Autor: Simone Schwarzer

  • Warnung: Mit Carfentanyl versetztes Heroin in München

    Bereits im Dezember 2023 kam es zu einer Kontrolle von zwei Personen in einer Parkanlage des Münchner Stadtteils Bogenhausen durch Beamte der Polizeiinspektion 22. Bei einer der beiden Personen wurde Rauschgift aufgefunden, bei welchem es sich augenscheinlich um Heroin handelte. Der 54-Jährige erhielt daraufhin wegen des Verdachts eines Vergehens gemäß dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) eine Strafanzeige und das Rauschgift wurde sichergestellt.

    Im Rahmen der Untersuchung durch Sachverständige des Bayerischen Landeskriminalamts wurde nun festgestellt, dass in dem Rauschgift Carfentanyl enthalten war. Das Derivat Carfentanyl ist ein hochpotentes Opioid, das dem BtMG unterliegt und im Bereich der Veterinäranästhesie zur Betäubung von Elefanten und Nashörnern angewandt wird. Aufgrund der Wirkstärke und den daraus resultierenden Nebenwirkungen findet es jedoch keine Verwendung in der Humanmedizin.

    Bei einer Überdosierung kommt es zu opiattypischen, lebensgefährlichen Nebenwirkungen wie Atemdepression bis hin zum Atemstillstand. Weitere unerwünschte Wirkungen sind Übelkeit, Schwindel, Bewusstlosigkeit und Koma. Weltweit sind im Zusammenhang mit der Einnahme von Carfentanyl zahlreiche Intoxikationen und Todesfälle bekannt geworden.

    In Deutschland registrierte die Polizei den Umlauf von Carfentanyl in der Drogenszene erstmals im Jahr 2016. Teils wird der Stoff als „synthetisches Heroin“ bezeichnet, obwohl aus chemischer Sicht kaum Gemeinsamkeiten zur Gruppe der Opiate bestehen. Die schmerzlindernde und zugleich euphorisierende Wirkung setzt schnell ein, jedoch ist die vorherrschende intravenöse Konsumform wegen der enorm hohen Potenz des Wirkstoffs mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko verbunden. Carfentanyl besitzt eine 7.500-fach stärkere analgetische Wirkung als Morphin. Es besteht somit gerade bei pulverförmigen Proben ein unkalkulierbares Risiko der Überdosierung, die infolge einer Atemlähmung tödlich enden kann.

    Innerhalb Europas kam es während der letzten Jahre immer wieder zu Sicherstellungen von Carfentanyl, welches als Heroin verkauft worden war. Die Europäische Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA meldete zudem mehrere Dutzend Todesfälle im Zusammenhang mit der Einnahme von Carfentanyl, unter anderem in Belgien, Estland, Norwegen, Schweden und Großbritannien.

    Aufgrund der unkalkulierbaren bis hin zu lebensbedrohlichen Folgen warnt die Polizei ausdrücklich vor dem Konsum von Carfentanyl.

    Wählen Sie bei einem medizinischen Notfall die 112!

    Pressestelle des Bayerischen Landeskriminalamtes, 12.02.2024

  • Stress beeinflusst via Immunsystem Gehirn und Psyche

    Chronischer Stress wirkt sich auf das Immunsystem und das Gehirn aus. Forschende der Universität Zürich (UZH) zeigen, dass unter Stress ein bestimmtes Enzym aus Immunzellen ins Gehirn gelangt. Bei Mäusen bewirkt es, dass sie sich zurückziehen und soziale Kontakte meiden. Dieser neu entdeckte Zusammenhang von Körper und Geist bei stressbedingten psychischen Erkrankungen könnte zu neuen Behandlungen bei Depressionen führen.

    Chronischer Stress hat tiefgreifende Auswirkungen auf den Körper. So gehen zum Beispiel viele stressbedingte psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen mit Veränderungen des Immunsystems einher. Die zugrundeliegenden Mechanismen, wie diese Veränderungen das Gehirn beeinflussen, sind jedoch noch weitgehend unbekannt.

