Autor: Simone Schwarzer

  • Alkoholatlas Deutschland 2022 neu erschienen

    Alkoholkonsum verursacht der Gesellschaft direkte und indirekte Kosten von rund 57 Milliarden Euro im Jahr. Dem gegenüber stehen Einnahmen durch die Alkoholsteuer von nur 3,2 Milliarden Euro. Doch wer trinkt und in welchem Maße? Riskanter Alkoholkonsum ist besonders unter Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen verbreitet. Darüber hinaus gibt es enorme regionale Unterschiede beim Trinkverhalten und bei den gesundheitlichen Folgeschäden.

    Pünktlich zur Nationalen Krebspräventionswoche vom 12. bis 16. September ist die Neuauflage des Alkoholatlas Deutschland 2022 erschienen. Das vom Deutschen Krebsforschungszentrum erstellte umfassende Nachschlagewerk mit Zahlen und Fakten zu Alkohol ist mit finanzieller Unterstützung durch die Deutsche Krebshilfe entstanden. Es soll das Bewusstsein für alkoholbedingte Gesundheitsgefahren schärfen und ist als wichtige Grundlage für Maßnahmen zur Alkohol- und Krebsprävention gedacht.

    Alkohol ist ein erheblicher Krebsrisikofaktor

    Bei alkoholbedingten Gesundheitsgefahren denken die meisten an Verkehrsunfälle, an die Suchtproblematik und vielleicht an die Leber. Aber an Krebs? „Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass Alkohol ein erheblicher Krebsrisikofaktor ist. Allein in Deutschland gehen Schätzungen zufolge jedes Jahr über 20.000 Krebsneuerkrankungen und mehr als 8.000 Krebstodesfälle auf das Konto des Alkoholkonsums“, sagt Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungszentrum, die verantwortliche Autorin des Alkoholatlas Deutschland 2022. Am stärksten ist der Einfluss auf Darmkrebs, auf Krebserkrankungen des Mund- und Rachenraums, der Leber, Speiseröhre und der Brust.

    Die Neuauflage des 2017 erstmals erschienenen Alkoholatlas Deutschland fasst aktuelle Daten zum Alkoholkonsum und seinen gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen in einem übersichtlichen Gesamtwerk zusammen. Der Atlas erscheint pünktlich zur Nationalen Krebspräventionswoche, einer gemeinsamen Initiative des Deutschen Krebsforschungszentrums, der Deutschen Krebshilfe und der Deutschen Krebsgesellschaft. Die drei großen deutschen Krebsorganisationen wollen mit dem Atlas bei Entscheidungsträgern und Multiplikatoren das Bewusstsein für die Gefahren des Alkohols schärfen und eine wichtige Grundlage für Maßnahmen zur Alkohol- und Krebsprävention liefern.

    Neben Krebs ist Alkoholkonsum an der Entstehung von über 200 Krankheiten beteiligt. Dazu zählen Herz-Kreislauferkrankungen, Typ-2-Diabetes sowie Schädigungen des Gehirns und des Nervensystems. Etwa jede zehnte Straftat wird unter Alkoholeinfluss begangen und bei rund fünf Prozent aller Verkehrsunfälle mit Personenschaden ist Alkohol im Spiel.

    Alkoholkonsum verursacht der Gesellschaft direkte und indirekte Kosten von rund 57 Milliarden Euro im Jahr. Dem gegenüber stehen Einnahmen durch die Alkoholsteuer von nur 3,2 Milliarden Euro. 8,5 Prozent seines Gesamteinkommens gibt jeder deutsche Haushalt allein für alkoholische Getränke aus. Dabei ist riskanter Alkoholkonsum besonders verbreitet bei Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen.

    Der Atlas liefert aktuelle Daten zum Konsumverhalten, zu regionalen Unterschieden im Konsum und den daraus resultierenden Unterschieden bei der Zahl alkoholbedingter Erkrankungen. So gibt es beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern die meisten Krankenhauseinweisungen aufgrund alkoholbedingter Diagnosen, in Baden-Württemberg die wenigsten.

    Strategien zur Alkoholprävention

    Der Alkoholatlas stellt außerdem Strategien zur Alkoholprävention vor und zeigt auf, warum es in Deutschland nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Handlungsbedarf gibt. Die beiden Organisationen sehen Deutschland insbesondere gefordert bei der Umsetzung von Maßnahmen der Verhältnisprävention, die die Rahmenbedingungen für eine gesundheitsförderliche Umwelt setzt.

    Das Deutsche Krebsforschungszentrum, die Deutsche Krebshilfe und die Deutsche Krebsgesellschaft machen sich anlässlich der Nationalen Krebspräventionswoche stark für wirksame politische Regulationsmechanismen, die den Menschen einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Droge Alkohol erleichtern. Ihre gemeinsamen Forderungen: ein Mindestalter von 18 Jahren für den Kauf und Konsum aller alkoholischen Getränke, Beschränkungen der Werbung für Alkohol sowie spürbare Steuererhöhungen für alkoholische Getränke.

    Link zum Alkoholatlas Deutschland 2022

    Gemeinsame Pressemitteilung der Deutschen Krebshilfe, des Deutschen Krebsforschungszentrums und der Deutschen Krebsgesellschaft, 12.9.2022

  • „Mach mit – ohne Sprit“

    In einer kleinen Stadt in Nordhessen lebt der Grafikdesigner und Wortakrobat Günter Vogel. Seinem Lebenswerk ist in diesem Sommer eine Ausstellung des Kunstvereins in Korbach gewidmet (Bürgerhaus Korbach, 08.07.-16.09.2022). Vogel, in Korbach und überregional als „bird“ bekannt, gewährt Einblicke in seine vielfältige Arbeit aus über 40 Jahren, darunter auch Werbung für Boxsport, Bier oder Bürgermeisterkandidaten.

    Wiederentdecken kann man in Korbach eine Kampagne aus dem Jahr 1975, die in der Zeitschrift „Partner“, herausgegeben vom Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe (GVS), erschienen ist. „Ich pfeife auf Alkohol, weil mir mein Leberfleck besser gefällt als eine befleckte Leber“ – so lautet die markante Aussage der jungen Frau mit dem Leberfleck, die auf einem der Plakate abgebildet ist. Am unteren Seitenrand finden sich das Motto der Kampagne – Der neue Trend: „Mach mit – ohne Sprit“ – und das Kampagnen-Symbol, eine Flasche mit verknotetem Flaschenhals.

