Autor: Simone Schwarzer

  • Warum Jugendliche ungeduldiger sind als Erwachsene

    20 Euro jetzt oder 50 in einem Monat? Jugendliche geben bei dieser Frage gerne dem Impuls nach, sich direkt zu belohnen, statt sich zu gedulden. Warum es ihnen schwer fällt, unmittelbaren Verlockungen zu widerstehen, und was sich dabei im Gehirn abspielt, das untersuchten Wissenschaftler der Stanford University, des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der University of California, Davis. Die Studie dazu wurde in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA“ (PNAS) veröffentlicht.

    Stellt man Jugendliche vor die Entscheidung, jetzt eine kleine Belohnung zu bekommen oder später eine größere, wählen sie meist die direkte, wenn auch kleinere Belohnung. Denn sie können Vorteile, die in der Zukunft liegen, nur schwer bei Entscheidungen berücksichtigen. Sie handeln deshalb eher ungeduldig und tendieren dazu, sich für direkte Belohnungen zu entscheiden, als Zukunftsziele zu verfolgen.

    In ihrer aktuellen Studie fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Ungeduld von Jugendlichen sowohl mit einer Veränderung von Gehirnstrukturen als auch deren Funktionen einhergeht. Für die Studie ließen die Forscher 50 Probanden im Alter zwischen acht und 25 Jahren eine Entscheidungsaufgabe lösen. Dabei mussten sie sich entscheiden, ob sie schnell einen kleineren Geldbetrag erhalten oder aber auf einen größeren Betrag länger warten wollten. Während der Entscheidungsaufgabe wurden die Aktivität der bei Entscheidungen aktiven Hirnregionen und ihre strukturellen Verbindungen untereinander im Magnetresonanztomographen (MRT) gemessen.

    Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass es den Jugendlichen schwer fiel, auf den größeren Betrag zu warten. Den Grund lieferten die Bilder aus dem MRT. Die beiden Bereiche, die bei Entscheidungen aktiv werden, sind bei Jugendlichen noch nicht so stark miteinander verbunden, wie es bei Erwachsenen der Fall ist. Dabei handelt es sich um den dorsolateralen präfrontalen Kortex – der unter anderem aktiv wird, wenn es um Zukunftsplanungen geht – und das Striatum, das Teil des Belohnungssystems ist. Aufgrund der schwächeren Verbindung zwischen den Bereichen ist der Einfluss des dorsolateralen präfrontalen Kortex auf das Belohnungssystem in der Jugend eher gering. Somit sind größere Belohnungen, die in der Zukunft liegen, für Jugendliche weniger attraktiv.

    „Es ist nicht so, dass Jugendliche keine Zukunftspläne haben, aber sie sind bei Entscheidungen einfach mehr im Hier und Jetzt. Die Jugend ist eine Trainingszeit für das Gehirn. Es fällt ihnen zwar schwerer, sich gegen Kurzzeitbelohnungen zu entscheiden, aber es ist machbar“, sagt Erstautor der Studie Wouter van den Bos, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsbereich „Adaptive Rationalität“ des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung.

    Mit zunehmendem Alter wird die Verbindung zwischen den Gehirnbereichen jedoch stärker, wodurch auch die Zukunftsziele bei unseren Entscheidungen wichtiger werden. Jugendliche lernen somit erst im Laufe der Zeit, ihre Geduld besser zu kontrollieren und vorausschauender in die Zukunft zu blicken. „Trotzdem sollte man Jugendlichen die Entscheidungen nicht komplett abnehmen, denn das Gehirn lernt von den Fehlern. Man kann die Jugendlichen aber immer wieder an ihre Zukunftsziele erinnern“, so van den Bos.

    In weiteren Studien wollen die Wissenschaftler herausfinden, inwieweit die soziale Umgebung auf die Entscheidungen von Jugendlichen Einfluss hat.

    Pressestelle des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, 23.06.2015

  • Teenager und E-Zigaretten – Chancen und Gefahren

    Dämmen E-Zigarette und Co. den konventionellen Tabakkonsum bei Jugendlichen ein oder verführen sie die Jugendlichen dazu? Das erforscht Suchtexperte Prof. Dr. Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences (FRA-UAS). Zurzeit leitet er das Forschungsprojekt „Der Konsum von elektronischen Dampferzeugnissen (eDe) unter Jugendlichen“, das auch praktische Vorschläge für einen verbraucherschutzorientierten Umgang mit elektronischen Dampferzeugnissen entwickelt.

    Rund zwei Millionen Deutsche greifen laut Studien zur E-Zigarette. Die Bundesregierung plant auf Initiative von Familienministerin Manuela Schwesig und Ernährungsminister Christian Schmidt, den Verkauf von (nikotinhaltigen sowie nicht nikotinhaltigen) E-Zigaretten und E-Shishas an Jugendliche unter 18 Jahren durch eine entsprechende Ergänzung des Jugendschutzgesetzes zu verbieten. Hintergrund ist, dass diese Produkte aus Sicht der Bundesregierung mit erheblichen Gesundheitsgefahren insbesondere für Jugendliche verbunden seien und ihr Gebrauch Jugendliche zu konventionellem Tabakkonsum verführe. Ob elektronische Dampferzeugnisse potenzieller Pfeiler einer effektiven Tabakpräventionsstrategie sind oder neue Gesundheits- und Suchtgefahren bergen, wird derzeit in Forschung, Medien und Politik kontrovers diskutiert. Um hier eine Aussage treffen zu können und entsprechende Präventionsstrategien zu erarbeiten, braucht es eine valide Datengrundlage. „Aufgrund der Neuartigkeit des Phänomens sind Aussagen darüber, wie viele Jugendliche wie häufig elektronische Dampferzeugnisse konsumieren, schwierig“, so Stöver. „Mit dem Forschungsvorhaben wollen wir dazu beitragen, Grundlagenwissen zu einem bislang kaum erforschten Feld zu generieren.“

    Der Wissenschaftler erforscht, ob elektronische Dampferzeugnisse eine signifikante Rolle als „Einstiegsdroge“ in den Tabakkonsum spielen oder bzw. in welchem Ausmaß sie von rauchenden Jugendlichen als Ausstiegshilfe verwendet werden. Gemeinsam mit Dr. Bernd Werse vom Centre for Drug Research der Goethe-Universität Frankfurt untersucht Stöver, aus welchen Gründen und in welchem Ausmaß E-Zigaretten, E-Shishas und E-Pfeifenköpfe von Jugendlichen konsumiert werden und in welchem Zusammenhang ihr Konsum mit konventionellen Tabakprodukten steht. Analysiert werden darüber hinaus Konsummuster und Versorgungswege.

