    In beiden Bundesstaaten entscheiden staatliche Kontrollorgane über das Erteilen, den Widerruf oder die Verlängerung von Lizenzen. Zur Überwachung der gesamten Produktion und um zu verhindern, dass Cannabis in den Schwarzmarkt gelangt, wurde ein System zur Produktverfolgung „vom Samen bis zum Konsumenten“ eingerichtet (metrc – Marijuana Enforcement Tracking Reporting Compliance, 2014). Werbung für Cannabisprodukte sollte in beiden Bundesstaaten sehr restriktiv geregelt werden. Allerdings wird dieses Werbeverbot nun unter Berufung auf den ersten Verfassungszusatz (1st amendment) der Vereinigten Staaten angefochten. Es ist daher möglich, dass ein striktes Werbeverbot in Zukunft nicht durchgesetzt werden kann.

    Steuern

    Washington hat zunächst die höchsten Steuerabgaben auf Cannabis erhoben. Auf jeder der drei Wertschöpfungsebenen (Produktion, Verpackung/Vertrieb und Verkauf) wurden vom Staat 25 Prozent Steuern erhoben. Seit dem 1. Juli 2015 wird nur noch eine Verkaufssteuer von 37 Prozent erhoben (Department of Revenue Washington State, 2015). Dazu kommt eine allgemeine Umsatzsteuer von 8,75 Prozent, die für alle Güter gilt. In Colorado beträgt die Grundtaxierung auf Cannabis lediglich 15 Prozent, hinzu kommt die allgemeine Warenumsatzsteuer von 2,9 Prozent. Zusätzlich aber werden eine Cannabis-Verkaufssteuer von 10 Prozent (Bremner & Del Giudice, 2014) sowie örtliche Abgaben erhoben. Ob in Washington oder in Colorado, Cannabis ist in jedem Fall mit hohen Abgaben belegt, wobei die Preise tendenziell sinken (zwischen Herbst 2014 und Frühling 2015 geschätzt um etwa 16 Prozent in Colorado). In Washington sollen diese Steuereinnahmen zum größten Teil in einen Spezialfonds für soziale und medizinische Dienstleistungen fließen, und in Colorado sind Teile dieser Gelder für den Bau neuer Schulen vorgesehen.

    Das staatlich kontrollierte Modell Uruguays

    In Uruguay wird der Drogenkonsum nicht strafrechtlich verfolgt, sofern es sich beim Besitz von Betäubungsmitteln um eine ‚vernünftige Menge‘ handelt. Der Cannabiskonsum ist relativ hoch und hat in den 2000er Jahren bei den Jugendlichen stark zugenommen. Parallel dazu hat sich wie im Nachbarland Argentinien der Konsum der Kokain-Basispaste Paco verbreitet. In Uruguay ist die Trennung der Märkte für Cannabis und für Paco eines der Argumente für eine Legalisierung von Cannabisprodukten.

    Die Regierung Uruguays stellte ihr Projekt zur Regulierung des Cannabismarktes im Juni 2012 vor. Der Gesetzesentwurf ging im August an das Parlament, wurde jedoch erst ein Jahr später vom Repräsentantenhaus angenommen. Am 10. Dezember 2013 stimmte auch der Senat zu. Damit erhielt Uruguay als erstes Land ein Gesetz zur Legalisierung von Cannabis.

    Regulierungsmodalitäten

    Das Modell Uruguays unterscheidet sich in vielen Punkten von den Modellen in den Bundesstaaten Colorado und Washington. Das südamerikanische Land regelt zum einen die Produktion von und den Handel mit Cannabis sowie den Besitz von Hanfpflanzen zum persönlichen Gebrauch. Zum anderen regelt es auch den Anbau von Pflanzen im Rahmen einer Vereinigung. Laut Gesetz darf jeder Bewohner Uruguays, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, entweder:

    a) Cannabis in bestimmten Apotheken kaufen oder
    b) die Pflanzen selbst anbauen oder
    c) Mitglied eines „Cannabis Konsum Clubs“ werden.

    Diese Möglichkeiten schließen sich gegenseitig aus. Die „Cannabis Konsum Clubs“ bestehen aus 15 bis 45 Personen und erhalten die Genehmigung zum gemeinsamen Anbau von Hanfpflanzen. In jedem Fall müssen sich Konsumenten beim „Institut für die Regulierung und die Kontrolle von Cannabis“ (IRCCA) registrieren lassen. Diese Pflicht gilt auch für die Cannabisproduzenten und für die Apotheken, die Cannabisprodukte verkaufen. Mit der Registrierung auf allen Wertschöpfungsebenen will die Regierung nicht nur den Markt kontrollieren und regulieren, sondern auch Personen erkennen, die durch einen problematischen Umgang mit dem Produkt auffallen.

    Im uruguayischen Modell sind genaue Mengen vorgeschrieben, die verkauft oder angebaut werden dürfen. So dürfen registrierte Nutzer bis zu 40 Gramm pro Monat in zugelassenen Apotheken kaufen oder höchstens sechs Hanfpflanzen für den Eigenbedarf besitzen. Die Cannabis-Clubs können je nach Mitgliederzahl bis zu 99 Pflanzen im Jahr anbauen. All diese Modalitäten unterliegen jedoch der Bestimmung, dass der maximal erlaubte Konsum in Uruguay auf 480 Gramm pro Jahr beschränkt ist, was etwa 1,3 Gramm pro Tag entspricht (Kilmer et al., 2013).

    Stand der Umsetzung

    Nach der Präzisierung verschiedener Anwendungsbestimmungen wird das uruguayische Regelwerk seit Mai 2014 Schritt für Schritt umgesetzt. Ab August 2014 konnten sich Bewerber und Bewerberinnen für den Anbau zum Eigenbedarf registrieren. Inzwischen haben sich rund 2.200 Personen für den Eigenbau registrieren lassen, und 18 Vereinigungen mit insgesamt etwa 700 Mitgliedern befinden sich in unterschiedlichen Stadien des Registrierungsprozesses. Zudem ist das Auswahlverfahren für Produzenten, die Apotheken beliefern dürfen, im Gange (elf Kandidaten), und eine Präventionskampagne wurde lanciert.

    Cannabis Social Clubs in Spanien und Belgien

    Spanien

    Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichts gelten der Besitz von Cannabis zum persönlichen Gebrauch und der Konsum in Spanien nicht als Straftat. Ebenso betrachtet die spanische Rechtsprechung weder den gemeinsamen Konsum noch den gemeinschaftlichen Erwerb von Drogen durch abhängige Konsumierende als Straftat.

    Vor dem Hintergrund dieser richterlichen Praxis hat sich in der ersten Hälfte der 1990er Jahre eine Bewegung entwickelt, die sich für den Selbstanbau von Hanfpflanzen im Rahmen von Gruppen Erwachsener einsetzt. Die Initianten argumentieren wie folgt: Der Anbau einer oder mehrerer Pflanzen für den Eigenbedarf stellt keine Straftat dar. Dasselbe gilt für den gemeinschaftlichen Erwerb von Cannabis sowie für den gemeinsamen Konsum. Also kann es auch keine Straftat sein, wenn ein privater Personenkreis Pflanzen anbaut, die Ernte unter sich aufteilt und das Cannabis gemeinsam konsumiert (Kilmer et al., 2013).

    Die Vereine von Cannabiskonsumierenden werden oft als Cannabis Social Clubs (CSC) bezeichnet. Aufgrund fehlender staatlicher Regulierung haben sich die Akteure ihre Regeln selbst auferlegt. Der spanische Cannabis-Dachverband FAC (Federación de Asociaciones Cannábicas) hat die Rahmenbedingungen definiert (Kilmer et al., 2013), und die belgische Non-Profit-Organisation ENCOD – European Coalition for Just and Effective Drug Policies hat einen besonderen Verhaltenskodex für europäische Cannabis Social Clubs festgelegt (ENCOD, 2011).

    CSC funktionieren als Non-Profit-Organisationen, die ausschließlich Erwachsenen zugänglich sind. Wer Mitglied eines CSC werden möchte, muss sich als Cannabiskonsument erklären oder ein ärztliches Rezept für den Bezug dieser Substanz vorlegen. In einigen Fällen bedarf es zudem der Empfehlung eines bisherigen Mitglieds, um aufgenommen zu werden. Das Mindestalter beträgt in der Regel 18 Jahre (Volljährigkeit). In gewissen Fällen wurde das Eintrittsalter auf 21 Jahre angehoben. Das Ziel der CSC besteht im Anbau von Cannabis für den Eigengebrauch der Clubmitglieder. Die Substanz wird oft vor Ort eingenommen, das heißt im privaten Clubraum, wo das Cannabis auch ausgegeben wird. Zwischen den Mitgliedern des CSC darf kein Handel entstehen, weshalb die Menge Cannabis pro Mitglied beschränkt ist. Die übliche Tagesmenge beträgt zwei bis drei Gramm (Barriuso Alonso, 2011). Laut  ENCOD soll die Produktionskapazität eines CSC auf der zu erwartenden Höhe des jährlichen Verbrauchs seiner Mitglieder basieren. Dazu kommt eine angemessene Menge als Reserve. Die Aufzucht der Pflanzen erfolgt durch Mitglieder des Vereins oder durch Dritte. Die CSC sollten umfassend und transparent Buch darüber führen, in welchem Stadium des Lebenszyklus sich der Anbau befindet und welche Anbaumethoden angewendet werden und natürlich über die für die Weitergabe geeigneten Erntemengen.

