Der Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V. vergibt zum vierten Mal den ‚Wolfram-Keup-Förderpreis’ für die beste wissenschaftliche oder praxisorientierte Arbeit auf dem Gebiet der Entstehung und Behandlung von Missbrauch und Sucht.
Aus dem Nachlass des Projektes ‚Frühwarnsystem zur Erfassung von Veränderungen der Missbrauchsmuster chemischer Substanzen in der Bundesrepublik Deutschland’, das Professor Wolfram Keup initiiert und bis zu seinem Tod am 4. Januar 2007 geleitet hat, wird zur Erinnerung an den Stifter alle zwei Jahre der ‚Wolfram-Keup-Förderpreis’ öffentlich ausgeschrieben und vergeben.
Alle Personen und Institutionen, die sich in der wissenschaftlichen Forschung oder der therapeutischen Behandlungspraxis mit den Themen Missbrauch und Sucht beschäftigen, sind aufgefordert, sich mit eigenen Untersuchungen oder Projekten um den Wolfram-Keup-Förderpreis 2016 zu bewerben. Die vorgelegten Arbeiten müssen sich mit der Entstehung oder der Behandlung von Missbrauch und Sucht (mit oder ohne Substanzbezug) beschäftigen. Dabei kann es sich um wissenschaftliche Studien handeln, aber auch die Realisierung von Präventionsmaßnahmen oder die Erprobung von Behandlungskonzepten. Der Förderpreis ist mit einem Preisgeld von 2.000 € ausgestattet.
Einsendeschluss ist der 31. Oktober 2015. Die Preisverleihung erfolgt im Rahmen der Wissenschaftlichen Jahrestagung des buss am 16. März 2016 in Berlin. Weitere Informationen erhalten Sie in den Ausschreibungsunterlagen unter www.suchthilfe.de oder direkt in der Geschäftsstelle, buss@suchthilfe.de, Tel. 0561/77 93 51.
Die Sterblichkeit von Patienten mit Alkoholabhängigkeit in Allgemeinkrankenhäusern ist um ein Vielfaches höher als bei Behandelten ohne Alkoholabhängigkeit. Außerdem sterben sie im Schnitt rund 7,6 Jahre früher als Krankenhauspatienten ohne einen solchen Suchthintergrund. Das haben Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn mit britischen Kollegen anhand von Patientendaten mehrerer Allgemeinkrankenhäuser in Manchester (England) herausgefunden. Die Forscher fordern eine frühere und intensivere psychotherapeutische Begleitung von Alkoholkranken. Die Studie ist nun im Journal „European Psychiatry“ veröffentlicht.
„Mit der Alkoholsucht sind sowohl psychische Probleme als auch erhebliche körperliche Beeinträchtigungen der Gesundheit verbunden“, sagt Dr. Dieter Schoepf von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn. „Im Schnitt sterben Alkoholiker, die wegen gesundheitlicher Probleme in britischen Allgemeinkrankenhäusern behandelt wurden, aufgrund des Zusammenwirkens mehrerer körperlicher Begleiterkrankungen 7,6 Jahre früher als Patienten ohne Alkoholsucht“, berichtet der Wissenschaftler. Für die Studie werteten Dr. Schoepf und Prof. Dr. Reinhard Heun vom Royal Derby Hospital in England Patientendaten von sieben Allgemeinkrankenhäusern in Manchester aus. Es handelt sich dabei um eine Langzeitbeobachtung: Die Daten erstrecken sich über einen Zeitraum von 12,5 Jahren. Mit ihrer Hilfe analysierten die Wissenschaftler die körperlichen Begleiterkrankungen von 23.371 Krankenhauspatienten mit Alkoholsucht und verglichen sie mit einer Kontrollgruppe aus zufällig ausgewählten 233.710 Behandelten ohne Alkoholismus. „Im Beobachtungszeitraum starb etwa jeder fünfte Krankenhauspatient mit Alkoholsucht in einem der Krankenhäuser, während es bei der Kontrollgruppe nur jeder zwölfte Patient war“, fasst Prof. Heun das Ergebnis zusammen.
Insgesamt 27 körperliche Krankheiten traten gehäuft bei Patienten mit Alkoholsucht auf: etwa der Leber, der Bauchspeicheldrüse, der Atemwege, des Magen-Darm-Traktes und des Nervensystems. Im Gegensatz dazu waren etwa Herzinfarkte, Herzkreislauferkrankungen und Grauer Star bei den Patienten mit Alkoholismus weniger häufig als bei der Kontrollgruppe. „Patienten mit Suchtproblemen werden oft als Notfälle in Kliniken eingeliefert. Bei der Diagnose stehen dann die akuten Symptome im Vordergrund – das führt möglicherweise dazu, dass nicht alle körperlichen Erkrankungen erfasst werden“, vermutet Dr. Schoepf. Auch ein geringeres Schmerzempfinden und Wahrnehmungsstörungen der Suchtkranken könnten dazu führen, dass bestimmte Krankheitsbilder von den Ärzten nicht erkannt werden.
