Kategorie: Kurzmeldungen

  • Synthetische Drogen auf dem Vormarsch

    BKA-Präsident Holger Münch und Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung
    BKA-Präsident Holger Münch und Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung

    Die Zahl der polizeilich erfassten Fälle von Rauschgiftkriminalität ist im Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr um fast zehn Prozent gestiegen und hat mit 276.734 Fällen wieder das Niveau des Jahres 2005 erreicht. Die Anzahl der erstauffälligen Konsumenten harter Drogen (EKhD) nahm um rund fünf Prozent zu (20.120 Konsumenten), die der Tatverdächtigen um knapp zehn Prozent (228.110 Tatverdächtige). Ebenso stieg die Zahl der Drogentoten um drei Prozent auf 1.032 Personen leicht an.

    Während die Anzahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Konsum von Heroin, Kokain und Crack seit Jahren zurückgeht, steigt die Anzahl der Todesfälle nach dem Konsum von Amphetaminen und Metamphetaminen. Auffällig ist die um das Fünffache gestiegene Anzahl der Todesfälle nach dem Konsum Neuer Psychoaktiver Stoffe (NPS), so genannter „Legal Highs“. Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung: „Der zuletzt leichte Anstieg der Drogentodeszahlen trübt den Blick auf die langfristig positive Entwicklung. Denn die Anzahl der Drogentoten hat sich seit 2000 halbiert. Das ist ein Erfolg der Drogen- und Suchtpolitik der Bundesregierung. Dennoch ist jeder Todesfall ein Todesfall zu viel. Ich habe in diesem Jahr verschiedene Initiativen auf den Weg gebracht. Wir haben nunmehr zusätzliche finanzielle Mittel für die Prävention im Bereich ‚Crystal Meth‘ zur Verfügung, und wir erarbeiten neue gesetzliche Regelungen, um den Handel mit Neuen Psychoaktiven Substanzen besser zu unterbinden. Außerdem sollen die Bedingungen der Substitutionsbehandlung für Ärzte verbessert werden. Denn eine gelungene Substitution ist der beste Schutz vor einem Drogentod bei einer Opiatabhängigkeit.“

    Der Anstieg der Todesfälle zeigt, dass die Bundesregierung in ihren Aktivitäten gegen Drogen und Sucht nicht nachlassen darf. Um die Gründe für den Anstieg herauszufinden, werden aktuelle Trends analysiert. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Gründe vielschichtig sind. Dies gilt auch für die regionalen Unterschiede. Auffällig ist neben dem Anstieg der Todesfälle durch Crystal Meth und NPS der Anstieg der Suizide von Drogenabhängigen. Hinzu kommen Todesfälle durch Langzeitschäden des Drogenkonsums, etwa auf Grund einer Leberschädigung durch eine Hepatitis-Infektion. Letztere liegt oft über 30 Jahre zurück und führt erst viele Jahre später zum Tod.

    In enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Landesbehörden erzielte das Bundeskriminalamt (BKA) im Jahr 2014 besondere Ermittlungserfolge: Im September 2014 konnten 330 Kilogramm Heroin mit einem geschätzten Straßenhandelspreis von mehr als 50 Millionen Euro sichergestellt werden. Anfang November 2014 beschlagnahmten Ermittler des BKA 2,9 Tonnen Chlorephedrin, geeignet zur Herstellung von rund 2,3 Tonnen Crystal mit einem geschätzten Straßenverkaufswert von 184 Millionen Euro. „Die großen Sicherstellungsmengen dieser beiden Substanzen sind einmalig in Deutschland“, sagt BKA-Präsident Holger Münch. „Die Sicherstellungen verdeutlichen die wichtige Rolle Deutschlands als Transitland und als Absatzmarkt für Rauschgift. Der Drogenhandel gehört nach wie vor zum Kerngeschäft Organisierter Kriminalität.“

    Trotz des weiterhin hohen Zufuhrdrucks von Heroin und Kokain aus dem Ausland ist eine sukzessive Veränderung des Rauschgiftmarktes festzustellen: Die Zahlen der EKhD von Heroin und Crack sowie etwas schwächer ausgeprägt auch von Kokain gehen seit zehn Jahren zurück. Während im Jahr 2004 noch 5.324 EKhD von Heroin registriert wurden, waren es im vergangenen Jahr 1.648. Heroin spielt heute in Europa eine geringere Rolle als noch vor zehn Jahren, wohingegen Stimulanzien, synthetische Drogen, Cannabis und Arzneimittel immer mehr an Bedeutung gewinnen. „Synthetische Drogen werden bei Rauschgiftkonsumenten immer beliebter. Die Verfügbarkeit von Amphetaminen und Metamphetaminen ist ungebrochen hoch“, sagt BKA-Präsident Holger Münch.

    Die in Deutschland am häufigsten festgestellte synthetische Droge bleibt Amphetamin. Ecstasy weist nach Jahren rückgängiger Fall- und Sicherstellungszahlen wieder deutlich steigende Tendenzen auf. Mitverantwortlich hierfür ist die große Zahl der illegalen Amphetamin- und Ecstasy-Laboratorien mit ihren hohen Produktionskapazitäten in den Niederlanden und in Belgien. Darüber hinaus gewinnt auch die Droge Crystal weiter an Bedeutung. Die hohe Verfügbarkeit aufgrund zunehmender Produktionskapazitäten überwiegend in der Tschechischen Republik führt zur weiteren Ausbreitung von Crystal in Deutschland.

