Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersucht derzeit im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), ob die Systemische Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen Vorteile im Vergleich zu anderen Behandlungen oder zu keiner Behandlung hat. Vorläufiges Ergebnis: Bei Essstörungen und bei psychischen Störungen, die auf die Einnahme von die Psyche beeinflussenden Substanzen wie Drogen („psychotrope Substanzen“) zurückgehen, zeigt sich in Studien ein Vorteil der Systemischen Therapie gegenüber anderen Behandlungen. Stellungnahmen zum Vorbericht sind möglich bis zum 16.09.2022.
Für Erwachsene ist die Systemische Therapie bereits Kassenleistung
Die Systemische Therapie ist ein psychotherapeutisches Verfahren zur Behandlung von psychischen Störungen. Leitgedanke der Systemischen Therapie ist, dass soziale Beziehungen – vor allem innerhalb der Familie – eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Behandlung von psychischen Störungen spielen. Anders als die analytische Psychotherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die Verhaltenstherapie zählt die Systemische Therapie bislang in Deutschland nicht zu jenen psychotherapeutischen Verfahren, die als ambulante Leistung in der gesetzlichen Krankenversicherung zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen eingesetzt und erstattet werden. Die Systemische Therapie zur Behandlung von Erwachsenen wurde hingegen 2019 in die dafür maßgebliche Psychotherapie-Richtlinie des G-BA aufgenommen. Vor diesem Hintergrund hat der G-BA das IQWiG im August 2021 mit der Nutzenbewertung der Systemischen Therapie als Psychotherapieverfahren bei Kindern und Jugendlichen mit einer psychischen Störung beauftragt.
Sinkender Cannabiskonsum und Hilfe bei Essstörungen
Die nun vom IQWiG vorgelegte vorläufige Nutzenbewertung „Systemische Therapie als Psychotherapieverfahren bei Kindern und Jugendlichen“ basiert auf der Auswertung von 37 randomisierten kontrollierten Studien.
Im Anwendungsbereich „Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ zeigen die Studien Vorteile für die Systemische Therapie im Vergleich zu den bislang von den Krankenkassen gemäß Psychotherapie-Richtlinie erstatteten Psychotherapieverfahren („Richtlinientherapie“). Beispielsweise waren in einer Studie mit 450 Cannabiskonsumenten im Alter zwischen 13 und 18 Jahren in der Systemischen-Therapie-Gruppe im Vergleich zur Richtlinientherapie-Gruppe bei Studienende sowohl der Cannabisgebrauch geringer als auch die Anzahl der Symptome einer Cannabiskonsumstörung.
Bei Essstörungen lässt sich gegenüber Psychotherapien, die nicht zur Richtlinientherapie gezählt werden, und auch gegenüber sonstigen Behandlungen ein Vorteil der Systemischen Therapie ableiten.
Bei affektiven Störungen wie Depressionen sowie bei Angst- und Zwangsstörungen zeigen die Daten Vorteile der Systemischen Therapie gegenüber einer Placebo- oder keiner Behandlung.
Für die Anwendungsbereiche „Störungen des Sozialverhaltens“ und „Seelische Krankheit aufgrund frühkindlicher emotionaler Mangelzustände“ skizziert die IQWiG-Projektgruppe in ihrem Vorbericht jeweils Eckpunkte für Erprobungsstudien, mit denen geprüft werden kann, ob die Systemische Therapie hier die Versorgung verbessert.
Zum Ablauf der Berichterstellung
Den Berichtsplan für dieses Projekt hatte das IQWiG im November 2021 veröffentlicht. Stellungnahmen zum Vorbericht werden nach Ablauf der Frist ab dem 16.09.2022 gesichtet. Sofern sie Fragen offenlassen, werden die Stellungnehmenden zu einer mündlichen Erörterung eingeladen.
Die mentale Gesundheit von Schülerinnen und Schülern hat sich in den letzten Monaten deutlich verbessert. Dies ist das zentrale Ergebnis einer Studie des Forschungszentrums Demografischer Wandel (FZDW) der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS). Bereits zwischen 2014 und 2020 befragten die Forschenden jährlich mehr als 10.000 Schüler:innen der Geburtsjahrgänge 2003/2004 an weiterführenden Regelschulen. Unter anderem fragten sie danach, an wie vielen Tagen in der letzten Woche sie sich traurig, einsam oder unglücklich gefühlt haben und wie häufig sie gereizt und schlecht gelaunt gewesen sind. Dabei wurden stets dieselben Jugendlichen befragt. Eine kleine Gruppe dieser Schüler:innen wurde über die Pandemie (2020–2022) weiter begleitet und zu ihrem Wohlbefinden befragt.
