Autor: Simone Schwarzer

  • Prävention von Suchtproblemen bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung

    Prävention von Suchtproblemen bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung

    Prof. Dr. Knut Tielking
    Julia Klinkhamer

    Einleitung

    Während Suchtprävention als Gesundheitsthema in der Gesellschaft bereits etabliert ist, steht sie bezogen auf Menschen mit geistiger Beeinträchtigung noch vor besonderen Herausforderungen. Die zunehmende Verselbstständigung führt dazu, dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung vermehrt Suchtmittel wie Alkohol und Tabak konsumieren (Jung/Nachtigal 2018). Sie benötigen spezielle Präventionsangebote, da herkömmliche Programme oft nicht ausreichend auf ihre Bedürfnisse eingehen (Tielking/Rabes 2022). Aufgrund ihrer Beeinträchtigung weisen sie ein erhöhtes Risiko für einen problematischen Konsum auf. Es besteht daher die Notwendigkeit, ein neues Bewusstsein für den Konsum zu schaffen und dieser Zielgruppe die erforderlichen Werkzeuge und Strategien zur Verfügung zu stellen, um eine gesunde und bewusste Entscheidungsfindung zu unterstützen.

    Der Caritasverband für den Landkreis Emsland hat es in Angriff genommen, diese entscheidende Versorgungslücke mit dem Selbstkontrolltraining „Suchtprävention inklusiv (SUPi)“ zu schließen. SUPi geht neue Wege im Hinblick auf Inklusion und Partizipation und ermöglicht den Menschen den Zugang zur Suchtprävention in Form eines bundesweit einmaligen Gruppenangebotes. Eine innovative, zielgruppenadäquate Wirkungsevaluation durch die Hochschule Emden/Leer begleitet die Teilnehmenden und Trainer:innen im Trainingsprozess.

    Problemhintergrund

    Anforderungen aus Sicht der UN-Behindertenrechtskonvention

    Die Anerkennung und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland sowie die damit einhergehende Inklusion stärkten die Position von Menschen mit Beeinträchtigung. Die Kernpunkte Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Teilhabe sollen umgesetzt werden (BMAS 2011). Erklärtes Ziel dieser Konvention ist die „gleichberechtigte Teilhabe am politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben“ (ebd. S. 10). Im März 2009 ratifizierte die Bundesrepublik Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention. Infolgedessen ist sie verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen Zugang zu Gesundheitsdiensten und gesundheitlicher Rehabilitation erhalten (BMAS 2011).
    Auch das im Jahr 2016 verabschiedete Bundesteilhabegesetz (BTHG) verfolgt das Ziel, die „volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft [für Menschen mit Beeinträchtigungen] zu fördern“ (§ 1 SGB IX) und Benachteiligungen für diesen Personenkreis zu vermeiden. Gemäß § 118 SGB IX des BTHG sollen sich die Instrumente zur Bedarfsermittlung an der ICF orientieren. Dies legt bundesweit die Grundlage für das bio-psycho-soziale Modell sowie für ethische Leitlinien im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen fest (BMAS 2023).

    Anforderungen aus Sicht des Präventionsgesetzes

    Am 18. Juni 2015 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz, PrävG). Ziel dieses Gesetzes ist es, der Prävention in unserer Gesellschaft einen angemessenen Stellenwert zuzuweisen. Der Gesetzesansatz beinhaltet die Unterstützung aller Menschen, gesundheitsförderliche Lebensweisen in ihren individuellen Lebensumgebungen zu entwickeln und im täglichen Leben umzusetzen (BMG 2023). Insbesondere in der Lebenswelt von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung zeigt sich, dass diese Forderung bisher schwierig umzusetzen ist. Zielgruppenadäquate Angebote in Form eines Gruppentrainings zur Suchtprävention gibt es derzeit nicht (Feldmann 2020).

    Anforderungen aus Sicht der Gesundheitspolitik

    Die zunehmende Verselbstständigung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung führt neben individuellen Herausforderungen zu veränderten, ambulanten Wohnformen in der Behindertenhilfe. Aufgrund der Intelligenzminderung kann dies zu Problemen im Konsumverhalten führen, da der Konsum nicht realistisch eingeschätzt werden kann und die Selbstreflexion nur eingeschränkt möglich ist (Feldmann 2020; Sandfort 2022). Insbesondere im Bereich der Prävention müssen Instrumente entwickelt und angewendet werden, um diese spezielle Zielgruppe, ebenso wie alle anderen Bürger:innen, zu befähigen, ihren Konsum frühzeitig zu überprüfen. Es herrscht ein akuter Mangel an entsprechenden Angeboten, der – sofern er nicht behoben wird – zu einem Anstieg der Zahl suchtmittelabhängiger Menschen mit geistiger Beeinträchtigung führen könnte (Jung/Nachtigal 2018).

    Studienlage

    Laut dem Bundesministerium für Gesundheit existieren auf Bundesebene keine Studien zu den Prävalenzen des Suchtmittelkonsums bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Verfügbare Informationen basieren auf regionalen Untersuchungen, die nahelegen, dass der missbräuchliche oder problematische Suchtmittelkonsum in dieser Zielgruppe ähnlich ausgeprägt ist wie in der restlichen Gesellschaft (BMG 2017).

    Im Rahmen des Modellprojektes „Vollerhebung Sucht und geistige Behinderung in NRW“ wurde im Jahr 2011 eine Umfrage unter Mitarbeiter:innen in Einrichtungen für Behinderten- und Suchthilfe in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Ziel war es, valide Aussagen über den Suchtmittelkonsum bei erwachsenen Menschen mit geistiger Beeinträchtigung zu erhalten. Zwei Drittel der Befragten (66,7 %; N=780) gaben an, dass aufgrund von riskantem oder abhängigem Substanzkonsum Probleme in der jeweiligen Einrichtung aufgetreten seien. Die Häufigkeit des problematischen Substanzkonsums bei den Betreuten wurde wie folgt eingeschätzt (Kretschmann-Weelink 2013):

    1. Nikotinkonsum: 32,5 %,
    2. Alkoholkonsum: 15,7 %,
    3. verhaltensbezogene Störungen (insbesondere Computerspiele): 14,2 %

    Im Projekt „Geistige Behinderung – problematischer Konsum – (k)ein Thema?!“ wurde 2019 eine regionale Bedarfsanalyse im nördlichen Emsland durchgeführt. Mitarbeiter:innen einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen (St. Lukas Papenburg) wurden zur Substanznutzung der Betreuten befragt (N=506). Drei Viertel (76 %) betrachteten es als wichtig, sich mit dem Thema des problematischen Konsums bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung zu befassen. Bei 21,8 % der Betreuten wird der Konsum von Suchtmitteln als problematisch eingestuft. Es ergab sich folgendes Ranking der von den Betreuten konsumierten Suchtmittel (Feldmann et al. 2020):

    1. Nikotin (53,3 %)
    2. Alkohol (27,3 %)
    3. Computer-/Handynutzung (20,9 %)
    4. Cannabis (5,9 %)
    5. Glücksspiel (3,7 %)
    6. Sonstige Drogen (7,0 %)

    Das Trainingsprogramm SUPi

    Die Zielgruppe: Menschen mit geistiger Beeinträchtigung

    Zielgruppe des SUPi-Angebotes sind Menschen mit geistiger Beeinträchtigung im Erwachsenenalter, die durch Angebote der kooperierenden Einrichtungen unterstützt werden. Über diese Einrichtungen erfolgt zugleich der Zugang zur Zielgruppe. Ein wichtiges Kriterium ist eine mögliche Auffälligkeit im Konsumverhalten (Feldmann 2020).

    Unter „geistiger Beeinträchtigung“ ist ein andauernder Zustand zu verstehen, der durch deutlich unterdurchschnittliche kognitive Fähigkeiten und die damit verbundenen Einschränkungen des affektiven Verhaltens gekennzeichnet ist (Theunissen 2011). Diese Beeinträchtigung kann sich auf die intellektuelle Entwicklung, die Lernfähigkeit und die allgemeine Lebensführung auswirken. Menschen mit geistiger Beeinträchtigung haben unterschiedliche Grade von Einschränkungen in der kognitiven Funktionalität. Ihre Fähigkeit, Informationen zu verstehen, zu verarbeiten und zu kommunizieren, wird dadurch unterschiedlich stark beeinflusst. In der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD) wird diese Erkrankung als „Intelligenzminderung“ (F70-79) klassifiziert.

