Autor: Simone Schwarzer

  • Therapie-Tools: Impact-Techniken im Einzelsetting

    Beltz Verlag, Weinheim 2025, 204 Seiten mit Online-Material, 42,00 €, ISBN 978-3-621-29083-8

    Impact-Techniken sorgen durch kurze, eindrucksvolle Handlungen mit begleitenden Erklärungen für einen Aha-Effekt und bleiben im Gedächtnis. Sie sind grundsätzlich schulenübergreifend und können zu allen Zeitpunkten der Therapie eingesetzt werden. Dieser Therapie-Tools-Band stellt Impact-Techniken aus der Praxis für die Praxis vor. Sie machen sich vorwiegend Alltagsgegenstände zu Nutze und lassen sich daher besonders leicht in den Tagesablauf integrieren: Den Patient:innen begegnen die verwendeten Gegenstände immer wieder, so werden sie vermehrt an die Inhalte der Therapie erinnert.

    Alle Übungen sind transdiagnostisch und therapieschulenübergreifend einsetzbar. Sie werden mit einem einheitlichen Aufbau dargestellt. Es werden alle Sinnesmodalitäten aktiv einbezogen und Handlungsimpulse generiert.

    Das Buch gibt es zusammen mit „Impact-Techniken. 75 Therapiekarten“ zum Sonderpreis.

  • Hörtipp: „Kokain am Strand“

    Ein Beitrag im Deutschlandfunk beleuchtet, wie kleine Häfen in Ostfriesland – sie heißen Bensersiel oder Carolinensiel o.ä. – Ziele des internationalen Kokainschmuggels geworden sind. In Fischerbooten kommen Drogenpakete dort an. Geht eins verloren, stolpern auch mal Urlauber am Strand darüber.

    Ein Beitrag von Vanja Budde, gesendet am 9. September 2025, 18:40 Uhr, in der Rubrik „Hintergrund“

    Hören:
    https://www.deutschlandfunk.de/kokain-am-strand-ostfriesland-und-der-internationale-drogenschmuggel-100.html

    Quelle: Website DLF

  • Welttag: Fetale Alkoholspektrumstörungen

    Der 9. September erinnert weltweit an Kinder, die während der Schwangerschaft Alkohol ausgesetzt waren. Jährlich kommen in der Schweiz über 1.700 Kinder mit Fetalen Alkoholspektrumstörungen (FASD) zur Welt (in Deutschland rund 10.000 Kinder). Die Stiftung Sucht Schweiz schließt sich der Botschaft von Fachpersonen an, bei einer Schwangerschaft gar keinen Alkohol zu trinken, und präsentiert Erkenntnisse ihrer Studie zu den online verfügbaren Informationen über Schwangerschaft und Alkohol.

    Werdende Mütter finden im Internet zahlreiche verlässliche Informationen zum Thema Schwangerschaft und Alkohol. Wie eine neue Untersuchung (in Französisch) von Sucht Schweiz zeigt, ist die Botschaft „kein Alkohol während der Schwangerschaft” im digitalen Raum weit verbreitet. Gleichzeitig finden sich aber widersprüchliche Angaben oder Diskussionen, die das Thema bagatellisieren – in seltenen Fällen sehr problematische Inhalte wie Witze über alkoholbedingte Schädigungen beim Kind. Die in vier Sprachen (D/F/I/E) untersuchten Informationswebsites, Diskussionsforen, Facebook-Gruppen, YouTube-Videos und sozialen Netzwerke ergeben ein sehr heterogenes Bild, das für Ratsuchende verwirrend sein kann.

    Kein Alkoholkonsum während der Schwangerschaft

    Anlässlich des Welttags zur Fetalen Alkoholspektrumstörung vom 9. September erinnert Sucht Schweiz an die Empfehlung, keinen Alkohol während oder bei einer geplanten Schwangerschaft zu trinken. Zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft kann Alkohol ein Gesundheitsrisiko für das werdende Kind darstellen. Keinen Alkohol zu trinken, ist daher die sicherste Haltung.

    In der Schweiz kommen jährlich über 1.700 Kinder mit Fetalen Alkoholspektrumstörungen (FASD) zur Welt. Diese können u. a. zu Gedächtnis- und Lernproblemen, psycho-motorischen Störungen, Schwierigkeiten beim Sprachverständnis oder in sozialen Beziehungen führen. Schwere Formen von FASD erfordern oft eine individuelle Betreuung bei den täglichen Aufgaben.

    Die Fülle an unterschiedlichen, z. T. veralteten und falschen Informationen im Internet ist problematisch, weil sie den spezifischen Bedürfnissen der Frauen nur unzureichend gerecht wird. Zum einen suchen manche Frauen im Nachhinein nach beruhigenden Botschaften, wenn sie ohne Kenntnis ihrer Schwangerschaft getrunken haben. Sie finden online Aussagen von anderen, die darin kein Risiko sehen, wie auch solche, die das Schlimmste prophezeien. Weitgehend unsichtbar sind Frauen mit problematischem oder abhängigem Konsum, denen es schwerfällt, während der Schwangerschaft das Trinken einzustellen. Sie finden kaum Anlaufstellen in ihrer Wohnregion oder andere Ressourcen, welche die Risiken minimieren könnten.

