Autor: Simone Schwarzer

  • Bundesmodellprojekt aktionberatung

    Das Bundesmodellprojekt aktionberatung hat zum Ziel, Fachkräfte der Sucht- und Eingliederungshilfe in ihren Handlungskompetenzen zu stärken, um Menschen mit geistiger Beeinträchtigung und problematischem Substanzkonsum gemeinsam personenzentriert zu beraten bzw. zu betreuen (KONTUREN online berichtete am 3.12.2020).

    Nun stellt das Bundesmodellprojekt zwei neue Entwicklungen vor: Seit dem 31. Mai ist die Datenbank aktionberatung auf der Internetseite des Projektes (www.aktionberatung.de) veröffentlicht. Darin sind Kontaktdaten von ambulanten und stationären Suchthilfeeinrichtungen, die Menschen mit geistiger Beeinträchtigung beraten und/oder betreuen, zusammengestellt. Zudem stehen Materialien, Medien und Techniken, die für die Informations-, Präventions-, Beratungs- und Betreuungsarbeit mit der Zielgruppe angepasst wurden, zur Verfügung. Ein Literaturverzeichnis beinhaltet Literatur, die speziell das Thema „Sucht und geistige Beeinträchtigung“ behandelt, sowie Grundlagenliteratur zu den beiden Themenbereichen. Außerdem bietet die Datenbank die Möglichkeit, Kontakt zu Expertinnen und Experten sowie zu Referentinnen und Referenten zum Themenkomplex „Sucht und geistige Beeinträchtigung“ aufzunehmen.

    Die zweite Neuentwicklung des Bundesmodellprojektes ist die Fortsetzung des Beratungshandbuchs. Dieser zweite Teil ist als Materialien-Sammelordner konzipiert und wird fortlaufend ergänzt. Einige der Arbeitsmaterialien zur Suchtberatung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung lagen bereits im ersten Teil des Beratungshandbuchs vor. Im Laufe der Weiterentwicklung des Beratungskonzepts am Modellstandort Wiesbaden konnten weitere Materialien entwickelt werden, welche im zweiten Teil des Beratungshandbuches zusammengefasst wurden. Der Materialien-Sammelordner soll Praktiker*innen Tipps zur Beratungs- und Betreuungsarbeit geben sowie mit Hintergrundinformationen versehene Materialien zur Verfügung stellen. Die eingestellten Dokumente sind so gekennzeichnet, dass sich die Nutzer*innen bedarfsorientiert einen eigenen Ordner anlegen können.

    Bereits im Februar 2021 wurden zudem Erklärvideos in leichter Sprache mit Informationen zu Suchtmitteln und zu suchtspezifischen Themen auf dem YouTube-Kanal des Bundesmodellprojektes veröffentlicht.

    Die im Bundesmodellprojekt aktionberatung erarbeiteten Ergebnisse sollen einen Beitrag zur Verbesserung der Situation von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung und problematischem Substanzkonsum leisten. Das Team steht für die Kontaktaufnahme gerne zur Verfügung:

    Pressemitteilung von aktionberatung, 1.6.2021

  • Cochrane Review: Nichtrauchen macht glücklich!

    Ein am 9. März 2021 in der Cochrane Library veröffentlichter systematischer Review zeigt, dass der Entschluss, mit dem Rauchen aufzuhören, nicht nur gut für den Körper, sondern auch die Seele ist. Ängste, Depressionen und Stress gingen den untersuchten Studien zufolge nach einem Rauchstopp zurück. Zudem sprechen die Ergebnisse gegen die Sorge mancher Raucher und Raucherinnen, dass ihre sozialen Beziehungen unter dem Tabak-Ausstieg leiden könnten.

    Rauchen ist die weltweit führende Ursache für vermeidbare Krankheiten und Todesfälle. Einer von zwei Rauchern wird an einer rauchbedingten Krankheit sterben, wenn sie nicht aufhören. Manche Menschen glauben, dass Rauchen Stress und andere psychische Symptome reduziert und dass ein Rauchstopp deshalb ihre psychischen Probleme verschlimmern könnte. Zudem machen sich manche Raucher auch Sorgen, dass ein Rauchstopp negative Auswirkungen auf ihr Sozialleben und ihre Freundschaften haben könnte.

    Der neue Cochrane Review ergab dagegen, dass Menschen, die mindestens sechs Wochen lang mit dem Rauchen aufhörten, weniger Depressionen, Ängste und Stress erlebten als Menschen, die weiter rauchten. Menschen, die mit dem Rauchen aufhörten, erlebten auch mehr positive Gefühle und ein besseres psychisches Wohlbefinden. Das Aufgeben des Rauchens hatte keinen Einfluss auf die Qualität der sozialen Beziehungen. Es ist den Ergebnissen zufolge sogar möglich, dass der Rauchstopp mit einer kleinen Verbesserung des sozialen Wohlbefindens verbunden ist.