    Vorerfahrung des Caritasverbandes für den Landkreis Emsland

     Im Rahmen des Projektes „Geistige Behinderung – problematischer Konsum – (k)ein Thema?!“ wurden in Kooperation mit St. Lukas Papenburg Maßnahmen entwickelt, die als Grundlage zur Förderung der Gesundheit der benannten Zielgruppe dienen können sollten. Ein Baustein war das Selbstkontrolltraining „SKOLL“, welches nach § 20 SGB V als Leistung der Primären Prävention und Gesundheitsförderung anerkannt ist. In der Umsetzung stellte sich heraus, dass das bestehende Trainingsmanual aufgrund der Beeinträchtigungen der Zielgruppe nicht zum Einsatz kommen kann (Feldmann 2020).

    Besondere Bedürfnisse von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung

    Das SUPi-Training wurde entwickelt, um den Bedürfnissen von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung gerecht zu werden. Dabei wurde besonders darauf geachtet, die Inhalte an die individuellen Erfahrungen und die Lebenswelt der Teilnehmenden anzupassen (Moisl 2017). Die eingesetzten Materialien sind in Leichter Sprache verfasst und auf die kognitiven Fähigkeiten der Teilnehmenden abgestimmt. Die Leichte Sprache ist eine spezielle Form der sprachlichen Darstellung, um Informationen barrierefrei verständlich und zugänglich zu machen. Komplizierte Grammatikstrukturen werden reduziert und einfache Wörter anstelle von Fachbegriffen verwendet. Zudem werden unterstützende visuelle Elemente wie Symbole und Zeichnungen auf Arbeitsblättern eingesetzt, um die relevanten Inhalte zu vermitteln (Ahlers et al. 2023).

    Um bestmöglich auf die Zielgruppe einzugehen, wird das Training von Tandems ausgebildeter Fachkräfte aus der Sucht- und Behindertenhilfe durchgeführt. Beide Bereiche bringen spezifisches Fachwissen mit: Die Suchthilfe bietet Kenntnisse über Suchtprävention und Suchtbehandlung, während die Behindertenhilfe sich auf die Bedürfnisse und Unterstützung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung spezialisiert hat. Die Kombination dieser Hilfesysteme stellt sicher, dass die Zielgruppe bei ihrer selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung im Hinblick auf einen gesundheitsgerechten Umgang mit Suchtmitteln optimal begleitet und unterstützt wird (Feldmann 2020).

    Der SUPi-Aufbau

    Das SUPi-Training zielt darauf ab, zu einem gesundheitsbewussten Umgang mit den von den Teilnehmenden genannten Suchtmitteln zu motivieren. Es besteht aus zwölf wöchentlichen Sitzungen. In den 90-minütigen Kurseinheiten werden verschiedene didaktische Methoden und Materialien eingesetzt, um wiederholt über die Auswirkungen des Konsums zu informieren und das Wissen darüber zu vertiefen. Durch dieses Vorgehen sollen sich die Teilnehmenden Informationen besser aneignen können (Sandfort 2022) und ein tieferes Verständnis für den eigenen Konsum, insbesondere von Alkohol und Tabak, erlangen. Die Teilnehmenden erhalten während des Trainings Hilfestellung für die Entwicklung individueller Strategien, mit denen sie ihren Konsum reduzieren und ihre Impulskontrolle verbessern können (Feldmann 2020; Ahlers et al. 2023).

    Es wird ein individueller Plan erstellt, in dem jedes Gruppenmitglied sein persönliches Ziel festlegt. Dieser Plan erfasst den aktuellen Status, den die Teilnehmenden verändern möchten, und formuliert einen angestrebten Zielzustand. Um diese Ziele zu erreichen, werden Strategien zur Umsetzung mit den durchführenden Fachkräften besprochen (Ahlers et al. 2023). Die Trainer:innen stehen den Gruppenmitgliedern während des Umsetzungsprozesses ihrer Ziele kontinuierlich unterstützend zur Seite (Feldmann 2020). Folgende Übersicht zeigt die inhaltlich aufeinander aufbauenden Kurseinheiten (Abb. 1).

    Abb. 1: SUPi-Kurseinheiten. Eigene Darstellung.

    Zertifizierung und Krankenkassenanerkennung

    Es wird eine Zertifizierung des SUPi-Trainings als qualitativ hochwertige Präventionsmaßnahme durch die Zentrale Prüfstelle Prävention sowie die Aufnahme in die Grüne Liste Prävention angestrebt. Dies dient dem übergeordneten Interesse, dass Krankenkassen das Training gemäß § 20 SGB V in ihr Leistungsangebot aufnehmen und damit die Implementierung in weiteren Einrichtungen erleichtern. Voraussetzung für die Zertifizierung und Krankenkassenanerkennung ist der wissenschaftliche Wirkungsnachweis (Feldmann 2020).

    Wirkungsevaluation

    Die wissenschaftliche Wirkungsevaluation erfolgt durch das Team der Hochschule Emden/Leer unter der Leitung von Prof. Dr. Knut Tielking und wird durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert. Ziel ist es festzustellen, ob das SUPi-Training den Bedürfnissen der Zielgruppe gerecht wird, zu einer positiven Veränderung im Konsumverhalten der Teilnehmenden führt und damit einen nachweislichen Beitrag zur Suchtprävention bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung leisten kann. Insbesondere Wissens-, Einstellungs- und Verhaltensänderungen werden durch Vorher-Nachher-Messungen (Döring/Bortz 2016) überprüft. Die quantitative Befragung der Studieneilnehmenden erfolgt zu drei Messzeitpunkten mit identischen Fragen, um Vergleichbarkeit der Ergebnisse im Zeitverlauf herstellen zu können: Mithilfe eines standardisierten Fragebogens in Leichter Sprache wird der Zustand der Trainingseilnehmenden (Interventionsgruppe) vor Beginn des Trainings (T1) erfasst. Die Ausgangssituation beleuchtet das Wissen und die Einstellung in Bezug auf den Suchtmittelkonsum sowie das Konsumverhalten der Zielgruppe vor der Intervention. Es schließen sich zwei weitere Befragungen, unmittelbar nach Trainingsabschluss (T2) und drei Monate nach Trainingsabschluss (T3), an. Durch diese strukturierten Messungen werden Langzeiteffekte des SUPi-Trainings dargestellt. Den Ergebnissen der Interventionsgruppe werden Ergebnisse einer Kontrollgruppe gegenübergestellt, die ebenfalls zu drei Messzeitpunkten mit einem zeitlichen Abstand von drei Monaten den identischen Fragebogen beantwortet.

    Herausforderung

    Unter Berücksichtigung der Möglichkeiten und Einschränkungen von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung mussten die wissenschaftlichen Anforderungen spezifiziert werden – sowohl methodisch als auch bei der inhaltlichen Ausgestaltung. Die Evaluation stellt sich damit der Herausforderung eines simplifizierenden Verfahrens mit dem gleichzeitigen Ziel, valide Daten zu generieren, die den Bewertungskriterien der Zentralen Prüfstelle Prävention (GKV Spitzenverband 2022) und der Grünen Liste Prävention (Groeger-Roth/Hasenpusch 2011) entsprechen. Vor diesem Hintergrund wurden die Erhebungsinstrumente partizipativ, unter Einbezug der Zielgruppe, entwickelt.

    Methode: Partizipative Evaluation

    Die partizipative Evaluation zeichnet sich durch die aktive Einbindung aller am Projekt beteiligten Personen von Anfang bis Ende des Evaluationsprozesses aus (Hartung et al. 2020). Dieses Vorgehen erfordert eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Betroffenen, den Fachkräften und den Projektverantwortlichen. In den einzelnen Kurseinheiten wurden in enger Abstimmung von Wissenschaft und Praxis kompetenzorientierte Ziele gesetzt.