„Schon vor der Pandemie konnten wir einen stetigen Anstieg mentaler Gesundheitsprobleme bei den befragten Jugendlichen erkennen“, blickt Studienleiter Prof. Dr. Andreas Klocke auf die früheren Ergebnisse zurück. Ihm zufolge sei dies jedoch nichts Ungewöhnliches und decke sich mit vergleichbaren Studien, da die Pubertät, zunehmende Konflikte mit den Eltern und steigende schulische Anforderungen allgemein für ein abnehmendes psychisches Wohlbefinden im Prozess des Älterwerdens verantwortlich seien. Nach Ausbruch der Pandemie habe das Wohlbefinden der Teilnehmenden jedoch nochmals empfindlich gelitten: „Ende 2021 gaben in unserer Studie plötzlich 61 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler an, an mindestens zwei Tagen in der Woche gereizt oder schlecht gelaunt gewesen zu sein. 39 Prozent hätten sich unglücklich und deprimiert gefühlt. Das waren vor der Pandemie mit 44 bzw. 19 Prozent in dieser Gruppe noch deutlich weniger“, so Dr. Sven Stadtmüller, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am FZDW, der seit 2014 die Durchführung der Befragungen organisiert. Dabei verweist er darauf, dass zum Jahresende 2021 Lockdowns und Schulschließungen schon einige Zeit hinter den Jugendlichen lagen.
Nun, acht Monate später, entspanne sich die Situation wieder – dies zeigte eine zweite, abschließende Befragung im August 2022, deren Ergebnis bei fast allen Indikatoren des psychischen Wohlbefindens geringere Belastungswerte vorweist. So berichtete noch die Hälfte der teilnehmenden Jugendlichen, an mindestens zwei Tagen in der Woche gereizt oder schlecht gelaunt gewesen zu sein. 30 Prozent gaben an, sich unglücklich und deprimiert gefühlt zu haben. Dennoch sei dies kein Grund zur Euphorie, denn: „Die Belastungswerte liegen noch allesamt über dem Niveau vor der Pandemie, auch wenn dies zum Teil dem allgemeinen Trend eines sinkenden psychischen Wohlbefindens zuzuschreiben ist“, so Stadtmüller.
Er verweist zudem darauf, dass sich die Studienergebnisse nur auf Schüler:innen der gymnasialen Oberstufe beziehen, die sich zum Zeitpunkt der Befragung in ihrem letzten Schuljahr befunden oder das Abitur gerade abgeschlossen haben. So nahmen an der ersten Befragung Ende 2021 noch rund 1.450 Schüler:innen teil, wohingegen sich bei der abschließenden zweiten Befragung nur noch rund 270 Schüler:innen beteiligten. Entsprechend, so warnen die Forscher, müsse man bei der Interpretation der Ergebnisse vorsichtig sein. „Es ist vorstellbar, dass sich vorrangig jene Jugendliche an beiden Online-Befragungen beteiligt haben, denen die Begleitumstände der Pandemie besonders zu schaffen machten“, erklärt Stadtmüller. „Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sie sich von den entstandenen Belastungen allmählich erholen.“
Pressestelle der Frankfurt University of Applied Sciences, 24.8.2022
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2022, 220 Seiten, 39,00 €, ISBN 978-3-17-028759-4, auch als E-Book erhältlich
Suchthelfer stoßen häufig auf rechtliche Fragestellungen: Hat sich mein drogenabhängiger Klient strafbar gemacht? Welche Auswirkungen hat dies auf die geplante Suchtbehandlung? Ist das Kindeswohl bei Kindern von Suchtkranken gefährdet? Wie kann auf durch Sucht verursachte Verschuldung reagiert werden? Welche suchtbezogenen Besonderheiten müssen im Sozialrecht beachtet werden – z. B. bei der Absicherung des Lebensunterhalts oder bei der Finanzierung der Suchtbehandlung? Wie ist die Rechtslage bei ausländischen Suchtkranken?
In diesem Werk werden diese und zahlreiche weitere Fragen behandelt und beantwortet. Es stellt Suchthelfern ein Kompendium zur Unterstützung ihrer Tätigkeit bei der Klärung von rechtlichen Zusammenhängen zur Verfügung.
Ein aktueller Cochrane Review zeigt, dass es sich auch nach einem ersten Herzinfarkt noch lohnt, mit dem Rauchen aufzuhören: Das Risiko eines weiteren Infarkts oder Schlaganfalls lässt sich dadurch um rund ein Drittel senken.
Über ein Drittel aller Todesfälle in Deutschland sind auf kardiovaskuläre Erkrankungen (cardiovascular disease, CVD) zurückzuführen, die sich insbesondere in Form von Herzinfarkten und Schlaganfällen manifestieren. Zu den wichtigsten beeinflussbaren Risikofaktoren für CVD gehört neben der Ernährung das Rauchen – Schätzungen zufolge ist das Tabakrauchen für rund jeden zehnten Todesfall durch CVD verantwortlich.
Dabei ist es nie zu spät, um mit dem Rauchen aufzuhören: Wie auch das Risiko für Lungenkrebs, so sinkt auch das kardiovaskuläre Risiko nach einem Rauchstopp wieder deutlich ab. Dass sich dies selbst dann noch lohnt, wenn man bereits einen ersten Herzinfarkt erlitten hat, belegt die Evidenz aus dem eben erschienenen Cochrane Review „Rauchentwöhnung zur Sekundärprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen“ auf Basis von 68 Studien mit insgesamt mehr als 80.000 Teilnehmenden.