    In Deutschland sind mittlerweile über 1.500 verschiedene Produkte mit rund 160 unterschiedlichen NPS festgestellt worden. Allein im vergangenen Jahr wurden 58 neue Wirkstoffe erstmals auf dem deutschen Markt festgestellt. Problematisch ist, dass der Handel mit neuen Stoffen nicht unmittelbar unter Strafe gestellt ist, dies erfolgt erst durch die zeitaufwendige Aufnahme jedes einzelnen Stoffes in die Anlagen zum Betäubungsmittelgesetz. „Ich spreche mich klar für eine andere Verfahrensweise aus. Es müssen ganze Stoffgruppen unter Strafe gestellt werden“, betont Holger Münch.

    Auf dem europäischen Markt ist Cannabis das am häufigsten sichergestellte Betäubungsmittel. Dies bestätigt sich 2014 auch in Deutschland. Bei knapp der Hälfte aller Sicherstellungsfälle (63.519) wurde Marihuana beschlagnahmt. Dass Marihuana bei den Konsumenten beliebter ist als Haschisch, dürfte auch auf den seit zehn Jahren zu beobachtenden Zuwachs von Indoorplantagen in Deutschland zurückzuführen sein.

    Eine zusätzliche Herausforderung für die Strafverfolgung ist der Handel und Vertrieb von Drogen über das Internet. Hersteller, Lieferanten, Einzelhändler, Website-Hoster und Zahlungsabwicklungsdienste sind häufig in verschiedenen Ländern ansässig. Dadurch sowie durch die zunehmende Nutzung von Anonymisierungsdiensten werden die Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten erheblich erschwert. Ergänzende Zahlen und Informationen zur Rauschgiftlage können über die Homepage des BKA unter www.bka.de und auf der Internetseite der Drogenbeauftragten der Bundesregierung unter www.drogenbeauftragte.de abgerufen werden.

    Pressestellen des BKA und der Bundesdrogenbeauftragten, 21.04.2015

  • Neue psychoaktive Substanzen in der Schweiz

    Sucht Schweiz Im Fokus 2015 NPS_cover_rahEine rasch wachsende Zahl neuer psychoaktiver Substanzen wird heute als Alternative zu den gängigen illegalen Drogen gehandelt, vermehrt via Internet. Zusammensetzung, Wirkung und Risiken sind oft unbekannt. Konsumierende werden zu Versuchskaninchen. Sucht Schweiz fasst Wissenswertes über neue psychoaktive Substanzen erstmals in einer Publikation aus der Reihe „Im Fokus“ zusammen und rät zur Vorsicht.

    Jamaican Gold, 25-I, MXE oder AH-7921 – ihre Namen klingen exotisch und die Bezeichnungen „legal highs“, „research chemicals“ oder „Badesalz“, unter denen sie an Verboten vorbei in den Handel gelangen, tragen zur Verwirrung bei. Das Angebot an psychoaktiven Substanzen wird laufend unübersichtlicher und größer. Die meisten dieser Substanzen wirken ähnlich wie illegale Drogen. Fachkreise sprechen von „Neuen Psychoaktiven Substanzen“ (NPS), die eine aufputschende Wirkung haben, dämpfend oder halluzinogen auf das Zentralnervensystem einwirken.

    NPS stehen für einen wachsenden Markt. Das EU-Frühwarnsystem für neue Drogen vermeldet laufend neue Substanzen, welche oft attraktiv verpackt in Smart- oder Headshops, auf der Gasse oder via Internet angeboten werden. In Europa wurden unlängst 650 Sites ausgemacht, die NPS anbieten, zweifellos nur ein Bruchteil des Online-Markts. Offizielle, meist in Asien niedergelassene Firmen stellen die NPS im Auftrag europäischer Online-Händler her.

    Nach den vorhandenen Daten bleibt der Konsum der bekanntesten NPS in der Schweiz bis heute begrenzt. Suchtfachleute beobachten die Situation mit wachsamem Auge, zumal in anderen Ländern der Konsum mancher dieser Substanzen ein viel höheres Niveau erreicht hat.

    Die NPS mit dem größten Kreis an Konsumierenden sind die synthetischen Cannabinoide, die Räuchermischungen beigefügt werden und ähnlich wirken wie Cannabis. Das Rauchen von Produkten wie Spice oder Yucatan Fire kann Bluthochdruck, Krämpfe oder Übelkeit hervorrufen. Aber auch Herz-Kreislauf- und Magen-Darm-Störungen oder Psychosen können resultieren oder mitverursacht werden. Der Konsum von synthetischen Cannabinoiden erhöht auch das Unfallrisiko im Straßenverkehr, und wer regelmäßig konsumiert, riskiert eine Abhängigkeit. Die zweite gut bekannte NPS-Familie sind die synthetischen Cathinone wie Mephedron oder 4-MEC. Sie wirken stimulierend, wobei als unerwünschte Wirkungen Angstzustände, Kreislaufprobleme und Übelkeit bekannt sind.

    Konsumierende sollten wissen, dass sie Produkte einnehmen, deren Inhalt und Wirkung oft unbekannt sind und gefährlich sein können. Über die Gefahren dieser Substanzen zu informieren, ist deshalb ein wichtiges Anliegen der Prävention. Wer sich trotz Risiken für den Konsum entscheidet, sollte die schadensmindernden Regeln beachten. Dazu zählt:Erst kleine Mengen konsumieren, um die Wirkung im Griff zu behalten, nicht alleine konsumieren, Drogen nicht mischen und viel (Alkoholfreies) trinken.

