Autor: Simone Schwarzer

  • Zwei wichtige Publikationen aus 2022

    Auf zwei wichtige Publikationen aus dem Jahr 2022 soll hier noch hingewiesen werden:

    • Suchthilfe in Deutschland 2021 – Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS)
    • 9. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2022

    DSHS Jahresbericht 2022

    Wie in den Vorjahren werden im Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik die wichtigsten aktuellen Ergebnisse zusammengefasst. Im Jahr 2021 wurden in 878 ambulanten und 152 stationären Einrichtungen, die sich an der DSHS beteiligt haben, 321.769 ambulante Betreuungen und 35.677 stationäre Behandlungen durchgeführt. Die Suchthilfe in Deutschland zählt damit zu den größten Versorgungssystemen im Suchtbereich in Europa und weist eine hohe Qualifizierung und Differenzierung auf.

    Der Bericht bietet neben Informationen zu an der DSHS teilnehmenden Einrichtungen und dem Betreuungsvolumen einen Überblick über störungsbezogene und soziodemographische Merkmale der betreuten/behandelten Klientel sowie zu Merkmalen der Betreuung bzw. Behandlung. Ergänzend werden Auswertungen für ausgewählte Hauptmaßnahmen erstellt. Wie in den letzten Jahren sind dies: ambulante medizinische Rehabilitation (ARS), (Reha-) Nachsorge (NAS) sowie ambulant betreutes Wohnen (ABW) und Adaption (ADA). Im Bericht 2022 wird die Psychosoziale Begleitbetreuung Substituierter (PSB) näher beleuchtet, und es werden erstmalig wichtige Trends in der Zusammensetzung der Klientel und im Versorgungsgeschehen diskutiert.

    Download Suchthilfe in Deutschland 2021 – Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik

    Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick finden Sie hier. Unter dem Menüpunkt „Ergebnisse“ können Sie Daten zu ambulanten oder stationären Behandlungen aufrufen.

    Quelle: https://www.suchthilfestatistik.de/index.html, 29.11.2022

    9. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2022

    Der 9. Alternative Drogen- und Suchtbericht, der im November 2022 veröffentlicht wurde, greift das Thema Cannabis-Legalisierung auf. International anerkannte Expert:innen präsentieren Beiträge zu Möglichkeiten, Erfordernissen und auch Risiken der Legalisierung. Dem Herausgeber akzept e. V. geht es darum, mit praktischen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Europa die Debatte um die anstehende Legalisierung von Cannabis in Deutschland zu bereichern. Wie bereits in der ersten Ausgabe des Alternativen Drogen- und Suchtberichtes im Jahr 2014 gefordert, kann der Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik in Deutschland nun endlich stattfinden: von einer strafrechtspolitisch zu einer gesundheitspolitisch orientierten Antwort auf Drogengebrauch – erst einmal nur bezogen auf Cannabis. Und für alle Genussmittel – legal oder illegalisiert – stellt sich immer wieder die Frage, welchen Einfluss Werbung auf den Konsum hat. Dazu will ein Beitrag dieses Bandes mit fundierten Erkenntnissen beitragen

    Der 9. Alternative Drogen- und Suchtbericht wurde hier veröffentlicht. Bei Papst Science Publishers erscheint er gedruckt oder als E-Book.

    Quelle: https://alternativer-drogenbericht.de/, 29.11.2022

  • Sucht- und Drogenbeauftragter stellt Schwerpunkte vor

    Jedes Jahr sterben in Deutschland etwa 150.000 Menschen an den Folgen von Alkohol- und Tabakkonsum, und jeder achte Erwachsene hat ein Problem mit dem Glücksspiel. Erwachsene konsumieren im Schnitt ungefähr elf Liter reinen Alkohol im Jahr, rauchen über 1.000 Zigaretten und setzen allein bei legalen Glücksspielen über 550 Euro ein.