    Die Posterserie war „birds“ Diplomarbeit, mit der er 1975 sein Grafik-Design-Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach abschloss. Vogel hatte eine Konzeption zur „Visualisierung einer Kampagne gegen Alkoholkonsum bei Jugendlichen“ entwickelt. Mit dieser Idee trat er an den GVS heran und erhielt dort Unterstützung bei der Beschaffung von Material und Unterlagen zum Thema. Als Dank für diese Unterstützung stellte er dem Verband die Originale für die Ausstellung auf dem Kirchentag 1975 zur Verfügung. Später wurde die Kampagne mit acht Motiven großflächig durchgeführt. Die Motive waren als Plakate, Postkarten, Aufkleber und als Wandzeitung auf Titel- und Rückseite des „Partners“ erhältlich.

    Auf dem Kirchentag in Frankfurt im Juni 1975 stellte der GVS die Arbeiten erstmals vor. Zu sehen sind auf den Plakaten ein Boxer, der „nicht trinkt, weil er keine Flasche ist“, ein Musiker, der „auf Alkohol pfeift, weil er gut singt“, und auch eine Frau und ein Mann, strahlend und mit nackten Oberkörpern im Bett, die „auf Alkohol pfeifen, weil es nüchtern mehr Spaß macht“. Das zuletzt genannte Motiv war 1975 auf dem Kirchentag zu sehen, und auch im „Partner“ war es abgebildet. In der Ausstellung in Korbach im Jahr 2022 hingegen sucht man es vergeblich. Möglicherweise schien das Motiv den Kuratoren zu gewagt, um es in Originalgröße zu zeigen.

    Die Ausstellung auf dem Kirchentag kam bei den Besucher:innen gut an. Der „Partner“ schrieb: „Dieser neuartige Blickfang mit viel Mut zum Ungewohnten, etwas ‚frech‘ mit zügigen, kurzen Texten, die ‚unbürgerliche‘ und gar nicht artige, aber dafür jugendgerechte Gestaltung, verfehlte seine Wirkung nicht. Mehr als 3.000 Besucher, jüngere und ältere, blieben bei unserer Ausstellung stehen und diskutierten von ‚Donnerwetter‘ bis ‚Endlich mal frischer Wind‘ und ‚Die haben Mut‘“.

    Die Kampagne von Vogel entstand in einer Zeit, als Alkoholwerbung allgegenwärtig war, auch im TV-Vorabendprogramm vor dem Sandmännchen. Auch wenn der Alkoholverbrauch in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen ist – so ganz von gestern sind Inhalte und Ziele von „Mach mit – ohne Sprit“ auch fast fünfzig Jahre später nicht.

    Hier finden Sie alle acht Motive, die auf Vorder- und Rückseite des „Partner“ (Ausgabe 9-1975) erschienen sind.

    Text: Klaus Fieseler, Fachbereichsleitung Suchthilfe und -prävention, Diakonisches Werk Waldeck-Frankenberg, Korbach, September 2022

  • Wie beeinflusst die Natur das Gehirn?

    Nach einem 60-minütigen Spaziergang in der Natur nimmt die Aktivität in Gehirnregionen ab, die an der Stressverarbeitung beteiligt sind. Dies ist das Ergebnis einer kürzlich von der Lise-Meitner-Gruppe Umweltneurowissenschaften am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung durchgeführten Studie, die in „Molecular Psychiatry“ veröffentlicht wurde.

    In einer Stadt zu leben, ist ein bekannter Risikofaktor für psychische Störungen, während es für die psychische Gesundheit und das Gehirn vorteilhaft ist, nah an der Natur zu leben. Die Amygdala, eine zentrale Gehirnregion, die an der Stressverarbeitung beteiligt ist, wird bei Menschen, die in ländlichen Gebieten leben, nachweislich weniger aktiviert als bei Menschen, die in Städten leben. Dies weist auf eine mögliche positive Wirkung der Natur hin. „Bisher konnten wir das Henne-Ei-Problem nicht lösen – also klären, ob die Natur tatsächlich die Effekte im Gehirn verursacht hat oder ob sich bestimmte Personen einfach dazu entschieden haben, in ländlichen oder urbanen Regionen zu wohnen“, so Sonja Sudimac, Doktorandin der Lise-Meitner-Gruppe Umweltneurowissenschaften und Hauptautorin der Studie.

    Um eine kausale Schlussfolgerung ziehen zu können, untersuchten die Wissenschaftlerinnen der Lise-Meitner-Gruppe Umweltneurowissenschaften mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) bei 63 gesunden Proband:innen vor und nach einem einstündigen Spaziergang im Grunewald oder auf einer Einkaufsstraße mit Verkehr in Berlin die Hirnaktivität in Regionen, die an der Stressverarbeitung beteiligt sind. Die Ergebnisse der Studie belegen, dass die Aktivität in der Amygdala nach dem Spaziergang in der Natur abnahm, was darauf hindeutet, dass die Natur positive Auswirkungen auf jene Gehirnregionen hat, die in Beziehung zu Stress stehen.

    „Die Ergebnisse stützen die schon zuvor angenommene positive Verbindung zwischen Natur und Gehirngesundheit, aber dies ist die erste Studie, die den kausalen Zusammenhang belegt. Interessanterweise blieb die Gehirnaktivität in diesen Regionen nach einem Stadtspaziergang stabil, es konnte keine Zunahme der Aktivität beobachtet werden. Dies läuft der weitverbreiteten Annahme zuwider, dass der Aufenthalt in einer Stadt zusätzlichen Stress verursacht“, erklärt Simone Kühn, Leiterin der Lise-Meitner-Gruppe Umweltneurowissenschaften.

    Die Ergebnisse der Studie tragen zum Verständnis bei, wie unser physisches Lebensumfeld die Gesundheit des Gehirns und der Psyche beeinflusst. Sie deuten darauf hin, dass ein Spaziergang in der Natur als präventive Maßnahme gegen psychische Probleme dienen und die potenziell nachteiligen Auswirkungen des Stadtlebens auf das Gehirn abmildern könnte.

