Autor: Simone Schwarzer

  • Soziale Diagnostik in der Suchthilfe

    Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2020, 137 Seiten, ISBN 978-3-525-63404-2, 23,00 €, auch als E-Book erhältlich

    Instrumente Sozialer Diagnostik in der Praxis einzusetzen, ist bereits Alltag von in der Suchthilfe tätigen Sozialarbeiter*innen. Allerdings wurden diese Instrumente bisher kaum systematisch beschrieben. Das Buch versammelt in der Praxis erfolgreich angewandte Tools, die in verschiedenen Handlungsfeldern Sozialer Arbeit in der Suchthilfe zum Einsatz kommen können, z. B. Black-Box-Diagnostik, biografische Timelines oder Real-Time Monitoring. Dabei findet auch das partizipative Verständnis besondere Berücksichtigung, Diagnosen teilweise gemeinsam mit Klient*innen zu erstellen.

    Den verschiedenen Instrumenten gehen ein Rückblick auf die Geschichte der Sozialen Diagnose in der Suchthilfe sowie eine theoretische Begründung für Soziale Diagnostik in diesem Handlungsfeld voraus. Ein Blick auf die Diagnostik in der Drogensuchtbehandlung in Großbritannien und Nordirland schließt das Buch ab.

  • rehapro-Projekte in der Suchtreha

    rehapro-Projekte in der Suchtreha

    Im Rahmen des ersten Förderaufrufs des Bundesprogramms „Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben – rehapro“ werden seit Herbst 2019 55 Modellprojekte gefördert. Darunter befinden sich auch rund ein Dutzend Projekte, die in der Suchtreha verankert sind. Drei dieser Projekte, die in Mitgliedseinrichtungen des buss durchgeführt werden, sollen hier näher vorgestellt werden. Die zuständigen Mitarbeiter*innen berichten, welche Ziele die Projekte verfolgen und welche Maßnahmen umgesetzt werden.


    Ein rehapro-Projekt im Nordwesten: SEMRES – Mit Lotsen und dem Rehakompass aus rauer See in den richtigen Hafen!

    Projektname: SEMRES – Steuern mit dem Rehakompass: Alle in einem Boot. Schnittstellenmanagement zur frühzeitigen Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs und rechtzeitigen Vermittlung in die Rehabilitation von Menschen mit Suchterkrankungen

    Dr. Natalie Schüz
    Martina Jährmann-Rittner
    Dr. Ulrich Böhm

    Seit Jahren gehen die Anträge für Suchtrehabilitation zurück. Zudem wissen wir, dass es durchschnittlich mehr als zehn Jahre dauert, bis Suchtkranke in der medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitserkrankte ankommen. Die Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen hat in Kooperation mit der Fachklinik Weser-Ems, dem RehaCentrum Alt-Osterholz sowie der Fachstelle Sucht Oldenburg und der Ambulanten Suchthilfe Bremen über den Fördertopf rehapro einen Antrag beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingereicht, um neue Zugangswege in die Rehabilitation zu kreieren. Die Projektidee wurde bewilligt, das Projekt ist angelaufen und soll zunächst bis Ende 2024 evaluiert und, wenn erfolgreich, verstetigt werden. Die wissenschaftliche Begleitforschung wird über die Hochschule Emden/Leer unter Leitung von Prof. Knut Tielking durchgeführt.

    Was bedeutet SEMRES und was soll konkret erfolgen?

    SEMRES bedeutet: Schnittstellenmanagement zur frühzeitigen Ermittlung des Rehabedarfs und rechtzeitigen Vermittlung in die Reha bei Suchterkrankungen.

    Die so genannten Lotsen sind angestellte Psycholog*innen und Gesundheitswissenschaftler*innen der DRV Oldenburg-Bremen. In einem ersten Schritt schulen sie Netzwerkpartner darin, Menschen mit psychischen Belastungen und/oder problematischem Konsum in ihren Lebenswelten anzusprechen und in das Projekt zu vermitteln. Zu den Netzwerkpartnern gehören:

    • Sozialleistungsträger (z. B. Jobcenter, Arbeitsagenturen, Krankenkassen),
    • betriebliche Strukturen (z. B. IHK, Arbeitgeberverband),
    • medizinische Strukturen (Hausärztenetz, Psychotherapeutenkammer, Verband der Betriebs- und Werksärzte) und
    • soziale Strukturen (z. B. Sportvereine, Familienberatungsstellen).

    Die Zielgruppe sind Menschen mit zu erwartenden oder beginnenden Rehabilitationsbedarfen. Die identifizierten Problemfelder weisen dabei auf eine Abhängigkeitserkrankung oder psychische Beeinträchtigungen hin.

    In einem zweiten Schritt weisen die geschulten Netzwerkpartner Menschen aus der Zielgruppe den Lotsen zu. In einem strukturierten Anamnesebogen werden gezielt Symptome erfragt, die psychische Beeinträchtigungen erfassen, aber auch suchtbedingte Störungen. Bei ausreichenden Hinweisen für eine substanzbedingte Störung vermitteln die Lotsinnen und Lotsen schließlich die betreffenden Personen in den Rehakompass.

    Was findet im „Rehakompass“ statt?

    Die von den Lotsinnen und Lotsen akquirierten Teilnehmer*innen erhalten im Sucht-Rehakompass über zwei Tage im Rahmen von neun Modulen einen Einblick in die Behandlungsangebote und Räumlichkeiten einer Rehabilitationsklinik für Abhängigkeitserkrankte, und sie bekommen Informationen und Empfehlungen bezüglich ihres persönlichen Rehabilitationsbedarfs. Sie begegnen Mitarbeitenden der Fachklinik, der kooperierenden Suchtberatungsstelle und aktuellen Rehabilitanden. Über Psychoedukation erweitern sie ihr Wissen über Suchterkrankungen und werden sensibilisiert, kritisch ihren Umgang mit Suchtmitteln zu betrachten.

    An Tag 1 beginnt die Maßnahme mit einer Vorstellung der verantwortlichen Mitarbeitenden, der Fachklinik sowie der Ziele des Rehakompasses. Die Teilnehmer*innen lernen sich kennen, und ihre Erwartungen werden erfragt (Modul 1). Im Anschluss erfolgt ein Gesundheitscheck, der die Ermittlung von Laborwerten, eine Anamnese und eine fachärztlich orientierende Untersuchung umfasst. Parallel wird eine Psychodiagnostik durchgeführt, die auf die Bereiche berufliche Teilhabe und aktuelle psychische Beschwerden ausgerichtet ist (Modul 2). Am Nachmittag findet je nach aktueller Corona-Situation entweder ein analoger oder ein virtueller Rundgang durch die Einrichtung statt. Idealerweise stellen Mitarbeitende einzelner Berufsgruppen ihr Angebot vor (Modul 3). Im anschließenden Modul 4 wird es durch eine Psychoedukation zum Thema Stress und Belastungen persönlicher. Inhaltlich geht es um die Identifikation des individuellen Stressgeschehens, die Reflexion individueller Stresserfahrungen sowie den individuellen Suchtmittelkonsum als dysfunktionalem Stressbewältigungsmechanismus. Nach kurzer Pause steht das psychische Wohlbefinden im Mittelpunkt. Die Teilnehmer*innen lernen verschiedene Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen kennen (Modul 5). Der erste Tag endet mit einem Rückblick und einem Ausblick auf Tag 2.