    Bei der Vorstellung seiner Arbeitsschwerpunkte für das Jahr 2023 stellt der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert, fest:

    „Mein Selbstverständnis ist, die Dinge beim Namen zu nennen, das, was getan werden muss. Wir brauchen in der Drogen- und Suchtpolitik einen echten Paradigmenwechsel, ein Umdenken! Wir können bei den gesundheitspolitischen Problemen nicht länger wegschauen. Kaum ein europäisches Land hat einen so liberalen Umgang mit Alkohol, Tabak und Co. Schritt Nummer eins ist, dass wir endlich für einen vernünftigen Jugendschutz sorgen und konsequente Schritte gegen die Alkoholwerbung einläuten: raus aus den Sozialen Medien, dem Internet, raus aus dem Fernsehen und dem Radio, am besten rund um die Uhr, aber zumindest zu den Hauptsendezeiten. Auch das Mindestalter für Alkohol muss auf den Prüfstand: Ab 14 im Beisein der Eltern trinken zu dürfen, ist einfach gesundheitspolitischer Unsinn vergangener Zeiten und muss abgeschafft werden! Beim Rauchen und Dampfen gibt es enormen Nachholbedarf. Wir müssen dringend die Fehler in der Werbegesetzgebung korrigieren. Rauchen ist tödlich. Und deshalb gibt es auch keinen Grund, weswegen an Kiosken, Supermarktkassen und Tankstellen noch immer mit bunten Bildern für Zigaretten, Erhitzer und E-Zigaretten geworben werden darf.“

    Blienert fordert auch beim Glücksspiel besseren Jugend- und Verbraucherschutz. Hier liegt die Zuständigkeit bei den Ländern: In einem ersten Schritt  sollte in TV, Radio und Internet auch die Sportwettenwerbung vor 21 Uhr untersagt werden, wie es bei Onlinecasinos bereits der Fall ist. Denn Werbung habe gerade auf Jugendliche und Menschen mit Suchtproblemen einen signifikanten Einfluss.

    „Ich kann verstehen, wenn für manchen eine gute Bratwurst zum Gang ins Stadion gehört. Sein Geld mit Sportwetten zu verzocken, hat mit echtem Sport aber so gar nichts mehr zu tun“, so Blienert.

    Außerdem kündigt der Beauftragte an, sich für eine Stärkung von Suchtprävention und Beratung im Rahmen der kontrollierten Abgabe von Cannabis einzusetzen. Blienert begrüßt die bereits durch das Bundesministerium für Gesundheit ergriffenen Maßnahmen zum Schutz vor drogenbedingten Todesfällen, etwa die Flexibilisierung der Substitutionsbehandlung und den Einsatz von Fentanyl-Teststreifen in Drogenkonsumräumen. Er gehe zudem davon aus, dass der Bund zeitnah die  Voraussetzungen für das sogenannte Drug Checking – die mit einem Beratungsgespräch verbundene Substanzanalyse von Drogen gerade in der Partyszene – schaffen werde.

    Pressestelle des Sucht- und Drogenbeauftragten , 26.01.2023

  • „AddSex“ – Studie zu Sucht, Trauma und sexuellen Störungen

    Im Rahmen der Studie „AddSex“ wird an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg aktuell zum Thema psychosexuelle Gesundheit von Menschen mit Suchterkrankungen geforscht. Dazu werden ab sofort Teilnehmende für eine Online-Befragung gesucht. Einzige Teilnahmebedingung ist das Vorliegen einer diagnostizierten Suchterkrankung (Abhängigkeit von Alkohol oder Drogen).

    Hinweis für alle, die Interesse haben, teilzunehmen: In dieser Studie werden teilweise sehr intime Fragen zur Sexualität, zur bestehenden Abhängigkeitserkrankung und zu potenziell belastenden Erlebnissen gestellt. Die Befragung ist vollkommen anonym, es kann in keinem Fall auf Ihre Person geschlossen werden! Deshalb bitten wir Sie, wahrheitsgemäß zu antworten. Die Beantwortung der Fragen wird ca. 30 Minuten in Anspruch nehmen.