    Schweiz mit großem Nachholbedarf

    Sucht Schweiz setzt sich dafür ein, dass verlässliche Informationen zum Thema sichtbarer werden und Hilfsangebote in der Schweiz besser aufgefunden werden. Dafür liefert die aktuelle Untersuchung zu den online verfügbaren Informationen über Schwangerschaft und Alkohol wichtige Grundlagen.

    Die Prävention von FASD, die Früherkennung und die Unterstützung von Betroffenen und ihren Familien sind in der Schweiz zurzeit ungenügend. Es ist wichtig, diese Lücken zu schließen. Ein laufendes Projekt von Sucht Schweiz zielt auf eine Prävention ab, die auch jene Personen erreicht, die am stärksten gefährdet sind, Abstinenzempfehlungen während der Schwangerschaft zu ignorieren.

    Weiterführende Links:

    Pressemitteilung von Sucht Schweiz, 8.9.2025

  • Rigide Vorgabe der Suchtmittelfreiheit in der Psychotherapie streichen!

    Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) kritisiert den jüngsten Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), der Patient:innen mit Abhängigkeitserkrankungen mit 24 statt wie bisher zehn Behandlungsstunden künftig ein längeres Zeitfenster einräumt, um im Verlauf ihrer Psychotherapie Suchtmittelfreiheit zu erreichen. „Die starre Forderung nach Abstinenz als Voraussetzung für eine psychotherapeutische Behandlung muss grundsätzlich abgeschafft werden“, sagt BPtK-Präsidentin Dr. Andrea Benecke. „Sie entspricht seit langem nicht mehr dem Stand der Wissenschaft und blockiert gerade für Patient:innen mit schweren Abhängigkeitserkrankungen den Zugang zu dringend notwendiger Hilfe.“

    Gemäß internationalen wie nationalen Leitlinien für die Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen sind neben einer vollständigen Abstinenz auch kontrollierter Konsum und Harm-Reduction-Ansätze geeignete Behandlungsziele. „Die Versorgungsrealität zeigt, dass viele Betroffene sich zunächst nicht für die Abstinenz entscheiden können oder wollen. Ihnen deshalb eine Psychotherapie zu verwehren, ist fachlich nicht haltbar“, betont BPtK-Vorstandsmitglied Wolfgang Schreck.

    Die bestehende Abstinenzregel führt seit Jahren dazu, dass Patient:innen mit Abhängigkeitserkrankungen, die ohnehin unter erheblichen Zugangsbarrieren leiden, systematisch von der Versorgung ausgeschlossen werden. „Menschen mit Suchterkrankungen erleben oft Scham, Stigmatisierung und vielfältige soziale Probleme“, so Benecke. „Gerade diese Menschen brauchen einen unkomplizierten Zugang zu psychotherapeutischer Hilfe.“

    Die strikte Abstinenzregel konterkariert die Bestrebungen des Gesetzgebers, für schwer psychisch erkrankte Patient:innen ein ambulant-intensives, multiprofessionelles Versorgungsangebot auf den Weg zu bringen. Die Richtlinie zur koordinierten und strukturierten Versorgung psychisch kranker Menschen (KSVPsych-RL) soll eine ambulante Komplexbehandlung auch für schwer abhängigkeitserkrankte Patient:innen ermöglichen. Auch die seit Februar geltende neue Ermächtigungsregel in der Ärzte-Zulassungsverordnung soll erweiterte Möglichkeiten der Versorgung von Patient:innen mit schweren Abhängigkeitserkrankungen schaffen. Die psychotherapeutische Mitbehandlung wird durch die fortbestehenden Vorgaben der Psychotherapie-Richtlinie jedoch massiv eingeschränkt. „Wenn der G-BA in diesen Strukturen weiter an der Abstinenz festhält, sabotiert er die Reformen des Gesetzgebers“, so Schreck.

    Patient:innen mit Suchterkrankungen brauchen vor allem einen niedrigschwelligen Zugang zur Psychotherapie. „Wir benötigen flexible, individuelle Behandlungsziele, die sich an den Lebenslagen und Krankheitsphasen der Patient:innen orientieren, und somit eine vollständige Streichung der Abstinenzregel“, betont Benecke. „Nur so schaffen wir eine Versorgung, die Vertrauen schafft, statt Barrieren zu errichten.“

    Pressemitteilung der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), 21.8.2025

  • Richtlinien-Psychotherapie bei Abhängigkeitserkrankungen

    Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat seine Regelungen zur Suchtmittelfreiheit als Voraussetzung für eine ambulante Psychotherapie angepasst: Bei einer durch psychotrope Substanzen wie Alkohol oder Medikamente (z. B. Benzodiazepin) verursachten Abhängigkeitserkrankung kann eine Psychotherapie künftig bis zu zwölf Behandlungsstunden umfassen, um eine Suchtmittelfreiheit bzw. Abstinenz zu erreichen. Bisher waren maximal zehn Behandlungsstunden möglich. Neu hinzukommt: Weitere zwölf Behandlungsstunden sind möglich, wenn die Suchtmittelfreiheit bis zu diesem Zeitpunkt zwar nicht erreicht, dieses Therapieziel aber weiter realistisch ist und konkrete therapeutische Schritte zum Erreichen dieses Ziels vereinbart wurden. Den entsprechenden Beschluss zur Änderung der Psychotherapie-Richtlinie hat der G-BA in seiner Plenumssitzung vom 21. August gefasst. Die Anpassungen bauen auf aktuellen Empfehlungen aus medizinischen S3-Leitlinien auf.