    Der zweite Tag startet mit einer Psychoedukation zu den Themen Abhängigkeit, Suchtmittelmissbrauch und deren Folgen. Die Vermittlung allgemeinen Wissens dazu und ein Fragebogen zum individuellen Suchtmittelkonsum sollen zu einer kritischen Reflexion des eigenen Konsumverhaltens anregen (Modul 6). Die verbleibende Zeit am Vormittag ist der Vorstellung des lokalen Hilfesystems sowie der Inhalte und des Ablaufs einer Rehabilitations-/Präventionsmaßnahme vorbehalten (Modul 7). In Modul 8 besteht die Möglichkeit, sich mit aktuellen Rehabilitanden auszutauschen. Am Nachmittag des zweiten Tages führen ein Arzt oder eine Ärztin und ein*e die Maßnahme umfänglich begleitende Sozialarbeiter*in oder Psycholog*in Einzelgespräche mit den Teilnehmenden. Gemeinsam wird die Maßnahme rekapituliert, und die Teilnehmenden erfahren die Ergebnisse des Gesundheitschecks und der Psychodiagnostik. Abschließend wird eine konkrete Empfehlung für eine Weiterbehandlung ausgesprochen. Dies soll in ein organisiertes Übergabeverfahren an die Lotsinnen und Lotsen münden und das Ausfüllen von benötigten Formularen beinhalten.

    Ziel des Projektes SEMRES

    Ziel des Projektes SEMRES ist damit eine konkrete Empfehlung für die Teilnehmer*innen. Im Rehakompass wird die Richtung festgelegt: zum Beispiel die direkte Vermittlung in die Rehabilitation (ambulant, ganztägig ambulant oder stationär) oder in eine alternative Unterstützungsmaßnahme, z. B. in einer Suchtberatungsstelle. Das Verfahren ist ergebnisoffen.

    Kontakt:

    rehakompass@drv-oldenburg-bremen.de
    Tel. 0421/34 07-230

    Angaben zu den Autor*innen:

    Dr. Ulrich Böhm, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie/ Sozialmedizin, Ärztliche Leitung, Therapiehilfe gGmbH, RehaCentrum Alt-Osterholz, Fachklinik für Suchterkrankungen, Bremen
    Martina Jährmann-Rittner, Psychologische Psychotherapeutin, Therapeutische Leitung, Fachklinik Weser-Ems, Diakonisches Werk Oldenburg
    Dr. Natalie Schüz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin/Umsetzungsberaterin rehapro, Koordinationsmanagement Sozialmedizin, Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen


    Begleiteter Wiedereinstieg in Arbeit – mit dem rehapro-Projekt „BEAS“ neue Wege finden

    Projektname: BEAS – Begleiteter Einstieg in das Arbeitsleben mit Starthilfe

    Stephan Peter-Höner
    Erwin Seiser

    Menschen, die aufgrund von Sucht- und/oder psychischer Erkrankung aus dem Arbeitsleben gefallen sind, haben bei der Reintegration ins Arbeitsleben erfahrungsgemäß erhebliche Schwierigkeiten. Die Praxis zeigt, dass sie aufgrund der regional zuletzt sehr guten Arbeitsmarktlage oftmals zwar einen Arbeitsplatz finden, diesen aber schon bei geringer Störung im Ablauf wieder verlieren, sei es aufgrund mangelnder Belastbarkeit oder eines Rückfalls in alte Gewohnheiten. Das führt in der Regel zu weiteren, längeren Arbeitslosenzeiten und zu einer Misserfolgsprägung.

    Eine anspruchsvolle Phase: der Wiedereinstieg ins Arbeitsleben

    So hören wir in der Fachklinik Fischer-Haus in Gaggenau oftmals in der Entlassphase aus der Reha: „Was erwartet mich, wenn ich nach der Rehabehandlung an meinen alten Arbeitsplatz zurückkehre?“, „Wie geht mein Chef mit mir um, wie geben sich die Kolleginnen und Kollegen?“, „Das wird sicherlich kritisch, gab es doch zuletzt mehrere schwierige Situationen aufgrund meines Suchtproblems bei der Arbeit.“ Aber auch der Neuantritt eines Arbeitsplatzes bringt Verunsicherung: „Schaffe ich es dieses Mal, Fuß zu fassen?“, „Wie meistere ich kritische Situationen am Arbeitsplatz?“ Dies alles sind zentrale Themen bei der Planung der Zeit nach der Rehabehandlung. Viele gute Vorschläge und  erarbeitete Strategien im Gepäck, verlassen die Rehabilitand*innen die Klinik und gehen hinein ins echte Leben. Aber was ist, wenn es anders kommt, wenn die Planungen sich nicht umsetzen lassen? Wenn das Erlernte nicht ausreicht? In der Regel – so die Rückmeldungen vieler Betroffener – kommt es zum (erneuten) Arbeitsplatzverlust, oft auch begleitend zum Rückfall, eine Abwärtsspirale beginnt oder setzt sich fort.

    Die Projektidee: Unterstützung und Begleitung

    Wie lässt sich das vermeiden oder besser machen? Welche Möglichkeiten gibt es, Übergänge und schwierige Situationen nach einer erfolgreichen Stabilisierungsmaßnahme so zu gestalten, dass Erfolge verstetigt werden? Hier hat unser stark fraktioniertes Sozialsystem sicherlich noch Einiges an Verbesserungspotenzial – aber auch die Sozialverantwortung von Unternehmen bietet Ansatzpunkte, wünschenswert wäre z. B.eine wohlwollendere Herangehensweise mit der Aussicht auf einen langfristigen Erfolg einer (Re-) Integrationsstrategie.

    Erfolgversprechende Ansätze für Projekte gab es schon einige, allerdings fehlte bis dato eine stabile Finanzierung und auch die Gesamtsicht über die unterschiedlichen Beschwerdeebenen. Mit dem Bundesprogramm „Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben – rehapro“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales steht ein Förderprogramm zur Verfügung, das die Durchführung solcher Projeke zur Überwindung von Schnittstellen ermöglicht.

    Im Frühsommer 2017 erreichte uns der 1. Aufruf der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg zur Einreichung von Projektideen für das Bundesprogramm rehapro. Ausgelobt – so war die damalige Information – hatte die Bundesregierung einen Fördertopf für innovative Projekte, die Übergänge an den Schnittstellen zwischen den SGB-Bereichen gestalten sollten. Die Fördersumme wurde mit einer Milliarde Euro festgesetzt.

    Auf Basis der noch ziemlich spärlichen Vorgaben und Informationen setzten wir uns umgehend an eine Projektskizze. Idee war, ein differenziertes neues Unterstützungssystem für Menschen zu entwickeln, die aufgrund von Sucht- und/oder psychischer Erkrankung aus dem Arbeitsleben gefallen sind und damit bei der Reintegration ins Arbeitsleben erhebliche Schwierigkeiten haben. Leitend war dabei auch unsere Erfahrung, dass aufgrund der regional sehr guten Arbeitsmarktlage oftmals zwar ein Arbeitsplatz gefunden werden konnte, dieser aber schon bei geringer Störung im Ablauf wieder verloren ging, was in der Regel zu weiteren, längeren Arbeitslosenzeiten und zu einer Misserfolgsprägung führt. Des Weiteren leitete uns der schon lang vorhandene Wunsch, Suchtrehabilitation konsequent zu Ende zu denken, also die Integration in Arbeit und Gesellschaft in jeder Phase der Rehabilitation als handlungsleitend zu begreifen und somit Interventionen und Strategien aus medizinischer, beruflicher und sozialer Rehabilitation zu verknüpfen.

    Als Projektziel wurde definiert, zunächst im Landkreis Rastatt und im Stadtkreis Baden-Baden eine strukturierte Hilfe für Menschen mit Suchterkrankung bei der Einstellung und (mindestens) im ersten Beschäftigungsjahr zur Verfügung zu stellen. Bei der Definition des Projektzieles wurde uns klar, dass es hierfür eines mehrdimensionalen Hilfeansatzes bedarf. Die Hilfe sollte durch eine sozialtherapeutische Fachkraft erfolgen, die regelmäßige Gespräche mit den Teilnehmenden führt und gegenüber dem Arbeitgeber der betroffenen Person eine Moderatorenfunktion übernimmt.

