Autor: Simone Schwarzer

  • Je höher der THC-Gehalt, desto mehr Behandlungen

    Cannabis ist für Erwachsene seit April 2024 legal. Aber es scheint nicht egal zu sein, was sie konsumieren. Eine Studie aus Deutschland belegt, dass mit steigendem THC-Gehalt mehr Menschen Hilfe wegen ihres Cannabiskonsums benötigen.

    Eine hohe THC-Konzentration bewirkt nicht nur einen starken Rausch. Forschende mahnen, dass mit zunehmendem Wirkstoffgehalt das Risiko zunimmt, eine Cannabisabhängigkeit oder andere psychische Folgeprobleme zu entwickeln. Bislang gab es dazu allerdings keine Zahlen aus Deutschland, die diese Annahme stützen. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Jacob Manthey (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, UKE) hat nun eine aktuelle Studie dazu vorgelegt.

    Entwicklung des Cannabiskonsums von 2009 bis 2021

    Die Forschenden haben umfangreiches Zahlenmaterial für die Jahre 2009 bis 2021 zusammengetragen. Darin enthalten waren neben Daten der gesetzlichen Krankenkassen auch Umfrageergebnisse zur Entwicklung des Cannabiskonsums in Deutschland sowie Analysen polizeilich beschlagnahmter Marihuana- und Haschischproben.

    Aus den Krankenkassendaten ließ sich ermitteln, wie viele Personen aufgrund einer Cannabisabhängigkeit oder anderer Folgeprobleme ärztliche oder psychologische Hilfe in Anspruch genommen haben. Manthey und sein Team haben ausgerechnet, wie sich die Anzahl an Personen mit problematischen Cannabiskonsum im Verhältnis zur Verbreitung des Konsums in der Bevölkerung entwickelt hat. Der Vergleich zeigt auf: Zwischen 2009 und 2021 ist der Anteil Cannabisabhängiger vor allem unter Männern deutlich gestiegen. Bei Frauen gab es ebenfalls eine Zunahme, diese ist aber nicht so stark ausgefallen.

    Im selben Zeitraum ist auch die durchschnittliche Konzentration des Cannabiswirkstoffs THC gestiegen. Das bedeutet: Je stärker Marihuana oder Haschisch geworden sind, desto mehr Menschen benötigten Hilfe wegen ihres Cannabiskonsums.

    Vergleichbare Ergebnisse aus anderen Ländern

    Manthey und sein Team betonen zwar, dass sie keinen ursächlichen Nachweis erbracht haben. Der Zusammenhang zwischen THC-Gehalt und Cannabisabhängigkeit finde sich aber auch in anderen Ländern. Bereits 2015 hat ein britisches Forschungsteam Belege dafür vorgelegt, dass Konsumierende mit einer Vorliebe für hochpotenten Cannabis häufiger cannabisabhängig sind als Personen, die Gras oder Haschisch mit niedrigerem THC-Gehalt bevorzugen. In derselben Studie berichteten die Befragten mit einer Vorliebe für starken Cannabis auch häufiger von Gedächtnisproblemen und paranoiden Gedanken.

    Weitere Studien belegen eine Zunahme des Psychose-Risikos und eine stärkere Inanspruchnahme der Drogenhilfe, wenn sich Cannabissorten mit hohem THC-Gehalt in der Bevölkerung verbreiten.

    THC-Gehalt könnte durch Legalisierung weiter steigen

    Angesichts der Teillegalisierung von Cannabis sei nach Aussagen von Manthey und seinem Team zu erwarten, dass die Nachfrage nach hochkonzentriertem Cannabis in Zukunft weiter steigt. Als Beispiel nennen sie Kanada, wo Cannabis bereits im Jahr 2018 für den Freizeitgebrauch legalisiert wurde. In Kanada würden sich Cannabisblüten mit einem THC-Gehalt von unter 20 Prozent kaum noch verkaufen oder würden teilweise gar nicht mehr angeboten.