    Vor dem Hintergrund der Legalisierung von Cannabis wird künftig außerdem in der Richtlinie beim Anwendungsbereich „Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ auf die in Klammern hinzugefügte Erläuterung „Alkohol, Medikamente und Drogen“ verzichtet, weil dies Fragen hinsichtlich der Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Drogen aufgeworfen hatte. Der G-BA stellt klar, dass von dem Anwendungsbereich alle psychotropen Substanzen außer Tabak, Nikotin und Koffein umfasst sind.

    Dr. med. Bernhard van Treeck, unparteiisches Mitglied des G-BA und Vorsitzender des Unterausschusses Psychotherapie und psychiatrische Versorgung:
    „Nicht für jedes Stadium einer Abhängigkeitserkrankung ist die Richtlinien-Psychotherapie geeignet. Fortgesetzter Suchtmittelkonsum kann den Erfolg einer Psychotherapie erschweren oder ganz verhindern. Für Menschen mit einer Suchterkrankung gibt es daher in Deutschland eine Vielzahl von unterschiedlichen bedarfsgerechten Hilfsangeboten, Behandlungen und Leistungen. Bei schwerer Abhängigkeit ist oft eine vorhergehende stationäre Entzugsbehandlung unumgänglich und danach eine ambulante, ganztägig ambulante oder stationäre Entwöhnungsbehandlung, in der Suchttherapeutinnen und -therapeuten psychotherapeutische Hilfe anbieten. Neben Selbsthilfegruppen ist die ambulante Richtlinien-Psychotherapie ein weiterer möglicher Baustein der Behandlung. Sie kann Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung unterstützen, dauerhaft vom Suchtmittel loszukommen.

    Der heutige Beschluss ermöglicht den behandelnden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, flexibler auf den individuellen Bedarf dieser Betroffenen einzugehen. Wenn mit Hilfe der Kurzzeittherapie keine Suchtmittelfreiheit erreicht werden konnte, muss die Patientin oder der Patient zu alternativen Behandlungsmöglichkeiten wie Entzugs- oder Entwöhnungsbehandlung und auch darüber informiert werden, dass es möglicherweise sinnvoll sein kann, nach Erreichen der Abstinenz die ambulante Psychotherapie wieder aufzunehmen.“

    Der Beschluss zur Änderung der Psychotherapie-Richtlinie wird zunächst dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zur rechtlichen Prüfung vorgelegt. Er tritt nach Nichtbeanstandung durch das BMG und Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.

    Hintergrund: Ambulante Psychotherapie

    Gesetzlich Versicherte haben bei einer psychischen Erkrankung Anspruch auf eine psychotherapeutische Behandlung. Welche psychotherapeutischen Verfahren und Methoden zum ambulanten Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen sie in Anspruch genommen werden können, legt der G-BA in der Psychotherapie-Richtlinie fest.

    Nähere Informationen auf der Website des G-BA: Ambulante Psychotherapie

    Beschluss zu dieser Pressemitteilung: Psychotherapie-Richtlinie: Anpassung in § 27

    Pressemitteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), 21.8.2025

  • BAG Wohnungslosenhilfe veröffentlicht Statistikbericht – Berichtsjahr 2023

    Die BAG Wohnungslosenhilfe (BAG W) hat am 21. August ihre jährlichen Zahlen und Analysen zur Lage wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen veröffentlicht. Der Bericht gibt Aufschluss über die Situation der Klient:innen der freiverbandlichen Wohnungsnotfallhilfe und offenbart einen besorgniserregenden Trend: 13 Prozent aller Klient:innen sind erwerbstätig. Beunruhigend ist auch der anhaltend hohe Anteil von Familien in der Wohnungsnotfallhilfe: elf Prozent aller erfassten Personen leben 2023 mit mindestens einem Kind im Haushalt. Diese Zahlen zeigen, dass Wohnungsnot weitreichende Folgen für Bildung und gesellschaftliche Teilhabe hat.

    Risikofaktor Migration

    Aus dem Bericht geht außerdem hervor, dass insbesondere Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit stark von Wohnungsnot betroffen sind. Im Berichtsjahr verfügen gut 38 Prozent aller Klient:innen der Wohnungsnotfallhilfe über keine deutsche Staatsangehörigkeit – ein neuer Höchststand.

    Auffällig ist, dass 20 Prozent der nicht-deutschen Klient:innen trotz Erwerbstätigkeit weiterhin in Wohnungsnot leben. Unter den nicht-deutschen Klient:innen finden sich auch häufiger Familien (18 Prozent). Betrachtet man nur die Gruppe der nicht-deutschen Frauen, zeigt sich, dass fast ein Viertel (24 Prozent) allein mit den Kindern lebt. Insgesamt haben 48 Prozent aller weiblichen Klientinnen einen Migrationshintergrund. Auch beim Zugang zur gesundheitlichen Versorgung zeigen sich gravierende Lücken: Im Jahr 2023 verfügten rund 17 Prozent der nicht-deutschen Klient:innen über keinerlei Krankenversicherungsschutz. Bei Unionsbürger:innen liegt dieser Anteil sogar bei 27,5 Prozent.