    Der Cochrane Review fasst die Ergebnisse von 102 Beobachtungsstudien mit über 169.500 Personen zusammen. Die Autoren der Übersichtsarbeit kombinierten die Ergebnisse von 63 dieser Studien. Diese Studien verglichen die Veränderungen der psychischen Gesundheitssymptome bei Personen, die mit dem Rauchen aufhörten, mit Veränderungen bei Personen, die weiterhin rauchten. Außerdem kombinierten sie die Ergebnisse von zehn Studien, in denen erfasst wurde, wie viele Personen während der Studie eine psychische Störung entwickelten. Die Studien umfassten ein breites Spektrum von Personen, einschließlich Menschen mit psychischen Erkrankungen und Menschen mit langfristigen körperlichen Erkrankungen. Die Dauer der Nachbeobachtung variierte, wobei die kürzeste Studie sechs Wochen betrug, einige Studien aber auch bis zu sechs Jahre lang durchgeführt wurden. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz nach GRADE reichte von sehr gering bis moderat.

    „Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein Rauchstopp im Durchschnitt mit kleinen bis mäßigen Verbesserungen der Stimmung verbunden war. Dieser Nutzen der Rauchentwöhnung scheint bei verschiedenen Gruppen ähnlich zu sein. Vor allem gibt es keinen Grund zu befürchten, dass sich der Gesundheitszustand von Menschen mit psychischen Erkrankungen verschlechtert, wenn sie mit dem Rauchen aufhören“, sagt Gemma Taylor von der Addiction & Mental Health Group an der University of Bath in England, die Hauptautorin dieses Reviews, an dem neun weitere Forscher und Forscherinnen der Universitäten Bath, Birmingham, Oxford und der New York University mitwirkten.

    „Unser Vertrauen in die genaue Größe des Nutzens ist aufgrund der Art und Weise, wie die Studien angelegt waren, begrenzt. Zukünftige Studien, die diese Probleme überwinden, können die Evidenz über die Auswirkungen einer Rauchentwöhnung auf die psychische Gesundheit erheblich stärken.“

    Viele Raucher seien besorgt, dass der Rauchstopp ihre sozialen Netzwerke stören und zu Gefühlen der Einsamkeit führen könnte, so Taylor weiter. „Der Rauchstopp scheint aber keine negativen Auswirkungen auf die soziale Lebensqualität zu haben. Viele Menschen befürchten auch, dass das Aufhören mit dem Rauchen Stress bedeutet. Die Evidenz zeigt, dass Stress bei Menschen, die mit dem Rauchen aufhören, reduziert wird und dass es wahrscheinlich längerfristige Vorteile für die psychische Gesundheit der Menschen gibt.“

    Originalpublikation:
    Taylor GMJ, Lindson N, Farley A, Leinberger-Jabari A, Sawyer K, te Water Naudé R, Theodoulou A, King N, Burke C, Aveyard P. Smoking cessation for improving mental health. Cochrane Database of Systematic Reviews 2021, Issue 3. Art. No.: CD013522. DOI: 10.1002/14651858.CD013522.pub2.

    Pressestelle von Cochrane Deutschland, 9.3.2021

  • Alkoholanreize auf den Wegen von 16- bis 19-jährigen Jugendlichen

    Eine Pilotstudie von Sucht Schweiz hat die Alkoholanreize auf den Wegen von 16- bis 19-jährigen Jugendlichen im Alltag und in den sozialen Netzwerken nachgezeichnet. Im Schnitt begegneten die Testpersonen in den fünf größten Schweizer Städten alle fünf Minuten einem Alkoholanreiz. Auch in den sozialen Netzwerken war der Alkohol allgegenwärtig, transportiert durch Freunde und Influencer, welche oft dafür bezahlt werden. Die Studie hat die erschreckende Normalität des Alkohols im Alltag der Jugendlichen aufgezeigt.

