„Flieg, Dino!“, Spiel für Kinder ab 4 Jahren, entstanden in der Zusammenarbeit von NACOA Deutschland e. V. (Hanna Rosebrock, Andrea Landmann) und playing history, Preis: 29,00 € (zzgl. Versand)
NACOA Deutschland und Playing History haben ein Spiel für Vorschulkinder entwickelt, das Sucht thematisiert und zum Austausch darüber darüber anregen kann. „Flieg, Dino“ ist ein kooperatives Spiel, bei dem die Kinder gemeinsam mit dem Flugdino Tika in die Welt der Gefühle eintauchen. Das Spiel hilft Kindern, sich mit Gefühlen auseinanderzusetzen und Strategien für den Umgang mit ihnen zu entdecken. Hierzu werden auf Szenenkarten alltagsnahe Situationen mit unterschiedlichen Gefühlen (Freude, Traurigkeit, Wut, Angst, Stolz und Scham) abgebildet. Durch Erwürfeln der auf den Karten dargestellten Gefühle werden Federn erspielt, mit denen die Kinder dem Dino zum Losfliegen verhelfen. Neben den Gefühlen wird auch das Thema Sucht auf acht der 26 Szenenkarten aufgegriffen.
„Es war uns wichtig, dass die Suchtbelastung der Familie nicht im Mittelpunkt des Spiels steht, sondern als ein mögliches Szenario vorkommt und zum Erzählen anregen kann“, erklären Hanna Rosebrock und Andrea Landmann vom „Fluffi Klub“, einem Präventions-Programm für Kinder, das NACOA Deutschland speziell für Kitas entwickelt hat. Im Zentrum des Spiels stehe das Erkennen und Benennen von Gefühlen, was auch ein wichtiger Resilienzfaktor zur Vorsorge gegen Suchterkrankungen ist. „Diese Form der Prävention und Resilienzförderung ist für alle Kinder wichtig, aber auch und gerade für Kinder, die mit einem oder mehreren suchtkranken Erwachsenen aufwachsen und einem erhöhten Risiko unterliegen, selbst im Laufe ihres Lebens eine Sucht zu entwickeln“, sagen die Pädagoginnen.
Entwickelt wurde das Spiel mit dem Berliner Unternehmen „Playing History“, das bereits viele Spiele zu besonderen Themen auf den Markt gebracht hat, etwa zu der Ermordung von Kranken in der NS-Zeit, zu politischer Radikalisierung oder zum Kalten Krieg. Martin Thiele-Schwez aus der Geschäftsführung beschreibt die besondere Herausforderung bei diesem Projekt: „Wir wollten ein Spiel machen, das richtig Spaß macht und trotzdem Anknüpfungspunkte für die Erzieher:innen bietet, über das komplexe Thema Sucht ins Gespräch zu kommen.“ Viele Kinderspiele würden vor allem eine heile Welt zeigen. „Das hat aber mit der Lebenswirklichkeit vieler Kinder nichts zu tun. Sie erleben Gefühle in ihrer ganzen Bandbreite, und das gilt nicht nur für Kinder aus suchtbelasteten Familien.“
Finanziert wurde die Entwicklung des Spiels vom LAGeSo Berlin. Das Spiel wird in zwei Versionen veröffentlicht, in einer 3D-Variante für Kitas, die an dem Fluffi-Klub teilnehmen, und in einer 2-D-Variante, die für alle erhältlich ist. Diese kann für 29 Euro zzgl. Versandkosten bei NACOA Deutschland unter https://nacoa.de/flieg-dino-spiel und bei „Playing History“ https://playinghistory.de/portfolio-item/flieg-dino/ bestellt werden.
Einen Mitschnitt der Präsentationsveranstaltung am 17. Februar 2022 finden Sie auf dem YouTube-Kanal von NACOA Deutschland unter: https://www.youtube.com/watch?v=nfA5djOMFPM
In Deutschland hat sich in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme bei den Krankenhausbehandlungen als Folge von problematischem Cannabiskonsum abgezeichnet. Aus den USA gibt es Hinweise, dass mit der zunehmenden Verbreitung des Cannabiskonsums auch die Anzahl an Menschen zugenommen hat, die sich aufgrund ihres Cannabiskonsums in ärztliche Behandlung begeben. Doch wie sieht es in Deutschland aus? Ein Forschungsteam unter der Leitung von Maximilian Gahr am Universitätsklinikum Ulm hat sich mit der Frage befasst, ob die Entwicklung hierzulande ähnlich verläuft.
Entwicklung der Krankenhausdiagnosen zwischen 2000 und 2018
Die Forscherinnen und Forscher haben sich die Entwicklung der Krankenhausdiagnosen in der Zeitspanne 2000 bis 2018 angeschaut. Grundlage der Studie waren Angaben des Statistischen Bundesamts zur jährlichen Anzahl an Fällen, in denen Cannabiskonsum als wesentlicher Grund der Behandlung genannt und eine so genannte Hauptdiagnose erstellt wurde.
Zum Vergleich hat das Team die Anzahl an Diagnosen ausgewertet, die im gleichen Zeitraum in Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol erfasst wurden. Auch die Gesamtzahl aller Krankenhausdiagnosen wurde berücksichtigt, um die relative Häufigkeit von Cannabis-Diagnosen bestimmen zu können.
5-fache Zunahme bei Krankenhausbehandlungen wegen Cannabiskonsum
Den Ergebnissen zufolge ist ein fast steter Anstieg bei der Häufigkeit von Cannabis-Diagnosen zu beobachten. Sowohl die absolute als auch die relative Häufigkeit der Krankenhausbehandlungen aufgrund von Cannabiskonsum hat zugenommen. Zwischen 2000 und 2018 gab es eine 4,8-fache Zunahme bei der Anzahl an Hauptdiagnosen in Zusammenhang mit Cannabis. Bei der Anzahl an Behandlungen wegen akuter Probleme im Cannabisrausch hat sich eine 2,8-fache Steigerung abgezeichnet. Psychotische Symptome infolge des Cannabiskonsums sind um das 4,5-fache gestiegen. Die Diagnose Cannabisabhängigkeit wurde 2018 sogar 8,5-mal häufiger gestellt als im Jahr 2000.