    Abb. 1: Aktivitäten der Einrichtung bezogen auf die Rehabilitand*innen

    In das Konzept von „BEAS – Begleiteter Einstieg in das Arbeitsleben mit Starthilfe“ flossen unsere Erfahrungen aus den Projekten „Step by Step“ (ein Arbeitsintegrationsprojekt für langzeitarbeitslose Menschen mit Sucht und/oder psychischen Problemen) und „Starthilfe“ (ein unternehmensbezogener Unterstützungsansatz) ein sowie aus dem Förderverein zur Wiedereingliederung für Suchtkranke (in dem konkrete Arbeitsplätze vermittelt und begleitet werden).

    Neu an BEAS sind:

    • die aktiv gesuchten und strukturierten Kontakte und Kooperationen mit Arbeitgebern,
    • die Aufrechterhaltung dieser Kontakte im Hinblick auf Unterstützung in Krisensituation für Mitarbeitende und Unternehmen,
    • weiterhin die verbindliche Begleitung am Arbeitsplatz und
    • die Netzwerkarbeit in arbeitsbezogenen Kontexten.

    Zentrales Ziel ist neben dem Finden eines angemessenen Arbeitsplatzes die nachhaltige Stabilisierung des Arbeitsverhältnisses.

    Abb. 2: Aktivitäten der Einrichtung bezogen auf die Unternehmen
    Abb. 3: BEAS Projektregionen

    In BEAS werden neben den erwerbsbezogenen Integrationsschritten (incl. der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) unterstützende Impulse und Leistungen im Bereich der weiteren sozialen Teilhabe  berücksichtigt und verfolgt.

    Als weiteres Projektziel wurde die Übertragung des Ansatzes auf die angrenzenden Landkreise Ortenau, Karlsruhe Stadt und Landkreis sowie Pforzheim Stadt und Enzkreis benannt, da hier schon gute Kontakte zu möglichen Kooperations- und Netzwerkpartnern bestanden.

    Von der Idee zum geförderten Projekt – beteiligte Institutionen

    Für die wissenschaftliche Evaluation wurde von der DRV Baden-Württemberg das Universitätsklinikum Freiburg, Sektion Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung (SEVERA), eingebracht, das sich unter Leitung von Prof. Dr. Erik Farin-Glattacker unmittelbar in die Entwicklung mit einschaltete.

    Als Projekttitel wählten wir das Akronym „BEAS“, das für Begleiteter Einstieg ins Arbeitsleben mit Starthilfe steht.

    In mehreren Konkretisierungs- und Verfeinerungsrunden wurde aus dieser Projektskizze gemeinsam mit Ulrich Hartschuh, dem Projektkoordinator bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg, ein detailliertes Projektkonzept entwickelt, das schließlich neben drei weiteren Projektvorhaben der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg von dieser bei der Fachstelle rehapro eingereicht wurde.

    In weiteren Prüf- und Rückkopplungsrunden mit der Fachstelle wurde die Projektidee durchleuchtet und das Umsetzungskonzept mit Klaus Marhoffer, dem Projektleiter bei der DRV Baden-Württemberg, verfeinert. Als Ergebnis wurde BEAS mit Förderbescheid vom 6.12.2019 als eines der bundesweit ca. 60 Umsetzungsprojekte des 1. Förderaufrufs für rehapro ausgewählt und konnte nach ungefähr zweieinhalbjähriger Vorlaufzeit zum 1.1.2020 starten. Die Projektlaufzeit ist auf fünf Jahre bis zum 31.12.2024 festgesetzt. Das Fördervolumen insgesamt beträgt knapp zwei Millionen Euro, davon entfallen auf den Fischer-Haus e.V. für die Durchführung der Projektmaßnahme ca. 1,5 Millionen Euro.

    Nach einer ersten Projektphase mit vorbereitenden Klärungen und Maßnahmen bezüglich der Evaluation und Details der Interventionen ist BEAS mittlerweile gut angelaufen und die ersten Teilnehmer*innen sind ins Projekt aufgenommen. Und schon steht der nächste Meilenstein an, nämlich die Gewinnung der zweiten Kooperationsregion Karlsruhe.

    Kontakt:

    Erwin Seiser
    Fachklinik Fischer-Haus
    Mönchkopfstraße 21
    76571 Gaggenau
    E.Seiser@Fischer-Haus.de

    Angaben zu den Autoren:

    Stephan Peter-Höner, Leiter der Fachklinik Fischer-Haus, BEAS-Projektleitung/Steuerung fachlich
    Erwin Seiser, Verwaltungsleiter und Kaufm. Vorstand der Fachklinik Fischer-Haus, BEAS-Projektleitung/Steuerung administrativ


    Berufliche Teilhabebegleitung in der Rehabilitation von Abhängigkeitserkrankungen (BORA-TB) – ein rehapro-Projekt aus der Perspektive einer Suchtrehabilitationsklinik

    Projektname: BORA-TB – Berufsorientierte Teilhabebegleitung in der Rehabilitation von Abhängigkeitserkrankungen

    Elena Herbach
    Ulrike Dickenhorst

    Aufgrund der riskanten Wechselwirkung zwischen einem abhängigen Suchtmittelkonsum und der Gefahr, den Arbeitsplatz zu verlieren, stellt die berufliche Integration einen der wichtigsten Faktoren zur Stabilisierung von Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen dar (Henkel & Zemmlin 2015). Somit ist erklärtes Ziel der Suchtreha, die berufliche Teilhabe im Sinne des SGB 6 und SGB 9 zu erhalten und/oder wiederherzustellen und eine Erwerbsminderung zu verhindern (Weinbrenner & Köhler 2013).

    Aus den Katamneseergebnissen des Entlassjahres 2018 (N=11.090) des Bundesverbandes für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V. wissen wir, dass die Arbeitslosenquote bei den alkoholabhängigen Rehabilitand*innen bei 41,6 Prozent und den drogenabhängigen Rehabilitand*innen bei 58,7 Prozent liegt. Für Rehabilitand*innen, die erwerbstätig sind, jedoch erwerbsbezogene Problemlagen aufweisen (BORA-Gruppe 2), würde eine weitergehende berufliche Stabilisierung auch positive Auswirkungen auf den gesundheitlichen Lebensstil, die intrapsychische Befindlichkeit und die soziale Gemeinschaft sowie das Familienleben haben (Zobel 2017).

    Die Untersuchungsergebnisse von Vollmer und Domma (2020) bestätigen, dass erwerbstätige Rehabilitierte eine höhere Lebenszufriedenheit, eine höhere Selbstwirksamkeitserwartung und ein geringes Rückfallrisiko aufweisen und Rückfälle frühzeitiger stoppen konnten. Die sechsmonatige Abstinenz während der Therapie zeigte eine hohe Relevanz für den Status der Erwerbsfähigkeit, sowie das Alter: Jüngere Arbeitslose hatten eine dreifach erhöhte Wahrscheinlichkeit, ein Jahr nach Therapieende erwerbstätig zu sein. Dagegen hatten ältere Rehabilitand*innen eine höhere Wahrscheinlichkeit, durchgehend abstinent zu leben. Weitere relevante Faktoren, die den Erhalt des Arbeitsplatzes stabilisieren konnten, waren der Berufsabschluss, die Wohnregion, die Anzahl der Vorbehandlungen sowie die Höhe des Arbeitsentgeltes.

    Berufliche Orientierung in der Reha

    In der stationären Rehabilitation findet seit 2015 – seit die gemeinsamen „Empfehlungen zur Stärkung des Erwerbsbezuges in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitserkrankter“ veröffentlicht wurden – eine bedarfsorientierte Förderung statt. Die Rehabilitand*innen werden hierzu in die BORA-Gruppen 1 bis 5 eingeteilt.