    Das Alkoholmarketing zielt stark auf Jugendliche, da diese die Kunden und Kundinnen von morgen sind. Eine durch die Eidgenössische Zollverwaltung finanzierte Pilotstudie von Sucht Schweiz ist der Frage nachgegangen, wie stark die Jugendlichen den Alkohol-Stimuli tatsächlich ausgesetzt sind. Die Studienanlage orientierte sich teilweise an einer früheren Untersuchung zum Tabakmarketing: Es wurden auch hier die in Genf, Lausanne, Bern, Basel und Zürich zurückgelegten typischen Wege und Aktivitäten der Jugendlichen nachgezeichnet. Dabei wurden alle angetroffenen Alkoholanreize systematisch erfasst. Zusätzlich wurden neu auch die in den sozialen Netzwerken angetroffenen Alkoholanreize von den Jugendlichen aufgezeichnet.

    Mindestens die Hälfte der Anreize ist so gewollt

    Im Schnitt wurden die Wege (inklusive der Aktivitäten wie Sport, Kino, Restaurant etc.) innert jeweils sechs Stunden zurückgelegt. Pro Weg wurden 73 Alkohol-Stimuli verzeichnet, das heißt also im Schnitt alle fünf Minuten eine Erinnerung an den Alkohol! Außerdem lief die Untersuchung im Herbst 2020 und fiel damit in eine Zeit, in der die Covid-Maßnahmen wieder strenger wurden und die Ausgangslokale wieder schlossen und auch weniger Veranstaltungen im öffentlichen Raum stattfanden. Es ist davon auszugehen, dass die Werbetätigkeit in dieser Zeit entsprechend zurückgefahren worden ist.

    Die Hälfte der verzeichneten Stimuli betrafen Alkoholwerbung oder Verkaufsförderung von Alkoholika. Die andere Hälfte setzte sich aus scheinbar zufälligen Alkohol-Stimuli zusammen: leere Flaschen und Büchsen im öffentlichen Raum, Darstellungen, in denen Alkohol eine Rolle spielt (z. B. ein Anlass, zu dem getrunken wird), Angebot auf einer Speisekarte etc.

    Zusätzlich sollten alle wahrgenommenen Präventionsbotschaften erfasst werden. Doch es stellte sich heraus, dass diese auf den Wegen der jungen Menschen fast gänzlich fehlten.

    In den sozialen Medien: Die Macht der Bilder und der Influencer*innen

    Das Alkoholmarketing hat sich teilweise ins Internet verlagert. 85 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren verbrachten 2019 eine Stunde oder mehr pro Tag im Internet, der größte Teil von ihnen ist auch in sozialen Netzwerken unterwegs, was in der Pandemiezeit wahrscheinlich noch zugenommen hat. Vor allem auf Snapchat, Instagram und Tiktok erhalten sie zahlreiche Bilder und Botschaften aus dem Freundeskreis und von Bekannten, die Alkohol zum Thema haben. Auffällig ist auch die Alkoholwerbung durch Influencer*innen.

    Eine den Alkohol banalisierende Gesellschaft schützt ihre Jugend nicht

    Die Resultate dieser Pilotstudie zeigen eindrücklich, wie stark schon Jugendliche mit Alkohol konfrontiert werden. Dass Alkohol dazugehört, wird für sie normal. Dies ist bedenklich in Anbetracht der rund 400 Jugendlichen, die in der Schweiz pro Jahr wegen Alkoholvergiftung ins Spital eingeliefert werden. Ein großer Teil der gefundenen Alkohol-Stimuli ist bewusst platziert, oder es wird zumindest toleriert, dass auch Jugendliche beworben werden. Sucht Schweiz ruft deshalb dazu auf, die Maßnahmen zum Schutz der Jugendlichen zu verstärken. Dazu zählen die Einschränkung der Alkoholwerbung und damit die Reduktion der Attraktivität des Alkohols bei den Jugendlichen.

    Der Bericht zur Pilotstudie in französischer Sprache steht auf der Website von Sucht Schweiz zur Verfügung.

    Pressestelle von Sucht Schweiz, www.suchtschweiz.ch, 11.5.2021

  • Verbesserung der beruflichen Teilhabe von abhängigkeitserkrankten Menschen

    Unter Federführung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS) haben fünf sektorenübergreifende und interdisziplinäre Arbeitsgruppen Empfehlungen zur Verbesserung der beruflichen Teilhabe von abhängigkeitserkrankten Menschen entwickelt. Diese wurden im März 2021 in einer Broschüre mit dem Titel „Berufliche Teilhabe von abhängigkeitserkrankten Menschen. Weiterentwicklung der Zusammenarbeit im SGB II und SGB III in NRW. Empfehlungen und Umsetzungshinweise für die Praxis“ veröffentlicht. Die Empfehlungen beziehen sich auf folgende Handlungsfelder:

    1. Umgang mit Verdachtssituationen
    2. Zugangswege zur medizinischen Rehabilitation einschließlich Erprobung des Sonderweges („Verfahren ohne Sozialbericht“)
    3. Zusammenarbeit während der medizinischen Rehabilitation
    4. Überleitung und Anschlussangebote
    5. Institutionenübergreifende Zusammenarbeit

    Die Handlungsempfehlungen sollen helfen,

    • für mehr Personen einen frühzeitigen Zugang zur Suchtberatung und zu suchtmedizinischen Leistungen, einschließlich Rehabilitationsleistungen, zu schaffen,
    • den Rehabilitationserfolg durch eine nachhaltige Betreuungs- und Eingliederungsstrategie zu erhalten sowie
    • die Expertise aller an der Betreuung abhängigkeitserkrankter Menschen im SGB II und SGB III beteiligten Fachleute zu verknüpfen.

    Zu allen genannten Handlungsfeldern werden systematisch konkrete Umsetzungshinweise gegeben und Materialien (Formulare, Anträge, Fragebögen, Checklisten u.Ä.) zur Verfügung gestellt. Die Broschüre kann als PDF auf der Homepage des MAGS heruntergeladen werden.

    Quelle: MAGS (2021), Berufliche Teilhabe von abhängigkeitserkrankten Menschen. Weiterentwicklung der Zusammenarbeit im SGB II und SGB III in NRW, S. 7
    Redaktion KONTUREN, 28.5.2021

  • Psychische Gesundheit durch Bewegung

    Beltz Verlag, Weinheim 2020, 200 Seiten mit E-Book inside und Arbeitsmaterial, 44,95 €, ISBN 978-3-621-28754-8

    Die therapeutische Wirkung von Sport ist für verschiedene psychische Erkrankungen vielfach belegt. Die körperliche Aktivierung der Patient*innen kann zu einer Verbesserung des psychischen Befindens beitragen. Damit die sportliche Aktivität in den Alltag integriert wird, sind störungsübergreifende und -spezifische Aspekte von Motivation und Aktivierung entscheidend.

    Auf dieser Grundlage wurde das verhaltenstherapeutische Bewegungsprogramm „ImPuls“ für Patient*innen mit Depressionen, Angststörungen und Schlafstörungen entwickelt. Es verbindet Gruppentherapie mit Ausdauersport und zielt darauf ab, Sport und Bewegung schnell in den Alltag zu integrieren. Das Programm ist stark strukturiert, kann aber auch modulartig eingesetzt werden.

  • Suizidsterblichkeit während des ersten Corona-Lockdowns

    Eine Forschungsgruppe der Universitätsmedizin Leipzig hat die Suizide in der Stadt während der Frühphase der COVID-19-Pandemie ausgewertet und keine erhöhten Suizidraten festgestellt. Das Ergebnis dieser regionalen Studie deckt sich mit einer aktuell veröffentlichten internationalen Arbeit, die Daten aus 21 Ländern zur Suizidsterblichkeit während der Pandemie metaanalytisch ausgewertet hat.

    In Leipzig lag die Suizidrate während der Frühphase der COVID-19-Pandemie im Bereich der Vorjahre. Das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitätsmedizin Leipzig um Studienleiter Dr. Daniel Radeloff in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt Leipzig herausgefunden und kürzlich in der Fachzeitschrift „Epidemiology and Psychiatric Sciences“ veröffentlicht. In der Studie wurden die Suizid-Sterbeziffern der Monate März bis September 2020 mit den Daten der Vorjahre verglichen, wobei saisonale Schwankungen der Suizidraten und tendenziell sinkende Suizid-Sterbeziffern in Deutschland berücksichtigt wurden.

    „Die Ergebnisse unserer Studie stellen eine Momentaufnahme mit regionalem Bezug dar. Aber auch die verfügbaren internationalen Daten belegen, dass das Suizidrisiko in der Frühphase der Pandemie nicht anstieg“, so Dr. Radeloff. Der an der Studie beteiligte Psychiater Rainer Papsdorf fügt hinzu: „Das kann sich im Zuge der weiteren Entwicklung der Pandemie aber durchaus ändern. Risikofaktoren für Suizid können zunehmen: etwa in Form steigender Arbeitslosigkeit, erhöhten Suchtmittelkonsums, Vereinsamung oder höherer Prävalenzraten psychischer Erkrankungen.“ Daher sei es wesentlich, die Entwicklung der Suizidraten weiterhin zu beobachten und Spekulationen durch wissenschaftliche Evidenz zu ersetzen.