    Enzym von Immunzellen im Blut beeinträchtigt Nerven im Gehirn

    Einen zentralen Mechanismus hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Zürich (UZH), der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) und der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, nun entschlüsselt. „Wir konnten zeigen, dass Stress die Menge des Enzyms Matrixmetalloproteinase 8, kurz MMP8, im Blut von Mäusen erhöht. Die gleiche Veränderung fanden wir auch in Patientinnen und Patienten mit einer Depression“, sagt Erstautor Flurin Cathomas. Vom Blut gelangt MMP8 ins Gehirn und verändert dort die Funktionstüchtigkeit bestimmter Nervenzellen. Bei den betroffenen Mäusen führt dies zu Verhaltensänderungen: Sie ziehen sich zurück und meiden soziale Kontakte.

    Möglicher Ansatzpunkt zur Behandlung von Depressionen

    Neu sind die Ergebnisse gemäß Cathomas in zweifacher Hinsicht: „Erstens beschreiben wir einen neuartigen ‚Body-Mind-Mechanismus‘, der nicht nur für stressassoziierte psychiatrische Erkrankungen relevant sein könnte, sondern möglicherweise auch für andere Krankheiten, die sowohl das Immun- als auch das Nervensystem beeinflussen.“ Und zweitens, so der Psychiater, hätten sie mit MMP8 ein spezifisches Protein identifiziert, das ein potenzieller Ansatzpunkt für eine neue Depressionstherapie sein könnte.

    Veränderungen am stützenden Gerüst der Nervenzellen

    Im Tiermodell konnten die Forschenden zeigen, dass bei Stress vermehrt Monozyten – eine bestimmte Art weißer Blutkörperchen – ins Gefäßsystem des Gehirns wandern, besonders in die Regionen des Belohnungszentrums. Diese Immunzellen produzieren das Enzym MMP8. Es ist am Umbau und der Regulation des netzartigen Gerüsts beteiligt, das die Nervenzellen im Gehirn umgibt – die sogenannte extrazelluläre Matrix. „Dringt das Protein aus dem Blut ins Hirngewebe ein, verändert es das Zellgerüst und stört so die Funktion der Nervenzellen. Betroffene Mäuse verändern dadurch ihr Verhalten vergleichbar mit Menschen mit einer Depression“, sagt Flurin Cathomas.

    Um nachzuweisen, dass tatsächlich MMP8 für die Verhaltensänderungen verantwortlich ist, entfernten die Forschenden bei einem Teil der Mäuse das MMP8-Gen. Diese Tiere waren im Vergleich zu Kontroll-Mäusen vor den negativen stressbedingten Verhaltensänderungen geschützt. „Dass die in den Mäusen gefundenen Ergebnisse auch für Menschen relevant sind, zeigen unsere Analysen im Blut von depressiven Patienten. Sowohl die Monozyten als auch das MMP8-Enzym waren bei ihnen im Vergleich zu gesunden Probanden vermehrt vorhanden“, so Cathomas.

    Klinische Studie mit depressiven Patienten geplant

    Bevor die Ergebnisse in die klinische Praxis implementiert werden können, braucht es noch viele weitere Studien. „Unsere Arbeit zeigt aber einmal mehr auf, wie wichtig das Zusammenspiel zwischen dem Immunsystem und dem Gehirn bei der Entstehung von psychiatrischen Erkrankungen ist. Diese Erkenntnisse fließen schon heute in die psychiatrische Behandlung mit ein“, so Cathomas. Auf der von ihm geleiteten Spezialstation für integrative Versorgung an der PUK werden Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen psychiatrischen Erkrankungen in Sinne einer ganzheitliche Mind-Body-Herangehensweise nach neuestem wissenschaftlichem Stand behandelt.

    Das Forscherteam plant nun klinische Studien, um zu untersuchen, inwieweit das Immunsystem durch die Stimulation gewisser Gehirnareale beeinflusst werden kann, und ob allfällige Veränderungen in den Abwehrzellen einen Einfluss auf das Verhalten depressiver Patienten haben.