    In Spanien haben sich die CSC in letzter Zeit sehr schnell entwickelt. Die Regierung schätzte ihre Anzahl im Jahr 2014 auf 700, während es vier Jahre zuvor gerade rund vierzig gab. Etwa 400 CSC sind in Katalonien eingetragen, davon die Hälfte allein in Barcelona. Dort hat sich ein regelrechter Cannabistourismus etabliert, denn die Clubs sind für alle zugänglich, die Cannabis konsumieren wollen, und die Betreiber der Clubs versuchen, Touristen übers Internet oder auf der Straße zu einem Besuch zu animieren. Die Behörden der Stadt haben auf diese Entwicklung reagiert und über 150 CSC kontrolliert. Etwa ein Drittel davon wurde geschlossen. Zudem hat die Stadt ein Moratorium erlassen, das die Eröffnung neuer CSC für die nächsten zwölf Monate verbietet.

    Die explosionsartige Entwicklung der CSC, die auch die Grenzen der Autoregulierung der Clubs offenbart, bewog die Behörden dazu, strengere Regeln für eine Regulierung zu erarbeiten – eine Entwicklung, die auch von einem Teil der CSC gewünscht und unterstützt wird. Die katalanischen Behörden sind zurzeit dabei, ein Ensemble von Regeln zu entwickeln, das namentlich folgende Elemente enthalten würde: das Verbot, CSC in der Nähe von Schulen zu eröffnen, die Begrenzung der Mitgliederzahl und der Öffnungszeiten sowie das Verbot von Werbung und der Bezahlung mit Bargeld. Ein Mindestalter von 21 Jahren und die spanische Staatsangehörigkeit würden die zwei Aufnahmebedingungen bilden, und neue Mitglieder könnten Cannabis erst nach 15 Tagen beziehen. Zudem könnte die maximale Bezugsmenge auf 60 bis 100 Gramm pro Monat festgelegt werden (The Guardian, 2014).

    Als die ersten CSC gegründet wurden, waren die Initianten der Überzeugung, dass es sich hierbei nur um ein Übergangmodell zu einem mit dem Tabak- oder Alkoholmarkt vergleichbaren Modell handelt, bei dem nicht nur die Produktion und der Konsum, sondern auch der Handel komplett legal wären. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass es sich bei den CSC um ein langfristig tragfähiges Modell handelt, bei dem die Entscheidungen nicht in den Händen von einigen wenigen Personen liegen, sondern die Versorgung ohne Gewinnabsichten durch eine Gruppe von Interessierten demokratisch geregelt werden kann (Barriuso Alonso, 2011).

    Belgien

    Ähnlich wie in Spanien präsentiert sich die Situation in Belgien. Grundsätzlich verbietet die belgische Gesetzgebung die Produktion und den Besitz von Cannabis. Allerdings schwächt eine Verordnung des Justizministeriums und der Vereinigung der Staatsanwälte von 2005 diese Norm ab: Der Besitz von Cannabis für den Eigenbedarf wurde in der Skala der Straftaten erheblich zurückgestuft, sofern keine erschwerenden Umstände vorliegen. In der Praxis bedeutet das: Eine erwachsene Person, die bis zu drei Gramm Cannabis oder eine Hanfpflanze besitzt, kann zu einer Geldbuße verurteilt werden. Es erfolgt jedoch kein Eintrag ins Strafregister, und das Cannabis muss von den Ordnungskräften nicht eingezogen werden (Kilmer et al., 2013).

    Im Jahr 2006 wurde der Cannabis Social Club „Trekt Uw Plant“ (Ziehe deine eigene Pflanze!) gegründet. Die Organisation stützte sich darauf, dass der Besitz einer Pflanze für den Eigengebrauch toleriert wurde, und plädierte für den gemeinsamen Anbau entsprechend der Anzahl Clubmitglieder (Decorte, 2015). Nach der Wahl einer neuen, konservativen Regierung im Herbst 2014 soll die Null-Toleranz-Politik, die schon seit längerem in der Stadt Antwerpen gilt, auf das ganze Land ausgedehnt werden. Was das für die belgischen Cannabisclubs bedeutet, ist noch offen.

    Das Coffeeshop-Modell der Niederlande

    In den Niederlanden sind Verkauf und Besitz kleiner Cannabismengen grundsätzlich verboten, seit 1976 wird dies de facto jedoch toleriert. Ebenso wird der Besitz von Hanfpflanzen für den persönlichen Gebrauch (bis zu fünf Stück) nicht geahndet. Diese Politik verfolgt als Hauptziel, die Trennung des Marktes für ‚weiche‘ Drogen (Cannabis) von dem der anderen Drogen.

    Jede Person, die das 18. Lebensjahr vollendet hat, kann unabhängig von ihrem Wohnsitz bis zu fünf Gramm Cannabis in eigens dafür zugelassenen Läden, den Coffeeshops, kaufen. Eine Studie des Trimbos Institute von 2013 zeigte einen durchschnittlichen THC-Gehalt von 13,5 Prozent. Dieser lag tiefer als in den vorangegangenen Jahren. Die meistverkaufte Cannabisqualität kostete 9,60 Euro pro Gramm (Netherlands Info Service, 2013). In Coffeeshops dürfen höchstens 500 Gramm Cannabis gelagert werden. Dadurch sind gewisse Händler gezwungen, mehrmals täglich Nachschub zu beschaffen. Das niederländische Modell birgt ein grundsätzliches Paradox, das so genannte Back-Door-Problem: Da der Anbau von Cannabis weiterhin als Straftat gilt, müssen die Produkte, die in Coffeeshops verkauft werden, weiterhin auf dem Schwarzmarkt erworben werden.

    Die Regulierung der Coffeeshops ist in den letzten Jahren mehrmals diskutiert worden, und inzwischen verlangen manche Gemeinden die Beseitigung des Back-Door-Problems: Die Produktion von Cannabis, welches in den Coffeeshops verkauft wird, sollte keine Straftat mehr darstellen. Als Lösung wurden von den Städten verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen wie z. B. die Vergabe von Lizenzen, die Förderung von Konsumenten-Clubs oder auch ein städtisches Monopol für die Cannabisproduktion (Rolles, 2014).

    Regulierungsprojekte in der Schweiz

    Zu Beginn der 2000er Jahre sah es danach aus, als ob die Schweiz als erstes Land der Welt ein Gesetz zur Regulierung des Cannabismarktes einführen würde. Die Argumente für die Regulierung waren der Jugendschutz und der Kampf gegen den Schwarzmarkt. Der vom Bundesrat vorgestellte Entwurf für ein revidiertes Betäubungsmittelgesetz sah die Legalisierung des Cannabiskonsums vor (Der Schweizerische Bundesrat, 2001). Für Produktion und Verkauf von Cannabisprodukten sollten Ausnahmen von der Strafverfolgung gelten. Das Projekt sah Straffreiheit vor, wenn Cannabis in geringen Mengen an Personen über 18 Jahren verkauft wird, sofern dadurch die öffentliche Ordnung nicht gefährdet, keine Werbung betrieben und keine Ein- und Ausfuhr ermöglicht wird.

    Der Gesetzesentwurf enthielt auch Vorschriften über Anbauflächen, Lizenzen und Verkaufsstellen und den Höchstgehalt an THC sowie die Regulierung von Produktion und Verkauf. Die Kantone blieben frei, strengere Vorschriften auf ihrem Hoheitsgebiet zu erlassen. Es oblag den Produzenten, den Beweis zu erbringen, dass die Ernte ausschließlich an Kundschaft in der Schweiz ausgeliefert würde. Der Anbau von Hanfpflanzen sollte unter Angabe der Sorte, der Anbaufläche, des Anbauortes, der Abnehmer etc. meldepflichtig werden.

    Nach einem dreijährigen Vernehmlassungsprozess (Phase im schweizerischen Gesetzgebungsverfahren, in der Kantone, politische Parteien und andere Interessierte Stellung zum geplanten Gesetz nehmen können) und verschiedenen Debatten wurde im Juni 2004 auf die Revision des Betäubungsmittelgesetzes verzichtet. In der Zwischenzeit hatten einige Kantone begonnen, einen Cannabismarkt zu tolerieren. Landesweit sollen mehr als 200 Hanfläden entstanden sein. Diese Entwicklung ging mit der Aufgabe der Gesetzesrevision zu Ende. Danach folgten 2004 und 2008 zwei gescheiterte politische Vorstöße, die das Ziel hatten, das Cannabisverbot zu lockern. Mit der 2008 vom Volk angenommenen Teilrevision des Betäubungsmittelgesetzes und dem Parlamentsbeschluss von 2012 zum Ordnungsbußenverfahren für Cannabis wird in der Schweiz der Konsum einer geringfügigen Menge von Cannabis (max. 10 Gramm) durch erwachsene Personen mit einer Ordnungsbuße von 100 Fr. bestraft. Cannabis bleibt somit verboten, aber eine Strafverfolgung wird außer in Ausnahmefällen nicht aufgenommen.

    Aber auch nach der gescheiterten Initiative zur Legalisierung von Hanfprodukten und der de facto Entkriminalisierung des Konsums bleibt die Debatte rund um Cannabis hochaktuell. Seit einigen Jahren wurden in größeren Schweizer Städten (Zürich, Luzern, Bern, Biel, St. Gallen, Lausanne, Winterthur) und in einem Kanton (Basel-Stadt) Postulate oder parlamentarische Initiativen mit dem Ziel eingereicht, die Debatte über einen alternativen Umgang mit der Produktion und dem Handel von Cannabis neu zu lancieren. Derzeit ist die öffentliche Diskussion in Genf am weitesten fortgeschritten. Hier möchte eine Gruppe Abgeordneter im Rahmen eines Pilotprojekts Vereinigungen von Cannabiskonsumierenden nach dem spanischen Modell der Cannabis Social Clubs zulassen.