    Die Forschenden befürworten daher eine Begrenzung des THC-Gehalts von Cannabisprodukten in Deutschland, um die psychische Gesundheit von Cannabiskonsumierenden besser zu schützen.

    Originalpublikation:
    Manthey, J., Rosenkranz, M., Jonas, B. & Schwarzkopf, L. (2024). Can the THC concentration predict the number of patients with cannabis-related diagnoses? Drug and Alcohol Review, https://doi.org/10.1111/dar.13923.

    Quelle: https://www.drugcom.de/, 18.9.2024

  • Rausch und Klarheit

    Goldmann Verlag, München 2024, 304 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-442-31753-0

    Von der Schönheit des nüchternen Lebens
    Mia liebt den Rausch. Drama, Drinks und Exzess sind fester Bestandteil ihrer Identität. So schlimm wie bei ihrer Oma und ihrem Vater, die der Alkohol umgebracht hat, ist es bei ihr aber noch lange nicht, denkt sie. Doch als die Nächte ihren Glanz verlieren, die Kater schlimmer werden, und sich eine diffuse Hoffnungslosigkeit in ihr ausbreitet, ahnt Mia, dass sie ihr Leben ändern muss.

    Mit sprachlicher Wucht seziert Mia Gatow, wie sich die Sucht in ihre Familie und dann in ihr eigenes Leben schlich. Sie erzählt von den romantischen Mythen, die wir einander erzählen, um den Drink nicht loslassen zu müssen – und von der ungeahnten Schönheit, die sich eröffnet, wenn wir es doch tun.

  • Cannabis-Legalisierung: Zeit für Prävention oder freie Bahn für den Konsum?

    Die Legalisierung von Cannabis in Deutschland bringt neue Möglichkeiten zum Konsum von Cannabis, aber auch einige Herausforderungen mit sich. Für viele junge Menschen stellt sich die Frage, wie sie selbst zum Thema Cannabis stehen und wie sie beispielsweise in ihrem Freundeskreis oder ihren Familien damit umgehen. Studierende aller Fachrichtungen und aller Hochschulen können im Projekt aktiv werden und zum Thema Cannabis diskutieren sowie an der Entwicklung und Umsetzung eines Programms – REBOUND 2.0 – mitwirken. Dieses soll dabei unterstützen, kompetent und informiert Entscheidungen im Umgang mit Cannabis zu treffen und umzusetzen.

    Vom 22. bis 24. November 2024 findet ein kostenloser Workshop in Berlin-Mitte statt, in dem Studierende gemeinsam mit Expert:innen Grundlagen des Programms diskutieren und gestalten. Das Projekt wird von der FINDER Akademie in Zusammenarbeit mit der Universität Greifswald umgesetzt und vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert.

    Wunsch nach Präventionsprogrammen

    Mit der Legalisierung von Cannabis in Deutschland wächst vielfach die Sorge, dass der Konsum zunimmt und schwerer kontrollierbar wird. Aus diesem Grund wird immer öfter der Wunsch nach Präventionsprogrammen geäußert.

    Die nationale und internationale Forschung zeigt auf, dass etwa die Hälfte aller jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren schon einmal Cannabis konsumiert hat und ein großer Anteil weiterhin regelmäßig Cannabis konsumiert. Inwiefern die Legalisierung in Deutschland das Konsumverhalten beeinflusst, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Das Projekt REBOUND 2.0 setzt früher an und richtet sich speziell an Personen dieser Zielgruppe, Studierende im Alter von 18 bis 25 Jahren. Cannabiskonsum ist in dieser Altersgruppe besonders häufig, wird zum Beispiel in vielen sozialen Situationen als normal angesehen, und das Experimentieren mit psychoaktiven Substanzen wie Cannabis gilt oftmals als Teil des Erwachsenwerdens.

    Gemeinsamer Workshop von Studierenden und Expert:innen

    Das Projekt REBOUND 2.0 greift diesen Umstand auf und möchte gemeinsam mit jungen Menschen erarbeiten, wie ein verantwortungsvoller und risikobewusster Umgang mit Cannabis gelingen kann, der die eigenen Bedürfnisse und Ziele berücksichtigt, aber gesundheitliche, soziale und materielle Schäden möglichst vermeidet.

