Autor: Simone Schwarzer

  • Für Suchtgefahren im Zusammenhang mit Gaming sensibilisieren

    Prof. Dr. Florian Rehbein. Foto: FH Münster/ Wilfried Gerharz

    Minecraft, FIFA, Counterstrike und Co. − Computerspiele wie diese werden von der Hälfte der deutschen Bevölkerung genutzt. Besonders auf junge Menschen üben sie eine enorme Anziehungskraft aus: Nach einer DAK-Studie spielen drei Millionen Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren regelmäßig an Konsole, Smartphone oder PC. Rund 465.000 von ihnen gelten als so genannte Risiko-Gamer, sie zeigen ein auffälliges oder abhängiges Spielverhalten. Wie man Computerspielsucht und anderen Suchterkrankungen am effektivsten vorbeugen kann, erforscht Prof. Dr. Florian Rehbein. Zu diesem Wintersemester ist er an den Fachbereich Sozialwesen der FH Münster berufen worden, wo er das Lehr- und Forschungsgebiet Suchthilfe und Suchtprävention in der Sozialen Arbeit vertritt.

    „Präventionsarbeit sollte weniger ad hoc auf Anfragen reagieren, sondern stattdessen planend und vorausschauend agieren“, erklärt der 44-Jährige. „Im Idealfall gehen Fachkräfte für Suchtprävention mit effektiven Konzepten aktiv auf bestimmte Jahrgänge an Schulen, in Jugendeinrichtungen und Sportvereinen zu, noch bevor den Akteuren vor Ort die Notwendigkeit dafür überhaupt bewusst ist. Wird hingegen gewartet, bis Prävention aktiv nachgefragt wird, sind häufig bereits Probleme aufgetreten. Für viele universal- und sekundärpräventive Maßnahmen ist man dann aber schon zu spät dran“, ist Rehbein überzeugt. Und für eine solche vorausschauende Präventionsarbeit und eine professionelle Verantwortungsübernahme der Sozialen Arbeit für riskant und abhängig Konsumierende möchte er die Studierenden fit machen. „Ich freue mich darauf, mein Wissen so aufzubereiten, dass es für Fachkräfte der Sozialen Arbeit hilfreich ist“, sagt der Psychologe. „Sie sind in der Suchtarbeit die mit Abstand relevanteste Berufsgruppe.“

    Vor seiner Berufung an die FH Münster hat der Wissenschaftler jahrelang intensiv zu Computerspielsucht und ihrer Prävention geforscht, zuletzt am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Dort hat er unter anderem eine vorbereitende Studie zum neuen Niedersächsischen Suchtpräventionskonzept angeleitet und ein psychologisches Testverfahren entwickelt, mit dem sich Gaming Disorder diagnostizieren lässt. Auch in seiner Habilitation hat er sich mit den Risikofaktoren und diagnostischen Kriterien von Computerspielsucht beschäftigt. „Wenn Kinder täglich länger als vier oder fünf Stunden vor dem Rechner sitzen, ihre Noten in der Schule immer schlechter werden und sie in der Freizeit nur noch das Zocken im Kopf haben, sollten Eltern hellhörig werden“, warnt der zweifache Vater. „Die Altersfreigabe der meisten Computerspiele spiegelt ihr Suchtpotenzial in keiner Weise wider. Die populäre Fußballsimulationsspielreihe FIFA zum Beispiel hat durch ihr Lootbox-System einen tendenziellen Glücksspiel-Charakter und ist trotz der Freigabe ‚ab 0 Jahren‘ für Kinder absolut ungeeignet.“

    In der Lehre legt Rehbein großen Wert darauf, bei den Studierenden einen eigenverantwortlichen Lernprozess anzustoßen: „Sie sollen sich intensiv mit relevanten Inhalten auseinandersetzen und ihr eigenes Methodenset für die berufliche Praxis entwickeln.“ Er freue sich darauf, gemeinsam mit den Studierenden konkrete Szenarien zu entwickeln, in denen sich die Ergebnisse seiner Forschungsarbeiten anwenden und umsetzen lassen.

