Kategorie: Kurzmeldungen

  • Neue BZgA-Daten zum Alkoholkonsum 12- bis 25-Jähriger

    Der regelmäßige Alkoholkonsum unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist im Jahr 2023 zwar deutlich geringer als noch vor 20 Jahren, stagniert aber seit einigen Jahren auf einem ähnlichen Niveau. Das zeigen die aktuellen Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus der Studie „Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2023“. Besonders besorgniserregend ist, dass das sogenannte Rauschtrinken – nach einem vorübergehenden Rückgang während der Corona-Pandemie – wieder deutlich zugenommen hat und inzwischen das Vor-Corona-Niveau erreicht. Gemeinsam mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen warnt die BZgA vor den gesundheitlichen Folgen des Alkoholkonsums.

    Die aktuellen Daten aus 2023 im Überblick

    • 65,1 Prozent der männlichen und 60,8 Prozent der weiblichen 12- bis 17-Jährigen haben schon einmal im Leben Alkohol getrunken. Damit liegen die Daten des Jahres 2023 nur wenig unter denen von 2016 (männlich: 65,6 Prozent; weiblich: 63,4 Prozent).
    • Von den 18- bis 25-Jährigen haben über 90 Prozent schon einmal im Leben Alkohol konsumiert. Diese Zahl ist seit 2001 nahezu unverändert.
    • Aktuell trinken 6,9 Prozent der weiblichen und 12,4 der männlichen 12- bis 17-Jährigen regelmäßig, also mindestens einmal wöchentlich, Alkohol. Im Vergleich zu 2004 haben sich die Werte hier mehr als halbiert.
    • Von den 18- bis 25-jährigen Frauen trinken 18,2 Prozent regelmäßig, von den 18- bis 25-jährigen Männern 38,8 Prozent. Diese Werte erreichen zwar den niedrigsten Stand seit Beginn der Beobachtung, gehen aber seit etwa 2016 nur noch leicht zurück.
    • Das Rauschtrinken (30-Tage-Prävalenz) ging in den Jahren 2019 und 2021 in beiden Altersgruppen deutlich zurück, was vermutlich auf die eingeschränkten Möglichkeiten des Alkoholkonsums während der Corona-Pandemie zurückzuführen ist. Im Jahr 2023 stiegen die Zahlen wieder auf das Vor-Corona-Niveau – mit 17,1 Prozent bei den männlichen Jugendlichen und 13,1 Prozent bei den weiblichen Jugendlichen sowie 46,2 Prozent bei den jungen Männern und 32,0 Prozent bei den jungen Frauen.
    • Das erste Glas Alkohol tranken 12- bis 25-Jährige in der aktuellen Befragung im Schnitt mit 15,1 Jahren, also weiterhin unter der Altersgrenze von 16 Jahren, ab der Jugendliche Bier und Wein kaufen dürfen – und damit ein Jahr später als in der Befragung von 2004.

    Burkhard Blienert, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen: „Alkohol gibt es rund um die Uhr und überall. Durch die Werbung propagiert, greifen viele Menschen viel zu selbstverständlich zum Feierabendbier, zum Wein auf der Familienfeier und zum Sekt in der Geburtstagsrunde. Dabei wissen wir: Alkohol ist ein Zellgift. Egal, wie viel und was man trinkt, jeder Schluck ist schädlich, kann Krebs auslösen und regelmäßiger Konsum kann abhängig machen. Am schädlichsten ist Alkohol für Jugendliche. Alkohol gehört deshalb nicht in die Hände von Jugendlichen! Das dürfen nicht mehr nur Schlagworte bleiben – wir müssen auch so handeln. Deshalb müssen wir in einem ersten Schritt endlich Schluss machen mit dem sogenannten begleiteten Trinken ab 14. Alkohol wird nicht gesünder, weil die Eltern daneben sitzen. Darum fordere ich ein striktes Alkoholverbot bis 16. Aber 18 wäre aus medizinischen Gründen die notwendige Grenze.“

    Dr. Johannes Nießen, Errichtungsbeauftragter des Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) und Kommissarischer Leiter der BZgA: „Alkoholkonsum schädigt das Gehirn, besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, denn ihr Gehirn befindet sich noch in der Entwicklung und reagiert deshalb empfindlicher auf das Zellgift Alkohol. Insbesondere Rauschtrinken kann zu dauerhaften Schäden führen. Je früher Jugendliche Alkohol trinken, desto größer sind die gesundheitlichen Risiken und die Wahrscheinlichkeit, dass sie dieses Verhalten ins Erwachsenenalter mitnehmen. Die BZgA klärt Jugendliche über die Gefahren auf und gibt ihnen konkrete Tipps zum Umgang mit Alkohol. Gleichzeitig richtet sie sich direkt an Eltern, denn sie sind wichtige Vorbilder.“

    BZgA-Studie „Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2023“

    Die BZgA untersucht mit wiederholt durchgeführten Repräsentativbefragungen den Substanzkonsum sowie die Computerspiel- und Internetnutzung Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland. Für die Drogenaffinitätsstudie 2023 wurden 7.001 junge Menschen im Alter von 12 bis 25 Jahren im Zeitraum April bis Juni 2023 befragt.