Die Entwicklung der Alkohol-Diagnosen hat hingegen gezeigt, dass es keine generelle Zunahme von Abhängigkeitserkrankungen zu geben scheint. Zwar gab es zwischen 2000 und 2018 eine kleine Zunahme bei der absoluten Zahl an Krankenhausbehandlungen wegen Alkoholproblemen. Die relative Häufigkeit, also der Anteil an Alkohol-Diagnosen bezogen auf die Gesamtzahl aller Krankenhausbehandlungen, war jedoch rückläufig.
Mögliche Gründe für die Zunahme
Welche Gründe könnten verantwortlich sein für die Zunahme von Krankenhausbehandlungen infolge von Cannabiskonsum? Nach Einschätzung von Gahr und seinem Team könnte die Einführung von medizinischem Cannabis und die Diskussion um eine Legalisierung von Cannabis die Akzeptanz der Droge in der Bevölkerung erhöht und nachfolgend auch zur stärkeren Verbreitung des Konsums beigetragen haben.
Die Droge selbst habe sich über die Jahre ebenfalls verändert. Studien legen nahe, dass der Anteil hochpotenter Cannabissorten mit einer hohen Konzentration des Wirkstoffs THC zugenommen hat. Darüber hinaus werden seit einigen Jahren neue synthetische Cannabinoide vermarktet. Die künstlichen Wirkstoffe sind zum Teil extrem potent. Der Konsum ist mit entsprechend hohen gesundheitlichen Risiken verbunden. Konsumierende erleben teils starke Entzugssymptome oder werden psychotisch.
Originalpublikation:
Gahr, M., Ziller, J., Keller, F., Muche, R., Preuss, U. W. & Schönfeldt-Lecuona, C. (2022). Incidence of inpatient cases with mental disorders due to use of cannabinoids in Germany: a nationwide evaluation. European Journal of Public Health, https://doi.org/10.1093/eurpub/ckab207
Jedes Jahr könnten in der Europäischen Region der WHO durch eine Erhöhung der Alkoholsteuern in den Mitgliedsstaaten Tausende Menschenleben gerettet werden, das hat eine Studie unter Beteiligung der TU Dresden ergeben. In allen Teilen der Region wird Alkohol derzeit deutlich niedriger besteuert als Tabakprodukte. Um das unausgeschöpfte Potenzial von Gesundheitssteuern zu erhöhen, hat der Fachliche Beirat des WHO-Regionaldirektors für Europa für Innovationen im Bereich der nichtübertragbaren Krankheiten, dem auch Prof. Jürgen Rehm von der TU Dresden angehört, eine neue Schlüssel-Initiative zum Thema Steuern vorgeschlagen, die in der Steuerpolitik der Länder Berücksichtigung finden könnte.
In der gesamten Europäischen Region führt Alkoholkonsum zu nahezu einer Million Todesfälle pro Jahr, bedingt durch vielfältige Ursachen, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen und andere nichtübertragbare Krankheiten, aber auch Infektionskrankheiten und Verletzungen. Jeden Tag sterben in der Region ungefähr 2.500 Menschen an den Folgen von Alkoholkonsum.
Jahrzehntelange Forschung und Erfahrungen aus Ländern auf der ganzen Welt haben gezeigt, dass die Erhöhung der Preise für alkoholische Getränke durch eine entsprechende Besteuerung eine der kostengünstigsten und effektivsten Maßnahmen ist, um den Alkoholkonsum und die dadurch verursachten Schäden in der Bevölkerung zu senken. Dies wurde auch von der WHO als eine der vielversprechendsten („best buy“) Interventionen anerkannt – eine Intervention, die größere gesundheitliche Auswirkungen im Hinblick auf die Reduzierung von Krankheit, Behinderung und vorzeitigem Tod erzielt als andere Handlungsoptionen.
Dennoch ist die Besteuerung von Alkohol nach wie vor eine der am schwächsten umgesetzten Maßnahmen, in erster Linie aufgrund von Widerständen bei Wirtschaftsakteuren und der Tatsache, dass Preiserhöhungen generell in der Bevölkerung als unbeliebt gelten.
Erhöhung der Alkoholsteuern als vorrangige Maßnahme für die öffentliche Gesundheit ansehen
Aus diesem Grund hat der Fachliche Beirat für nichtübertragbare Krankheiten diese Schlüssel-Initiative ins Leben gerufen, bei der fünf zentrale Bereiche in den Mittelpunkt gerückt werden, die das unausgeschöpfte Potenzial von Gesundheitssteuern auf Alkohol in der Europäischen Region auf beispiellose Weise steigern sollen.
„Wir haben errechnet, inwiefern sich eine Erhöhung der Alkoholsteuern auf die Sterblichkeit in der Europäischen Region der WHO auswirken würde. Und die Daten zeigen deutlich, wie vorteilhaft diese Maßnahme für die Gesundheit der Menschen wäre“, erläutert Prof. Dr. Jürgen Rehm, Mitglied des Fachlichen Beirats für nichtübertragbare Krankheiten und Professor am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der TU Dresden. „Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass höhere Steuern auch von der Bevölkerung akzeptiert werden, wenn klar wird, dass sie wirklich in Gesundheit investiert werden.”
Wie die aktuelle Studie zeigt, könnten durch die Einführung einer Mindeststeuer von 15 Prozent auf den Einzelhandelspreis pro Einheit Alkohol, das heißt unabhängig von der Art des Getränks, in der Europäischen Region der WHO jährlich 133.000 Menschenleben gerettet werden.
