Autor: Simone Schwarzer

  • Wo Männer fast so alt werden wie Frauen – und wo nicht

    Über viele Jahrzehnte hinweg stieg die Lebenserwartung von Frauen schneller als die der Männer. Seit Ende des 20. Jahrhunderts verringern sich aber die Unterschiede wieder. Wo die Lücken zwischen Männern und Frauen besonders gering oder noch auffallend groß sind, damit haben sich Forschende am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in einer neuen Studie beschäftigt. Hierfür haben sie erstmals detaillierte Todesursachendaten für 228 Regionen in sieben europäischen Ländern untersucht.

    Während Männer noch Mitte der 1990er Jahre in den betrachteten Regionen bei der Lebenserwartung durchschnittlich über 7 Jahre hinter Frauen zurücklagen, so hat sich der Wert in den letzten Jahrzehnten auf unter 5,5 Jahre reduziert. Es zeigen sich aber erhebliche räumliche Unterschiede: In Süddeutschland, Dänemark und der Schweiz sind die Differenzen mit teilweise weniger als vier Jahren besonders gering. Spitzenreiter mit nur 3,3 Jahren Abstand ist die Region Nordwestschweiz mit Basel und Umland, dicht gefolgt von der Region München und Umland mit 3,5 Jahren. In Teilen von Ostdeutschland, Tschechien, der Slowakei und Frankreich sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen mit 6 und mehr Jahren dagegen etwa doppelt so groß. Des Weiteren beobachten die Forschenden auch Lücken zwischen Stadt und Land. So ist der Rückstand der Männer in vielen Großstädten geringer als in weniger zentralen Regionen eines Landes. „Florierende Großstädte ziehen durch ihre guten Jobmöglichkeiten eher gesunde und qualifizierte Bevölkerungsgruppen an, während strukturschwache Regionen weniger attraktiv für diese Menschen sind“, erklärt der Mortalitätsforscher Markus Sauerberg vom BiB. Dies trägt dazu bei, dass in großen Städten oft eine vergleichsweise niedrige Sterblichkeit mit geringen Geschlechterunterschieden beobachtet wird.

    Ungesundes Verhalten verursacht unterschiedliche Lebenserwartung

    Im 20. Jahrhundert waren gesundheitsbeeinträchtigende Verhaltensweisen wie etwa das unter Männern weiter verbreitete Rauchen von wesentlicher Bedeutung, dass die Lebenserwartung bei Männern langsamer anstieg als bei Frauen. Auch wiesen Männer lange eine deutlich höhere Erwerbsbeteiligung auf, wodurch sie in größerem Maße arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken ausgesetzt waren. Der Aufholprozess der Männer im Hinblick auf die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten hat nun mehrere Gründe: „Der zunehmende Einsatz von Herzschrittmachern half gerade bei ihnen, die Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu reduzieren“, so Sauerberg. Außerdem ebbt bei Männern die durch das Rauchen bedingte Sterblichkeit bereits ab, während sie bei Frauen weiter ansteigt. Dies hängt damit zusammen, dass Frauen erst ab den 1960er Jahren in einem hohen Maße mit dem Rauchen begonnen haben. Durch die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen nehmen zudem Geschlechterunterschiede bei arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken ab.

    Lebensstile beeinträchtigen Lebenserwartung stärker als biologische Unterschiede

    Wie die Ergebnisse anderer Studien zeigen, kann nur ein kleiner Teil der Unterschiede zwischen Männern und Frauen auf biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern zurückgeführt werden. Der größere Teil ist vom Lebensstil sowie von der Vorbeugung und Früherkennung von Krankheiten abhängig. Diese Aspekte können durch persönliches Verhalten und die Gesellschaft beeinflusst werden. „Wie etwa die Rollen von Männern und Frauen im Privatleben, Beruf und Krisensituationen gesellschaftlich gesehen werden, hat einen erheblichen Einfluss auf die Geschlechterunterschiede in der Sterblichkeit“, erklärt Sebastian Klüsener, Mitautor der Studie. „Dazu zählt etwa, ob der Mann eher in der Verantwortung für das Haushaltseinkommen gesehen wird, oder ob bestimmte gesundheitsbeeinträchtigende Verhaltensweisen wie das Rauchen oder der Alkoholkonsum bei Männern oder Frauen eher toleriert werden und verbreiteter sind.“ Wenn sich Rollenbilder annähern, gleichen sich tendenziell auch die Sterblichkeitsunterschiede zwischen Männern und Frauen an.