    Überrascht waren die Forscher darüber, dass während des ersten Lockdowns niedrigere Suizidraten als in den Vormonaten der Pandemie registriert wurden. Dieser Unterschied ist vorwiegend auf hohe Suizidraten im Januar und Februar 2020 zurückzuführen. Während des Lockdowns könnten aber auch protektive Faktoren eine Rolle gespielt haben: So kann eine existenzielle äußere Bedrohung wie die Corona-Pandemie zu einer kurzzeitigen Zunahme des gesellschaftlichen Zusammengehörigkeitsgefühls führen – das gilt als wichtiger schützender Faktor gegenüber Suizid.

    Die Leipziger Regionaldaten zur Suizidsterblichkeit im Zusammenhang mit COVID-19 haben in eine internationale Studie Eingang gefunden, die kürzlich in der Fachzeitschrift „Lancet Psychiatry“ veröffentlicht wurde. Die Autoren der Metaanalyse berichten ebenfalls unveränderte Suizidraten während der Frühphase der Pandemie. Neben der Leipziger Erhebung sind deutsche Regionaldaten aus Frankfurt, Köln sowie Leverkusen in die Studie eingeflossen und wurden gemeinsam mit rund 40 Datensätzen aus 21 Ländern ausgewertet. Im Rahmen des Forschungsverbunds „International COVID-19 Suicide Prevention Research Collaboration (ICSPRC)“ wird ein zeitnahes Monitoring der Suizidraten während der Pandemie angestrebt. Nationale Todesursachenstatistiken werden häufig mit einem Verzug von vielen Monaten veröffentlicht. Die ICSPRC verfolgt deshalb den Ansatz, schnell verfügbare internationale Daten zusammenzuführen und metaanalytisch auszuwerten.

    Radeloff, Oberarzt am Universitätsklinikum Leipzig in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters, betont: „Menschen in psychischen Notlagen können sich während der Pandemie weiterhin an die psychotherapeutischen und psychiatrischen Einrichtungen wenden. Die Versorgung ist sichergestellt und in einigen Standorten um telemedizinische Angebote erweitert worden.“

    Originalpublikationen:

    • Trends in suicide rates during the COVID-19 pandemic restrictions in a major German city, in: Epidemiology and Psychiatric Sciences. doi.org/10.1017/S2045796021000019
    • No evidence of a significant increase in risk of suicide in first months of the pandemic, but continued monitoring needed, in: The Lancet Psychiatry. doi.org/10.1016/S2215-0366(21)00091-2

    Pressestelle der Universität Leipzig, 14.4.2021

  • Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie

    Der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT) am 17. Mai macht auf Diskriminierungen gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt aufmerksam. Aus diesem Anlass informiert LIEBESLEBEN, eine Initiative der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zur Förderung sexueller Gesundheit, über die Gefahren so genannter Konversionsbehandlungen. Diese zielen darauf ab, die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität einer Person zu ändern oder zu unterdrücken. Seit dem Jahr 2020 sind Konversionsbehandlungen für Jugendliche in Deutschland gesetzlich verboten.

    Prof. Dr. Martin Dietrich, Kommissarischer Direktor der BZgA: „Zum Auftrag der BZgA-Initiative LIEBESLEBEN zählt, Jugendliche, die potenziell mit Konversionsbehandlungen konfrontiert sein könnten, zu informieren und zu unterstützen. Zielsetzung dabei ist, Selbstbestimmungsrechte zu stärken sowie Akzeptanz zu fördern und dazu auch den Freundeskreis, die Familie und Personen im schulischen Umfeld zu erreichen. Deshalb stellt die Initiative LIEBESLEBEN zum Thema Konversionsbehandlungen auf www.liebesleben.de und in den sozialen Netzwerken Informationen und Hinweise auf Beratungsangebote zur Verfügung.“

    Schwerwiegende Folgen von Konversionsbehandlungen

    Gutachten belegen, dass Konversionsbehandlungen einen erheblichen Eingriff in die Gesundheit der Betroffenen darstellen. Sie haben schädliche Effekte auf die individuelle Psyche und können zu Ängsten, Isolation und Depressionen führen. Die von der Bundesrepublik Deutschland gegründete Bundesstiftung Magnus Hirschfeld geht für Deutschland von mindestens 1.000 Behandlungsversuchen gegen die sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung jährlich aus.

    Deutschland mit Vorreiterrolle beim Schutz vor Konversionsbehandlungen

    Bereits die grundlegende Annahme einer Behandlungsbedürftigkeit sexueller Orientierungen oder geschlechtlicher Identitäten widerspricht internationalen Standards, etwa denen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Konversionsbehandlungen sind daher in vielen Ländern in der Diskussion und teilweise geächtet oder indirekt verboten. Ein landesweites gesetzliches Verbot, wie es in Deutschland für Jugendliche besteht, gibt es bislang weltweit nur in sehr wenigen Ländern.