    Schlüsselelemente der Regulierung

    Die bestehenden oder geplanten Regulierungsmodelle lassen sich drei Kategorien zuordnen: dem kommerziellen Markt, der als einziger – wenn auch stark reguliert – marktwirtschaftlich funktioniert, dem Staatsmonopol und den Vereinigungen. Die beiden letzteren wollen verhindern, dass sich ein privater und profitorientierter Handel mit Cannabisprodukten entwickeln kann. Alle Modelle greifen trotz ihrer Unterschiede auf ein gemeinsames Ensemble von Maßnahmen zurück, die je nach Modell unterschiedlich gehandhabt und gewichtet werden:

    • Regulierung der Produktion
    • Verkaufsbewilligungen
    • Mengenbegrenzungen für den Verkauf
    • Konsumeinschränkungen
    • Qualitätskontrollen
    • Altersbeschränkungen
    • Besteuerung
    • Werbung
    • Marktüberwachung

    Weitere Maßnahmen können die Erkennung von problematisch Konsumierenden oder die Einschränkung des Verkaufs an nicht Ortsansässige betreffen. Allen Modellen gemeinsam ist die Bestrebung, den illegalen Markt zu schwächen und den Cannabismarkt von anderen Drogenmärkten abzugrenzen. Und generell ist Cannabis bedeutend strenger reguliert als Alkohol. In Zukunft wird sich zeigen, welches Modell bzw. welche Modelle langfristig politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich tragfähig sein werden und ob es noch Raum für andere Formen der Regulierung gibt.

    Kontakt:

    Marc Marthaler
    Sucht Schweiz
    Av. Louis-Ruchonnet 14
    Postfach 870
    CH-1001 Lausanne
    mmarthaler@suchtschweiz.ch
    www.suchtschweiz.ch

    Angaben zu den Autoren:

    Marc Marthaler ist Projektleiter bei Sucht Schweiz.
    Frank Zobel ist Vizedirektor ad interim bei Sucht Schweiz.

    Literatur:
  • „Soll Cannabis legalisiert werden?“

    „Soll Cannabis legalisiert werden?“

    Jost Leune, Geschäftsführer Fachverband Drogen- und Suchthilfe (fdr)

    Es muss gehandelt werden – und zwar jetzt!

     

    Dr. Elke H. Sylvester, Ärztliche Leiterin der Fachklinik Nettetal

    Conrad Tönsing, Geschäftsbereichsleiter Suchtprävention und Rehabilitation, Caritasverband für die Diözese Osnabrück e. V.

    Länderspezifische Unterschiede vermeiden

     

    Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung

    Legalisierungsforderungen für Genusszwecke – damit muss endlich Schluss sein!
    Marlene Mortler

    Die Forderung nach einer pauschalen Legalisierung von Cannabis wird in jüngster Zeit zusehends lauter medienwirksam vorgetragen. Ich halte dies für brandgefährlich, da sie an die besonders gefährdete Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen das völlig falsche Signal sendet, dass Cannabiskonsum unbedenklich sei. Damit muss endlich Schluss sein! Als Drogenbeauftragte ist es mir ein Anliegen, dass die jungen Menschen in unserem Land aufgeklärt sind und über die mit dem Konsum verbundenen Gefahren Bescheid wissen. Dies erreichen wir über gute Präventionsarbeit, aber nicht über verharmlosende Rufe nach einer Freigabe von Cannabis. Ich finde dies unverantwortlich. Wir haben bereits mit den legalen Suchtmitteln Alkohol und Tabak genug gesellschaftliche Probleme. Da müssen wir nicht auch noch eigens eine Einladung für die illegale Droge Cannabis aussprechen. Übersehen wird in der Darstellung auch immer wieder, dass nicht nur keine politische Mehrheit in Sicht ist, die einer Freigabe zu Genusszwecken zustimmen würde, auch die Mehrheit der Bevölkerung erteilt diesen Ideen eine deutliche Absage.

    Richtig ist: Der Wunsch vieler Schwerstkranker nach einer Behandlung mit Cannabis auf medizinischer Basis ist berechtigt. Ich setze mich daher als Drogenbeauftragte dafür ein, dass wir für diese Zielgruppe die bestehenden Möglichkeiten des Einsatzes von Cannabis als Medizin ausweiten und verbessern. Dazu gehört auch die Frage der Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung. Das Bundesministerium für Gesundheit arbeitet derzeit mit Hochdruck an einer Regelung, die den berechtigten Interessen der Patientinnen und Patienten Rechnung tragen soll.

     

    Dr. Harald Terpe MdB, Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN

    Regulieren statt kriminialisieren

    Harald Terpe MdBDie Verbotspolitik ist gescheitert. Die Zahl der Cannabiskonsumenten ist seit Jahren gleichbleibend hoch, Cannabis ist überall und für jeden leicht erhältlich. Die Bundesregierung ignoriert fortschrittliche Entwicklungen aus anderen Ländern sowie Forderungen aus Wissenschaft und Strafverfolgung. Die Kriminalisierung fördert den Schwarzmarkt und verhindert einen wirksamen Jugend- und Verbraucherschutz sowie glaubhafte Suchtprävention. Die Produktion von gestrecktem, verunreinigtem Cannabis oder der Verkauf an Minderjährige werden durch die Prohibition nicht verhindert – im Gegenteil.

    Das grüne Cannabiskontrollgesetz bietet eine Alternative zur überholten Verbotspolitik und trägt zur Lösung bestehender Probleme bei. Es bedarf einer neuen, vernünftigen Regulierung des Umgangs mit Cannabis, denn Cannabis ist nicht harmlos. Ein reguliertes und kontrolliertes System für Anbau, Handel und Abgabe von Cannabis würde – im Gegensatz zu heute – einen wirksamen Jugend- und Verbraucherschutz ermöglichen. Der geregelte Verkauf in Fachgeschäften sichert die ausschließliche Abgabe an Erwachsene, die Transparenz von Wirkstoffgehalt und Reinheit der Substanz sowie die verpflichtende Aufklärung über Konsum- und Suchtrisiken, Beratungs- und Therapieangebote durch geschulte Verkäufer. Die Regelungen wären strenger als bei der Abgabe von Alkohol.

    Die Angst vor Strafverfolgung und Entzug des Führerscheins verhindert einen offenen Umgang mit Cannabiskonsum und den Problemen, die in diesem Zusammenhang entstehen können. Prävention und Hilfe werden dadurch eher erschwert als erleichtert. Das muss sich ändern. Weitere Infos zum Entwurf des Cannabiskontrollgesetzes (CannKG) finden Sie hier.

     

    Dr. Raphael Gaßmann, Geschäftsführer Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)

    Cannabisgesetze müssen nutzen

    Im Jahr 2004, also vor mehr als einem Jahrzehnt, veröffentlichte die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen ihren Cannabis-Band „Neue Beiträge zu einer alten Diskussion“. Nicht erst seither ermüdet jede Erörterung des Themas mit den immer gleichen Vorträgen. Inzwischen allerdings wurde die Erforschung des Schadenspotenzials der Substanz, ungleich der ihres medizinischen Nutzens, deutlich verstärkt. Ebenso wurden weit über eine Million Strafverfahren wegen so genannter „konsumnaher Delikte“ eröffnet. Zudem noch etwa eine viertel Million Verfahren wegen Handelsdelikten. Das war es dann aber auch, in Deutschland zumindest. Dennoch hat die Diskussion, angeregt durch unterschiedliche neue Regulierungen im Ausland, an Dynamik gewonnen. Gerade die juristischen Entspannungen in mehr als 20 US-amerikanischen Bundesstaaten, gleichsam eine Cannabis Perestroika im Mutterland der Prohibition, üben enorme Impulse auch in Deutschland auf Reformbefürworter wie -gegner aus.

    Das für die Beibehaltung der hierzulande weitreichenden Konsumentenverfolgung vorgetragene Zentralargument war und ist dabei die längst unstrittige Schädlichkeit der Substanz gerade für jugendliche Intensivkonsumenten. Doch das Argument verfängt nicht. Erhebliches Schadenspotenzial ist die notwendige, nicht aber hinreichende oder gar zwingende Voraussetzung für ein juristisches Verbot. Dazu bedarf es auch des Nachweises der positiven Gesetzesfolgen. Das Verbot muss die Absicht des Gesetzgebers erfüllen, Schäden zu mindern. Laut Einheitsübereinkommen über Suchtstoffe von 1961 soll die Prohibition das ‚individuelle Übel und die wirtschaftliche und soziale Gefahr der Betäubungsmittelsucht verhüten und bekämpfen‘. Das sah auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Cannabisurteil von 1994: „Angesichts der […] offenen kriminalpolitischen und wissenschaftlichen Diskussion über die vom Cannabiskonsum ausgehenden Gefahren und den richtigen Weg ihrer Bekämpfung hat der Gesetzgeber die Auswirkungen des geltenden Rechts unter Einschluss der Erfahrungen aus dem Ausland zu beobachten und zu überprüfen.“ In dieser Frage sind inzwischen mehr als zwei Jahrzehnte vergangen – der Ruf des obersten deutschen Verfassungsorgans indes verhallte ungehört. Die Wirksamkeit des Gesetzes? Nicht evident, nicht überprüft, keine Information vorhanden! So erfolgt die Diskussion des Für und Wider angesichts einer äußerst dünnen Erkenntnislage mehr im Bereich des Glaubens als des Wissens (s. a. DHS Jahrbuch Sucht 2015). Dies wird der Bedeutung des Problems schon angesichts mehrerer Millionen Konsumenten auf bemerkenswerte Weise nicht gerecht. Bemerkenswert besonders, als es doch längst und leicht zu ändern gewesen wäre.