    Zur Definition von Lebenserwartung
    Die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt gibt an, wie viele Jahre ein Mensch leben würde, wenn das ganze Leben hindurch die in dem betrachteten Zeitraum gemessenen altersspezifischen Sterblichkeitsraten gelten würden. Der Indikator erlaubt, die Sterblichkeitsverhältnisse zwischen Bevölkerungen bzw. Teilbevölkerungen (wie etwa Männer vs. Frauen) und im Zeitverlauf vergleichen zu können.

    Originalpublikation:
    Sauerberg, M., Klüsener, S., Mühlichen, M., Grigoriev, P. (2023). Sex differences in cause-specific mortality: regional trends in seven European countries, 1996–2019, European Journal of Public Health. DOI: doi.org/10.1093/eurpub/ckad111

    Pressestelle des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), 9.8.2023

  • SUCHT & SÜCHTIG

    SUCHT & SÜCHTIG ist ein Podcast für Süchtige, die Abstinenz leben, für Abhängige, die clean werden wollen, und natürlich auch für alle anderen. John und Hagen reden seit einem Jahr in ihrem Podcast über ihre Erkrankung. Im Juni 2023 haben sie mit SUCHT & SÜCHTIG den Deutschen Podcast-Preis gewonnen. Seit Folge 43 (26.07.2023) ist SUCHT & SÜCHTIG ein ARD-Podcast, produziert von SWR und radioeins. Er erscheint immer donnerstags.

    Zum Inhalt:
    Wir nehmen die Worte „Drogen“ und „Sucht“ oft derart leichtfertig in den Mund, dass wir dabei vergessen, dass es sich bei der Drogensucht um eine lebensgefährliche Krankheit handelt. Wir finden es voll cool, wenn in Netflix-Serien Leute Lines ziehen, aber gleichzeitig assoziieren wir Drogensüchtige mit „asozial“. Sie werden stigmatisiert. Raus aus der Gesellschaft.

    John und Hagen reden seit einem Jahr in ihrem Podcast über ihre Erkrankung. Sie wollen diesen Teufelskreis durchbrechen und haben sich nach Jahren des Abstiegs gesagt: Wir gehen diese verdammte Treppe jetzt wieder hoch. Sie waren an diesem dunklen Ort, haben sich in der Therapie kennengelernt und dokumentieren jetzt wöchentlich in ihrem Podcast ihren Weg.

    „Wir haben zusammen bereits geweint, gelacht und gelitten und möchten diese Dynamik gern weitergeben und somit etwas in den Menschen bewegen, sie unterhalten und auf die Thematik Sucht aufmerksam machen. Wir möchten einen Gegenpol zu populärer Musik, Feierwut und verzerrten Trends bieten, der das echte Leben bei langjährigem Konsum ehrlich darstellt. Ernst und voller Respekt, motivierend aber auch unterhaltsam, emotional und an den richtigen Stellen mit einem zwinkernden Auge.“

    Quelle: Website radioeins https://www.radioeins.de/

    SUCHT & SÜCHTIG in der ARD-Audiothek:
    https://www.ardaudiothek.de/sendung/sucht-und-suechtig/94641878/

    Ältere Folgen auf spotify:
    https://open.spotify.com/show/5nXvGzUVDngRmoi4OPYL9k?si=1093544d51cf4f0b&nd=1

  • Weltlungenkrebstag am 1. August

    Am 1. August ist der Weltlungenkrebstag. Lungenkrebs ist immer noch eine der häufigsten Krebserkrankungen. Mit mehr als 127.000 tabakbedingten Todesfällen pro Jahr allein in Deutschland ist der Tabakkonsum nach wie vor das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko überhaupt. Etwa 90 Prozent aller Lungenkrebsfälle gehen auf das Rauchen zurück.