    Erhoben werden die Daten mittels einer qualitativen Befragung von etwa 40 Jugendlichen sowie einer daran anschließenden quantitativen Online-Erhebung. Da sich die Forschung bereits darauf geeinigt hat, dass elektronische Dampferzeugnisse sowohl für aktiv als auch passiv Konsumierende im Vergleich zu konventionellen Tabakprodukten weitaus weniger schädlich sind, fordert Stöver: „Es ist notwendig, die Produktqualität im Sinne des Verbraucherschutzes zu regulieren und nicht nur mit Totalverboten zu operieren. Auch weil sie die Risiken des konventionellen Tabakkonsums mindestens abmildern könnten, muss man E-Zigaretten – auch für Jugendliche – im Blick behalten.“ Hier sieht der Forscher die Politik in der Pflicht: „Die Gesundheitsförderung sollte künftig dafür sorgen, Verbraucherinnen und Verbraucher von E-Zigaretten sowie Interessierte besser zu informieren und aufzuklären. Die E-Zigarette könnte so auch verstärkt für die Rauchprävention nutzbar gemacht werden.“

    Das Projekt reiht sich in Stövers breit gefächertes Forschungsportfolio zu den Themen Drogen und Sucht ein. Aktuell hat er den Master-Studiengang „Suchttherapie und Sozialmanagement in der Suchthilfe“ mitinitiiert, der zum Wintersemester 2015/16 startet.

    Weitere Informationen zum Projekt unter: http://www.frankfurt-university.de/isff

    Pressestelle der Frankfurt University of Applied Sciences, 27.07.2015

  • Stresshormon vermindert Verlangen nach Heroin

    Forscher der Universität Basel zeigen in einer Studie bei Heroinabhängigen, dass das Stresshormon Cortisol das craving reduzieren kann. Foto©Universität Basel
    Forscher der Universität Basel zeigen in einer Studie bei Heroinabhängigen, dass das Stresshormon Cortisol das craving reduzieren kann. Foto©Universität Basel

    Jede Sucht ist gekennzeichnet durch ein starkes Verlangen nach dem entsprechenden Suchtmittel wie Nikotin, Alkohol oder anderen Drogen (craving). Forscher der Universität Basel zeigen nun in einer Studie bei Heroinabhängigen, dass das Stresshormon Cortisol das Verlangen nach dem Suchtmittel reduzieren kann. Die Fachzeitschrift „Translational Psychiatry“ hat die Forschungsresultate veröffentlicht.

    Heroin ist eine Droge mit einem sehr hohen Abhängigkeitspotenzial. Es ruft bei Süchtigen ein ausgesprochen starkes craving hervor. Ein Forscherteam um PD Dr. Marc Walter und Prof. Dominique de Quervain von der Universität Basel hat nun die Wirkung des Stresshormons Cortisol auf das craving bei Heroinabhängigen untersucht.

    Die Basler Forscher hatten in früheren Studien entdeckt, dass Cortisol den Gedächtnisabruf verringert – das Gehirn konnte also nach der Einnahme des Hormons Erinnerungen schlechter abrufen. So lindert Cortisol beispielsweise die Symptome von Patienten mit Angsterkrankungen, indem es das Angstgedächtnis der Patienten hemmt. Die Wissenschaftler vermuteten, dass sich Cortisol auch auf das Suchtgedächtnis hemmend auswirkt und damit das Verlangen nach dem Suchtmittel reduzieren könnte.

    In der aktuellen Studie erhielten 29 Patienten, die sich in einer heroingestützten Behandlung befanden, vor der Heroinabgabe entweder eine Tablette mit Cortisol oder ein Scheinpräparat. Die Cortisoleinnahme führte bei den Süchtigen zu einer Abnahme des Suchtverlangens um durchschnittlich 25 Prozent im Vergleich zum Scheinpräparat. Neben anderen Tests mussten die Teilnehmer die Stärke ihres cravings auf einer so genannten Visuellen Analogskala (VAS) anzeigen, einer Skala zur Messung von subjektiven Empfindungen. Zu beobachten war die Abnahme des cravings bei den Patienten, die von einer relativ niedrigen Dosis Heroin abhängig waren, nicht aber bei schwer abhängigen Patienten.

    Ob sich die hemmende Wirkung von Cortisol auf das Verlangen nach Heroin auch auf das Suchtverhalten der Patienten im Alltag auswirkt, ist derzeit noch unklar. „Deshalb möchten wir untersuchen, ob Cortisol den Patienten hilft, die Heroindosis zu reduzieren oder länger von Heroin abstinent zu bleiben“, sagt Marc Walter, Chefarzt an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.

    Weitere Studien sind bereits geplant, denn „die hemmende Wirkung von Cortisol auf das craving könnte sich auch bei der Nikotin-, Alkohol- oder der Spielsucht positiv auswirken“, sagt Dominique de Quervain, Direktor der Forschungsplattform Molecular and Cognitive Neurosciences der Universität Basel.