„Die Umsetzung der WHO Schlüssel-Initiative würde die durch Alkoholkonsum allein verursachten Todesfälle wie Alkoholvergiftungen, alkoholische Leberzirrhosen etc. um fast 25 Prozent in der Gesamtregion senken. In Deutschland wären das knapp 20 Prozent – und das pro Jahr“, erklärt Dr. Carolin Kilian, Mitarbeiterin am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie. Diese Zahl könnte mit Einführung eines höheren Steuersatzes erheblich ansteigen.
Das bedeutet, dass die Erhöhung der Verbrauchssteuern auf Alkoholprodukte als vorrangige Maßnahme für die öffentliche Gesundheit angesehen werden sollte. „Alkohol ist in der Europäischen Region der WHO sehr erschwinglich. Es besteht ein erheblicher Spielraum für Alkoholsteuern, um die Preise für alkoholische Getränke zu erhöhen und dadurch das Trinkverhalten zu mäßigen und den alkoholbedingten Schaden zu verringern. Alkohol ist wie Tabak keine gewöhnliche Ware und sollte auch anders behandelt werden. Dazu gehört eine Besteuerung, die sich an den Zielen der öffentlichen Gesundheit orientiert“, kommentiert Maria Neufeld, Doktorandin am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie und Mitarbeiterin im WHO-Regionalbüro für Europa.
Was zählt, ist der Endpreis für Alkohol
Die Kosten pro Mengeneinheit reinen Alkohols sollten unabhängig von der Art des Getränks gleich hoch sein – so das Fazit der Arbeitsgruppe zur Schlüssel-Initiative. „Wir müssen bedenken, dass es auf den vom Verbraucher zu zahlendem Endpreis pro Flasche ankommt. Verbraucher kaufen nicht etwa zehn Gramm reinen Alkohol. Sie kaufen eine Flasche Bier oder Wein oder Spirituosen – der Preis für jedes Getränk sollte sich also nach der Alkoholmenge richten“, erläutert Prof. Jürgen Rehm.
Der Fachliche Beirat für nichtübertragbare Krankheiten trägt das beste Fachwissen zum Thema Prävention nichtübertragbarer Krankheiten zusammen und will die Mitgliedstaaten dazu inspirieren, die Ziele für nachhaltige Entwicklung mit Bezug zu nichtübertragbaren Krankheiten zu verwirklichen. Mit der Förderung der weiteren Umsetzung von Maßnahmen zur Eindämmung des Alkoholkonsums stehen die Aktivitäten des Beirats im Einklang mit dem Europäischen Arbeitsprogramm 2020–2025 der WHO – „Gemeinsam für mehr Gesundheit in Europa“.
Originalpublikation:
Maria Neufeld, Pol Rovira, Carina Ferreira-Borges, Carolin Kilian, Franco Sassi, Aurelijus Veryga, Jürgen Rehm. Impact of introducing a minimum alcohol tax share in retail prices on alcohol-attributable mortality in the WHO European Region: A modelling study. The Lancet , Open Access Published: February 23, 2022. DOI:https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2022.100325
Pressestelle der Technischen Universität Dresden, 28.2.2022
Lambertus-Verlag, Freiburg im Breisgau 2021, 204 Seiten, 24,00 €, ISBN 978-3-7841-3362-1
Etwa elf Millionen Menschen leben weltweit in Gefängnissen. Wie aus dem aktuellen Global Prison Trends Report hervorgeht, sind die meisten Gefängnisse überbelegt und unterfinanziert. Auch in Deutschland wird nach Ansicht der Fachwelt zu viel eingesperrt. Resozialisierung gilt als ein Hauptziel des modernen Strafvollzuges. Ist das Wegsperren von Menschen ein geeigneter Weg, dieses Ziel zu erreichen? Wie kann soziale Wiedereingliederung besser gelingen als bisher, wo noch immer etwa jede:r zweite Entlassene innerhalb von neun Jahren wieder straffällig wird?
Alternativen zur Haft – das will gewagt, probiert und beforscht werden. Dieser Band stellt eine beeindruckende Sammlung durchdachter Beiträge vor, die das Bestehende analysieren, kritisch hinterfragen, Schlüsse ziehen, Perspektiven aufzeigen, konkrete Vorschläge machen und Erfahrungen guter Arbeit zur Verfügung stellen.
Führende deutsche Sucht-Fachgesellschaften haben heute ein gemeinsames Positionspapier zur geplanten Cannabis-Regulierung veröffentlicht. Die Fachleute, die das gesamte Spektrum der Suchtprävention, Sucht-Selbsthilfe, Suchtberatung, Suchtforschung und Suchttherapie in Deutschland vertreten, richten fünf zentrale Forderungen an die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger. Damit reagieren sie auf die drogenpolitischen Pläne der Bundesregierung: SPD, Grüne und FDP wollen den Verkauf von Cannabis zu Genusszwecken an Erwachsene in lizensierten Geschäften erlauben. Unterzeichner des Positionspapiers sind die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht), die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS), die Deutsche Gesellschaft für Suchtpsychologie (dgsps) und die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS).
Um gesundheitlichen und sozialen Schäden vorzubeugen, halten die Fachleute strukturelle Maßnahmen beim staatlich regulierten Cannabisverkauf für unerlässlich. „Für Jugendliche und junge Erwachsene bestehen besondere Risiken durch den Cannabiskonsum. Daher haben Jugendschutz und Vorbeugung oberste Priorität“, sagt Prof. Dr. Falk Kiefer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG Sucht). Hintergrund: Cannabis kann die Gehirnreifung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen negativ beeinflussen. Cannabishaltige Lebensmittel, aromatisierte Rauchmischungen und andere gefährliche Zubereitungen mit einem hohen Gehalt an rauscherzeugendem THC sollten nicht zum Verkauf zugelassen sein.
Handlungsbedarf sehen die Expertinnen und Experten auch mit Blick auf die Verkaufswege. „Der Verkauf muss staatlich klar geregelt sein und darf den Cannabiskonsum nicht fördern“, erläutert Prof. Dr. Norbert Scherbaum, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Die Fachleute fordern daher klare Werbeverbote und Vorgaben, etwa hinsichtlich der maximalen Abgabemengen. Zudem müsse in den Shops über mögliche Risiken des Cannabiskonsums informiert werden. Entstünden bei Konsumierenden gesundheitliche oder soziale Probleme, sollten frühzeitig Wege in Hilfeangebote aufgezeigt werden.