    In einem ko-kreativen Workshop in Berlin vom 22. bis 24. November 2024 sollen Studierende und Expert:innen gemeinsam die Grundlagen für ein Präventionsprogramm entwickeln. Die Erfahrungen und Perspektiven der jungen Menschen sind entscheidend, um REBOUND 2.0 auf deren spezifischen Lebensrealitäten und Herausforderungen abzustimmen. Während des Workshops können sich die Teilnehmenden austauschen und vernetzen sowie über das eigene Konsumverhalten oder den Umgang mit Cannabis im Familien- oder Freundeskreis reflektieren. Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung während des Workshops werden von der FINDER Akademie übernommen. Nach erfolgreicher Teilnahme erhalten die Studierenden ein Zertifikat und werden eingeladen, sich an der nachfolgenden Umsetzung des Programms im Studienalltag zu beteiligen.

    Das Projekt wird von der FINDER Akademie in Zusammenarbeit mit der Universität Greifswald durchgeführt. Die FINDER Akademie ist eine gemeinnützige Bildungs- und Wissenschaftsorganisation mit Fokus auf Präventions- und Gesundheitsförderung. Gefördert wird das Projekt von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit.

    Informationen zum Programm und zur Anmeldung finden Interessierte auf der Internetseite REBOUND 2.0.

    Weitere Informationen auf der Internetseite der FINDER Akademie.

    Pressestelle der Universität Greifswald, 9.10.2024

  • Unrhythmische Herzen nach exzessivem Alkoholgenuss

    Die Medizin untersucht immer dezidierter die negativen Effekte von Alkohol auf Körper und Gesundheit. Was auch nicht verwundert: Alkohol ist eines der stärksten Zellgifte überhaupt. Nun sind Mediziner des LMU Klinikums mit ihren mobilen EKG-Geräten auf Partys junger Leute ausgeschwärmt. Heraus kam seriöse Wissenschaft, die „MunichBREW II-Studie“ mit der Erkenntnis: Binge Drinking („Komasaufen“) kann selbst bei jungen, gesunden Menschen mit der Entwicklung klinisch relevanter Rhythmusstörungen in erstaunlich vielen Fällen eine bedenkliche Wirkung auf das Herz haben. Die Ergebnisse wurden gerade im „European Heart Journal“ veröffentlicht.

    Schon 2015 hatte das Team der Medizinischen Klinik und Poliklinik I des LMU Klinikums beim Münchener Oktoberfest die MunichBREW I-Studie gestartet. Damals haben die Ärzte um Prof. Dr. Stefan Brunner und Privat-Dozent Dr. Moritz Sinner exzessiven Alkoholgenuss in Verbindung mit Herzrhythmusstörungen gebracht – aber nur eine Momentaufnahme im Elektrokardiogramm (EKG) untersucht.

    Nun wollten die Wissenschaftler es genauer wissen und rückten abermals mit ihrem mobilen Equipment aus. Ziel: diverse kleine Feierlichkeiten junger Leute, bei denen die Wahrscheinlichkeit hoch war, „dass viele der Partygänger mindestens 1,2 Promille erreichen würden“, sagt Stefan Brunner. Genau sie bildeten die Gruppe der Teilnehmenden der MunichBREW II-Studie, der weltweit bisher größten Untersuchung zu akutem Alkoholkonsum und EKG-Veränderungen im Langzeit-EKG über mehrere Tage.