    Pressestelle der FH Münster, 8.12.2021

  • „Das Leiden der Angehörigen – Wie Alkoholsucht Familien zerstört“

    Die Autorin Christina Rubarth hat den Deutschen Sozialpreis 2021 in der Sparte Hörfunk gewonnen. Die Jury des Medienpreises der Freien Wohlfahrtspflege zeichnet die Radiomacherin für ihr Feature „Das Leiden der Angehörigen. Wie Alkoholsucht Familien zerstört“ aus, das im Januar 2020 erstmals im Programm von Deutschlandfunk Kultur ausgestrahlt wurde.

    In Christina Rubarths Sendung bekommen diejenigen eine Stimme, deren Leiden beim Thema Alkoholismus oft übersehen wird: die Kinder, die Ehe- oder Lebenspartner. Alkoholsucht ist eine deutsche Volkskrankheit. Die Zahl der Angehörigen, die unter der Sucht der Abhängigen leiden, ist erschreckend. Knapp drei Millionen Kinder haben alkoholsüchtige Eltern, dazu kommen weitere Millionen Ehe- und Lebenspartner. Die wohl größte Hürde für alle ist, sich die Sucht des Abhängigen einzugestehen. Die Familienmitglieder leiden im Verborgenen. Die Abhängigkeit verfolgt die meisten ihr Leben lang, macht sie anfällig, selbst süchtig zu werden, psychisch zu erkranken – und nur wenige Kinder aus Suchtfamilien können ihr Leben ganz ohne Beeinträchtigungen weiterführen.

    Das Feature (Regie: Cordula Dickmeiß, Technik: Alexander Brennecke, Redaktion: Carsten Burtke) lässt Menschen zu Wort kommen, die oft unsichtbar bleiben. „Das Leiden der Angehörigen. Wie Alkoholsucht Familien zerstört“ wurde in der Sendung „Zeitfragen“ ausgestrahlt und ist weiterhin online abrufbar:

    Das Leiden der Angehörigen – Wie Alkoholsucht Familien zerstört (deutschlandfunkkultur.de)

    Der Deutsche Sozialpreis
    Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) verleiht seit 1971 jährlich den Deutschen Sozialpreis für herausragende Arbeiten zu sozialen Themen. Dabei steht die Wirkung auf das gesellschaftliche Bewusstsein im Mittelpunkt. Ausgezeichnet werden Beiträge in den Sparten Print, Hörfunk, Fernsehen und Online, die sich mit den besonderen Situationen oder Problemen Not leidender und sozial benachteiligter Menschen in Deutschland auseinandersetzen. Der mit jeweils 5.000 Euro dotierte Preis gilt als einer der wichtigsten Journalistenpreise in Deutschland. Die Verleihung fand am 20. Oktober 2021 in Berlin statt.

    Pressestelle von Deutschlandradio, 23.9.2021

  • Umfrage zum Thema Websites ambulanter Suchtberatungsstellen

    Im Rahmen ihrer Masterthesis im Studium Suchthilfe an der Katholischen Stiftungshochschule Nordrhein-Westfalen befasst sich Nikola Roth mit den Websites ambulanter Suchtberatungsstellen in Deutschland. Das Ziel ihrer Masterthesis ist es, Empfehlungen zur Erstellung oder Optimierung der Websites zu entwickeln. Hierzu ist die Sichtweise der Menschen, die diese Websites nutzen, um Unterstützung zu finden, sehr wichtig. Deshalb wurde eine Umfrage aufgesetzt, die sich an (potentielle) Klient:innen ambulanter Suchtberatungsstellen richtet.

    Zur Zielgruppe gehören Personen, die aktuell oder früher in problematischem oder abhängigem Maß

    • Alkohol
    • Tabak
    • illegale Drogen oder
    • Medikamente konsumieren/konsumiert haben oder
    • von einer Verhaltenssucht betroffen sind/waren oder
    • Angehörige*r von einer betroffenen Person sind.

    Wenn dies auf Sie zutrifft, sind Sie herzlich eingeladen, an der Umfrage teilzunehmen und die Masterarbeit zu unterstützen!