    Pressestelle der Universität Basel, 28.07.2015

  • Psychoneuroimmunologie und Psychotherapie

    Stuttgart: Schattauer 2., überarb. Aufl. 2015, 472 S., ISBN 978-3-7945-3046-5, 89,99 EUR, auch als E-Book erhältlich

    3046_Schubert_4cNerven-, Hormon- und Immunsystem beeinflussen sich wechselseitig – hierfür liegen inzwischen zahlreiche Belege vor. Das Ganze ist jedoch viel komplizierter, denn auch Psyche und soziales Umfeld haben Einfluss auf das Immunsystem. Die Vielfalt all dieser Interaktionen formt so ein komplexes Netzwerk, das entscheidend auf die Immunaktivität einwirkt. Ist auf dieser Basis aber auch eine gezielte Beeinflussung der Immunaktivität durch psychologische und psychotherapeutische Interventionen möglich? Eine spannende Frage, die von der Psychoneuroimmunologie mit einem eindeutigen Ja beantwortet wird – und deren differenzierte Beantwortung in diesem Buch auch Erklärungsmodelle dafür liefert, wie Psychotherapie körperlich kranke Menschen wieder gesund machen kann.

    In der Neuauflage geht Schubert explizit darauf ein, dass es einen empirisch belegten Zusammenhang zwischen Missbrauchs-, Misshandlungs- und Vernachlässigungserfahrungen sowie schweren Entzündungserkrankungen im Erwachsenenalter wie auch einer insgesamt geringeren Lebenserwartung gibt. Er verdeutlicht, dass Psychodiagnostik und Psychotherapie in Zukunft spezifischer als bisher gegen körperliche Erkrankungen eingesetzt werden können, da die dysfunktionalen psychosomatischen Mechanismen von Entzündungserkrankungen zunehmend besser verstanden werden.

  • Achtsamkeit und Mitgefühl

    Stuttgart: Klett-Cotta 2014, 210 S., ISBN 978-3-608-89145-4, EUR 24,95, auch als E-Book erhältlich

    9783608891454Die bekannte Meditationslehrerin Sylvia Wetzel zeigt an vielen praktischen Übungen und erklärenden Texten, wie mit einer achtsamen und von Mitgefühl bestimmten Lebensweise ein besseres Leben gelingen kann. Philosophen der Antike, buddhistische Weise und Psychotherapeuten in der Gegenwart haben etwas gemeinsam: Sie wollen wissen, was ein gutes Leben ausmacht und wie dies realisiert werden kann. Für Sylvia Wetzel heißt der Schlüssel „Mut zur Muße“. Die Fähigkeit innezuhalten, die eigene Verfassung zu spüren, sich den Luxus zu erlauben, selbst zu denken – dies bildet die Grundlage für ein sinnerfülltes Leben. Zahlreiche im Buch enthaltene Übungen dienen dazu, Achtsamkeit und Mitgefühl erfahrbar zu machen. Kurzfristige und kurzsichtige Ziele, die heute viele Menschen in den Burnout treiben, treten durch die hier beschriebene Umorientierung von selbst in den Hintergrund.

  • EinBlick ins Gehirn

    Stuttgart: Thieme Verlag, 3., aktualisierte Auflage 2014, 168 S., ISBN: 978-3-13-133353-7, EUR 39,99, auch als E-Book erhältlich

    Braus_Ein Blick ins Gehirn_rahmenDas Buch stellt neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse und ihre Bedeutung für die psychiatrischen Erkrankungen und ihre Behandlung dar. Behandelt werden u. a. Hirnentwicklung und funktionelle Neuroanatomie, Neuroplastizität als Grundlage der Veränderung und aktuelle Grundlagenforschung.

  • Das Problem, der Spruch, die Lösung

    Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, 164 S., mit Kartenset, ISBN 978-3-525-40373-0, EUR 19,99, auch als E-Book erhältlich

    Kühling_Problem Spruch LösungDas Kombipaket aus Buch und Karten nimmt 86 Aphorismen als Grundlage der hier vorgestellten Sprücheberatung. Die Methode eignet sich sowohl für chronische Probleme der eigenen Biographie als auch für die kleinen Schwierigkeiten des Alltags. Sie funktioniert, wenn man sich alleine damit beschäftigt, und auch in einem klassischen Beratungssetting. Das Buch zeigt unterschiedliche Möglichkeiten auf, wie Sprüche für die Soziale Arbeit, Therapie und Weiterbildung genutzt werden können.

  • Wie funktioniert unser Willen?

    Welche kognitiven Prozesse und neuronalen Systeme liegen der Kontrolle willentlicher Handlungen zugrunde? Warum gelingt es Menschen bei der Verfolgung wichtiger Ziele häufig nicht, kurzfristigen Versuchungen zu widerstehen oder eingeschliffene Gewohnheiten zu überwinden? Wie werden kognitive Kontrollprozesse durch Emotionen und sozialen Stress beeinflusst? Diesen Fragen geht seit Juli 2012 ein interdisziplinäres Forscherteam im DFG-Sonderforschungsbereich 940 „Volition and Cognitive Control: Mechanisms, Modulators, Dysfunctions“ nach.

    Unter der Leitung von Thomas Goschke, Professor für Allgemeine Psychologie an der TU Dresden, erforschen Psychologen und Neurowissenschaftler die kognitiven und neuronalen Mechanismen, die der willentlichen Kontrolle von Handlungen und Gefühlen zugrunde liegen. Jetzt liegen die ersten Ergebnisse vor. Beim internationalen Symposium des Sonderforschungsbereichs vom 17. bis 19. Juli 2015 unter dem Titel „Have we banished the Homunculus? Dynamic Regulation, Modulation, and Optimization of Cognitive Control“ präsentierten international führende Wissenschaftler ihre neuesten empirischen Befunde und theoretischen Perspektiven zum Thema kognitive Kontrolle und willentliche Handlungssteuerung.

