Autor: Simone Schwarzer

  • Suchtmittelkonsum junger Menschen

    Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) legt neue Ergebnisse der Studie „Der Substanzkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2021 zu Alkohol, Rauchen, Cannabis und Trends“ vor. In der Repräsentativbefragung erhebt die BZgA regelmäßig den Alkohol-, Tabak- und Cannabiskonsum der 12- bis 25-jährigen Bevölkerung bundesweit. Für den Alkoholsurvey 2021 wurden 7.002 junge Menschen in der Zeit der Coronavirus-Pandemie von April bis Juni 2021 befragt.

    Burkhard Blienert, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen: „Prävention lohnt sich immer! Das zeigen die Zahlen beim Alkohol und beim Tabak eindeutig. Auch beim Thema Cannabis brauchen wir noch wirksamere Prävention, und zwar so breitflächig wie möglich. Die kontrollierte Cannabisabgabe an Erwachsene wird es insgesamt leichter machen, offen und ehrlich über dieses Thema zu sprechen. Aufklärung über die gesundheitlichen Folgen von Alkohol-, Tabak- und Cannabiskonsum gehört in jede Schule, in jeden Verein, in jede Familie. Die Zeit der Tabuisierung sollte jetzt endlich vorbei sein!“

    Prof. Dr. Martin Dietrich, Kommissarischer Direktor der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): „Die neuen Daten zum Substanzkonsum junger Menschen zeigen insgesamt positive Entwicklungen. Immer mehr Jugendliche haben noch nie in ihrem Leben geraucht. Der Konsum von Alkohol bei Jugendlichen geht ebenfalls zurück. Doch sehen wir mit großer Sorge den Anstieg beim Cannabiskonsum junger Menschen. Die Hälfte der jungen Erwachsenen hat Erfahrung mit dem Konsum von Cannabis. Je früher Cannabis konsumiert wird, desto riskanter. Der Konsum von Cannabis kann die Entwicklung des Gehirns im Jugendalter beeinträchtigen. Diese gesundheitlichen Risiken dürfen nicht kleingeredet werden. Deshalb sind Präventionsangebote der BZgA speziell für junge Menschen wichtig, um sie frühzeitig über die Wirkweisen zu informieren und für die Risiken von Cannabis zu sensibilisieren.“

    Alkoholkonsum

    Die neuen BZgA-Studienergebnisse zeigen, dass aktuell 8,7 Prozent der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen regelmäßig, also mindestens einmal wöchentlich, Alkohol trinken. Im Vergleich zu 21,2 Prozent im Jahr 2004 hat sich der Wert deutlich reduziert und erreicht den niedrigsten Stand seit Beginn der Beobachtung. Auch bei jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren ist der Anteil derjenigen, die regelmäßig Alkohol trinken, gesunken: Lag er im Jahr 2004 bei 43,6 Prozent, sind es aktuell 32,0 Prozent.

    Die 30-Tage-Prävalenz des Rauschtrinkens zeigt sich sowohl bei den 12- bis 17-Jährigen als auch bei 18- bis 25-Jährigen zwischen 2019 und 2021 rückläufig. Ein möglicher Grund für diese Entwicklung ist, dass es aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie weniger Konsumanlässe gab.

    Rauchverhalten

    Die Raucherquote liegt stabil auf historisch tiefem Stand: 6,1 Prozent der Jugendlichen und 29,8 Prozent der jungen Erwachsenen gaben im Jahr 2021 an, zu rauchen. Im Jahr 2001 waren es 27,5 Prozent der 12- bis 17-Jährigen und 44,5 Prozent der 18- bis 25-Jährigen.

    Cannabiskonsum

    Der Anteil der 18- bis 25-Jährigen, die schon einmal Cannabis konsumiert haben, ist von 34,8 Prozent im Jahr 2012 auf 50,8 Prozent im Jahr 2021 gestiegen. Bei den 12- bis 17-Jährigen ist dieser Anteil im Vergleich zu 2019 nahezu unverändert mit 9,3 Prozent im Jahr 2021. Damit liegt er aktuell höher als noch vor zehn Jahren. Im Jahr 2011 gaben in dieser Altersgruppe 6,7 Prozent an, bereits Cannabis konsumiert zu haben.