    Alle Angaben werden streng vertraulich behandelt und sind anonymisiert, und es können keine Rückschlüsse auf Ihre Person gezogen werden. Ihre Angaben werden ausschließlich für wissenschaftliche Zwecke im Rahmen dieses Projektes genutzt. Das Ausfüllen dauert maximal 10 Minuten.

    Die Umfrage findet sich unter folgendem Link: https://www.soscisurvey.de/suchtberatung2021/

    Die Umfrage ist seit dem 6.12.2021 online geschaltet und wird voraussichtlich zunächst bis zum 31.12.2021 verfügbar sein.

    Nikola Roth, 6.12.2021

  • Körperorientierte Techniken in der Schematherapie

    Beltz Verlag, Weinheim 2021, 168 Seiten mit E-Book inside und Arbeitsmaterial, 39,95 €, ISBN 978-3-621-28710-4

    Den Körper – somatische Empfindungen, Körperhaltung, Gestik und Mimik – systematisch in die Schematherapie einzubeziehen, kann sich im therapeutischen Prozess als ein wahrer Schatz erweisen. Um diesen in der Praxis zugänglich zu machen, präsentiert das Buch körpertherapeutische Techniken, die leicht erlernbar und gut modular einzubinden sind. Neben bewährten Übungen kommen Körperausdrucksmuster des „Alba Emoting“ zum Einsatz, mit dem Ziel, die Emotionswahrnehmung und -regulation zu fördern. Nach einführenden Kapiteln zur Schema- und Körperpsychotherapie wird praxisnah gezeigt, wann im Therapieverlauf und mit welchem Ziel die jeweilige Intervention für Schema-/Modusaktivierungen eingesetzt werden kann. Fotos zu zentralen Körperhaltungen und detaillierte Übungsanleitungen unterstützen die praktische Umsetzung.

  • Suchthilfe in Deutschland 2020

    Der aktuelle Jahresbericht der deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) ist im November 2021 erschienen. Wie in den Vorjahren werden die wichtigsten aktuellen Ergebnisse der Deutschen Suchthilfestatistik zusammengefasst. Im Jahr 2020 wurden in 854 ambulanten und 135 stationären Einrichtungen, die sich an der DSHS beteiligt haben, 315.586 ambulante Betreuungen und 33.880 stationäre Behandlungen durchgeführt. Die Suchthilfe in Deutschland zählt damit zu den größten Versorgungssystemen im Suchtbereich in Europa und weist eine hohe Qualifizierung und Differenzierung auf.

    Primäres Ziel dieses Jahresberichts ist eine breite Ergebnisdarstellung aktueller Daten der DSHS. Der Bericht bietet neben Informationen zu an der DSHS teilnehmenden Einrichtungen und dem Betreuungsvolumen einen Überblick über störungsbezogene und soziodemographische Merkmale der betreuten/behandelten Klientel sowie zu Merkmalen der Betreuung bzw. Behandlung.

    Ergänzend werden für ausgewählte Hauptmaßnahmen Auswertungen zu einigen wesentlichen Merkmalen erstellt. Wie in den letzten Jahren sind diese Hauptmaßnahmen: ambulante medizinische Rehabilitation (ARS), (Reha-)Nachsorge (NAS) sowie ambulant betreutes Wohnen (ABW) und Adaption (ADA). Anstelle der in den vergangenen Jahren betrachteten niedrigschwelligen Hilfen wurde dieses Jahr die Psychosoziale Begleitbetreuung Substituierter (PSB) adressiert, zudem wurden erstmalig wichtige Trends in der Zusammensetzung der Klientel und im Versorgungsgeschehen diskutiert.

    Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:

    Quelle: https://www.suchthilfestatistik.de/, 29.11.2021

  • Welt-Aids-Tag am 1. Dezember: HIV in Deutschland

    Im Epidemiologischen Bulletin 47/2021 hat das Robert Koch-Institut seine Schätzung der Zahl der HIV-Neuinfektionen im Jahr 2020 und der Gesamtzahl von Menschen, die Ende 2020 mit HIV in Deutschland leben, veröffentlicht.