    Mitarbeiter des Sonderforschungsbereichs stellten beim Symposium die Ergebnisse ihrer bisherigen Forschungsarbeit vor. So gelang es beispielsweise mit Hilfe funktioneller Bildgebungsmethoden, Regionen im Frontalhirn zu identifizieren, in denen Absichten vor ihrer Ausführung gespeichert und wenn nötig gegen den Einfluss störender Umweltreize oder unerwünschter Handlungsimpulse abgeschirmt werden. Einem anderen Projekt gelang es, neuronale Schaltkreise zu entschlüsseln, die der Steuerung flexibler zielgerichteter Handlungen im Unterschied zu automatisierten Gewohnheiten zugrunde liegen. In einem weiteren Projekt wird untersucht, warum es im Alltag häufig zu Beeinträchtigungen der Selbstkontrolle kommt, obwohl uns die negativen Konsequenzen unseres Verhaltens bewusst sind – also warum wir, obwohl wir eigentlich auf Diät sind, der Sahnetorte trotzdem nicht widerstehen können.

    Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass Personen, die in Regionen des Frontalhirns, die an der Unterdrückung automatisierter Gewohnheiten und der Überwachung von Handlungsfehlern beteiligt sind, eine geringere Aktivierung zeigen, im Alltag deutlich häufiger kurzfristigen Versuchungen nachgeben. Damit haben die Wissenschaftler einen ersten Beleg dafür gefunden, dass grundlegende neurokognitive Mechanismen tatsächlich alltägliche Beeinträchtigungen der Selbstkontrolle vorhersagen können. In der geplanten zweiten Förderperiode des Sonderforschungsbereichs ab 2016 wollen die Wissenschaftler unter anderem untersuchen, ob sich anhand dieser gestörten Prozesse langfristig das Risiko von Suchterkrankungen prognostizieren lässt und warum es unter chronischem Stress zu Beeinträchtigungen der Selbstkontrolle kommt.

    Weitere Informationen zum Sonderforschungsbereich 940 „Volition and Cognitive Control“: http://www.sfb940.de/

    Details zum Symposium und Programm unter: http://www.registrationpage.de/2015DresdenSymposiumInvitationextra

    Pressestelle der Technischen Universität Dresden, 15.07.2015

  • Beim Bundestag: Online-Umfrage zur „Mediensucht“

    Online-Welten werden für manche Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene, zum zentralen Lebensraum mit Sogwirkung und ganz eigenem Suchtpotenzial. Der Deutsche Bundestag nimmt diese Gefahren der Mediennutzung ernst. Er beauftragte das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) damit, das Thema „Neue elektronische Medien und Suchtverhalten“ wissenschaftlich zu untersuchen. Die Thematik ist kontrovers. So wird beispielsweise in Deutschland diskutiert, ob „Mediensucht“ offiziell als Krankheit anerkannt werden sollte und infolgedessen therapeutische Behandlungen von den Krankenkassen übernommen werden sollten.

    Eine Online-Umfrage ergänzt die Untersuchung. Das Thema der Umfrage lautet: „Neue elektronische Medien und Gefahrenpotenziale exzessiver Nutzung“. Alle Interessierten sind aufgerufen, sich bis Ende Juli zu beteiligen. Das Ausfüllen des Fragebogens dauert ca. 15 Minuten.

    Die wichtigsten Forschungsfragen lauten: Wie könnte Mediensucht vermieden werden? Welche Ressourcen können gestärkt werden, damit es gar nicht zur Mediensucht kommt bzw. damit diese gut geheilt und bewältigt werden kann? Welche politische Relevanz ergibt sich aus den Erkenntnissen? Sollte beispielsweise „Mediensucht“ offiziell als Suchterkrankung anerkannt werden?

    Die Befragungs-Plattform „Stakeholder Panel TA“ (TA = Technikfolgenabschätzung) wird von einer gemeinnützigen und unabhängigen Berliner Forschungseinrichtung verantwortet, dem IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung. Das IZT erforscht seit 1981 Technikfolgen mit einem beteiligungsorientierten Ansatz und ist Konsortialpartner des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB).

    Zur aktuellen Befragung: https://www.stakeholderpanel.de/sosci/Medien/

    Zur Plattform Stakeholder Panel TA: https://www.stakeholderpanel.de

    Zum Forschungsprojekt: https://www.izt.de/projekte/project/292/

    Pressestelle der Bundesdrogenbeauftragten, 21.07.2015

  • Zusammenarbeit von beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe

    Zusammenarbeit von beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe

    Dr. Daniela Ruf
    Dr. Daniela Ruf

    Berufliche Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe stellen zwei jeweils eigenständige wichtige Hilfeansätze im Versorgungssystem dar. Beide haben dasselbe Ziel: Sie wollen die Ressourcen und Kompetenzen von Betroffenen und Angehörigen stärken, Suchtkranke motivieren, Wege in ein suchtmittelfreies Leben zu finden, ihre Gesundheit fördern und ihnen Teilhabe am Familienleben sowie an Beruf und Gesellschaft ermöglichen. Berufliche Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe sind beim Erreichen dieses Ziels keine Konkurrenz, denn sie können sich gegenseitig nicht ersetzen, sie machen unterschiedliche, sich ergänzende Angebote. Die berufliche Suchthilfe bietet in Form von professioneller Beratung, Behandlung, Rehabilitation und Nachsorge ein differenziertes Hilfesystem für Betroffene und Angehörige sowie zahlreiche Unterstützungsangebote für die Selbsthilfe. Die Selbsthilfe bietet Gemeinschaft, Austausch unter Gleichen und Unterstützung im Alltag – und zwar vor, während, nach oder unabhängig von einer professionellen Behandlung. Berufliche Suchthilfe ist zudem immer ein zeitlich begrenztes Angebot, während Selbsthilfe unbegrenzte Begleitung über das Ende der beruflichen Hilfe hinaus bietet, bei Bedarf sogar lebenslang. Selbsthilfe ermöglicht niedrigschwellig Hilfe, wann immer sie gerade benötigt wird.