    Pressestelle der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), 12.5.2021

  • Therapie-Tools Kaufsucht

    Beltz Verlag, Weinheim 2020, 127 Seiten mit E-Book inside und Arbeitsmaterial, 39,95 €, ISBN 978-3-621-28661-9

    „Shoppen“ ist für viele ein Genuss. Aber ca. fünf Prozent der Bevölkerung sind gefährdet, eine Kaufsucht zu entwickeln. Einkaufen wird zum Rausch. Auf die Glücksgefühle folgen Gewissensbisse und Scham, auch entstehen soziale, finanzielle oder gar juristische Probleme. Kaufsucht wird in Psychotherapie und Beratung immer häufiger Thema – als eigener Behandlungsanlass oder komorbid mit anderen psychischen Störungen wie z. B. Depression.

    Wie ist Kaufsucht zu diagnostizieren? Wie können Betroffene zu einer Verhaltensänderung motiviert werden und welche Veränderungsstrategien gibt es? Was ist bei Rückfällen zu tun? Dieser Band bietet nach bewährtem Therapie-Tools-Konzept einen umfangreichen Fundus an Materialien für alle Phasen der Therapie von der Diagnostik bis zur Rückfallprophylaxe, unterfüttert mit kompakten Theorieeinheiten. Neben den klassischen verhaltenstherapeutischen Techniken kommen auch imaginative Verfahren, Motivational Interviewing und Werteklärung zum Einsatz.

  • Der Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland

    Der Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland

    Dr. Kai W. Müller

    Unter der Bezeichnung „Störung durch Glücksspielen“ wird die unkontrollierte und zu negativen Folgeerscheinungen führende Nutzung von unterschiedlichen Glücksspielangeboten erstmals als eine Variante einer substanzungebundenen Abhängigkeitserkrankung (Verhaltenssucht) im ICD-11 (International Classification of Diseases, Weltgesundheitsorganisation, 2019) aufgeführt. Die Definition des Störungsbildes richtet sich somit nach den gängigen Kriterien von Abhängigkeitserkrankungen allgemein. Als diagnostisches Gerüst gelten die Kriterien der Priorisierung der Glücksspielnutzung vor anderen Lebensbereichen und Aktivitäten, eine verminderte Kontrolle über Art und Umfang der Glücksspielteilnahme und deren Fortführung trotz damit in Zusammenhang stehender negativer Konsequenzen.

    Besagte negative Konsequenzen können sich auf alle Lebensbereiche Betroffener beziehen, wie aus zahlreichen epidemiologischen und klinischen Studien bekannt ist (z. B. PAGE-Studie, 2011). Dazu gehören beispielsweise finanzielle Probleme, die durch ein immer risikoreicheres und intensiviertes Spielverhalten in oftmals ganz erheblicher Form auftreten. Ebenso gehen nachhaltige Schwierigkeiten in der Lebensführung und ausgeprägte soziale Konflikte mit der Erkrankung einher. Daneben ergeben sich auch Folgen für die psychische, aber auch körperliche Gesundheit: Unter Betroffenen sind psychopathologische Symptome (wie etwa erhöhte Stressbelastung und depressive Symptome) und psychische Begleiterkrankungen (hier etwa erhöhte Komorbidität für Angststörungen, affektive Störungen und Persönlichkeitsstörungen) im Vergleich zur gesunden Allgemeinbevölkerung um ein Vielfaches erhöht, und auch Zusammenhänge mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten scheinen mittlerweile gesichert (vgl. z. B. Müller & Wölfling, 2019).

    Der Glücksspielstaatsvertrag: Glücksspielen in geordneten Bahnen

    Aus dieser knappen Ausführung wird ersichtlich, dass es sich bei Glücksspielen eben nicht um reine Unterhaltungsprodukte handelt, sondern sich aus ihrer Nutzung ernste Beeinträchtigungen ergeben können, zumindest wenn die bewusste Kontrolle über das Spielverhalten verloren gegangen ist. Dementsprechend existiert in Deutschland ein weites Netz an unterschiedlichen Anlaufstellen für Betroffene, welches Selbsthilfe, niederschwellige Beratungsangebote, ambulante Psychotherapien und stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sowie Nachsorgeangebote umfasst. Hier finden Menschen Hilfe, die bereits eine problematische oder auch suchtartige Glücksspielnutzung entwickelt haben. Die Versorgung bereits Betroffener ist natürlich wichtig, der Vorbeugung von neuen Erkrankungsfällen muss jedoch eine ebenso hohe Bedeutung beigemessen werden. Ein wesentlicher Baustein hierzu ist im so genannten Glücksspielstaatsvertrag (Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland; GlüStV) zu sehen, in welchem bundeseinheitliche Regularien für das Betreiben und die Nutzung von Glücksspielen in Deutschland festgehalten werden. Die erste Fassung des Glücksspielstaatsvertrags trat bereits im Jahre 2008 in Kraft, es folgten verschiedene Novellierungen, bis schließlich der „Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland“ (GlüStV 2021) ratifiziert wurde und nun zum 1.7.2021 offiziell in Kraft treten wird.