Steuereinnahmen aus dem legalen Cannabis-Verkauf müssen im Gesundheitsbereich sinnvoll verwendet werden: „Wir erwarten von der Politik, die zusätzlichen Mittel für verbesserte Prävention, Früherkennung, Frühintervention, Beratung, Begleitung, Behandlung und Selbsthilfe einzusetzen“, betont Dr. Gallus Bischof, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie (dgsps).
Eine umfassende Begleitforschung in Deutschland sei wünschenswert; ebenso wie der Ausbau des Drogen- und Gesundheitsmonitorings in Deutschland. Zusätzliche Mittel aus den Steuereinnahmen werde es daher auch in der Versorgungs- und Therapieforschung brauchen. „Wir wollen, dass wissenschaftlich und begleitend untersucht wird, ob und wie sich der Umgang mit Cannabis in der Gesellschaft verändert. So müssen Änderungen im Konsum und beim Ausmaß der Konsumfolgen genau beobachtet werden, um auch in der Prävention und Behandlung frühzeitig passend reagieren zu können“, so Prof. Dr. Ulrich W. Preuß, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS). Die Sucht-Fachgesellschaften regen an, eine Expertengruppe einzurichten. Sie könne die Regierung bei der Umsetzung der neuen Regulierungen zur kontrollierten Cannabisabgabe beraten.
Download des Positionspapiers zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften.
Der schleswig-holsteinische Kreis Segeberg ist ein mittelschichtsgeprägter Landkreis im Norden der Metropolregion Hamburg mit einer Einwohnerzahl von rund 278.000. Die örtlichen Beratungsangebote der freien Träger werden durch den Landkreis finanziert und beziehen sich auf verschiedene sozialrechtliche Grundlagen oder werden als freiwillige Leistungen bereitgestellt. Die Therapiehilfe gGmbH ist ein Träger der ambulanten und stationären Suchthilfe im norddeutschen Raum. Ihr Angebotsspektrum umfasst: Beratung, ambulante, ganztägig ambulante und stationäre Therapie, Entgiftung, Rehabilitation, Nachsorge sowie Wiedereingliederung in Schule und Beruf. Außerdem ermöglicht die Therapiehilfe Arbeit und Beschäftigung in trägereigenen Einrichtungen. Im Kreis Segeberg betreibt sie Suchtberatungsstellen und Erziehungs- und Familienberatungsstellen. Zu den weiteren Aufgaben gehört der Betrieb und die Koordination von örtlichen Beratungszentren, in denen verschiedene regional tätige Träger der sozialen Arbeit ihre Angebote unter einem Dach gebündelt vorhalten. Die koordinierende Tätigkeit in den Beratungszentren umfasst u. a. die Durchführung von trägerübergreifenden Projekten, wie der hier beschriebenen Befragung.
Das Befragungsprojekt
Im Zeitraum vom 10.05. bis 30.08.2021 wurde eine Online-Befragung junger Menschen durchgeführt. Sie erfolgte unter dem Titel „Sag uns, wie wir dich unterstützen können“. Die befragenden Träger waren die freien Träger der örtlichen Beratungsstellen, die Angebote für junge Menschen vorhalten. Die Befragung erfolgte unter Federführung der Therapiehilfe gGmbH mittels eines Online-Fragebogens und richtete sich an junge Menschen bis 27 Jahre.
Die Befragung folgte keinem wissenschaftlichen Anspruch, sondern sie diente als Kommunikationsinstrument, um junge Menschen in der Zeit der Pandemie anzusprechen und in einen Prozess der Angebotsentwicklung als Expert:innen in eigener Sache einzubeziehen. Die dreiunddreißig Einzelfragen folgen vier Leitfragen bzw. Auswertungskategorien:
Wer sind die teilnehmenden Personen?
Was beschäftigt die jungen Menschen / sind ihre Themen?
Welche Form der Beratung wünschen sich junge Menschen von den Beratungsstellen?
Wie zufrieden sind die jungen Menschen mit bereits erhaltener Beratung?
Kategorie 1: Wer sind die teilnehmenden Personen?
Es haben 380 junge Menschen an der Befragung teilgenommen. 336 vollständige Fragebögen konnten ausgewertet werden. Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden lag bei 15,4 Jahren. 82 Prozent waren unter 18 Jahren. Im Alter von 13 bis 17 Jahren waren 69 Prozent. Der Anteil der weiblichen Befragten lag bei 59 Prozent. Männlichen Geschlechts zu sein, gaben 39 Prozent an. Als divers kategorisierten sich 0,6 Prozent, sich der Zuordnung noch nicht sicher waren 1,5 Prozent der jungen Menschen.
Neun Prozent der jungen Menschen sahen bei sich einen Migrationshintergrund, 13 Prozent machten zu dieser Frage keine Angabe. 78 Prozent der Teilnehmenden verneinten einen Bezug zu Migration. Eigene Kinder hatten 1,2 Prozent der Befragten. Von der Befragung erfahren hatten 15 Prozent durch die eigene Teilnahme an einer Beratung. Die anderen Teilnehmer:innen wurden über Kooperationspartner:innen in Prävention, Schulsozialarbeit, Schule und offener Jugendarbeit gewonnen.
Bei der Ansprache der teilnehmenden Personen wurden bewusst offene Antworten ermöglicht. Dies bedeutete, dass sich die jungen Menschen im Bereich Migration und sexueller Identität nicht eindeutig zuordnen mussten. Damit konnte sichtbar werden, dass es junge Menschen möglicherweise vorziehen, sich jenseits einer ethnischen Bipolarität oder einer definierten sexuellen Kategorie zu identifizieren.
Kategorie 2: Was beschäftigt die jungen Menschen / sind ihre Themen?