    Allerdings finden die in der Rehabilitation erreichten Teilziele im Wiedereingliederungsmanagement der Jobcenter oder in den Angeboten der Agentur für Arbeit zur Erhöhung der „Return to Work“-Quote keine passgenaue Entsprechung. Als besonders problematisch zeigen sich Übergänge und Schnittstellen in den Behandlungs- und Betreuungsphasen sowie unabgestimmte Förderkonzepte. So haben Koch et al. (2020) gezeigt, dass trotz Kontaktoptionen mit nachfolgenden Stellen, diese nur zu 30 Prozent wahrgenommen wurden, 20 Prozent keinen Termin verabredet haben und die Kontaktanbahnung aus der Rehabilitation zu 46 Prozent nicht fortgesetzt wurde.

    An dieser Stelle setzt das Modellvorhaben zur berufsorientierten Teilhabebegleitung in der Rehabilitation von Abhängigkeitserkrankungen (BORA-TB) an. Es wurde federführend von der Deutschen Rentenversicherung Westfalen im Rahmen des Bundesprogramms „Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben – rehapro“ beantragt. Das rehapro-Förderprogramm ist verankert im §11 SGB 9 und wird gefördert mit einer Milliarde Euro des BMAS. Der erste Förderaufruf wurde am 04.05.2018 ausgesprochen, der zweite am 25.05.2020. Antragsberechtigt sind Leistungsträger nach dem SGB 6 und dem SGB 2, die Projektlaufzeit kann bis zu fünf Jahre betragen. Eine wissenschaftliche Begleitung des Projektes ist möglich, die Gesamtevaluation des Förderprogramms findet durch ein bundesweites Konsortium um das Institut für Arbeit (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen statt.

    Struktur und Inhalt von BORA-TB

    Das Modellvorhaben BORA-TB beinhaltet eine neue Leistung für abhängigkeitserkrankte Rehabilitand*innen: Teilhabebegleiter*innen fungieren als zentrale Ansprechpartner*innen für den gesamten Prozess der Rehabilitation und mindestens sechs Monate bis maximal zwölf Monate, mit dem Ziel, die berufliche Reintegration zu fördern und zu fordern. Das Innovative an diesem Ansatz ist die erstmalige Einführung einer Person in das System, die den Prozess der trägerübergreifenden beruflichen Integration unterstützt, moderiert, stabilisiert usw., besonders um die Nahtlosigkeit bei Systemübergängen zu gewährleisten.

    Das Modellvorhaben wird in zwei Modellregionen durchgeführt. Ein Standort ist die ländliche Region des östlichen Ostwestfalens: Rehabilitand*innen der Bernhard-Salzmann-Klinik des LWL-Klinikums Gütersloh aus den Postleitzahlbereichen 32… und 33… werden in die Studie eingeschlossen und von Teilhabebegleiter*innen des Caritasverbandes Gütersloh und des diakonischen Werkes in Herford begleitet. Der zweite Standort ist der großstädtische Raum Dortmund. Die im LWL-Klinikum Dortmund aufgenommenen Rehabilitand*innen werden von Teilhabebegleiter*innen des Klinikums begleitet.

    Das Modellvorhaben BORA-TB wird durch Prof. Dr. Thorsten Meyer von der Universität Bielefeld an der Stiftungsprofessur für Rehabilitationswissenschaften und Rehabilitative Versorgungsforschung der Fakultät Gesundheitswissenschaften begleitet, u. a. werden die Standortunterschiede zwischen ländlichen und städtischen Versorgungsstrukturen erfasst und bewertet. Des Weiteren werden die Arbeitsbedingungen der zentral oder dezentral eingesetzten Teilhabebegleiter*innen erhoben und Schlussfolgerungen auf die Ergebnisqualität gezogen. Die erfassten Daten werden zum einen summativ statistisch ausgewertet (Ergebnisevaluation) mit der Frage: Welche Effekte zeigen die Interventionen auf die Rehabilitand*innen und Versorgungsprozesse? Zum anderen erfolgt mit qualitativen Methoden eine formative Evaluation, um die Wirkmechanismen der Teilhabebegleitung in den verschiedenen Versorgungskontexten auf Prozess- und Rehabilitandenebene zu verstehen. Die Ergebnisse werden in entsprechende Empfehlungen für eine Projektimplementierung bei einer möglichen Verstetigung einfließen.

    Projektziele

    Die Projektziele beinhalten die Förderung der Motivation der Rehabilitand*innen, eine weiterführende berufliche Teilhabeleistung in Anspruch zu nehmen und eine langfristig berufsorientierte Perspektive zu entwickeln und zu festigen. Die Rate der sich in einem Beschäftigungsverhältnis befindenden Rehabilitand*innen sollte sich erhöhen, und für den Forschungszeitraum sollte eine Beschäftigung von mindestens zwölf Monaten möglich sein. Die AU-Dauer (Arbeitsunfähigkeit) sollte in dem Zeitraum verringert werden. Das Betreuungsverhältnis von Teilhabegleiter*in zu Rehabilitand*in sollte 1:30 nicht überschreiten, um eine gute Betreuung zu gewährleisten. Falls sich das Projekt als zielführend erweist, könnte die zukünftige Finanzierung von Stellen der  Teilhabebegleiter*innen über eine höhere Integrationsquote und eine Reduktion der Neuzugänge in die Erwerbsminderungsrente erreicht werden. Natürlich ist jede Reintegration einer/s Versicherten als Erfolg zu bewerten.

    Im Projektverlauf werden neue Netzwerke dokumentiert, die Rehabilitand*innen werden zur Akzeptanz der Maßnahmen befragt, z. B. anhand von qualitativen Interviews. Besonderes Augenmerk liegt auf den bio-psycho-sozialen Teilhabehemmnissen. Sie werden sensibel erhoben, Hilfebedarfe erfasst und adäquate Maßnahmen eingeleitet. Auch die Gruppe der Rehabilitand*innen, die sich gegen eine Teilnahme entschieden hat, wird zu ihren Motiven befragt. Bei vorliegender Einverständniserklärung werden die soziodemographischen Daten mit in die Teilhabeplanung eingezogen sowie später die Ergebnisse der Ein-Jahres-Katamnese in der Datenbewertung berücksichtigt. In der Regel schließen die Rehabilitand*innen nach der Rehabilitation eine ambulante Weiterbehandlung/‌Fortführung/Nachsorge an, und die Kooperation zwischen Teilhabebegleiter*innen und weiterbehandelnden Suchtberatungsstellen ist regelhaft gewünscht.

    Der erste Kontakt zu den Teilhabebegleiter*innen wird nach drei bis vier Wochen in der Klinik verabredet. Bis zu dem Termin haben die Rehabilitand*innen eine differenzierte sozialmedizinische BORA-Diagnostik durchlaufen und es werden mit ihnen, orientiert am individuellen beruflichen Teilhabebedarf, Therapiepläne erstellt und -interventionen verordnet.

    Folgendes Flow Chart (Abb. 1) bildet den gesamten Prozess in der Bernhard-Salzmann-Klinik ab.

    Abb. 1: Prozess im Projekt BORA-TB

    Vielfach haben die Rehabilitand*innen während der Rehabilitation für die berufliche (Neu-) Orientierung und (Wieder-) Eingliederung eine wechselnde Motivationslage. Die Ambivalenz bzgl. des beruflichen Wiedereinstiegs zeigt sich z. B. in der Unvereinbarkeit von Wunschtätigkeit und realen Arbeitsmarktangeboten, in Ängsten, die beruflichen Erwartungen nicht erfüllen zu können, oder darin, die eigenen körperlichen, psychischen oder sozialen Vermittlungshemmnisse als unüberwindbar zu bewerten oder sich vor konflikthaften Auseinandersetzungen im Berufsalltag zu fürchten.