    Ein Infoblatt mit ausgewählten Ergebnissen der Drogenaffinitätsstudie zum Alkoholkonsum der 12- bis 25-Jährigen in Deutschland steht zum Download unter: www.bzga.de/presse/daten-und-fakten/suchtpraevention

    Gemeinsame Pressemitteilung der BZgA und des Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, 4.11.2024

  • COA-Aktionswoche 2025

    Die nächste Aktionswoche für Kinder aus suchtbelasteten Familien findet vom 16. bis 22. Februar 2025 statt. NACOA Deutschland ruft zum Mitmachen auf:

    Jedes fünfte bis sechste Kind in Deutschland wächst mit einem suchtkranken Elternteil auf. Das sind insgesamt drei Millionen Kinder und Jugendliche. Viele von ihnen erleben Vernachlässigung und Gewalt, leiden oft ein Leben lang unter diesen Erfahrungen. Doch nur selten können sie ihre Stimme erheben. In den betroffenen Familien herrscht ein Schweigegebot, das den Kranken und die Familie vor Stigmatisierung und Ausgrenzung schützen soll. Mit der COA-Aktionswoche 2025 wollen wir den vergessenen Kindern eine laute Stimme geben. Denn diesmal drehen wir auf! #ICHWERDELAUT – das ist in diesem Jahr unser Hashtag.

    Wir wollen gehört werden!

    Diesmal besonders von den betroffenen Kindern und Jugendlichen. Wir wollen sie erreichen über TikTok und andere Medien, die sie nutzen. Und mit Aktionen an möglichst vielen Orten. Wir wollen Ihnen Mut machen, das Schweigegebot zu brechen. Denn sie sind nicht schuld an der Sucht der Eltern. Aber sie leiden unter ihren Folgen. Es hilft, darüber zu reden. Mit Vertrauenspersonen und Fachleuten vor Ort oder online, etwa unter www.hilfenimnetz.de oder mittels anderer professioneller Angebote. Hilfe suchen ist kein Verrat. Es ist der erste, der wichtige Schritt aus dem Schatten der elterlichen Sucht.

    Wir wollen gehört werden in der Politik!

    Dort geht es viel um Wirtschaftskrisen, Kriege und den Umgang mit Populisten. Doch die täglichen Krisen, die Kinder suchtkranker Eltern zu Hause bewältigen müssen, die ständige Gefahr für Leib und Leben und die daraus resultierenden Schäden für die Gesellschaft sind kein Thema. Ausnahme: Ein fraktionsübergreifender Antrag, der im Sommer 2024 eingebracht wurde. Darin stellen Fachpolitiker:innen der Regierungskoalition und der Unionsfraktion konkrete Verbesserungen für Kinder psychisch kranker und suchtkranker Eltern in Aussicht. Ein großer Erfolg, an dem auch NACOA Deutschland mitwirken konnte. Aber: Die Umsetzung aller Maßnahmen steht unter Finanzierungsvorbehalt. Doch die Gesundheit von Kindern darf nicht zum Spielball der Haushaltspolitik werden. Eine Regelfinanzierung von Prävention und Gesundheitsförderung bleibt unverzichtbar. Das gilt für den Bund, aber auch für Länder und Kommunen, die endlich ein flächendeckendes Netz der Hilfe knüpfen müssen.

    Wir wollen gehört werden in den Medien!

    Wir wollen sie für das Thema und die betroffenen Menschen sensibilisieren. Wir brauchen Berichte über das Aufwachsen in suchtbelasteten Familien, gerade auch von erwachsenen Kindern, auf möglichst vielen Kanälen. Macht wieder mit bei unserer Social-Media-Kampagne, teilt Bilder, Videos, Plakate und Texte zum Thema. Werdet laut! Alle sind aufgefordert, zuzuhören und Hilfe anzubieten. Das gilt besonders für pädagogische Fachkräfte in Kitas, Schulen und Freizeiteinrichtungen.

    Die bundesweite Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien soll unsere Forderungen erneut mit zahlreichen Aktionen unterstreichen. Wir haben uns in den vergangenen Jahren sehr über Eure Kreativität und die Vielfalt der Veranstaltungen gefreut. Wir sind gespannt auf Eure Aktionen zur COA-Aktionswoche 2025. Alle Einrichtungen, Initiativen, Projekte aus Jugend- und Suchthilfe bzw. der Sucht-Selbsthilfe und ihre Verbände sind eingeladen mitzumachen. Tragt Eure Veranstaltung ein auf www.coa-aktionswoche.de. Auf dieser zentralen Website der Aktionswoche findet Ihr die Aktionen aus den vergangenen Jahren, aktuelle Pressemitteilungen zum Thema sowie Vorlagen für Social-Media-Aktionen, Plakate und Informationsmaterial zum Bestellen und Herunterladen.

    Die Aktionswoche für Kinder aus suchtbelasteten Familien wird im Rahmen der Selbsthilfeförderung nach § 20h Sozialgesetzbuch V finanziert durch die KKH und die GKV.

    Mitteilung von NACOA Deutschland e. V., 30.10.2024

  • Chronische Depressionen

    Misshandlungen in der Kindheit sind ein Hauptrisikofaktor für viele psychische und körperliche Erkrankungen. Trotz ihrer Relevanz werden diese Erfahrungen in der Medizin bislang nicht systematisch erfasst – nicht einmal im Vorfeld psychotherapeutischer Behandlungen. In der Regel treten verschiedene Formen von Kindesmisshandlungen in Kombination auf, wobei diese Komplexität in Studien oft vernachlässigt wird. Forschende der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des LMU Klinikums haben jetzt zusammen mit einer Forschergruppe des Universitätsklinikums Freiburg eine neue Form der Analyse dieser komplexen Belastungsmuster entwickelt, mit deren Hilfe das Ansprechen auf ein spezifisches Therapieverfahren vorhersagt werden kann. Bei dem Therapieverfahren handelt es sich um das Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) für Menschen mit chronischen Depressionen.