    Fragebogenentwicklung

    Die Fragen wurden in Anlehnung an standardisierte Formulierungen aus Studien aus der Sucht- und Präventionsforschung ausgestaltet. Inhalte aus validierten Studien wurden mit den kompetenzorientierten Zielen der SUPi-Kurseinheiten abgeglichen. Um ein zielgruppenadäquates Messinstrument zu entwickeln, wurde der Fragenpool reduziert. Durch dieses Vorgehen sollte die Beantwortung für die Zielgruppe erleichtert sowie Demotivierung und Überforderung vermieden werden.

    Der Fragebogen wurde in Leichte Sprache transferiert, ohne von der inhaltlichen Bedeutung abzuweichen. Anstelle von fachspezifischen Begriffen fanden einfache Wörter Anwendung. Lange Sätze wurden in verständliche Abschnitte unterteilt. Der Fragebogen wurde durch das Büro für Leichte Sprache (Andreaswerk Vechta) zertifiziert. Zusätzlich wurde die Formatierung des Fragebogens durch klare, sich wiederholende Strukturen und eine große, deutliche Schrift vereinfacht. Farbliche Hervorhebungen von Rot bis Grün und visuelle Elemente verdeutlichen den Inhalt der Fragen und Antworten und erleichtern die Orientierung bei der Beantwortung. Die Praxistauglichkeit des Fragebogens wurde in einem Pretest mit neun Personen aus der Zielgruppe auf Verständlichkeit, Akzeptanz und Durchführbarkeit überprüft. Der Pretest bestätigte die Angemessenheit des Fragebogens für die Zielgruppe.

    Durchführung der Befragung

    Aufgrund der kognitiven Einschränkung der Zielgruppe liegt eine weitere Herausforderung in der Evaluationsdurchführung. Es bedarf einer besonderen Beziehungsgestaltung, um bestehende Ängste hinsichtlich einer schriftlichen Befragung abzubauen. Über diesen Zugangsweg gelingt es, die Bereitschaft der Betroffenen zur Mitarbeit zu fördern.

    Die Teilnahme an der Evaluation erfolgt auf freiwilliger Basis. Um eine freiwillige Entscheidung zu gewährleisten, ist die hinreichende barrierefreie Aufklärung der Studienteilnehmenden über die Evaluationsziele, die Freiwilligkeit an der Teilnahme und die Sicherstellung der Anonymität entscheidend. Potenzielle Studienteilnehmende werden dazu befähigt, sich anhand der dargestellten Informationen autonom und selbstbestimmt für bzw. gegen eine Teilnahme zu entscheiden.

    Aussagemöglichkeiten

    Für die Wirkungsevaluation sollen unter Berücksichtigung der Bewertungskriterien der Zentralen Prüfstelle Prävention sowie der Grünen Liste insgesamt 50 Personen für die freiwillige Teilnahme an dem SUPi-Training gewonnen werden. Bis April 2024 wurden 44 Personen mit geistiger Beeinträchtigung in das SUPi-Training involviert. Weitere 40 Personen bilden die Kontrollgruppe.

    Durch fortlaufende Akquisetätigkeiten der kooperierenden Einrichtungen, darunter St. Lukas in Papenburg, das Christophorus-Werk in Lingen und das St. Vitus-Werk in Meppen, wird erwartet, dass im zweiten Quartal 2024 die angestrebte Stichprobengröße von je 50 Teilnehmenden in der Interventions- und Kontrollgruppe erreicht werden kann. Die darauffolgende Analyse lenkt den Fokus, neben der Überprüfung der persönlichen Zielerreichung, auf folgende Rubriken (Abb. 2):

    Abb. 2: Bestandteile der Wirkungsanalyse. Eigene Darstellung.

    Die Wirkungsevaluation involviert zudem die SUPi-Trainer:innen, die mithilfe kursbegleitender Fragebögen dokumentieren, welche Gruppeninhalte erarbeitet und welche kompetenzorientierten Ziele erreicht wurden. Zudem bewerten sie die eingesetzten Materialien und Hilfsmittel sowie die Motivation und Gruppendynamik pro Kurseinheit. Es ist zu erwarten, dass diese umfassenden Bewertungen der einzelnen Kurseinheiten dazu beitragen, erfolgreiche Einheiten, effektive Kursmaterialien und bedarfsgerechte pädagogische Methoden für die Zielgruppe zu identifizieren. So lassen sich jene Faktoren erkennen, die besonders förderlich für das Training sind. Gleichzeitig werden Einblicke in Bereiche ermöglicht, in denen das SUPi-Training Verbesserungspotenzial aufweist. So dient diese Analyse dazu, sowohl Stärken als auch Schwächen des Trainings zu erkennen und dieses gezielt weiterzuentwickeln.

    Diskussion und Ausblick

    Im vierten Quartal 2024 sollen repräsentative Aussagen über die Wirksamkeit des SUPi-Trainings bezüglich des Wissens, der Einstellung und des Verhaltens der Teilnehmenden in Bezug auf den Konsum von Suchtmitteln sowie über die Kursdynamik und das verwendete Trainingsmaterial vorliegen.

    Das SUPi-Training trägt das Potenzial, eine bedeutende Versorgungslücke in der Suchtprävention zu schließen. Durch seine Implementierung soll eine maßgeschneiderte Intervention für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung bereitgestellt werden, die die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten dieser Personengruppe berücksichtigt. Dies gilt es, durch die Wirkungsanalysen zum SUPi-Training nachzuweisen. Gelingt dies, soll die Anerkennung des Trainings seitens der Krankenkassen und die Aufnahme in die Grüne Liste zu einer bundesweiten Verbreitung und damit zur besseren Versorgung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung beitragen.

    Kontakt:

    Julia Klinkhamer (M.A.)
    Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit
    Hochschule Emden/Leer
    Constantiaplatz 4
    26723 Emden
    julia.klinkhamer(at)hs-emden-leer.de

    Angaben zu den Autor:innen:

    Prof. Dr. Knut Tielking ist Professor für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Sucht- und Drogenhilfe an der Hochschule Emden/Leer, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit. Er ist Leiter des Forschungsprojektes „Wirkungsevaluation des Selbstkontrolltrainings SUPi – Suchtprävention – inklusiv für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung“ (2022-2024).
    Julia Klinkhamer (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit an der Hochschule Emden/Leer und Geschäftsführerin der Firma PRINOR Statistik.