    Im Bereich der Nachsorge besteht die größte Überschneidung zwischen beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe, aber auch hier stehen die Angebote nicht in Konkurrenz, sondern haben jeweils eine unterschiedliche Ausrichtung. Sie ergänzen sich in Bezug auf die Dauer (Eisenbach-Stangl, 2003), aber auch in Bezug auf den Inhalt. Verkürzte Behandlungszeiten und schwierige Problemlagen machen eine professionelle Nachsorge oft unverzichtbar, langfristige Stabilisierung und Bewältigung des Alltags erfordern die Fortführung der Nachsorge in der Selbsthilfe (Küfner, 1990).

    Wieso die Zusammenarbeit so wichtig ist

    Vorteile der Zusammenarbeit

    Allein die Tatsache, dass es zwei Hilfeansätze gibt, ist bereits ein Vorteil, da Menschen unterschiedliche Bedarfe haben und so die Möglichkeit erhalten, ihren jeweils eigenen Weg aus der Sucht zu finden. Manche Menschen mögen allein in der beruflichen Suchthilfe ein für sie wirksames Hilfeangebot finden, andere allein in der Selbsthilfe, für viele jedoch bietet die Verbindung beider Hilfeangebote die beste Unterstützung, v. a. im Hinblick auf eine langfristige Stabilisierung. Aber erst eine gute Zusammenarbeit in Form von durchlässig gestalteten Übergängen ermöglicht die optimale Nutzung der Kompetenzen beider Hilfeansätze. Darüber hinaus bietet eine gute Zusammenarbeit für berufliche Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe die Möglichkeit, Ressourcen zu bündeln, die Qualität des Hilfeangebots zu erhöhen und neue Herausforderungen – beispielsweise durch veränderte Rahmenbedingungen, vielfältigere Bedarfe oder neue Zielgruppen – gemeinsam besser zu bewältigen.

    Wirksamkeit

    Beide Hilfeansätze weisen eine hohe Wirksamkeit auf. In der beruflichen Suchthilfe erreichten im Jahr 2013 80 Prozent der ambulanten und 92 Prozent der stationären Patienten/-innen, die die Betreuung/Behandlung planmäßig beendeten, ein positives Behandlungsergebnis (Braun, Künzel & Brand, 2015). Gut ein Viertel der Besucher/-innen von Selbsthilfegruppen erreichten 2010 Abstinenz, ohne berufliche Suchthilfeangebote in Anspruch genommen zu haben, und etwa drei Viertel der rückfällig geworden Gruppenbesucher/-innen konnten durch die Gruppe stabilisiert werden (Selbsthilfe- und Abstinenzverbände, 2011).

    Insbesondere zur Rückfallprävention und (Re)Integration in ein intaktes soziales Umfeld leisten Selbsthilfegruppen einen wichtigen Beitrag in der Versorgung (Schwoon, 1996). Selbsthilfe wirkt sowohl rückfallvorbeugend als auch stabilisierend nach einem Rückfall (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2001). Der regelmäßige Besuch einer Selbsthilfegruppe nach einer stationären Therapie zeigte sich in Studien mit deutlich höheren Abstinenzraten verbunden (Schwoon, 1996; Küfner, 1988). Und auch bei Patienten/-innen, die nach einer stationären Entwöhnungsbehandlung rückfällig gewordenen waren, zeigte sich, dass sie in der Folge häufiger abstinent waren, wenn sie regelmäßig eine Selbsthilfegruppe besuchten (Küfner, 1990).

    Verankerung

    Der nachgewiesenen Wirksamkeit der beiden Hilfeansätze sowie ihres Zusammenwirkens wird an verschiedenen Stellen Rechnung getragen. Im gemeinsamen Rahmenkonzept der Deutschen Rentenversicherung und der Gesetzlichen Krankenversicherung zur ambulanten medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker ist die Kooperation als eine der Voraussetzungen benannt. Und auch in der neuen S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ werden Empfehlungen zum regelmäßigen Besuch von Selbsthilfegruppen getroffen sowie auf die Bedeutung der Zusammenarbeit von beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe explizit hingewiesen (v. a. Kapitel 4 Versorgungssituation).

    Der Mehrwert einer guten Zusammenarbeit von beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe ist also belegt und in verschiedenen Kontexten bereits verankert. Sie kann daher nicht optional sein oder nur von der Motivation einzelner Mitarbeiter/-innen abhängen, sondern muss verbindlich und nachhaltig geregelt und umgesetzt werden.

    Herausforderungen für die Zusammenarbeit

    Die Ausdifferenzierung des Angebotsspektrums in der Suchthilfe hat die Bedeutung von Kooperation innerhalb des Hilfesystems erhöht (Oliva & Walter-Hamann, 2013). In der Suchthilfe der Caritas gibt es eine lange Tradition der guten Zusammenarbeit zwischen beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe als einer der zentralen Schnittstellen im Hilfesystem. Dennoch ist diese Kooperation vor Ort sehr unterschiedlich ausgeprägt und nicht immer zufriedenstellend. Sie ist kein Selbstläufer – sie muss immer wieder neu gestärkt, geklärt und mit Impulsen belebt werden, gerade in Zeiten rascher Veränderungen. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die zentralen Faktoren, welche die Zusammenarbeit von beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe beeinflussen.

    Abb. 1:Zentrale Faktoren, welche die Zusammenarbeit zwischen beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe beeinflussen
    Abb. 1: Zentrale Faktoren, welche die Zusammenarbeit zwischen beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe beeinflussen

    Die verschiedenen Faktoren sind jeweils mit Herausforderungen verbunden, die im Folgenden erläutert werden.

    Rahmenbedingungen

    • Eine vielfältiger gewordene Behandlung, welche sich aus verschiedenen Abschnitten zusammensetzt, macht die Gestaltung der Übergänge von der Behandlung in die Selbsthilfe und die Verzahnung zwischen den jeweiligen Angeboten anspruchsvoller.
    • Neue Zielgruppen und Konsummuster, Zugänge zu diesen Zielgruppen und vielfältigere Vorstellungen von Selbsthilfe stellen die Zusammenarbeit vor neue Aufgaben.
    •  Veränderte Finanzierungsstrukturen und Vorgaben von Leistungsträgern erfordern eine Anpassung der Arbeit an die dadurch gegebenen Rahmenbedingungen.