    Originalpublikation:
    Flurin Cathomas, Hsiao-Yun Lin, Kenny L. Chan, Long, Lyonna F. Parise, Johana Alvarez, et. al. Peripheral immune-derived matrix metalloproteinase promotes stress susceptibility and depression. Nature. 7 February 2024. DOI: 10.1038/s41586-023-07015-2

    Pressestelle der Universität Zürich, 7.2.2024

  • Deutsche fühlen sich unsicherer

    Mehr als tausend Straftaten überschatteten die Kölner Silvesternacht 2015. Diese reichten von Diebstahl bis hin zu sexuellen Übergriffen und sollen überwiegend von nordafrikanischen Geflüchteten begangen worden sein. Eine Studie des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim sowie der Goethe-Universität Frankfurt auf Datenbasis des European Social Survey (ESS) weist nun erstmals wissenschaftlich nach, dass sich die Deutschen nach den Ereignissen deutlich unsicherer fühlen und sich mit dem Thema Selbstverteidigung intensiver beschäftigen.

    „Wir zeigen, dass das Sicherheitsempfinden bei der Bevölkerung um etwa fünf Prozent sank. Dieser Effekt hielt bis zu zwei Jahren an. Frauen, Opfer von Straftaten sowie politisch rechtsstehende Personen sind davon noch stärker betroffen“, erklärt Ko-Autor Dr. Martin Lange, der die Nachwuchsforschungsgruppe „IMES – Integration von Migranten/-innen und Einstellungen zum Sozialstaat“ im ZEW-Forschungsbereich „Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen“ leitet, die Studienergebnisse.

    „Nach der Silvesternacht stiegen außerdem Internet-Suchanfragen zu Begriffen wie ‚Pfefferspray‘ und ‚Selbstverteidigung‘ sprunghaft an. Die Straftaten verschlechterten zudem auch die allgemeine öffentliche Einstellung gegenüber Geflüchteten und Einwanderern“, ergänzt Lange.

    Vertrauensverlust in die öffentliche Sicherheit

    In der Silvesternacht von 2015 auf 2016 kam es in Köln zu gewalttätigen Ausschreitungen, die bundesweit Schlagzeilen machten. Die mutmaßlichen Täter sollen überwiegend junge Männer aus nordafrikanischen Staaten und/oder arabischer Herkunft sein, die 2015 als Geflüchtete nach Deutschland kamen. Die Reaktionen auf das Kriminalitätsereignis wirken sich potenziell auch auf die Politik aus. So kann die erhöhte Nachfrage nach Verteidigungsgütern als Vertrauensverlust in die Fähigkeit des Staates interpretiert werden, die Sicherheit seiner Bürger/innen zu gewährleisten. „Die politischen Entscheidungsträger/innen sollten sich der möglichen Risiken eines Trends zu individuellen Selbstbewaffnung bewusst sein und Maßnahmen ergreifen, um diesem Trend entgegenzuwirken“, schlussfolgert Martin Lange.

    Datenbasis

    Mithilfe von Daten aus dem European Social Survey (ESS), dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) und eines Difference-in-Differences(DiD)-Schätzers verglichen die Wissenschaftler das Sicherheitsempfinden in Deutschland vor und nach der Silvesternacht mit dem in anderen europäischen Ländern, die als Kontrollgruppe dienten. Der Kontrollgruppenansatz basiert auf der Annahme, dass andere europäische Länder um 2015 ebenfalls einem erheblichen Zustrom von Asylbewerbern/-innen nach Europa ausgesetzt waren, aber nicht direkt von den Ereignissen am Silvestertag betroffen waren.

    Originalpublikation: https://ftp.zew.de/pub/zew-docs/dp/dp23068.pdf

    Pressestelle des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim, 27.12.2023

  • Sei ein Narr!

    Autor:innen: Dirk Rohr, Tina Heimann, Negin Ghahari, Esther Scholz
    Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2024, 215 Seiten, 29,95 €, ISBN 978-3-8497-0503-9

    Am mittelalterlichen Hof war der Narr die einzige Person, die den Herrscher kritisieren durfte – solange es auf humorvolle Weise geschah. Therapie, Beratung und Supervision können eine ähnliche Rolle übernehmen: Die humorvolle Respektlosigkeit gegenüber bisherigen Ideen kann Klient:innen im ersten Moment verstören, dann aber Wege aus Spannungen und Konflikten eröffnen. Das Buch ist ein Appell an Berater:innen, den Narren im eigenen Inneren Team zu aktivieren, den Mut aufzubringen, augenzwinkernd provokante Hypothesen zu „erfinden“, eigene Ambivalenzen – und die der Klient:innen – zum Ausdruck zu bringen. Voraussetzung ist, dass dieser spielerische Zugang vollständig auf der Haltung von Wertschätzung und Empathie beruht.