    Hinzu kommt, dass die Rehabilitand*innen zu Beginn ihrer Behandlung meist andere Themen priorisieren, wie z. B. die Einleitung von existenzsichernden Maßnahmen, Wohnraumsicherung, die Erarbeitung von Therapiezielen, die Behandlung komorbider Störungen, die Bewältigung des Suchtmittelverzichts oder familiäre Problemlagen. Neigt sich die Behandlung dem Ende zu, sind die Rehabilitand*innen motivierter, sich mit dem Thema der beruflichen Orientierung auseinanderzusetzen.

    Qualifizierung der Teilhabebegleiter*innen

    Für eine fachlich hochwertige Teilhabebegleitung ist eine Qualifizierung der Teilhabebegleiter*innen mit praxisrelevantem Wissen notwendig. Die Durchführung der Qualifizierungen obliegt der „Landeskoordinierungsstelle berufliche und soziale Integration Suchtkranker in NRW“ (LKI) in Paderborn. Vor der praktischen Umsetzung des Modellvorhabens wurden die Teilhabebegleiter*innen in folgenden sechs Basismodulen geschult:

    • Modul 1: Einführung in das neue Aufgabenfeld der BORA-Teilhabebegleitung: Auftrag, Rolle und Ziele
    • Modul 2: Aufgaben und Anforderungen an BORA-TB / Netzwerke aufbauen, gestalten, koordinieren
    • Modul 3: Leistungen und Möglichkeiten der Jobcenter und Agenturen für Arbeit
    • Modul 4: Auswirkungen und Möglichkeiten des Bundesteilhabegesetztes
    • Modul 5: Betriebliche Suchthilfe, Eingliederungsmanagement, juristische Aspekte
    • Modul 6: Aufgaben und Leistungen der Deutschen Rentenversicherung

    Zusätzlich organisiert die Landeskoordinierungsstelle fünf weitere Qualifizierungen zu fachspezifischen Themen:

    • motivierende Gesprächsführung
    • Sucht und Migration
    • Motivieren durch persönliche Präsenz
    • Persönlichkeitsstile/-störungen und die Herausforderungen in der Beratung
    • Genderbezug und Sucht

    In den ersten Qualifizierungen konnten neben den Teilhabebegleiter*innen auch die Kooperationspartner*innen des Modellvorhabens teilnehmen. Insgesamt wurde deutlich, dass die einzelnen Kolleg*innen bereits sehr umfangreiches Fachwissen durch ihre vorherigen Berufserfahrungen in folgenden Fachrichtungen mitbringen: Suchttherapie, rechtliche Betreuung, arbeitsmarkt­orientierte Hilfen, Agentur für Arbeit, Integrationsfachdienst usw. Die bereits vorhandenen Qualifikationen ermöglichten die Bildung eines internen Expertenpools für den fachlichen Austausch. Trotz der unterschiedlichen Standorte in Dortmund, Gütersloh, Herford und Bielefeld sind alle Kollegen und Kolleginnen in einem sehr guten, regelmäßigen und engen Austausch.

    Zur guten Vernetzung aller Mitarbeitenden des Modellvorhabens ist auch die Netzwerkarbeit mit Kostenträgern und anderen Versorgungsschnittstellen essentiell. Um diese Netzwerke aufzubauen und zu pflegen, werden mithilfe der Koordination der LKI pro Standort dreimal jährlich Netzwerktreffen stattfinden. Die Netzwerktreffen sollen dazu dienen, alle Akteur*innen untereinander bekannt zu machen, Raum für einen fachlichen Austausch zu schaffen und Referent*innen zu wichtigen Themen einzuladen. Die ersten Netzwerktreffen finden bereits dieses Jahr im November an allen drei Standorten statt.

    Für die Gewährleistung eines reibungslosen Übergangs in die BORA-Teilhabebegleitung sind Fallkonferenzen mit den Rehabilitand*innen und allen relevanten Akteur*innen aus der medizinischen Behandlung geplant.

    Akzeptanz der Maßnahme

    In den ersten Monaten hat sich gezeigt, dass ein Teil der Rehabilitand*innen auf das Projekt skeptisch reagiert, u. a. konnte die Datenevaluation der Universität Bielefeld nicht eingeschätzt werden. Grundsätzlich haben die Rehabilitand*innen auch die Möglichkeit, an dem Projekt teilzunehmen, ohne dass Daten zu wissenschaftlichen Zwecken weiter bearbeitet werden. Die Ergebnisse würden dann über die Katamneseerhebung ausgewertet, wenn das Einverständnis dazu vorliegt.

    Aktuell erfolgt die Kontaktaufnahme zu den Rehabilitand*innen durch den/die Teilhabebegleiter*in so früh wie möglich, um zu informieren und eine tragfähige Beziehung aufbauen zu können. In der ersten Phase der Rehabilitation willigen wenige Rehabilitanden direkt in die Teilhabebegleitung ein. Mit zunehmender Dringlichkeit zum Ende der Behandlung wird erneut Kontakt aufgenommen, um eine berufliche Perspektive zu erarbeiten.

    Durch den Projektstatus haben die Teilhabebegleiter*innen die Möglichkeit, unterschiedliche Formen und Zeitpunkte der Ansprache auszuprobieren. Letztendlich wird die Evaluation durch die Universität Bielefeld aufzeigen, welche Form von BORA-Teilhabebegleitung sich langfristig positiv auf die berufliche Orientierung und Reintegration auswirken wird.

    Kontakt:

    Ulrike Dickenhorst
    Bernhard-Salzmann-Klinik
    Buxelstraße 50
    33334 Gütersloh
    ulrike.dickenhorst@lwl.org

    Angaben zu den Autorinnen:

    Ulrike Dickenhorst, Therapeutische Leitung, Bernhard-Salzmann-Klinik, LWL-Rehabilitationszentrum Ostwestfalen, Gütersloh
    Elena Herbach, Sozialdienst, Bernhard-Salzmann-Klinik, LWL-Rehabilitationszentrum Ostwestfalen, Gütersloh

    Literatur:
    • Henkel, D. & Zemlin, U. (2015). Editorial, in: Themenheft „Arbeitslosigkeit und Suchtrehabilitation“. Suchttherapie 6(4), 153-154.
    • Koch, A. et. al (2020). Erfassung der Aktivitäten zur Verbesserung der beruflichen Teilhabe in der Suchtrehabilitation an der Schnittstelle zu Jobcenter und Arbeitsagentur, Online Zeitschrift KONTUREN 15.06.2020; https://dev.konturen.de/fachbeitraege/erfassung-der-aktivitaeten-zur-verbesserung-der-beruflichen-teilhabe-in-der-suchtrehabilitation-an-der-schnittstelle-zu-jobcenter-und-arbeitsagentur/
    • Vollmer, H. C. & Domma, J., (2020). Erwerbsstatus Alkoholabhängiger nach Therapie, in: SUCHT 66 (3), 133-142.
    • Weinbrenner, S. & Köhler, J. (2013). Der Mensch im Mittelpunkt – Anforderungen und Perspektiven für die Suchtbehandlung aus Sicht der DRV Bund, in: SuchtAktuell 20 (2), 15-20.
    • Zobel, M. (2017). Kinder aus alkoholbelasteten Familien: Entwicklungsrisiken und Chancen. Göttingen: Hogrefe.
  • Psychodynamische Therapie der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung

    Unter Mitarbeit von Alexa Negele

    Schattauer/Klett Cotta-Verlag, Stuttgart 2020, 194 Seiten mit digitalem Zusatzmaterial, 30,00 €, ISBN 978-3-608-40039-7, auch als E-Book erhältlich

    Traumatisierungen in Form physischer, sexueller oder emotionaler Gewalt in der Kindheit und Jugend bilden den Hintergrund des in der ICD-11 neu definierten Störungsbildes der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS).

    Bei einer Vorgeschichte von Kindheitstraumatisierungen weist das Störungsbild der PTBS Besonderheiten auf: Die Pathogenese ist komplexer und die Symptomatik breiter als nach Traumatisierungen im Erwachsenenalter, es besteht häufig eine hohe Komorbidität, dies stellt besondere Anforderungen an die Therapie. Die in diesem Manual vorgestellte Konzeption folgt einem Verständnis psychodynamischer Behandlung als einem ressourcenbasierten integrativen Verfahren, wie es durch die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie vermittelt wird.