Die Kernaussagen des Reviews:
CVD-Risiko: Menschen mit koronarer Herzerkrankung, die mit dem Rauchen aufhören, verringern wahrscheinlich ihr Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden und daran zu sterben, um rund ein Drittel. Die Autor:innen schätzten die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz nach GRADE hierfür als moderat (für CVD-Todesfälle) bzw. gering (für nicht tödliche CVD-Ereignisse) ein.
Lebensqualität: Viele Raucher lieben ihr Laster und fürchten einen Verlust an subjektiver Lebensqualität, wenn sie damit aufhören. In den acht Studien, die den Endpunkt „Lebensqualität“ mindestens sechs Monate lang nachverfolgten, bestätigte sich diese Sorge nicht. Vielmehr fühlten sich die Studienteilnehmenden, die sich zum Rauchstopp entschlossen, langfristig sogar geringfügig besser als jene, die weiter rauchten.
„Unsere Ergebnisse belegen, dass das Risiko sekundärer CVD-Ereignisse bei denjenigen, die mit dem Rauchen aufhören, im Vergleich zu denjenigen, die das Rauchen fortsetzen, sinkt und dass sich die Lebensqualität als Folge des Rauchstopps verbessert“, schlussfolgern die Autor:innen. „Wir hoffen, dass diese Ergebnisse mehr Menschen zu einem Rauchstopp motivieren und Gesundheitspersonal dazu ermutigen, Patient:innen beim Aufhören aktiver zu unterstützen.“
Originalpublikation:
Wu AD, Lindson N, Hartmann-Boyce J, Wahedi A, Hajizadeh A, Theodoulou A, Thomas ET, Lee C, Aveyard P. Smoking cessation for secondary prevention of cardiovascular disease. Cochrane Database of Systematic Reviews 2022, Issue 8. Art. No.: CD014936. DOI: 10.1002/14651858.CD014936.pub2
Der Mensch ist wohl das einzige Lebewesen, das aufgrund von Gefühlen weinen kann. In einer Studie haben Psychologinnen und Psychologen der Universitäten Ulm und Sussex untersucht, warum dies so ist. Die Forschenden konnten thematische Auslöser identifizieren, die uns zu Tränen rühren. Dazu gehören beispielsweise Einsamkeit oder Überforderung.
Anhand von insgesamt über eintausend Berichten erwachsener Personen konnten die Forschenden eine Reihe thematischer Auslöser identifizieren, die häufig mit emotionalen Tränen assoziiert sind. Dazu zählen die Kategorien Einsamkeit, Machtlosigkeit, Überforderung, Harmonie und Medienkonsum. Erschienen ist die Arbeit zu den fünf Gründen des Weinens im Journal „Motivation and Emotion“.
Neben den untersuchten emotionalen Tränen wie Freudentränen oder Tränen aus Trauer, Angst oder Wut existieren auch basale Tränen, die das Auge stets feucht halten und schützen. Die dritte Art sind Reflextränen, die beispielsweise bei Kälte, Wind oder beim Zwiebelnschneiden auftreten. Laut einer neuen Untersuchung von Forschenden der Universität Ulm und der University of Sussex in Brighton, Großbritannien, lassen sich die meisten Episoden, in denen Erwachsene aus emotionalen Gründen weinen, zuverlässig einer von fünf Kategorien zuordnen. Dazu zählen Einsamkeit, Machtlosigkeit, Überforderung, Harmonie und Medienkonsum.
Der Einteilung in diese Kategorien liegt die Überlegung zugrunde, dass emotionale Tränen immer dann auftreten, wenn psychologische Grundbedürfnisse entweder verletzt oder sehr intensiv befriedigt werden. „Ähnlich wie bei biologischen Grundbedürfnissen wie Schlaf oder Essen geht man davon aus, dass die Frustration oder die Befriedigung dieser psychologischen Faktoren unser subjektives Wohlbefinden beeinflussen“, erklärt Erstautor Michael Barthelmäs, inzwischen Postdoc in der Abteilung Sozialpsychologie der Universität Ulm.
Als zentrale psychologische Grundbedürfnisse haben sich in der Forschung die Bedürfnisse nach „Nähe“ (sich verbunden fühlen), „Autonomie“ (Dinge beeinflussen können) und „Kompetenz“ (etwas erfolgreich ausführen können) etabliert. Wie erwartet zeichnete sich in der Studie „Einsamkeit“ insbesondere durch eine erlebte Frustration des Bedürfnisses nach Nähe aus. Dieser Kategorie wurden Tränen aus Liebeskummer oder aufgrund von Heimweh zugeordnet. Tränen der Kategorie „Harmonie“ waren hingegen durch eine intensive Befriedigung des Bedürfnisses nach Nähe gekennzeichnet und traten beispielsweise als Freudentränen bei einer Hochzeitsfeier auf. Ein Beispiel für „Machtlosigkeit“ waren Tränen in Reaktion auf eine Todesnachricht (Frustration von Autonomie); Tränen der „Überforderung“ wurden häufig im Arbeitskontext berichtet (Frustration von Kompetenz).