    „Wir sehen, dass fehlende Anerkennung ausländischer Abschlüsse, Sprachbarrieren und ein eingeschränkter Zugang zu Sozialleistungen vielfach zu prekären, teils ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen führen, die den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum zusätzlich erschweren. Dadurch wirkt Migration zunehmend als eigenständiger Risikofaktor für Wohnungsnot“, erklärt Joachim Krauß, Fachreferent für Migration bei der BAG W.

    Anstieg von Menschen in absoluter Armut

    Allgemeine Daten des Statistikberichts zeigen weitere wichtige Entwicklungen: Fast drei Viertel der erfassten Klient:innen sind zum Zeitpunkt der Hilfe von Wohnungslosigkeit betroffen – und verfügen somit nicht über abgesicherten Wohnraum. Von ihnen lebt knapp die Hälfte bei Familie, Partner:in oder Bekannten (47,5 Prozent). Diese Beobachtung deckt sich mit Praxiserfahrungen: Viele betroffene Menschen versuchen zunächst, aus eigener Kraft eine Lösung zu finden. Ansteigend seit 2013 lebt nunmehr über ein Drittel in absoluter Armut. Das bedeutet, dass diese Menschen keinerlei finanzielle Unterstützung erhalten. Bei den unter 25-Jährigen akut wohnungslosen Personen betrifft dies sogar 45 Prozent, die über kein eigenes Einkommen verfügen.

    Wohnungslosigkeit hat viele Gesichter – Was folgt daraus?

    Die BAG W fordert einen deutlichen Ausbau des sozialen Wohnraums, um Wohnungslosigkeit wirksam bekämpfen zu können. Zudem braucht es einen stärkeren Fokus auf präventive Maßnahmen, um Wohnungsverlust frühzeitig zu verhindern. Ein zentraler Punkt ist außerdem der uneingeschränkte Zugang zu Hilfen, der unabhängig vom Aufenthaltsstatus der betroffenen Personen gewährleistet sein muss.

    „Wir brauchen gezielte, migrationssensible Angebote in der Wohnungslosenhilfe und einen diskriminierungsfreien Zugang zum regulären Wohnungsmarkt“, fordert Susanne Hahmann, Vorsitzende der BAG W. „Aber das allein reicht nicht. Solange es in Deutschland keinen ausreichenden Bestand an bezahlbarem Wohnraum gibt, wird es auch keine wirksame Bekämpfung von Wohnungslosigkeit geben.“

    „Wir müssen uns bewusst machen, was Wohnungslosigkeit für jede einzelne Person bedeutet: den Verlust von Privatsphäre, Stabilität, Sicherheit und Geborgenheit. Wenn wir bedenken, dass auch Kinder davon betroffen sind, müssen wir uns fragen, ob wir als Gesellschaft diesen Zustand wirklich akzeptieren wollen“, so Sarah Lotties, Fachreferentin der BAG W.

    Der Statistikbericht der BAG W
    Die BAG W veröffentlicht einmal jährlich eine Statistik zur Lebenslage wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen. Sie gibt einen Überblick über ihre Situation und stützt sich für das Jahr 2023 auf mehr als 43.000 anonymisierte Datensätze aus 237 Einrichtungen.

    Zum vollständigen Statistikbericht gelangen Sie hier.

    Pressemitteilung der BAG W, 21.8.2025

  • Wenn der innere Dino brüllt

    Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2025, 87 Seiten, 25,00 €, ISBN 9783863217433

    Wenn sein innerer Dino brüllt, verhält sich Mika anders als andere Kinder. Er wird besonders wütend oder auffallend still. Die Erwachsenen sagen: „Das ist doch nicht normal!“ Aber Mikas Verhalten ist eine „normale Reaktion“ auf eine „nicht normale Situation“ – ein Trauma. Um zu verstehen, was in Mika vorgeht, kann man sich im Kopf jedes Menschen ein inneres Haus vorstellen. Darin wohnen drei Tiere: die kluge Eule auf dem Dachboden, die hellwache Katze als Chefin im Erdgeschoss und der alte schläfrige Dino im Keller. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass Erlebnisse im Gehirn korrekt eingeordnet und abgespeichert werden. In Mikas Fall geschah vor einiger Zeit jedoch etwas, das ihr friedliches Zusammenleben ganz schön durcheinandergewirbelt hat.

    In diesem Buch können Kinder und Erwachsene anhand von Dino, Katze, Eule und dem inneren Haus die Funktionsweise des Gehirns nachvollziehen. Neben einer theoretischen Einordnung des Traumas werden Tipps und Tricks vorgestellt, die bei der Verarbeitung helfen. Das Buch richtet sich an Kinder, Angehörige, Erzieher:innen, Lehrer:innen und andere Fachkräfte, die Kinder nach einer traumatischen Lebenserfahrung dabei unterstützen wollen, sich selbst besser zu verstehen und wieder zur Ruhe zu kommen.