    • Relevant: Häufige Störung nach Gewalterfahrung in der Kindheit
    • Praxisnah: Manual für den Praxisalltag
    • Autoren: Renommierte Fachexperten
    • Aktuell: An der neuen ICD-11-Klassifikation orientiert
  • Kiffen? Nein danke!

    SUCHT.HAMBURG veröffentlicht die Ergebnisse einer themenzentrierten Sekundäranalyse der SCHULBUS-Daten 2004 bis 2018.

    Kein Zweifel: Haschisch und Marihuana gehören seit vielen Jahren zu den am weitesten verbreiteten illegalen Drogen. Dies gilt auch und in besonderem Maße für das Konsumverhalten von Jugendlichen im großstädtischen Milieu. Wenn rund ein Viertel der dortigen 14- bis 17-Jährigen angeben, dass sie schon einmal in ihrem Leben gekifft haben, dann bedeutet dies im erfreulichen Umkehrschluss aber auch, dass die deutlich überwiegende Mehrheit der Jugendlichen auf jeglichen Umgang mit Cannabis verzichtet.

    Vor diesem Hintergrund hat SUCHT.HAMBURG gefördert durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) die Daten aller bisher durchgeführten SCHULBUS-Untersuchungen einer themenzentrierten Sekundäranalyse unterzogen. Die aktuell veröffentlichte Studie liefert nicht nur Informationen zur Verbreitung, Entwicklung und zu den Hintergründen des jugendlichen Cannabiskonsums. Es werden auch jene Jugendlichen explizit in den Blick genommen, die sich vom Umgang mit Cannabis grundsätzlich fernhalten. Dabei zeigt sich, dass mehr als 80 Prozent von ihnen schlichtweg kein Interesse am Kiffen haben. Darüber hinaus sind sie sich durchaus der Gesundheits- und Abhängigkeitsrisiken im Zusammenhang mit dem Cannabisgebrauch bewusst (68 Prozent bzw. 60 Prozent). Zwei Fünftel (42 Prozent) der Nicht-Konsument*innen geben als weiteren Grund für ihren Verzicht das Verbot des Umgangs mit Cannabisprodukten an. Aber auch der vergleichsweise hohe Preis (22 Prozent) sowie die von ihnen als schwierig empfundene Beschaffbarkeit (14 Prozent) von Haschisch und/oder Marihuana spielen eine Rolle bei der Entscheidung gegen deren Konsum.

    Mit Blick auf ausgewählte Aspekte der jugendlichen Lebenswelt ergeben sich zum Teil bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Nicht-Konsument*innen von Cannabis auf der einen und den konsumerfahrenen Altersgenoss*innen auf der anderen Seite: So gehen die auf den Umgang mit Cannabis verzichtenden Jugendlichen in ihrer Freizeit häufiger kreativen Hobbys nach und interessieren sich auch öfter für das Lesen von Büchern zum reinen Vergnügen. Bei Fragen und Problemen, die ihnen besonders wichtig erscheinen, ziehen sie nach wie vor ihre Mütter und/oder ihre Väter ins Vertrauen. Sie erweisen sich in vielen verschiedenen Lebensbereichen als spürbar zufriedener und schätzen ihre alltagsprägende Schulsituation alles in allem deutlich besser ein, als dies bei den gleichaltrigen Konsument*innen von Cannabisprodukten der Fall ist.

    Theo Baumgärtner, Autor der SCHULBUS-Studie: „Wir sollten uns zukünftig verstärkt auch den Nicht-Konsument*innen von Suchtmitteln zuwenden und deren Verhalten und Lebenseinstellungen, ihre Freizeitinteressen und ihre Haltungen gegenüber den weiteren Aspekten des Alltaglebens in den Mittelpunkt rücken. Ein solcher – eher stärkenorientierter – Forschungsansatz kann uns nämlich dabei helfen, die geeigneten Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich die Jugendlichen in unserer konsum-, leistungs- und erlebnisorientierten Welt besser zurechtfinden können.“

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig: „Die Daten der Hamburger SCHULBUS-Untersuchung ergänzen in hervorragender Weise unsere Erkenntnislage aus der bundesweiten BZgA-Drogenaffinitätsstudie zum jugendlichen Cannabiskonsum. Um den Reiz des Cannabiskonsums nachvollziehen zu können, müssen wir genau untersuchen, was die Jugendlichen antreibt, warum sie oder warum sie eben gerade nicht zum Joint greifen. Nur so kann Prävention langfristig erfolgreich sein. Die von SUCHT.HAMBURG veröffentlichte Sekundäranalyse leistet hierzu einen sehr wertvollen Beitrag.“

    Der Ergebnisbericht der Sekundäranalyse sowie weitere Informationen zur SCHULBUS-Studie finden Sie unter www.sucht-hamburg.de.

    Pressestelle von SUCHT.HAMBURG, 28.10.2020

  • Wirksame Strategien der Suchtprävention für die Praxis

    Mit dem Fachheft „Expertise zur Suchtprävention 2020“ legt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) eine wissenschaftlich basierte Handreichung für im Bereich der Suchtprävention Tätige vor, die es ermöglicht, aktuelle Erkenntnisse der Präventionsforschung in der suchtpräventiven Arbeit zu berücksichtigen. Sie richtet sich an Verantwortliche für Suchtprävention auf allen handlungspolitischen Ebenen und an Personen, die mit der Entwicklung und Durchführung suchtpräventiver Maßnahmen auf kommunaler oder Länder-Ebene betraut sind.

    Prof. Dr. med. Heidrun Thaiss, Leiterin der BZgA: „Wirksamkeitsnachweise sind bei der Planung und Implementierung suchtpräventiver Angebote vor Ort ein wichtiger Erfolgsfaktor. Mit unserer aktualisierten ‚Expertise zur Suchtprävention‘ wollen wir insbesondere Fachkräfte in den Kommunen bei der Umsetzung qualitätsgesicherter Präventionsangebote unterstützen. Auch politisch Verantwortliche, die suchtpräventive Maßnahmen auf kommunaler oder Länder-Ebene bewerten, finden wirksame Präventionsansätze erläutert und können so fundierte Entscheidungen treffen. Ich bin daher sicher, dass unsere Expertise auf eine breite Resonanz stoßen wird.“

    Für die Neuauflage „Expertise zur Suchtprävention 2020“ wurden Übersichtsarbeiten über wirksame Maßnahmen zur Suchtprävention systematisch erfasst und ausgewertet. Die Schlussfolgerungen werden praxisbezogen und übersichtlich dargestellt und geben Fachkräften Hinweise, welche Wirkung mit welchem Präventionsansatz in den Handlungsfeldern Familie, Schule, Hochschule, Medien, Gesundheitsversorgung, Kommune und gesetzliche Rahmenbedingungen zu erwarten ist. Diskutiert werden Präventionsansätze, die eine Verhinderung, Verzögerung oder Reduktion des Konsums von Tabak, Alkohol, Cannabis und anderen illegalen psychoaktiven Substanzen bewirken können, sowie Interventionsansätze zur Prävention von Glücksspielsucht.