    Deshalb fordert der Bundesbeauftragte für Sucht- und Drogenfragen Burkhard Blienert: „Wir müssen mehr machen, um Menschen davon abzuhalten, mit dem Rauchen überhaupt zu beginnen. Gleichzeitig müssen wir uns um die vielen Millionen Raucherinnen und Raucher kümmern, die seit Jahren immer wieder mal versuchen, von Zigaretten und Co. loszukommen, es aber bisher nicht geschafft haben. Es ist ja auch nicht einfach. Aber genau diesen Menschen wollen wir mit unserer Bundesinitiative ‚Rauchfrei Leben‘ gemeinsam mit vielen wichtigen Akteuren des deutschen Gesundheitssystems helfen.“

    Etwa 56.000 Menschen erkranken jährlich in Deutschland neu an einem Lungenkarzinom, etwa 44.000 sterben daran. Die Überlebensrate von 20 Prozent bleibt niedrig. Tumore werden oft spät entdeckt, denn Lungenkrebs verursacht lange keine Beschwerden. Deshalb mahnt der Bundesbeauftragte für Sucht- und Drogenfragen Burkhard Blienert eindringlich:

    „Rauchfrei leben ist gesünder und ein Leben ohne Rauch geht auch! Lungenkrebs ist in Deutschland die zweithäufigste Krebserkrankung bei Männern und die dritthäufigste bei Frauen. Dabei kann die hohe Sterblichkeit gut abgesenkt werden, indem weniger Menschen zu Zigarette und Co. greifen. Dazu sind eine verstärkte Tabakentwöhnung oder Tabakvermeidung nötig. Seit Corona greifen wieder mehr Leute zum Glimmstengel und zu e-Zigaretten. Darum hat sich die Ampelregierung im Koalitionsvertrag auf weitere Regulierungen und engere Grenzen bei der Werbung und beim Sponsoring für Tabak verständigt. Denn wir wissen: Je häufiger etwa Jugendliche mit Tabakwerbung konfrontiert werden, desto früher fangen sie mit dem Rauchen an. Bestehende Lücken bei der Werberegulierung müssen durch Verbote geschlossen werden: beispielsweise bei der Point of Sale-Werbung, bei der kostenlosen Abgabe der Tabakerhitzer und e-Zigaretten, bei der Kinowerbung bei FSK 18-Filmen sowie bei Sponsoring durch die Nikotinwirtschaft von Festivals.“

    Der Welt-Lungenkrebstag wurde 2011 von Betroffenen ins Leben gerufen, um auf die Krankheit und die Betroffenen aufmerksam zu machen.

    Pressestelle des Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, 31.7.2023

  • Therapie-Tools Transdiagnostische Psychoedukation

    Autor:innen: Christian Schanz, Hannah Mattheus, Monika Equit, Sarah Schäfer
    Beltz Verlag, Weinheim 2022, 231 Seiten mit E-Book inside und Arbeitsmaterial, 46,00 €, ISBN 978-3-621-28955-9

    Nicht mehr „ausschließlich“ Depressionen, Ängste oder Abhängigkeiten behandeln: In den letzten Jahren entwickelte sich ein Trend hin zu diagnoseübergreifenden Interventionsmethoden, den sogenannten transdiagnostischen Ansätzen. Dieser Therapie-Tools-Band verbindet transdiagnostische Therapie mit einer zentralen Technik der Kognitiven Verhaltenstherapie, die in über 90 Prozent der ambulanten und stationären Therapien Anwendung findet, der Psychoedukation. Das Buch enthält zahlreiche Arbeits- und Informationsblätter zu folgenden transdiagnostisch relevanten Krankheitsfaktoren:

    • Defizite der Emotionsregulation
    • Schlafprobleme
    • dysfunktionale Aufmerksamkeitsprozesse
    • Stress
    • kognitive Verzerrungen

    Diese Krankheitsfaktoren treten – unabhängig von der Diagnose – bei einem Großteil der Patient:innen in ambulanter und stationärer Behandlung auf. Ansprechende Illustrationen machen die Informationen leichter zugänglich. Ergänzend werden Informationsmaterialien in Einfacher Sprache angeboten.