    Für Kinder ab 4 Jahren

  • Mehr graue Zellen durch Psychotherapie

    Psychotherapie führt zu messbaren Veränderungen der Hirnstruktur. Das haben Forschende der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Universität Münster erstmals in einer Studie am Beispiel der kognitiven Verhaltenstherapie nachgewiesen. Die Arbeit erschien im Fachjournal „Translational Psychiatry“. Hierfür untersuchte das Team die Gehirne von 30 Patientinnen und Patienten mit einer akuten Depression. Die meisten davon zeigten nach der Therapie Veränderungen in Bereichen, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig sind. Die beobachteten Effekte ähneln denen, die bereits aus Studien zu Medikamenten bekannt sind.

    Funktionelle und strukturelle Veränderungen im Gehirn

    Weltweit sind rund 280 Millionen Menschen von einer schweren Depression betroffen. Dabei kommt es zu Veränderungen der Hirnmasse des vorderen Hippocampus und der Amygdala – beide Areale sind Teil des limbischen Systems und vorwiegend für die Verarbeitung und Kontrolle von Emotionen verantwortlich. Eine in der Psychotherapie etablierte Behandlungsmethode ist die kognitive Verhaltenstherapie. „Die kognitive Verhaltenstherapie bewirkt eine positive Veränderung der Denkmuster, Emotionen und Verhaltensweisen. Wir gehen davon aus, dass dieser Prozess auch mit funktionellen und strukturellen Veränderungen im Gehirn verbunden ist. Für Therapien mit Medikamenten oder Elektrostimulationen ist dieser Effekt bereits nachgewiesen, für die Psychotherapie allgemein bislang jedoch nicht valide“, sagt Prof. Dr. Dr. Ronny Redlich, Leiter der Abteilung Biologische und Klinische Psychologie an der MLU.

    Nachweis mit MRT

    Dieser Nachweis ist den Forschenden der MLU und der Universität Münster nun gelungen – in einer umfangreichen Studie mit 30 an einer akuten Depression leidenden Menschen. Die Gehirne der Betroffenen wurden vor und nach 20 Sitzungen einer Verhaltenstherapie mit der strukturellen Magnetresonanztomographie (MRT) untersucht. „MRT-Aufnahmen liefern Informationen über Form, Größe und Lage von Gewebe“, erklärt die Psychologin Esther Zwiky von der MLU. Zusätzlich zu den MRT-Aufnahmen wurden klinische Interviews geführt, um die Symptome der Erkrankung, etwa Schwierigkeiten beim Identifizieren und Beschreiben von Gefühlen, zu analysieren. Außerdem nahmen zu Vergleichszwecken 30 gesunde Kontrollpersonen an der Studie teil, die keine Therapie durchliefen.

    Die Ergebnisse der Studie sind deutlich: 19 von 30 Patientinnen und Patienten hatten nach der Therapie kaum noch eine akute depressive Symptomatik. Erstmals haben die Forschenden auch konkrete anatomische Veränderungen dokumentiert. „Wir haben eine deutliche Zunahme des Volumens grauer Hirnmasse in der linken Amygdala und im vorderen rechten Hippocampus festgestellt“, sagt Esther Zwiky. Die Forschenden sehen hier einen klaren Zusammenhang mit den Symptomen: Personen mit höherem Zuwachs grauer Hirnmasse in der Amygdala zeigten auch einen stärkeren Rückgang ihrer Gefühlsstörungen.

    Psychotherapie ist gleichwertige Alternative zu Medikamenten oder Elektrostimulationen

    „Dass die kognitive Verhaltenstherapie wirkt, war bereits bekannt. Jetzt haben wir erstmals einen validen Biomarker für den Effekt von Psychotherapie auf die Hirnstruktur. Einfacher ausgedrückt: Psychotherapie verändert das Gehirn“, erklärt Ronny Redlich. Redlich betont, dass es keine grundsätzlich bessere oder schlechtere Therapie gibt – bei manchen Menschen schlagen Medikamente besser an, bei anderen funktionieren Elektrostimulationen sehr gut, dritten wiederum hilft Psychotherapie am besten. „Umso erfreulicher ist, dass wir durch unsere Studie zeigen konnten, dass Psychotherapie auch aus medizinisch-naturwissenschaftlicher Sicht eine gleichwertige Alternative ist“, so Redlich.

    Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) und dem Land Sachsen-Anhalt gefördert.