    Bis Ende 2014 belief sich die Zahl der in der Schweiz verbotenen NPS auf etwa 150. Vom Zoll oder von der Polizei beschlagnahmte NPS werden laufend verboten, sofern sie keine legitime Verwendung in der Medizin oder der Industrie finden. Wer eine NPS besitzt, hält somit mit großer Wahrscheinlichkeit eine Substanz in der Hand, deren Verkauf und Besitz im Prinzip illegal sind, auch wenn sie als „legal high“ verkauft wurde.

    Pressestelle von Sucht Schweiz, 15. April 2015

  • Zu viel Internet macht Jugendliche einsam

    Isoliert, unkommunikativ oder gereizt – laut einer aktuellen Studie der Klinik für Psychosomatische Medizin der Universitätsmedizin Mainz beeinflusst intensiver Konsum von Onlinespielen und Online-Sexangeboten die Bindungsfähigkeit von Jugendlichen. Sind sie über sechs Stunden täglich online, egal ob über Mobiltelefon oder Computer, fällt es Jugendlichen schwerer, Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen.

    Allein im abgedunkelten Zimmer, Tag und Nacht vor dem Computer, keine Freunde in der wirklichen Welt – viele Eltern machen sich Sorgen, dass ihr Kind in einem Teufelskreis aus Internetsucht und Einsamkeit landet. Gehen echte Beziehungen neben sozialen Netzwerken wie Facebook und Onlinespielen wie World of Warcraft verloren, wo doch der Aufbau von Freundschaften zu den wichtigsten Entwicklungsaufgaben des Jugendalters gehört? Dieser Frage ist jüngst ein Forscherteam um Professor Dr. med. Manfred Beutel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin der Universitätsmedizin Mainz, mit einer Befragung von rund 2.400 Jugendlichen zwischen zwölf und 18 Jahren in Rheinland-Pfalz nachgegangen.

    Eines der zentralen Ergebnisse lautet: „Jugendliche, die häufig Angebote von Onlinespielen und Online-Sexportalen nutzen, haben eine schlechtere Bindung zu ihren Freunden. Das heißt, sie kommunizieren weniger, vertrauen ihren Freunden nicht so sehr und fühlen sich von anderen stärker entfremdet. All diese Faktoren begünstigen letztlich die soziale Ausgrenzung“, sagt Prof. Beutel. Digitale soziale Netzwerke seien hingegen förderlich für die Beziehung und Bindung zu Gleichaltrigen. Allerdings könnten sie zu einem suchtartigen Gebrauch führen, welcher wiederum die Bindung zu Gleichaltrigen negativ beeinflusst.

    3,4 Prozent der befragten Jugendlichen nutzen das Internet suchtartig. Das bedeutet: Sie sind mehr als sechs Stunden täglich online, haben keine Kontrolle mehr über Onlinezeiten, geben ihre Interessen auf und erleiden schädliche persönliche, familiäre oder schulische Konsequenzen aufgrund der vielen Zeit vor dem Computer oder am Handy. 13,8 Prozent zeigen zwar keinen suchtartigen, aber dennoch einen exzessiven und ‚ausufernden‘ Gebrauch. Mädchen und Jungen sind davon gleichermaßen betroffen.

    Im Hinblick darauf, mit welchen Inhalten sie sich online beschäftigen, unterschieden sich Mädchen und Jungen allerdings: Mädchen nutzen das Internet häufiger für den sozialen Austausch, zur Recherche und zum Online-Shopping, Jungen verbringen mehr Zeit mit Onlinespielen. Prof. Beutel, der in seiner Klinik in der Ambulanz für Spielsucht auch betroffene Jugendliche und Eltern behandelt, stellt zudem fest: „Sozial unsichere oder gehemmte Jugendliche wenden sich eher Online-Aktivitäten zu, die weniger Kontakt und Austausch erfordern.“ Seine Empfehlung lautet deswegen: „Eltern und Lehrer haben die Aufgabe, Jugendliche sowohl in der Entwicklung ihrer Mediennutzung zu begleiten als auch ihren sozialen Umgang zu beachten.“

    Wetzstein Medizinkommunikation, 03.03.2015

  • Eltern setzen auf stärkeren Kinder- und Jugendmedienschutz

    Cover DJI-Studie Medienerziehung_rahmen2Eltern benötigen Informationen zur altersgerechten Internetnutzung ihrer Kinder bereits ab dem frühen Kindesalter, dies zeigt die Studie „Digitale Medien: Beratungs-, Handlungs- und Regulierungsbedarf aus Elternperspektive“ des Deutschen Jugendinstitutes in München (DJI). Da Kinder im Schulalter das Internet aufgrund mobiler Zugänge und eigener Geräte zunehmend selbstständig und damit außerhalb der elterlichen Kontrolle nutzen, legen Eltern besonderen Wert auf eine verbindliche altersgerechte Kennzeichnung von Internetinhalten sowie auf einen stärkeren Kinder- und Jugendschutz im Internet.