    Es ist wichtig, die Risiken des Cannabiskonsums zu untersuchen. Es ist auch wichtig, seine medizinischen Wirkungen verstärkt zu erforschen. Noch wichtiger aber scheint es in der gegenwärtigen Lage, die Folgen unterschiedlicher Varianten von Prohibition und Regulierung zu erforschen. ‚Cannabis muss verboten sein, weil es für junge Menschen riskant ist‘ – nach mehr als einem halben Jahrhundert nicht evaluierter Prohibition greift dieser Gedanke sehr kurz.

    Wir brauchen eine Cannabispolitik, die gewährleistet, dass die Substanz möglichst geringe Schäden verursacht, und die den Risiken des möglichst geringen Konsums keine weiteren hinzufügt. Im Interesse jedes Einzelnen. Und im Interesse der gesellschaftlichen Vernunft brauchen wir sie auch. Neue Beiträge zu dieser Diskussion: aber bitte endlich Fakten!

     

    Nadja Wirth, Vorstandsmitglied DG-SAS, seit 2013 Fachberaterin im LWL-Landesjugendamt

    Mehr riskant Konsumierende für Frühinterventionsangebote erreichen

    Nadja Wirth_kleinAls Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit in der Suchthilfe (DG-SAS) setzen wir uns dafür ein, dass Modelle zur Regulierung von Cannabis erprobt werden. Auf europäischer Ebene sind keine Zusammenhänge zwischen gesetzlichen Änderungen und Prävalenzraten des Cannabiskonsums festzustellen (EBDD, 2011). Die Lockerung des strafrechtlichen Umgangs mit Cannabis birgt einen kleineren Anteil Risiken und einen größeren Anteil positiver Auswirkungen. Den Risiken sollte mit gezielten Maßnahmen entgegengetreten werden.

    • Risiken: Da die strafrechtliche Grundlage fehlt, würden Volljährige keine Auflage mehr erhalten, an einem Frühinterventionsangebot wie FreD teilzunehmen. Damit würde die Zahl der jungen Erwachsenen sinken, die über die Polizei bzw. Justiz zu FreD vermittelt werden.
    • Maßnahmen: Die Kontrolle des Jugendschutzgesetzes – bezogen auf Alkohol und nach einer Gesetzesänderung auch auf Cannabis – muss deutlich verbessert werden. Minderjährige, die im Zusammenhang mit Cannabis auffällig werden, sollten die Auflage erhalten, z. B. an einem Konsumreflexions-Kurs wie FreD teilzunehmen. Multiplikatoren sollten im Umgang mit riskant konsumierenden Jugendlichen geschult werden.
    • Positive Auswirkungen: Offene und angstfreie Gespräche über Cannabis werden ermöglicht. Das ist die Grundlage, um (jugendliche und erwachsene) Konsumenten sowie Bezugspersonen zu motivieren, bei riskanten Konsummustern Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

    Voraussichtlich werden über solch einen Weg der Liberalisierung mehr riskant Konsumierende für Frühinterventionsangebote erreicht als im Rahmen der derzeitigen Gesetzgebung. Eine ausführliche Stellungnahme finden Sie hier.

     

    Ismail Öksüz, ehemaliger Konsument

    Cannabislegalisierung?

    Ismail ÖksüzSeit mehreren Jahren verfolge ich nun die Entwicklung auf der ganzen Welt bezüglich der Legalisierung von Cannabis. Es ist traurig, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern weit zurückliegt. Ich persönlich befürworte die Legalisierung. Wenn man ehrlich ist, hat das Verbot nichts gebracht. Es hält niemanden vom Konsum ab, und es hält auch die Dealer nicht davon ab, Cannabis anzubauen und Handel damit zu treiben. Man kann auch leider nicht verhindern, dass manche Konsumenten davon abhängig werden. Heutzutage ist die Beschaffung von Cannabis genauso einfach, wie sich Zigaretten an der Tankstelle zu holen. Ein Verbot wird daran auch nichts ändern. Cannabis wird häufig im Volksmund und von so genannten Experten als Einstiegsdroge bezeichnet, was aber meiner Meinung nach nicht stimmt. Ich glaube nicht, dass es einen Heroinabhängigen gibt, der noch nie Alkohol getrunken hat. Also müsste auch Alkohol als Einstiegsdroge bezeichnet werden. Kiffen führt genauso wenig wie Trinken automatisch zu harten Drogen, sonst hätten wir längst Millionen Heroinabhängige.

    Legalisierung heißt nicht, den Handel wuchern zu lassen. Im Gegenteil. Sie soll Dealern schaden und Konsumenten schützen. Eine qualitätskontrollierte Abgabe von Cannabis verhindert, dass verunreinigtes, gestrecktes Cannabis in den Umlauf kommt. 2008 kam es in Deutschland zu einigen Todesfällen durch Cannabis, das mit Blei, Vogelsand, Zuckerwasser und etlichen anderen Stoffen versetzt wurde. Bei einem kontrollierten Verkauf könnten Standards gesetzt werden wie auch in der Lebensmittelindustrie. Das amerikanische Modell zur Cannabisregulierung sollte uns als bestes Beispiel dienen. Dort wird Cannabis legal angebaut und in so genannten ‚dispensaries‘ abgegeben. Alles wird versteuert. Der Staat und die Konsumenten profitieren davon, und Schwarzmarkthändlern schadet es enorm, so dass es sich für sie nicht mehr lohnt.

    Außerdem greift der Jugendschutz bei einer Legalisierung, so dass Jugendliche besser geschützt werden können. Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, Minderjährigen den Zugang zu Cannabis zu erschweren, was momentan nicht der Fall ist. Die frei werdenden Ressourcen bei Polizei, Gerichten und Verwaltung könnten in Aufklärung und Therapien gesteckt werden. Was ich auch von sehr hoher Bedeutung finde, ist, dass chronisch Kranken, die Cannabis zur Linderung ihrer Leiden konsumieren, der Zugang erleichtert wird. Viele chronisch Kranke können Cannabis momentan in Apotheken bekommen, leider zu sehr hohen Preisen. Dies bewegt viele dazu, ihr Cannabis auf dem Schwarzmarkt zu erwerben, womit sie sich strafbar machen und sich in der Illegalität bewegen.

    Ich habe mehrere Jahre in Amsterdam gelebt, und meine Erfahrung aus den Niederlanden ist, dass ich dort deutlich weniger Cannabisabhängige und exzessiven Konsum beobachtet habe. Vielmehr einen kontrollierten und verantwortungsvolleren Umgang mit Cannabis. Jugendliche dort werden besser aufgeklärt und gehen auch im späteren Leben damit verantwortungsvoll um. Momentan befinde ich mich in Therapie und kürzlich durfte ich eine Heimfahrt nach Amsterdam zu meiner Freundin und meinem Sohn machen. Es fiel mir schwer, an den Coffeeshops vorbeizugehen, aber damit kann ich durch die Therapie umgehen, und da ich dort lebe, gehört es zur Normalität. Ich persönlich bin verantwortungslos mit Cannabis umgegangen und hatte ein Suchtproblem. Das heißt aber nicht, dass jeder süchtig werden kann. Es hätte mir genauso mit Alkohol oder Glücksspiel passieren können. Warum wird hier nicht über ein Verbot nachgedacht?! Meist wird der Vorwand benutzt, dass Alkohol kulturell stärker akzeptiert ist, aber bei geschätzten vier Millionen Kiffern in Deutschland ist das kein Argument.

     

    Dr. Liane D. Paul, Institut für Rechtsmedizin / Forensische Toxikologie, Ludwig Maximilians Universität München

    Die Frage der Cannabis-Legalisierung ist eine hochemotional und ideologisch geführte, letztlich politische Debatte, in der bei vielen Teilnehmern Sachargumente kaum noch Gehör finden, wie ich u. a. auf Veranstaltungen immer wieder feststellen kann. Ich möchte mich daher eines Kommentars enthalten. Aus toxikologischer und rechtsmedzinischer Sicht kann man ohne medizinische Indikation ohnehin nur vom Konsum von Cannabis-Produkten abraten.

     

    Andreas Gantner, Dipl.-Psych., Geschäftsführer im Therapieladen e. V.
    seit 25 Jahren aktiv in der Prävention und Behandlung bei Cannabisproblemen

    Andreas GantnerWir im Therapieladen e. V. sind seit 30 Jahren in unserer täglichen therapeutischen Arbeit mit den gravierenden psychischen und sozialen Auswirkungen der Cannabisabhängigkeit konfrontiert und sind mit vielen anderen Akteuren in der Suchthilfe fest davon überzeugt, dass eine regulierte Cannabisfreigabe für Erwachsene ein längst fälliger Weg für eine rationale Drogenpolitik ist.

    Die Ungleichbehandlung der illegalen Droge Cannabis und der legalen Substanzen Alkohol und Tabak lässt sich aufgrund der wissenschaftlichen Befundlage zu negativen Konsequenzen dieser Substanzen nicht rechtfertigen, und alle seriösen Fachleute wissen das. Wir haben mit dem bestehenden Drogenverbot ein starkes Glaubwürdigkeitsproblem in der Prävention. Jeder kann heute wissenschaftlich und ‚evidenzbasiert‘ bestätigt bekommen, dass Alkohol im Vergleich zu Cannabis individuell und gesamtgesellschaftlich den größeren Schaden anrichtet. Die im BtMG verfestigte Doppelmoral im rechtlichen Umgang mit psychoaktiven Substanzen untergräbt eine unideologische und vernünftige Auseinandersetzung mit den wirklichen Risiken des Cannabiskonsums. Keine/n einzige/n unserer Klient/innen hat das Drogenverbot davon abgehalten zu konsumieren oder davor bewahrt, in eine Abhängigkeit zu geraten.