    Das Procedere

    Insgesamt werteten die Forschenden die Daten von über 200 Partygängern aus, die mit Spitzenblutalkoholwerten bis 2,5 Promille klar über den Durst tranken. Insgesamt 48 Stunden lang hat das EKG ihren Herzrhythmus überwacht, wobei unterschieden wurde zwischen dem Ausgangswert (Stunde 0), der „Trinkphase“ (Stunden 1-5), der „Erholungsphase“ (Stunden 6-19) und zwei Kontrollphasen jeweils 24 Stunden nach der „Trinkphase“ beziehungsweise der „Erholungsphase“. Die akuten Alkoholwerte während der Trinkperiode wurden mehrfach ermittelt. Die EKGs wurden auf Herzfrequenz, Variabilität der Herzfrequenz, Vorhofflimmern und weitere Arten von Herzrhythmusstörungen untersucht. Die EKGs hatten dabei trotz der ausgelassenen Stimmung der Studienteilnehmenden fast durchweg eine hohe Qualität.

    Die Ergebnisse

    „Klinisch relevante Arrhythmien traten bei über fünf Prozent der ansonsten gesunden Teilnehmer auf“, erklärt Moritz Sinner, „und zwar überwiegend in der Erholungsphase.“ Die Alkoholzufuhr in der Trinkphase führte zu einem immer schneller werdenden Puls mit über 100 Schlägen pro Minute. Alkohol, so scheint es, kann profund in die autonomen regulatorischen Prozesse des Herzens eingreifen. „Unsere Studie liefert aus kardiologischer Sicht einen weiteren negativen Effekt von akutem exzessivem Alkoholkonsum auf die Gesundheit“, betont Brunner. Welche langfristen schädlichen Effekte die alkoholbedingten Rhythmusstörungen auf die Herzgesundheit haben, bleibt Gegenstand weiterer Forschung.

    Originalpublikation:
    Acute Alcohol Consumption and Arrhythmias in Young Adults: The Munich BREW II Study. Stefan Brunner, M.D., Christina Krewitz, M.D., Raphaela Winter, M.D., Aenne S. von Falkenhausen, M.D., Anna Kern, M.D., M.Sc., Dorothee Brunner, R.N., Moritz F Sinner, M.D., M.P.H. European Heart Journal, ehae695, 04 October 2024
    DOI: https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehae695

    Pressestelle des Klinikums der Universität München, 4.10.2024

  • Hörtipp

    Ein Beitrag im Deutschlandfunk beleuchtet, wie Menschen leben, die regelmäßig Heroin und andere Drogen nehmen. Jörn Klare hat Betroffene im Alter von 50, 60, 70 und mehr Jahren getroffen. Ihre Geschichten zeigen: Es gibt leichtere Schicksale − und keinen Standardablauf der Sucht.

    Eine Recherche in Hannover von Jörn Klare
    gesendet im Deutschlandfunk am 13. Oktober 2024, 20:05 Uhr, in der Rubrik „Feature“

    Hören:
    https://www.hoerspielundfeature.de/heroin-im-alter-100.html

    Quelle: Website DLF

  • Praxisbuch Suchtprävention

    Das „Praxisbuch Suchtprävention“ wurde aktualisiert und erscheint nun in der 7. Auflage. Es ist aufgeteilt in die Themenbereiche „Basiswissen Sucht“, „Jugendkultur“ und „Suchtprävention“ und kann in der Jugendarbeit, der Schulsozialarbeit und in der Suchthilfe genutzt werden.

    Im Vorwort betont Benjamin Becker, Leiter von blu:prevent, Suchtprävention des Blauen Kreuzes in Deutschland, insbesondere den Einsatz von digitalen Tools in Verbindung mit dem Handbuch.

    Durch die rasanten Veränderungen in der heutigen digitalen Lebenswelt sehen sich die Suchthilfe, die Schulen und Jugendarbeit herausgefordert, neue Methoden der Wissensvermittlung zu entwickeln, um Jugendliche in ihrer Kommunikations- und Lebenswelt erreichen zu können. Uns begegnen regelmäßig Anfragen von ehrenamtlich Mitarbeitenden und hauptamtlichen Fachkräften, die suchtpräventiv mit jungen Menschen arbeiten und nach zeitgemäßen und innovativen Tools suchen. Mit diesem Praxishandbuch möchten wir praktische Arbeitshilfen, Innovation und Fachwissen von uns, unseren Partnern und weiteren professionellen Anbietern möglichst komprimiert für Akteure in der Suchtprävention zur Verfügung stellen. Wir verstehen dieses Praxisbuch als Einstiegs- und Orientierungshilfe, welches zu mehr Handlungssicherheit führen soll.