    System der beruflichen Suchthilfe und der Sucht-Selbsthilfe

    • Unterschiedliche Kompetenzbereiche, Regeln und Handlungszwänge sowie Alltagskulturen müssen aufeinander abgestimmt werden. Das Aufeinandertreffen des reglementierten beruflichen Settings und des selbstbestimmten ehrenamtlichen Settings erfordert gute Abstimmungs- und Organisationsprozesse.
    • Die jeweiligen Arbeitsweisen und Angebote unterscheiden sich und verändern sich über die Zeit. Sie müssen wechselseitig transparent und gut bekannt gemacht werden.
    • Vor dem Hintergrund des Aufeinandertreffens von Alltags- und Fachsprache muss eine Basis zur Verständigung geschaffen und eine gute gegenseitige Rückmeldekultur entwickelt werden.

    Persönliche Beziehungen

    • Es muss ein Rollenwechsel von der ursprünglichen Begegnung als Therapeut/-in und Klient/-in hin zu Partnern/-innen gelingen. Ebenso muss sich das Hierarchiegefälle zwischen Experten/-innen und Laien auflösen. Die evtl. bestehende Wahrnehmung von Konkurrenz sollte der selbstbewussten Wahrnehmung der eigenen Kompetenzen und Angebote weichen. Ein möglicherweise erlebter Widerspruch zwischen Unterstützungswunsch/-bedarf und Autonomie/Selbstbestimmung der Selbsthilfe muss geklärt werden.
    • Die gegenseitige Begegnung muss von Respekt, Wertschätzung, Offenheit und Vertrauen geprägt sein.
    • Eigene Haltungen und Einstellungen müssen überprüft und ggf. korrigiert werden. Interessen und gegenseitige Erwartungen müssen transparent und Vorurteile bewusst gemacht werden.

    Art der Ausgestaltung der Zusammenarbeit

    • Die Zusammenarbeit muss institutionalisiert und in Konzepten und Vereinbarungen vor Ort verankert und verbindlich geregelt werden, sie darf nicht nur vom Engagement einzelner Personen abhängen, um bei einem Wechsel nicht gefährdet zu sein.
    • Für die Zusammenarbeit muss es fest eingeplante Zeit- und Personalressourcen auf beiden Seiten geben, sie darf nicht einfach nur „nebenher“ laufen.
    • Die Umsetzung von bekannten Handlungserfordernissen muss gefördert und unterstützt werden, oft fehlen Handlungsanleitungen und konkrete Strategien.

    Sich die beschriebenen Einflussfaktoren und Herausforderungen bewusst zu machen, kann helfen zu verstehen, wieso sich die Zusammenarbeit nicht immer einfach gestaltet. Gleichzeitig bieten die genannten Herausforderungen aber auch Chancen und konkrete Ansatzpunkte zur Verbesserung der Zusammenarbeit.

    Gelingende Zusammenarbeit: Gemeinsamer Prozess des Deutschen Caritasverbands und des Kreuzbund-Bundesverbands

    Die Bedeutung der Schnittstelle zwischen beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe ernstnehmend, haben sich der Deutsche Caritasverband (DCV) und der Kreuzbund-Bundesverband vor einigen Jahren dazu entschieden, einen gemeinsamen, langfristig angelegten Prozess zur Zusammenarbeit durchzuführen. Dadurch wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass die oben genannten Herausforderungen die Verbesserung der Zusammenarbeit zu einer anspruchsvollen Aufgabe machen, die durch punktuelles Engagement, einzelne Veranstaltungen oder die alleinige Entwicklung einer Positionierung oder Handreichung nicht hinreichend erfüllt werden kann. Um die Basis für eine tragfähige, zukunftsorientierte Zusammenarbeit von beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe zu schaffen, braucht es Begegnung, kontinuierliche Auseinandersetzung sowie Zeit, um Haltungen zu überprüfen und Veränderungen einzuleiten und wirksam werden zu lassen.

    Im Folgenden werden die zentralen Grundsätze und Erfolge des bisherigen Prozesses zur Zusammenarbeit von beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe in der Caritas dargestellt sowie ein Ausblick auf seine Weiterführung gegeben (vgl. Abb. 2).

    Abb. 2: Maßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe in der Caritas
    Abb. 2: Maßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe in der Caritas

    Gemeinsam angelegter Prozess

    Um möglichst vielfältige Sichtweisen und Erfahrungen zusammenzuführen und fundierte, von allen Akteuren getragene Ergebnisse zu erreichen, waren jeweils Vertreter/-innen der beruflichen Suchthilfe und der Sucht-Selbsthilfe von Orts-, Diözesan- und Bundesebene an dem Prozess beteiligt. Es gab sowohl gemeinsame Arbeitsphasen in Form von Workshops als auch getrennte, allerdings immer in Verbindung mit kontinuierlichem Austausch. Damit wurden bereits im Verlauf des Prozesses wesentliche Grundzüge einer guten Zusammenarbeit konsequent umgesetzt.

    Zur Darstellung der Ergebnisse des Prozesses wurde 2011 eine Dokumentation veröffentlicht. Auf der Basis dieser Ergebnisse wurde in den letzten Jahren in gemeinsamen Veranstaltungen und Konferenzen weiter an der Thematik gearbeitet. Es bestand Einigkeit darüber, dass ähnliche Prozesse nun auch auf Diözesan- und Ortsebene angestoßen werden müssen und dass es dafür weiterer Impulse und konkreter Arbeitshilfen zur Unterstützung bedürfe.