  • Hormone und Alkoholkonsum

    Forschende des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Technischen Universität Dresden haben in der Fachzeitschrift „American Journal of Psychiatry“ Studienergebnisse veröffentlicht, die ein besseres Verständnis für den Zusammenhang zwischen Hormonen und Alkoholkonsum ermöglichen. Eine nach Geschlechtern getrennte, multizentrische Längsschnittstudie, durchgeführt an 74 Frauen mit Alkoholabhängigkeit, die einen natürlichen Menstruationszyklus haben, und 278 Männern mit Alkoholabhängigkeit zeigt signifikante Zusammenhänge zwischen Menstruationszyklus, dem Verhältnis von Progesteron zu Östradiol und problematischem Trinkverhalten.

    Die Studie zeigt, dass während der späten Lutealphase des Menstruationszyklus bei Frauen die Wahrscheinlichkeit für Tage mit exzessivem Trinken bei 13 Prozent lag und geringer war als in der menstruellen (17 Prozent), follikulären (19 Prozent) und ovulatorischen Phase (20 Prozent). Gleichzeitig war in der späten Lutealphase der Mittelwert des Progesteron-Östradiol-Verhältnisses im Vergleich zu anderen Zyklusphasen erhöht. Bei Männern stand ein höheres Progesteron-Östradiol-Verhältnis direkt mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für exzessives Trinken und für jeglichen Alkoholkonsum in Verbindung.

    Diese Ergebnisse legen nahe, dass ein höheres Progesteron-Östradiol-Verhältnis alkoholabhängige Frauen und Männer vor problematischem Alkoholkonsum schützen kann. Damit ist das Hormonverhältnis eine vielversprechende Zielgröße zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit. Dies könnte den Weg für personalisierte, zyklusabhängige Behandlungen ebnen, insbesondere für alkoholabhängige Frauen.

    Professor Dr. Bernd Lenz und Sabine Hoffmann von der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim betonen die Bedeutung dieser Erkenntnis: „Unsere Forschung eröffnet neue Perspektiven für die Behandlung von Alkoholabhängigkeit. Die Erkenntnisse können dazu beitragen, geschlechtsspezifische Therapieansätze zu entwickeln, die die biologischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern berücksichtigen.“

    Zur Methodik

    In der multizentrischen Längsschnittstudie analysierten die Forschenden individuelle Daten zum realen Alkoholkonsum, die per Smartphone über einen Zeitraum von zwölf Monaten erhoben wurden, den Menstruationszyklus und das Verhältnis von Progesteron zu Östradiol im Blut (insgesamt 667 Blutproben aus vier Untersuchungsterminen) bei 74 Frauen und 278 Männern mit Alkoholabhängigkeit.

    Über das Forschungskonsortium TRR 265

    Hauptrisikofaktoren für Mortalität und Morbidität weltweit sind Alkohol- und Tabakkonsum. Während das Wissen über individuelle Faktoren, die den Beginn und die Aufrechterhaltung des Substanzkonsums fördern, zunimmt, fehlt es immer noch an fundiertem Wissen über modulierende Faktoren und Mechanismen, die zum Verlust und zur Wiedererlangung der Kontrolle über den Drogenkonsum beitragen. Ein besseres Verständnis dieser Faktoren und Mechanismen wird entscheidend sein, um die Behandlung von Suchterkrankungen zu verbessern. Das Ziel des Forschungskonsortiums TRR 265 ist es, die Verläufe des Verlusts und der Wiedererlangung der Kontrolle über den Drogenkonsum zu identifizieren, die zugrundeliegenden neurobiologischen und Lernmechanismen zu untersuchen und mechanismusbasierte Therapien zu entwickeln. Mehr unter trr265.org

    Originalpublikation:
    Hoffmann S et al., Associations of Menstrual Cycle and Progesterone-to-Estradiol Ratio With Alcohol Consumption in Alcohol Use Disorder: A Sex-Separated Multicenter Longitudinal Study. Am J Psychiatry, doi: 10.1176/appi.ajp.20230027

    Pressestelle des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, 16.1.2024

  • Voreingenommene Maschinen

    Genauso wie Menschen haben auch große, auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Sprachmodelle Merkmale wie Moral- und Wertevorstellungen. Diese sind jedoch nicht immer transparent. Forschende der Universität Mannheim und des GESIS – Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften haben nun untersucht, wie man die Eigenschaften der Sprachmodelle sichtbar machen kann und welche Folgen diese Voreingenommenheit für die Gesellschaft haben könnte.