    „Menschen mit chronischer Depression und Beginn vor dem 21. Lebensjahr, die in ihrer Kindheit bestimmte Muster von Missbrauch erleben mussten, profitieren besonders von CBASP im Vergleich zu einer nicht-spezifischen Psychotherapie“, sagt Prof. Dr. Frank Padberg, einer der Hauptautoren der Studie. Damit sind Grundlagen gelegt für eine personalisierte Therapie der Betroffenen. Weitere Hauptautoren der neuen Studie sind unter anderem Prof. Dr. phil. Elisabeth Schramm und M.Sc. Moritz Elsaeßer von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. Die Ergebnisse wurden in „The Lancet Psychiatry“ veröffentlicht. Begleitend zur Studie ist ein Gespräch mit den Autoren im offiziellen Podcast des Journals erschienen.

    Allein in Deutschland sind fünf bis sechs Millionen Menschen an einer Depression erkrankt. Bei etwa einem Drittel der Betroffenen bleibt die Erkrankung über Jahre oder Jahrzehnte bestehen. CBASP wurde von dem US-amerikanischen Psychologen James P. McCullough speziell für Patienten mit chronischer Depression entwickelt und von Prof. Dr. Elisabeth Schramm seit 2007 in Deutschland eingeführt. „CBASP ist mittlerweile eine wertvolle Behandlungsoption“, erklärt Prof. Dr. Stephan Goerigk, einer der Erstautoren der neuen Studie. Viele Menschen mit chronischen Depressionen haben in ihrer Kindheit Misshandlungserfahrungen gemacht. Da CBASP speziell die frühen Beziehungserfahrungen im therapeutischen Kontext adressiert, bestand seit langem die Hypothese, dass diese Therapieform Menschen mit Misshandlungserfahrungen besonders helfen könnte.

    Fünf Dimensionen von Misshandlungserfahrungen in der Kindheit

    Erfahrungen von Kindesmisshandlung umfassen ein großes Spektrum negativer zwischenmenschlicher Erfahrungen bis hin zu schwersten traumatisierenden Erlebnissen. Hierbei werden oft fünf Dimensionen unterschieden: emotionale Vernachlässigung, emotionaler Missbrauch, körperliche Vernachlässigung, körperlicher Missbrauch und sexueller Missbrauch. Hinzu kommt: Im Alltag treten diese Dimensionen in verschiedenen Kombinationen auf. Zum Beispiel kann ein emotional vernachlässigtes Kind gleichzeitig auch emotionalen und körperlichen Missbrauch erleben. Die Komplexität des Zusammentreffens verschiedener Erfahrungen wird in den üblichen Analysen nicht berücksichtigt und klinisch praktisch nicht erfasst. Die Frage: Lässt die Art und die Kombination der fünf Belastungsdimensionen Rückschlüsse darauf zu, welche Patienten besonders von einer spezifischen Psychotherapie profitieren?

    Neuer Ansatz basiert auf Clusteranalyse

    Auf der Suche nach Antworten nahmen die Münchner Forschenden Kontakt zu Prof. Dr. Elisabeth Schramm auf, die 2017 eine wegweisende Therapie-Studie zu CBASP veröffentlicht hatte. In diese Studie wurden chronisch depressive Patienten mit einem Krankheitsbeginn vor dem 21. Lebensjahr eingeschlossen. Mit 75 Prozent wiesen die meisten von ihnen Erfahrungen von Kindheitsmisshandlung auf, und die Studienteilnehmer hatten vor Behandlungsbeginn einen standardisierten Fragenbogen (Childhood Trauma Questionnaire) beantwortet, mit dem Art und Schweregrad der Misshandlung in der Kindheit erfasst werden können. Die Autoren haben nun einen neuen, auf einer sogenannten Clusteranalyse basierten Ansatz entwickelt, mit dem sich die erinnerten biografischen Erfahrungen auch in Kombination auswerten lassen.

    „Wir haben bei Menschen mit chronischer Depression sieben Belastungskonstellationen gefunden, die sich in Stärke und Muster der fünf Dimensionen von Misshandlungserfahrungen deutlich unterscheiden und mit denen sich der spätere Therapieerfolg vorhersagen lässt“, sagt Stephan Goerigk. Je komplexer die Dimensionen kombiniert sind und je schwerer die Patienten belastet sind, umso wahrscheinlicher ist es, dass sie eher von CBASP als von einer unspezifischen Psychotherapie profitieren. Diese Ergebnisse waren selbst über einen Zeitraum von zwei Jahren nach Therapieende robust.

    Bedeutung für die klinische Praxis

    Für die klinische Praxis könnte der neue Analyseansatz sehr hilfreich sein, so Frank Padberg: „Eine einfach anwendbare Erhebung von Misshandlungserfahrungen in der Kindheit bietet die Grundlage für eine individuelle Therapieentscheidung, die die Aussicht auf ein Therapieansprechen bei Menschen mit chronischen Depressionen verbessert.“ Es ergeben sich hieraus zudem weitere Fragen, denen die Münchner und Freiburger Forschenden weiter nachgehen, unter anderem, ob dieser Ansatz auch für andere Psychotherapieformen relevant ist und welche Informationen zu Belastungsmustern am aussagekräftigsten sind.

    In den aktuellen Leitlinien zur Therapie der Depression werden Empfehlungen für unterschiedliche Psychotherapieformen wenig differenziert behandelt. Die neue Studie wäre jedoch ein Indiz für eine spezifische Wirksamkeit von CBASP bei Patienten mit Erfahrungen von Kindesmisshandlung. Die Kosten für CBASP übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen und die Therapie kann ambulant, tagesklinisch oder stationär erfolgen.