    Die Befragung kann über folgenden Link aufgerufen werden:

    https://redcap.uk-halle.de/surveys/?s=DPNJXADCKTXR4WMP

    Warum diese Befragung?

    Sexualität stellt einen wichtigen Teil unseres Lebens dar. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sexuelle Probleme als psychische Belastung empfunden und als therapeutisch relevant erkannt werden. Bisher existieren nur wenige Studien, die sexuelle Probleme speziell bei Menschen mit Suchterkrankungen untersuchen. Diese Studie soll zur Weiterentwicklung und Optimierung von Präventions-, Beratungs- und Therapiekonzepten, die allen Menschen mit Suchtproblematiken zugutekommen, beitragen.

    Welche Fragen werden gestellt?

    Im Hauptteil des Fragebogens werden Daten bzgl. der vorliegenden Abhängigkeitserkrankung sowie des Sexualverhaltens erhoben. Außerdem werden Fragen zu soziodemografischen Merkmalen, zum Gesundheitsstatus sowie zu potenziell traumatisierenden Erfahrungen gestellt.

    Was passiert mit den gesammelten Daten?

    Die Teilnahme ist freiwillig, alle Angaben werden vollkommen anonym erhoben. Rückschlüsse auf die Person einzelner Teilnehmender sind in keinem Fall möglich. Die Daten werden im Institut für Medizinische Soziologie der Medizinischen Fakultät an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gesammelt und ausschließlich im Rahmen dieser Studie verarbeitet. Die Befragung kann nur gestartet werden, wenn die Teilnehmenden der Verarbeitung ihrer anonym erhobenen Daten zustimmen.

    Weitere Informationen:

    M.A. Dennis Jepsen
    dennis.jepsen(at)medizin.uni-halle.de
    Institut für Medizinische Soziologie
    Medizinische Fakultät, MLU Halle-Wittenberg
    Magdeburgerstraße 8, 06112 Halle (Saale)

    Text: Dennis Jepsen, Januar 2023

  • Videobasierte Beratung

    Hogrefe Verlag, Bern 2023, 96 Seiten, 27,95 €, ISBN 9783456862354

    Video-Beratung bietet eine niedrige Zugangsschwelle zu psychosozialer Unterstützung von psychisch belasteten Menschen, die z. B.

    • zeitlich und beruflich stark eingebunden sind,
    • körperliche Einschränkungen haben oder
    • in ländlichen Gebieten oder Gegenden mit unzureichender psychologischer und psychotherapeutischer Gesundheitsversorgung leben.

    Die Einsatzmöglichkeiten für Video-Beratung sind vielfältig, jedoch kaum konzeptionell-methodisch gestützt und nur ansatzweise wissenschaftlich erforscht. Diese Lücke schließt Nadine Schaarschmidt. Sie zeigt, ob und auf welche Art sich die Kommunikation zwischen Berater:in und Klient:in verändert, sobald das Gespräch nicht mehr von Angesicht zu Angesicht, sondern videovermittelt stattfindet. Leidet die Qualität des Kontakts unter medienvermittelter Kommunikation oder stellt sie sogar einen Mehrwert dar? Neben theoretischen Ausführungen werden praktische Handlungsanweisungen für die Durchführung videogestützter Beratung von Klientinnen und Klienten angeboten und mit empirischen Ergebnissen verknüpft. Durch ein tieferes Verständnis von Theorie und Empirie lassen sich mögliche Fehler vermeiden und die Beratung kann wirkungsvoll gestaltet werden.

  • Wie beurteilen Nutzer:innen digitale Formate in der Suchtberatung?