    Der Grundgedanke des ursprünglichen Glücksspielstaatsvertrags bestand darin, verbindliche Rahmenbedingungen zu definieren, die das Betreiben und die Nutzung von Glücksspielen ermöglichen. Schon die erste Fassung des GlüStV berücksichtigte Fragen nach der Verhältnis- und Verhaltensprävention einer Störung durch Glücksspielen. Hierunter fallen beispielsweise die Regulierung der Angebotsdichte (Anzahl von zulässigen Spielbetrieben) und die Möglichkeit, eine Sperrung der Teilnahme am Spielbetrieb zu veranlassen. Mit der nun verabschiedeten Neuregulierung gehen im Vergleich zu den vorherigen Fassungen teils erhebliche Änderungen einher, deren Bedeutung speziell für den Spielerschutz im Folgenden umrissen und hinsichtlich ihrer Relevanz und potenziellen Auswirkungen kommentiert werden soll.

    Der Status des Internetglücksspiels

    Eine sehr wesentliche Veränderung bezieht sich auf den zuvor wenig regulierten Markt der internetbasierten Glücksspiele. Mit der zunehmenden Verbreitung des Internets geht schon seit vielen Jahren der Trend einher, dass sich auch das virtuelle Glücksspiel stark ausdifferenziert hat. So sind es längt nicht mehr nur Pokerportale und Sportwetten, die im virtuellen Raum zugänglich sind, sondern komplette virtuelle Casinos und Automatenspiele erweitern das Angebot. Die Neufassung des Glücksspielstaatsvertrags sieht nun vor, diesen Markt explizit zu berücksichtigen. Dies ist gleichbedeutend mit einer Zulassung von Online-Automatenspielen und berechtigt die Bundesländer auch dazu, Konzessionen für Online-Casinos zu vergeben. Da jene internetbasierten Glücksspielangebote natürlich unabhängig vom Glücksspielstaatsvertrag bereits im Internet verfügbar waren, wird durch diese Entscheidung das faktische Angebot an Glücksspielformen zwar nicht wirklich größer, es könnte aber präsenter und somit auch für weitere Zielgruppen interessant werden, die sich vorher aus dieser „Grauzone“ herausgehalten haben. Diese Neuregelung hat also nicht zur Folge, dass es mehr Glücksspiele geben wird, wohl aber, dass nun mehr legale Formen zur Verfügung stehen.

    Diese grundlegende Änderung ist aus suchtpsychologischer Sicht hoch relevant. Bei internetbasierten Glücksspielen, allen voran Online-Casinos und Online-Automatenspiele, handelt es sich um Varianten von Glücksspielen, die mit erhöhten Raten an Kontrollverlust und entsprechend hohen finanziellen Verlusten einherzugehen scheinen. In vielen Beratungsstellen und klinischen Versorgungseinrichtungen lässt sich eine steigende Anzahl von Betroffenen feststellen, die vornehmlich internetbasierte Glücksspiele suchtartig nutzen. Auch höhere finanzielle Verluste bei einer Präferenz für Internetglücksspiele wurden und werden immer wieder berichtet. Zumindest um den letzten Aspekt aufzufangen, sieht der neue Glücksspielstaatsvertrag die Einrichtung einer Art zentralen Registers, der so genannten Limitdatei, vor. Hintergrund für diese Datei ist, dass es bei der Teilnahme an Internetglücksspielen ein finanzielles Limit geben soll, welches sich auf die Höchstsumme von 1.000 Euro Einsatz pro Monat beläuft. Auch wenn für einen nicht unerheblichen Teil der Spielenden diese Summe bereits mehr als ausreichend sein dürfte, um sich bei gegebenem Kontrollverlust und anderen Symptomen einer suchtartigen Nutzung in ernsthafte finanzielle Nöte zu bringen, ist diese begrenzende Maßnahme doch grundsätzlich zu begrüßen.