    Die BZgA informiert Jugendliche, Lehrkräfte und Eltern über die Risiken des Cannabiskonsums auf https://www.cannabispraevention.de. Das Internetportal https://www.drugcom.de bietet aktuelle und wissenschaftlich fundierte Informationen der Cannabisprävention für junge Menschen sowie für Fachkräfte und schon drogenaffine junge Menschen.

    Pressestelle der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), 23.6.2022

  • Fachtagung „Cannabis Future“

    Podiumsdiskussion über die geplante Cannabislegalisierung in Deutschland: Carmen Wegge (SPD), Kristine Lütke (FDP), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Christina Berndt (Moderation), PD Dr. Eva Hoch (IFT München), Dr. Jakob Manthey (ZIS Hamburg) (v.l.n.r.)

    Am 24. Juni veranstaltete der Therapieladen e. V. in der Berliner Charité zusammen mit dem IFT München, dem ZIS Hamburg und der delphi Gesellschaft Berlin die Fachtagung „Cannabis Future – Die Deutsche Cannabispolitik im Wandel“. Internationale Wissenschaftler:innen*, die ihre Untersuchungen über die Entwicklungen in den USA, Kanada und Uruguay vorstellten, plädierten übereinstimmend dafür, dass aufgrund ihrer Erfahrungen gewinnorientiert arbeitende Verkaufsstellen in Deutschland unbedingt verhindert werden sollten.

    Der Zielkonflikt zwischen guten Geschäftserträgen und einem sensiblen Umgang mit einem gesundheitlich nicht ganz unbedenklichen Produkt darf nicht unterschätzt werden, so das Resümee der Vortragenden:

    • Die kaum gezügelte Kommerzialisierung des Verkaufsgeschehens in den USA bildet dort die Grundlage für eine inzwischen schier unüberschaubare Ausweitung der Produktpalette THC-haltiger Produkte und Darreichungsformen.
    • Kanada hatte versucht, eine solche Fehlentwicklung durch eine Zielfokussierung der Legalisierung auf Public Health und durch entsprechende gesetzlich festgelegte verhältnispräventive Maßnahmen zu vermeiden. Inzwischen hat der Druck in Richtung Kommerzialisierung seitens der Cannabisindustrie auf die Regierung jedoch so zugenommen, dass die getroffenen Regulierungsmaßnahmen erodieren.
    • Obwohl in Uruguay der gesetzliche Rahmen der Legalisierung sehr restriktiv ausgestaltet ist, kam von hier ebenfalls der Hinweis, auch bei liberaleren Gesetzesausgestaltungen keine Gewinnorientierung in den Verkaufsstellen zuzulassen.
    • Auf das in der kanadischen Provinz Québec etablierte Modell der staatlich geführten Verkaufsstellen wurde in der Debatte immer wieder als Orientierungshilfe für Deutschland verwiesen.

    In Deutschland macht die Suchthilfe in Bezug auf Interessenkonflikte von Anbietern seit Jahren leidvolle Erfahrungen im Bereich Glücksspiel. Der Zielkonflikt von Glücksspielanbietern zwischen den gesetzlichen Vorgaben zur Prävention und der Gewinnorientierung der Spielstätten wird dahingehend „gelöst“, dass der Prävention in der Regel eher eine Feigenblattfunktion zukommt, weil ernsthaftes präventives Handeln natürlich zu eklatanten Umsatzeinbußen führen würde.

    Während bei dem Anbau, Handel und Transport von Cannabis Marktgesetze, reglementiert durch gesetzlich definierte Rahmenbedingungen, zur Anwendung kommen könnten, ist aus Gründen von Public Health bei den Verkaufsstrukturen unbedingt auf gewinnorientierte Geschäftsmodelle zu verzichten. Gerade auch, weil die Bundesregierung als vorrangiges Ziel der Gesetzesänderung den Gesundheits-, Jugend- und Verbraucherschutz betont.

    Für viele Menschen ist der Cannabiskonsum eine temporäre Erscheinung in einem bestimmten Lebensabschnitt, der bei den meisten Konsument:innen aufgrund einer persönlichen Entscheidung problemlos beendet wird. Gewinnorientierte Verkaufsstellen wie z. B. in den USA sind jedoch daran interessiert, dass der Punkt des Aufhörens immer weiter nach hinten geschoben wird oder gar nicht eintritt. Dazu werden immer neue Produkte auf den Markt gebracht oder es greifen die klassischen Maßnahmen zur Kundenbindung. Diese sind nötig, um den Umsatz zu steigern und im Wettbewerb bestehen zu können. Aus Sicht von Public Health ist dies jedoch kontraindiziert und unbedingt zu vermeiden.