Jede vierte beobachtete Episode fiel in die Kategorie „Medienkonsum“, die mehrere Besonderheiten aufweist. Im Vergleich zu den anderen Kategorien ist die weinende Person dabei nur indirekt betroffen und die Tränen treten „stellvertretend“ auf. Der Auslöser ist ein Erlebnis, das der Hauptfigur eines Buches oder Filmes widerfährt, in die sich die Person hineinversetzt. Zudem kann man Tränen bei einem Drama, aber eben auch bei einer Komödie vergießen, in dieser Kategorie können also Freudentränen und Tränen der Traurigkeit fließen.
Insgesamt führten die Forschende drei Studien durch, in denen neben Personen aus der Allgemeinbevölkerung auch Studierende befragt wurden. Der Altersdurchschnitt lag bei 30,3 Jahren. Der Anteil weiblicher Versuchspersonen betrug 64 Prozent. In zwei Studien wurden die Versuchsteilnehmenden in Online-Umfragen gebeten, im Rückblick Auskunft über die letzte Episode zu geben, in der sie emotionale Tränen vergossen hatten. In einer dritten Studie wurden die Teilnehmenden im Rahmen einer 30-tägigen elektronischen Tagebuchstudie einmal täglich via Smartphone zu ihrem Befinden sowie zum Weinen befragt. Es zeichnete sich der Trend ab, dass jüngere Personen im Vergleich zu älteren häufiger aufgrund von Überforderung weinten. Zudem wurden in der Tagebuchstudie weniger Episoden der Machtlosigkeit berichtet als in den beiden retrospektiven Studien. Es könnte also sein, dass eine Todesnachricht eher mit Weinen verknüpft wird als andere Kategorien. Somit erinnern sich die Studienteilnehmer besser daran und berichten davon häufiger.
Die neuen Untersuchungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Ulm und Sussex schließen eine Lücke in der Erforschung von emotionalen Tränen. Die Einteilung bildet einen wichtigen Grundstein in der weiteren Erforschung des Phänomens emotionale Tränen. „Bislang weiß man relativ wenig darüber, welche Rolle emotionale Tränen bei psychischen Erkrankungen spielen. Außerdem fehlen systematische Erkenntnisse darüber, wie Tränen soziale Interaktionen regulieren. Das heißt, welchen Einfluss Tränen zum Beispiel darauf haben, ob ein Mensch einen anderen unterstützt“, so Professor Johannes Keller, Leiter der Abteilung Sozialpsychologie der Uni Ulm, an der die Studie entstanden ist. Die Identifikation der fünf häufigsten Gründe des Weinens kann dabei helfen, diese Fragen in Zukunft zu beantworten.
Originalpublikation:
Barthelmäs, M., Kesberg, R., Hermann, A. et al. Five reasons to cry—FRC: a taxonomy for common antecedents of emotional crying. Motiv Emot (2022). https://doi.org/10.1007/s11031-022-09938-1
Die Notwendigkeit, digitale Angebote für suchtkranke Menschen zu entwickeln, wurde bereits vor einigen Jahren erkannt. Beratungsangebote per Mail und per Chat wurden von einzelnen Verbänden und Trägern der Suchthilfe konzipiert und umgesetzt. Im Januar 2020 verabschiedeten Fachkräfte aus unterschiedlichen Bereichen der Suchthilfe (Verwaltung, Träger, Verbände, Fachverbände) gemeinsam die Essener Leitgedanken zur digitalen Transformation in der Suchthilfe.
Nur wenige Wochen später hat die Corona-Pandemie die Herstellung eines Bewusstseins für einen Bedarf an digitalen Angeboten ungeahnt beschleunigt. Der Lockdown sorgte dafür, dass in Suchtberatungsstellen großer Träger zunehmend digitale Beratungsangebote per Mail oder Chat eingerichtet und erprobt wurden, während kleine Träger weder auf Ressourcen noch auf Know-how zur Einführung von Onlineangeboten zurückgreifen konnten.
Ambulante Suchtberatung – das Verhältnis von regional und digital
Ist Suchtberatung entweder regional oder digital? Bisher ist beides zusammen nur in wenigen Regionen Deutschlands möglich. Ratsuchende finden gerade im ländlichen Raum keine Suchtberatungsstellen in der Nähe, die sowohl Online- als auch persönliche Gespräche anbieten. Stattdessen sind – neben einigen bundesweiten digitalen Suchtberatungsangeboten großer Verbände – immer noch kostenpflichtige Beratungsangebote im Ergebnis der Suchmaschinenrecherche sehr prominent sichtbar. Engagierte selbständige Berater:innen, entweder ausgebildete Fachkräfte mit einem einschlägigen Studium oder Betroffene mit eigenen Erfahrungen, bieten auf ansprechend programmierten Webseiten kostenpflichtige Beratung an. Die Terminvereinbarung für telefonische oder Videoberatung kann z. T. gleich digital erfolgen, ebenso die Online-Bezahlung der Beratungsleistung.