    Die Psychiatrische Klinik des LMU Klinikums sowie die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg haben bereits vor über zehn Jahren stationäre CBASP-Programme für Menschen mit chronischer Depression etabliert. „Denn der Versorgungsbedarf“, so Frank Padberg, „ist erheblich, und es gibt bisher noch zu wenige in CBASP-qualifizierte Therapeuten.“

    Originalpublikation:
    Childhood Trauma Questionnaire-based child maltreatment profiles to predict efficacy of the Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy versus non-specific psychotherapy in adults with early-onset chronic depression: cluster analysis of data from a randomised controlled trial
    Goerigk S, Elsaesser M, Reinhard MA, Kriston L, Härter M, Hautzinger M, Klein JP, McCullough JP Jr, Schramm E, Padberg F.
    Lancet Psychiatry, 2024 Sep;11(9):709-719
    DOI: https://doi.org/10.1016/S2215-0366(24)00209-8

    Pressestelle des Klinikums der Universität München, 29.8.2024

  • Hohe Nikotindosen in tabakfreien Nikotinbeuteln

    Tabakrauchen ist nach wie vor die führende vermeidbare Todesursache weltweit. Allein in Deutschland sterben jährlich etwa 127.000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums. Die Hauptursache für die Suchterkrankung Tabakabhängigkeit ist dabei der Substanz Nikotin zuzuschreiben. Neuere Konsumformen von Nikotin wie E-Zigaretten, Tabakerhitzer oder tabakfreie Nikotinbeutel (Pouches) überschwemmen zusätzlich den Markt. Forschende des LMU Klinikums München haben in Kooperation mit dem Bundesamt für Risikobewertung (BfR) aktuell diese neuen Produkte hinsichtlich ihrer Nikotinabgabe, ihres Suchtpotenzials und den Auswirkungen auf den Organismus untersucht.

    Nachdem viele Jahre die Raucherquoten in Deutschland kontinuierlich gesunken sind, steigen sie aktuell wieder. Neben den klassischen Zigaretten werden viele neue nikotinhaltige Produkte wie E-Zigaretten, Tabakerhitzer und tabakfreie Nikotinbeutel, sogenannte Pouches, angeboten. Letztere sind als tabakfreie, mit Nikotin getränkte Pflanzenfaserbeutel – trotz ihres Verbotes in Deutschland – beim Konsumenten angekommen und sind aufgrund ihrer Applikation (unter der Lippe) unauffällig und überall einsetzbar. Beworben durch soziale Medien finden sie vor allem bei Jugendlichen große Verbreitung.

    Ein Forscherteam des LMU Klinikums unter Leitung von Privat-Dozent Dr. Tobias Rüther und Dr. Andrea Rabenstein hat in Zusammenarbeit mit Nadja Mallock und Elke Pieper vom Bundesamt für Risikobewertung (BfR) aktuell eine Studie zu den Auswirkungen von tabakfreien Nikotinbeuteln veröffentlicht: Die Untersuchung zeigt, dass diese neuen, für den oralen Konsum gedachten Produkte hohe Nikotinmengen abgeben können – bei einigen untersuchten Produkten sogar höhere Dosen als bei Tabakzigaretten. In vielen europäischen Ländern sind diese Nikotinbeutel bereits legal erhältlich und auch in Deutschland, vor allem bei Jugendlichen, weit verbreitet.

    Studienablauf

    In einer einarmigen, fünfteiligen Cross-Over-Studie mit 15 regelmäßigen Zigarettenrauchern wurden tabakfreie Nikotinbeutel verschiedener Marken mit deklarierten Nikotingehalten von 6, 20 und 30 Milligramm für jeweils 20 Minuten getestet. Vergleichsprodukte waren nikotinfreie Beutel und Tabakzigaretten. Über einen Zeitraum von 240 Minuten wurden zu festgelegten Zeitpunkten die Plasmanikotinkonzentrationen, die Auswirkungen auf das Verlangen nach Zigaretten und Nebenwirkungen bewertet. Zusätzlich wurden kardiovaskuläre Parameter, einschließlich der arteriellen Gefäßsteifigkeit, gemessen.

    Teils höhere Nikotinaufnahme bei tabakfreien Nikotinbeuteln als bei einer Zigarette

    Die Ergebnisse zeigen, dass der Konsum von 30 Milligramm-Nikotinbeuteln zu einer höheren Nikotinaufnahme im Vergleich zur Zigarette führte (Cmax: 29,4 vs. 15,2 ng/mL; AUC: 45,7 vs. 22,1 ng/mL × h). Die Nikotinaufnahme in der akuten Phase erfolgte sowohl bei der Verwendung des 30 Milligramm-Beutels als auch bei der Zigarette sehr schnell. Die Extraktionsrate des Nikotins variierte zwischen den Beuteln. Alle getesteten Produkte reduzierten das akute Verlangen nach Zigaretten, sogar die nikotinfreien Beutel. Während des Konsums der Zigarette und der Beutel mit 20 und 30 Milligramm Nikotin stieg die Herzfrequenz um etwa 27 bzw. 25 Schläge pro Minute an. Auch die Parameter für die arterielle Gefäßsteifigkeit waren erhöht, und alle Beutel führten zu Mundreizungen.

    „Wir waren überrascht, dass der Konsum einiger Produkte sogar zu einer höheren Nikotinaufnahme im Vergleich zur Zigarette führte“, betont PD Dr. Rüther, Leiter der Tabakambulanz am LMU Klinikum München. Insgesamt zeigen fast alle untersuchten Produkte eine der Zigarette sehr ähnliche Nikotinanflutung und -abgabe. Von einem hohem Suchtpotenzial der untersuchten Nikotinbeutel muss deshalb ausgegangen werden.

    „Wenn man bedenkt, dass wir aus unseren Nachbarländern wie z. B. Österreich hören, dass die dort legal erhältlichen Nikotinbeutel bereits massiv in den Schulen angekommen sind, kann das ein ernsthaftes Problem werden“, befürchtet Suchtforscherin Dr. Andrea Rabenstein von der Tabakambulanz am LMU Klinikum München. „Neben der Entwicklung einer Abhängigkeit von Nikotin ist natürlich dadurch der Einstieg in das Konsumieren weiterer Nikotinprodukte oder Tabakzigaretten stark zu befürchten“, fügt Dr. Rabenstein hinzu.