    Beispiele für Stereotypen findet man bei kommerziellen KI-gestützten Anwendungen wie ChatGPT oder DeepL, die häufig automatisch annehmen, dass leitende Ärzt:innen männlich und Pflegekräfte weiblich sind. Doch nicht nur bei Geschlechterrollen können große Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) bestimmte Tendenzen zeigen. Gleiches lässt sich auch in Bezug auf andere menschliche Merkmale feststellen und messen. Das haben Forschende der Universität Mannheim und des GESIS – Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften in einer neuen Studie anhand einer Reihe von offen verfügbaren LLMs aufgezeigt.

    Im Rahmen ihrer Studie haben die Forschenden mithilfe von etablierten psychologischen Tests die Profile der unterschiedlichen LLMs untersucht und miteinander verglichen. „In unserer Studie zeigen wir, dass man psychometrische Tests, die seit Jahrzehnten erfolgreich bei Menschen angewendet werden, auch auf KI-Modelle übertragen kann“, betont Autor Max Pellert, Assistenzprofessor am Lehrstuhl für Data Science in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Mannheim.

    „Ähnlich wie wir bei Menschen Persönlichkeitseigenschaften, Wertorientierungen oder Moralvorstellungen durch Fragebogen messen, können wir LLMs Fragebogen beantworten lassen und ihre Antworten vergleichen“, so der Psychologe Clemens Lechner vom GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim, ebenfalls Autor der Studie. Dies mache es möglich, differenzierte Eigenschaftsprofile der Modelle zu erstellen. Die Forschenden konnten beispielsweise bestätigen, dass manche Modelle genderspezifische Vorurteile reproduzieren: Wenn im ansonsten gleichen Text eines Fragebogens einmal eine männliche und einmal eine weibliche Person im Mittelpunkt steht, werden diese unterschiedlich bewertet. Handelt es sich um einen Mann, so wird der Wert „Achievement“ – also Leistung – im Text stärker betont, wohingegen bei Frauen die Werte Sicherheit und Tradition dominieren.

    „Das kann weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben“, so der Daten- und Kognitionswissenschaftler Pellert. Sprachmodelle werden beispielsweise zunehmend in Bewerbungsverfahren eingesetzt. Ist die Maschine voreingenommen, so fließt das auch in die Bewertung der Kandidierenden ein. „Die Modelle bekommen eine gesellschaftliche Relevanz über die Kontexte, in denen sie eingesetzt werden“, fasst er zusammen. Deshalb sei es wichtig, bereits jetzt mit der Untersuchung anzufangen und auf potenzielle Verzerrungen hinzuweisen. In fünf oder zehn Jahren wäre es möglicherweise zu spät für so ein Monitoring: „Die Vorurteile, welche die KI-Modelle reproduzieren, würden sich verfestigen und der Gesellschaft schaden“, so Pellert.

    Die Studie wurde am Lehrstuhl für Data Science in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften von Prof. Dr. Markus Strohmaier in Zusammenarbeit der Abteilung Survey Design und Methodology von Prof. Dr. Beatrice Rammstedt durchgeführt. Beide Forschende sind auch am GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften beschäftigt.

    Die Ergebnisse der Untersuchung sind im renommierten Fachjournal „Perspectives on Psychological Science“ erschienen:

    Pellert, M., Lechner, C. M., Wagner, C., Rammstedt, B., & Strohmaier, M. (2024). AI Psychometrics: Assessing the Psychological Profiles of Large Language Models Through Psychometric Inventories. Perspectives on Psychological Science. https://doi.org/10.1177/17456916231214460

    Weitere Informationen unter:
    (2023). KI – nicht ohne Eigenschaften. Inf 04.
    https://inf.gi.de/04/ki-nicht-ohne-eigenschaften

    Pressestelle des GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, 8.1.2024