    Originalpublikation:
    Studie: Zwiky E. et al. Limbic gray matter increases in response to cognitive behavioural therapy in major depressive disordner. Translational Psychiatry (2025). doi: 10.1038/s41398-025-03545-7

    Pressestelle der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 27.8.2025

  • Angehörigenarbeit in der Suchthilfe – ein ParadigmenwechselTeil 2: Angehörigenzentrierte Hilfen im Fokus

    Angehörigenarbeit in der Suchthilfe – ein Paradigmenwechsel
    Teil 2: Angehörigenzentrierte Hilfen im Fokus

    Jens Flassbeck

    Im ersten Teil dieses Artikels Angehörigenarbeit in der Suchthilfe wurde unter den Schlagwörtern Zuwendung, Würdigung und Solidarität dargestellt, dass Angehörige von suchtkranken Personen durch die Suchthilfe wenig Beachtung finden, weil sie als Mit-Betroffene marginalisiert werden. Die Belastungen und Übergriffigkeiten, denen sie in Fällen von uneinsichtiger, chronifizierter Sucht eines Familienmitglieds langfristig ausgesetzt sind, werden lediglich als Stress bagatellisiert. Infolgedessen werden in der Suchthilfe heute überwiegend Methoden der Mit-Behandlung eingesetzt, z. B. per Paartherapie (ABCT, McCrady et al., 2016) oder nach CRAFT (Smith & Meyers, 2013). Gesetzt den Fall, dass  die Angehörigen erwachsen und psychisch stabil sind und die suchtkranken Personen im Ansatz problembewusst und veränderungsbereit sind, sind Methoden der Mit-Behandlung sinnvoll und ausreichend.

    Völlig anders verhält es sich, wenn die Sucht chronifiziert ist, die Suchtbetroffenen uneinsichtig sind und die Angehörigen Übergriffigkeiten ausgesetzt sind. Sofern Angehörige darüber psychische Probleme und Störungen entwickeln, was häufig der Fall ist, wie die wissenschaftliche Befundlage aufzeigt (Klein, 2005; Zobel, 2006; Flassbeck & Barth, 2020; Klein & Moesgen, 2025), benötigen sie angehörigenzentrierte Hilfen. Als angehörigenzentriert werden Formen der Unterstützung bewertet, in denen nicht die Suchtbetroffenen, sondern allein die Angehörigen im Fokus der Zuwendung stehen. Auf der Sichtung von fachlich und wissenschaftlich fundierten Konzepten für Angehörige in Selbsthilfe, Beratung und Therapie soll in diesem zweiten Teil das Augenmerk liegen. Die Hilfeansätze basieren auf den im ersten Teil vorgestellten umfangreichen Modellen der Angehörigenproblematik bei Suchterkrankungen.

    AWOKADO-Konzept und Musiktherapie

    Barnowski-Geiser hat aus ihrer Forschung zur Problematik von erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien ein Behandlungskonzept abgeleitet (2007), welches aus zwei Teilen besteht. Das AWOKADO-Konzept zum einen wurde auf Basis der Leibtherapie entwickelt und enthält sieben Hilfefaktoren (S. 192 – 226), die der sanften Annäherung und Entlastung dienen: Achtsamkeit, Würdigung, Orientierung, Kreativität, Ausdruck, De-Parenting und Öffnung. Die Hilfefaktoren ergeben einen methodischen Leitfaden, den Betroffenen zu begegnen, und sie sind Orientierung für die Betroffenen, einen hilfreichen Selbstkontakt zu entwickeln. Die Beziehungsgestaltung mittels AWOKADO ist zum anderen die Basis für den Einsatz von musiktherapeutischer und intermedialer Methodik (S. 227 – 269). Barnowski-Geiser schreibt dazu (S. 227): „Diese sollen einen Zugang zur Innenwelt ermöglichen, um Verschüttetes, Bedrückendes von innen nach außen fließen zu lassen, zugleich aber auch genügend Sicherheit und Stabilität vermitteln.“ Erwähnenswert ist ferner ein Buch ebendieser Autorin über Krankheitsscham (2022), welches auch die komplexe Schamproblematik von Angehörigen und Möglichkeiten der Intervention behandelt.

    Psychotherapeutisches Programm bei komplexen Traumafolgestörungen

    2020 haben die Verhaltenstherapeut:innen Flassbeck & Barth ein psychotherapeutisches Programm der Behandlung komplexer Traumafolgestörungen von erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien publiziert. Sie zeigen auf, wie Standardmethodik – z. B. Angstexposition, kognitive Verhaltenstherapie oder traumafokussierte Methodik – in Bezug auf den speziellen Bedarf dieser herausfordernden Klientel eingesetzt werden kann. Aufgrund der hohen Erlebens- und Selbstvermeidung wird ein besonderer Schwerpunkt auf erlebensaktivierende und emotionsfokussierte Methodik sowie Methoden der Beziehungsgestaltung gelegt. Diesbezüglich werden humanistische und tiefenpsychologische Interventionsformen integriert.

    Ferner liefern Flassbeck & Barth Konzepte für Anamnese, Diagnostik und Analyse des Suchttraumas. Das Programm bildete in Rheinland-Pfalz – in Kooperation mit der dortigen Suchtpräventionsstelle des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung – die konzeptionelle Grundlage für die angehörigenzentrierte Weiterbildung eines Netzwerkes aus Suchtberatungs- und Suchtpräventionsstellen in den Jahren 2021 und 2022. Darüber hinaus wurde eine landesweite angehörigenzentrierte Supervision etabliert und eine präventive Broschüre zu den „stillen Mädchen“ mit komplexen, internalisierenden Traumafolgestörungen erstellt: Erkennen, erreichen, ermöglichen (LSJV RLP, 2020).