    Bei Cannabis handelt es sich um eine psychoaktive Substanz, die durchaus gesundheitliche Risiken bergen kann. Die Abgabe dieser Substanz darf deshalb keinen kommerziellen Interessen unterliegen, deren Ziel u. a. eine Steigerung der Umsätze ist. Als Alternative wären z. B. Abgabestellen in gemeinnütziger Trägerschaft, die keine Gewinninteressen verfolgen, oder – analog dem etablierten Modell in der kanadischen Provinz Québec – staatlich geführte Verkaufsstellen vorzuziehen.

    *Prof. Dr. Rosalie Pacula, Professor of Health Policy and Management, Elizabeth Garrett Chair of Health Policy, Economics and Law; University of Southern California / USA
    Prof. Dr. Rosario Queirolo, Department of Social and Political Sciences, Universidad Católica del Uruguay / Montevideo
    Prof. Dr. Jürgen Rehm, Executive Director of the Institute for Mental Health Policy Research and Senior Scientist at the Campbell Family Mental Health Research Institute at the Centre for Addiction and Mental Health, Toronto, Kanada

    Kontakt:

    Wolfgang Rosengarten
    w.rosengarten@t-online.de

    Angaben zum Autor:

    Wolfgang Rosengarten ist Leiter des Referats Prävention, Suchthilfe im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration in Wiesbaden. Vorher war er über 20 Jahre Geschäftsführer der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen e. V. (HLS) in Frankfurt am Main.

  • „Cannabis – aber sicher!“

    Im Bundesministerium für Gesundheit hat am 14. Juni das erste von fünf Expert:innen-Hearings zur Vorbereitung des geplanten Gesetzgebungsverfahrens zur kontrollierten Cannabis-Abgabe an Erwachsene zu Genusszwecken stattgefunden. Insgesamt werden sich mehr als 200 der führenden Expertinnen und Experten aus Suchtmedizin, Suchthilfe, Rechtswissenschaften, Wirtschaft und Verbänden sowie Vertreterinnen und Vertreter von Ländern, Kommunen, Bundesministerien und Bundesbehörden über die zentralen Fragen austauschen. Auch internationale Fachleute werden zu Wort kommen.

    Es sind fünf Hearings geplant:

    1. Gesundheits- und Verbraucherschutz
    2. Jugendschutz und Prävention
    3. Lieferketten, ökologische und ökonomische Fragestellungen
    4. Strafbarkeit, Kontrollmaßnahmen und Lizensierung zur Begleitung der Einführung der kontrollierten Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken
    5. Internationale Erfahrungen

    Dazu der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert: „Es ist so weit: Wir starten in die Vorbereitungsphase der Gesetzgebung! Dies endlich verkünden zu können, ist für mich persönlich ein besonderer, ein erfreulicher Augenblick. Wie viele andere habe ich seit Jahren darauf hingearbeitet, dass wir in Deutschland endlich mit der Kriminalisierung von Cannabiskonsument:innen aufhören und mit einer modernen und gesundheitsorientierten Cannabispolitik beginnen. In den Hearings soll diskutiert werden, mit welchen Maßnahmen der beste Jugend-, Gesundheits- und Verbraucherschutz bei einer Umsetzung gewährleistet werden kann. Denn eines ist klar: Kinder und Jugendliche wollen wir besonders vor möglichen Risiken schützen.“

    Die fünf Hearings im Dialog mit den geladenen Expert:innen bilden eine fundierte Basis für das kommende Eckpunktepapier.

    Weitere Informationen finden Sie unter: www.bundesdrogenbeauftragter.de/cannabis-aber-sicher/

    Pressestelle des Sucht- und Drogenbeauftragten der Bundesregierung, 13.6.2022

  • Notruf der deutschen Reha-/Vorsorgeeinrichtungen

    Vielen deutschen Reha-/Vorsorgeeinrichtungen droht das wirtschaftliche Aus. Obwohl sie durch die Corona-Pandemie und massive Kostensteigerungen in wirtschaftliche Schieflage geraten sind, sollen die noch bestehenden Hilfen am 30.06.2022 enden. Erste Kliniken mussten bereits Insolvenz anmelden und tausende Beschäftigte könnten bald ihren Arbeitsplatz verlieren. Die in der AG MedReha zusammengeschlossenen Spitzenverbände der Reha-Leistungserbringer haben deshalb in einem Schreiben an die Gesundheits- und Sozialpolitiker in Bund und Ländern gefordert, bestehende Hilfen per Rechtsverordnung zu verlängern und einen Inflationsausgleich für Reha und Vorsorge gesetzlich festzulegen.