    Literatur
    • Ahlers, L./Clavée, M./Hopster, T. (2023): Konzept SUPi – Suchtprävention inklusiv. Caritasverband für den Landkreis Emsland. Meppen.
    • Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (2011): Nationaler Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Berlin.
    • Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (2023): Bundesteilhabegesetz (BTHG). Berlin.
    • Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (2017): Richtlinie zur Förderung von Forschung auf dem Gebiet „Geistige Behinderung und problematischer Substanzkonsum“. Berlin.
    • Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (2023): Präventionsgesetz (PrävG). Berlin. Online verfügbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/detail/praevg.html (06.12.2023).
    • Döring, N./Bortz, J. (2016): Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 5. Aufl., Berlin/Heidelberg: Springer Verlag.
    • Feldmann, M. (2020): Konzept zur Entwicklung eines Gruppentrainings zum gesundheitsgerechten Umgang mit Suchtstoffen/ Reduzierung des Alkoholkonsums für erwachsene Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Caritasverband für den Landkreis Emsland. Meppen.
    • Feldmann, M./Veld, M./Schomaker, K./Speller, B. (2020): Abschlussbericht zum Projekt „Geistige Behinderung – problematischer Konsum – (k)ein Thema?!“. Caritasverband für den Landkreis Emsland. Papenburg.
    • GKV Spitzenverband (2022): Kriterien zur Zertifizierung von Kursangeboten in der individuellen verhaltensbezogenen Prävention nach § 20 Abs. 4 Nr. 1 SGB V, Stand 22.11.2023. Online verfügbar unter: https://www.zentrale-pruefstelle-praevention.de/wp-content/uploads/2023/11/20231122_Leitfaden_Praev_Kap_5_Kritierien_zur_Zertifizierung.pdf   (17.04.2024)
    • Groeger-Roth, F./Hasenpusch, B. (2011): Grüne Liste Prävention. Auswahl und Bewertungskriterien für die CTC Programm-Datenbank. Landespräventionsrat Niedersachsen. Fassung v. 01.11.2011. Online verfügbar unter: https://www.gruene-liste-praevention.de/communities-that-care/Media/_Grne_Liste_Kriterien.pdf (17.04.2024)
    • Hartung, S./Wihofszky, P./Wright, M. T. (2020): Partizipative Forschung – ein Forschungsansatz für Gesundheit und seine Methoden. In: Hartung, S./Wihofszky, P./Wright, M. T. (Hrsg.): Partizipative Forschung. Ein Forschungsansatz für Gesundheit und seine Methoden. Wiesbaden: Springer VS, S. 1-19.
    • Jung, F./Nachtigal, P. (2018): Suchtselbsthilfe für Menschen mit geistiger Behinderung. Ein Praxisbericht. Bremen.
    • Kretschmann-Weelink, M. (2013): Prävalenz von Suchtmittelkonsum bei Menschen mit geistiger Behinderung in Nordrhein-Westfalen. Gevelsberg.
    • Moisl, D. (2017): Methoden zur Befragung von Menschen mit geistiger Behinderung. Public Health Forum, 25(4), 312-323. https://doi.org/10.1515/pubhef-2017-0051
    • Sandfort, G. (2022): SUPi – Suchtprävention inklusiv. Caritasverband für die Diözese Osnabrück. Osnabrück.
    • Theunissen, G. (2011): Geistige Behinderung und Verhaltensauffälligkeiten. Ein Lehrbuch für die Schule, Heilpädagogik und außerschulische Behindertenhilfe. 4. Auflage, Bad Heilbrunn: Klinkhardt UTB.
    • Tielking, K./Rabes, M. (2022): Niedersächsisches Suchtpräventionskonzept. Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung. Hannover.
  • DHS Jahrbuch Sucht 2024

    Was besagen aktuelle Daten zum Konsum von Cannabis und Tabak? Warum gibt es neue Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol statt der bisherigen Grenzwerte? Wie hat sich die Zahl der Todesfälle durch den Konsum legaler und illegaler Drogen entwickelt? Welches sind die häufigsten Formen internetbezogener Verhaltenssüchte? Das am 24. April veröffentlichte DHS Jahrbuch Sucht 2024 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) bietet Antworten auf diese und zahlreiche weitere Fragen, bündelt Zahlen und Fakten und greift sucht- und drogenbezogene Themen der Zeit auf. In diesem Jahr liegt das DHS Jahrbuch Sucht erstmals als frei zugängliche Open Access Online-Publikation vor.

    Cannabis

    In den letzten drei Jahrzehnten zeigte sich ein insgesamt steigender Trend im Cannabiskonsum, auch des problematischen Gebrauchs. 4,5 Millionen erwachsene Deutsche (8,8 %) geben an, Cannabis in den letzten zwölf Monaten konsumiert zu haben. Männer tun dies etwas häufiger als Frauen. Sie sind auch nahezu doppelt so häufig von einem problematischen Cannabiskonsum (3,4 %) betroffen wie Frauen (1,6 %). Die Zahlen dazu stammen aus dem Jahr 2021. Problematischer Konsum ist beispielsweise gekennzeichnet durch Schwierigkeiten, den eigenen Konsum zu kontrollieren, zu beenden oder auch dadurch, dass bereits psychosoziale Folgen bemerkbar sind.

    Jungen konsumieren mehr als Mädchen

    9,3 % der Kinder und Jugendlichen zwischen zwölf und 25 Jahren geben an, im Lebenszeitraum bereits einmal Erfahrung mit Cannabis gemacht zu haben. Von den 12- bis 17-Jährigen hatten 7,6 % im letzten Jahr Cannabis konsumiert. In allen Altersgruppen konsumieren mehr Jungen als Mädchen Cannabis (Jahr 2021).

    Cannabiskonsum birgt Risiken

    Cannabiskonsum erhöht das Risiko für körperliche und vor allem für psychische Störungen. Er kann die Hirnleistung beeinträchtigen und die Fahrtüchtigkeit einschränken. Insbesondere für Kinder und Jugendliche kann Cannabis gefährlich werden. Ein frühes Einstiegsalter, intensiver Konsum und Co-Konsum von Tabak wurden als besondere Risikofaktoren identifiziert. Unter anderem sind Einbußen im Bildungserfolg (z. B. vorzeitige Schulabbrüche, seltener akademische Abschlüsse) als psychosoziale Risiken von häufigem Cannabiskonsum belegt. „Cannabis ist legal und hat Risiken. Diese Kernbotschaft ist für Kinder, Jugendliche und Erwachsene wichtig. Intensive Aufklärung und Prävention sind notwendig. Wir brauchen dafür viel mehr Ressourcen als bisher“, betont Prof. Dr. Eva Hoch, Autorin des Beitrags zu Cannabis im DHS Jahrbuch Sucht 2024 und Institutsleiterin des IFT München.

    Mehr cannabinoidbezogene Störungen

    Der Anteil an Betreuungen aufgrund von cannabinoidbezogenen Störungen im ambulanten Bereich der Suchthilfe hat sich seit der Jahrtausendwende verdreifacht. Im stationären Bereich kam es zu einer Verzehnfachung: Nach den alkoholbezogenen Störungen sind cannabinoidbezogene Störungen aktuell der zweithäufigste Anlass für den Zugang zu Suchthilfeangeboten (2022: ambulant: 18,5 %, stationär: 9,9 %).

    DHS fordert: Cannabisprävention ausbauen und Finanzierung sichern

    „In der Suchthilfe wurden parallel zu diesem Anstieg der Betreuungen zielgruppenspezifische Beratungs- und Behandlungsangebote entwickelt. Um diese auch flächendeckend und allen Hilfesuchenden anbieten zu können, braucht es einen Ausbau der örtlichen Suchthilfe“, fordert Dr. Peter Raiser, Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). „Zwar gibt es gute Angebote zur Prävention des problematischen Cannabiskonsums. Es erscheint jedoch dringend erforderlich, auch diese deutlich auszubauen und weiterzuentwickeln. Um dem bestehenden und wahrscheinlich ansteigenden Bedarf der örtlichen Angebote der Suchtberatung, Frühintervention und Prävention gerecht werden zu können, muss es eine auskömmliche und nachhaltig gesicherte Finanzierung dieser Angebote geben.“

    Tabak

    Etwa ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland raucht. Der Anteil Rauchender beträgt bei Männern 38,2 % und bei Frauen 31,3 %. Das besagen aktuelle Ergebnisse der Deutschen Befragung zum Rauchverhalten (DEBRA-Studie) aus dem Jahr 2023. Mit 7 % ist der Anteil Rauchender bei Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren deutlich geringer als bei den Erwachsenen (Alkoholsurvey 2021, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung).

    Rauchverhalten: Tendenz fallend

    Tendenziell rauchen insgesamt weniger Erwachsene und Jugendliche. Allerdings fallen die Entwicklungen der letzten Jahre – je nach betrachteter Datenquelle – unterschiedlich aus. Dies hängt mit unterschiedlichen Erhebungsmethoden, Stichprobenziehungen und Befragungsinstrumenten der bundesweit repräsentativen Studien zur Verbreitung des Rauchens in der Bevölkerung zusammen. Insgesamt bilden die vorliegenden Studien das Rauchverhalten in Deutschland sehr gut ab. Es bedarf jedoch einer weiteren Beobachtung und Einordnung der Trends.

    Fertigzigaretten, Zigarren/Zigarillos, E-Zigaretten

    Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt aktuell bei 764 Zigaretten. Das ist der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung. Auch der Absatz von Feinschnitt und Zigarren/Zigarillos ist zurückgegangen. Der Pfeifentabak-Absatz hingegen stieg an: Er lag im Jahr 2023 bei 398 Tonnen. Höher lag der Absatz von Wasserpfeifentabak (728 Tonnen). 1,9 % der Personen ab einem Alter von 14 Jahren konsumieren E-Zigaretten (DEBRA Studie, 2023). Werden nur Jugendliche und junge Erwachsene betrachtet, liegt der prozentuale Anteil höher: Er beträgt aktuell 2,4 % bei den 14- bis 17-Jährigen und bei den 18- bis 24-Jährigen 3,5 %.