    Im Grundschulalter steigt die Zahl der Internetnutzer/-innen sprunghaft an: Mit neun Jahren sind 80 Prozent der Kinder online, mit zwölf Jahren nahezu alle. 72 Prozent der Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe sind mit einem Smartphone online – zu 97 Prozent handelt es sich dabei um das eigene Gerät. Ein Tablet kommt unabhängig vom Alter bei mehr als einem Drittel zum Einsatz. Mit zunehmendem Alter der Kinder steigt auch die Bandbreite der wahrgenommenen Jugendschutzprobleme im Netz – insbesondere im Kontext der Sozialen Medien. Mehr als ein Viertel der Mütter von Klein-, Vor- und Grundschulkindern gibt an, auf jugendschutzrelevante Probleme während des Internetbesuchs ihres Kindes gestoßen zu sein. Bei den Sekundarschüler/-innen ist der Anteil der Mütter, die davon berichten, doppelt so hoch. Probleme mit Onlinespielen und Online-Werbung werden dabei am häufigsten benannt.

    In Fragen der Interneterziehung ihres Kindes schätzen sich ein gutes Drittel der Mütter und mehr als die Hälfte der Väter als „sehr kompetent“ oder „kompetent“ ein. Doch trotz eigenem Kompetenzempfinden sind Eltern auf aktuelle und verlässliche Informationen angewiesen, um ihrer Erziehungsverantwortung gerecht werden zu können. Hinweise zu Kinderschutzeinstellungen der Geräte sind deshalb für 64 Prozent der Mütter und 50 Prozent der Väter „sehr wichtig“; Informationen zu Jugendschutzsoftware für 60 Prozent bzw. 46 Prozent und zu Risiken im Netz für 67 Prozent bzw. 55Prozent. Jeweils 55 Prozent der Mütter bzw. 40 Prozent der Väter finden Hinweise zu kindgerechten Internetseiten und Apps und zur altersgerechten Internetnutzung „sehr wichtig“. Dabei sind Eltern für viele Informationswege offen: Neben Printmaterialien zur Medienerziehung werden Elternabende, das Internet, Beratungsstellen vor Ort und der persönliche Austausch geschätzt.

    Eltern übernehmen Verantwortung für die Medienerziehung ihrer Kinder. Sie sehen sich dabei aber nicht allein in der Pflicht, sondern auch Medienanbieter, Gesetzgeber, Schulen und andere öffentliche Institutionen. 89 Prozent der Mütter und 78 Prozent der Väter meinen, dass der Kinder- und Jugendschutz im Internet verschärft werden sollte.

    Weitere Informationen und die Studie zum Download finden Sie hier.

    Pressestelle des DJI, 16.04.2015

  • Wolfram-Keup-Förderpreis 2016

    buss_marke_originalDer Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V. vergibt zum vierten Mal den ‚Wolfram-Keup-Förderpreis’ für die beste wissenschaftliche oder praxisorientierte Arbeit auf dem Gebiet der Entstehung und Behandlung von Missbrauch und Sucht.

    Aus dem Nachlass des Projektes ‚Frühwarnsystem zur Erfassung von Veränderungen der Missbrauchsmuster chemischer Substanzen in der Bundesrepublik Deutschland’, das Professor Wolfram Keup initiiert und bis zu seinem Tod am 4. Januar 2007 geleitet hat, wird zur Erinnerung an den Stifter alle zwei Jahre der ‚Wolfram-Keup-Förderpreis’ öffentlich ausgeschrieben und vergeben.

    Alle Personen und Institutionen, die sich in der wissenschaftlichen Forschung oder der therapeutischen Behandlungspraxis mit den Themen Missbrauch und Sucht beschäftigen, sind aufgefordert, sich mit eigenen Untersuchungen oder Projekten um den Wolfram-Keup-Förderpreis 2016 zu bewerben. Die vorgelegten Arbeiten müssen sich mit der Entstehung oder der Behandlung von Missbrauch und Sucht (mit oder ohne Substanzbezug) beschäftigen. Dabei kann es sich um wissenschaftliche Studien handeln, aber auch die Realisierung von Präventionsmaßnahmen oder die Erprobung von Behandlungskonzepten. Der Förderpreis ist mit einem Preisgeld von 2.000 € ausgestattet.

    Einsendeschluss ist der 31. Oktober 2015. Die Preisverleihung erfolgt im Rahmen der Wissenschaftlichen Jahrestagung des buss am 16. März 2016 in Berlin. Weitere Informationen erhalten Sie in den Ausschreibungsunterlagen unter www.suchthilfe.de oder direkt in der Geschäftsstelle, buss@suchthilfe.de, Tel. 0561/77 93 51.

    buss, 21.04.2015

  • Neue Alkoholstudie

    Die Sterblichkeit von Patienten mit Alkoholabhängigkeit in Allgemeinkrankenhäusern ist um ein Vielfaches höher als bei Behandelten ohne Alkoholabhängigkeit. Außerdem sterben sie im Schnitt rund 7,6 Jahre früher als Krankenhauspatienten ohne einen solchen Suchthintergrund. Das haben Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn mit britischen Kollegen anhand von Patientendaten mehrerer Allgemeinkrankenhäuser in Manchester (England) herausgefunden. Die Forscher fordern eine frühere und intensivere psychotherapeutische Begleitung von Alkoholkranken. Die Studie ist nun im Journal „European Psychiatry“ veröffentlicht.