    Ohne sofortiges politisches Handeln könnten unverzichtbare Reha- und Vorsorgeleistungen wegbrechen und die Gesundheit behandlungsbedürftiger Menschen wäre gefährdet. Für die erforderlichen Hilfen sind keine zusätzlichen Haushaltsmittel des Bundes und der Länder erforderlich, und es entstehen keine zusätzlichen Belastungen bei den Kostenträgern (Gesetzliche Krankenkassen sowie Renten- und Unfallversicherung). Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hat in den Jahren 2020 und 2021 für Reha und Vorsorge rund eine Milliarde weniger ausgegeben als im Jahr 2019, die Deutsche Rentenversicherung (DRV) schätzungsweise 500 Mio. Euro weniger. Wenn jetzt wenigstens ein Teil dieser Einsparungen zur Existenzsicherung der Kliniken verwendet wird, entsteht also keine Mehrbelastung.

    Über die AG MedReha

    In der Arbeitsgemeinschaft Medizinische Rehabilitation SGB IX (AG MedReha) sind die maßgeblichen Spitzenverbände der Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation zusammengeschlossen: Der Bundesverband ambulanter medizinischer Rehabilitationszentren e.V. (BamR), der Bundesverband Deutscher Privatkliniken e.V. (BDPK), der Bundesverband Geriatrie e.V. (BV Geriatrie), der Bundesverband Suchthilfe e. V. (bus.), das Bündnis Kinder- und Jugendreha e.V. (BKJR), die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation e.V. (DEGEMED) sowie der Fachverband Sucht+ e.V. (FVS). Die AG MedReha vertritt in Deutschland somit rund 800 Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen mit ca. 80.000 Behandlungsplätzen.

    Pressemitteilung der AG MedReha, 20.6.2022

  • Entspannungstraining

    Ernst Reinhardt Verlag, München 2021, 170 Seiten mit Online-Material., 26,90 €, ISBN 978-3-497-03060-6, auch als E-Book erhältlich

    Wirklich Ruhe zu finden ist, im Alltag nicht ganz leicht. Dabei gehört richtige Entspannung zu den Grundlagen der Gesundheit. Das Buch gibt eine anschauliche Übersicht über das Praxisgebiet Entspannungstraining: von meditativer, imaginativer, Atem- und Selbsthypnose-Entspannung bis hin zu Progressiver Relaxation und Autogenem Training. Je nach Verfahren werden unterschiedliche Entspannungsziele aktiviert – sofortige Entspannung kann angeregt, Entspannungsfähigkeit geübt oder gelassene Lebenshaltung entwickelt werden. Zwischen Therapie und Entspannung wird dabei genau differenziert. Für (künftige) Entspannungs-Trainer:nnen bieten ausformulierte Instruktionen und Selbstbeobachtungsbögen einen reichen Fundus für die Kursgestaltung.

  • Alkoholbedingte Lebererkrankungen frühzeitig diagnostizieren

    Mittels Proteinanalyse und maschinellem Lernen stellen Forscher ein revolutionäres Verfahren vor, mit dem sich feststellen lässt, ob eine Person an einer alkoholbedingten Lebererkrankung leidet und ob bei diesem Patienten das Risiko für ein weiteres Voranschreiten der Krankheit besteht. Im Vergleich zu derzeit gängigen, klinischen Verfahren ist diese Methode nicht invasiv und dabei ebenso zuverlässig, wenn nicht sogar präziser. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“ veröffentlicht und ist ein gemeinsames Projekt des Max-Planck-Instituts (MPI) für Biochemie und des Novo Nordisk Foundation Zentrums für Proteinforschung (CPR) an den Universitäten von Kopenhagen und Süddänemark.

    Rund 25 Prozent der Weltbevölkerung leiden an einer Fettleber, einer Erkrankung, die durch die Ansammlung von zusätzlichem Fett in der Leber verursacht wird. Schon zwei oder drei alkoholische Getränke pro Tag können dabei ein Risiko darstellen. Während eine Fettlebererkrankung zwar nicht notwendigerweise Auswirkungen auf die Gesundheit hat, birgt diese dennoch die Gefahr, dass die Patient:innen im Laufe der Zeit eine schwerwiegende Lebererkrankung, wie eine Zirrhose, entwickeln.