    Die Ergebnisse stehen in Einklang mit einer zuvor durchgeführten Studie (2017, Scientific Reports), die zeigte, dass Stadtbewohner, die nahe an einem Wald lebten, eine physiologisch gesündere Struktur der Amygdala aufwiesen und daher vermutlich besser mit Stress umgehen konnten. Die nun vorgelegte Studie bestätigt erneut, wie wichtig es zu sein scheint, dass die Städteplanung mehr zugängliche Grünflächen in den Städten schafft, um die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Bürger:innen zu verbessern.

    Originalpublikationen:
    Sudimac, S., Sale, V., & Kühn, S. (2022). How nature nurtures: Amygdala activity decreases as the result of a one-hour walk in nature. Molecular Psychiatry. Advance online publication. https://doi.org/10.1038/s41380-022-01720-6

    Kühn, S., Düzel, S., Eibich, P., Krekel, C., Wüstemann, H., Kolbe, J., Mårtensson, J., Goebel, J., Gallinat, J., Wagner, G. G., & Lindenberger, U. (2017). In search of features that constitute an „enriched environment“ in humans: Associations between geographical properties and brain structure. Scientific Reports, 7:11920. https://doi.org/10.1038/s41598-017-12046-7

    Pressestelle des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, 5.9.2022

  • Erhöht Zigarettenrauchen das Risiko für Depressionen?

    Gutenberg-Gesundheitsstudie entdeckt Anzeichen dafür, dass Zigarettenrauchen ein Risikofaktor für psychische Erkrankungen sein könnte. / Foto©canva.com

    Wissenschaftler:innen der Kardiologie I am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz haben im Rahmen der Gutenberg-Gesundheitsstudie Anzeichen dafür entdeckt, dass rauchende Menschen ein erhöhtes Risiko für depressive Erkrankungen und psychische Störungen haben könnten. Studienteilnehmende, die aktuell rauchen oder geraucht haben, gaben im Vergleich zu Nichtrauchenden häufiger an, an Symptomen von psychischen Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen, Angst- und Schlafstörungen zu leiden. Aspekte wie Häufigkeit, Ausmaß und Anzahl der Jahre, in denen die Personen Tabak konsumierten, schienen ebenfalls die mentale Gesundheit negativ zu beeinflussen. Die Studienergebnisse sind kürzlich in der Fachzeitschrift „Journal of Affective Disorders“ veröffentlichtet worden.

    Laut der Weltgesundheitsorganisation rauchen weltweit rund 1,3 Milliarden Menschen. Rauchen ist jedoch einer der größten Risikofaktoren für die Gesundheit. Jedes Jahr sterben auf der Welt sieben Millionen Menschen an den Folgen ihres Tabakkonsums. Unter Personen mit psychischen Erkrankungen ist der Tabakkonsum mehr als doppelt so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung.

    „Vor diesem Hintergrund hatte unsere Studie das Ziel, zu untersuchen, ob rauchende Menschen ein erhöhtes Risiko haben könnten, psychische Erkrankungen zu entwickeln. Wir haben festgestellt, dass rund ein Drittel der Teilnehmenden der Gutenberg-Gesundheitsstudie angab, von Symptomen für Depression, Angststörungen oder Schlafstörungen betroffen zu sein. Im Vergleich zu Nichtrauchern schienen aktuelle Raucherinnen und Raucher eine um 43 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit zu haben, an Depressionssymptomen zu leiden. Auch wenn die Ergebnisse zunächst keine Aussage darüber zulassen, ob tatsächlich eine kausale Ursache vorliegt, leisten sie dennoch einen ersten Beitrag dafür, die bisher unbekannte Verbindung zwischen Zigarettenrauchen und psychischen Erkrankungen zu erforschen“, erklärt Dr. Omar Hahad, Erstautor der Publikation und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kardiologie I am Zentrum für Kardiologie an der Universitätsmedizin Mainz.

    Die Mainzer Forschenden haben beobachtet, dass bei rauchenden Studienteilnehmenden insbesondere die depressiven Symptome am stärksten ausgeprägt waren. Bei ihnen traten im Verlauf der mehrjährigen Studie im Vergleich zu Nichtrauchenden Depressionssymptome um 50 Prozent häufiger neu auf. Auch Faktoren wie Ausmaß, Häufigkeit und Anzahl der Jahre, in denen die Teilnehmenden schon Tabak konsumieren, könnte die mentale Gesundheit möglicherweise negativ beeinflussen. Eine weitere Erkenntnis: Je länger die Teilnehmenden nicht mehr rauchen, desto weniger gaben sie an, unter bestehenden Depressionssymptomen zu leiden.

    „Aus Sicht der öffentlichen Gesundheit sollten vorbeugende Maßnahmen und Strategien geschaffen werden, die die Bevölkerung stärker für die gesundheitlichen Auswirkungen des Rauchens sensibilisieren. Dabei sollte auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass Tabakkonsum mit psychischen Gesundheitsrisiken einhergehen könnte“, betont Univ.-Prof. Dr. Thomas Münzel, Direktor der Kardiologie I am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz.

    Die Untersuchung fand im Rahmen der Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) statt, eine der weltweit größten Studien im Bereich Bevölkerungs-basierter Forschung. Die GHS läuft seit 2007 und schließt mehr als 15.000 Teilnehmende im Alter von 35 bis 74 Jahre aus der Region Mainz und Mainz-Bingen ein. Die erste Befragung von 2007 bis 2012 erfasste Menge, Häufigkeit und Gesamtdauer des Tabakkonsums sowie bereits vorhandene Symptome für Depressionen, Angst- und Schlafstörungen. Fünf Jahre später wurden die Studienteilnehmenden erneut befragt und die Ergebnisse hinsichtlich auftretender Symptome psychischer Auffälligkeiten verglichen.