  • Reaktanz in der Gesundheitskommunikation

    Eine neue Studie zu Reaktanz in der Gesundheitskommunikation zeigt, dass Aufforderungen zu weniger Fleischkonsum Aufmerksamkeitsprozesse beeinflussen und  Konsumveränderungen erschweren können.

    Zahlreiche Informationskampagnen versuchen Menschen von einem gesunden Verhalten zu überzeugen. So werden wir fast täglich mit Aufforderungen konfrontiert, uns mehr zu bewegen, gesünder zu essen oder mit dem Rauchen aufzuhören. Forschung zeigt, dass solche Botschaften durchaus wirken können, ihre Effekte aber begrenzt sind. Ein Erklärungsansatz dafür ist das Phänomen der psychologischen Reaktanz. Durch die Aufforderung, das eigene Verhalten zu ändern, können sich Menschen in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt fühlen, sie reagieren dann verärgert und ignorieren die Botschaft oder verstärken das unerwünschte Verhalten sogar. So konnten verschiedene Studien zeigen, dass Gesundheitsbotschaften, die auf eine Reduzierung von Tabak- oder Alkoholkonsum abzielten, gegenteilige Effekte bewirkten, also zu einer gesteigerten Einnahme der Drogen führten.

    Wie beeinflusst Reaktanz Aufmerksamkeitsprozesse?

    Während die Auswirkungen psychologischer Reaktanz in vielen Bereichen gut untersucht sind, ist wenig über die zugrundeliegenden kognitiven Prozesse bekannt. Im Rahmen einer nun im „Journal of Health Communication“ veröffentlichten Studie wurde von Forschenden der Universitäten Bamberg und Erfurt untersucht, inwiefern Reaktanz Aufmerksamkeitsprozesse beeinflusst. Dazu wurden die Teilnehmenden in mehrere Gruppen eingeteilt. Während eine Experimentalgruppe dazu aufgefordert wurde, in Zukunft kein Fleisch mehr zu konsumieren, um ihre Gesundheit und die Umwelt zu schützen, bekam eine Kontrollgruppe keine solche Botschaft. In anschließenden Messungen zeigte sich, dass omnivore, also fleischessende Teilnehmende der Experimentalgruppe stärker verärgert waren als omnivore Personen in der Kontrollgruppe. Außerdem hing das Ausmaß der Reaktanz bei omnivoren Experimentalgruppenmitgliedern mit ihrer Leistung in einem Wortgitter zusammen, in dem neben neutralen Wörtern wie etwa „Papier“ oder „Mond“ auch fleischbezogene Begriffe versteckt waren – zum Beispiel „Wurst“ oder „Schnitzel“. Je stärker die Verärgerung war, umso mehr fleischbezogene Begriffe fanden diese Personen im Wortgitter.

    Gesundheitsbotschaften können beabsichtigte Verhaltensänderungen erschweren

    „Das Ergebnis deutet darauf hin, dass die durch Gesundheitsbotschaften ausgelöste Reaktanz unsere Aufmerksamkeit in Richtung ungesunder Konsumgelegenheiten verschieben kann“, erläutert Philipp Sprengholz, Juniorprofessor für Gesundheitspsychologie an der Universität Bamberg. „Dadurch kann die beabsichtigte Verhaltensänderung erschwert und ungesundes Verhalten möglicherweise sogar verstärkt werden.“ In zukünftigen Studien sollen die Aufmerksamkeitsprozesse und ihre Auswirkungen auf tatsächliches Konsumverhalten genauer untersucht werden. Die aktuellen Befunde deuten bereits darauf hin, dass Gesundheitsbotschaften möglichst wenig Reaktanz auslösen oder durch geeignete Maßnahmen Aufmerksamkeitsverschiebungen korrigieren sollten.