    „Mit der Alkoholsucht sind sowohl psychische Probleme als auch erhebliche körperliche Beeinträchtigungen der Gesundheit verbunden“, sagt Dr. Dieter Schoepf von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn. „Im Schnitt sterben Alkoholiker, die wegen gesundheitlicher Probleme in britischen Allgemeinkrankenhäusern behandelt wurden, aufgrund des Zusammenwirkens mehrerer körperlicher Begleiterkrankungen 7,6 Jahre früher als Patienten ohne Alkoholsucht“, berichtet der Wissenschaftler. Für die Studie werteten Dr. Schoepf und Prof. Dr. Reinhard Heun vom Royal Derby Hospital in England Patientendaten von sieben Allgemeinkrankenhäusern in Manchester aus. Es handelt sich dabei um eine Langzeitbeobachtung: Die Daten erstrecken sich über einen Zeitraum von 12,5 Jahren. Mit ihrer Hilfe analysierten die Wissenschaftler die körperlichen Begleiterkrankungen von 23.371 Krankenhauspatienten mit Alkoholsucht und verglichen sie mit einer Kontrollgruppe aus zufällig ausgewählten 233.710 Behandelten ohne Alkoholismus. „Im Beobachtungszeitraum starb etwa jeder fünfte Krankenhauspatient mit Alkoholsucht in einem der Krankenhäuser, während es bei der Kontrollgruppe nur jeder zwölfte Patient war“, fasst Prof. Heun das Ergebnis zusammen.

    Insgesamt 27 körperliche Krankheiten traten gehäuft bei Patienten mit Alkoholsucht auf: etwa der Leber, der Bauchspeicheldrüse, der Atemwege, des Magen-Darm-Traktes und des Nervensystems. Im Gegensatz dazu waren etwa Herzinfarkte, Herzkreislauferkrankungen und Grauer Star bei den Patienten mit Alkoholismus weniger häufig als bei der Kontrollgruppe. „Patienten mit Suchtproblemen werden oft als Notfälle in Kliniken eingeliefert. Bei der Diagnose stehen dann die akuten Symptome im Vordergrund – das führt möglicherweise dazu, dass nicht alle körperlichen Erkrankungen erfasst werden“, vermutet Dr. Schoepf. Auch ein geringeres Schmerzempfinden und Wahrnehmungsstörungen der Suchtkranken könnten dazu führen, dass bestimmte Krankheitsbilder von den Ärzten nicht erkannt werden.

    Die Studie sei in dieser Form einzigartig, betonen die Wissenschaftler. Die große Zahl erfasster Patienten und die umfangreiche Kontrollgruppe erlaubten eine sehr differenzierte Auswertung. Der für solche Untersuchungen ungewöhnlich lange Beobachtungszeitraum ermögliche darüber hinaus, auch Krankheiten zu erfassen, die nur allmählich Beschwerden machen. Dass die Untersuchung ausgerechnet mit Daten aus Großbritannien durchgeführt wurde, hängt mit dem leichteren Zugang zu den notwendigen Informationen in England zusammen. „Die Ergebnisse beziehen sich zwar auf Allgemeinkrankenhäuser in Manchester, sie sind aber aufgrund der großen Stichproben repräsentativ und lassen sich deshalb auf andere Allgemeinkrankenhäuser in anderen Ländern verallgemeinern“, sagt Dr. Schoepf. Aus Sicht der Wissenschaftler verdeutlicht die erhöhte Sterblichkeit der Patienten mit Alkoholismus in Allgemeinkrankenhäusern, dass die Sucht als Ursache der vielfältigen körperlichen Folgen in einem deutlich früheren Stadium therapiert werden muss. „Durch gewissenhaftes Screening und die frühzeitige Behandlung von psychischen und körperlichen Begleiterkrankungen sollte es möglich werden, die Lebenserwartung von Alkoholkranken deutlich zu erhöhen“, sagt Prof. Heun.

    Pressestelle der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 02.04.2015

  • Verabschiedung von Dr. Martin Beutel

    Dr. Martin Beutel, scheidender Vorsitzender des buss, und seine Nachfolgerin Dr. Wibke Voigt in der Mitgliederversammlung 2015 in Berlin
    Dr. Martin Beutel, scheidender Vorsitzender des buss, und seine Nachfolgerin Dr. Wibke Voigt in der Mitgliederversammlung 2015 in Berlin

    „Allein unter älteren Herren“ – so fühlte sich Dr. Martin Beutel, als er 1986 mit Anfang dreißig seine erste buss-Jahrestagung besuchte. Es folgten knapp 30 Jahre Verbandsarbeit im Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss), davon 18 Jahre als Vorsitzender. Im März verabschiedete sich Dr. Martin Beutel aus Altersgründen aus seinem Amt. „Lieber Entwicklungen mitgestalten als passiv abwarten“, das war seine Devise und seine persönliche Motivation. Dementsprechend hat er die positive Entwicklung des Verbandes maßgeblich bestimmt und sich mit strategischem Weitblick für Weiterentwicklungen im Suchthilfesystem eingesetzt.

    Ein Blick zurück

    In seiner Abschiedsrede in der Mitgliederversammlung des buss ließ er die Themen, die die Fachszene über die Jahre bewegten und sein Wirken bestimmten – als Vorsitzender und als Chefarzt der Kraichtal-Kliniken –, Revue passieren. Nach der Wiedervereinigung 1989 stand der Ausbau von Versorgungsstrukturen im Osten Deutschlands im Vordergrund. Das Medikament Campral (Wirkstoff Acamprosat) zum Einsatz bei Alkoholabhängigkeit kam auf den Markt und sorgte für Unruhe bei den auf Abstinenz ausgerichteten Suchtreha-Kliniken. Ein Meilenstein war die Modernisierung des Verbandes im Jahre 1994: Der damalige „Verband der Fachkrankenhäuser für Suchtkranke“ gab sich eine neue Satzung und einen neuen Namen: Er hieß nun Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe – buss.