    Auch heutzutage muss ein Arzt in einer spezialisierten Klinik eine Leberbiopsie durchführen, um das individuelle Risiko einer Lebererkrankung bestimmen zu können. Bei einer solchen Biopsie wird eine Nadel durch die Haut in die Leber gestochen, um dort eine Gewebeprobe zu entnehmen. Obwohl dieser Eingriff notwendig ist, ist er mit Komplikationen, wie beispielsweise Blutungen, verbunden. Nun hat ein Forschungsteam unter der Leitung von Professor Matthias Mann am MPI für Biochemie und am CPR ein neues Diagnoseverfahren entwickelt, mit dem sich feststellen lässt, ob eine Person an einer Fettlebererkrankung leidet und ob bei diesem Patienten das Risiko besteht, dass die Krankheit weiter fortschreiten wird.

    Erstautorin und Postdoc am CPR Lili Niu erklärt: „Die Früherkennung verschiedener Arten von Leberschäden ist wichtig, weil sie die Behandlungsmöglichkeiten für die Patient:innen im weiteren Verlauf verbessern kann. Da Lebererkrankungen in der Regel zunächst unbemerkt verlaufen, besteht ein dringender Bedarf für leicht zugängliche Vorsorgeuntersuchungen in Risikogruppen, um eine frühzeitige Diagnose überhaupt erst zu ermöglichen.“

    Früherkennung von Lebererkrankungen

    Im Rahmen dieser neuen Studie konnten die Forscher hunderte von Proteinen aus den Blutproben der Patient:innen identifizieren. Diese Proben wurden mit einem Massenspektrometer analysiert, dabei handelt es sich um eine Art hochentwickelte Waage, die Moleküle mit äußerster Genauigkeit misst. Nachdem die Forscher das Proteom (die Gesamtheit der Proteine in einer Probe) identifiziert und gemessen hatten, nutzten sie maschinelles Lernen, um Proteine zu finden, die mit dem Vorliegen verschiedener Formen von Leberschäden zusammenhängen.

    Lili Niu fasst zusammen: „Wir haben drei Gruppen von Biomarkern identifiziert, die eine signifikante Leberfibrose, eine leichte Entzündungsaktivität und eine Steatose (Fettleber) erkennen können – allesamt verschiedene Arten, wie sich die Erkrankung im Gewebe abzeichnen kann.“ Kurz gesagt, diese Biomarker sind das, wonach die Forschenden in den Blutproben gesucht haben, denn mit ihrer Hilfe lässt sich jede der oben genannten Leberschädigungen nachweisen und vorhersagen, ob bei einem bestimmten Patienten das Risiko eines Krankheitsfortschritts besteht.

    Etwa sechs Prozent der Gesamtbevölkerung sind von einer alkoholbedingten Lebererkrankung betroffen. Anhand einer einfachen Blutprobe konnten die Forscher das Risiko eines solchen Patienten für eine Folgeerkrankung abschätzen. „Und das mit einer Leistung, die besser oder vergleichbar zu bestehenden, klinischen Tests ist. Letztendlich haben wir lediglich zwei Wochen Messzeit benötigt, um alle Proben zu analysieren. Dieser Durchsatz in Kombination mit der Aussagefähigkeit des Proteoms ist beispiellos“, fügt Niu hinzu.

    „Massenspektrometrie funktioniert einfach besser“

    Matthias Mann, der korrespondierende Autor, der die Arbeitsgruppe „Proteomik und Signaltransduktion“ am MPI für Biochemie und die Arbeitsgruppe „Klinische Proteomik“ am CPR leitet, sagt: „Wir sind daran interessiert, dieses Verfahren als Untersuchungsinstrument für die Allgemeinbevölkerung oder Risikogruppen wie z. B. übermäßige Alkoholkonsumenten zur Früherkennung von Lebererkrankungen einzuführen. Wir werden die Entwicklung von Biomarkern mit der massenspektrometrie-basierten Analyse fortsetzen, da sie unter anderem spezifischer und einfacher anzuwenden ist. Wir wollen auch Tests für andere Krankheiten entwickeln.“