    Originalpublikation:
    Sprengholz, P., Tannert, S., & Betsch, C. (2023). Explaining Boomerang Effects in Persuasive Health Communication: How Psychological Reactance to Healthy Eating Messages Elevates Attention to Unhealthy Food. Journal of Health Communication. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/10810730.2023.2217098

    Pressestelle der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 20.6.2023

  • DAK-Fehlzeitenanalyse für das erste Halbjahr 2023

    Im ersten Halbjahr 2023 gab es in Deutschland ungewöhnlich viele krankheitsbedingte Arbeitsausfälle. Die Hälfte der Beschäftigten hatte bis Ende Juni bereits mindestens eine Krankschreibung. So eine hohe Quote (50,1 Prozent) wird gewöhnlich erst am Ende eines Jahres erreicht. Die Fallzahlen stiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 61 Prozent. Im Durchschnitt fehlten die Beschäftigten von Januar bis einschließlich Juni fast zehn Tage mit einer Krankschreibung im Job. Das zeigt eine aktuelle Analyse der DAK-Gesundheit. Insgesamt liegt der Krankenstand mit 5,5 Prozent deutlich über dem Vorjahreshalbjahr (2022: 4,4 Prozent). Es ist der höchste Wert, den die Kasse für ihre 2,4 Millionen erwerbstätigen Versicherten seit dem Start der Halbjahresanalysen 2013 gemessen hat. Im Branchenvergleich stehen die Personalmangelberufe Altenpflege und Kitabetreuung an der Spitze der Statistik.

    Die Analyse zeigt, dass krankheitsbedingter Arbeitsausfall in Berufen mit Personalmangel besonders stark ist. So hatten Beschäftigte in nichtmedizinischen Gesundheitsberufen wie der Altenpflege im ersten Halbjahr 2023 besonders viele Fehlzeiten. Hier lag der Krankenstand bei 7,4 Prozent. Damit waren in diesen Berufen an jedem Tag des ersten Halbjahrs von 1.000 Beschäftigten 74 krankgeschrieben. Auch in dem durch Personalmangel gekennzeichneten Bereich der Kitabetreuung war der Krankenstand mit 7,1 Prozent weit überdurchschnittlich hoch.

    „Unsere Analyse mit neuen Rekordwerten zeigt, dass der Krankenstand der Beschäftigten auch nach dem Ende der Pandemie ein wichtiges Thema für Unternehmen und Betriebe ist“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Hier müssen wir Berufsgruppen mit Personalmangel besonders im Blick behalten, weil Stress und Überstunden den Krankenstand hochtreiben können. So droht ein Teufelskreis, der durchbrochen werden muss.“ Storm bekräftigt seine Forderung nach einem Runden Tisch zum Thema Fachkräftemangel und Gesundheit unter Beteiligung von Politik, Sozialpartnern und Krankenkassen. Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Gesundheit der Beschäftigten zu schützten und gleichzeitig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen nachhaltig zu sichern.

    Atemwegserkrankungen waren für die Fehlzeiten der Beschäftigten im ersten Halbjahr 2023 so maßgeblich wie keine andere Erkrankungsart. Bei den Krankschreibungen wegen Husten, Schnupfen und anderen Infekten gab es fast eine Verdoppelung der Fälle – von 17,2 auf 34,1 je 100 Beschäftigte. Auch Krankschreibungen wegen Muskel-Skelett- und psychischer Erkrankungen waren deutlich häufiger als im Vorjahreshalbjahr (59 beziehungsweise 60 Prozent höhere Fallzahlen.)

    Die DAK-Gesundheit erklärt den Anstieg durch ein Bündel von Gründen: Zum einen kam es nach Ende der Pandemie zu einem Nachholen von Infekten und Immunisierungen. Zum anderen gab es in den Belegschaften eine gestiegene Sensibilität dafür, mit einer potenziell ansteckenden Erkrankung dem Arbeitsplatz besser fernzubleiben. Auch das neue elektronische Meldeverfahren spielt eine Rolle, da es sicherstellt, dass Krankschreibungen automatisch und zuverlässig in die Statistik der Krankenkassen eingehen.