    Die Expertise erscheint als Band 52 der BZgA-Reihe „Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung“. Sie stellt eine Aktualisierung des Fachhefts 46 aus dem Jahr 2013 dar und kann kostenlos bei der BZgA bestellt und heruntergeladen werden unter: www.bzga.de/infomaterialien/fachpublikationen/fachpublikationen/band-52-expertise-zur-suchtpraevention-2020/

    Bestellung der kostenlosen BZgA-Materialien: bestellung@bzga.de

    Pressestelle der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), 14.10.2020

  • Maltes Lieblingstrick

    BALANCE buch + medien verlag, Köln 2020, 32 Seiten, 17,00 €, ISBN 978-3-86739-204-4

    Kann sich jedes Kind entspannen? Klar kann es das! Oma zeigt Malte nämlich, dass andere auch so ihre Tricks haben, von ihrer Wut runterzukommen oder trotz Aufregung einen kühlen Kopf zu behalten. Manchmal braucht es gar nicht mehr als z. B. eine Zahnpastatube, einen Aufzug im Bauch oder vielleicht ein Tigerzähnefletschen. Am Ende weiß Malte ganz genau, was ihm guttut.

    „Versuch mal ruhiger zu werden“ – wie soll Malte das nur machen? Wenn er wütend und frustriert ist, ist er wütend, und wenn er aufgeregt ist, ist er aufgeregt. Das kann er doch nicht selbst entscheiden! Oma dagegen ist eine Spezialistin, wenn es darum geht, einen kühlen Kopf zu bewahren. Zusammen mit ihr probiert Malte verschiedene Übungen aus und entdeckt, dass sie richtig Spaß machen. Dieses Buch lädt Kinder ein, andere und sich zu beobachten, um so selbst herauszufinden, was hilft. Kindgerechte Anleitungen zur Bauchatmung und Progressiven Muskelrelaxation runden das charmante Kinderbuch ab.

  • Corona und die Auswirkungen auf arme Kinder und Jugendliche

    Unter dem Titel „Corona-Chronik – Gruppenbild ohne (arme) Kinder“ haben Gerda Holz (Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V., Frankfurt a.M., ISS) und Dr. Antje Richter-Kornweitz (Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V., Hannover, LVG&AFS) eine Streitschrift verfasst, die die aufgrund der Corona-Pandemie getroffenen staatlichen Maßnahmen im Hinblick auf ihre Bedeutung für arme Kinder und Jugendliche analysiert. Dazu wurden ohne Anspruch auf Vollständigkeit aktuell vorliegende wissenschaftliche Untersuchungen, Stellungnahmen und Positionspapiere, Reportagen, Praxis- sowie Presseberichte über politische Entscheidungen für den  Zeitraum Mitte März bis Mitte August 2020 herangezogen.

    Die Autorinnen kritisieren, dass die Perspektive der Kinder und Jugendlichen – insbesondere der armen und sozial benachteiligten Kinder und Jugendlichen – in der öffentlichen Debatte fast komplett fehlt. Intention dieser Streitschrift ist es, Kinder und Jugendliche bei der Beschreibung des bisherigen Corona-Geschehens in den Mittelpunkt zu stellen. Aus diesem Blickwinkel heraus benennen die Autorinnen Fehlsteuerungen und geben fachliche Impulse, damit die Kinder-, Jugend- und Familienperspektive mehr und anders in die Krisenbewältigung einfließen kann.

    Die Streitschrift steht online auf den Websites der Institute ISS und LVG&AFS zur Verfügung:

    Redaktion KONTUREN, 22.10.2020

  • Update für den Jugendmedienschutz

    Zocken, chatten, posten: Nicht erst seit den coronabedingten Einschränkungen ist es für Kinder und Jugendliche selbstverständlich, digitale Medien in ihrem Alltag zu nutzen. Im digitalen Raum verbringen sie viel Zeit. Dort tauschen sie sich aus, spielen, hören Musik. Dabei werden sie aber sehr häufig auch mit Bildern, Videos oder Kommentaren konfrontiert, die sie ängstigen. 41 Prozent der Kinder und Jugendlichen fühlen sich im Internet gemobbt, beschimpft und beleidigt oder massiv von Fremden belästigt und bedrängt.

    Um diesen Risiken wirksam zu begegnen, hat das Bundeskabinett am 14. Oktober 2020 den von Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey vorgelegten Entwurf eines modernen Jugendschutzgesetzes beschlossen.

    Das neue Jugendschutzgesetz schafft:

    • Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Interaktionsrisiken wie Mobbing, sexueller Anmache oder Kostenfallen,
    • Orientierung für Eltern, Fachkräfte und Jugendliche durch einheitliche Alterskennzeichen,
    • Durchsetzung der Regelungen auch gegenüber ausländischen Anbietern, die Kinder und Jugendliche besonders viel nutzen.

    Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey: „Unser Jugendschutz ist veraltet und im Zeitalter von CD-ROM und Videokassette stehengeblieben. Mit dem neuen Jugendschutzgesetz sorgen wir nun für Regelungen im digitalen Zeitalter. Es passt zu den heutigen technischen Möglichkeiten und es hat die verschiedenen Interaktionsrisiken, die das Internet für Kinder und Jugendliche mit sich bringt, im Blick: Belästigungen, Beleidigungen, Abzocke – denen begegnen wir mit dem Update für den Jugendmedienschutz. Kinder und Jugendliche werden besser geschützt, weil Anbieter von Spielen oder sozialen Netzwerken zu altersgerechten Voreinstellungen verpflichtet werden. Verstöße werden in letzter Konsequenz mit Bußgeldern geahndet. Und Eltern, pädagogische Fachkräfte und die Kinder und Jugendlichen selbst bekommen klare Orientierungshilfen, etwa durch einheitliche Alterskennzeichnungen. In der ‚analogen‘ Welt steht ein effektiver Jugendschutz seit Jahrzehnten außer Frage. Das soll und wird nun auch im Netz umgesetzt.“

    Filme oder Spiele sollen künftig die gleiche Alterseinstufung bekommen, egal, ob sie online gestreamt oder im Geschäft an der Ladentheke gekauft werden. Außerdem sollen bei Alterseinstufungen auch Zusatzfunktionen eines Spiels berücksichtigt und nicht nur auf den Inhalt bezogen werden. Insbesondere Kontaktmöglichkeiten, die zu Cybermobbing, Anmache und Missbrauch führen können und Kostenfallen etwa durch „Lootboxes“ und glücksspielsimulierende Elemente in Spielen können zu einer höheren Alterseinstufung führen. Das ist wichtig und auch dringend notwendig, da etwa Chatfunktionen ein Einfallstor für sexuelle Belästigung, das sogenannte Cybergrooming, durch Erwachsene sind.

    Über verpflichtende Vorsorgemaßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen bei der Nutzung von Social-Media-Diensten werden auch die Anbieter stärker in die Verantwortung genommen.

    „Eltern und Kinder müssen Risiken wie Cybergrooming und Cybermobbing kennen und wissen, was sie in diesem Fall tun können. Vor allem aber stehen die Anbieter in der Verantwortung, Kinder und Jugendliche vor diesen Interaktionsrisiken zu schützen. Mit unserem Gesetzentwurf werden nationale wie internationale Anbieter in die Pflicht genommen, geeignete Schutzkonzepte wie altersgerechte Voreinstellungen und Hilfs- und Beschwerdesysteme für ihre jungen Nutzerinnen und Nutzer zu entwickeln und umzusetzen“, so Ministerin Giffey.

    Die bisherige Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien wird zu einer modernen Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz ausgebaut. Die Bundeszentrale wird dafür zuständig sein sicherzustellen, dass die vom Gesetz erfassten Plattformen ihren systemischen Vorsorgepflichten (z. B. sichere Voreinstellungen, Beschwerde- und Hilfesystem) nachkommen. Sie soll Verstöße auch gegenüber ausländischen Anbietern ahnden. Mit der Bundeszentrale werden klare Strukturen im Kinder- und Jugendmedienschutz geschaffen. Die Länder bleiben für die inhaltsbezogenen Maßnahmen im Einzelfall zuständig, der Bund nimmt das Massenphänomen Interaktionsrisiken und eine systemische Vorsorge in den Fokus.

    Der Entwurf wird nachdrücklich unterstützt von UBSKM, vom  Antisemitismusbeauftragten des Bundes, von der Drogenbeauftragten, von Ärzte-, Kinderschutz-, Familien- und Jugendverbänden, von UNICEF und von Kirchen.