Die Studie sei in dieser Form einzigartig, betonen die Wissenschaftler. Die große Zahl erfasster Patienten und die umfangreiche Kontrollgruppe erlaubten eine sehr differenzierte Auswertung. Der für solche Untersuchungen ungewöhnlich lange Beobachtungszeitraum ermögliche darüber hinaus, auch Krankheiten zu erfassen, die nur allmählich Beschwerden machen. Dass die Untersuchung ausgerechnet mit Daten aus Großbritannien durchgeführt wurde, hängt mit dem leichteren Zugang zu den notwendigen Informationen in England zusammen. „Die Ergebnisse beziehen sich zwar auf Allgemeinkrankenhäuser in Manchester, sie sind aber aufgrund der großen Stichproben repräsentativ und lassen sich deshalb auf andere Allgemeinkrankenhäuser in anderen Ländern verallgemeinern“, sagt Dr. Schoepf. Aus Sicht der Wissenschaftler verdeutlicht die erhöhte Sterblichkeit der Patienten mit Alkoholismus in Allgemeinkrankenhäusern, dass die Sucht als Ursache der vielfältigen körperlichen Folgen in einem deutlich früheren Stadium therapiert werden muss. „Durch gewissenhaftes Screening und die frühzeitige Behandlung von psychischen und körperlichen Begleiterkrankungen sollte es möglich werden, die Lebenserwartung von Alkoholkranken deutlich zu erhöhen“, sagt Prof. Heun.
Pressestelle der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 02.04.2015
Dr. Martin Beutel, scheidender Vorsitzender des buss, und seine Nachfolgerin Dr. Wibke Voigt in der Mitgliederversammlung 2015 in Berlin
„Allein unter älteren Herren“ – so fühlte sich Dr. Martin Beutel, als er 1986 mit Anfang dreißig seine erste buss-Jahrestagung besuchte. Es folgten knapp 30 Jahre Verbandsarbeit im Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss), davon 18 Jahre als Vorsitzender. Im März verabschiedete sich Dr. Martin Beutel aus Altersgründen aus seinem Amt. „Lieber Entwicklungen mitgestalten als passiv abwarten“, das war seine Devise und seine persönliche Motivation. Dementsprechend hat er die positive Entwicklung des Verbandes maßgeblich bestimmt und sich mit strategischem Weitblick für Weiterentwicklungen im Suchthilfesystem eingesetzt.
Ein Blick zurück
In seiner Abschiedsrede in der Mitgliederversammlung des buss ließ er die Themen, die die Fachszene über die Jahre bewegten und sein Wirken bestimmten – als Vorsitzender und als Chefarzt der Kraichtal-Kliniken –, Revue passieren. Nach der Wiedervereinigung 1989 stand der Ausbau von Versorgungsstrukturen im Osten Deutschlands im Vordergrund. Das Medikament Campral (Wirkstoff Acamprosat) zum Einsatz bei Alkoholabhängigkeit kam auf den Markt und sorgte für Unruhe bei den auf Abstinenz ausgerichteten Suchtreha-Kliniken. Ein Meilenstein war die Modernisierung des Verbandes im Jahre 1994: Der damalige „Verband der Fachkrankenhäuser für Suchtkranke“ gab sich eine neue Satzung und einen neuen Namen: Er hieß nun Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe – buss.
Weitere bestimmende Themen waren die Einführung des Qualitätssicherungsprogramms der Rentenversicherung mit dem „5-Punkte-Programm“ 1994 und die Reha-Krise ab 1997 in Zusammenhang mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, das zur Einführung des Reha-Budgets und zu Therapiezeitverkürzungen führte. Im Jahr 2000 wurde auf Betreiben von Dr. Beutel die Deutsche Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Suchttherapie (deQus) gegründet. Die Geschichte gab ihm recht: Seit September 2012 gilt die Zertifizierungspflicht in Suchtkliniken. Seit 2010 ist das von der deQus angebotene Zertifizierungsverfahren von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) anerkannt. Im Vorstand der deQus bleibt Dr. Beutel weiterhin aktiv.
Neue Süchte und Therapie- und Forschungsansätze tauchten auf, die der Verband unter anderem in seinen Tagungsthemen aufgriff: Therapie und Arbeit, Pathologisches Glücksspiel, Internetsucht, Neurobiologie, Suchthilfe in Europa, um nur einige zu nennen. 2003 feierte der Verband sein 100-jähriges Bestehen, 2014 fand in Berlin die 100. Jahrestagung statt.
2007 erbte der buss den Nachlass des Projektes „Frühwarnsystem zur Erfassung von Veränderungen der Missbrauchsmuster chemischer Substanzen in der Bundesrepublik Deutschland“ von Professor Wolfram Keup. Seit 2010 wird aus diesem Nachlass alle zwei Jahre der „Wolfram-Keup-Förderpreis“ für die beste wissenschaftliche oder praxisorientierte Arbeit auf dem Gebiet der Suchttherapie öffentlich ausgeschrieben und vergeben.