    Originalpublikation:
    Hahad O., Beutel M., Gilan D.A., Michal M., Schulz A., Pfeiffer N., König J., Lackner K., Wild P., Daiber A., Münzel T., The association of smoking and smoking cessation with prevalent and incident symptoms of depression, anxiety, and sleep disturbance in the general population. Journal of Affective Disorders (2022). DOI: https://doi.org/10.1016/j.jad.2022.06.083

    Pressestelle der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 1.9.2022

  • Bundesweite Plattformlösungen für die Digitalisierung der Suchtberatung

    Bundesweite Plattformlösungen für die Digitalisierung der Suchtberatung

    Die Digitalisierung der Suchtberatung wird derzeit durch den parallelen Aufbau von zwei Beratungsplattformen vorangetrieben, die bundesweit und trägerübergreifend genutzt werden können. Dabei handelt es sich um die Umsetzung des Konzeptes DigiSucht, das die delphi GmbH entwickelt hat, und den Aufbau der Sozialplattform durch das Land Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), in der die allermeisten Verbände der Suchthilfe zusammengeschlossen sind, hat den Entwicklungsprozess der beiden Projekte verfolgt und in Teilbereichen aktiv mitgestaltet. Dr. Peter Raiser, Geschäftsführer der DHS, stellt den aktuellen Umsetzungsstand der beiden Plattformen dar und erläutert Ziele und Hintergründe.

    Weiterentwicklung, Sicherung der Qualität und flächendeckendes Angebot

    Dr. Peter Raiser

    Die zentrale Frage bei der Digitalisierung der Suchtberatung ist, wie die inhaltliche Arbeit durch Anwendung digitaler Instrumente und computergestützter Prozesse begleitet, unterstützt, vereinfacht und verbessert werden kann und dabei die fachlichen Standards und die Qualität der Leistung gesichert bleiben. Neben dieser fachlichen Weiterentwicklung muss geklärt werden, wie Angebote digitalisierter Suchtberatung flächendeckend zur Verfügung gestellt werden können.

    Nun ist die Inanspruchnahme digitaler Angebote erst einmal nicht örtlich beschränkt. Der Sitz des Angebotes und der Standort des Servers sind für Hilfesuchende quer durch Deutschland unerheblich – sofern man von einem rein digitalen Angebot ausgeht. Dann wäre ein zentralisiertes Angebot flächendeckend ausreichend, wenn es alle Qualitätskriterien erfüllen und alle Hilfebedarfe abdecken kann und die entsprechende Kapazität hat. Gegen ein zentralisiertes Angebot rein digitaler Suchtberatung sprechen aber inhaltliche und strukturelle Gründe, die in der Angebotslandschaft der nicht digitalen Suchtberatung liegen.

    Verknüpfung von digitalem und Face-to-Face-Kontakt

    Das so genannte blended counselling zeigt sich gegenüber rein digitalen Angeboten in Beratungsprozessen überlegen (vgl. z. B. Hörrmann et al. 2019). Blended counselling bedeutet, dass Anteile der zu erbringenden Beratungsleistung und Kontakte zwischen Hilfesuchenden und Beratenden auch in nicht digitaler Umgebung stattfinden. Der Face-to-Face-Kontakt wird meist sowohl von Hilfesuchenden wie auch Beratenden gewünscht. Idealerweise werden die Vorteile der Begegnung in realen Beratungssituationen mit den Möglichkeiten digitaler Instrumente ergänzend miteinander verbunden. Das bedingt nun aber auch, dass neben der Inanspruchnahme einer digitalen Beratung die Möglichkeit gegeben sein muss, eine physische Einrichtung aufzusuchen. Neben der digitalen Infrastruktur benötigt blended councelling also auch eine physische Einrichtungsstruktur, die ebenfalls flächendeckend vorhanden ist.

    Blended councelling nicht als Einzellösungen umsetzbar

    Die Angebotsstruktur der Suchtberatung erfüllt dieses Kriterium mit ihren über 1.200 Einrichtungen bundesweit. Doch angesichts der prekären bis höchst gefährdeten finanziellen Ausstattung von Einrichtungen, Vereinen und sogar Verbänden ist es unrealistisch, dass Angebote des blended councelling jeweils als Einzellösungen unabhängig voneinander entwickelt werden. Aufgrund dieser Ausgangslage bietet sich eine Plattformlösung an. Dabei wird die digitale Infrastruktur von zentraler Stelle entwickelt und bereitgestellt. Einrichtungen können sich als Anbieter registrieren und ihr Angebot vor Ort und im digitalen Raum zur Verfügung stellen.

    Entwicklung bundesweiter Plattformen

    Es besteht also ein großer Wunsch, in der Digitalisierung auch jene mitzunehmen, die nicht in der Lage sind, eigene Angebote zu entwickeln, die nicht über die personellen und finanziellen Ressourcen verfügen, eigene Innovationen umzusetzen, auch wenn es nicht an Ideen mangelt. Naheliegend ist daher, Strukturen und Zugänge übergeordnet bereitzustellen und über Plattformen auch diesen Einrichtungen ein digitales Beratungsangebot zu ermöglichen.

    Qualitative und fachliche Standards sowie wirtschaftliche Vorteile

    Plattformlösungen haben Vor- und Nachteile. Zu den Vorteilen zählt neben der genannten Bereitstellung der technischen Infrastruktur eine Einheitlichkeit der Angebote, was z. B. die Qualitätssicherung und Anwendung fachlicher Standards betrifft. Diese Zentralisierung ist auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten relevant, weil Entwicklungsprozesse nicht in jedem einzelnen Angebot durchgeführt werden müssen. Dasselbe gilt für die Errichtung der technischen Infrastruktur. Einheitlichkeit und gesicherte Qualität sind auch für Hilfesuchende allerorts ein Vorteil bei Plattformlösungen. Menschen, die eine digitale Beratung aufsuchen, müssen sich nicht mit einem möglicherweise frustrierenden Vergleich unterschiedlicher Angebote befassen, sondern können schnell und verlässlich Hilfe finden, die nachweislich wirksam ist.

    „One size fits all“-Lösung wird nicht allen gerecht

    Sicherlich gehört es zu den Nachteilen, dass Plattformen all jene Projekte und Innovationen etwas zurückhalten, die besser sind als eine „one size fits all“-Lösung. Und gerade all jene Verbände, Vereine, Träger und Einrichtungen, die mit viel Aufwand und Einsatz bereits eigene Angebote und Strukturen entwickelt haben, dürften nicht begeistert von der Idee sein, diese zugunsten eines Plattform-Angebotes zurückzustellen. Es ist also eine Herausforderung bei der Entwicklung von Plattformen, zu berücksichtigen, dass bestehende Angebote parallel genutzt oder noch besser integriert werden können.