    Originalpublikation:
    Small pouches, but high nicotine doses – nicotine delivery and acute effects after use of tobacco-free nicotine pouches. Mallock-Ohnesorg Nadja, Rabenstein Andrea, Stoll Yvonne, Gertzen Marcus, Rieder Benedikt, Malke Sebastian, Burgmann Nestor, Laux Peter, Pieper Elke, Schulz Thomas, Franzen Klaas, Luch Andreas, Rüther Tobias; Frontiers in Pharmacology, Mai 2024. DOI=10.3389/fphar.2024.1392027

    Pressestelle des Klinikums der Universität München, 28.05.2024

  • Raus aus der Internetsucht

    Als die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Bochum im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) vor fünf Jahren mit ihrem Forschungsprojekt „OMPRIS – Onlinebasiertes Motivationsprogramm zur Förderung der Veränderungsmotivation bei Menschen mit Computerspielabhängigkeit und Internetsucht“ startete, war primäres Ziel, Menschen mit einer Internetsucht ein schnell zugängliches und damit niedrigschwelliges Therapieangebot zu machen – digital vor dem Bildschirm. Spezialisiert auf telemedizinische Online-Beratungsprogramme konnte die LWL-Klinik in den Folgejahren unter Forschungsleitung von Dr. Jan Dieris-Hirche, Oberarzt und Leiter der LWL-Medienambulanz, ein neues Webcam-basiertes Angebot entwickeln und erfolgreich erproben.

    Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat jetzt die Empfehlung ausgesprochen, dieses Bochumer Angebot für die Regelversorgung vorzubereiten. Der Ausschuss ist ein Organ der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen mit Mitgliedern u. a. aus Ärzteschaft, Krankenkassen und Krankenhäusern. Eine Aufgabe des GBA ist es zu entscheiden, welche Leistungen von der Gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt werden.

    Geplant ist, OMPRIS künftig als LWL-Interventionsangebot umzusetzen und zu verstetigen. Ende 2025 soll es an den Start gehen. Über die Fortsetzung von OMPRIS und eine Umsetzung beim LWL zeigt sich vor allem Jan Dieris-Hirche erfreut: „Wir wollen damit künftig sicherstellen, dass Menschen mit einem problematischen Internetgebrauch schnell und wohnortnah eine geeignete Therapie erhalten, damit sie nicht noch weiter in die Anonymität und Isolation des Internets verschwinden.“ Gerade in den zurückliegenden Jahren hat die Internet- und Computerspielsucht vor allem bei jungen Menschen stark zugenommen. Seit 2018 ist sie seitens der WHO auch international als Krankheit („Online Gaming Disorder“), die mit psychischen Begleiterkrankungen und psychosozialen Belastungen einhergeht, anerkannt. Mit OMPRIS soll einer chronischen Suchtentwicklung entgegengewirkt werden. Neben der Behandlung hat OMPRIS vor allem das Potenzial der Früherkennung und Prävention. „Hilfe durch Selbsthilfe“, so Dieris-Hirche. „Mit dem Programm können wir die Betroffenen durch Beraterinnen und Berater frühzeitig motivieren, ihr Verhalten zu verändern, und Suchtsymptome reduzieren.“

    Am Forschungsprojekt waren sieben deutsche Projektpartner beteiligt gewesen, die ein Beratungsprogramm mit verschiedenen psychologischen und medienpädagogischen Elementen konzipiert, angewendet und evaluiert hatten. Finanziert wurde das Projekt durch Mittel des Innovationsfonds Deutschland.

    Die Ergebnisse von OMPRIS sind online abrufbar.

    Konsortialpartner: Psychosomatische Klinik Kloster Dießen, Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Ambulanz für Spielsucht/Kompetenzzentrum, Universität Duisburg-Essen, Medizinmanagement, ZTG Zentrum für Telematik und Telemedizin GmbH

    Pressestelle des LWL-Universitätsklinikums Bochum, 11.10.2024

  • Je höher der THC-Gehalt, desto mehr Behandlungen

    Cannabis ist für Erwachsene seit April 2024 legal. Aber es scheint nicht egal zu sein, was sie konsumieren. Eine Studie aus Deutschland belegt, dass mit steigendem THC-Gehalt mehr Menschen Hilfe wegen ihres Cannabiskonsums benötigen.

    Eine hohe THC-Konzentration bewirkt nicht nur einen starken Rausch. Forschende mahnen, dass mit zunehmendem Wirkstoffgehalt das Risiko zunimmt, eine Cannabisabhängigkeit oder andere psychische Folgeprobleme zu entwickeln. Bislang gab es dazu allerdings keine Zahlen aus Deutschland, die diese Annahme stützen. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Jacob Manthey (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, UKE) hat nun eine aktuelle Studie dazu vorgelegt.

    Entwicklung des Cannabiskonsums von 2009 bis 2021

    Die Forschenden haben umfangreiches Zahlenmaterial für die Jahre 2009 bis 2021 zusammengetragen. Darin enthalten waren neben Daten der gesetzlichen Krankenkassen auch Umfrageergebnisse zur Entwicklung des Cannabiskonsums in Deutschland sowie Analysen polizeilich beschlagnahmter Marihuana- und Haschischproben.