In dieser Auswertungskategorie wurden Fragen gestellt, die die allgemeine Lebenszufriedenheit, die relevanten Lebensthemen, das Nutzungsverhalten von Medien sowie die Bereitschaft zur Annahme einer Beratung umfassen. Die Antworten wurden als Zustimmung auf einer Skala von 1 bis 6 angegeben.
a) In Bezug auf die allgemeine Lebenszufriedenheit gaben die jungen Menschen folgende Zustimmungswerte: Zufriedenheit mit dem eigenen Leben 4,0; Optimismus bzgl. Zukunft 4,0. Verstanden werden durch Erwachsene 3,7; Zufriedenheit mit Spiel- und Freizeitmöglichkeiten 3,3.
b) Wichtige Lebensthemen sind absteigend nach der Problemhäufigkeit: Leistungs- / Notendruck, Prüfungsangst 3,5; Unzufriedenheit mit eigenem Körper 3,3; Corona 3,3; Stress mit Eltern und Geschwistern 3,2; Tod oder Verlust eines Menschen 3,2 und innere Leere, Gefühl von Sinnlosigkeit 3,0. Weitere Themen sind (mit absteigender Problemhäufigkeit): Essverhalten; Ängste und zwanghafte Gedanken; Perspektivlosigkeit / Zukunftsangst; Einsamkeit / fehlende Kontakte sowie Medienkonsum, der nicht mehr gesteuert werden kann.
d) Eine Bereitschaft zur Annahme einer Beratung äußerten 66 Prozent der Befragten.
Zu a) Die genannten Werte lassen erkennen, dass die befragten jungen Menschen grundsätzlich über gute Ressourcen des Aufwachsens verfügen, insofern sie überwiegend zufrieden mit ihrem Leben sind und optimistisch in die Zukunft blicken. Während das Verstandenwerden durch die Erwachsenen eine mittlere Zustimmung erfährt, stellen die vorhandenen Freizeitmöglichkeiten jedoch kein ausreichend anregendes Angebot für die jungen Menschen dar.
Zu b) Bei den Lebensthemen scheinen die für den Entwicklungsabschnitt typischen Themen im Vordergrund zu stehen. Ein Höchstwert im Bereich „Leistungs- / Notendruck, Prüfungsangst“ lässt jedoch erkennen, dass Schule eine Ursache chronischen Stresses zu sein scheint. Dies gilt es zu hinterfragen, denn Schule hat einen pädagogischen Auftrag, und es ist nicht hinzunehmen, dass Kinder und Jugendliche dort Angst und Stress erleben.
Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper ist für junge Menschen, die ihre gesellschaftlichen Orientierungspunkte ganz überwiegend in sozialen Netzwerken finden, nicht mehr nur eine altersspezifische Aufgabe innerhalb ihrer Peergroup, sondern oftmals eine medial vermittelte Überforderung, die den eigenen Körper eher zu einem Anlass des Selbstzweifels als der Selbstvergewisserung werden lässt.
Auch wenn die Auseinandersetzung mit den eigenen Eltern sicherlich ein zeitloses Thema darstellt, lohnt es sich, diesem Punkt Aufmerksamkeit zu schenken. So vollzieht sich die Ausdifferenzierung der individuellen und altersspezifischen Lebenswelten der Jugendlichen heute vor dem Hintergrund, dass Familien finanziell und zeitökonomisch immer mehr unter Druck geraten. Die häufige Nennung von „Stress mit Eltern und Geschwistern“ zeigt, dass die Bedeutung von Familie als Rückzugsort und Ort der Selbstwertstärkung in einer immer komplexeren Welt ausgesprochen hoch ist, und es wird die Notwendigkeit deutlich, dass dieser Ort seine basale Funktion der Förderung junger Menschen zu mental gesunden und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten auch unter steigenden gesellschaftlichen Anforderungen erfüllt. Wenig überraschend zeigt sich auch unter dem Stichwort Corona eine hohe Problemhäufigkeit, wobei diese beiden Lebensthemen keine signifikanten Korrelationen zeigen und damit offenbar von den jungen Menschen bisher nicht als ein lebensbestimmendes Problem erlebt werden.
Eine Herausforderung, wenn nicht Überforderung, stellt der Tod oder Verlust eines Menschen dar (Standardabweichung 1,89; 19 Prozent der Antworten bei Effektstärke 6). Er löst eine existentielle Verunsicherung aus und stellt die psychosoziale Einbettung in halt- und sinngebende Beziehungen und Wertbezüge auf den Prüfstand. Hier scheint die Erwachsenenwelt keine ausreichend tragende Unterstützung anbieten zu können. Alarmierend ist, dass sich anschließend an die erwähnten Themenbereiche Schule, Körper, Familie und Tod ein Gefühl von Sinnlosigkeit und innerer Leere bei jungen Menschen zeigt (Standardabweichung 1,88), was zumindest eine Teilgruppe als psychisch gefährdet erkennen lässt (16 Prozent der Antworten bei Effektstärke 6). In diesem Sinne können auch die im Weiteren hervortretenden Themen wie eine Reihung emotionaler Nöte und entsprechender Kompensationsstrategien gelesen werden (Essverhalten, Ängste, zwanghafte Gedanken, Perspektivlosigkeit, Einsamkeit, unkontrollierter Medienkonsum).
Zu c) Überaus deutlich wird, dass Medien im Leben junger Menschen eine große Rolle spielen und sich die sozialen Medien als kommunikations- und vorstellungsprägend in ihrem Leben verankert haben.
Zu d) Als Bewohner:innen „zweier Welten“, der medialen wie der analogen, zeigen die befragten jungen Menschen jedoch eine hohe Bereitschaft zur Inanspruchnahme von (analoger) Beratung in einer Beratungsstelle.
Kategorie 3: Welche Form der Beratung wünschen sich junge Menschen von den Beratungsstellen?