    Ende des Jahres 2020 begannen zwei größere und bundesweite Vorhaben, Plattformen für die digitale Suchtberatung zu entwickeln und aufzubauen, auf denen Beratungsstellen mit vergleichsweise wenig eigenem Aufwand ein digitales Angebot der Suchtberatung bereitstellen können. Im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) wird der Aufbau einer Sozialplattform vorgenommen, die auch das Angebot der Suchtberatung umfassen soll. Parallel wurde das Konzept DigiSucht von der delphi GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) entwickelt und veröffentlicht, welches als Projekt zunächst die konzeptionelle Vorlage für eine Plattform, nicht aber die Errichtung derselben, beinhaltete.

    Die folgenden Abschnitte sollen nun die parallele Entwicklung beider Vorhaben nachzeichnen und über den aktuellen Stand im August 2022 informieren.

    Hintergrund des OZG – Auftrag und Beginn der Umsetzung der Sozialplattform

    Das Onlinezugangsgesetz trat im Jahr 2017 in Kraft und sieht in gemeinschaftlicher Arbeit von Bund und Ländern die Digitalisierung von bzw. den digitalen Zugang zu über 500 Verwaltungsleistungen vor. Diese Verwaltungsleistungen wurden in Themenfelder gegliedert, und einzelne Länder bzw. Landesministerien wurden beauftragt, für bestimmte Themenfelder nach dem „Einer für Alle“-Prinzip eine Umsetzung zu erarbeiten und allen Ländern zur Verfügung zu stellen. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS NRW) übernahm die Federführung für den Bereich Arbeit und Ruhestand. In den dort verorteten Sozialleistungen finden sich neben zahlreichen Antragsleistungen der Verwaltung auch Beratungsleistungen wie die Schuldner- und die Suchtberatung. Mit der Errichtung einer Sozialplattform (https://sozialplattform.de/) sollen diese Leistungen gebündelt zur Verfügung gestellt werden.

    Spezifik der Beratungsangebote

    Die Leistungen im Bereich der Beratungsangebote unterscheiden sich von den Antragsleistungen nicht nur in ihrer Art der Durchführung, sondern auch wesentlich durch die Leistungserbringer, die in der Regel keine kommunalen Verwaltungsstellen sind. Im Bereich der Suchtberatung sind es zumeist Beratungsstellen aus dem Spektrum der Suchthilfe in Deutschland, z. B. in Trägerschaft von Vereinen und Verbänden der freien Wohlfahrtspflege, kirchlicher und unabhängiger Träger. Insofern entstanden Ende 2020 Kontakte zwischen dem MAGS NRW und u. a. der DHS, in der die allermeisten Verbände der Suchthilfe zusammengeschlossen sind. Zudem wurde zwischen dem MAGS NRW und dem BMG ein Kontakt aufgebaut, um zu erörtern, ob und wie das im Projekt DigiSucht erarbeitete Konzept der digitalen Suchtberatung in die Sozialplattform des OZG eingefügt werden kann.

    Keine Integration von DigiSucht

    Da sich im Jahr 2021 herausstellte, dass die Umsetzung des Konzeptes DigiSucht nicht über die Sozialplattform realisiert werden kann, begann die parallele Entwicklung dieser beiden bundesweiten Plattformen. Die Sozialplattform hat grundsätzlich einen sehr viel breiter angelegten Auftrag zu erfüllen und, wie beschrieben, den digitalen Zugang zu etlichen Verwaltungsleistungen umzusetzen. In den Beratungsleistungen der Sozialplattform konnte den Forderungen der einbezogenen Vertreter:innen aus Einrichtungen, Forschung, Verbänden, Landessstellen und, unter weiteren Institutionen, auch der DHS nicht entsprochen werden, und die Funktionalität der digitalisierten Beratung wird auf wenige Anwendungen beschränkt bleiben. Registrierten Einrichtungen werden über die Plattform eine Terminmanagementfunktion sowie Möglichkeiten der text- und videobasierten Kommunikation zur Verfügung stehen. Ein Beratungsstellenfinder hilft bei der Suche nach einem passenden Angebot – sowohl digital als auch vor Ort. Die Beratungsstellensuche soll dabei die tatsächliche Angebotslandschaft abbilden und nicht nur auf registrierte Einrichtungen beschränkt sein. Hilfesuchende sollen die Möglichkeit erhalten, auch solche Einrichtungen zu kontaktieren, die die Kommunikationstools der Sozialplattform nicht nutzen.

    Im Sommer des Jahres 2022 befindet sich die Sozialplattform noch im Aufbau, eine Beta-Version ist bereits online nutzbar. Die Funktionalitäten der Suchtberatung sollen bis zum Jahresende umgesetzt werden.

     DigiSucht – vom Konzept zum Aufbau einer digitalen Suchtberatungsplattform

    In der zweiten Jahreshälfte 2020 erarbeitete die delphi GmbH im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums das Konzept für eine trägerübergreifende Plattform der digitalen Suchtberatung. Die Projektnehmerin entwickelte das Konzept DigiSucht in Kooperation mit Landesstellen und Einrichtungen der Suchtberatung. Neben einer Bestandsaufnahme wurden Bedarfe ermittelt und Instrumente für die Durchführung eines blended counselling beschrieben (z. B. zur individuellen Bedarfserfassung und Zieldefinition, zu Risikominderung und Motivierung und zur Kommunikation zwischen Einrichtung und Klient:in). Zudem erfolgten Überlegungen zur Integration der Plattform in die komplexe Versorgungsstruktur.

    Kooperation der delphi GmbH mit der Versorgungslandschaft

    Im Zuge der Verhandlungen über eine Integration des Konzeptes in die Sozialplattform des OZG wurde die Kooperation der delphi GmbH mit der Versorgungslandschaft ausgeweitet, und weitere Verbände wurden über die DHS in Beratungen einbezogen. Die so erweiterte Arbeitsgruppe DigiSucht formulierte Mindestanforderungen, die bei der Implementierung zu berücksichtigen seien. Neben fachlichen Standards wurden auch Forderungen nach einer Klärung der Finanzierungsfragen aufgestellt. Einrichtungen, die sich an einer digitalen Beratungsplattform beteiligen, müssten sowohl über technische Sachmittel als auch über qualifiziertes Beratungspersonal verfügen, um die Leistungen auch anbieten zu können.