    Aus den Krankenkassendaten ließ sich ermitteln, wie viele Personen aufgrund einer Cannabisabhängigkeit oder anderer Folgeprobleme ärztliche oder psychologische Hilfe in Anspruch genommen haben. Manthey und sein Team haben ausgerechnet, wie sich die Anzahl an Personen mit problematischen Cannabiskonsum im Verhältnis zur Verbreitung des Konsums in der Bevölkerung entwickelt hat. Der Vergleich zeigt auf: Zwischen 2009 und 2021 ist der Anteil Cannabisabhängiger vor allem unter Männern deutlich gestiegen. Bei Frauen gab es ebenfalls eine Zunahme, diese ist aber nicht so stark ausgefallen.

    Im selben Zeitraum ist auch die durchschnittliche Konzentration des Cannabiswirkstoffs THC gestiegen. Das bedeutet: Je stärker Marihuana oder Haschisch geworden sind, desto mehr Menschen benötigten Hilfe wegen ihres Cannabiskonsums.

    Vergleichbare Ergebnisse aus anderen Ländern

    Manthey und sein Team betonen zwar, dass sie keinen ursächlichen Nachweis erbracht haben. Der Zusammenhang zwischen THC-Gehalt und Cannabisabhängigkeit finde sich aber auch in anderen Ländern. Bereits 2015 hat ein britisches Forschungsteam Belege dafür vorgelegt, dass Konsumierende mit einer Vorliebe für hochpotenten Cannabis häufiger cannabisabhängig sind als Personen, die Gras oder Haschisch mit niedrigerem THC-Gehalt bevorzugen. In derselben Studie berichteten die Befragten mit einer Vorliebe für starken Cannabis auch häufiger von Gedächtnisproblemen und paranoiden Gedanken.

    Weitere Studien belegen eine Zunahme des Psychose-Risikos und eine stärkere Inanspruchnahme der Drogenhilfe, wenn sich Cannabissorten mit hohem THC-Gehalt in der Bevölkerung verbreiten.

    THC-Gehalt könnte durch Legalisierung weiter steigen

    Angesichts der Teillegalisierung von Cannabis sei nach Aussagen von Manthey und seinem Team zu erwarten, dass die Nachfrage nach hochkonzentriertem Cannabis in Zukunft weiter steigt. Als Beispiel nennen sie Kanada, wo Cannabis bereits im Jahr 2018 für den Freizeitgebrauch legalisiert wurde. In Kanada würden sich Cannabisblüten mit einem THC-Gehalt von unter 20 Prozent kaum noch verkaufen oder würden teilweise gar nicht mehr angeboten.

    Die Forschenden befürworten daher eine Begrenzung des THC-Gehalts von Cannabisprodukten in Deutschland, um die psychische Gesundheit von Cannabiskonsumierenden besser zu schützen.

    Originalpublikation:
    Manthey, J., Rosenkranz, M., Jonas, B. & Schwarzkopf, L. (2024). Can the THC concentration predict the number of patients with cannabis-related diagnoses? Drug and Alcohol Review, https://doi.org/10.1111/dar.13923.

    Quelle: https://www.drugcom.de/, 18.9.2024

  • Cannabis-Legalisierung: Zeit für Prävention oder freie Bahn für den Konsum?

    Die Legalisierung von Cannabis in Deutschland bringt neue Möglichkeiten zum Konsum von Cannabis, aber auch einige Herausforderungen mit sich. Für viele junge Menschen stellt sich die Frage, wie sie selbst zum Thema Cannabis stehen und wie sie beispielsweise in ihrem Freundeskreis oder ihren Familien damit umgehen. Studierende aller Fachrichtungen und aller Hochschulen können im Projekt aktiv werden und zum Thema Cannabis diskutieren sowie an der Entwicklung und Umsetzung eines Programms – REBOUND 2.0 – mitwirken. Dieses soll dabei unterstützen, kompetent und informiert Entscheidungen im Umgang mit Cannabis zu treffen und umzusetzen.

    Vom 22. bis 24. November 2024 findet ein kostenloser Workshop in Berlin-Mitte statt, in dem Studierende gemeinsam mit Expert:innen Grundlagen des Programms diskutieren und gestalten. Das Projekt wird von der FINDER Akademie in Zusammenarbeit mit der Universität Greifswald umgesetzt und vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert.

    Wunsch nach Präventionsprogrammen

    Mit der Legalisierung von Cannabis in Deutschland wächst vielfach die Sorge, dass der Konsum zunimmt und schwerer kontrollierbar wird. Aus diesem Grund wird immer öfter der Wunsch nach Präventionsprogrammen geäußert.

    Die nationale und internationale Forschung zeigt auf, dass etwa die Hälfte aller jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren schon einmal Cannabis konsumiert hat und ein großer Anteil weiterhin regelmäßig Cannabis konsumiert. Inwiefern die Legalisierung in Deutschland das Konsumverhalten beeinflusst, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Das Projekt REBOUND 2.0 setzt früher an und richtet sich speziell an Personen dieser Zielgruppe, Studierende im Alter von 18 bis 25 Jahren. Cannabiskonsum ist in dieser Altersgruppe besonders häufig, wird zum Beispiel in vielen sozialen Situationen als normal angesehen, und das Experimentieren mit psychoaktiven Substanzen wie Cannabis gilt oftmals als Teil des Erwachsenwerdens.

    Gemeinsamer Workshop von Studierenden und Expert:innen

    Das Projekt REBOUND 2.0 greift diesen Umstand auf und möchte gemeinsam mit jungen Menschen erarbeiten, wie ein verantwortungsvoller und risikobewusster Umgang mit Cannabis gelingen kann, der die eigenen Bedürfnisse und Ziele berücksichtigt, aber gesundheitliche, soziale und materielle Schäden möglichst vermeidet.