    Wenn Bundestag und Bundesrat das Gesetz verabschieden, könnten die neuen Regelungen bereits im Frühjahr 2021 in Kraft treten.

    Download: Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes

    Zahlen und Fakten:

    • 9- bis 17-Jährige sind täglich im Schnitt 2,4 Stunden online.
    • Wenn Kinder und Jugendliche im Netz surfen, dann tun sie das weit überwiegend auf ausländischen Plattformen.
    • Über 40 Prozent der 10- bis 18-Jährigen haben im Internet bereits negative Erfahrungen gemacht; über eine Million von ihnen haben etwas gesehen, das sie geängstigt hat.
    • 800.000 der 10- bis 18-Jährigen wurden bereits im Netz beleidigt oder gemobbt.
    • 250.000 Kinder wurden von Erwachsenen mit dem Ziel sexuellen Missbrauchs kontaktiert.
    • 70 Prozent der Mädchen und Frauen sind bei der Nutzung sozialer Medien von digitaler Gewalt betroffen.

    Pressestelle des Bundesfamilienministeriums, 14.10.2020

  • Suchtmittel am Arbeitsplatz

    Nomos Verlag, Baden-Baden 2020, 281 Seiten, 44,00 €, ISBN 978-3-8487-6249-1

    Alkohol, Drogen, Medikamente – nicht selten führen Suchtmittel zu Störungen im Arbeitsverhältnis. Nicht nur die Arbeitsleistung, sondern auch die Sicherheit im Betrieb kann beeinträchtigt werden.

    Das neue Handbuch erläutert:

    • Wirkweise von Suchtmitteln und Anzeichen für einen Missbrauch
    • Arbeitsrechtliche Möglichkeiten für Suchtmittelkontrollen und -verbote
    • Rechtsfolgen von Abhängigkeit und Missbrauch
    • Handlungspflichten des Arbeitgebers
    • Betriebliches Eingliederungsmanagement
    • Reaktionsmöglichkeiten wie Beschäftigungsverbot, Schadensersatz, Kündigung
    • Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats
    • Datenschutzaspekte

    Das Werk enthält sowohl Hinweise für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer und darüber hinaus zahlreiche praxisrelevante Musterformulierungen für den Umgang mit der schwierigen und heiklen Materie.

  • Stressreport 2019

    Die Arbeitsanforderungen von Beschäftigten in Deutschland sind weiterhin hoch. Zugleich zeigen sich Trends zur Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort. Während etwa zwei von drei Beschäftigten ihre Arbeit planen und einteilen können, hat weniger als jeder Dritte Einfluss auf die Arbeitsmenge, mit abnehmender Tendenz. Etwa jeder siebte Beschäftigte (15 Prozent) sieht seinen Gesundheitszustand als weniger gut oder schlecht an. Bei den genannten Beschwerden haben Schlafstörungen und Erschöpfung als Anzeichen gestörter Erholung zugenommen. Dies und mehr zeigt der Stressreport 2019, den die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) veröffentlicht hat.

    Dabei geht der Stressreport 2019 dezidiert auf Schlüsselfaktoren der belastungsgünstigen Arbeitsgestaltung ein.

    „Eine gute Gestaltung der Arbeit trägt wesentlich zur Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten bei“, sagt Isabel Rothe, Präsidentin der BAuA. „Dazu sind die Arbeitsanforderungen wie Arbeitsmenge und Arbeitszeit angemessen zu steuern. Zudem brauchen die Beschäftigten ausreichende Handlungsspielräume, um ihre Aufgaben zu bewältigen. Wichtige Kraftquellen sind dabei auch eine gute Erholung von der Arbeit sowie die Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzte.“

    So zeigt der Stressreport, dass die Arbeitsintensität für rund die Hälfte der Beschäftigten seit einigen Jahren unverändert hoch ist. Etwa die Hälfte der befragten abhängig Beschäftigten gibt an, häufig von starkem Termin- oder Leistungsdruck betroffen zu sein. Zugleich verringern sich bei einem Teil der Beschäftigten – auch vor dem Hintergrund digitaler Steuerungssysteme – die Handlungsspielräume. Dies trägt offensichtlich auch bei, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei diesen Beschäftigten eher zunehmen.

    80 Prozent der Befragten geben an, von ihren Kollegen, und 60 Prozent von ihrem Vorgesetzten, unterstützt zu werden. Die Belastung der Führungskräfte selber ist, beispielsweise durch ortsflexible Arbeit und überlange Arbeitszeiten, oft sehr hoch. Dabei ist die Rolle der Vorgesetzten als Unterstützer immer dann besonders wichtig, wenn Organisationsveränderungen oder neue Aufgaben zu bewältigen sind.

    Im Trend ist Arbeit immer weniger an feste Zeiten und Arbeitsplätze gebunden. So berichtet beispielsweise fast jeder fünfte Erwerbstätige, in Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu arbeiten. Haben Beschäftigte zeitliche Handlungsspielräume, geht das häufig auch mit einer besseren Gesundheit einher. Arbeitszeit sollte für Beschäftigte planbar und vorhersehbar sein. Etwa jeder vierte Beschäftigte arbeitet laut Stressreport ortsflexibel, was mit Dienstreisen, Auswärtsübernachtungen oder wechselnden Arbeitsorten verbunden ist. Mobil beziehungsweise ortsflexibel Tätige berichten – im Vergleich zu den übrigen Beschäftigten – seltener, dass ihnen die Trennung zwischen Arbeit- und Privatleben gelingt.

    So haben seit 2012 auch Erholungsbeeinträchtigungen zugenommen. Immerhin gibt etwa jeder dritte Beschäftigte lange oder überlange Arbeitszeiten an. Von häufiger Müdigkeit berichtet fast die Hälfte und von häufigen Schlafstörungen fast ein Drittel der Beschäftigten. Über körperliche Erschöpfung klagen zudem aktuell 37 Prozent, über emotionale Erschöpfung mehr als ein Viertel der Beschäftigten, und 22 Prozent der Befragten geben an, von der Arbeit häufig nicht abschalten zu können.

    Tätigkeiten, die von hohen Arbeitsanforderungen geprägt sind und gleichzeitig eher geringe Handlungsspielräume aufweisen, haben besondere Gestaltungsanforderungen. Der Stressreport legt hier ein besonderes Augenmerk auf Tätigkeiten im Gesundheitsbereich und in den Logistikberufen.

    Mit dem Stressreport 2019 liefert die BAuA Daten und Fakten zum Thema psychische Gesundheit für die Debatte in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Grundlage des Stressreports 2019 ist die BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2018, für die mehr als 20.000 Erwerbstätige befragt wurden. Ausgewertet wurde im Vergleich zu den Erwerbstätigenbefragungen von 2006 und 2012. Zudem flossen auch Daten aus der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2017 sowie der BAuA-Studie zur Mentalen Gesundheit bei der Arbeit (S-MGA) ein.

    Die BAuA bringt den Stressreport sowie ihre Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung in die „Offensive Psychische Gesundheit“ ein, die gemeinsam vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend getragen wird. Ihr Startschuss fiel am 5. Oktober 2020 in Berlin. In diesem Rahmen leistet die BAuA mit ihren Erkenntnissen zur menschengerechten Gestaltung von Arbeit einen wichtigen Beitrag und trägt zur Vernetzung der vorhandenen Präventionsangebote zur psychischen Gesundheit bei.

    Publikation:

    • Stressreport Deutschland 2019. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befindinden, Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2020; 1. Auflage; 225 Seiten; ISBN: 978-3-88261-259-2; DOI: 10.21934/baua:bericht20191007.
    • Den Stressreport gibt es im PDF-Format zum Herunterladen im Internetangebot der BAuA unter www.baua.de/publikationen.

    Pressestelle der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 01.10.2020