    Wir verbinden die analoge mit der digitalen Welt der Suchtprävention. In einer Welt voller Versuchungen und Herausforderungen steht die Suchtprävention vor einem ständigen Kampf. Unsere einzigartige Verschmelzung aus traditioneller Analog- und moderner Digitalprävention eröffnet eine neue Dimension der Präventionsarbeit. Willkommen in einer Welt, in der Prävention nicht nur eine Pflicht, sondern ein Erlebnis ist. Willkommen in der digitalen Suchtprävention in deinem analogen Praxisbuch.

    Autor:innen: Paulina Theelke, Anna Schöneweis, Niko Blug, Benjamin Becker, Liane Duesenberg
    Blaues Kreuz in Deutschland e. V. (Hg.), Wuppertal, 7., aktualisierte Auflage 2024, 122 Seiten, kostenlos bestellbar im Shop auf www.bluprevent.de

  • Fehlzeiten-Report 2024

    Die emotionale Bindung von Beschäftigten an ihr Unternehmen kann vor allem durch das Verhalten der Führungskraft und die individuelle Passung der eigenen Arbeitssituation zu den Bedürfnissen und Wünschen der Beschäftigten positiv beeinflusst werden. Das zeigt eine repräsentative Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) für den Fehlzeiten-Report 2024. Beschäftigte, die eine höhere emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber hatten, waren laut der Befragung auch zufriedener mit ihrer Arbeit, hatten weniger berufliche Fehlzeiten und zeigen eine signifikant geringere Wechselabsicht.

    „Angesichts des aktuellen Fachkräftemangels und vieler offener Stellen wird es für Arbeitgeber zunehmend wichtig, die Bindung ihrer Mitarbeitenden an die eigene Organisation zu stärken“, sagt Johanna Baumgardt, Forschungsbereichsleiterin für Betriebliche Gesundheitsförderung im WIdO und Mitherausgeberin des Fehlzeiten-Reports, zu den Ergebnissen der Befragung. In der Erhebung zeigten sich deutliche Zusammenhänge zwischen einer hohen emotionalen Bindung an den Arbeitgeber einerseits und einer höheren Arbeitszufriedenheit sowie geringeren Wechselabsichten der Befragten andererseits. Insgesamt war laut der Befragung eine eher geringe Wechselabsicht unter den Beschäftigten festzustellen: So gaben nur 6,4 Prozent der Befragten an, weniger als zwölf Monate bei ihrem aktuellen Arbeitgeber bleiben zu wollen. 8,4 Prozent wollen nach eigenen Angaben länger als fünf Jahre bei ihrem jetzigen Arbeitgeber bleiben, 5,1 Prozent länger als zehn Jahre. Der mit Abstand größte Teil der Befragten (57,3 Prozent) antwortete, bis zur Rente bleiben zu wollen.

    Studie bestätigt Zusammenhang zwischen Bindung und Gesundheit

    Als weiteres Ergebnis der Studie zeigte sich, dass emotional stärker an den aktuellen Arbeitgeber gebundene Mitarbeitende seltener krankgeschrieben sind und seltener trotz Erkrankung zur Arbeit gehen. Damit bestätigt der Fehlzeiten-Report den Zusammenhang zwischen höherer Bindung der Beschäftigten an eine Organisation und besserer Gesundheit, der auch in anderen Studien nachgewiesen werden konnte. „Wenn Organisationen ihre Beschäftigten längerfristig binden wollen, sollten sie Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitszufriedenheit und zur Verbesserung der individuellen Passung der Beschäftigten zur eigenen Arbeit ergreifen. Außerdem sollten sie die Führungskompetenzen ihres Leitungspersonals stärken und mit Betrieblicher Gesundheitsförderung in die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden investieren“, so das Fazit von Johanna Baumgardt zu den Befragungsergebnissen.