    „Der hohe Krankenstand im ersten Halbjahr 2023 macht deutlich, dass sich beim Thema Arbeit die gesundheitliche Dimension nicht wegblenden lässt“, betont Andreas Storm. „Firmen und Betriebe in Deutschland sollten auch im eigenen Interesse verstärkt auf den Gesundheitsschutz ihrer Mitarbeitenden achten und weitere Ressourcen ins Betriebliche Gesundheitsmanagement investieren.“ Die DAK-Gesundheit hilft Unternehmen dabei, die Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten und zu stärken.

    Pressestelle der DAK-Gesundheit, 31.7.2023

  • DHS nimmt Stellung zum geplanten Cannabisgesetz

    In einer Stellungnahme setzt sich die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) kritisch mit dem Referentenentwurf des Cannabisgesetzes (CanG) auseinander. Vor allem hinsichtlich der finanziellen Ausstattung im Bereich der Frühintervention und Prävention sieht die DHS erheblichen Nachbesserungsbedarf. Selbst bei unverändertem Konsum besteht ein erhöhter Informations-, Aufklärungs- und Beratungsbedarf. Der Entwurf bleibt eine Antwort schuldig, wie die kommunalen Dienste der Suchtprävention und -hilfe flächendeckend und nachhaltig zu finanzieren sind.

    Insgesamt sollte das Gesetzesvorhaben dazu beitragen, die Sucht- und Drogenpolitik in Deutschland weiterzuentwickeln. Das Ziel sind sorgfältig aufeinander abgestimmte Maßnahmen, die auch Tabak, Alkohol und Glücksspiel berücksichtigen. Die Entkriminalisierung von Menschen, die sich durch Cannabiskonsum einem Gesundheitsrisiko aussetzen und derer, die Hilfe benötigen, ist aus Sicht der DHS ein Schritt in die richtige Richtung.

    Die DHS Stellungnahme zum Referentenentwurf des Cannabisgesetzes (CanG) wurde am 24. Juli 2023 gegenüber dem Bundesministerium für Gesundheit abgegeben. Sie ist auf der DHS Website einzusehen.

    Pressemitteilung der DHS, 25.7.2023

  • Lassen sich Kinder vom Stress ihrer Mütter anstecken?

    Kinder können den akuten Stress ihrer Mütter subjektiv und körperlich messbar nachempfinden, sind zur Stress-Empathie fähig. Sie lassen sich aber weniger davon aus der Ruhe bringen als angenommen. Das ist das Ergebnis einer DFG-geförderten Studie im Rahmen des Forschungsprojektes „Empathic Stress in the Family System (EMILY)“ am Uniklinikum Jena und dem Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, die nun im renommierten „Journal of Experimental Psychology: General“ veröffentlicht wurde.

    In der Arbeit steht ein wichtiges Projekt an, Überstunden, Arbeiten bis spät in die Nacht – und dann sind da noch die Kinder, die versorgt werden müssen: Viele Mütter erleben Stress nicht nur im Beruf, sondern auch zuhause. Hält eine derartige Beanspruchung über längere Zeit an, kann dieser Stress chronisch werden. Aber ist Stress wirklich nur eine individuelle Erfahrung? Was geschieht mit Kindern, die dauerhaft dem Stress der Mutter ausgesetzt sind? Genau dieser Frage geht ein Forschungsteam am Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie des Uniklinikums Jena (UKJ) um Veronika Engert, Professorin für Soziale Neurowissenschaft, in dem DFG-Forschungsprojekt nach: Lassen sich Kinder vom Stress ihrer Mutter anstecken? Das Ergebnis: „Kinder fühlen den akuten Stress ihrer Mütter sowohl emotional als auch physiologisch mit“, sagt Jost Blasberg, Psychologe und Erstautor der Studie.