    Finanzierungsfragen

    Die Finanzierung der Suchtberatung erfolgt überwiegend über kommunale Mittel sowie Zuwendungen der Bundesländer. Dadurch ergibt sich ein enorm heterogenes Feld bezüglich der Ausstattung und Ressourcen der Einrichtungen mit großen Unterschieden in den Bundesländern und Kommunen. Nur wenige Einrichtungen können über eine komfortable Ausstattung verfügen. Die Bewältigung zusätzlicher Aufgaben, der Personaleinsatz und Investitionen sind für die allermeisten Beratungsstellen schlicht nicht leistbar. Auf die finanzielle Notlage von Beratungsstellen machten die DHS und ihre Mitgliedsverbände im Jahr 2019 in zwei Veröffentlichungen aufmerksam: „Notruf Suchtberatung“ und „DHS Forderungen zur Suchtberatung“.

    Trotzdem mangelt es in den Einrichtungen und Verbänden der Suchthilfe nicht am Willen und der Bereitschaft, sich den Herausforderungen der Digitalisierung und Weiterentwicklung der Suchtberatung zu stellen, sodass es dringend erforderlich war und ist, neben Landesstellen auch Vertreter:innen der Landesbehörden in die Planungen bundesweiter Lösungen einzubinden. Die Einrichtung von Landeskoordinierungsstellen ermöglicht die Begleitung der Umsetzung unter Gesichtspunkten der Finanzierung, aber auch der Organisation und der Koordinierung sich beteiligender Einrichtungen in den Ländern.

    Umsetzung des DigiSucht-Konzeptes

    Da im Rahmen der Umsetzung der Sozialplattform eine Integration des DigiSucht-Konzeptes nicht möglich war (siehe Abschnitt zum OZG weiter oben), entschied sich das BMG, den Aufbau einer trägerübergreifenden Plattform der Suchtberatung zu fördern. Das ebenfalls von delphi koordinierte Projekt mit dem Ziel der Umsetzung des DigiSucht-Konzeptes konnte daher an die Vorarbeiten anknüpfen und auch bestehende Strukturen der Arbeitsgruppen (Beteiligung von vielfältigen Akteur:innen der Länder, Landesstellen, Verbände und Einrichtungen) fortsetzen. Die Implementierung begann in der zweiten Jahreshälfte 2021 mit der Ausschreibung des technischen Aufbaus einer Plattform unter Berücksichtigung der Vorgaben des Konzeptes. Ein Beispiel für eine zentrale Vorgabe ist, dass bestehende open-source-Lösungen, die in Verbänden bereits großflächig angewandt werden, in die technische Struktur der Plattform integriert werden.

    Die im Sommer 2022 laufende technische Umsetzung der Funktionalitäten wird von einer frühzeitig begonnenen Testphase mit Pilot-Beratungsstellen begleitet. Die Einbindung von Beratungsstellen soll die Anwendbarkeit und Praktikabilität der Funktionen sichern und noch im Aufbauprozess mögliche Schwachstellen identifizieren und eine Ausbesserung ermöglichen.

    Ausblick: Nachhaltiger Betrieb der Plattform statt Modellprojekt mit befristeter Laufzeit

    Aus Sicht der Hilfesuchenden besteht sicherlich ein großer Mehrwert darin, neben den vorhandenen Strukturen der Hilfen auch digitale Angebote nutzen zu können. Insbesondere bei einem ersten Schritt der Kontaktaufnahme kann dieser zusätzliche Weg beim Abbau von Hürden und Hemmnissen helfen.

    Im weiteren Verlauf ist ein hybrides Angebot und blended councelling vorgesehen. Dies erfordert die Anbindung an eine ortsnahe Einrichtung und ist nicht unerheblich für die Strukturen der Versorgung. Denn im System müssen neben einem nur in der Theorie zentralen Angebot digitaler Beratung flächendeckende physische Strukturen vorgehalten werden, und die digitalen Erstkontakte müssen einen Prozess der Zuordnung zu den ortsnahen Einrichtungen durchlaufen, sodass spätere physische Kontakte mit einer Kontinuität im Beratungsprozess möglich sind.

    Das ist nicht nur eine koordinatorische Herausforderung in der Phase der Plattformerrichtung. Der Personal- und Finanzbedarf für den kontinuierlichen Betrieb der Plattform sowie der Bedarf an technischer und inhaltlicher Weiterentwicklung machen deutlich, dass die Umsetzung nicht als Projekt mit Modellcharakter nach befristeter Laufzeit beendet sein kann. Neben den fortlaufenden Kosten eines digitalen Beratungsangebotes in Einrichtungen verursacht auch der Betrieb einer bundesweiten und trägerübergreifenden Plattform der Suchtberatung nach dem Aufbau fortwährend Kosten. Um die Funktionalität der Beratungsplattform nachhaltig abzusichern, ist ein entsprechendes Commitment der Länder und des Bundes erforderlich.

    Kontakt und Angaben zum Autor:

    Dr. Peter Raiser
    Geschäftsführung und Referat Grundsatzfragen
    Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen
    Westenwall 4, 59065 Hamm
    Tel. 02381 / 9015-0
    Raiser(at)dhs.de
    www.dhs.de

    Literatur:
  • Alkohol Spitzenreiter bei problematischem Konsum

    Alkohol und Tabak dominieren den Substanzkonsum in Deutschland. Ein Forschungsteam des Instituts für Therapieforschung in München hat Daten des Epidemiologischen Suchtsurveys 2021 (ESA) ausgewertet. Darin wird in regelmäßigen Abständen der Konsum psychoaktiver Substanzen in der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung in Deutschland erhoben.