    In der aktuellen Befragung gaben fast alle Befragten (91,9 Prozent) an, dass der eigene Arbeitgeber Angebote der Betrieblichen Gesundheitsförderung vorhält. Die Hälfte dieser Personen hatte solche Angebote bereits in Anspruch genommen. Für die repräsentative Befragung des Fehlzeiten-Reports 2024 sind insgesamt 2.501 abhängig Beschäftigte von 18 bis 66 Jahren durch das forsa-Institut befragt worden.

    Historische Höchststände bei den Krankschreibungen auch im Jahr 2024

    Die aktuelle Analyse der Krankschreibungen zeigt, dass sich die Krankenstände auch im bisherigen Verlauf des Jahres 2024 weiter auf historisch hohem Niveau bewegen: Der Spitzenwert von 225 Arbeitsunfähigkeitsfällen je 100 erwerbstätige AOK-Mitglieder aus dem vergangenen Jahr ist bereits im Zeitraum von Januar bis August 2024 erreicht worden – und damit schon vor der zu erwartenden Erkältungswelle im Herbst und Winter. „Es ist daher davon auszugehen, dass wir in der Gesamtbilanz für 2024 einen noch höheren Wert sehen werden als 2023“, so die Einschätzung von Johanna Baumgardt. Zum Vergleich: Im Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2021 waren nur knapp 160 Fälle je 100 Mitglieder zu verzeichnen.

    Der wesentliche Treiber dieser Entwicklung sind nach wie vor die Atemwegserkrankungen. „Der Krankenstand liegt höchstwahrscheinlich aufgrund einer erhöhten Empfänglichkeit für Infektionen und aufgrund der neuen, zusätzlichen viralen Erkrankungen der letzten Jahre insgesamt höher“, so die WIdO-Expertin. Es gibt aber auch andere mögliche Gründe: So kann die Einführung der elektronischen Krankmeldungen zu einer vollständigeren Erfassung der AU-Bescheinigungen beigetragen haben. „Es ist zu vermuten, dass vor der Einführung der eAU nicht alle Versicherten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei der Kasse eingereicht haben, sodass wir nun ein vollständigeres Bild haben“, so Baumgardt.

    Stetiger Anstieg und besonders lange Ausfallzeiten bei psychischen Erkrankungen

    Ein langfristig wirkender Faktor für höhere Krankenstände ist laut Report der stetige Anstieg von Fehlzeiten durch psychische Erkrankungen, die besonders lange Krankschreibungen verursachen. So haben die AU-Tage aufgrund psychischer Erkrankungen seit 2014 um knapp 47 Prozent zugenommen (Stand: August 2024). Bei Krankschreibungen wegen Burnout-Erkrankungen war zudem folgender Anstieg festzustellen: von 100 AU-Tagen je 100 erwerbstätige AOK-Mitglieder im Jahr 2014 auf knapp 184 Tage im Jahr 2024 (Stand: August 2024). „Als Ursache vermuten wir ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren – von der Zunahme psychischer Belastungen durch globale Krisen bis zu Veränderungen in der Arbeitswelt wie Verdichtung und Entgrenzung der Arbeit durch ständige Erreichbarkeit.“

    Besonders betroffen von psychischen Erkrankungen waren Berufe im Bereich „Erziehung und Unterricht“ sowie im Gesundheits- und Sozialwesen und in anderen kontaktintensiven Berufen wie der öffentlichen Verwaltung.

    Psychosoziales Klima entscheidend für Bindung von Pflegekräften

    Für die Bindung von Mitarbeitenden in der Pflege ist das sogenannte psychosoziale Sicherheitsklima in der jeweiligen Einrichtung ein besonders wichtiger Faktor. Eine im Fehlzeiten-Report veröffentlichte Studie zeigt, dass ein deutlicher Anteil der befragten Pflegefachkräfte schon einmal über den Wechsel des Arbeitsplatzes (52 Prozent) oder gar über den Ausstieg aus der Pflege (39 Prozent) nachgedacht hat. Für 13 Prozent stellt sich die Frage des Arbeitsplatzwechsels akut, für acht Prozent die Frage des Berufswechsels.