    Die Digitalisierung ist auch im Jahr 2023 ein vorherrschendes Thema und bedeutet nichts weniger als eine Transformation der Gesellschaft. Die Corona-Pandemie führte in vielen Bereichen der Arbeitswelt zu signifikanten Veränderungen und wurde zum Beschleuniger der Digitalisierung, so auch im Bereich der Suchtberatung. Neben vermehrten Telefongesprächen wurden von den Suchtberatungsstellen digitale Alternativen zur Kontaktaufnahme geschaffen, um es Nutzer:innen flexibler zu ermöglichen, Beratungs-, Rehabilitations- und Nachsorgeangebote wahrzunehmen. Zu diesem Spektrum gehörten E-Mail- und Chatberatung sowie Videosprechstunden im Einzel- und Gruppensetting. Diese Zugangswege werden im Folgenden als Onlineberatung bezeichnet.

    Vor der Pandemie fanden beispielsweise in der AWO-Suchtberatungsstelle Potsdam circa 99 Prozent der Kontakte in Präsenz, das heißt vor Ort, statt. Dieser Schwerpunkt hat sich durch die Pandemie und die fortschreitende Digitalisierung deutlich verschoben. Der Anteil der Onlineberatung hat unverkennbar zugenommen und lag zwischenzeitlich bei rund 25 Prozent (Auswertung der Terminarten aus der Benutzersoftware Patfak).

    Umso erstaunter reagierte die gesamte ambulante Suchthilfelandschaft auf den Widerruf der Deutschen Rentenversicherung (DRV) im Sommer 2022. Seit 1.7.2022 dürfen keinerlei Leistungen der Onlineberatung (inkl. Telefon) im Bereich der Sucht-Nachsorge und Rehabilitation mehr abgerechnet werden, obwohl mit der Anlage 3 zum Rahmenkonzept zur Nachsorge nach medizinischer Rehabilitation bereits seit 2017 die Anforderungen zumindest an „Tele-Reha-Nachsorge“ seitens der DRV beschrieben sind und in der Pandemiezeit Ausnahmen geschaffen worden waren. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) reagierte mit einem Protestschreiben, welches bis heute ohne Konsequenzen geblieben ist. Dabei liegen die möglichen Anwendungsszenarien der Onlineberatung samt ihren Vorteilen auf der Hand:

    • Onlineberatung anstelle eines Gesprächs vor Ort bietet sich an, wenn z. B. aufgrund von (unvorhergesehenen) Ereignissen die Suchtberatungsstelle von Nutzer:innen nicht zur vereinbarten Zeit erreicht werden kann (Kinderbetreuung, Stau, Krankheit, Ängste etc.).
    • Onlineberatung zusätzlich zu erfolgten Gesprächen kann genutzt werden für die Zusendung und Besprechung von Unterlagen, die an die Inhalte von Einzel-, Bezugspersonen- oder Gruppengesprächen anknüpfen.
    • Onlineberatung im Rahmen von Kriseninterventionen und Rückfällen bietet die Möglichkeit einer Sofort-Hilfe.
    • Mit Onlineberatung nach Abwesenheit in Gruppen (Schichtarbeit, Krankheit, Urlaub etc.) können den Nutzer:innen über Tele-Leistungen die vermittelten Inhalte nachgereicht werden.

    Nutzer:innen-Befragung zur Akzeptanz der Onlineberatung

    Um die Akzeptanz der Onlineberatung in unserer Suchtberatungsstelle, der AWO-Suchtberatungsstelle Potsdam, zu messen, führten wir im Frühjahr 2022 eine Befragung durch. Sie diente dem Zweck, eine Vorstellung bzw. einen Eindruck davon zu bekommen, welche Resonanz unsere digitalen Leistungen (Chat, E-Mail, Videokonferenzen im Einzel- und Gruppensetting) bei den Nutzer:innen hervorrufen. Die Stichprobe ist annähernd repräsentativ für unsere Nutzer:innengruppe an unseren Standorten in Potsdam (Großstadt) und Potsdam-Mittelmark (achtgrößter Flächenlandkreis in Deutschland von insgesamt 294). Die Nutzer:innen nehmen verschiedene Leistungen aus den Bereichen Beratung, Behandlung und Nachsorge wahr.