    Zusammenfassung

    HIV-Diagnosen werden oft erst Jahre nach der Infektion gestellt. Die Routine-Surveillance auf Grundlage der Labormeldungen liefert deshalb nur begrenzte Informationen zur aktuellen Ausbreitung von HIV in Deutschland. Die Zahl der HIV-Neuinfektionen und die Gesamtzahl der Menschen, die mit HIV in Deutschland le­ben, können nur mit Hilfe von Modellrechnun­gen abgeschätzt werden.

    Die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutsch­land sowie bei Menschen deutscher Herkunft, die sich im Ausland mit HIV infiziert haben, wird für das Jahr 2020 auf 2.000 geschätzt und nimmt damit gegenüber 2019 (nach aktueller Schätzung 2.300 Neuinfektionen) ab.

    Die Anzahl der geschätzten HIV-Neuinfektio­nen bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) lag im Jahr 2020 bei etwa 1.100, ein Rückgang von 300 Neuinfektionen gegenüber dem Vorjahr. Im Jahr 2020 haben sich etwa 370 Menschen beim Gebrauch intravenöser Drogen mit HIV infiziert, diese Zahl steigt seit dem Jahr 2010 auf niedrigem Niveau an. Etwa 530 Menschen haben sich in Deutschland auf he­terosexuellem Weg mit HIV infiziert. Auch in dieser Gruppe sehen wir auf niedrigem Niveau seit 2013 einen Anstieg.

    Im Jahr 2020 wurden etwa 35 % der HIV-Infek­tionen (2020: N = 900; 2019: N = 1.100; 2018: N = 990) erst mit einem fortgeschrittenen Immun­defekt und etwa 18 % erst mit dem Vollbild AIDS (2020: N = 460; 2019: N = 510 2018: N = 460) diagnostiziert. Aufgrund des Rückgangs von Neuinfektionen steigt der Anteil der Diagnosen fortgeschrittener Infektionen seit dem Jahr 2014.

    Bis Ende 2020 stieg die Zahl der Menschen mit einer HIV-Infektion in Deutschland auf 91.400. Von diesen sind etwa 9.500 HIV-Infektionen noch nicht diagnostiziert. Während diese Zahl bei MSM zurückging, stieg sie in den anderen Gruppen an. Insgesamt sinkt die geschätzte Zahl der noch nicht diagnostizierten Infektionen seit dem Jahr 2010. Der Anteil der diagnostizierten HIV-Infektionen stieg an und liegt nun bei etwa 90 %, womit das vom gemeinsamen Programm der Vereinten Nationen für HIV/AIDS (UNAIDS) bis 2020 gesetzte Ziel knapp erreicht wäre.

    Seit 2015 empfehlen die HIV-Behandlungsleit­linien, jede diagnostizierte HIV-Infektion in Deutschland umgehend antiretroviral zu thera­pieren. Der Anteil der Menschen mit diagnos­tizierter HIV-Infektion, die eine antiretrovirale Therapie erhalten, ist von etwa 81 % im Jahr 2006 auf etwa 97 % im Jahr 2020 angestiegen. Etwa 96 % dieser Therapien verliefen erfolg­reich, d. h., es wurde eine Viruslast von weniger als 200 Viruskopien/ml Blut erreicht.

    Die aktuellen Daten legen die Schlussfolgerung nahe, dass der Ausbau von zielgruppenspezifi­schen Testangeboten und ein früherer Behand­lungsbeginn auch in Deutschland Erfolge ge­zeigt haben. Es bedarf aber weiterer Maßnah­men insbesondere zur weiteren Verbesserung der Testangebote und um den Zugang zur Therapie für alle in Deutschland mit HIV lebenden Menschen zu gewährleisten.