    Entlastungstraining ETAPPE

    Das Entlastungstraining ETAPPE für Angehörige problematischer und pathologischer Glücksspieler ist ein wissenschaftlich evaluiertes Gruppenmanual (Buchner et al., 2013), welches sich an Berater:innen in Suchtberatungsstellen richtet. Durch das Programm werden Angehörige praktisch in Stressbewältigung und Kommunikation geschult, damit sie eigene Strategien im Umgang mit der schwierigen Situation entwickeln können. Weitere Inhalte sind die Aufklärung über das Störungsbild und diesbezügliche Behandlungsmöglichkeiten, die persönlichen Grenzen in der Verantwortungsübernahme und Informationen rund um den Themenkomplex Recht, Geld und Schulden. Nach dem Durchlaufen des Gruppentrainings ist eine eventuelle Nachbegleitung vorgesehen, z. B. in Form von Einzelberatung oder einer Selbsthilfegruppe, damit die Entwicklungen ausgebaut oder gefestigt werden können. Ist ETAPPE angehörigenzentriert? Obgleich die Methodik von ETAPPE der von CRAFT (Smith & Meyers, 2013) ähnelt, stehen – anders als bei CRAFT – die Angehörigen eindeutig im Fokus der Bemühungen. Ein Aspekt ist allerdings als suchtzentriert zu kritisieren: Das Programm macht sich von der Suchtform (problematisches und pathologisches Glücksspiel) abhängig. Das Gruppentraining kann nach Überzeugung des Autors mit kleinen Anpassungen ebenfalls für Angehörige von Personen mit anderen Suchtproblematiken eingesetzt werden.

    Zwei Programme für Kinder aus suchtbelasteten Familien

    Das Methodenhandbuch von Oswald & Meeß (2018) ist das Resultat des saarländischen Projektes Wiesel. Im Rahmen von Wiesel wird ein umfassendes Programm durchgeführt mit Gruppenstunden für betroffene Kinder, Einzel- und Fallberatungen in Bezug auf die Familien sowie Schulungen für Fachkräfte und Öffentlichkeitsarbeit. Das Methodenhandbuch bietet eine Fülle an präventiven und therapeutischen Interventionsformen und Materialien. Es werden Methoden zu folgenden Themenkomplexen konkret und detailliert vorgestellt: Selbstwahrnehmung, Gefühle, Körper, Biografie, Familie und Sucht. Auch Methoden der Elternarbeit werden anwendungsbezogen erläutert.

    FitKids ist ebenfalls ein kinder-, familien- und netzwerkorientiertes Beratungsprogramm (Groß, 2024), welches die Förderung des gesunden und altersentsprechenden Aufwachsens von Kindern suchtkranker Eltern zum Ziel hat. FitKids beinhaltet ein mehrjähriges, zertifiziertes Coaching- und Fortbildungsprogramm für Suchtberatungsstellen. Dieses hat zwei Schwerpunkte: erstens die Entwicklung einer Netzwerkorientierung und zweitens das Erlernen von Handlungskompetenzen, um mit suchtkranken Eltern und deren Kindern zu arbeiten und in Kooperation mit anderen Stellen bedarfsgerecht intervenieren zu können. FitKids ist in Deutschland mittlerweile weit verbreitet und gut evaluiert (Hower et al., 2019).

    Ein Hinweis an dieser Stelle: Häufig werden Gruppenprogramme wie z. B. Trampolin (Klein et al., 2013) im Umfang von ca. zehn Treffen für Kinder aus Suchtfamilien angeboten. Solche Angebote sind als Prävention zu begrüßen, therapeutisch jedoch in Anbetracht der zum Teil schweren Traumafolgestörungen der Kinder ungenügend. Dies wird bei Wiesel und FitKids berücksichtigt, beide Programme decken flexibel das gesamte Spektrum zwischen Prävention und Therapie ab.

    Der „Erfahrungsweitergeber“

    2023 hat der Elternselbsthilfeverein ARWED aus NRW in Zusammenarbeit mit der Christiane F. Foundation einen sogenannten Erfahrungsweitergeber veröffentlicht. In dem Projekt berichten Eltern von ihren Erlebnissen im Verlauf der Drogensucht der Kinder und erzählen, was sie als hilfreich empfunden haben. Weiterhin haben Jugendliche mit Konsumerfahrungen sowie ehemals Drogensüchtige der Christiane F. Foundation mit ihren Erkenntnissen aus der Reflexion ihres Wegs durch die Sucht zu diesem Buch beigetragen. Der Suchtprozess und – parallel dazu – der Prozess der Eltern, mit der Sucht der eigenen Kinder konfrontiert zu sein und dazu handelnd Stellung zu beziehen, werden, unterteilt in fünf Phasen, nebeneinandergestellt. Derart zeigen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Betroffenheit der abhängigkeitserkrankten erwachsenen Kinder und der belasteten Eltern. Der Erfahrungsweitergeber arbeitet das familiäre Aufeinander-bezogen-Sein differenziert und erfahrbar heraus. Er motiviert und leitet betroffene Eltern an, sich auf einen eigenen Entwicklungsprozess einzulassen, unabhängig davon, welchen Weg die Kinder einschlagen.