    Die klinische Professorin und Chefärztin Maja Thiele, die zusammen mit ihren Kollegen vom Odense Universitätsklinikum und der Universität von Süddänemark für die Rekrutierung und Untersuchung der 659 Studienteilnehmer:innen verantwortlich war, fasst zusammen: „Mit der derzeitigen Diagnosemethode muss man in eine spezialisierte Klinik fahren, um entweder eine Leberbiopsie oder fortgeschrittene bildgebende Tests durchführen zu lassen. Mit diesem neuen Verfahren genügt es, eine einfache Blutprobe bei einem Hausarzt entnehmen zu lassen.“

    Originalpublikation:
    Niu, M. Thiele, P.E. Geyer, D.N. Rasmussen, H.E. Webe, A. Santos, R. Gupta, F. Meier, M. Strauss, M. Kjaergaard, K Lindvig, S. Jacobsen, S. Rasmussen, T. Hansen, A. Krag, M. Mann#: Non-invasive proteomic biomarkers for alcohol-related liver disease. Nature Medicine, Juni 2022. DOI: 10.1038/s41591-022-01850-y

    Pressestelle des Max-Planck-Instituts für Biochemie, 2.6.2022

  • Wie Schlaf dazu beiträgt, Emotionen zu verarbeiten

    Forschende der Universität Bern und Inselspital, Universitätsspital Bern haben entdeckt, wie das Gehirn während des REM-Schlafs Emotionen sortiert, um die Speicherung positiver Emotionen zu verstärken und zu verhindern, dass traumatische Erinnerungen sich im Gehirn verfestigen. Die Erkenntnisse unterstreichen die Bedeutung des Schlafs für die menschliche Gesundheit und eröffnen neue Wege für therapeutische Strategien.

    Der REM-Schlaf (Rapid Eye Movement oder paradoxer Schlaf) ist ein einzigartiger und rätselhafter Schlafzustand, in dem das Gehirn hellwach und der Körper unbeweglich ist. Während dieser Schlafphase treten die meisten Träume mit intensiven emotionalen Inhalten auf. Die frontale Hirnrinde, der so genannte präfrontale Kortex, verarbeitet viele dieser Emotionen während des Wachzustands, scheint aber paradoxerweise während des REM-Schlafs ruhig zu sein. „Unser Ziel war es, den zugrunde liegenden Mechanismus und die Funktionen dieses überraschenden Phänomens zu verstehen“, sagt Prof. Antoine Adamantidis vom Department for BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern und der Universitätsklinik für Neurologie des Inselspitals, Universitätsspital Bern.

    Das Verarbeiten von Emotionen, insbesondere die Unterscheidung von Gefahr und Sicherheit, sowie das Vermeiden von Panikzuständen, ist bei Tieren entscheidend, um zu überleben. Auch beim Menschen führen übermäßig negative Emotionen wie Furchtreaktionen und Angstzustände zu Krankheiten, wie etwa zu posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). In Europa sind ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung von anhaltenden Angstzuständen und schweren psychischen Erkrankungen betroffen. Die internationale Forschungsgruppe um Antoine Adamantidis liefert nun erstmals Erkenntnisse, wie das Gehirn während des REM-Schlafs dazu beiträgt, positive Emotionen zu verfestigen und stark negative oder traumatische Emotionen abzuschwächen. Die Studie wurde im Fachjournal „Science“ publiziert.

    Doppelter Mechanismus

    Die Forschenden konditionierten zunächst Mäuse darauf, auditive Reize zu erkennen, die mit Sicherheit assoziiert werden, und solche, die mit Gefahr verbunden sind. Anschließend wurde die Aktivität der Nervenzellen im Gehirn der Mäuse während der Schlaf- und Wachzyklen aufgezeichnet. So konnten die Forschenden verschiedene Bereiche einer Zelle abbilden und feststellen, wie emotionale Erinnerungen während des REM- oder Traumschlafs umgewandelt werden.

    Nervenzellen bestehen aus einem Zellkörper und Dendriten, feinsten plasmatischen Verästelungen, die über Synapsen (Verknüpfungen) den Kontakt zu Tausenden anderer Nervenzellen herstellen. Bei den Beobachtungen der Mäuse zeigte sich, dass die Zellkörper der Nervenzellen im REM-Schlaf deaktiviert werden, während ihre Dendriten aktiviert werden. „Dies bedeutet eine Entkopplung: sozusagen Zellkörper im Tiefschlaf und Dendriten im Wachzustand“, erklärt Adamantidis.