Damit bieten die privaten Dienstleister in der Regel sehr viel einfacher eine Onlineberatung (als Dienstleistung) an, als das bei den gemeinnützigen Trägern zu finden ist. Private Dienstleister werben damit, ohne Wartezeit, sicher und anonym Beratung durchführen zu können. Attraktiv gestaltete Webseiten präsentieren, zum Teil mit schönen Bildern, wer berät und welche Leistungen buchbar sind.
Die Webseiten gemeinnütziger Träger der Suchthilfe bieten in der Regel keine sofortige Terminvereinbarung an, eine Onlineberatung, die wohnortnah mit der regionalen Suchtberatungsstelle verknüpft ist, wird in der Regel nicht in der einfachen Suchtmaschinenrecherche angezeigt.
DigiSucht – bundesweit, digital und regional
Mit Start des Bundesmodellprojektes DigiSucht wurde von der delphi GmbH ab August 2020 mit Finanzierung durch das Bundesgesundheitsministerium die Konzeption einer trägerübergreifenden digitalen Beratungsplattform für die kommunale Suchtberatung entwickelt. Die Konzeptentwicklung wurde von Verbänden, Landesstellen und regionalen Suchtberatungsstellen unterstützt und begleitet.
Ab September 2022 werden erste Beratungsstellen die neu entwickelte Plattform im Modellbetrieb testen, bevor sie im ersten Quartal 2023 für alle Bürger:innen zugänglich gemacht wird. Ziel ist es, Ratsuchenden damit bundesweit Online-Suchtberatung anbieten zu können – verbunden mit der Möglichkeit des blended counceling, d. h., die Onlineberatung wird mit persönlichen Gesprächen in der Suchtberatungsstelle vor Ort und weiteren Onlinetools (wie z. B. Konsumtagebuch) kombiniert.
Gleichzeitig soll die Plattform bundesweit alle gemeinnützigen Suchtberatungsstellen in die Lage versetzen, datenschutzkonform, qualitätsgestützt und vernetzt mit den vorhandenen Klienten-Dokumentationssystemen Onlineberatung anbieten zu können. Gerade kleine Träger im ländlichen Raum waren bisher nicht in der Lage, eigene Onlineangebote zu entwickeln.
Mit der Inbetriebnahme der Plattform wäre dann ein großer Schritt in Richtung einer sozialraumorientierten digitalen Beratung getan. Gerade im ländlichen Raum kann dieses Onlineangebot die Möglichkeit bieten, wesentlich einfacher eine Suchtberatung zu erhalten. Weite Wege zur nächsten Beratungsstelle, fehlender ÖPNV und steigende Spritkosten sind dann keine Hürden mehr, die eine frühzeitige Beratung verhindern würden.
Doch digitale Transformation bedeutet mehr als das Zur-Verfügung-Stellen von Plattformen. Digitalisierung gerade in kleinen sozialen, gemeinnützigen Organisationen geht einher mit einem kulturellen Wandel. Wo Ratsuchende mittels digitaler Angebote niedrigschwelliger als bisher erreicht werden sollen, sind besondere Herausforderungen für die Einrichtungen und die Mitarbeitenden der Suchthilfeträger zu bewältigen.
Kaum ein Träger der Suchthilfe hat in den letzten Jahren eine Digitalisierungsstrategie entwickelt. Themen wie Datenschutz und IT-Sicherheit sind in der Regel unbeliebt und die Möglichkeiten, die jeweils aktuelle technische Ausstattung (finanziell) zu gewährleisten, gering. Der digitale Wandel geht im besten Fall einher mit Organisationsentwicklungsprozessen und Personalentwicklung. Die Digitalisierung wesentlicher Prozesse in Organisationen bedeutet zunächst eine Veränderung bekannter Prozesse und Abläufe – das bedeutet sowohl Unsicherheiten bei Mitarbeitenden als auch ein Infragestellen der bisherigen Gewissheiten. Serverbasiertes Arbeiten, digitale Terminvereinbarung und digitale Klientendokumentation wurden in den letzten Jahren in vielen Eirichtungen eingeführt.
Während der coronabedingten Lockdowns mussten neue Regelungen zu Themen wie Homeoffice und der Abrechenbarkeit digitaler Leistungen getroffen werden. Gleichzeitig wurden, zum Teil sehr innovativ und trotzdem im Sinne der Klient:innen, bekannte Wege verlassen und neue Erfahrungen in der digitalen Kommunikation mit Ratsuchenden gemacht. Was in der Krise sehr kreativ (und manchmal noch provisorisch) entwickelt wurde, gilt es nun zu professionalisieren und weiterzuentwickeln. Führungskräfte stehen vor der Herausforderung, einen Changemanagement-Prozess zu gestalten, der die Organisationen und die Mitarbeitenden in die Lage versetzt, die Anforderungen der Digitalisierung und den damit einhergehenden kulturellen Wandel zu bewältigen.