    In einem ko-kreativen Workshop in Berlin vom 22. bis 24. November 2024 sollen Studierende und Expert:innen gemeinsam die Grundlagen für ein Präventionsprogramm entwickeln. Die Erfahrungen und Perspektiven der jungen Menschen sind entscheidend, um REBOUND 2.0 auf deren spezifischen Lebensrealitäten und Herausforderungen abzustimmen. Während des Workshops können sich die Teilnehmenden austauschen und vernetzen sowie über das eigene Konsumverhalten oder den Umgang mit Cannabis im Familien- oder Freundeskreis reflektieren. Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung während des Workshops werden von der FINDER Akademie übernommen. Nach erfolgreicher Teilnahme erhalten die Studierenden ein Zertifikat und werden eingeladen, sich an der nachfolgenden Umsetzung des Programms im Studienalltag zu beteiligen.

    Das Projekt wird von der FINDER Akademie in Zusammenarbeit mit der Universität Greifswald durchgeführt. Die FINDER Akademie ist eine gemeinnützige Bildungs- und Wissenschaftsorganisation mit Fokus auf Präventions- und Gesundheitsförderung. Gefördert wird das Projekt von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit.

    Informationen zum Programm und zur Anmeldung finden Interessierte auf der Internetseite REBOUND 2.0.

    Weitere Informationen auf der Internetseite der FINDER Akademie.

    Pressestelle der Universität Greifswald, 9.10.2024

  • Unrhythmische Herzen nach exzessivem Alkoholgenuss

    Die Medizin untersucht immer dezidierter die negativen Effekte von Alkohol auf Körper und Gesundheit. Was auch nicht verwundert: Alkohol ist eines der stärksten Zellgifte überhaupt. Nun sind Mediziner des LMU Klinikums mit ihren mobilen EKG-Geräten auf Partys junger Leute ausgeschwärmt. Heraus kam seriöse Wissenschaft, die „MunichBREW II-Studie“ mit der Erkenntnis: Binge Drinking („Komasaufen“) kann selbst bei jungen, gesunden Menschen mit der Entwicklung klinisch relevanter Rhythmusstörungen in erstaunlich vielen Fällen eine bedenkliche Wirkung auf das Herz haben. Die Ergebnisse wurden gerade im „European Heart Journal“ veröffentlicht.

    Schon 2015 hatte das Team der Medizinischen Klinik und Poliklinik I des LMU Klinikums beim Münchener Oktoberfest die MunichBREW I-Studie gestartet. Damals haben die Ärzte um Prof. Dr. Stefan Brunner und Privat-Dozent Dr. Moritz Sinner exzessiven Alkoholgenuss in Verbindung mit Herzrhythmusstörungen gebracht – aber nur eine Momentaufnahme im Elektrokardiogramm (EKG) untersucht.

    Nun wollten die Wissenschaftler es genauer wissen und rückten abermals mit ihrem mobilen Equipment aus. Ziel: diverse kleine Feierlichkeiten junger Leute, bei denen die Wahrscheinlichkeit hoch war, „dass viele der Partygänger mindestens 1,2 Promille erreichen würden“, sagt Stefan Brunner. Genau sie bildeten die Gruppe der Teilnehmenden der MunichBREW II-Studie, der weltweit bisher größten Untersuchung zu akutem Alkoholkonsum und EKG-Veränderungen im Langzeit-EKG über mehrere Tage.

    Das Procedere

    Insgesamt werteten die Forschenden die Daten von über 200 Partygängern aus, die mit Spitzenblutalkoholwerten bis 2,5 Promille klar über den Durst tranken. Insgesamt 48 Stunden lang hat das EKG ihren Herzrhythmus überwacht, wobei unterschieden wurde zwischen dem Ausgangswert (Stunde 0), der „Trinkphase“ (Stunden 1-5), der „Erholungsphase“ (Stunden 6-19) und zwei Kontrollphasen jeweils 24 Stunden nach der „Trinkphase“ beziehungsweise der „Erholungsphase“. Die akuten Alkoholwerte während der Trinkperiode wurden mehrfach ermittelt. Die EKGs wurden auf Herzfrequenz, Variabilität der Herzfrequenz, Vorhofflimmern und weitere Arten von Herzrhythmusstörungen untersucht. Die EKGs hatten dabei trotz der ausgelassenen Stimmung der Studienteilnehmenden fast durchweg eine hohe Qualität.

    Die Ergebnisse

    „Klinisch relevante Arrhythmien traten bei über fünf Prozent der ansonsten gesunden Teilnehmer auf“, erklärt Moritz Sinner, „und zwar überwiegend in der Erholungsphase.“ Die Alkoholzufuhr in der Trinkphase führte zu einem immer schneller werdenden Puls mit über 100 Schlägen pro Minute. Alkohol, so scheint es, kann profund in die autonomen regulatorischen Prozesse des Herzens eingreifen. „Unsere Studie liefert aus kardiologischer Sicht einen weiteren negativen Effekt von akutem exzessivem Alkoholkonsum auf die Gesundheit“, betont Brunner. Welche langfristen schädlichen Effekte die alkoholbedingten Rhythmusstörungen auf die Herzgesundheit haben, bleibt Gegenstand weiterer Forschung.

    Originalpublikation:
    Acute Alcohol Consumption and Arrhythmias in Young Adults: The Munich BREW II Study. Stefan Brunner, M.D., Christina Krewitz, M.D., Raphaela Winter, M.D., Aenne S. von Falkenhausen, M.D., Anna Kern, M.D., M.Sc., Dorothee Brunner, R.N., Moritz F Sinner, M.D., M.P.H. European Heart Journal, ehae695, 04 October 2024
    DOI: https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehae695

    Pressestelle des Klinikums der Universität München, 4.10.2024

  • Hörtipp

    Ein Beitrag im Deutschlandfunk beleuchtet, wie Menschen leben, die regelmäßig Heroin und andere Drogen nehmen. Jörn Klare hat Betroffene im Alter von 50, 60, 70 und mehr Jahren getroffen. Ihre Geschichten zeigen: Es gibt leichtere Schicksale − und keinen Standardablauf der Sucht.