    18 Prozent betreiben problematischen Alkoholkonsum

    36 Millionen Personen haben laut den Ergebnissen in den letzten 30 Tagen Alkohol getrunken. Das sind sieben von zehn Personen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren. 18 Prozent der Befragten oder hochgerechnet rund neun Millionen Erwachsene weisen einen problematischen Konsum auf. Das heißt, dass entweder missbräuchlicher Konsum oder sogar eine Abhängigkeit vorliegen könnte. Chronischer Alkoholkonsum ist in der Regel für weitere gesundheitliche Folgen wie Leberzirrhose oder Krebs verantwortlich. Schätzungen zufolge verursacht der Alkoholkonsum volkswirtschaftliche Folgekosten in Höhe von etwa 57 Milliarden Euro.

    Das Rauchen ist ebenfalls weit verbreitet. 23 Prozent der erwachsenen Bevölkerung rauchen traditionelle Tabakprodukte wie Zigaretten oder Zigarillos. Hinzukommen neue Produkte wie Tabakerhitzer, E-Zigaretten oder Wasserpfeifen. Zusammengerechnet konsumieren 27 Prozent oder rund 14 Millionen Erwachsene Tabak oder andere Inhalationsprodukte. Etwa fünf Millionen betreiben einen problematischen Konsum. Die volkswirtschaftlichen Folgekosten werden auf etwa 97 Milliarden Euro geschätzt.

    2,9 Millionen Menschen mit problematischem Konsum von Medikamenten

    Ein weiteres Problemfeld ist der missbräuchliche Einsatz von Medikamenten. Bei 2,9 Millionen Menschen liegt den Ergebnissen zufolge ein problematischer Konsum von Medikamenten vor. Darunter sind frei verkäufliche Schmerzmittel, die bei nicht sachgemäßer Anwendung gravierende Nebenwirkungen haben können. Ein erhöhtes Abhängigkeitspotenzial haben vor allem Schlaf- und Beruhigungsmittel sowie opioidhaltige Schmerzmittel.

    Unter den illegalen Drogen ist Cannabis die am weitesten verbreitete Substanz. Im letzten Jahr haben neun Prozent der Befragten oder 4,5 Millionen Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren Cannabis konsumiert. Bei 2,5 Prozent oder 1,3 Millionen Menschen liegt ein problematischer Cannabiskonsum vor.

    Andere illegale Drogen sind weitaus weniger stark verbreitet. Kokain ist mit einer Verbreitung von 1,6 Prozent in der Bevölkerung an zweiter Stelle, gefolgt von Amphetamin mit 1,4 Prozent. Der Konsum von neuen psychoaktiven Substanzen, auch bekannt als Legal Highs, liegt mit einer Verbreitung von 1,3 Prozent noch vor dem von Methamphetamin. 0,2 Prozent der Bevölkerung konsumieren die auch als Crystal Meth bekannte Droge.

    Die aktuellen Zahlen verdeutlichen nach Einschätzung des Forschungsteams, dass der Konsum von psychoaktiven Substanzen weiterhin stark verbreitet ist in Deutschland. Die Hauptrisikofaktoren für Krankheit und vorzeitiges Sterben bilden dabei vor allem der Konsum von Alkohol und von Tabak.

    Originalpublikation:
    Rauschert, C., Möckl, J., Seitz, N.-N., Wilms, N., Olderbak, S., Kraus, L. (2022). Konsum psychoaktiver Substanzen in Deutschland – Ergebnisse des Epidemiologischen Suchtsurvey 2021. Deutsches Ärzteblatt International, 119, 527-534. doi: 10.3238/arztebl.m2022.0244

    Volltext auf der Website der Zeitschrift

    Quelle: www.drugcom.de, 31.8.2022

  • Alkohol und Drogen als Thema in der Erziehung

    Im März 2022 ist das Buch „Alkohol und Drogen in der Familie. Präventionswissen für Eltern und pädagogische Fachkräfte“ von Regina Kostrzewa im Kohlhammer Verlag erschienen. Der Titel wurde bereits auf KONTUREN online in der Rubrik „Neue Bücher“ vorgestellt. Eine ausführliche Besprechung hat nun Tina Wohlfarth von der Thüringer Fachstelle Suchtprävention verfasst. Sie hebt die gut nachvollziehbare Darstellung des Einflusses von erzieherischem Handeln auf die Suchtprävention hervor.

    Wann ist der richtige Zeitpunkt in der Erziehung eines Kindes, den Grundstein für die Suchtprävention zu legen? Was ist für eine Familie im Umgang mit dem Thema Alkohol und Drogen wesentlich? Eltern sind die wichtigsten Bezugspersonen für ihre Kinder und die Ersten, die ihnen Kompetenzen vermitteln und Orientierung geben. Wie Eltern diese Aufgaben meistern können, beschreibt Regina Kostrzewa anhand theoretischer Grundlagen und ihrer beruflichen sowie persönlichen Erfahrungen. Die vorgestellten Herangehensweisen unterlegt sie mit Interviews betroffener Personen.

    Zu Beginn des Buches erfolgt eine Einordnung der Begrifflichkeiten und eine Beschreibung des Spannungsverhältnisses, in dem sich Eltern aufgrund ihrer Verantwortung gegenüber dem Substanzgebrauch der Kinder befinden. Es werden verschiedene Faktoren hinsichtlich ihrer Wirkung auf Konsumentscheidungen betrachtet und mit den Grenzen des persönlichen elterlichen Einflusses ins Verhältnis gesetzt. Die Kernaussage lautet: Eltern können eine Menge tun, aber sie sind nicht für alles allein verantwortlich.

    Die Bedeutung einer guten Eltern-Kind-Beziehung

    Der Fokus in den ersten Kapiteln liegt ganz bewusst nicht auf konkreten Substanzen oder Suchtfragen. Viel mehr wird die Bedeutung einer guten Eltern-Kind-Beziehung herausgestellt. Anhand verschiedener Modelle und Theorien werden Bezüge zwischen dem elterlichen Verhalten und der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes aufgebaut, und es werden Schutz- und Risikofaktoren dargelegt, denen Eltern im Alltag begegnen. Die Autorin stellt dar, wie Kinder durch entsprechende Erziehung Persönlichkeitsmerkmale entwickeln können, die ihnen helfen, später gesunde und risikokompetente Entscheidungen zu treffen. Dabei stehen besonders die Konfliktlösekompetenzen im Vordergrund. Der autoritative Erziehungsstil wird durch sein günstiges Verhältnis aus positiven Bindungserfahrungen und Förderung der kindlichen Entscheidungskompetenz als vorteilhaft eingeordnet.