    Der Anstieg des Konsums seit den 90er Jahren zeigt, dass das Verbot keine generalpräventive Wirkung hat, sondern vielmehr die betroffenen Konsument/innen zusätzlich durch die Illegalität in Schwierigkeiten bringen kann. Dabei ist der Anteil der Cannabisabhängigen in Deutschland laut epidemiologischer Studien seit den letzten zehn bis 15 Jahren stabil geblieben und liegt bei ca. einem Prozent. Der starke Anstieg von Cannabisklienten in der Suchthilfe in Deutschland lässt sich also nicht, wie viele vermuten, mit immer mehr Problemen mit Cannabis erklären, sondern mit einem verbesserten Suchthilfesystem, welches seit etwa dem Jahr 2005 Problemkonsumenten gezielter anspricht und durch Frühinterventionsprojekte und Therapieangebote besser erreicht. Die zukünftige Herausforderung besteht in einer Verlagerung vom Betäubungsmittelgesetzt hin zum Jugendschutz. Von einer wirksameren und besseren Ressourcenverteilung zwischen Hilfe und Repression könnten alle profitieren.

     

    Prof. Dr. Michael Klein, Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen (KatHO NRW), Deutsches Institut für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP)

    Legalisierung ist ein Schritt auf dem Weg zur Individualisierung und verbesserten gesellschaftlichen Steuerung

    Prof. Dr. Michael KleinOb ein Rausch, selbst gewählt und im Idealfall selbstkontrolliert, generell ein Thema des Strafrechts sein sollte, durfte schon immer bezweifelt werden. Auch ist schon lange bekannt, dass die enormen Gewinnspannen auf dem illegalisierten Markt Menschen mit kriminellem Charakter anziehen, genauso wie der illegalisierte Markt Kriminalität und kriminelle Karrieren erzeugt. Insofern kann die heute immer noch dominante Drogengesetzgebung, die ihre Wurzeln ganz wesentlich in den imperialen Staaten des späten 19. Jahrhunderts hatte, für viele Fragen der Gegenwart und noch mehr der Zukunft als unpassend, inhuman und in keiner Weise lösungsorientiert angesehen werden. Dies gilt insbesondere für notwendige Lösungen in einer globalisierten Welt, in der Wertesysteme und Ideologien miteinander konkurrieren. Das Wertesystem freier Gesellschaften sollte Antworten jenseits des Strafrechts anbieten, welche die Freiheit des Individuums fördern und die Kontrollzwänge eines autoritären Staates eindämmen. Nicht umsonst zeigen gerade besonders rigide und totalitäre Ideologien besonders wenig Interesse an der Förderung der Freiheit des Individuums. Dies trifft die cannabiskonsumierenden Menschen in besonderer Weise, weil sie die Werte dieser Gesellschaftssysteme in der Regel nicht stützen und sich ihnen meist zu entziehen versuchen.

    Wenn andererseits jedoch die Entstehung einer Sucht oder anderer relevanter Risiken im Vordergrund stehen, so sollten Prävention, Hilfen und Therapie die Mittel der Wahl sein. Von den regelmäßigen Cannabiskonsumenten scheint jedoch nur eine Minderheit tatsächlich suchtgefährdet zu sein. Insofern kann die hundertjährige Geschichte der ‚modernen‘ Drogengesetzgebung aus heutiger Sicht überwiegend als Irrweg mit totalitären, inhumanen und chauvinistischen Zügen charakterisiert werden. Cannabis wird dabei systematisch erst seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts bekämpft. Filme wie „Reefer-Madness“ (Kiffer-Wahnsinn), ursprünglich in den USA verbreitet, sind aus heutiger Sicht als Produkte der gezielten Desinformation zu bewerten.

    Dies heißt nicht, dass Drogen insgesamt und Cannabis im Speziellen harm- und risikolos sind. Diese Risiken für Entwicklung, Verhalten und Umwelt gilt es genau zu benennen, wie die Vorteile und den Nutzen. So wächst seit Jahren das Wissen über den medizinischen Nutzen der Pflanze. Die Risiken andererseits gilt es zu minimieren, soweit es geht, und zwar mit Mitteln der Pädagogik, der Psychologie und der Medizin, und nicht mit Strafrecht.

    In thesenartiger Form gilt es aus psychosozialer Sicht folgende Punkte zu beachten:

    1. Cannabislegalisierung führt nicht zur Lösung aller Drogenprobleme, sondern ist als eine gezielte, vor allem kriminal- und sozialpolitische Maßnahme einzuschätzen.
    2. Die Legalisierung von Cannabis, wie auch immer sie im Detail gestaltet wird, entlastet die Gesellschaft im polizeilich-juristischen Bereich und stellt neue Anforderungen in den Bereichen Jugendschutz, Prävention, Behandlung psychischer Störungen.
    3. Die Verfügbarkeit psychotroper Substanzen ist, je nach Gefährlichkeit und Risiken, differentiell zu gestalten. Cannabis, ebenso wie destillierte Alkoholika, sollten nicht im Supermarkt erhältlich sein. Die Abgabe des Cannabis kann z. B. in Apotheken oder speziellen ‚Drug Stores‘ geschehen.
    4. Wenn die bisherige Drogengesetzgebung, die übermäßig auf Verbot, Repression und Bestrafung gesetzt hat, als gescheitert erachtet wird, dann werden entsprechende Anfragen auch hinsichtlich anderer, gefährlicherer Drogen (z. B. Opiate, Amphetamine) gestellt werden. Darauf sollten Suchtforschung, Suchthilfepraxis und vor allem Suchtpolitik vorbereitet und mit Antworten versehen sein.
    5. Menschen mit psychischen Problemen (z. B. soziale Ängstlichkeit, ADHS, Schizophrenie) weisen eine höhere Wahrscheinlich auf, Cannabis zu konsumieren. Dies ist jedoch keine Legitimation für die Fortsetzung der Repression, sondern eine Aufforderung für optimierte medizinische und psychosoziale Hilfen, insbesondere im Bereich der Frühintervention und selektiven Prävention.
    6. Cannabiskonsum führt in der großen Mehrzahl der Fälle nicht zu Cannabisabhängigkeit, ist also weder zu bestrafen noch zu behandeln. Es handelt sich also entweder um eine Frage der individuellen Lebensführung oder um Probleme und Anforderungen der Gesundheitshilfen.

    Es muss im Rahmen einer wirklich modernen Drogenpolitik vor allem darum gehen, den Konsum psychoaktiver Substanzen, der niemals völlig zu unterbinden sein wird, unter Aspekten des Nutzens und Schadens zu sehen. Jeder Mensch muss im Laufe seines Lebens Entscheidungen in Bezug auf Substanzkonsum treffen und bildet dann entsprechende Gewohnheiten, des Konsums wie des Nicht-Konsums. Die biographisch relevanten Entscheidungen sollten auf der Basis fundierten Wissens und reflektierter Informationen geschehen. Dort, wo Menschen Hilfen für psychische Störungen oder ihre Frühformen benötigen, sollten sie diese frühzeitig erhalten, damit psychotrope Substanzen nicht zum Zwecke der Selbstmedikation benutzt und missbraucht werden. Dafür müssen die Risiken und der Nutzen von Subtanzkonsum kommuniziert werden – authentisch, evidenzbasiert und verständlich. Das Strafrecht soll sich auf die Gefahrenlagen im Bereich der Jugend (keine Abgabe an Kinder und Jugendliche), des Verkehrs, der Arbeitswelt und der Familie konzentrieren.

    Dabei ist die Veränderung des gesellschaftlichen oder – im engeren Sinne – strafrechtlichen Umgangs mit einer Substanz (die so genannte ‚Freigabe‘) nicht gleichzusetzen mit der Botschaft, dass deren Konsum harm- oder risikolos ist. Und es ist gerade die überwiegend undifferenzierte Drogenpolitik, die unser Land über Jahrzehnte vor allem aus den USA importierte und die in Deutschland bis weit in die 90er Jahre herrschte, die dem Uniformitätsmythos („Alle Drogen sind schlecht, deshalb keine Macht den Drogen“) in der Einschätzung der verschiedenen Substanzen und ihrer Risiken Vorschub leistete.

    So dürften die Verelendung der Konsumenten und der Krieg gegen sie auf staatlicher Ebene zu den wichtigsten kontraproduktiven Folgen einer falschen, weil einseitig auf Verbot und Kontrolle ausgerichteten Drogenpolitik gehören. Diese Effekte werden im Bereich des Cannabiskonsums besonders deutlich. Diese Politik hat sich inzwischen als Irrweg erwiesen und sollte in Bezug auf Cannabis schleunigst beendet werden. Für alle anderen Substanzen bedarf es in der Zukunft einer rationalen, evidenzbasierten Drogenpolitik. Jeder Mensch soll selbst erlernen und bestimmen dürfen, wie er mit Cannabis umgehen möchte, innerhalb seines Verantwortungsbereichs und ohne Schädigung Dritter. Drogenkonsum ist ein hochgradig psychisches Phänomen, intrapsychisch durch seine Auswirkungen auf Bewusstsein, Emotionen, Affekt und interaktional durch die Auswirkungen im sozialen Geschehen. Es ist auch am besten mit psychologischen Mitteln zu beeinflussen, egal ob es sich um Prävention, Steuerung oder Therapie handelt.