    Die Anzahl der ausgegebenen Fragebögen betrug 100. Die Rücklaufquote lag bei 75 Prozent, davon waren 65 gültige Fragebögen.

    Ergebnisse

    Bezüglich der Einzelkontakte bevorzugen rund 37 Prozent unserer Nutzer:innen ausschließlich Termine vor Ort. Für weitere 31 Prozent wären gelegentliche virtuelle Kontakte annehmbar. Rund zwölf Prozent haben keine Präferenz, für sie sind beide Formen gleichsam annehmbar. Hinzu kommt: Der Anteil derjenigen, die eine Onlineberatung dem Gespräch vor Ort vorziehen, ist ebenfalls deutlich zu quantifizieren: Für rund 20 Prozent ist diese Form der Beratung überwiegend mit Vorteilen verbunden bzw. bevorzugen sie sogar primär Onlineberatung. Anders ausgedrückt: Ein gutes Drittel der Befragten lehnt die Onlineberatung im Einzelsetting ab. Knapp zwei Drittel möchten gelegentlich oder vorzugsweise die Onlineberatung als alternative Kontaktmöglichkeit an- und wahrnehmen.

    Bezüglich der Gruppenkontakte favorisieren gut 48 Prozent unserer Nutzer:innen ausschließlich Termine vor Ort. Für 28 Prozent wären gelegentliche virtuelle Kontakte machbar und in Ordnung. Circa neun Prozent haben keine Präferenz, für sie sind beide Formen gleichsam annehmbar. Hinzu kommt: Der Anteil derjenigen, die eine Onlineberatung dem Gespräch vor Ort vorziehen, ist ebenfalls deutlich zu quantifizieren: Für 15 Prozent der Befragten ist diese Form der Beratung auch im Gruppenkontext überwiegend mit Vorteilen verbunden bzw. bevorzugen sie sogar primär Onlineberatung. Anders ausgedrückt: Rund die Hälfte der Befragten lehnt die Onlineberatung in Gruppenform ab. Die andere Hälfte möchte gelegentlich oder vorzugsweise die Onlineberatung als alternative Kontaktmöglichkeit an- und wahrnehmen.

    Diskussion

    Man kann die Ergebnisse der Befragung so interpretieren, dass die überwiegende Anzahl der Befragten (knapp zwei Drittel im Einzelsetting und gut die Hälfte im Gruppensetting) einer Onlineberatung durchaus positiv und aufgeschlossen gegenübersteht. Es gibt allerdings einen festen Kern von Personen, welcher ausschließlich persönliche Kontakte vor Ort bevorzugt (ein gutes Drittel im Einzelsetting, etwa die Hälfte im Gruppensetting). Diese Verteilung zeigte sich schon zu Beginn der Pandemie. Im ersten Lockdown von März bis Mai 2020 ließen sich rund die Hälfte bis zwei Drittel der damaligen Nutzer:innen zumindest zeitweise auf Formen der Onlineberatung ein.

    In den Einzelkontakten ist die Bereitschaft zur Wahrnehmung von Onlineberatung insgesamt größer als im Gruppenkontext. Dies war auch so zu erwarten, da es aus unserer Sicht und Erfahrung immer wieder erhebliche technische Probleme bei Videokonferenzen mit Gruppen gab (sowohl auf Anwender- als auch auf Anbieterseite). Hinzu kommt, dass Nutzer:innen wiederholt betonten, dass bei Videokonferenzen die nonverbale Kommunikation in der Gruppe doch wesentlich stärker leide als im Einzelkontakt und es auch gewisse Vorbehalte gebe, sich im digitalen Raum anderen gegenüber zu öffnen.