Für die befragten jungen Menschen ist es wichtig, dass Beratung anonym (4,7), ohne Eltern (4,6) und im Einzelkontakt (4,4) stattfindet. Dabei besteht einerseits der Wunsch, dass die Hilfe in der Beratungsstelle stattfindet (4,2), und andererseits, dass sie über Smartphone/PC (4,1) angeboten wird. Jungen Menschen ist es wichtig, dass der/die Berater:in jederzeit kontaktiert werden kann (4,8) bzw. schnell (innerhalb 24h) eine Beratung anbieten kann (4,4). Eine Hilfe in Gruppenform findet den niedrigsten Zustimmungswert (2,9).
Als bevorzugte Medien werden der Messanger WhatsApp (62 Prozent), das Telefon/Mobiltelefon (55 Prozent) und die Beratung per E-Mail (40 Prozent) genannt. Die Beratungsform soll für 39 Prozent der Befragten eine persönliche Beratung sein. Zwölf Prozent wünschen eine digitale Beratung, und eine Kombination aus beiden bevorzugen 49 Prozent der Befragten.
Die hohe Bereitschaft zur Inanspruchnahme von Beratung verbindet sich mit klaren Vorstellungen, welche Form diese haben soll. Dabei wird zum einen der Wunsch nach individueller und flexibel verfügbarer Zuwendung durch eine:n kompetente:n Erwachsene:n sichtbar, und zum anderen wird deutlich, dass das matching davon abhängt, wie gut die Hilfeform zu den Lebensgewohnheiten des jungen Menschen passt (form follows need). Hilfe wird so gewünscht, dass sie einen geschützten Rahmen bietet, in dem der junge Mensch individuell für sich, seinem Bedürfnis und Impuls folgend, Unterstützung findet. Der persönliche Kontakt mit dem/der Berater:in wird durch die Nutzung von Messanger und Mobiltelefonie ergänzt. So entsteht eine Form der beratenden Begleitung und der (elterlich) beschützenden Assistenz zur Bewältigung des Lebens angesichts einer medialen Fragmentierung der Identitäten.
Kategorie 4: Wie zufrieden sind die jungen Menschen mit bereits erhaltener Beratung?
Von den 336 jungen Menschen hatten 76 (23 Prozent) bereits an einer Beratung bei einem der drei an der Befragung beteiligten Träger teilgenommen. 67 Prozent dieser Beratungen waren bereits abgeschlossen. Die aufgesuchten Beratungsstellen waren Erziehungs- und Familienberatungsstellen, eine Fachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt sowie Suchtberatungsstellen. 42 Prozent der jungen Menschen wussten nicht mehr, in welcher Beratungsstelle sie gewesen waren. Einzelberatung haben 78 Prozent der Befragten wahrgenommen, mit der Familie kamen 37 Prozent der Ratsuchenden, mit Freunden 13 Prozent. Die Beratung fand zu 84 Prozent in Präsenz statt, zu sieben Prozent digital und zu neun Prozent in gemischter Form als blended counseling.
Die Öffentlichkeitsarbeit der Beratungsstellen in Form von Flyern, einem Internetauftritt und Infomails fand bei den jungen Menschen keine Resonanz. 80 Prozent der jungen Menschen haben sie nicht wahrgenommen. 20 Prozent haben sich auf diese Weise nicht angesprochen gefühlt.
Die jungen Menschen haben sich in der Beratung atmosphärisch wohl (4,1), als junge Menschen angenommen (4,7) und gut beraten gefühlt (4,4). Die jungen Ratsuchenden gaben mit einem Zustimmungswert von 4,1 an, dass ihnen die Beratung weitergeholfen hat. Die Frage, ob auch neue Sichtweisen für andere Themen gewonnen wurden, fand einen Zustimmungswert von 3,8. Die jungen Menschen wollen zu 79 Prozent wieder in die Beratung kommen und zu ebenfalls 79 Prozent die jeweilige Beratungsstelle weiterempfehlen.
Junge Menschen machen in Beratungsstellen gute Erfahrungen. Zwar fühlen sie sich durch jugendunspezifische analoge Kommunikationsformen nicht angesprochen, treffen dort aber vermittelt über Dritte auf kompetente Berater:innen, die ausreichend sensibilisiert sind, damit sich junge Menschen angenommen fühlen. Die hohe fachliche Qualifikation der Mitarbeitenden, getragen vom persönlichen Kontakt, konstituiert ein Setting, das sich als geeignet erweist, junge Menschen in ihrer Lebenskompetenz zu stärken. Auf Grund der positiven Erfahrungen mit Beratung wird sie im Folgenden zu einer persönlichen Ressource des jungen Menschen, die bereits durch die Möglichkeit einer Wiederinanspruchnahme stärkend wirkt.
Anforderungen an Prävention und Beratung
Junge Menschen sind stärker als jede andere gesellschaftliche Gruppe der durch Digitalisierung, Medialisierung und Globalisierung bewirkten Transformation der Lebens- und Arbeitsweisen ausgesetzt. Dabei entwickeln sie Fähigkeiten und Lebensformen, die die Erwachsenenwelt in Gestalt von Eltern, Lehrer:innen und pädagogischen Mitarbeiter:innen kaum nachzuvollziehen in der Lage ist. Die belastenden Aspekte dieser Entwicklung werden durch die im Rahmen der Corona-Krise ergriffenen Maßnahmen noch verschärft, bis hin zu gesundheitsgefährdenden Auswirkungen. Die Herausforderung, die Lebensrealität junger Menschen in ihrer Vielfältigkeit nachzuvollziehen und adäquat zu beantworten, wird damit größer und wichtiger.
Um die Erwartungen junger Menschen an die Angebotsformen der Träger erfüllen zu können, sind die sozialen Hilfssysteme gefordert, ihre Systemlogik den Bedarfen ihrer (jungen) Nutzer:innen anzupassen. Dafür ist es erforderlich, in eine wechselseitige Kommunikation mit jungen Menschen zu treten und bereit zu sein, von ihnen zu lernen. Diese Nutzer:innenorientierung wird nicht nur zu einer veränderten Form der Öffentlichkeitsarbeit führen, sondern auch ganz neue Angebotsformen hervorbringen.