    Selbsthilfe- und Beratungskonzept „Ich will mein Leben zurück!“

    Der von Flassbeck 2014 veröffentlichte Ratgeber Ich will mein Leben zurück! richtet sich an erwachsene Kinder, Partner, Eltern und Geschwister von Suchtkranken (2023). Das Selbsthilfe- und Beratungskonzept ist aus verhaltenstherapeutischer und personenzentrierter Standardmethodik abgeleitet, z. B. Aufbau positiver Aktivitäten, kognitive Umstrukturierung oder erlebensaktivierende und emotionsfokussierte Interventionsformen. Insgesamt beinhaltet es 21 thematische Module, die sowohl in inhaltlich strukturierten als auch thematisch offenen Gruppen genutzt werden können. Das Leben-zurück-Konzept wurde im wissenschaftlichen Projekt AngehörigenNetzwerk der Universität Hildesheim unter verschiedenen Konzepten ausgewählt und in den Jahren 2015 bis 2017   erfolgreich erprobt, um an zwei Standorten in Deutschland Selbsthilfegruppen aufzubauen. Nach Kenntnis des Autors wird das Leben-zurück-Konzept bundesweit von Selbsthilfegruppen und -vereinen genutzt.

    Ratgeber „Vater, Mutter, Sucht“

    Das AWOKADO-Behandlungskonzept hat Barnowski-Geiser 2011 in dem Ratgeber Vater, Mutter, Sucht als Beratungs- und Selbsthilfe-Konzept umgesetzt (2024). Besonders gelungen ist ihr dabei, wie sie Metaphern einsetzt, um die übermäßige Verantwortungsübernahme und andere Bewältigungsmuster, aber auch die Ressourcen, erfahrbar zu machen. So nutzt sie bekannte Figuren aus Büchern und Filmen mit ihren jeweiligen Charakterisierungen, um die Bewältigungsmuster von erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien zu verdeutlichen: Pippi Langstrumpf, Superman, Miss Marple, Robin Hood, Mary Poppins, Mutter Teresa, Otto und Mowgli nennt sie diese Muster.

    Selbsthilfe-Ratgeber „Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit“

    Der Selbsthilfe-Ratgeber von Woititz für erwachsene Kinder aus Suchtfamilien ist aus dem Jahre 1985, aber er ist immer noch aktuell (2014). Der Titel ist vielsagend: Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit. Wie erwachsene Kinder von Suchtkranken Nähe zulassen können. Das Konzept von Woititz ist besonders für die Anleitung von Selbsthilfegruppen geeignet, um sich im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe zu begegnen. Bindungstraumata können zur Sprache gebracht und darüber abgemildert werden. Der Ratgeber behandelt die üblichen Problemstellungen von erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien: Ängste, Scham und Schuld, Bindung, Verletzlichkeit, Ärger, Vertrauen, Grenzen, Kontrolle und einige mehr. Außerdem hinterfragt die Autorin auf konfrontative und liebevolle Weise – in der englischen Sprache wird dies als tough love benannt – die idealistischen, aber überfordernden Vorstellungen der Betroffenen im Hinblick auf sich selbst und in Bezug auf Beziehungen.

    Fazit

    In Teil 1 und Teil 2 dieses Artikels über einen nach Überzeugung des Autors notwendigen Paradigmenwechsel in der Angehörigenarbeit in der Suchthilfe wurde ausgeführt, dass es eine ausreichende Anzahl an Fachkonzepten über die vielschichtige Betroffenheit der Angehörigen von suchtkranken Personen gibt. Zudem liegen längst Programme bezüglich Selbsthilfe, Prävention, Beratung und Therapie vor, um den Angehörigen tatkräftig, wirkungsvoll und unabhängig von den suchtkranken Personen – Unabhängigkeit ist das oberste Ziel bei (co-)abhängigen Problemen – helfen zu können. Der Autor würde sich diesbezüglich mehr synergetische Verzahnung von Praxis und Forschung wünschen.

    Gleichgültig, in welchem Rahmen wir Angehörigen begegnen, stets geht es darum, sich ihnen solidarisch zuzuwenden, sie in ihrem individuellen Hilfebedarf zu respektieren und sie als eigene und einzigartige Person vollumfänglich und bedingungslos anzuerkennen. Für Personen mit Suchtproblemen sind die Hilfesysteme der Suchthilfe und -medizin zuständig. Hinsichtlich der Angehörigen sind die Zuständigkeiten komplizierter: Es benötigt Vernetzung und Kooperation von Selbsthilfe, Jugendhilfe, Prävention, Suchthilfe, Frauenberatung und Psychotherapie. Die notwendigen sozialrechtlichen und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen für diese Kooperationen sind gegeben. Es ist Zeit, über den eigenen Schatten zu springen und neue Wege zu beschreiten. Gefragt sind jetzt Initiative, Mut und Kreativität.

    Angaben zum Autor und Kontakt:

    Jens Flassbeck, Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut (Verhaltenstherapeut, Gesprächspsychotherapeut), ist freiberuflich in eigener Praxis tätig. Er arbeitet schwerpunktmäßig mit co-abhängigen Angehörigen von Suchtkranken sowie komplex traumatisierten erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien. Kontakt: Praxis(at)flassbeck-therapie.de; https://www.flassbeck-therapie.de

    Literatur
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