    Demzufolge sollten Videokonferenzen mit Gruppen eher die Ausnahme bleiben bzw. ist hierfür angemessen gute Technik vorzuhalten (sog. Konferenzeulen, leicht bedienbare Software, ausreichende Rechenleistungskapazität auf Anbieterseite etc.). Die geltenden Gruppenregeln sind für den digitalen Raum anzupassen (Netiquette, Datenschutzinformation etc.), um die Bereitschaft zur Teilnahme durch eine verlässliche Struktur zu erhöhen.

    Der Einsatz von Onlineberatung hat bereits jetzt direkten Einfluss auf die Wahrnehmung von Terminen. Studien zeigen, dass die Haltequote bei der Teilnahme an Beratungsangeboten durch einen flexiblen Einsatz digitaler Technik erhöht wird. Wo Nutzer:innen Termine vorher abgesagt haben (Verspätung, Krankheit, Tagesform etc.), können kurzfristig Formen der Onlineberatung angeboten werden. Die Compliance und Adhärenz erhöhen sich, es kommt weniger zu Kontaktabbrüchen oder längeren Unterbrechungszeiten. Dies haben wir auch in unserem Arbeitsalltag deutlich feststellen können.

    Fazit

    Onlineberatung bietet sich im Bereich der Suchtberatung sehr gut dafür an, die unterschiedlichen Bedarfe von Nutzer:innen zufriedenstellend zu decken und auf Veränderungen im Nutzerverhalten agil zu reagieren. Sie sollte als eine Bereicherung und Ergänzung betrachtet werden. Mit der von der DRV beauftragten Studie CoVAZuR liegen mittlerweile erste Eckdaten und Ergebnisse vor, die unter anderem telefonische bzw. digitale Angebote als ergänzendes Angebot über die Pandemie hinaus für die Sucht-Nachsorge und Sucht-Rehabilitation empfehlen. Die Leistungsträger sollten daher schnellstmöglich den Rahmen von Onlineberatung (inkl. Telefon) beschreiben und entsprechende Leistungen ermöglichen, so wie es seit Jahren im Bereich der Medizin und Psychotherapie bereits üblich ist.

    Die genauen Auswertungsdaten der Befragung werden auf Anfrage gerne zur Verfügung gestellt. Kontakt: suchtberatungsstelle@awo-potsdam.de

    Text: Guido Weyers & Daniel Zeis, AWO – Ambulante Beratungs- und Behandlungsstelle für Suchtkranke und Suchtgefährdete, Potsdam, Januar 2023

  • Ohne Krankenversicherung im Krankenhaus

    Das Gesundheitsamt Frankfurt hat die Zusammenfassung einer Datenerhebung zum Thema stationäre Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherungsschutz veröffentlicht. Die Untersuchung basiert auf Abrechnungsdaten an Frankfurter Kliniken für den Zeitraum 2016 bis 2019.

    Für die Behandlung von medizinischen Notfällen bei Menschen ohne Krankenversicherungsschutz besteht für Kliniken ein Erstattungsanspruch gegenüber Sozialleistungsträgern. Hoher Verwaltungsaufwand und rechtliche Unsicherheiten führen jedoch häufig zu hohen Behandlungskosten für die behandelnde Klinik. Neben anderen Faktoren trägt das dazu bei, dass der Zugang zur stationären Krankenhausversorgung faktisch erschwert ist. Planbare stationäre Behandlungen sind nicht möglich. Während zur Situation von Menschen ohne Krankenversicherungsschutz im ambulanten Sektor bereits einige Untersuchungen vorliegen, fehlt bislang eine breite Datenbasis zur stationären Versorgung dieses Patient:innenkollektivs.

    Erstmalig wurde in Frankfurt eine systematische Erhebung sowohl zur Prävalenz von stationären Behandlungen bei Menschen ohne Krankenversicherungsschutz als auch zu den damit verbundenen offenen Rechnungen für Krankenhäuser durchgeführt. Daraus geht u. a. hervor, dass die Summe der Behandlungskosten für die Krankenhäuser immens gewachsen ist bei gleichzeitig abnehmenden positiv beschiedenen Kostenerstattungsanträgen durch die Sozialbehörden. Zudem hat im Betrachtungszeitraum 2016 bis 2019 der Anteil der Fälle von deutschen Staatsbürger:innen deutlich zugenommen (25 Prozent auf 41 Prozent).