Gleichzeitig ist es dringend notwendig, die Finanzierungsstruktur der digitalen Angebote abzusichern. Anders als in vielen anderen Arbeitsfeldern bedeutet die Digitalisierung in der Suchthilfe nicht, dass Fachkräfte eingespart werden können und die Leistungen dadurch preiswerter werden. Um mittels digitaler Angebote mehr Menschen möglichst früh und niedrigschwellig zu erreichen, wie es der originäre Auftrag der Suchtberatungsstellen ist, werden sowohl die finanzielle als auch die fachliche und politische Unterstützung der Kostenträger sowie der kommunalen Auftraggeber benötigt. Der in der Pandemie begonnene erfolgreiche Weg, Menschen digital zu erreichen, sollte auch nach der Krisensituation fortgesetzt werden. Damit würden die in der Suchthilfe altbekannten Prinzipien der Niedrigschwelligkeit bzw. der aufsuchenden Arbeit im digitalen Raum durch nutzerfreundliche digitale Angebote weiterentwickelt.
New Work in der Suchthilfe – Neue Methoden erfordern neue Kompetenzen und bieten neue Chancen
Der Wunsch nach direkter Arbeit mit Menschen ist in der Regel eine wesentliche Motivation, um in der Suchthilfe zu arbeiten. Digitale Kompetenzen waren bisher kein Bestandteil der Ausbildung von Fachkräften im Sozial- und Gesundheitswesen. Mit der Einführung von digitalen Tools werden von den Fachkräften in der Suchthilfe zusätzliche Qualifikationen gefordert, die bisher keine Rolle spielten. Der für einige Fachkräfte ungewohnte digitale Raum stellt bisher bekannte und eingeübte Methoden in Frage. Beratung im Chat und per Video erfordert andere Kommunikationsstrategien als die gewohnte (und erlernte) Gesprächsführung „in Präsenz“. Auch die Fähigkeit, digitale Anwendungen sicher zu bedienen, war bisher nicht grundlegender Bestandteil des Anforderungsprofils von Fachkräften in der Suchthilfe. Dieses methodische „Neuland“ muss erarbeitet werden. Dafür benötigen sowohl die Fachkräfte als auch die Träger qualitätsgesicherte Fortbildungsangebote. Führungskräfte stehen vor der Herausforderung, diesen grundlegenden kulturellen Wandel zu gestalten.
Die Hochschulen befinden sich aktuell in einem Prozess der Weiterentwicklung in diese Richtung. Erste Studiengänge im Themenfeld Digitalisierung sozialer Arbeit sind gestartet und beabsichtigen, dass die Vermittlung digitaler Kompetenzen als Grundlage in die Fachkräfteausbildung aufgenommen wird.
Der Fachkräftemangel führt schon jetzt dazu, dass ausgeschriebene Stellen in der Suchthilfe über längere Zeit nicht besetzt werden können. Während die erste Generation der Suchtberater:innen sich in den Ruhestand verbschiedet, kann die jetzt nachfolgende Generation der Fachkräfte sich ihren Arbeitsplatz danach auswählen, welcher Arbeitgeber die besten Rahmenbedingungen bietet. Hier stehen die Träger vor der Herausforderung, das Arbeitsfeld Suchthilfe so attraktiv wie möglich zu gestalten. Durch Online-Beratung könnte das Arbeitsfeld der Suchtberatung für Fachkräfte attraktiver gestaltet werden. Mobiles Arbeiten/Homeoffice und flexiblere Arbeitszeiten werden möglich – gute Angebote, um damit Fachkräfte zu gewinnen. Außerdem könnte das verstärkte Agieren mit digitalen Mitteln den Bereich der Suchthilfe zusätzlich für eine neue Gruppe an Fachkräften interessant machen.
Was nützt die Digitalisierung in der Suchthilfe den Ratsuchenden / Klient:innen?
Digitale Teilhabe heißt, dass jede Bürgerin/ jeder Bürger Zugang zu digitalen Entwicklungen hat, um an der Gesellschaft teilzunehmen. Suchtberatung als Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge sollte diesen Auftrag annehmen und suchterkrankten Menschen einen digitalen Zugang zu Beratung schwellenarm und qualitätsgestützt zu bieten.
Die Attraktivität des Angebotes hängt auch davon ab, wie einfach der Zugang ist. Wenn das Ziel der ambulanten Suchthilfe heißt, Ratsuchende so früh wie möglich zu erreichen, sollten die Onlineangebote gesellschaftlich sehr breit und über entsprechende (Online-)Kanäle beworben werden. Gleichzeitig sollten die Onlineangebote attraktiv gestaltet und einfach zu bedienen sein.
Ausblick: Herausforderung und Chance
Digitalisierung in der Suchthilfe stellt ein großes Potenzial an Verbesserungsmöglichkeiten dar. Onlineangebote sollten dazu führen, dass Ratsuchende früher erreicht werden. Ideal ist die Verknüpfung von digitaler und regionaler Verfügbarkeit: Suchtberatung als Teil der Daseinsvorsorge muss wohnortnah und digital zugänglich sein. Onlineberatung könnte das Arbeitsfeld der Suchtberatung für Fachkräfte attraktiver machen und ein Vorteil bei der Gewinnung von Mitarbeitenden sein. Durch digitale Angebote werden keine Fachkräfte eingespart, sondern im besten Fall werden Menschen früher erreicht und es können größere gesundheitliche und soziale Schäden vermieden werden. Für eine erfolgreiche digitale Transformation benötigen die Träger der Suchthilfe fachliche, politische und finanzielle Unterstützung, um notwendige Organisationsentwicklungsprozesse zu implementieren.