    In Pflegeeinrichtungen, die der Gesundheit der Beschäftigten hohe Priorität einräumen und sich insbesondere um ein gutes Klima in Bezug auf die mentale Gesundheit bemühen, ist die Bereitschaft zum Wechsel und zum Ausstieg laut der Studie nur etwa halb so hoch wie in Einrichtungen mit einem schlechten psychosozialen Sicherheitsklima. Zu den wichtigsten Faktoren für die Bindung der Mitarbeitenden gehörten „Glaubwürdigkeit und Kongruenz des Managements im Umgang mit Fragen der psychischen Gesundheit“, betonte Dr. Antje Ducki, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Berliner Hochschule für Technik (BHT) und Mitherausgeberin des Fehlzeiten-Reports 2024.

    Ein konkretes Beispiel für eine Maßnahme zur Stärkung des psychosozialen Sicherheitsklimas ist das Programm „Care4Care“ zur Betrieblichen Gesundheitsförderung in Pflegeeinrichtungen. Es besteht aus Online-Trainings zur Stärkung der psychischen Gesundheit der Beschäftigten und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Einrichtungen. Diese werden ergänzt durch E-Assessments, E-Coachingangebote und Team-Workshops vor Ort. Das teildigitale Programm Care4Care, das vom AOK-Bundesverband in Kooperation mit der Wissenschaft entwickelt und erprobt worden ist, bietet die Möglichkeit, flexibel auf Umfeldveränderungen zu reagieren und bedarfsgenau Angebote für einzelne Pflegekräfte, ganze Teams und Führungskräfte zur Verfügung zu stellen. Eine wissenschaftliche Evaluation des Programms konnte auch zeigen, dass durch die Nutzung des Programms das psychosoziale Sicherheitsklima verbessert werden konnte, so Prof. Dr. Antje Ducki.

    Originalpublikation:
    Badura/Ducki/Baumgardt/Meyer/Schröder (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2024. Schwerpunkt: Bindung und Gesundheit – Fachkräfte gewinnen und halten. Springer-Verlag Berlin 2024, 737 Seiten.

    Pressestelle des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, 8.10.2024

  • Deutschland fällt bei Lebenserwartung in Westeuropa weiter zurück

    Deutschland gehört in Westeuropa zu den Schlusslichtern bei der Lebenserwartung und verliert weiter an Anschluss. Dies zeigt eine aktuelle Studie von Mitarbeitenden des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, für die Sterblichkeitstrends über mehrere Jahrzehnte untersucht wurden. Betrug der Rückstand Deutschlands auf die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt im restlichen Westeuropa im Jahr 2000 rund 0,7 Jahre, so hat sich der Abstand bis 2022 auf 1,7 Jahre vergrößert.

    „Der Beginn der 2000er Jahre markiert einen Wendepunkt in der Dynamik der Sterblichkeitsentwicklung in Deutschland“, fasst Mitautor Dr. Pavel Grigoriev vom BiB die Ergebnisse zusammen. Seitdem ist die Sterblichkeitslücke zwischen Deutschland und den anderen westeuropäischen Ländern relativ stetig angewachsen.

    Wie aus der Untersuchung hervorgeht, konnte Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 zunächst den Rückstand gegenüber Westdeutschland und Westeuropa erheblich verringern. Hierzu trugen auch massive finanzielle Investitionen in die Gesundheitsversorgung bei. Bis Anfang der 2000er Jahre hatte die Lebenserwartung der Frauen in Ostdeutschland zu Westdeutschland aufgeschlossen und auch gegenüber dem restlichen Westeuropa erheblich aufgeholt. Die Männer in Ostdeutschland konnten zunächst ebenfalls den Abstand gegenüber Westdeutschland und dem restlichen Westeuropa reduzieren. Allerdings ist bei ihnen im Gegensatz zu den Frauen bis heute ein Abstand von rund einem Jahr gegenüber Westdeutschland geblieben.