    Um eine verbesserte Versorgung von Menschen ohne (ausreichenden) Krankenversicherungsschutz zu erreichen, empfehlen die Autor:innen der Studie folgende Maßnahmen:

    • Monitoring durch flächendeckende systematische Datenerhebung,
    • Etablierung von Clearingstellen als sozialrechtliche Anlaufstellen und
    • Schaffung von Behandlungsfonds („Anonymer Krankenschein“).

    Das 6-seitige Papier steht auf der Website des Frankfurter Gesundheitsamtes zum Download zur Verfügung.

    Redaktion KONTUREN online, 20.1.2023

  • Imperium der Schmerzen

    hanserblau, Berlin 2022, 640 Seiten, 36,00 €, ISBN 978-3-446-27392-4

    Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von:
    Benjamin Dittmann-Bieber, Gregor Runge und Kattrin Stier

    1996 brachte der amerikanische Pharmakonzern Purdue das Schmerzmittel OxyContin auf den Markt und löste damit eine bis heute grassierende Opioidkrise aus, die bisher etwa 500.000 Todesopfer in den USA forderte. Der Journalist Patrick Radden Keefe („The-New-Yorker“) enthüllt in seinem preisgekrönten Buch „Imperium der Schmerzen“ die mafiösen und skrupellosen Machenschaften der US-Milliardärsdynastie Sackler, Inhaberfamilie von Purdue Pharma, die mit dem Opioid Oxycodon eine Nation in die Drogensucht stürzte und sich daran bereicherte.

    Keefe zeichnet das große, verstörende Porträt einer Familie, die sich als internationale Philanthrop:innen feiern ließ, doch deren Verstrickung in einen der weltweit größten Arzneimittelskandale sie als rücksichtlos und profitgierig enttarnt. In seinem Buch bildet er die Exzesse des zweiten Goldenen Zeitalters in Amerika ab, es ist eine Studie der Kultur der Straflosigkeit der Superreichen, ihrer nackten Gier und Gleichgültigkeit dem unermesslichen menschlichen Leiden gegenüber, auf dem eines der größten Vermögen der Welt fußt.

  • Crack in deutschen Großstädten

    Anknüpfend an die Internationale Fachtagung „Crack in deutschen Großstädten – von der Forschung zu praktischen Entscheidungen“ am 04.10.2022 in Frankfurt am Main wurden in einem anschließenden Expert:innen-Gespräch die „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Crack-Konsum im Kontext der Drogen- und Suchthilfe“ entwickelt.

    Ausgangspunkt dafür war die Beobachtung, dass sich in vielen Großstädten – vor allem in den westlich und nördlich gelegenen Bundesländern – seit einigen Jahren der Crack-Konsum (rauchbares Derivat von Kokain) im öffentlichen Raum und unter bestimmten Konsumierenden in problematischer Weise ausbreitet. Der Konsum von Crack war zuvor jahrzehntelang auf Hamburg, Frankfurt und Hannover beschränkt. Nun berichten Einrichtungen der niedrigschwelligen Drogen- und Suchthilfe (wie Drogenkonsumräume und Kontaktstellen) aus dem gesamten Bundesgebiet von den Folgen des exzessiven Crack-Konsums ihrer Besucher:innen.