Kontakt:
Andrea Hardeling
Geschäftsführerin
Brandenburgische Landesstelle für Suchtfragen e.V.
Behlertstr. 3A, Haus H1
14467 Potsdam
andrea.hardeling(at)blsev.de www.blsev.de
Angaben zur Autorin:
Andrea Hardeling ist seit 2010 Geschäftsführerin der Brandenburgischen Landestelle für Suchtfragen e.V. Sie ist Diplom-Sozialarbeiterin mit Weiterbildungen in Systemischer Beratung, Sozialmanagement und Organisationsentwicklung.
Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2021, 386 Seiten, 59,00 €, ISBN 978-3-8497-0372-1, auch als E-Book erhältlich
Die sozialrechtliche Anerkennung der Systemischen Therapie eröffnet neue Möglichkeiten, zugleich bringt sie etliche Herausforderungen mit sich. Rüdiger Retzlaff nimmt die Neuerung zum Anlass, einen aktuellen Leitfaden für den gesamten Prozess einer Systemischen Therapie vorzulegen:
Wie sieht eine schlüssige systemische Fallkonzeption aus?
Wie erstellt man einen passenden Behandlungsplan?
Wie lassen sich die einzelnen Schritte im therapeutischen Alltag effizient umsetzen?
Was ist bei der kassenfinanzierten Therapie zu beachten?
Der Autor gibt zunächst Einblick in die besonderen ätiologischen Modelle der Systemischen Therapie und in die Wirkfaktoren von Psychotherapie im Allgemeinen. Den Kern des Buches bilden praktische Anleitungen, z. B., wie im Erstgespräch und den Folgegesprächen eine gemeinsame Systemanalyse entwickelt, das systemische Erklärungsmodell eingesetzt und ein stringenter Behandlungsplan erstellt werden kann.
Zu wichtigen Diagnosegruppen wird das störungsspezifische Wissen kompakt dargestellt und durch Anregungen für Interventionen in Praxis umgesetzt. In weiteren Kapiteln werden die relevanten formalen Bestimmungen der gesetzlichen und privaten Krankenkassen und der Beihilfe vorgestellt und anhand von Fallbeispielen für Kassenanträge illustriert. Rüdiger Retzlaff hat als Gutachter bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung die sozialrechtliche Anerkennung der Systemischen Therapie maßgeblich mitentwickelt und über Jahre begleitet. Heute lehrt er am Helm Stierlin Institut (hsi) in Heidelberg.
Die Kontaktbeschränkungen durch die Corona-Pandemie hatten die Sozialwirtschaft kalt erwischt. Kaum eine Organisation war Anfang 2020 dazu in der Lage, Videokonferenzen für Klienten und Mitarbeitende durchzuführen oder Arbeitsplätze ins Homeoffice zu verlagern. Doch was ist seitdem passiert? Der jährlich von der Arbeitsstelle für Sozialinformatik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) in Zusammenarbeit mit der Hochschule Hof herausgegebene „IT-Report für die Sozialwirtschaft“ verfolgt die Digitalisierungsprozesse sozialer Organisationen mit wissenschaftlichen Methoden und kann somit auch die pandemiebedingten Veränderungen genau erfassen.
Das Fazit fällt eindeutig aus: Zwar hat diese Krise den sozialen Organisationen an vielen Stellen stark zugesetzt, doch für ihre digitale Entwicklung war sie ein Segen.
Wie die Autoren, Prof. Helmut Kreidenweis (KU) und Prof. Dr. Dietmar Wolff (Hochschule Hof), betonen, scheint mit der Pandemie das gelungen zu sein, was die Sozialbranche anders als andere Branchen in den Jahren zuvor nur sehr zögerlich vorangetrieben hatte: eine Mobilisierung und Flexibilisierung des IT-Einsatzes und eine deutliche Aufwertung und Professionalisierung des IT-Betriebes.
Dass die IT-Ausgabenquote seit 2019 um zwölf Prozent gestiegen sei, könne nach Ansicht der Autoren als klares Zeichen dafür gewertet werden, dass der Nachholbedarf vielerorts erkannt wurde. „Doch das war nicht nur ein Strohfeuer“, so Professor Kreidenweis, „die Daten unseres Reports zeigen, dass weiterhin beträchtliche IT-Investitionen getätigt werden.“ Dabei habe sich das Geschehen jedoch deutlich verlagert: Künftig soll statt primär in Software vor allem in die Netzwerk- und Geräte-Infrastruktur investiert werden.
Gleichzeitig wurden die IT-Abteilungen qualitativ aufgewertet und sind näher an die oberste Leitungsebene gerückt. In das gleiche Bild passt, dass IT-Leitungsstellen auch bei kleineren Trägern mittlerweile meist in Vollzeit besetzt werden. Darin drückt sich, so die Autoren, wohl am deutlichsten aus, dass Digitalisierung zu einem Thema mit strategischer Relevanz geworden ist.