    Weitere bestimmende Themen waren die Einführung des Qualitätssicherungsprogramms der Rentenversicherung mit dem „5-Punkte-Programm“ 1994 und die Reha-Krise ab 1997 in Zusammenhang mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, das zur Einführung des Reha-Budgets und zu Therapiezeitverkürzungen führte. Im Jahr 2000 wurde auf Betreiben von Dr. Beutel die Deutsche Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Suchttherapie (deQus) gegründet. Die Geschichte gab ihm recht: Seit September 2012 gilt die Zertifizierungspflicht in Suchtkliniken. Seit 2010 ist das von der deQus angebotene Zertifizierungsverfahren von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) anerkannt. Im Vorstand der deQus bleibt Dr. Beutel weiterhin aktiv.

    Neue Süchte und Therapie- und Forschungsansätze tauchten auf, die der Verband unter anderem in seinen Tagungsthemen aufgriff: Therapie und Arbeit, Pathologisches Glücksspiel, Internetsucht, Neurobiologie, Suchthilfe in Europa, um nur einige zu nennen. 2003 feierte der Verband sein 100-jähriges Bestehen, 2014 fand in Berlin die 100. Jahrestagung statt.

    2007 erbte der buss den Nachlass des Projektes „Frühwarnsystem zur Erfassung von Veränderungen der Missbrauchsmuster chemischer Substanzen in der Bundesrepublik Deutschland“ von Professor Wolfram Keup. Seit 2010 wird aus diesem Nachlass alle zwei Jahre der „Wolfram-Keup-Förderpreis“ für die beste wissenschaftliche oder praxisorientierte Arbeit auf dem Gebiet der Suchttherapie öffentlich ausgeschrieben und vergeben.

    Entwicklung der S3-Leitlinie zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit

    In den letzten Jahren hat sich Dr. Beutel intensiv an der Entwicklung der S3-Leitlinie zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit beteiligt und mit der Frage nach Wirksamkeit und Evidenz in der Suchtbehandlung auseinandergesetzt. Nach außen manifestierte sich dies im Thema der diesjährigen Jahrestagung im März, das lautete: „Wie evidenzbasiert kann ganzheitliche Therapie sein?“ In seiner Eröffnungsrede nannte Dr. Beutel das Spannungsverhältnis von Evidenzbasierung und ganzheitlicher Therapie „ein Grundproblem der Medizin, das bei psychischen Erkrankungen nur am deutlichsten zu Tage tritt. Wie verbinden wir evidenzbasierte Medizin mit ganzheitlicher Behandlung, mit Menschlichkeit, mit Verstehen, mit Begleitung?“

    Es kommt darauf an, die verschiedenen Ansätze zu integrieren und den Gesamtzusammenhang im Blick zu behalten. Einer, der sich von Moden und Wellen nicht irritieren ließ, aber stets den Puls der Zeit erkannte, verabschiedet sich jetzt aus der ersten Reihe. Der Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe dankt Dr. Martin Beutel sehr herzlich für seinen langjährigen Einsatz. Von Weitblick und modernem Denken zeugte auch Dr. Beutels Idee, die Sucht-Fachzeitschrift KONTUREN durch den buss als Online-Magazin dev.konturen.de/ herauszugeben – einer von vielen Impulsen, die das Verbandsgeschehen auch in Zukunft prägen werden.

    Der neue Vorstand

    Als Nachfolgerin von Dr. Beutel und neue Vorsitzende des buss wurde Dr. Wibke Voigt, Chefärztin der Fachklinik St. Vitus GmbH, Suchtfachklinik für Frauen, Visbek, gewählt. Der Vorstand besteht nun bis zur nächsten regulären Wahl im März 2017 neben der Vorsitzenden Dr. Voigt aus den beiden stellvertretenden Vorsitzenden Gotthard Lehner (Fachklinik Haus Immanuel) und Dr. Bernd Wessel (Essen) sowie den weiteren Vorstandsmitgliedern Karin Feugmann (Fachkliniken Peterhof und Scheifeshütte), Christian Heise (Baden-Württembergischer Landesverband für Rehabilitation und Prävention bw-lv), Johannes Müller (Klinikum Oberberg), Andreas Reimer (Deutscher Orden Suchthilfe), Petra Sarstedt-Hülsmann (Lukas-Werk Gesundheitsdienste) und Olaf Szakinnis (Fachklinik Klosterwald).

    Simone Schwarzer/Redaktion, 13.04.2015

  • Online-Portal Reha-Recht

    Reha-Recht Forum D: Entwicklungen und ReformvorschlägeDas SGB IX als übergeordnetes Gesetz für die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen führt auch Jahre nach seiner Inkraftsetzung 2001 noch immer zu Problemen bei der Rechtsanwendung. Um hier eine Hilfestellung zu geben, hat die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation e.V. (DVfR) das „Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht“ auf www.reha-recht.de eingerichtet. Dieses soll zum einen noch nicht hinreichend bekannte Rechtsnormen und die aktuelle Rechtsprechung samt ihrer Auslegung verbreiten. Zum anderen soll es in der juristischen Fachöffentlichkeit und bei den Akteuren in Betrieben und Institutionen zur Diskussion von Rechtsfragen anregen bzw. diese öffentlich ermöglichen. Bisher wurden innerhalb von vier verschiedenen thematischen Kategorien Diskussionsbeiträge veröffentlicht (Foren A bis D).