    Der beobachtete Rückgang von HIV-Neudiag­nosen und der geschätzte Rückgang von Neuin­fektionen könnten auf einer Verminderung von Übertragungsrisiken durch Einschränkung se­xueller Kontakte, verminderten Routinetestun­gen und damit Wegfall von Diagnosen, und si­cherlich zum Teil auch auf Verhinderung von Neuinfektionen durch HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe-(PrEP-)Gebrauch beruhen. Eine ge­nauere Quantifizierung dieser drei Einflussfak­toren ist derzeit noch nicht möglich.

    Der Einfluss der zunehmend vor allem von MSM verwendeten PrEP auf das Infektionsge­schehen kann auf Grund der Pandemie-assozi­ierten Veränderungen des Sexual- und Testver­haltens im Jahr 2020 nicht verlässlich einge­schätzt werden.

    Quelle: Epidemiologischen Bulletin, hrsg. v. Robert Koch-Institut, Berlin, 47/2021, S. 3

  • Religionssensible Psychotherapie und Psychiatrie

    Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2020, 246 Seiten, 35,00 €, ISBN 978-3-17-035625-2, auch als E-Book erhältlich

    Globalisierung und Migrationsbewegungen tragen zu einer verstärkten Beachtung religiöser und spiritueller Fragen in unserer Gesellschaft bei. Das bringt auch für die Psychotherapie und die psychiatrische Behandlung verschärfte Herausforderungen mit sich. In diesem Werk werden das Hintergrundwissen zu diesem Veränderungsprozess wie auch Krankheits- und Gesundungsmodelle der verschiedenen religiösen und spirituellen Traditionen vorgestellt und Beispiele angewandter religionssensibler Psychotherapie kritisch bewertet. Der Herausgeberband beleuchtet damit einen lange übergangenen und zunehmend wichtigen Aspekt psychotherapeutischer und psychiatrischer Praxis.

  • Suchthilfe ist für Menschen ohne Wohnung überlebenswichtig

    Fachgespräch auf dem Podium: Ziel ist eine bessere Kooperation zwischen Sucht- und Wohnungslosenhilfe

    „Da geht noch was!“ lautete der Titel einer Fachtagung, die am 4. November 2021 im Fachkrankenhaus Vielbach stattgefunden hat. 2010 wurde dort durch den Klinikleiter Joachim J. Jösch die „Initiative für das Recht auf Teilhabe von abhängigkeitskranken Wohnungslosen in Rheinland-Pfalz“ (TAWO-Initiative) gestartet. Die Übernahme der Schirmherrschaft durch die damalige Sozialministerin Malu Dreyer zeigte, welch hohe Relevanz die Politik dieser Teilhabe-Initiative beimisst. Nach zehn Jahren ist es Zeit, Bilanz zu ziehen, und so hatte das Fachkrankenhaus Vielbach namhafte rheinland-pfälzische Fachkräfte aus Wohnungslosenhilfe, Suchthilfe, Politik und Wissenschaft eingeladen, um über den aktuellen Stand und die Weiterentwicklung der Hilfen zu diskutieren.

    Menschen ohne Wohnung leben in gravierend-komplexen Problemlagen. Etwa zwei Drittel von ihnen sind suchtkrank und/oder psychisch krank. Ohne medizinische Behandlung sterben suchtkranke Wohnungslose meist früh, enden in psychiatrischen Einrichtungen oder in der Palliativmedizin.

    Im Vorfeld der Tagung hatten neue Erkenntnisse aus einer „Erhebung zur Suchthilfe für Wohnungslose“ dem Treffen Brisanz verliehen. Abhängigkeitskranke Klienten ohne Wohnung waren in drei rheinland-pfälzischen Suchthilfeeinrichtungen – Haus Eichen in der Mühle, Stationäre Vorsorge „Neue Wege“ sowie Fachkrankenhaus Vielbach – freiwillig und anonym zu ihrem Ausstieg aus Sucht und Wohnungslosigkeit befragt worden. Joachim J. Jösch stellte die Ergebnisse bei der Tagung vor. Die Auswertung von 117 Fragebögen ergab: 91 % der Antworter hatten schon vor dem Verlust der Wohnung zu viel Alkohol/Drogen konsumiert, 65 % hatten schon vor ihrer Wohnungslosigkeit psychische Probleme, und 82 % war klar, dass ihr Suchtproblem die Rückkehr in Wohnung und Arbeit stark behindert. 74,2 % gaben an, ihnen sei von der Wohnungslosenhilfe keine Hilfe wegen ihrer Suchtprobleme angeboten worden. Diese hohe Zahl machte den Tagungsteilnehmer*innen den großen Handlungsbedarf deutlich.