    Diese Entkopplung ist deshalb von Bedeutung, weil einerseits durch die starke Aktivität der Dendriten sowohl Gefahren- als auch Sicherheitsgefühle unterschieden werden können. Zugleich sind die Zellkörper deaktiviert, so dass sie während des REM-Schlafs keine Signale weiterleiten können. Mit anderen Worten: Das Gehirn begünstigt die Unterscheidung zwischen Sicherheit und Gefahr in den Dendriten. Gleichzeitig wird aber die Überreaktion auf Emotionen, insbesondere auf Gefahr, blockiert.

    Ein Überlebensvorteil

    Laut den Forschenden ist das Nebeneinander dieser beiden Mechanismen für die Stabilität und das Überleben einer Spezies von Vorteil: „Die Fähigkeit der Nervenzellen, sich anzupassen und Signale in zwei Richtungen zu leiten, ist unerlässlich, um optimal zwischen Gefahr und Sicherheit unterscheiden zu können“, sagt Mattia Aime vom DBMR, Erstautor der Studie.

    Fehlt diese Unterscheidung beim Menschen und kommt es zu übermäßigen Furchtreaktionen, kann dies unter anderem zu Angststörungen führen. Die Erkenntnisse sind besonders relevant für pathologische Zustände wie posttraumatische Belastungsstörungen, bei denen Traumata noch Tage später im präfrontalen Kortex übermäßig verfestigt werden, möglicherweise auch im Schlaf.

    Durchbruch für die Schlafmedizin

    Die Studie ermöglicht ein besseres Verständnis davon, wie Emotionen während des Schlafs beim Menschen verarbeitet werden, und eröffnet neue Perspektiven für die Behandlung von traumatischen Erinnerungen wie der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Weitere akute oder chronische psychische Erkrankungen, die mit dieser Entkopplung von Nervenzellkörper und Dendriten während des Schlafs zusammenhängen könnten, sind akuter sowie chronischer Stress, Angst, Depression, Panik oder sogar Anhedonie, die Unfähigkeit, Freude zu empfinden. Schlafforschung und Schlafmedizin sind seit langem ein Forschungsschwerpunkt der Universität Bern und des Inselspitals, Universitätsspitals Bern. „Wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse nicht nur Patientinnen und Patienten zugutekommen, sondern auch der breiten Allgemeinheit“, sagt Adamantidis.

    Diese Studie wurde von der Interfakultären Kooperation „Decoding Sleep“ der Universität Bern, dem Inselspital Universitätsspital Bern, dem Sinergia-Stipendium „Schlaf & Schlaganfall“ des Schweizerischen Nationalfonds SNF und dem Europäischen Forschungsrat unterstützt. Ein Teil der Arbeit umfasst die Zusamenarbeit mit der Gruppe von Prof. T. Fellin am Italienischen Institut für Technologie (IIT), Genua, Italien.

    Originalpublikation:
    Mattia Aime, Niccolo’ Calcini, Micaela Borsa, Tiago Campelo, Thomas Rusterholz, Andrea Sattin, Tommaso Fellin & Antoine Adamantidis: Paradoxical somato-dendritic decoupling supports cortical plasticity during REM sleep. (2022) Science, https://www.science.org/doi/10.1126/science.abk2734; DOI: 10.1126/science.abk2734

    Pressestelle der Universität Bern, 13.5.2022

  • Digitalisierung in der Sozialverwaltung

    Ausgabe 4/2021 – Archiv für Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit
    Lambertus-Verlag, Freiburg im Breisgau 2021, 88 Seiten, 16,00 €, ISBN 978-3-7841-3386-7

    Das Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtet Bund und Länder, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch elektronisch anzubieten. In diesem Heft werden der Umsetzungsstand und die Auswirkungen auf die kommunale Sozialverwaltung erörtert. Fragen des Datenschutzes und der digitalen Teilhabe werden thematisiert und schließlich Beispiele für den konkreten Einsatz digitaler Lösungen in der Eingliederungshilfe, Jugendberufshilfe, Sozialplanung und bei Familienleistungen vorgestellt.