    Seit September 2014 steht ein weiteres Forum zur Verfügung (Forum E), in dem es um das „Recht der Dienste und Einrichtungen“ geht. Ziel dieses Forums E ist es, offene Fragen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Erbringern, Empfängern und Kostenträgern von Reha-Leistungen zu beleuchten und zu diskutieren, denn obwohl das SGB IX verschiedene Vorschriften und Regeln zur Koordinierung der Leistungserbringung enthält, ergeben sich in der Praxis regelmäßig Streitfragen, die nicht immer gerichtlich geklärt werden. Unter anderem werden folgende Themen im Forum E verstärkt aufgegriffen: Schiedsstellenverfahren bei Vertragsverhandlungen, Abrechnung von Leistungen, Auswirkungen von Qualitätsanforderungen, Fragen des Verbraucherschutzes, Fragen der Bedarfsplanung sowie Heim- und Einrichtungsrecht (z. B. Heimbegriff und Folgen, Aufsichtsrecht). Die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation lädt alle Interessierten dazu ein, die Diskussionen zu verfolgen und insbesondere auch eigene Fragen einzubringen. Kontakt: Steffen Heidt, s.heidt@dvfr.de

    DVfR, Februar 2015

  • Dr. Harry Fuchs wird 70 Jahre alt

    Dr. Harry FuchsIn der Rehabilitationslandschaft Deutschlands ist Harry Fuchs als Verfechter eines konsequent auf die Förderung von Selbstbestimmung und gleichberechtigter Teilhabe behinderter Menschen ausgerichteten Sozialwesens bekannt und anerkannt. Als unabhängiger Sachverständiger in den Bereichen Gesundheitswesen (Versorgungsstrukturentwicklung), Rehabilitation, Pflegeversicherung, aber auch Alterssicherung und Finanzierung von Sozialleistungssystemen wirkt Harry Fuchs seit 1996 beratend an der Vorbereitung von Gesetzesvorhaben mit. Maßgeblich war er an der Entwicklung und Weiterentwicklung des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX) sowie der Pflegeversicherung (SGB XI) beteiligt. Auch aktuell meldet er sich mit konkreten Lösungsvorschlägen zur Vorbereitung eines Bundesteilhabegesetzes zu Wort und ist bis heute in der Lehre und Forschung tätig.

    Gegründet auf breite berufliche Erfahrungen, unter anderem durch Tätigkeiten bei der Rentenversicherung und bei verschiedenen Sozialverwaltungen auf Länderebene, und genaue Analyse der Rechtswirklichkeit hat er in den letzten Jahrzehnten zu nahezu allen Fragen von Gesundheit, Pflege und Rehabilitation kritisch Stellung bezogen und damit Gesetzgebung und Rechtsanwendung beeinflusst. Mit seinen Publikationen, Stellungnahmen und Diskussionsbeiträgen auf Podien und bei Veranstaltungen macht Harry Fuchs deutlich, dass Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen die zentralen Ziele aller Sozialleistungen sind. Er polarisiert dabei häufig, indem er deutlich Stellung bezieht und eine Interpretation des Rechts vorstellt, die vom Verständnis mancher Verantwortlicher abweicht. So stellt er den im SGB IX kodifizierten Reformwillen der Bundesregierung in den Vordergrund, der durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) neuen Auftrieb erfahren hat, und nicht die Eigenlogik der jeweiligen Sozialleistungsbereiche.

    Für Harry Fuchs sind Transparenz und Diskurs notwendige Voraussetzung für Veränderungen im System der sozialen Sicherung, und in diesem Sinne befindet er sich stetig und zielgerichtet im Austausch mit anderen Akteuren. Harry Fuchs ist ehrenamtlich in verschiedenen Verbänden als Vorstand tätig, unter anderem auch in der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR), und er arbeitet im Beirat des Diskussionsforums Rehabilitations- und Teilhaberecht (www.reha-recht.de) mit.

    Vorstand und Geschäftsführung der DVfR Heidelberg gratulieren Harry Fuchs sehr herzlich zum 70. Geburtstag und danken ihm für sein stringentes Plädoyer für ein modernes, am Menschen orientiertes Teilhaberecht nach den Zielen des SGB IX und der UN-BRK, sein hohes Engagement und die vielfältige Unterstützung auch der DVfR. Für die kommenden Jahre wünschen wir ihm ein möglichst hohes Maß an Gesundheit!

    Vorstand und Geschäftsführung der DVfR Heidelberg, 02.04.2015

  • Elterngeld stärkt die Partnerschaft

    Kurzfassung EGM-Väter_SowiTra_endEines der Ziele des 2007 eingeführten Elterngelds war es, Vätern den Weg vom Arbeitsplatz an den Wickeltisch zu ebnen. Inwieweit das funktioniert und welche Hindernisse es noch gibt, haben Svenja Pfahl, Stefan Reuyß, Dietmar Hobler und Sonja Weeber vom Berliner Institut für Sozialwissenschaftlichen Transfer (SowiTra) untersucht. Für ihre Studie, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde, haben die Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler ausführliche Interviews mit 43 Elterngeldvätern sowie eine Online-Umfrage mit mehr als 600 Teilnehmern durchgeführt. Der Analyse zufolge wirkt es sich positiv auf die Beziehung zum Nachwuchs und auf die Partnerschaft aus, wenn Väter eine Auszeit vom Erwerbsleben nehmen. Als hinderlich erweisen sich vor allem skeptische Vorgesetzte, fehlende Vertretung und ungünstige berufliche Perspektiven der Mütter.