    Seit der Jahrtausendwende haben jedoch sowohl West- als auch Ostdeutschland gegenüber den anderen Ländern Westeuropas an Boden verloren. Betrug der Rückstand von Deutschland bei der Lebenserwartung der Männer im Jahr 2000 rund 0,7 Jahre, ist dieser bis 2022 auf 1,8 Jahre angestiegen. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den Frauen: Hier vergrößerte sich der Abstand bei der Lebenserwartung von 0,7 Jahren (2000) auf aktuell 1,4 Jahre. Lediglich im ersten Pandemiejahr 2020 wurde bei beiden Geschlechtern eine kurzfristige Annäherung an den westeuropäischen Durchschnitt verzeichnet, da die Corona-sterblichkeit in Deutschland zunächst deutlich geringer ausfiel als in anderen Ländern Westeuropas.

    Lebenserwartung bei Geburt in Jahren nach Geschlecht. Grafik: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

    Nachholbedarf bei Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bei der Tabak- und Alkoholprävention

    Zu dem wachsenden Rückstand Deutschlands in der Lebenserwartung tragen einzelne Altersgruppen in unterschiedlicher Art und Weise bei. Während die Sterblichkeit von Menschen unter 50 Jahren im Rahmen des westeuropäischen Durchschnitts liegt, ist sie bei der Bevölkerung über 65 Jahre deutlich erhöht. Bei den Frauen weisen in Deutschland gerade Personen im Alter ab 75 Jahren eine höhere Sterblichkeit auf als Gleichaltrige im westeuropäischen Ausland. Dagegen tragen bei den Männern insbesondere die Alter zwischen 55 und 74 Jahren zur Lücke bei.

    „Um Deutschlands Rückstand bei der Lebenserwartung zu verringern, müsste die Sterblichkeit insbesondere im höheren Alter reduziert werden“, folgert Mitautor Dr. Sebastian Klüsener, Forschungsdirektor am BiB. Handlungsbedarf scheint gerade bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu bestehen. So weisen internationale Vergleiche auf Aufholbedarf bei der Prävention und der Früherkennung dieser Erkrankungen hin. Ähnliches gilt für die Bereiche Tabak- und Alkoholprävention sowie gesunde Ernährung. „Hier besteht noch einiges Potenzial, um uns für den momentanen Alterungsprozess der Gesellschaft besser aufzustellen“, so Klüsener.

    Originalpublikation:
    Grigoriev, Pavel; Sauerberg, Markus; Jasilionis, Domantas; van Raalte, Alyson; Klüsener, Sebastian (2024): Sterblichkeitsentwicklung in Deutschland im internationalen Kontext. Bundesgesundheitsblatt 67(5): 493–503. https://doi.org/10.1007/s00103-024-03867-9

    Pressestelle des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), 22.5.2024

  • Arbeitsmaßnahmen für Menschen mit Suchterkrankungen in NRW  

    Der „Arbeitskreis der Arbeitsmaßnahmen für Menschen mit Suchterkrankungen in NRW“ hat – unter Federführung der Landesfachstelle berufliche und soziale Integration der Suchtkooperation NRW – die dritte Auflage der Broschüre „Seitenwechsel“ veröffentlicht.

    Alle Träger der dargestellten Projekte halten vielfältige Angebote an Arbeits- und Beschäftigungsmaßnahmen für Bürgergeld beziehende Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen vor. Die Broschüre liefert einen aktuellen Einblick in die Vielfalt der Beschäftigungsprojekte. Die Projekte machen Mut und zeigen auf, wie sich mit Hilfe befähigungsorientierter Angebote die Lebenssituation der Suchtmittel konsumierenden Menschen verbessert. Die Träger leisten mit ihren Angeboten einen ganz wesentlichen Beitrag in der kommunalen Suchthilfelandschaft.

    Die Broschüre können Sie auf der Website der Landesfachstelle herunterladen oder als Druckfassung per Mail bestellen: lfi@lfi.nrw.

    Mitteilung der Landesfachstelle berufliche und soziale Integration der Suchtkooperation NRW, 9.9.2024