    Arbeitshilfe des DCV für die berufliche Suchthilfe und die Sucht-Selbsthilfe

    Die Entwicklung einer Arbeitshilfe war kein zu Beginn des Prozesses formuliertes Ziel, sondern die Antwort des DCV auf den aus der Praxis geäußerten Unterstützungsbedarf. Sie ist damit Ergebnis des bisherigen Prozesses und Grundlage für die Fortsetzung des Prozesses zugleich. Die Arbeitshilfe besteht aus zwei Modulen: Modul I „Grundlagen und Empfehlungen für eine gute Zusammenarbeit“ und Modul II „Good practice Beispiele für eine gute Zusammenarbeit“. Um die Einführung in die Arbeitshilfe und die Arbeit mit den beiden Modulen zu unterstützen, wurde ein weiteres Modul entwickelt, Modul III „Foliensatz zu Modul I und II“. Im Folgenden werden die zentralen Ziele, welche die Module verfolgen, dargestellt.

    1. Grundlagen für eine gute Zusammenarbeit vermitteln: Selbstverständnis – Wechselseitiges Verständnis – Kooperationsverständnis
    Cover Modul 1Das Erkennen der eigenen wichtigen Bedeutung im Hilfesystem, des sich ergänzenden Charakters der jeweiligen Angebote sowie der Unverzichtbarkeit einer guten Zusammenarbeit zur optimalen Gestaltung der Hilfen für Betroffene und Angehörige sind wichtige Grundlagen für eine gute Zusammenarbeit. Darüber hinaus ist eine gute Wissensbasis über die wechselseitigen Arbeitsweisen und Angebote zentral. Kapitel I bis III von Modul I der Arbeitshilfe bieten eine ausführliche und praxisnahe Aufbereitung dieser Inhalte. Kapitel IV und V nehmen Bezug auf die Herausforderungen in der Zusammenarbeit und zeigen Wege zur gemeinsamen Bewältigung auf. In Kapitel IV werden dazu konkrete Handlungsempfehlungen in Form von fünf Grundsätzen vorgestellt. Diese lauten: Bereitschaft und Begeisterung, Gemeinsame Ziele und Anliegen, Begegnung und gemeinsames Tun, Gute Kommunikation und Rollenklarheit, Verankerung und Verbindlichkeit. In Kapitel V werden Hinweise gegeben, wie mit der Arbeitshilfe konkret gearbeitet werden kann. Dieses Kapitel schlägt eine Brücke zwischen dem reinen Wissen, welche Maßnahmen erforderlich wären, und der tatsächlichen Umsetzung, denn häufig fehlt es vor Ort an Strategien, um vom Wissen zum Tun zu gelangen.

    2. Vielfalt der Zusammenarbeit und Möglichkeiten, wie man voneinander lernen kann, aufzeigen
    Cover Modul 2Modul II stellt in Form von good practice Beispielen zur Zusammenarbeit Anregungen und konkrete Umsetzungshilfen zur Verfügung. Die Kooperationsbeispiele stehen jeweils für sich und können je nach Interesse anhand des Inhaltsverzeichnisses gefunden und genutzt werden. Modul II soll aufzeigen, wie vielfältig die Formen der Zusammenarbeit zwischen beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe sein können, es soll Mut machen, Vorhaben gemeinsam anzugehen und auszuprobieren.

    3. Gemeinsame Basis für die gemeinsame Arbeit anbieten
    In der Arbeitsgruppe, die die Entwicklung der Module begleitete, waren Vertreter/-innen aus der beruflichen Suchthilfe und der Sucht-Selbsthilfe von Bundes-, Diözesan- und Ortsebene vertreten, um die Perspektiven und Bedarfe aller Akteure bestmöglich zu berücksichtigen. Die Arbeitshilfe richtet sich gleichermaßen an die berufliche Suchthilfe und die Sucht-Selbsthilfe. Zusammenarbeit kann nur durch Ansprache und Einbezug beider Partner gelingen – mit denselben Materialien und Grundlagen.

    4. Praktikable und praxisnahe Materialien zur Verfügung stellen

    Einfach erfassbare und ansprechend gestaltete Inhalte statt langer Fließtexte sollen zur Arbeit an einer guten Zusammenarbeit motivieren. Da die Voraussetzungen vor Ort unterschiedlich sind und die gemeinsame Konkretisierung der Inhalte der Arbeitshilfe einen wichtigen Schritt in der Zusammenarbeit vor Ort darstellt, sind die Inhalte nur so weit wie nötig festlegend. Die Rückmeldungen in Bezug auf die Nutzbarkeit in der Praxis sind sowohl im Bereich der Sucht-Selbsthilfe als auch im Bereich der beruflichen Suchthilfe sehr positiv.

    5. Lösungen für „Knackpunkte“ verfügbar machen
    In Modul I wird unter der Überschrift „Vielfalt der Selbsthilfe“ u. a. auch das nicht immer spannungsfreie Thema des Nebeneinanders von verbandlich organisierter und nicht-verbandlich organisierter Selbsthilfe aufgegriffen, das sich auch in Modul II in einzelnen good practice Beispielen wiederfindet. Modul II soll darüber hinaus mit seinen Beispielen bewusst Themen fokussieren, die nicht ganz einfach sind, und konkrete Ansätze aufzeigen, wie durch Kooperationen bisher eher schwer zugängliche Zielgruppen erreicht werden können.

    Die Inhalte der Module sind nicht auf die Nutzung innerhalb der Caritas beschränkt. Die Module können auch von anderen Verbänden und in anderen Kontexten genutzt werden und hilfreich sein.

    Nachhaltigkeit in der guten Zusammenarbeit

    Auf Bundesebene wurde zwischen DCV und Kreuzbund-Bundesverband durch den bisherigen Prozess bereits Nachhaltigkeit in der Zusammenarbeit erreicht. Gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung sind selbstverständlich geworden, und es konnte auch in Bezug auf schwierige Themen ein offener und konstruktiver Austausch erreicht werden. Der gegenseitige Einbezug und der Informationsfluss konnten intensiviert werden – es wurde beispielsweise die gegenseitige Teilnahme an zentralen Konferenzen und Projekten verbindlich implementiert.