Alarmierend ist die Problemhäufigkeit bei „Leistungs- / Notendruck, Prüfungsangst“ (35 Prozent bei Effektstärke 5 und 6). Die starke Leistungsorientierung und den damit einhergehenden Noten- und Normierungsdruck in der Schule erleben viele junge Menschen als Entwertung der eigenen Person. Die Digitalisierung an den Schulen treibt diese Entwicklung voran, ohne dass ausgleichende oder präventive Maßnahmen entwickelt würden. Positiv erlebte und somit gesundheitsfördernde Orte hingegen sind Orte, die sich an den Bedürfnissen junger Menschen ausrichten und eigenverantwortete Selbstbildungsprozesse ermöglichen. Es ist eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft, solche Orte zu schaffen. Sie wirken in höchstem Maße als Prävention von Sinnlosigkeitserleben und innerer Leere und machen kompensierende Strategien, wie sie jegliche Form von Suchtverhalten und psychischen Ersatzhandlungen darstellt, überflüssig. Ein solcher Selbstbildungsprozess stellt auch die Inanspruchnahme von Beratung dar, die exemplarisch Sinnhaftigkeit und Selbstwerterhöhung ermöglicht.
Die betreffenden Beratungseinrichtungen sind herausgefordert, ihre Berührungsängste mit sozialen Medien und jugendspezifischen Inhalten zu überwinden. Dabei liegt in rechtlichen Hürden wie Vorgaben zum Datenschutz die Gefahr, den Anschluss zur Welt junger Menschen zu verlieren. Der mit der Digitalisierung der Angebote verbundene technische Aufwand stellt eine weitere Hürde dar, an der die Lebensweltorientierung in der Praxis der sozialen Arbeit zu scheitern droht. Träger und Mitarbeitende stehen vor der Aufgabe, ihre Arbeits- und Organisationsformen anzupassen und zu flexibilisieren und sich neue Fähigkeiten und Kulturtechniken anzueignen. Es sind Kostenträger gefragt, die die Scheuklappen in Form von starren Verwaltungsabläufen und innovationsfeindlichen Ökonomisierungszwängen ablegen. All diese Faktoren entscheiden an vielen kleinen Stellen, ob es letztlich gelingen kann, Angebotsformen zu entwickeln, die junge Menschen tatsächlich erreichen. Hierbei ist der altbekannte Ruf nach einem Paradigmenwechsel im Sinne eines form follows user aktueller denn je.
Auch wenn es sich bei der vorliegenden Befragung in einem norddeutschen Landkreis weder um einen repräsentativen Bevölkerungsausschnitt handelt, noch die Befragung wissenschaftlichen Standards entspricht, kann sie doch als Impuls aufgefasst werden, der eine Entwicklungsrichtung aufzeigt, die sich auch in anderen zahlreichen Studien der jüngeren Zeit abzeichnet (z. B. Copsy-Studie, Shell-Studien, Kinder- und Jugendberichte der Bundesregierung, Veröffentlichungen des Deutschen Jugendinstituts DJI, der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe AGJ und des Evangelischen Zentralinstituts für Familienberatung EZI). Die Besprechung der Ergebnisse erfolgt aus der Perspektive der Beratungsstellen. Für uns wird deutlich, dass eine Gruppe der jungen Menschen als gefährdet anzusehen ist. Es ist dringend notwendig, sie in ihrer Lebenslage besser wahrzunehmen und über die Angebote der Beratungsstellen wirksamer zu erreichen. Dieser Auftrag erscheint vor dem Hintergrund der aktuellen Belastung junger Menschen durch die Corona-Krise umso verbindlicher. Hierfür ist die beschriebene organisatorische und konzeptionelle Hinwendung zu den jungen Menschen unverzichtbar. Es sei jedem/jeder Leser:in selbst überlassen, den Aussagewert des Vorgestellten zu beurteilen, ein Anstoß zur Diskussion über notwendige Innovationsprozesse innerhalb der Einrichtungen der sozialen Arbeit sei hiermit zumindest gegeben.
Marius Neuhaus, Dipl.-Sozialpädagoge und Systemischer Therapeut (SG), ist tätig als Einrichtungsleitung der Beratungsstellen der Therapiehilfe gGmbH im Kreis Segeberg.
Die Europäische Beobachtungsstelle für Alkoholmarketing (UCAM) benennt und widerlegt in einer Broschüre die sieben wichtigsten Argumente, die Alkohol-, Tabak- und Pharmaunternehmen einsetzen, um ihre Produkte gegen staatliche Interventionen zu verteidigen.
Die Arbeitsgruppe „Alkoholpolitik“ der Guttempler in Deutschland e. V. hat die zweite Auflage der englischsprachigen Broschüre nun ins Deutsche übersetzt, um die verhängnisvolle Rolle der Alkoholindustrie in der Öffentlichkeit transparent zu machen. Als eines der größten Hindernisse in ihrer präventiven Arbeit nennen die Guttempler die Bemühungen der Alkoholindustrie, die durch den Alkoholkonsum verursachten Probleme zu individualisieren. Ziel dieser Broschüre ist es, Fachleute, Bürger:innen und Politiker: innen über die Strategien der Alkoholindustrie zur Beeinflussung der nationalen, europäischen und globalen Alkoholpolitik zu informieren.
Die Broschüre „Die sieben Schlüsselbotschaften der Alkoholindustrie. Informationen für alle, die die wahren Absichten der Alkoholindustrie kennenlernen wollen“ steht auf der Homepage der Guttempler und auf www.alkoholpolitik.de zum Download zur Verfügung und kann auch in Papierform bestellt werden: info@guttempler.de, 040-28 40 76 990
Mitteilung der Guttempler in Deutschland e. V., 2.2.2022
Von allen chronischen Krankheiten, die in Deutschland die Einweisung in ein Krankenhaus erfordern, hat die Leberzirrhose die höchste Mortalitätsrate. Wird sie als Komorbidität anderer chronischer Krankheiten diagnostiziert, führt sie mindestens zu einer Verdoppelung der Sterblichkeitsrate. Insgesamt hat sich die Zahl der Hospitalisierungen mit Leberzirrhose trotz der Einführung hochwirksamer Medikamente gegen Hepatitis C bundesweit erhöht. Alkoholmissbrauch bleibt dafür bei weitem die Hauptursache. Das ergab eine Studie unter der Leitung von Prof. Jonel Trebicka vom Universitätsklinikum Frankfurt, die einen Beobachtungszeitraum von 14 Jahren umfasste.