  • Pandemiefolgen bei Jugendlichen

    Die Pandemie hat massive Folgen für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Im Jahr 2021 stiegen Depressionen und Essstörungen bei Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren weiter an. Mädchen wurden mit psychischen Erkrankungen deutlich häufiger stationär behandelt als Jungen. Im Grundschulalter zeigte sich eine spürbare Steigerung von Störungen sozialer Funktionen und eine Zunahme von Entwicklungsstörungen. Das ist das Ergebnis der Analyse aktueller Krankenhausdaten der DAK-Gesundheit für den Kinder- und Jugendreport 2022. DAK-Vorstandschef Andreas Storm und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte fordern angesichts der dramatischen Entwicklung ein schnelles Handeln der Politik.

    Für den Report untersuchten Wissenschaftler von Vandage und der Universität Bielefeld anonymisierte Abrechnungsdaten von rund 800.000 Kindern und Jugendlichen im Alter bis 17 Jahren, die bei der DAK-Gesundheit versichert sind. Analysiert wurden die Jahre 2019 bis 2021. Die Daten zeigen, dass vor allem Mädchen im späten Teenageralter massiv unter den Auswirkungen der Pandemie leiden. So wurden Mädchen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren über 32-mal so häufig wegen Essstörungen stationär behandelt wie Jungen, ein Trend, welcher sich während der Pandemie verschärft hat. Der Anteil junger Patientinnen mit Essstörungen stieg 2021 um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zudem kamen sie fünfmal öfter wegen Depressionen, dreimal häufiger wegen Angststörungen und 2,5-mal öfter aufgrund von emotionalen Störungen in deutsche Kliniken.

    Insgesamt nahmen die Behandlungszahlen 2021 von Jugendlichen mit Depressionen und Essstörungen im Vergleich zum Vorjahr merklich zu. So kamen 28 Prozent mehr 15- bis 17-Jährige mit Depressionen und 17 Prozent mehr ältere Teenager mit Essstörungen in die Kliniken. In Relation zu 2019 stiegen die Krankenhausaufenthalte 2021 bei Essstörungen sogar um 40 Prozent. Auch bei emotionalen Störungen war ein Plus der Behandlungen zu verzeichnen: 2021 wurden 42 Prozent mehr 15- bis 17-Jährige aufgrund von emotionalen Störungen stationär versorgt. Unter emotionale Störungen fallen insbesondere Ängste wie Trennungsangst, soziale Ängstlichkeit oder auch phobische Störungen, zum Beispiel die Angst vor imaginären Gestalten. Die Fallzahlen blieben hier aber unter den Fallzahlen depressiver Episoden und Essstörungen.

    Ähnliche Tendenzen gab es auch bei den Schulkindern im Alter zwischen zehn und 14 Jahren. Hier nahmen vor allem stationäre Behandlungen aufgrund von Depressionen (plus 27 Prozent), Angststörungen (plus 25 Prozent) und Essstörungen (plus 21 Prozent) zu.

    „Der DAK-Report belegt in sehr eindrucksvoller Weise, wie häufig inzwischen psychische und psychosomatische Auffälligkeiten, Themen und Erkrankungen gerade im Jugendalter in unserer Gesellschaft geworden sind. Es ist zu erwarten, dass die Zahl psychischer Erkrankungen und Problemfelder auch in Zukunft weiter steigen wird“, so Prof. Dr. med. Wieland Kiess, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Leipzig. „Die Daten belegen aber auch, dass sich das Gesundheitswesen durch die Veränderungen in Krisenzeiten, wie einer Pandemie, reorganisiert und die Organisationsformen dringend überdacht werden sollten. Die Trennung zwischen ambulanten und stationären Behandlungs- und Betreuungskonzepten ist falsch und nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen Versorgungsformen neu denken und die Versorgungsstrukturen dem Bedarf der Kinder und Jugendlichen heute und in der Zukunft anpassen.“

    Die Daten des Kinder- und Jugendreports zeigen zudem, dass Grundschulkinder vor allem unter Störungen sozialer Funktionen und Entwicklungsstörungen leiden. So wurden 2021 36 Prozent mehr Kinder im Alter zwischen fünf und neun Jahren aufgrund von Störungen sozialer Funktionen in Kliniken behandelt. Bei Entwicklungsstörungen war es ein Plus von elf Prozent. Auffallend ist, dass Jungen in diesem Kontext häufiger in Behandlung waren als Mädchen: Sie fanden fast doppelt so häufig wegen der Störung sozialer Funktionen und fast dreimal so häufig aufgrund von Entwicklungsstörungen den Weg in deutsche Krankenhäuser.

    Pressestelle der DAK-Gesundheit, 27.5.2022