    Grundlagen für eine gelingende Suchthilfe-Kooperation

    Nach verschiedenen Einzelvorträgen zu den Themen Veränderungsmotivation, Förderung von gesellschaftlicher Teilhabe und Zu-, Aus- und Übergänge für wohnungslose Klient*innen wechselten die Referent*innen zu einem Fachgespräch aufs Podium. Ziel war es, Grundlagen für eine gelingende Suchthilfe-Kooperation schaffen.

    Dr. Dirk Kratz (Therapieverbund Ludwigsmühle) berichtete für die Landesstelle für Suchtfragen von zielgruppenspezifischen Angeboten der Suchtberatungsstellen im Land, von deren derzeitiger Netzwerkarbeit und dem Interesse an Kooperationen, die sozial Benachteiligte besonders fördern.

    Gabriel Blass vom Haus Eichen schilderte, wie das Hilfeangebot der Einrichtung schon Hunderten Wohnungslosen den Weg für einen suchtmittelfreien Neuanfang geebnet hat. Er bot Suchthilfe-Informationsgespräche in allen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe an.

    Joachim J. Jösch, Leiter des Sucht-Hilfe-Zentrums Vielbach, wies auf einen besonderen Glücksfall für rheinland-pfälzische Wohnungslose hin: In ihrem Bundesland liegt mit dem Fachkrankenhaus Vielbach die bundesweit einzige Suchtklinik, deren spezieller Auftrag die medizinische und soziale Rehabilitation suchtkranker Menschen ohne Wohnung ist. Er bot mehrtägige kostenfreie Schulungen in Motivierender Gesprächsführung sowie kostenfreie suchtmedizinische Schulungen für Mitarbeitende der Wohnungslosenhilfe an.

    Andreas Geiger, Joachim Grämer und Jennifer Möllers, Vertreter*innen der Fachgruppe Wohnungslosenhilfe in der LIGA Rheinland-Pfalz, informierten über vielfältige suchtbezogene Kooperationen ihrer Einrichtungen. Wegen knapper Personalressourcen sowie zunehmend komplexer psychischer Störungen der Klienten seien mehr Suchthilfe und spezifische Hilfen nur schwer leistbar. Konkrete Suchthilfe-Kooperationen, die Klient*innen niedrigschwellige Auswege ermöglichen, seien aber erwünscht.

    Olaf Noll, Abteilungsleiter im rheinland-pfälzischen Sozialministerium, bekundete das große Interesse der Landesregierung an einer nachhaltigen Kooperation zugunsten der suchtkranken Wohnungslosen. Er lobte das langjährige Engagement der Vielbacher Gastgeber, die Lebens- und Teilhabechancen dieser Menschen zu verbessern, und versprach, die sich anbahnende Kooperationsvereinbarung nachhaltig zu unterstützen.

    Moderiert wurde die Tagung von Professor Robert Frietsch vom Institut für Forschung und Weiterbildung (IFW) der Hochschule Koblenz. Der ehemalige Drogenbeauftragte des Landes ist durch langjährige Forschungsarbeit mit der Wohnungslosenhilfe fachlich sehr verbunden.

    Es wurde abschließend vereinbart, dass als Ergebnis dieser Fachtagung ein Entwurf einer Sucht- und Wohnungslosenhilfe-Vereinbarung zur Verstetigung einer nachhaltigen fachlichen Kooperation erarbeitet wird. Mit dem Sozialministerium abgestimmt, soll diese dann zur landesweiten Anwendung kommen.

    Link zum Tagungsflyer

    Joachim J. Jösch, Leiter des Sucht-Hilfe-Zentrums Vielbach, 17.11.2021