Entwicklung der S3-Leitlinie zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit
In den letzten Jahren hat sich Dr. Beutel intensiv an der Entwicklung der S3-Leitlinie zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit beteiligt und mit der Frage nach Wirksamkeit und Evidenz in der Suchtbehandlung auseinandergesetzt. Nach außen manifestierte sich dies im Thema der diesjährigen Jahrestagung im März, das lautete: „Wie evidenzbasiert kann ganzheitliche Therapie sein?“ In seiner Eröffnungsrede nannte Dr. Beutel das Spannungsverhältnis von Evidenzbasierung und ganzheitlicher Therapie „ein Grundproblem der Medizin, das bei psychischen Erkrankungen nur am deutlichsten zu Tage tritt. Wie verbinden wir evidenzbasierte Medizin mit ganzheitlicher Behandlung, mit Menschlichkeit, mit Verstehen, mit Begleitung?“
Es kommt darauf an, die verschiedenen Ansätze zu integrieren und den Gesamtzusammenhang im Blick zu behalten. Einer, der sich von Moden und Wellen nicht irritieren ließ, aber stets den Puls der Zeit erkannte, verabschiedet sich jetzt aus der ersten Reihe. Der Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe dankt Dr. Martin Beutel sehr herzlich für seinen langjährigen Einsatz. Von Weitblick und modernem Denken zeugte auch Dr. Beutels Idee, die Sucht-Fachzeitschrift KONTUREN durch den buss als Online-Magazin dev.konturen.de/ herauszugeben – einer von vielen Impulsen, die das Verbandsgeschehen auch in Zukunft prägen werden.
Der neue Vorstand
Als Nachfolgerin von Dr. Beutel und neue Vorsitzende des buss wurde Dr. Wibke Voigt, Chefärztin der Fachklinik St. Vitus GmbH, Suchtfachklinik für Frauen, Visbek, gewählt. Der Vorstand besteht nun bis zur nächsten regulären Wahl im März 2017 neben der Vorsitzenden Dr. Voigt aus den beiden stellvertretenden Vorsitzenden Gotthard Lehner (Fachklinik Haus Immanuel) und Dr. Bernd Wessel (Essen) sowie den weiteren Vorstandsmitgliedern Karin Feugmann (Fachkliniken Peterhof und Scheifeshütte), Christian Heise (Baden-Württembergischer Landesverband für Rehabilitation und Prävention bw-lv), Johannes Müller (Klinikum Oberberg), Andreas Reimer (Deutscher Orden Suchthilfe), Petra Sarstedt-Hülsmann (Lukas-Werk Gesundheitsdienste) und Olaf Szakinnis (Fachklinik Klosterwald).
Stuttgart: Klett Cotta 2015, 141 S., ISBN 978-3-608-86050-4, EUR 14,95
Kinder von suchtkranken Eltern finden wenig Beachtung. Die Sucht von Vater oder Mutter ist tabu, das Leiden der Kinder ist tabu. Hier erzählen Erwachsene aus Suchtfamilien freimütig von ihren Erfahrungen. Zahlreiche Anregungen und Übungen helfen Betroffenen, ihren Platz im Leben neu zu finden. Vater, Mutter, Kind: Dieses alte Kinderspiel erfährt in Familien mit Suchtkranken eine tragische Abwandlung. Die Sucht nimmt den Platz ein, der eigentlich den Kindern zusteht. Die Sorge um das Rauschmittel verdrängt die Sorge für die Kinder. Viele Menschen aus Suchtfamilien leiden lebenslang darunter, ohne sich je auszusprechen. Die Autorin durchbricht mit diesem Buch das Schweigen. Sie lässt Betroffene zu Wort kommen, und sie zeigt die besonderen Stärken und Schwächen erwachsener Suchtkinder. Mit einem differenzierten Selbsttest und vielen Übungen können sie mehr über sich, ihre Rolle im Leben und ihre Ressourcen erfahren. So können Betroffene Verständnis für ihre Gefühle, ihr Verhalten und ihre Nöte entwickeln und ihre Probleme konstruktiv angehen. Mit vielen Übungen und Anregungen zur Befreiung aus der Suchtfamilie und ihren Rollenzuschreibungen.
Heidelberg: Springer 2015, 379 S., ISBN 978-3-642-04013-9, EUR 49,99
Eine verständliche Einführung in die Körperpsychotherapie als erlebniszentriertes Psychotherapieverfahren: Das Buch zeigt, welche Bedeutung wissenschaftliche Theorien zu den Themen Embodied Mind, Embodiment, Körpererleben, Gedächtnis, Emotionen oder kindliche Entwicklung für eine Einbeziehung des Körpers in die psychotherapeutische Behandlung haben. Seit vielen Jahren sind verschiedene Ansätze zur Therapie mit dem Körper entstanden. Dieses Buch erarbeitet eine einheitliche Konzeption auf der Basis der aktuellen Wissenschaft. Gezeigt wird eine Psychotherapie, die neben bewussten und unbewussten kognitiven und emotionalen Prozessen immer auch Prozesse des Körpererlebens, des Körperausdrucks und der Körperkommunikation einschließt.