    DHS: Forderung nach effektiver Tabakprävention und Tabakkontrolle

    „Um den Tabakkonsum in Deutschland nachhaltig zu verringern, brauchen wir intensivierte Maßnahmen der Tabakprävention und eine wirksame Tabakkontrollpolitik“, fordert Christina Rummel, Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). „Im internationalen Vergleich zählt Deutschland immer noch zu den Schlusslichtern hinsichtlich der Bemühungen um effektive Tabakprävention und Tabakkontrolle. Platz 34 von 37 im Ländervergleich bei der Tabakkontrollskala ist beschämend. Wir kommen nicht weg von den hinteren Plätzen. Auch angesichts von gesamtwirtschaftlichen Kosten in Höhe von 97,2 Milliarden Euro, die Schätzungen zufolge pro Jahr auf das Rauchen zurückgehen, ist es ein wichtiges gesundheitspolitisches Ziel, den Tabakkonsum zu senken.“

    Klimaschutz ist Gesundheitsschutz

    Zudem hat die Produktions- und Konsumkette von Tabak starke negative Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima. Deshalb ist die Reduzierung des Tabakkonsums ein aktiver Beitrag zu Klima- und Umweltschutz. Die ökologischen Schäden entstehen vor allem in Niedrig- und Mitteleinkommensländern bei Tabakanbau und Tabaktrocknung, so das DHS Jahrbuch Sucht 2024.

    Alkohol

    Deutschland bleibt weiterhin ein Alkohol-Hochkonsumland: Durchschnittlich 10,6 Liter Reinalkohol konsumiert jede Person der Bevölkerung ab 15 Jahren. Damit liegt der Alkoholkonsum hierzulande zwei Liter über dem durchschnittlichen Konsum in den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD, 2023).

    Alkoholkonsum ist gesundheitsschädlich

    Das Kuratorium und der Vorstand der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) haben im Herbst 2023 neue Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol veröffentlicht. Diese wurden auf Grundlage des aktuellen Forschungsstands entwickelt. In der Praxis führen sie zu der Botschaft an alle Menschen: „Wenn Sie Alkohol trinken, reduzieren Sie Ihren Konsum, gleichgültig wie viel Sie trinken! Wenn Sie keinen Alkohol trinken, bleiben Sie dabei!“

    DHS: Weniger Alkohol ist besser

    „Wer keinen Alkohol (mehr) trinkt, ist klar im Vorteil. Körperliche und psychische Gewinne können sein: Weniger Infektionen, weniger Krebsrisiko, weniger Unfallrisiko, weniger Konflikte in sozialen Beziehungen, ein gesünderes Herz, besserer Schlaf, verbesserter Blutdruck“, erläutert Christina Rummel, Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen.

    Todesfälle durch Konsum legaler und illegaler Suchtmittel

    Bei Todesfällen in Folge von Suchtmittelkonsum stehen meist Konsumierende illegaler Drogen im Mittelpunkt. Nicht zuletzt, weil die Zahl der „Drogen- bzw. Rauschgifttoten“ in den letzten Jahren gestiegen ist.

    Mehr Rauschgifttote

    Im Jahr 2022 wurden 1.990 Rauschgifttote registriert. Das entspricht im Vergleich zum Vorjahr einer Zunahme um 9 % (2021: 1.826). Zum Teil lässt sich dieser Anstieg dadurch erklären, dass ein Anteil an Personen aufgrund von Folgeerkrankungen einer langjährigen Drogenabhängigkeit verstirbt. Zu einer Verlängerung der Lebensdauer haben ganz entscheidend Maßnahmen der Harm Reduction beigetragen: Darunter niedrigschwellige Hilfen, medizinische Notfallversorgung oder die Naloxonmitgabe und Schulungen zur Anwendung.

    Viele Todesfälle durch Rauchen und Alkoholkonsum

    Insgesamt gibt die Zahl der Drogentoten nur einen Ausschnitt der Todesfälle aufgrund von Substanzkonsum wieder. Die Zahl der Tabak- und Alkoholtoten übersteigt die Zahl der Drogentoten um ein Vielfaches. Berichte über Todesfälle in Folge von Substanzkonsum sollten auch Alkohol und Tabak berücksichtigen. Rauchen ist in den Industrienationen das bedeutendste einzelne Gesundheitsrisiko und die führende Ursache vorzeitiger Sterblichkeit. In Deutschland steht der Tabakkonsum an erster Stelle der Risikofaktoren, die am meisten zu Tod und zu Behinderung (DALYs, disability adjusted life years) beitragen. Nach den Daten der Global Burden of Disease-Studie 2019 starben in Deutschland rund 144.000 Menschen an den Folgen des Rauchens.

    Alkoholbezogene Todesursachen

    Für das Jahr 2016 bezeichnete eine Arbeitsgruppe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Alkoholkonsum weltweit als einen von sieben führenden Risikofaktoren für Mortalität. Unter den 15- bis 49-jährigen Menschen wurde Alkoholkonsum weltweit als führender Risikofaktor bewertet. Die Auswertung der WHO-Arbeitsgruppe von Daten zu 23 alkoholbezogenen Todesursachen umfasste fünf Herz-Kreislauf-Krankheiten, sieben Krebserkrankungen, zwei weitere Erkrankungen innerer Organe, Diabetes, zwei Erkrankungen der Atemwege, eine Krankheit des Zentralnervensystems, eine Gruppe psychiatrischer Erkrankungen, vier Todesursachen durch Gewalt. In Deutschland starben an einer dieser ausschließlich auf Alkohol zurückzuführenden Todesursachen 19.000 Frauen und 43.000 Männer im Jahr 2016. Das waren 4,0 % aller Todesfälle unter Frauen und 9,9 % aller Todesfälle unter Männern.

    Internetbezogene Störungen

    Digitale Medien sind allgegenwärtig. Ihre Nutzung reicht von schulischen, universitären oder beruflichen Lern- und Weiterbildungsplattformen über vielzählige Einkaufsmöglichkeiten, Kommunikations-Apps, Streaming-Plattformen, Nachrichtenseiten bis hin zu Unterhaltungsangeboten jeglicher Art. Synchron zum Anstieg der Nutzung von digitalen Medien, die mittlerweile in vielen Bereichen einen eingebauten Spielcharakter aufweisen, ist auch ein Anstieg von onlinebezogenen Verhaltensabhängigkeiten zu beobachten. Die Online-Glücksspielstörung, die Online-Computerspielstörung, die Online-Pornografie-Nutzungsstörung, die Online-Shoppingstörung sowie die Soziale-Netzwerkseiten-Nutzungsstörung sind laut DHS Jahrbuch Sucht 2024 die häufigsten Formen der onlinebezogenen Verhaltensabhängigkeiten in Deutschland.

    Download DHS Jahrbuch Sucht 2024

    Das DHS Jahrbuch Sucht 2024 steht zum Download auf der DHS Website zur Verfügung: https://www.dhs.de/unsere-arbeit/dhs-jahrbuch-sucht. Die Printversion ist beim Verlag Pabst Science Publishers kostenpflichtig erhältlich: www.pabst-publishers.com.

    Pressestelle der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), 24.4.2024

  • Zurück für die Zukunft!

    Herausgegeben vom Fachverband Sucht+ e.V., Bonn 2024, online verfügbar unter https://www.sucht.de/wp-content/uploads/2024/06/FINAL-FVS_Sonderpublikation.pdf; Printversion bestellbar beim FVS+ unter sucht@sucht.de

    Zielsetzung der Publikation ist es insbesondere,  jungen, an dem Berufsfeld der Suchthilfe und Suchtbehandlung interessierten Menschen, z. B. Studierenden und Berufsanfänger:innen, aus der persönlichen Perspektive von drei erfahrenen Expert:innen

    • historische und als relevant erlebt Meilensteine der Suchtbehandlung zu erläutern,
    • wesentliche Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Behandlung darzulegen und
    • auch Anstöße für zukünftige Entwicklungen zu geben.