    Die Wissenschaftler haben sich zunächst auf die Übertragung emotionaler und körperlicher Zustände von Müttern auf ihre Kinder und somit auf die Mutter-Kind-Beziehung konzentriert. Die ist nicht nur besonders eng, sondern auch für die langfristige psychische Gesundheit von Kindern bedeutend. Das Besondere am Studienaufbau der Jenaer Psychologen: Beurteilt haben sie nicht die Reaktionen der Mütter auf die Stresserfahrungen ihrer Kinder, sondern die Reaktion der Kinder auf den akuten Stress der Mutter. In die Studie eingeschlossen wurden 76 Mütter und ihre Kinder im Alter zwischen acht und zwölf Jahren.

    Jungen lassen sich eher vom Stress ihrer Mutter anstecken

    Ein Teil der Kinder hat ihre Mütter bei einem klassischen Stresstest beobachtet, ein anderer Teil in einer Kontrollgruppe die Mütter beim Vorlesen. Ob sich die Kinder vom Stress ihrer Mutter anstecken lassen, haben die Wissenschaftler anhand von vier Stressindikatoren gemessen:

    • dem Kortisol-Spiegel – Kortisol, landläufig als Stresshormon bekannt, produziert unser Körper vermehrt bei Stress.
    • der Herzrate, also dem Pulsschlag – Je aufgeregter und damit gestresster wird sind, desto schneller schlägt unser Herz.
    • der Herzratenvariabilität, die zeigt, wie stark sich die Abstände der einzelnen Herzschläge im Laufe der Zeit verändern – Je niedriger die Herzratenvariabilität, desto höher ist das Stresslevel.
    • und einer subjektiven Stresseinschätzung – Sowohl Kinder als auch Mütter bewerteten ihren empfundenen Stress anhand einer Skala von eins bis sieben.

    Im Ergebnis zeigte sich, dass die Kinder in der Stressgruppe den Stress ihrer Mutter tatsächlich mitempfanden. Das ließ sich konkret daran zeigen, dass die Kinder der gestressten Mütter eine stärkere subjektive Stressbelastung empfanden und, vor allem die Jungen, eine höhere Menge des Stresshormons Kortisol freisetzten. Außerdem wiesen sie einen stärkeren, mit den Müttern proportionalen, Abfall der Herzratenvariabilität auf. Ganz besonders niedrig war die Herzratenvariabilität bei Kindern, die sich gut in andere Menschen hineinversetzen konnten. Das wiederum ergab ein Fragebogen.

    „Grundsätzlich lassen sich Kinder im mittleren Alter aber nicht so leicht vom Stress ihrer Mütter anstecken, wie wir das erwartet hatten. Überrascht hat uns auch ein bisschen, dass Jungen stärker auf den Stress ihrer Mütter reagieren als Mädchen im selben Alter. Dafür haben wir noch keine Erklärung“, sagt Psychologe Jost Blasberg. „Gezeigt hat sich aber auch, dass sich die Kinder in ihre Mütter hineinversetzen und ihren Stress nachempfinden können. Das ist gut, denn wer Stress nachempfinden kann, ist eher gewillt, anderen zu helfen.“

    Die Jenaer Psychologen werden ihre Untersuchungen zur Stressübertragung weiterführen und als nächstes das Stressempfinden von Teenagern beobachten. Insgesamt erhoffen sich die Wissenschaftler, die Bedeutung und die Mechanismen der Stressübertragen innerhalb der Familie besser zu verstehen. Denn auch wenn in einzelnen Situationen eine Ansteckung mit dem Stress der Eltern sicherlich ungefährlich ist, „könnte angesichts der hohen kindlichen Abhängigkeit von den Eltern, gerade in Familien mit chronischer Stressbelastung, das häufige Erleben von empathischem Stress die kindliche Entwicklung negativ belasten“, so Professorin Engert, Leiterin der Arbeitsgruppe Soziale Neurowissenschaft.

    Originalpublikation:
    Blasberg JU, Jost J, Kanske P, Engert V. Empathic stress in the mother-child dyad: Multimodal evidence for empathic stress in children observing their mothers during direct stress exposure. J Exp Psychol Gen. 2023 Jun 8. doi: 10.1037/xge0001430.

    Pressestelle des Universitätsklinikums Jena, 28.6.2023