     

    Andreas Kleiner, Leiter Haus Weitenau, Fachklinik für suchtkranke Jugendliche und junge Erwachsene

    „Es darf keine Freiheit geben zur Zerstörung der Freiheit.“ Karl Jaspers

    Andreas KleinerIn der Entwicklung meines Kommentars zur Diskussion um die Legalisierung von Cannabis kristallisierte sich für mich heraus, den Schwerpunkt auf die Frage zu legen, ob in unserer individualisierten Epoche gesetzgeberische Interventionen zum Schutz und zur Orientierung im Umgang mit Rauschmitteln, Drogen und Medikamenten weiter hilfreich und notwendig sind. Als Leiter einer stationären Suchttherapieeinrichtung für Jugendliche und junge Erwachsene sind das professionelle Mitarbeiterteam und ich stets mit der Notwendigkeit konfrontiert, einen Schutz- und Schonrahmen für Wegbegleitung, Weggestaltung und Therapie zu entwickeln und zu bewahren. Mitentscheidender Faktor in einer Suchttherapie ist die soziale therapeutische Gemeinschaft mit dem gemeinsamen Ziel eines abstinenten Schutzrahmens, der die Zugriffsnähe künstlich zur sicheren Entwicklung von Resilienz, Identität und ‚EigenSinn‘ einschränkt.

    Entsprechend dieser Erfahrungen wurde deutlich, dass die Drogeneinnahme auch ein Ausdruck, Notruf und Bewältigungsversuch der Überforderung mit Aufgaben/Entwicklungsaufgaben ist. Es gibt also folglich Menschen, die unserer Fürsorge und unseres Schutzes bedürfen, damit sie Bedingungen zur Verfügung gestellt bekommen, in denen sie sich gesund entfalten können. Folgende häufig genannte Argumente von Befürwortern der Legalisierung leiteten meine Gedanken und Ausführungen.

    • Als Hauptargument wird in der Diskussion um die Legalisierung und oder Entkriminalisierung von Cannabis die gesamte Verbots- und Drogenpolitik als gescheitert angeführt, da der Konsum und die Akzeptanz von Cannabis in Deutschland deutlich gestiegen sind.
    • Zum Zweiten wird die notwendige Erweiterung der medizinischen Versorgung mit Cannabis genannt.
    • Zum Dritten wird mit der individualistischen Selbstbestimmung argumentiert.
    • Zum Vierten wird der verbesserte Jugendschutz über kontrollierte Abgabe an ausschließlich Volljährige vermutet.

    Auf das Hauptargument möchte ich mit einem Vergleich reagieren. Das griffigste Beispiel hierfür sind meines Erachtens die Straßenverkehrsregeln. Niemand käme wohl auf die Idee, Straßenverkehrsregeln aufzulösen, um dann über in Aussicht gestellte Präventionsarbeit mehr Straßensicherheit herzustellen. Ebenso kann ich mir nicht vorstellen, dass bei Verkehrsregeln, vergleichbar mit der Interpretation der ‚gescheiterten‘ Drogenverbotsregeln, die ‚Verbotspolitik‘ im Straßenverkehr als gescheitert bewertet würde, weil die Übertretungen steigen. Es herrscht wohl vielmehr die Befürchtung vor, dass ohne ‚Verbotsregeln‘ die Situation viel problematischer wäre. Auch wird in der Legalisierungsdiskussion die Steigerung der Übertretungen mit mangelnder Akzeptanz begründet und akzeptiert, um dann im nächsten Atemzug das Verbot als kulturell gesellschaftlich überholt zu bezeichnen. Ähnliches ist für das Beispiel Verkehrspolitik nur schwer vorstellbar.

    Das Argument für Legalisierung von Cannabis zur medizinischen Nutzung erscheint mir besonders irritierend. Legalisierung, damit Cannabis frei als ‚Medikament‘ ohne Kenntnis von Inhaltsstoffen, Stärkegrad und Dosierungsanleitung über Eigen- und Selbstanbau genutzt werden kann? Die Abgabe als Medikament, vom Arzt verschrieben, mit vorgegebener Dosierungsanleitung und kontrollierter Herstellung sollte dagegen ernsthaft kein Problem sein.

    Meiner Meinung nach sollte über schützende Gesetze die Legalisierung von Cannabis verhindert bleiben. Ich sehe deutlich die Notwendigkeit, Verantwortung über leitende Gesetze zu übernehmen. Oberste Priorität und Richtschnur sollten das Kindes- und Jugendwohl sowie das Wohlergehen und der Schutz von benachteiligten Gruppen sein und weniger individualistische Argumente. Ich glaube, dass wir Menschen zwar selbst in der Hand haben sollten, unser Leben zu gestalten und ihm Bedeutung zu verleihen, dass wir aber als Gesellschaft Orientierung, Hilfen und Schutz bieten sollten, wenn Menschen in eine Lebens- oder Sinnkrise geraten und sie nicht mehr wissen, wonach sie sich richten sollen. Über eine kontrollierte Abgabe würde der Eindruck entstehen, dass Cannabis ungefährlich sei und der Konsum unter 18 ein Kavaliersdelikt. Gleichzeitig würde eine Zugriffsnähe geschaffen, die deutlich erhöhte Gefahren beinhaltet. Es würden unter anderem Menschen angezogen werden, die sich gerade in einer ‚Entwicklungskrise‘ wie zum Beispiel der Pubertät oder der Adoleszenz befinden. Recht bald würde ähnlich der Diskussion um den Jugendschutz im Internet dahingehend argumentiert, dass es Warnhinweise gäbe und mehr Kontrolle nicht leistbar und zu einschränkend sei. Illegale Dealer würden sich sicher weiter der minderjährigen Klientel widmen.

    In meiner 15-jährigen stationären Arbeit mit suchtkranken Jugendlichen wurde deutlich, dass Cannabiskonsum sehr häufig in der Identitätssuche als Hilfsmittel zur Anerkennung in Gruppen, als sinnstiftend, als Beziehungsersatz, zur Beruhigung und zur Verbesserung der sozialen Lockerheit genutzt wird. Die Gefährlichkeit des Kontrollverlusts und des Cravings wird trotz vielfältiger Präventionsmaßnahmen häufig ignoriert. Die tragischen Auswirkungen auf das Leben, die Gesundheit, die Leistungsfähigkeit und die Entwicklung von missbräuchlichem und süchtigem Verhalten im Zusammenhang mit weiteren Drogen werden leider extrem unterschätzt. Wem es nicht gelingt, ein tragendes stabiles Beziehungsgeflecht aufzubauen, ist in höchstem Maße gefährdet. In der Einsamkeit und den Überforderungen liegen die Hauptursachen der Sucht, und nicht in der Verbotspolitik. Es gibt einen erheblichen Anteil von Menschen, die gemeinschaftlich beschlossene Regeln zum Schutz und zur Orientierung benötigen.

    Bei diesem Thema sollten die Freiheit und das Recht Einzelner schweren Herzens zum Schutz und Nutzen aller in den Hintergrund treten. Sie gehören aber zwingend berücksichtigt. Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, in der Diskussion einen ausgewogeneren Umgang zu entwickeln, um so aus den Polarisierungen heraus zu finden. Lassen sie uns darüber diskutieren, wie Toleranz und Hilfe im Verbot aussehen können. Um noch einmal das Bild aus dem Straßenverkehr zu bemühen: Ich traue mir sehr wohl zu, in fast allen Situationen als Fußgänger eine Straße zu überqueren, ohne eine Ampel zu nutzen. Ich versuche aber trotzdem, vorbildhaft und respektvoll bei Rot stehen zu bleiben, in dem Bewusstsein, dass es Gruppen gibt, die die Ampel benötigen. Nachts um 2 Uhr nehme ich mir jedoch hin und wieder heraus, diese Regelung zu brechen. Ich gehe davon aus, dass ich das leisten kann und wir es verkraften.

     

    Dr. Elke H. Sylvester, Ärztliche Leiterin der Fachklinik Nettetal
    Conrad Tönsing, Geschäftsbereichsleiter Suchtprävention und Rehabilitation, Caritasverband für die Diözese Osnabrück e. V.

    Länderspezifische Unterschiede vermeiden

    Dr.Elke Sylvester_Conrad TönsingCannabis ist seit Jahrzehnten die mit Abstand am weitesten verbreitete illegale Droge in Deutschland. Die Ergebnisse des epidemiologischen Suchtsurveys 2012 zeigen, dass fast jeder Vierte im Alter zwischen 18 und 64 Jahren bereits Erfahrungen mit dem Gebrauch von Cannabis hatte. In den letzten zwölf Monaten konsumierten 4,5 Prozent Cannabis. Von den 12- bis 25-jährigen Jugendlichen konsumierten im Jahr 2012 nach Repräsentativerhebungen der BZgA 5,6 Prozent Cannabis in den letzten zwölf Monaten. Die Zahl der akuten Sucht- und Drogenbehandlungen in Krankenhäusern wegen „psychischer Verhaltensstörungen durch Cannabinoide“ lag 2013 bei 11.708 Personen. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass die Akzeptanz von Cannabis in Deutschland steigt, ist die Frage nach einer Legalisierung von Cannabis nicht ganz so einfach zu beantworten.

    Es ist belegt, dass sich Cannabiskonsum negativ auf die psychosoziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen auswirkt, häufig geht mit dem Konsum einher, dass die schulischen Anforderungen vernachlässigt werden, Interessen und Verantwortungsbereitschaft sinken und Antriebsarmut einsetzt. Die Risiken psychischer und somatischer Schädigungen steigen, v. a. in Form von Lungenschädigungen, kognitiven Defiziten, multiplen Gedächtnisstörungen und akuten und lebenslangen Psychosen. Darüber hinaus kann sich eine manifeste Abhängigkeitserkrankung entwickeln. Verleugnet werden können auch nicht die Risiken, die mit einer Teilnahme am Straßenverkehr und der Ausübung beruflicher Tätigkeiten verbunden sind.