    Auch auf Diözesanebene hat sich an vielen Orten eine verbindliche gegenseitige Teilnahme an wichtigen Gremien etabliert, in zwei Diözesen gibt es sogar schriftliche Rahmenvereinbarungen zwischen beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe.

    Um auch auf Ortsebene eine nachhaltige Verbesserung der Zusammenarbeit zu fördern, werden folgende Maßnahmen durchgeführt:

    • breite Streuung der Arbeitshilfe im Bereich der beruflichen Suchthilfe und der Sucht-Selbsthilfe – auf allen Ebenen und über verschiedene Verbände der beruflichen Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe
    • Unterstützung von Multiplikatoren/-innen durch Modul III, einem zur Einführung in die Arbeitshilfe entwickelten Foliensatz
    • Unterstützung von gemeinsamen Fachveranstaltungen zum Thema Kooperation auf Diözesan-/Ortsebene
    • Entwicklung eines QM-Moduls zur Zusammenarbeit, welches anschlussfähig ist an QM-Rahmenhandbücher

    Um nachhaltig eine gute und zukunftsorientierte Zusammenarbeit zwischen beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe sicherzustellen, braucht es ein langfristiges und kontinuierliches Engagement auf allen Ebenen: Zur Verbesserung der Zusammenarbeit vor Ort sind Multiplikatoren/-innen in der beruflichen Suchthilfe sowie in der Sucht-Selbsthilfe unverzichtbar, die Bundesebenen der beruflichen Suchthilfe sowie der Sucht-Selbsthilfe bleiben weiterhin in der Verantwortung mit folgenden Aufgaben:

    • Unterstützung von Multiplikatoren/-innen und gemeinsamen Veranstaltungen vor Ort
    • Einbindung der Zusammenarbeit in Schulungskonzepte und QM-Systeme
    • gleichberechtigte Berücksichtigung der Schnittstelle zwischen beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe neben anderen Themen in Fachdebatten und bei Fachveranstaltungen
    • gezielte Öffentlichkeitsarbeit zur Vermittlung der Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit der Zusammenarbeit

    Eine gute Zusammenarbeit kann nur vor Ort gestaltet und gelebt werden. Der Perspektivprozess auf Bundesebene sowie die vom DCV entwickelte Arbeitshilfe und die durchgeführten Maßnahmen können und sollen die Begegnung, die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Thematik und die tatsächliche Umsetzung vor Ort nicht ersetzen, aber sie können gute Anregungen und konkrete Umsetzungshilfen bieten.

    Kontakt:

    Dr. Daniela Ruf
    Deutscher Caritasverband e. V.
    Referat Gesundheit, Rehabilitation, Sucht
    Karlstr. 40
    79104 Freiburg
    Daniela.Ruf@caritas.de
    www.caritas.de
    http://www.facebook.com/caritas.deutschland

    Angaben zur Autorin:

    Dr. Daniela Ruf (*1978 in Karlsruhe) schloss 2004 ihr Psychologiestudium an der Universität Freiburg ab. Von 2005 bis 2010 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg, Sektion Klinische Epidemiologie und Versorgungsforschung, beschäftigt – mit den Arbeitsschwerpunkten Sucht, Migration, Demenz, Online-Systeme. Seit 2011 ist sie als Suchtreferentin beim Deutschen Caritasverband, Referat Gesundheit, Rehabilitation, Sucht, tätig – aktuell mit den Schwerpunkten Selbsthilfe, Migration, Online-Beratung/Neue Medien, Internetabhängigkeit.

    Literatur:
    • Braun, B., Künzel, J. & Brand H. (2015). Jahresstatistik 2013 der professionellen Suchtkrankenhilfe. In Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (Hrsg.), Jahrbuch Sucht 2015. Lengerich: Pabst, S. 214-240
    • Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (2001). Informationen zur Suchtkrankenhilfe. Selbsthilfe Sucht. Möglichkeiten – Grenzen – Perspektiven [Online]. Verfügbar unter:
      http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Arbeitsfeld_Selbsthilfe/selbsthilfe_sucht_2001.pdf [25. Juni 2015]
    • Eisenbach-Stangl, I. (2003). Suchtkrankenhilfe – Selbsthilfe – Psychotherapie: Komplizierte Verhältnisse. Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, 26 (2), S. 5-11
    • Küfner, H., Feuerlein, W. & Huber, M. (1988). Die stationäre Behandlung von Alkoholabhängigen: Ergebnisse der 4-Jahreskatamnesen, mögliche Konsequenzen für Indikationsstellung und Behandlung. Suchtgefahren, 34 (3), S. 157-272
    • Küfner, H. (1990). Die Zeit danach – Alkoholkranke in der Nachsorgephase. In D. Schwoon & M. Krausz (Hrsg.), Suchtkranke. Die ungeliebten Kinder der Psychiatrie. Stuttgart: Ferdinand Enke, S. 189-202
    • Oliva, H. & Walter-Hamann, R. (2013). Suchthilfe in Netzwerken. Praxishandbuch zu Strategie und Kooperation. Freiburg: Lambertus
    • Selbsthilfe- und Abstinenzverbände (2011). Erhebung der fünf Selbsthilfe- und Abstinenzverbände. Statistik 2010 [Online]. Verfügbar unter:
      http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Arbeitsfeld_Selbsthilfe/Statistik_der__5_SH-Verbände.pdf [25. Juni 2015]
    • Schwoon, D. (1996). Nutzung professioneller Nachsorge und Selbsthilfegruppen durch Alkoholiker nach stationärer Kurzzeittherapie. In K. Mann & G. Buchkremer (Hrsg.), Sucht. Grundlagen, Diagnostik, Therapie. Stuttgart: Fischer, S. 281-287