    Die befragten Väter machten von den gesetzlichen Möglichkeiten einen variantenreichen Gebrauch, schreiben die Forscher. 71 Prozent beziehen für maximal zwei Monate Elterngeld, fünf Prozent setzen zwölf oder mehr Monate aus, die übrigen Befragten liegen dazwischen. Ein Viertel der Väter arbeitet während der Elterngeldphase in Teilzeit, einige Paare sind in Teilzeit-Teilzeit-Kombination erwerbstätig. Es könne davon ausgegangen werden, dass für viele von ihnen das ElterngeldPlus ein „willkommenes Angebot“ wäre, das ab Juli 2015 bis zu 28 Elterngeldmonate ermöglicht, wenn beide Partner ihre Arbeitszeit reduzieren.

    Ob Väter sich überhaupt für Elternmonate entscheiden, hängt der Studie zufolge vor allem davon ab, wie sicher der Arbeitsplatz und wie familienorientiert der Arbeitgeber ist. Für die Dauer der Nutzung sei unter anderem maßgeblich, ob es zwischen den Partnern Unterschiede bei Qualifikation und Einkommen gibt und wie groß diese sind. Auf betrieblicher Ebene hätten die Vertretungsmöglichkeiten großen Einfluss, zudem spielten die direkten Vorgesetzten eine Schlüsselrolle: Insbesondere bei Vätern, die sich ihrer Entscheidung noch nicht sicher sind, führe ablehnendes Verhalten oft zu einer Verkürzung der Elterngeldphase oder zum völligen Verzicht. Auf partnerschaftlicher Ebene wirken sich ein egalitäres Leitbild des Paares und eine starke Berufsorientierung der Partnerin besonders positiv auf eine längere Elterngeldphase der Väter aus. Daher müsse neben der Lebens- und Arbeitssituation des Vaters in gleichem Maße die der Partnerin in den Blick genommen werden.

    Als wichtigsten Effekt der Elternmonate nennen die befragten Väter eine stärkere Beziehung zu ihrem Kind. Darüber hinaus bessere sich durch die partnerschaftliche Arbeitsteilung die Qualität der Paarbeziehung. „Hier wird noch einmal deutlich, dass die Elterngeldmonate für das Gros der Väter keineswegs nur eine Art Urlaub darstellen“, urteilen die Autoren. Vielmehr sei das Bemühen um eine partnerschaftliche Beziehung deutlich zu erkennen, das auf eine egalitäre Verteilung von Erwerbs-, Familien- und Hausarbeit abzielt. Dadurch eröffnen sich den Frauen neue berufliche Spielräume: Fast zwei Drittel der Befragten mit mindestens drei Elternmonaten geben an, dass ihre Elterngeldzeit der Partnerin den Wiedereinstieg in den Beruf erleichtert hat. Von den anderen Vätern mit maximal zwei Monaten bestätigt das immerhin noch ein Drittel.

    Ein Zusammenhang zwischen der Nutzung von Elterngeld und der Rollenverteilung in der Partnerschaft ist laut Svenja Pfahl und ihren KollegInnen auch langfristig feststellbar. Der Befragung zufolge reduziert etwa jeder vierte Vater unmittelbar im Anschluss an die Elternmonate seine Arbeitszeitdauer im Vergleich zu der Zeit vor der Geburt. Von denjenigen, die mindestens drei Monate eine berufliche Auszeit nehmen, sind es 40 Prozent, von den anderen 22 Prozent. Jeder Fünfte arbeitet längerfristig kürzer, von den Vätern mit längerem Elterngeldbezug fast jeder Dritte.

    Langfristige berufliche Nachteile für die Elterngeldväter sind laut der Studie kaum nachweisbar. Mit vorübergehenden Beeinträchtigungen sei allerdings durchaus zu rechnen. Jeder zehnte Befragte berichtet von temporären Auswirkungen auf den Karriereverlauf, wobei die Gefahr mit der Dauer der Elterngeldnutzung ansteigt. Nach der Elterngeldphase erweise sich insbesondere Teilzeit als Karrierehindernis für Väter – die hier dieselben negativen Erfahrungen wie Frauen machten. Ein beruflicher Aufstieg sei mit Teilzeit anscheinend nach wie vor in den wenigsten Betrieben vereinbar.

    Um das Potenzial des Elterngelds noch besser auszuschöpfen, empfehlen die Wissenschaftler, auf eine „vätersensible“ und gleichstellungsorientierte Betriebskultur hinzuwirken. Dass männliche Beschäftigte familiengerechte Maßnahmen in Anspruch nehmen, müsse zur Selbstverständlichkeit werden. Handlungsbedarf bestehe auch bei den Vertretungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz: Ein effizientes, vorausschauendes Vertretungsmanagement scheine in der betrieblichen Praxis eher noch die Ausnahme als die Regel zu sein, was oft auch mit Personalknappheit zusammenhänge. Darüber hinaus seien Angebote zur vorübergehenden Reduzierung und familienorientierten Gestaltung der Arbeitszeit nötig. Denkbar wäre etwa, dass Unternehmen die ElterngeldPlus-Regelung durch eine Aufstockung der Zahlungen noch attraktiver machen. Nicht zuletzt gelte es, geschlechtsspezifische Unterschiede am Arbeitsmarkt abzubauen: „Partnerschaftliche Arbeitsteilung wird nur gelingen, wenn auch Partnerinnen Zugang zu qualitativ guten Arbeits- und Einkommensbedingungen haben.“

    Eine Zusammenfassung der Studie finden Sie hier.

    Hans-Böckler-Stiftung, 11.03.2015