    Die aktuelle Gesetzeslage führt in Deutschland dazu, dass trotz der Tatsache, dass der Konsum selbst nicht strafbar ist, jeder andere nicht medizinische Umgang mit der Substanz – ob Anbau, Kauf oder Weitergabe – dazu führt, dass schon Jugendliche und auch Erwachsene kriminalisiert werden, was ebenso wie der Konsum selbst zu Stigmatisierungen, strafrechtlicher Verfolgung und gesellschaftlichen Teilhabeproblemen führt.

    Aufgrund dieser hier nur ansatzweise genannten Aspekte plädieren wir für eine Entkriminalisierung von Cannabis-Konsumenten und für die bundesweite Festlegung von Mengen zum Eigengebrauch, um länderspezifische Unterschiede zu vermeiden. Gleichzeitig sollte der Schutz vor den Gefährdungen des Konsums insbesondere bei Kindern, Jugendlichen und weiteren Risikogruppen besondere Beachtung finden. Dazu sind qualifizierte Präventionsmanuale wie SKOLL, FRED und MOVE flächendeckend und auskömmlich finanziert in allen Schulen ab der 7. Klasse einzuführen, aber auch in Betrieben, um die Auseinandersetzung mit der Thematik zu fördern und ein Bewusstsein zu schaffen, so wie es im Bereich des Tabakkonsums in den letzten Jahren gelingen konnte.

  • Fehlzeiten-Report 2015

    Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag 2015, 628 S., ISBN 978-3-662-47263-7, EUR 54,99, auch als E-Book erhältlich

    9783662472637Auszubildende weisen zum Teil erhebliche Defizite bei Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten auf. Dies zeigt die erste repräsentative Befragung zur Gesundheit von Auszubildenden im Fehlzeiten-Report 2015 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Ein Drittel der Auszubildenden berichtet über häufig auftretende körperliche und psychische Beschwerden. Gesundheitsgefährdendes Verhalten wie wenig Bewegung, schlechte Ernährung, wenig Schlaf, Suchtmittelkonsum oder übermäßige Nutzung der digitalen Medien ist bei jedem fünften Auszubildenden zu beobachten. Bei beinahe jedem zehnten Befragten treten gesundheitliche Beschwerden und gesundheitsgefährdendes Verhalten gleichzeitig auf.

    Der Fehlzeiten-Report, der jährlich als Buch erscheint, informiert umfassend über die Krankenstandsentwicklung in der deutschen Wirtschaft und beleuchtet dabei detailliert einzelne Branchen. Schwerpunktthema des Fehlzeiten-Reports 2015 sind die Besonderheiten von Zielgruppen, die für das Betriebliche Gesundheitsmanagement mental, räumlich, zeitlich oder sprachlich schwer erreichbar sind, und die Konsequenzen, die sich aus deren spezifischen Eigenheiten für gesundheitsförderliche Projekte ergeben.

    Neben Fachbeiträgen zum Schwerpunktthema bietet der Fehlzeiten-Report umfassende Daten:

    • Aktuelle Statistiken zum Krankenstand der Arbeitnehmer in allen Branchen
    • Die wichtigsten für Arbeitsunfähigkeit verantwortlichen Krankheitsarten
    • Anzahl und Ausmaß der Arbeitsunfälle
    • Vergleichende Analysen nach Bundesländern, Betriebsgrößen und Berufsgruppen
    • Verteilung der Fehlzeiten nach Monaten und Wochentagen
    • Anschauliche Darstellung der Daten durch zahlreiche Abbildungen und Tabellen
  • Neuroenhancement

    Stuttgart: Kohlhammer Verlag 2015, 152 S., ISBN 978-3-17-026100-6, EUR 27,99, auch als E-Book erhältlich

    Cover Neuroenhancement_Moesgen_KleinNeuroenhancement bezeichnet den Versuch gesunder Menschen, die Leistungsfähigkeit des Gehirns oder das psychische Wohlbefinden durch die Einnahme von verschreibungspflichtigen Medikamenten oder illegalen Stimulanzien zu verbessern. Dieses Buch möchte dieses relativ neue Phänomen genauer beleuchten. Dabei wird der Begriff des Neuroenhancement und sein Vorkommen genau erklärt. Erste Erklärungsansätze zeigen ein komplexes Bedingungsgefüge mit verschiedenen Faktoren wie Individuum, berufliches sowie soziales Umfeld. Neuroenhancement kann negative Konsequenzen auf unterschiedlichen Ebenen besitzen, Alternativen sind also wesentlich.

  • Generation Y wird häufig falsch eingeschätzt

    kienbaum_institut_ism_studie_absolventen_08_2015[1]_Seite_01Traumtänzer, die keine Lust auf eine große Karriere haben und am liebsten eine Auszeit nach der anderen nehmen – über die Generation Y wurde schon viel geschrieben und diskutiert. Doch eine Studie des Kienbaum Institut@ISM für Leadership und Transformation beweist, dass Klischees über die Generation Y an der Realität vorbeigehen. Im Rahmen der Studie wurden rund 600 Hochschulabsolventen zu ihren Zielen, Wertvorstellungen und Erwartungen für das Arbeitsleben befragt. Die Ergebnisse zeigen: Die Generation Y präsentiert sich heterogen und setzt sich aus vier verschiedenen Typen zusammen: den Erlebnisorientierten, den Ambitionierten, den Orientierungssuchenden und den klassisch Karriereorientierten.

    Karriereorientierte und Ambitionierte gehören danach zu den Berufseinsteigern, bei denen Arbeitgeber mit klassischen Karriereangeboten punkten können: Für sie hat Karriere und beruflicher Erfolg nach wie vor einen hohen Stellenwert, der Leistungswille ist sehr ausgeprägt. Beide Typen eigenen sich auch für führende Rollen. Sie machen rund 58 Prozent der aktuellen Absolventen aus. Erlebnisorientierte (29 Prozent) und Orientierungssuchende (13 Prozent) gehören dagegen zu den Berufseinsteigern, für die die Erwerbstätigkeit derzeit keinen großen Stellenwert in der Lebensplanung einräumt und die keine Führungsposition anstreben. Die Studie zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Typen auf und gibt Empfehlungen, was Unternehmen zur bestmöglichen Ansprache und Förderung der vier Typen tun können.

    • Die Gruppe der Karriereorientierten weist eine hohe Übereinstimmung zum klassischen Bild des ehrgeizigen Berufseinsteigers auf: Das wichtigste Ziel im Leben sind Karriere und Erfolg. Familie, Freunde und Gesundheit haben für den Karriereorientierten zwar auch eine hohe Bedeutung, dennoch hat für ihn die berufliche Weiterentwicklung höchste Priorität. Sein Traum: Eine gut bezahlte Stelle als Führungskraft. Auf dem Weg nach oben motivieren ihn regelmäßiges Lob und Anerkennung von seinem Vorgesetzten. In dieser Gruppe gibt es deutlich mehr Männer als Frauen. Insgesamt zählt jeder fünfte Befragte dazu.
    • Die Ambitionierten möchten alles und das möglichst gleichzeitig: Erfolg und Karriere spielen eine große Rolle, aber Familie und Freunde sollen nicht vernachlässigt werden. Um beides möglichst gut miteinander zu vereinbaren, sind sie bereit, hart zu arbeiten. Die Anforderungen an den zukünftigen Arbeitgeber sind eine Aussicht auf ausreichend Karrieremöglichkeiten und vielfältige Aufgabenanforderungen, aber auch eine kollegiale Arbeitsatmosphäre und eine gute Work-Life-Balance. Um seine Leistung einschätzen zu können und um sich zu verbessern, ist ihnen ein regelmäßiges Feedback wichtig. Die Ambitionierten stellen mit 38 Prozent die größte Gruppe innerhalb der Absolventen dar, Männer und Frauen sind gleichermaßen vertreten.
    • Für Erlebnisorientierte stehen Familie und Freunde an erster Stelle der Werteskala. Sie sind immer wieder auf der Suche nach Abwechslung, die sie am liebsten mit ihrem privaten Umfeld erleben. Dabei ist das Bedürfnis nach Harmonie stark ausgeprägt. Von ihrem zukünftigen Arbeitgeber erwarten Erlebnisorientierte die Möglichkeit zur Weiterbildung sowie eine abwechslungsreiche Tätigkeit in kollegialer Arbeitsatmosphäre mit flachen Hierarchien. Das Streben nach einer großen Karriere ist bei dem Erlebnisorientierten gering ausgeprägt. Wichtiger ist ihm eine gute Work-Life-Balance. Jeder Dritte Absolvent (29 Prozent) zählt zu diesem Typus, darunter mehr Frauen als Männer.
    • Orientierungssuchende, immerhin 13 Prozent in der Umfrage, stellen Arbeitgeber vor die größte Herausforderung: Die eigene Gesundheit sowie Familie und Freunde sind für diese Gruppe am Wichtigsten. Dabei sind sie noch unschlüssig über Werte und Ziele im Leben. Viele Dinge sind gleichzeitig wichtig, aber es fällt ihnen schwer, zu priorisieren und ein Ziel zu fokussieren. Von ihrem Wunscharbeitgeber erhoffen sich Orientierungssuchende klare Zielvorgaben und Weiterbildungsmöglichkeiten, um die eigenen Ziele herauszufinden. Zudem ist es dieser Gruppe wichtig, sich mit der Arbeit zu identifizieren ohne Verantwortung übernehmen zu müssen. Zu dem Typ des Orientierungssuchenden zählen Männer und Frauen gleichermaßen.