    Auch für bereits länger in diesem Arbeitsfeld tätige Behandler:innen oder Leistungsträger dürften die Ausführungen interessant sein, denn sie enthalten viele Anregungen für die aktuelle Praxis der Suchtbehandlung und basieren auf jahrzehntelangen Erfahrungen.

    Angeheftet ist den drei Beiträgen eine Übersicht über die historische Entwicklung der Suchtkrankenhilfe und -behandlung sowie entsprechender politischer und versorgungsrelevanter Rahmenbedingungen von 1947 bis heute.

    Text: Volker Weissinger

  • Patientenzeitung „SuchtGlocke“

    Titelseite der ersten Ausgabe aus dem Jahr 1984

    Vor 40 Jahren entstand am Fachkrankenhaus Vielbach, einer Reha-Klinik für alkoholkranke und sozial besonders benachteiligte Männer, die Patientenzeitung „SuchtGlocke“. Initiator war der Sozialpädagoge Joachim Jösch, der Anfang 1984, direkt nach seiner Diplom-Prüfung, die Stelle in Vielbach angetreten hatte.

    Er brachte mehrere Jahre Erfahrung als Redakteur einer Jugendzeitung mit und hatte die Idee, eine Schreibwerkstatt für und mit Rehabilitanden ins Leben zu rufen. Seine Kolleg:innen zweifelten am Interesse und der Schreibkompetenz der Patienten, doch der Chef gab sein OK.

    Der Einladung zum ersten Treffen folgten vier Patienten. Diese waren sehr interessiert daran, Erfahrungen aus ihrem von materieller und emotionaler Entbehrung sowie von Sucht geprägten Leben niederzuschreiben. Es wurden 14-tägige Treffen und das Vorlesen von mitgebrachten Texten vereinbart. Schon bald kam der Wunsch auf, Texte, Bilder oder Grafiken zeitungsartig zusammenzustellen und zur Lektüre für die Mitpatienten zu vervielfältigen. Schnell sprach man bei den Treffen der Teilnehmer des Schreibprojekts von „Redaktionssitzungen“.

    Joachim Jösch übernahm die Aufgabe, die Sitzungen zu leiten und Beiträge zu sammeln. Die erste Zeitung erschien im Dezember 1984. 100 Exemplare à 12 Seiten wurden mit dem Klinikkopierer „gedruckt“. Die Beiträge, einschließlich eines Gedichtes, waren überwiegend handgeschrieben, hinzu kamen kopierte und selbstgezeichnete Cartoons sowie eine Rätselseite. Bei den Mitpatienten, aber auch im Therapieteam, war die Resonanz überaus positiv. Und die Zeitungsmacher waren mächtig stolz.

    Nicht Klinik-, sondern Patientenzeitung – und ganz ohne Zensur

    36 Jahre später: Titelseite einer Ausgabe aus dem Jahr 2020

    In einem Namenswettbewerb wurde der Name SuchtGlocke (SG) für die Patientenzeitung gefunden. Dem Wunsch, unzensiert schreiben und veröffentlichen zu können, wurde von der Klinikleitung (unter Vorbehalt eines „Notfall-Vetos“) entsprochen. Außerdem sollten ausschließlich Beiträge von Patienten erscheinen.

    Joachim Jösch übernahm die Aufgabe, Redaktionsmitglieder und die, die es werden wollten, zu motivieren, zu ermutigen und zu unterstützen. Er koordinierte die Abläufe, kümmerte sich um das Layout und den Druck der Zeitung. Inhaltlich beschränkte er sich darauf, die Beiträge behutsam zu redigieren und Schreibfehler zu eliminieren, so dass eine Scham-Barriere hinsichtlich möglicher Schreibschwächen ausgeräumt wurde. Das Layout gestaltete ab 1985 bis zum Schluss der ehemalige Zivildienstleistende Frank Schmieder.

    In den Redaktionssitzungen wurde regelmäßig das Schreiben selbst thematisiert, z. B. „Wie finde ich einen Anfang“, oder es ging um Schreibblockaden. Damit auch Beiträge von Analphabeten Berücksichtigung finden konnten, schrieben Redaktions- oder Therapiegruppenmitglieder deren Geschichten auf. Schnell zeigten auch Patienten außerhalb der Redaktion und Ex-Patienten Interesse an einer Mitarbeit und reichten ebenfalls Beiträge ein. Ein ehemaliges Mitglied der SG-Redaktion, der in der Zeit nach seiner Reha zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, sendete der Redaktion über mehrere Jahre Schilderungen aus seinem Haftalltag.

    Mit vorab kommunizierten Schwerpunktthemen wie z. B. „Leben wofür?“, „Einsamkeit“, „Brief an meinen Vater“, „Warum sich Abstinenz lohnt“ und „Sucht und Sexualität“ gelang es den Zeitungsmachern regelmäßig, viele ihrer Mitpatienten in das SG-Projekt einzubinden.

    Schon die dritte Ausgabe der SG wurde in einer Druckerei produziert, in Schwarzweiß mit farbigem Umschlag. Ab 2010 war Vierfarbdruck möglich, 48 Seiten wurden Standard. Die Auflage war zu diesem Zeitpunkt schon auf 5.000 Exemplare gestiegen. Grund hierfür waren ein bundesweit großes Interesse seitens der Suchthilfe und der Wohnungslosenhilfe sowie die Entscheidung, die SuchtGlocke allen ehemaligen Patienten kostenfrei zuzustellen – eine kreative Form der Abstinenzunterstützung, wie vielfach rückgemeldet wurde.

    Schreibwerkstatt und Zeitung fördern Therapie und Abstinenz

    Mit dem Wechsel von Joachim Jösch in den Ruhestand im März 2024 endet nach vier Jahrzehnten das deutschlandweit einmalige Schreibprojekt einer Suchtklinik. Zuletzt aktive und ehemalige Redaktionsmitglieder äußerten sich abschließend überaus positiv über das schreibgestützte Therapieangebot. Viele von ihnen hatten ein von Schicksalsschlägen und Sucht geprägtes Leben hinter sich. Das therapeutisch begleitete Schreiben habe es ihnen ermöglicht, sich viel Schmerzhaftes, teils Verdrängtes, von der Seele zu schreiben. In vielen Fällen habe ihnen das Schreiben den Anstoß dazu gegeben, sich in den Psychotherapie-Sitzungen vertiefend mit den entsprechenden Themen zu beschäftigen. Übereinstimmend haben alle beteiligten Patienten berichtet, wie ihre veröffentlichten Beiträge sie erstmals Stolz haben fühlen lassen. Ihre Mitarbeit in der SG-Redaktion habe ihr Selbstbewusstsein und ihr Selbstvertrauen deutlich wachsen lassen.

    Therapeutisch begleitetes Schreiben in der Suchttherapie besitzt das Potenzial, die Reha-Behandlung wirksam zu unterstützen. Dieses Potenzial lohnt es sich auszuschöpfen. Die positiven Vielbacher Projekterfahrungen laden zur Nachahmung – in vielfältiger Form – ein.

    Kontakt:

    Joachim Jösch
    joachim.joesch(at)t-online.de

    Redaktion KONTUREN, 22.4.2024

  • Krebsrisiko ansteigend

    Raucher:innen und Konsument:innen von E-Zigaretten teilen nicht nur eine Gewohnheit, sondern auch ähnliche, mit Krebs assoziierte Veränderungen an Zellen, so eine neue Studie von Wissenschaftler:innen der Universität Innsbruck und dem University College London (UCL), veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Cancer Research“.

    Dass der Konsum von Tabak negative gesundheitliche Folgen birgt, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Schätzungen zufolge verursachte er im Jahr 2019 weltweit 7,69 Millionen Todesfälle – Tendenz steigend. Auf der Suche nach Alternativen zur klassischen Zigarette steigen Menschen vermehrt auf (Einweg-)E-Zigaretten um. Besonders ausgeprägt ist der Anstieg des E-Zigaretten-Konsums Studien zufolge unter den 18- bis 24-Jährigen sowie bei aktiven Raucher:innen und Personen, die im letzten Jahr mit dem Rauchen aufgehört haben.