    Anhand sozialer Lerntheorien erklärt die Autorin, dass Eltern nicht in erster Linie gute Vorbilder sein müssen, sondern dass eine wertschätzende, altersgerechte und transparente Kommunikation entscheidend für die Kompetenzentwicklung bei Kindern ist. Als Beispiel dient der elterliche Tabakkonsum. Kostrzewa schreibt, dass eine kritische Reflexion des eigenen Verhaltens wichtig ist, damit Kinder erkennen, dass der Gebrauch einer Substanz nicht automatisch bedeutet, dass die Person mit dem eigenen Handeln auch zufrieden ist. Eltern dürfen und sollen innere Konflikte thematisieren, um Kindern die Vielschichtigkeit von Konsumentscheidungen zu veranschaulichen.

    Konsumkompetenz und das Erlernen von Genuss statt Rausch

    Mit der Betrachtung der gesellschaftlichen Rolle des Alkohols und des elterlichen Konsumverhaltens zeigt Kostrzewa, dass das Ziel nicht vollständige Abstinenz sein muss, sondern der kompetente Umgang mit Alkohol. Das Buch verdeutlicht, wie Konsumkompetenz und das Erlernen von Genuss statt Rausch Kinder auf die Herausforderungen im Jugend- und Erwachsenenalter vorbereiten können. Dabei werden auch biologische und neuronale Grundlagen erläutert. Die Devise lautet: Je später Jugendliche mit dem Konsum einer Substanz beginnen, desto besser für den gesamten Entwicklungsprozess.

    Als große Herausforderungen für Eltern gelten der Ablöseprozess und der Übergang der Kinder zu jungen Erwachsenen. Der potenzielle Einfluss eines gelingenden Ablöseprozesses auf die Suchtprävention wird verständlich dargestellt. Wie Eltern mit dem Spannungsverhältnis zwischen ihrem Bedürfnis, das Kind zu schützen, und dem Autonomiebedürfnis des Kindes umgehen, ist sehr treffend mit dem Wortspiel „Loslassen statt Fallenlassen“ ausgedrückt und wird durch eine Übung greifbar gemacht.

    Die letzten Kapitel des Buches beschäftigen sich mit der Rolle der Angehörigen im Umgang mit einer Suchterkrankung in der Familie. Die Autorin thematisiert, wie unterschiedlich Familienmitglieder agieren und reagieren, besonders wenn Kinder im Spiel sind. Die Gruppe der Kinder aus suchtbelasteten Familien steht hier im Zentrum. Pädagogische Fachkräfte erhalten Ideen, wie sie mit betroffenen Kindern umgehen und sie fördern können.

    Jedes Kapitel ist mit alltagsnahen Beispielen und Übungen bestückt, die die Inhalte lebendig und anwendbar machen. Besonders im letzten Teil werden noch einmal praktische Empfehlungen zusammengefasst.

    Fazit

    Das Buch ist an eine breite Zielgruppe gerichtet. Hierfür hat die Autorin einen wunderbaren Weg gefunden. Eltern und Fachkräfte aus Pädagogik, Suchthilfe und Prävention sowie weitere Interessierte können Zusammenhänge zwischen erzieherischem Handeln und Suchtprävention alltagsnah nachvollziehen. Verständlich wird gezeigt, welchen Einfluss Erziehungsstile und Kommunikationstechniken auf die Persönlichkeitsentwicklung sowie die Stärkung der Selbstwirksamkeit bei Kindern und Heranwachsenden haben. Anhand theoretischer Grundlagen und alltagspraktischer Beispiele wird beschrieben, wie sich diese Techniken potenziell auf ein späteres Konsum- und Entscheidungsverhalten der Kinder auswirken.

    Kostrzewa lässt die Leser:innen an den Erkenntnissen aus ihrer jahrelangen Berufspraxis teilhaben. Persönliche Erfahrungen sind immer klar gekennzeichnet. Mit gut evaluierten Programmen für Fachkräfte und hilfreichen Anregungen für Eltern – z. B. die Familienregeln oder die Verzichtübung – bietet das Buch einen sehr guten Überblick über den aktuellen Stand der Prävention.

    Zur Autorin

    Prof. Dr. Regina Kostrzewa widmet sich seit mehr als 30 Jahren in ihrer Arbeit und Lehre der Suchtprävention. Sie arbeitete 25 Jahre in leitender Position in der Suchthilfe und promovierte zum Thema Alkoholprävention bei Jugendlichen.

    Bibliografische Angaben:
    Regina Kostrzewa
    Alkohol und Drogen in der Familie
    Präventionswissen für Eltern und pädagogische Fachkräfte
    Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2022, 248 Seiten, 34,00 €, ISBN 978-3-17-037659-5, auch als E-Book erhältlich

    Rezension: Tina Wohlfarth, Thüringer Fachstelle Suchtprävention, August 2022

  • Yoga, Tee, LSD

    Schattauer/Klett Cotta-Verlag, Stuttgart 2022, 328 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-608-40139-4, auch als E-Book erhältlich

    Zauberpilze gegen Depressionen, Ecstasy für Trauma-Patient:innen: Neben den bekannten Gefahren bergen psychedelische Substanzen auch therapeutisches Potenzial. Die Fachärztin für Anästhesie und Notfallmedizin Jungaberle forscht seit Jahren intensiv im Bereich der Bewusstseinserweiterung. In diesem Buch lädt sie dazu ein, das heiß diskutierte Thema von einem aufgeklärten Standpunkt aus zu betrachten. Denn wer sich auf psychedelische Erfahrungen einlässt, erlebt seine Innenwelt als wandelbarer und wird aufgeschlossener für die Gedanken- und Lebenswelt anderer. Man muss keine Substanzen einnehmen, um hilfreiche veränderte Bewusstseinszustände zu erleben, und im Grunde manipulieren wir alle ständig unseren mentalen Zustand. Dieses Buch ist eine Horizonterweiterung für alle, die das Tor zum Garten ihres Bewusstseins aufstoßen möchten!