    Die Handlungsempfehlungen setzen sich umfassend mit folgenden Teilbereichen auseinander:

    1. Prävention, Infektionsprophylaxe, Harm Reduction
    2. Psycho-soziale Betreuung und medizinische Behandlung
    3. Rechtlich-politisch-administrativer Umgang mit Crack-Konsum
    4. Forschungsfelder zu Crack-Konsum
    5. Interdisziplinäre Kooperation / Stadtplanung

    Kernempfehlungen

    Die rund 30-seitigen Ausführungen münden in zehn Kernempfehlungen, denen jeweils konkrete Beispiele für die Umsetzung in die Praxis zugeordnet werden. Die Kernempfehlungen lauten (S. 32-36):

    1. Ausbau und Entwicklung selektiver lebensweltnaher und zielgruppendifferenzierter Präventionsmaßnahmen
    2. Verbesserte Kommunikation und Kontaktaufnahme zu Crack-Konsumierenden
    3. Verbesserung des Drogenkonsumraum-Angebots
    4. Ausbau von Harm Reduction / Safer Use
    5. Überprüfung der bestehenden Rechtsversordnungen und des BtMG
    6. Sozialraumarbeit und Ausbau einer institutions- und städteübergreifenden Vernetzung
    7. Weiterentwicklung der Stadtplanung und interdisziplinären Kooperation
    8. Weiterentwicklung niedrigschwelliger Angebote
    9. Etablierung einer niedrigschwelligen medizinischen Grundversorgung
    10. Anbahnung staatlich finanzierter Modellprojekte im Rahmen des Forschungsbedarfs

    Die Erstellung der Handlungsempfehlungen wurde gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit. Herausgegeben wurden sie im Januar 2023 von akzept e. V.

    Redaktion KONTUREN online, 18.1.2023

  • 70 Jahre Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker

    Für viele Menschen gehört Alkohol einfach zum Alltag. Doch etwa 9 Millionen Menschen in Deutschland konsumieren so viel Alkohol, dass es riskant wird, und bei etwa 1,9 Millionen ist von einer Alkoholabhängigkeit auszugehen. Diesen Menschen und ihren Angehörigen bietet die Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker (AA) seit mittlerweile 70 Jahren eine feste Anlaufstelle und verlässliche Hilfe in herausfordernden Situationen.

    Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, gratuliert: „70 Jahre Anonyme Alkoholiker, das heißt 70 Jahre Engagement und Hilfe auf Gegenseitigkeit! Ich gratuliere dem Verein und allen seinen Aktiven von Herzen und danke allen Ehrenamtler:innen für ihr unermüdliches Engagement. Ich habe Hochachtung vor all denen, die bei den Anonymen Alkoholikern und in den anderen Organisationen der Sucht-Selbsthilfe Verantwortung füreinander übernehmen! Ihre Arbeit ist das eigentliche Rückgrat unseres Suchthilfesystems.“

    Thomas (trockener Alkoholiker), Regionssprecher der AA München:  „Wir freuen uns über die Wertschätzung, die der Besuch des Drogenbeauftragten bei unserer Jubiläumsfeier in München am 31. März 2023 ausdrückt. Es ist für unsere Arbeit wichtig, dass sie allen Hilfesuchenden bekannt ist. Wir wollen den Betroffenen, die Rat suchen, Stütze sein und Halt geben.“

    Im Jahr 2023 feiert die Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker (AA) in Deutschland ihr 70-jähriges Bestehen. Die bereits in den 1930er Jahren in den USA gegründete Gemeinschaft wurde durch das Militär nach Deutschland gebracht. Am 1. November 1953 war es den Amerikanischen GIs in Deutschland erstmals erlaubt, die Kaserne in Zivil zu verlassen. Einige davon, die zu den Anonymen Alkoholikern gehörten, nahmen diese erste Möglichkeit wahr, um sich in einem Hotel in der Münchner Leopoldstraße zum ersten deutschsprachigen AA-Meeting zu treffen.

    Vom 31. März bis 2. April 2023 wird dieses Jubiläum in München bei einem deutschsprachigen Ländertreffen mit mehr als 2.000 Gästen begangen.

    Pressestelle des Sucht- und Drogenbeauftragten der Bundesregierung, 3.1.2023