    Neue Einblicke in rauchbedingte Zellveränderungen

    Eine neue Studie des European Translational Oncology Prevention & Screening (EUTOPS) Institut, das 2020 in Kooperation von Land Tirol und Uni Innsbruck gegründet wurde, erforschte in Zusammenarbeit mit dem University College London (UCL), der Universität Bristol und dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) die molekularen Auswirkungen von Tabak und E-Zigaretten auf das Epigenom verschiedener Zellen. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich in der Fachzeitschrift „Cancer Research“ veröffentlicht. Die Studie wurde mit Mitteln aus dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union, The Eve Appeal und Cancer Research UK unterstützt.

    Das Epigenom überlagert unser genetisches Material (DNA) wie eine Schicht aus Informationen. Stellt man sich die DNA als „Hardware“ eines Computers vor, so ist die Epigenetik ihre „Software“: Sie bestimmt wie, wo und wann die vom Computer verwendeten Programme ausgeführt werden. Das Epigenom kann sich im Laufe unseres Lebens durch eine Vielzahl genetischer und nichtgenetischer Faktoren verändern. Dazu gehören der Alterungsprozess, unsere Lebensweise und der Kontakt mit Chemikalien und anderen Umweltfaktoren.

    „Das Epigenom erlaubt uns einerseits einen Blick zurück und gibt Aufschluss darüber, wie unser Körper auf eine frühere Umwelteinwirkung reagiert hat. Andererseits kann die Erforschung des Epigenoms auch eine Vorhersage über künftige Gesundheit und Krankheit ermöglichen“, erklärt Studienautor Martin Widschwendter, Professor für Krebsprävention und Screening an der Universität Innsbruck und Leiter des EUTOPS-Instituts.

    DNA-Methylierung

    Eine häufig untersuchte Art von epigenetischen Veränderungen ist die sogenannte DNA-Methylierung. Dabei wird die Erbsubstanz durch die enzymatische Übertragung von Methylgruppen auf ausgewählte DNA-Basen modifiziert. Die Forscher:innen analysierten nun in mehr als 3.500 Proben, wie sich das Rauchen von klassischen und elektronischen Zigaretten auf die DNA-Methylierung in Zellen auswirkt, die dem Tabak direkt ausgesetzt sind (z. B. Zellen in der Mundhöhle) und auf solche, die ihm indirekt ausgesetzt sind (z. B. Gebärmutterhalszellen).

    Präzise Rauchgeschichte im Epigenom erkennbar

    Wie computergestützte Analysen der Proben zeigten, blieben durch das Rauchen hervorgerufene epigenetische Veränderungen in vielen Zellen jahrelang stabil. So konnten die Forscher:innen durch epigenetische Auswertung in Proben der Mundschleimhaut mit über 90 Prozent Genauigkeit sagen, ob eine Person aktuell raucht, früher geraucht hat oder niemals geraucht hat.

    Die Forscher:innen fanden zudem heraus, dass sogenannte Epithelzellen, die normalerweise Organe auskleiden und meist die Ursprungszellen für Krebs sind, im Mund von Raucher:innen ein „pro-karzinogenes“ Epigenom verursachen – das heißt, dass sie ähnliche Veränderungen aufweisen wie Krebszellen. Dieselben epigenetischen Veränderungen wurden auch in den Mundzellen von E-Zigaretten-Nutzer:innen mit einer sehr begrenzten Rauch-Vorgeschichte und bei Benutzer:innen von Schnupftabak (Snus) beobachtet. Anhand dieser Veränderungen konnte mit einer Genauigkeit von über 90 Prozent festgestellt werden, ob eine Person E-Zigaretten oder Snus konsumiert.

    E-Zigaretten nicht so harmlos wie angenommen?

    Es ist die erste Studie, die die epigenetischen Auswirkungen des Rauchens und des Konsums von E-Zigaretten auf verschiedene Zellen im Körper untersucht – inklusive der Zellen, die durch den Tabakkonsum häufig Krebs entwickeln, zum Beispiel Mundschleimhautzellen. Sie ist außerdem eine der ersten Studien, die sich der Untersuchung potenziell längerfristiger Gesundheitsfolgen des E-Zigarettenkonsums widmet.

    „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass E-Zigaretten und insbesondere deren Langzeitfolgen noch genauer geprüft werden müssen, bevor sie allgemein als ‚95 Prozent sicherer als Zigaretten‘ zur Raucherentwöhnung empfohlen werden. Während sie ein wichtiges Mittel zur Zigarettenentwöhnung darstellen können, ist es wichtig, ihre Risiken und potenzielle Verbindung zu langfristigen Gesundheitskonsequenzen zu erforschen“, erklärt Erstautorin Chiara Herzog, Molekularmedizinerin am EUTOPS-Institut. „Wir hoffen, dass diese Studie zu einer breiteren Diskussion beiträgt, warum es wichtig ist, sowohl Tabak- als auch den E-Zigarettenkonsum einzuschränken – insbesondere bei Jugendlichen und Menschen, die noch nie geraucht haben.“

    Implikationen für die Risikovorhersage

    In Zukunft wollen die Forscher:innen sich intensiver mit der Bewertung der langfristigen Gesundheitsrisiken von (E-)Zigaretten auseinandersetzen, indem sie untersuchen, wie die per Mundabstrich gewonnenen Ergebnisse zu epigenetischen Veränderungen dazu genutzt werden könnten, Personen mit dem höchsten Krebsrisiko zu identifizieren.

    „Veränderungen, die in Lungenkrebsgewebe beobachtet werden, können auch in Mundzellen von Raucher:innen festgestellt werden, die (noch) nicht selbst krebsartig sind. Wichtig ist, dass unsere Forschung darauf hinweist, dass Nutzer:innen von E-Zigaretten dieselben Veränderungen aufweisen und dass diese neuen Produkte möglicherweise nicht so harmlos sind, wie ursprünglich angenommen. Langfristige Studien über E-Zigaretten sind erforderlich“, betont Martin Widschwendter.

    Originalpublikation:
    DNA methylation changes in response to cigarette smoking are cell- and exposure-specific and indicate shared carcinogenic mechanisms with e-cigarette use. Herzog, C. Jones, A., Evans, I., Raut, J.R., Zikan, M., Cibula, D., Wong, A., Brenner, H., Richmond, R.C., and Widschwendter, M. Cancer Reseach 2024 DOI: https://doi.org/10.1158/0008-5472.CAN-23-2957

    Pressestelle der Universität Innsbruck, 20.3.2024

  • Sicherer Hafen voraus!

    Mabuse-Verlag, Frankfurt a. M. 2024, 95 Seiten, 25,00 €, ISBN 9783863216108

    Jedes Kind braucht bei der abenteuerlichen Kreuzfahrt durch den Alltag einen sicheren Hafen, in dem eine Bezugsperson wartet, zu der es zurückkehren kann. Doch nicht alle Kinder haben eine Bindung zu einem Erwachsenen voller Geborgenheit und Unterstützung. Das erkennen Nico, Carla, Jamila und Erik, als in der Schul-Projektwoche nicht nur Eriks gebasteltes Segelschiff in Schieflage gerät. Er lebt in einem Kinderdorf und ist nicht der Einzige von den Vieren, der auf der Suche nach seinem sicheren Hafen ist.

    Im interaktiven zweiten Teil des Buches lernen Kinder, dass es einen guten Grund für ihr Verhalten im Sturm gibt. Eine individuell gestaltete Hilfe-Box hilft Eltern und Kindern, in Beziehung zu kommen und den kindlichen Bindungsbedürfnissen Ausdruck zu geben.

    Im Fachteil für Erwachsene wird das kindliche Grundbedürfnis nach Bindung inklusive der vier Bindungsmuster erklärt und aufgezeigt, dass Bindung nicht verwandtschaftlich vorgegeben ist, sondern primär über Feinfühligkeit entsteht. Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten runden das Buch ab. Für Kinder ab 8 Jahren. Ein psychologisches Kinderbuch für Grundschule, Jugendhilfe, Beratung & Therapie.