Gute Stimmung herrscht in der Softwareanbieter-Branche für die Sozialwirtschaft. Auch hier scheint die Pandemie als Geschäftstreiber fungiert zu haben: Die Zufriedenheit mit dem Geschäftsverlauf des letzten Jahres hat einen Allzeit-Spitzenwert erreicht. Investieren wollen die Anbieter laut Professor Wolff vor allem in den Ausbau der Funktionalität vorhandener Programme, die Entwicklung von Mobil-Lösungen, die Verbesserung der Usability und den Ausbau der Prozessunterstützung. Wolff: „Endlich genau das, was auch die Sozialunternehmen fordern.“
Erstmals wurde das Thema Anbieter-Fusionen unter die Lupe genommen. Die Mehrzahl der teilnehmenden Unternehmen geht davon aus, dass die Anzahl der Fusionen weiter zunehmen wird und dabei die großen Unternehmen vorwiegend Firmen mittlerer Größe übernehmen werden.
Neben zahlreichen weiteren Statistik-Analysen liefert der IT-Report auch die jährlich von der Branche mit Spannung erwarteten Rankings der Softwareanbieter sowie ein Firmenverzeichnis, das Auskunft über Umsatz-, Kunden- und Mitarbeitendenzahlen der teilnehmenden Firmen gibt.
Bibliografische Angaben und Bestellung:
IT-Report für die Sozialwirtschaft 2022
digitale Standard-Ausgabe, 77 Seiten
Preis: 72,- EUR (digitale Version) und 36,- EUR für Studierende (gegen Nachweis, Scan der Immatrikulationsbescheinigung genügt)
Preis: 82,- EUR (gedruckte Version, inkl. Versand)
Der IT-Report kann bezogen werden über:
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Fakultät für Soziale Arbeit
Arbeitsstelle für Sozialinformatik
Tel.: 08421/93-21472
Fax: 08421/93-214720
Mail: christine.vetter(at)ku.de
Der Versand erfolgt gegen Rechnung!
Mit der Gamescom findet Ende August wieder die weltweit größte Messe für digitale Spiele statt. Die digitale Spieleindustrie erwartet für 2022 einen neuen Umsatzrekord von über 200 Milliarden US$. Prof. Dr. André Marchand, geschäftsführender Direktor des Instituts für Service und Relationship Management an der Universität Leipzig, nennt Umsatzrückgänge bei den Smartphone-Spielen, während Abonnement-basierte Modelle und E-Sport weiter wachsen.
Digitale Spiele während der Corona-Pandemie
Die digitale Spielindustrie profitierte von pandemiebedingten Offline-Kontaktbeschränkungen und wuchs entsprechend in den Jahren 2020 und 2021 enorm. Viele digitale Spiele ermöglichen bereits seit mehreren Jahrzehnten soziale Austauschprozesse zwischen Spieler:innen und virtuelle gemeinsame Erlebnisse.
Zurück zur Normalität?
2022 gibt es mehr Offline-Freizeitmöglichkeiten als in den beiden Jahren zuvor und somit mehr Konsum-Konkurrenz für digitale Spiele. Analysten erkennen bereits einen Nachfragerückgang auf Smartphones. Mehr Homeoffice und eine mögliche Wirtschaftskrise könnte die Nutzung und Werbeeinnahmen für diese oft unterwegs genutzten Spiele negativ beeinflussen. Im Gegensatz dazu prognostizieren viele Analysen ein weiteres Nachfragewachstum für so genannte AAA-Spiele mit hohem Entwicklungsbudget, ähnlich wie Blockbuster in der Filmindustrie.
Schrumpfender Spielemarkt?
Die Anzahl der Menschen mit geeigneter Spiele-Hardware und schnellen Internetzugängen wächst weiterhin signifikant. Hinzu kommen spannende Innovationen der Spielindustrie. Das 2016 erschienene Virtual Reality Headset von Sony (PlayStation VR) hatte zwar trotz einer beeindruckenden Anzahl von über 600 VR-Spielen mit nur fünf Millionen Verkäufen keinen durchschlagenden Erfolg. Das könnte sich für Sonys zweite VR-Generation oder neue VR- und Augmented Reality (AR)-Angebote der Konkurrenz (z. B. Meta und Apple) in Zukunft ändern. Auch entdecken mehr Konsument:innen derzeit Abo-Modelle für Spiele (z. B. Xbox Game Pass). Dort können sie sich, ähnlich wie z. B. bei Netflix, einen Zugriff auf riesige Spiele-Bibliotheken freischalten, ohne diese Spiele separat kaufen zu müssen. Ein weiterer interessanter Trend ist die wachsende Begeisterung für E-Sport, also der sportliche Wettkampf innerhalb digitaler Spiele in Einzel- oder Mannschaftswettbewerben. Nachdem der jährliche Umsatz im professionellen E-Sport längst die Milliarden US$-Grenze überschritten hat, nimmt auch die Relevanz für den Breitensport zu.
Pressestelle des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V., 9.8.2022