    Der Stellenwert der Selbstsperre

    Eine weitere wesentliche Neuregelung betrifft das Instrument der Spielersperre. Die Möglichkeit, sich selbst von der Teilnahme an Glücksspielen ausschließen zu können (Selbstsperre), stellt ein ganz zentrales Element des Spielerschutzes dar. Diese Möglichkeit war bereits in den früheren Fassungen des Glücksspielstaatsvertrags gegeben, jedoch wurde sie nun um entscheidende Aspekte erweitert. Das neu definierte Spielersperrsystem sieht vor, dass eine Sperre spielformübergreifend erwirkt wird. Personen, die für sich eine Gefährdung erkannt haben, können im Falle einer erwirkten Sperre also beispielsweise nicht mehr nur in Spielbanken keine Glücksspiele mehr tätigen, sondern sind automatisch auch von Spielhallen, Sportwetten und allen Formen internetbasierter Glücksspiele ausgeschlossen.

    Technisch ermöglicht wird dies über eine so genannte zentrale Spielersperrdatei, für welche sich natürlich datenschutzrechtliche Fragen stellen. Inhaltlich ist der Schritt zu begrüßen, eine Sperre nicht wie zuvor nur auf einzelne Spielformen oder gar örtliche Spielstätten zu begrenzen. Ein „Drift“ gefährdeter Personen zu anderen Glücksspielformen ist hierdurch deutlich unwahrscheinlicher als zuvor. Kritisch zu bewerten ist hingegen die Neuregelung hinsichtlich einer Aufhebung der Sperre. Laut Glücksspielstaatsvertrag sind nunmehr keine besonderen Nachweise wie etwa psychologische Gutachten erforderlich, um eine Sperre zu beenden. Begründet wird dieser Umstand damit, dass subjektive Hürden für die Beantragung eine Sperre gesenkt werden sollen und dass darüber hinaus Personen, welche Gutachten über eine etwaige Spielsuchtgefährdung ausstellen, vor möglichen Regressansprüchen geschützt werden sollen.

    Grundsätzlich stellt eine externe Einschätzung des Gefährdungspotenzials einer Person eine schwierige Herausforderung dar. Eine bereits bestehende Störung durch Glücksspielen kann natürlich anhand der diagnostischen Kriterien von geschultem Fachpersonal zuverlässig beurteilt werden; eine prognostische Einschätzung im Vorfeld des Vollbildes der Erkrankung (beispielsweise in einem Frühstadium) hingegen ist äußerst anspruchsvoll. Nach Einschätzung des Autors ist dennoch zu bemängeln, dass eine Aufhebung der Sperre fortan ohne externe Einschätzung möglich sein wird. Trotz der oben angeführten Schwierigkeiten der Prognose kann eine externe Beurteilung hilfreich sein, und sei es lediglich, dass sie potenziell gefährdeten Personen die Chance zu einer Reflexion der Beweggründe für ihren Wunsch nach einer Entsperrung bietet.

    Ausblick

    Schließlich wurde im Glücksspielstaatsvertrag auch beschlossen, eine „Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder“ zu installieren, deren Sitz in Sachsen-Anhalt liegen wird. Als Anstalt des öffentlichen Rechts wird dieser Einrichtung die Aufsicht über die Einhaltung der im Glücksspielstaatsvertrag aufgeführten Regularien obliegen. Auch wird sie dafür zuständig sein, Forschungsaufträge zu vergeben, welche die Auswirkungen der nun beschlossenen Rahmenbedingungen des Glücksspielens auf den Markt und die Bevölkerung betreffen. Dies wird nötig sein, denn bei allem Positiven, was den neuen Glücksspielstaatsvertrag fraglos kennzeichnet, gibt es doch einige Punkte, deren Sinnhaftigkeit sich erst noch bewähren muss. Nur eine unabhängige und objektive Forschung kann perspektivisch zur Klärung dieser Unwägbarkeiten beitragen.

    Kontakt:

    Dr. Kai W. Müller
    kai.mueller@unimedizin-mainz.de

    Angaben zum Autor:

    Dr. Kai W. Müller, Dipl.-Psychologe, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Forschung & Diagnostik an der Grüsser Sinopoli-Ambulanz für Spielsucht, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz.

    Literatur:
    • Meyer, C., Rumpf, H. J., Kreuzer, A., de Brito, S., Glorius, S., Jeske, C., Kastirke, N., Porz, S., Schön, D., Westram, A., Klinger, D., Goeze, C., Bischof, G. & John, U. (2011). Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE): Entstehung, Komorbidität, Remission und Behandlung, Greifswald & Lübeck
    • Müller, K.W. & Wölfling, K. (2020). Glücksspielstörung. Stuttgart, Kohlhammer