  • 150 Jahre Alida Schmidt-Stiftung

    Senatsempfang aus Anlass des 150-jährigen Bestehens der Alida Schmidt-Stiftung am 15.04.2024

    Ab April 2024 feiert die Alida Schmidt-Stiftung mit einer Reihe von Fachveranstaltungen ihr 150-jähriges Bestehen. Vorstandsvorsitzender Hans-Peter Strenge: „Wissen neu aufzunehmen, zu teilen und sich weiterzuentwickeln, liegt im Wesen der Alida Schmidt-Stiftung, die von einem Wohnstift mit 34 Wohnungen zu einem großen sozialwirtschaftlichen Unternehmen wurde.“ Nach dem gestrigen Senatsempfang und einem Fest für alle Mitarbeitenden (24. April) folgen drei Fachtage. Ausführliche Informationen hierzu im Veranstaltungsflyer.

    • 16. Mai 2024 im Fachkrankenhaus Hansenbarg in Hanstedt bei Buchholz: „Teilhabe statt Stigmatisierung von Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen“
    • 26. Juni 2024 in der Therapeutischen Gemeinschaft Jenfeld: „Stoffungebundene Süchte / Glücksspiel, Medien- und Internetsucht“
    • 27. August 2024 auf Einladung des Bereichs Kinder-, Jugend -und Eingliederungshilfe im Gemeindehaus der St. Michaeliskirche: „Bedarfsermittlung und -orientierung in den Hilfen für Familien / Wie kann gute Hilfe zur Erziehung gelingen?“

    Am 15. April vor 150 Jahren: Hamburger Senat genehmigt Statuten für Wohnstift

    Einen Überblick über die Stiftung und ihre Geschichte, dargestellt im Wechsel zwischen früheren Entwicklungen und der Praxis im Heute, bietet die Stiftungsbroschüre. Die Historikerin Dr. Kristina Vagt hat die Geschichte der Stiftung erforscht und für die Broschüre textlich aufbereitet. Dazu kommen aktuelle Text und Interviews.

    Errichtet wurde die Stiftung von der Hamburgerin Ida Schmidt im Gedenken an ihre früh verstorbenen Tochter Alida. Sie baute auch das Alida Schmidt-Wohnstift in der Bürgerweide 23 für bedürftige „Witwen und Jungfrauen“.

    Über Jahrzehnte betrieb die Stiftung ausschließlich das Wohnstift. Nach 1945 half sie durch neue Wohnheime z. B. für alleinstehende junge Frauen, Tbc-kranke Männer oder schwerbehinderte Ältere beim Wiederaufbau Hamburgs. In den 70erJahren wurden die Hilfeangebote professionalisiert und neue Aufgaben insbesondere in der Suchtkrankenhilfe kamen hinzu.

    Heute haben über 300 Seniorinnen und Senioren mit geringem Einkommen in einer der stiftungseigenen Seniorenwohnanlagen eine eigene Wohnung gemietet und erhalten Betreuungsleistungen. Darüber hinaus wohnen in 40 weiteren stiftungseigenen Wohnungen Mieterinnen und Mieter mit niedrigem Einkommen.

    Im Bereich Kinder-, Jugend- und Eingliederungshilfe betreut die Stiftung laufend stationär oder ambulant etwa 200 Familien mit ihren Kindern und junge Frauen mit psychischen Erkrankungen.

    Rund 1.700 Klienten und Klientinnen mit einer Abhängigkeit von Alkohol, Medikamenten und mit anderen Suchterkrankungen werden durch die Alida Schmidt-Stiftung in ihren Suchthilfeeinrichtungen jährlich unterstützt.

    Hans-Peter Strenge, Vorstandsvorsitzender: „Fast 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen diese Zielgruppen in den Facheinrichtungen und Wohnanlagen der Stiftung und bringen täglich ihre fachliche Kompetenz und ihr Engagement in die Stiftung ein. Dafür sagen wir DANKE an alle, die heute und früher in den Stiftungen wirk(t)en!“

    Quellen:
    • Pressemitteilung der Alida-Schmidt-Stiftung, 9.4.2024
    • Jubiläumsbroschüre: Alida Schmidt-Stiftung (Hg.), Vom Hamburger Wohnstift zum sozialwirtschaftlichen Unternehmen. Alida Schmidt-Stiftung 1874-2024, Hamburg 2024

  • Potente Wirkstoffe

    Täglich sterben weltweit tausende Menschen an der Überdosierung von Opioiden wie Fentanyl. Medikamente, die auf den Opioid-Rezeptor wirken, haben teils heftige Nebenwirkungen. Ein internationales Forschungsteam hat sich die molekularen Mechanismen dieser Wirkstoffe genauer angeschaut. Die Ergebnisse, die mit Beteiligung von Dr. Matthias Elgeti, Biophysiker der Universität Leipzig, in Kooperation mit Forschergruppen aus den USA und China entstanden sind, wurden im renommierten Wissenschaftsjournal „Nature“ veröffentlicht.

    Opioid-Rezeptoren sind von sehr großem pharmakologischem Interesse, denn Opioid-Wirkstoffe regulieren die Schmerzwahrnehmung. „Unsere Ergebnisse geben einen Einblick, wie ein Opioid-Rezeptor unterschiedliche Funktionen ausführen kann. Er ist in der Lage, Schmerzen zu mindern, aber auch die Verdauung oder die Atmung zu regulieren“, erklärt Dr. Elgeti, Co-Erstautor der Studie, vom Institut für Wirkstoffentwicklung der Medizinischen Fakultät.

    Der Biophysiker hat in der aktuellen Studie mit internationalen Wissenschaftler:innen zusammengearbeitet, unter anderem der Forschungsgruppe des Nobelpreisträgers Brian Kobilka von der Stanford University. Dabei fanden sie heraus, dass sogenannte Super-Agonisten wie Fentanyl einen Zustand des Rezeptors stabilisieren, der eine besonders effektive und andauernde Signalweiterleitung hervorruft. Dies macht Super-Agonisten besonders potent und deshalb gefährlich.

    Wie die Rezeptor-vermittelte Signalweiterleitung funktioniert, zeigt die Abbildung: Opioid-Rezeptoren befinden sich in der Zellmembran und binden Wirkstoffe auf der Außenseite. Dies bewirkt Strukturänderungen im Rezeptor, die dann auf der Innenseite durch unterschiedliche Signalproteine erkannt werden.

    Rezeptor-vermittelte Signalweiterleitung. Abbildung: Matthias Elgeti

    Die Opioid-Rezeptoren sind Mitglieder der großen Familie der „G-Protein-gekoppelten Rezeptoren“ (GPCRs), die viele Signalprozesse im Körper steuern, zum Beispiel Geschmack und Geruch, wieder andere binden Neurotransmitter oder Hormone oder werden durch Licht aktiviert. Das Verständnis der molekularen Interaktionen dieser Rezeptoren mit Medikamenten und anderen Signalproteinen ist sehr wichtig für die Entwicklung von Medikamenten. Da alle GPCRs große strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen, erhoffen sich die Forscher, die Erkenntnisse zum Opioid-Rezeptor auch auf andere Rezeptoren übertragen zu können.

    „Für die aktuelle Studie wurden die Opioid-Rezeptoren isoliert. Normalerweise sind sie in den Zellen des Körpers im Zusammenspiel mit vielen anderen Proteinen und Molekülen. Die Erforschung weiterer molekularer Interaktionen ist also wichtig, um ein volles Verständnis der Regulierungsmechanismen zu erlangen“, erklärt Dr. Elgeti. Die neue Studie stellt einen wichtigen Baustein aus der Grundlagenforschung dar, weitere Studien sind notwendig, um letztendlich bessere und sicherere Medikamente zu entwickeln.

    Originalpublikation in Nature: Ligand efficacy modulates conformational dynamics of the µ-opioid receptor. DOI: 10.1038/s41586-024-07295-2

    Pressestelle der Universität Leipzig, 11.4.2024