Die Zirrhose, bei der funktionsfähiges Lebergewebe untergeht und vernarbt, ist das gemeinsame Endstadium der meisten chronischen Lebererkrankungen und die vierthäufigste Todesursache in Mitteleuropa. Über ihr epidemiologisches Profil in Deutschland lagen jedoch bislang kaum aktuelle Erkenntnisse vor. Deshalb entschlüsselte ein Forschungsteam um Prof. Jonel Trebicka anhand der Datensätze des Statistischen Bundesamtes die rund 250 Millionen Krankenhausaufnahmen, die von 2005 bis 2018 in Deutschland aus irgendeinem Grund erfolgt waren, gemäß der 10. Version der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10). 0,94 Prozent dieser Hospitalisierungen waren der Diagnose Leberzirrhose zuzuordnen, in der Mehrzahl der Fälle als Begleit- und nicht als Haupterkrankung. In absoluten Zahlen nahmen die Einweisungen mit Leberzirrhose im Beobachtungszeitraum von 151.108 auf 181.688 zu.
Der primäre Endpunkt der Studie war die Sterblichkeit an Leberzirrhose im Krankenhaus. Zwar ist diese Mortalitätsrate im Beobachtungszeitraum erfreulicherweise von 11,57 Prozent auf 9,49 Prozent gesunken, liegt damit aber immer noch deutlich über den entsprechenden Raten anderer chronischer Krankheiten wie Herzinsuffizienz (8,4 Prozent), Nierenversagen (6,4 Prozent) und chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (5,2 Prozent). Trat eine Leberzirrhose begleitend zu einer anderen chronischen Krankheit auf, dann erhöhte sie deren Mortalitätsrate um das Zwei- bis Dreifache, am stärksten bei infektiösen Atemwegserkrankungen.
Dank der Einführung direkt wirksamer antiviraler Medikamente gegen Hepatitis C-Erkrankungen hat sich der Anteil der HCV-bedingten Zirrhosen im Beobachtungszeitraum auf knapp ein Drittel reduziert. Umgekehrt hat sich die Häufigkeit von Zirrhosen, die durch eine nicht-alkoholische Fettleber bedingt sind, in dieser Zeit vervierfacht, parallel zu einem Anstieg von Patienten mit krankhaftem Übergewicht (Adipositas). Unbeeinflusst von diesen ätiologischen Verschiebungen dominieren jedoch weiterhin die durch Alkoholmissbrauch entstandenen Zirrhosen. Sie machen 52 Prozent aller in der Studie erfassten Zirrhosen aus, in absoluten Zahlen mit steigender Tendenz.
Vermutlich aufgrund der in deutschen Kliniken weithin befolgten Behandlungsrichtlinien, zum Beispiel durch endoskopische Prozeduren oder die Gabe nicht-selektiver Beta-Blocker, treten Blutungen im Magendarmtrakt als Komplikation einer Leberzirrhose im Krankenhaus immer seltener auf. Blutungen aus Krampfadern in der Speiseröhre waren 2018 sogar auf ein Zehntel ihres Ausgangswertes von 2005 zurückgegangen. Verschlechterungen des Krankheitsbildes aufgrund von Bauchwassersucht (Ascites) oder von Gehirnstörungen durch unzureichende Entgiftungsarbeit der Leber haben jedoch zugenommen. Die Zahl der Pfortaderthrombosen wiederum verdoppelte sich parallel zu einer intensiveren bildgebenden Diagnostik.
Verglichen mit anderen chronischen Krankheiten waren die mit Zirrhose aufgenommenen Patienten deutlich jünger: Die Hälfte von ihnen hatte das 64. Lebensjahr noch nicht überschritten. In den ostdeutschen Bundesländern waren höhere Hospitalisierungs- und Krankenhausmortalitätsraten zu verzeichnen als in den westdeutschen. Bundesweit waren rund zwei Drittel der mit einer Leberzirrhose hospitalisierten Patienten Männer. Sie starben häufig bereits in ihrem sechsten Lebensjahrzehnt oder früher, woraus sich die große Zahl verlorener gesunder Lebensjahre und die hohe sozioökonomische Belastung erklärt, die mit einer Leberzirrhose einhergeht. Denn Männer dieses Alters machen noch immer den Großteil aller Berufstätigen aus.
„Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die Entscheider und Kostenträger des Gesundheitswesens viel stärker in die Prävention alkoholbedingter Leberzirrhosen investieren sollten“, bilanziert Prof. Jonel Trebicka. „Sie verdeutlichen auch, wie wichtig es ist, die Leberzirrhose als Begleiterkrankung anderer chronischer Krankheiten wahrzunehmen und zu behandeln.“
Originalpublikation:
Wenyi Gu, Hannah Hortlik, Hans-Peter Erasmus, Louisa Schaaf, Yasmin Zeleke, Frank E. Uschner, Philip Ferstl, Martin Schulz, Kai-Henrik Peiffer, Alexander Queck, Tilman Sauerbruch, Maximilian Joseph Brol, Gernot Rohde, Cristina Sanchez, Richard Moreau, Vicente Arroyo, Stefan Zeuzem, Christoph Welsch, Jonel Trebicka: Trends and the course of liver cirrhosis and its complications in Germany: Nationwide populationbased study (2005 to 2018) The Lancet Regional Health – Europen 2022;12: 100240 https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2021.100240
Pressestelle der Goethe-Universität Frankfurt am Main, 11.2.2022
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