    „Die Ergebnisse zeigen, dass Arbeitgeber differenzierte Aussagen über ihre Leistungen und Inhalte parat haben sollten“, so Prof. Dr. Julia Frohne, die Leiterin der Studie und Akademische Direktorin des Kienbaum Institut@ISM. „Sinnvoll ist, wenn Unternehmen sich Gedanken machen, welche Absolventen zu ihnen passen und welche Bestandteile ihres Angebotes sie ihnen gegenüber hervorheben wollen. Das sind je nach Typus unterschiedliche Themen, beispielsweise Karrieremöglichkeiten, Arbeitsklima, Eigenverantwortung oder Abwechslung.“

    So kann zum Beispiel gerade der Orientierungssuchende ein interessanter Kandidat für Arbeitgeber mit umfangreichen Traineeprogrammen sein, die es ermöglichen, zunächst viele verschiedene Unternehmensbereiche kennenzulernen. Karriereorientierte sind interessant für internationale Konzerne sowie Berufe mit Schichtarbeit oder hoher Reisetätigkeit, da diese bereit sind, für die Karriere auch Abstriche im Privatleben zu machen. Erlebnisorientierte dürften sich in dynamischen Märkten und bei Start-ups wohlfühlen. Tröstlich für Arbeitgeber ist aber auch, dass die größte Gruppe, immerhin jeder vierte Absolvent, nach wie vor eine hohe Motivation mitbringt, Karriere und Familie miteinander zu vereinbaren und sich damit für nahezu alle Branchen und Geschäftsbereiche eignet.

    Die Studie „Absolventen 2015 unter die Lupe genommen: Ziele, Wertvorstellungen und Karriereorientierung der Generation Y“ wurde im November 2014 durchgeführt. Dafür wurden 601 Studierende unterschiedlicher Studiengänge befragt. Die Studie steht hier zum Download zur Verfügung.

    Pressestelle der International School of Management, 07.09.2015

  • Bundeswettbewerb „Vorbildliche Strategien zur kommunalen Suchtprävention“

    wettbewerb-suchtpraeventionDie Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und die Drogenbeauftragte der Bundesregierung gaben am 22. September den Startschuss für die siebte Runde des Bundeswettbewerbs „Vorbildliche Strategien zur kommunalen Suchtprävention“. Bei dem vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) betreuten Wettbewerb stehen dieses Mal innovative Maßnahmen und Projekte im Vordergrund. Für die Gewinner gibt es ein Preisgeld in Höhe von insgesamt 60.000 Euro. Zusätzlich lobt der GKV-Spitzenverband einen Sonderpreis von 10.000 Euro zum Thema „Mitwirkung von Krankenkassen bei innovativen kommunalen Aktivitäten zur Suchtprävention“ aus. Einsendeschluss für die Beiträge ist der 15. Januar 2016. Die Preisverleihung findet im Juni 2016 in Berlin statt. Mit dem Bundeswettbewerb sollen innovative Maßnahmen und Projekte zur kommunalen Suchtprävention gerade auch angesichts neuer Substanzen (u. a. Crystal Meth) und Konsumformen bundesweit bekannt gemacht werden. Es geht darum, die Städte, Gemeinden und Landkreise auszuzeichnen, die Modelle entwickelt haben, die in ihren Erfolgen übertragbar sind. Diese neuen Ideen zu suchtpräventiven Aktivitäten sollen als gute Beispiele für andere Kommunen dienen.

    Die mögliche Bandbreite für innovative suchtpräventive Maßnahmen und Projekte vor Ort ist groß. Für den Wettbewerb sind Maßnahmen und Projekte geeignet, die geschlechts- und kultursensibel ausgerichtet sind, die neue Zugangswege zu Zielgruppen nutzen oder Maßnahmen, die bislang wenig im Fokus von Prävention stehende Suchtstoffe wie Crystal Meth und neue psychoaktive Substanzen („Legal Highs“) in den Blick nehmen. Innovativ können auch suchtpräventive Aktivitäten sein, die bislang wenig angesprochene Zielgruppen einbeziehen oder mit neuen Partnern zusammenarbeiten. Die Wettbewerbsbeiträge können unterschiedliche Zielgruppen (z. B. Jugendliche, junge Erwachsene, ältere Menschen, sozial benachteiligte Personen) und unterschiedliche Lebenswelten und Einrichtungen (z. B. Kitas, Schulen, Betriebe, Senioreneinrichtungen, den Stadtteil) in den Blick nehmen.

    Eingeladen zur Teilnahme sind alle deutschen Städte, Gemeinden und Kreise. Teilnahmeberechtigt sind außerdem Kommunalverbände sowie die Träger der kommunalen Selbstverwaltung in den Stadtstaaten. Präventionsaktivitäten Dritter (z. B. Krankenkassen, Träger des ÖPNV, Veranstalter, Schulen) können nur als Bestandteil der Bewerbung einer Kommune berücksichtigt werden. Das mit der Betreuung des Wettbewerbs beauftragte Deutsche Institut für Urbanistik hat für die Laufzeit des Wettbewerbs ein Wettbewerbsbüro eingerichtet. Alle Kontaktdaten, Informationen zum Wettbewerb sowie die Bewerbungsunterlagen stehen auch im Internet zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie hier.

    Pressestelle des Deutschen Instituts für Urbanistik, 22.09.2015

  • Anstieg des Cannabiskonsums bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen

    Neue Studienergebnisse der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Cannabiskonsum junger Menschen in Deutschland dokumentieren einen Anstieg des Cannabiskonsums. So gaben 17,7 Prozent der jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren an, in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal Cannabis konsumiert zu haben. Im Jahr 2008 waren es noch 11,6 Prozent. Der Anteil derer, die regelmäßig konsumieren (mehr als zehnmal in den letzten zwölf Monaten), ist in dieser Altersgruppe von 3,1 Prozent im Jahr 2008 auf aktuell 4,6 Prozent angestiegen.

    Marlene Mortler: „Der Konsum von Cannabis kann gerade für Jugendliche und junge Erwachsene zu erheblichen gesundheitlichen Problemen führen. Besonders riskant ist ein regelmäßiger Konsum. Ich sehe insbesondere mit Sorge, dass in der Altersgruppe der 12- bis 25-Jährigen die Zahl derer, die regelmäßig Cannabis konsumieren, von 2,3 Prozent auf 3,5 Prozent angestiegen ist. Offenbar wirkt sich die Gesundheitsgefahren verharmlosende Argumentation der Befürworter einer Legalisierung von Cannabis bereits negativ aus. Statt einer verantwortungslos die Gefahren des Cannabiskonsums verklärenden Darstellung braucht es neben den bestehenden gesetzlichen Regelungen daher mehr denn je fachlich fundierte Aufklärung über die gesundheitlichen Risiken, die gerade für Kinder und Jugendliche mit dem Konsum des illegalen Rauschmittels einhergehen. Hier setzen wir an. Zu einem wirksamen Kinder- und Jugendschutz gehört richtige Aufklärung ebenso dazu wie gesetzliche Regelungen.“

    Besonders deutlich ist der Anstieg des Cannabiskonsums in der Gruppe der 18- bis 25-jährigen Männer. Während 2008 noch jeder siebte junge Mann (14,8 Prozent) angab, in den letzten zwölf Monaten mindestens einmal Cannabis konsumiert zu haben, ist es aktuell jeder vierte (23,9 Prozent). Auch bei den 18- bis 25-jährigen Frauen ist ein Anstieg von 8,3 Prozent (2008) auf 11,2 Prozent (2014) zu verzeichnen. Ebenso geben mehr 12- bis 17-jährige Jugendliche an, in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert zu haben. Waren es 2011 noch 4,6 Prozent, sind es aktuell 7,7 Prozent (2014).

    Dr. Heidrun Thaiss, Leiterin der BZgA erläutert: „Die gegenwärtige Zunahme des Cannabiskonsums bei jungen Menschen ist aus gesundheitlicher Sicht eine bedenkliche Entwicklung. Den aktuellen Forschungsergebnissen zufolge leidet die Hirnleistungsfähigkeit mit zunehmender Dauer und Intensität des Konsums von Cannabis. Umfangreiche Präventionsangebote sind deshalb unverzichtbar, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und junge Menschen davon zu überzeugen, gar nicht erst mit dem Konsum von Cannabis anzufangen.“

    Die neue BZgA-Studie „Der Cannabiskonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland 2014“ belegt auch eine gestiegene Verbreitung des regelmäßigen Cannabiskonsums. So hat sich der Anteil der 18- bis 25-jährigen Männer, die in den letzten zwölf Monaten mehr als zehnmal Cannabis konsumiert haben, von 4,7 Prozent im Jahr 2011 auf aktuell 7,1 Prozent erhöht.

    Um junge drogenaffine Menschen zu erreichen, informiert die BZgA auf www.drugcom.de rund um das Thema Cannabis und zu weiteren illegalen Drogen. Besucher können sich mit persönlichen Fragen rund um Cannabis in einem Chat an ein Beratungsteam wenden. Das Angebot umfasst einen „Cannabis Check“. In diesem Selbsttest können Nutzer ihren Cannabiskonsum mit der Beantwortung von 24 Fragen einschätzen lassen und eine auf ihr Konsummuster und ihr Risikoprofil zugeschnittene Ausstiegsempfehlung erhalten. Diejenigen, die ihren Cannabiskonsum beenden oder reduzieren wollen, können am Online-Ausstiegsprogramm „Quit the Shit“ teilnehmen – ein auf individuelle Bedürfnisse ausgerichtetes anonymes Beratungsangebot.

    Für die Studie „Der Cannabiskonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland 2014“ wurden im Zeitraum Mai bis August 2014 insgesamt 7.000 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 12-25 Jahren befragt.

    Ein Infoblatt mit den zentralen Studienergebnissen des Berichts finden Sie hier.
    Die komplette Studie finden Sie hier.

    Pressestelle der BZgA, 15.09.2015