    Eine Recherche in Hannover von Jörn Klare
    gesendet im Deutschlandfunk am 13. Oktober 2024, 20:05 Uhr, in der Rubrik „Feature“

    Hören:
    https://www.hoerspielundfeature.de/heroin-im-alter-100.html

    Quelle: Website DLF

  • Fehlzeiten-Report 2024

    Die emotionale Bindung von Beschäftigten an ihr Unternehmen kann vor allem durch das Verhalten der Führungskraft und die individuelle Passung der eigenen Arbeitssituation zu den Bedürfnissen und Wünschen der Beschäftigten positiv beeinflusst werden. Das zeigt eine repräsentative Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) für den Fehlzeiten-Report 2024. Beschäftigte, die eine höhere emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber hatten, waren laut der Befragung auch zufriedener mit ihrer Arbeit, hatten weniger berufliche Fehlzeiten und zeigen eine signifikant geringere Wechselabsicht.

    „Angesichts des aktuellen Fachkräftemangels und vieler offener Stellen wird es für Arbeitgeber zunehmend wichtig, die Bindung ihrer Mitarbeitenden an die eigene Organisation zu stärken“, sagt Johanna Baumgardt, Forschungsbereichsleiterin für Betriebliche Gesundheitsförderung im WIdO und Mitherausgeberin des Fehlzeiten-Reports, zu den Ergebnissen der Befragung. In der Erhebung zeigten sich deutliche Zusammenhänge zwischen einer hohen emotionalen Bindung an den Arbeitgeber einerseits und einer höheren Arbeitszufriedenheit sowie geringeren Wechselabsichten der Befragten andererseits. Insgesamt war laut der Befragung eine eher geringe Wechselabsicht unter den Beschäftigten festzustellen: So gaben nur 6,4 Prozent der Befragten an, weniger als zwölf Monate bei ihrem aktuellen Arbeitgeber bleiben zu wollen. 8,4 Prozent wollen nach eigenen Angaben länger als fünf Jahre bei ihrem jetzigen Arbeitgeber bleiben, 5,1 Prozent länger als zehn Jahre. Der mit Abstand größte Teil der Befragten (57,3 Prozent) antwortete, bis zur Rente bleiben zu wollen.

    Studie bestätigt Zusammenhang zwischen Bindung und Gesundheit

    Als weiteres Ergebnis der Studie zeigte sich, dass emotional stärker an den aktuellen Arbeitgeber gebundene Mitarbeitende seltener krankgeschrieben sind und seltener trotz Erkrankung zur Arbeit gehen. Damit bestätigt der Fehlzeiten-Report den Zusammenhang zwischen höherer Bindung der Beschäftigten an eine Organisation und besserer Gesundheit, der auch in anderen Studien nachgewiesen werden konnte. „Wenn Organisationen ihre Beschäftigten längerfristig binden wollen, sollten sie Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitszufriedenheit und zur Verbesserung der individuellen Passung der Beschäftigten zur eigenen Arbeit ergreifen. Außerdem sollten sie die Führungskompetenzen ihres Leitungspersonals stärken und mit Betrieblicher Gesundheitsförderung in die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden investieren“, so das Fazit von Johanna Baumgardt zu den Befragungsergebnissen.

    In der aktuellen Befragung gaben fast alle Befragten (91,9 Prozent) an, dass der eigene Arbeitgeber Angebote der Betrieblichen Gesundheitsförderung vorhält. Die Hälfte dieser Personen hatte solche Angebote bereits in Anspruch genommen. Für die repräsentative Befragung des Fehlzeiten-Reports 2024 sind insgesamt 2.501 abhängig Beschäftigte von 18 bis 66 Jahren durch das forsa-Institut befragt worden.

    Historische Höchststände bei den Krankschreibungen auch im Jahr 2024

    Die aktuelle Analyse der Krankschreibungen zeigt, dass sich die Krankenstände auch im bisherigen Verlauf des Jahres 2024 weiter auf historisch hohem Niveau bewegen: Der Spitzenwert von 225 Arbeitsunfähigkeitsfällen je 100 erwerbstätige AOK-Mitglieder aus dem vergangenen Jahr ist bereits im Zeitraum von Januar bis August 2024 erreicht worden – und damit schon vor der zu erwartenden Erkältungswelle im Herbst und Winter. „Es ist daher davon auszugehen, dass wir in der Gesamtbilanz für 2024 einen noch höheren Wert sehen werden als 2023“, so die Einschätzung von Johanna Baumgardt. Zum Vergleich: Im Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2021 waren nur knapp 160 Fälle je 100 Mitglieder zu verzeichnen.

    Der wesentliche Treiber dieser Entwicklung sind nach wie vor die Atemwegserkrankungen. „Der Krankenstand liegt höchstwahrscheinlich aufgrund einer erhöhten Empfänglichkeit für Infektionen und aufgrund der neuen, zusätzlichen viralen Erkrankungen der letzten Jahre insgesamt höher“, so die WIdO-Expertin. Es gibt aber auch andere mögliche Gründe: So kann die Einführung der elektronischen Krankmeldungen zu einer vollständigeren Erfassung der AU-Bescheinigungen beigetragen haben. „Es ist zu vermuten, dass vor der Einführung der eAU nicht alle Versicherten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei der Kasse eingereicht haben, sodass wir nun ein vollständigeres Bild haben“, so Baumgardt.

    Stetiger Anstieg und besonders lange Ausfallzeiten bei psychischen Erkrankungen

    Ein langfristig wirkender Faktor für höhere Krankenstände ist laut Report der stetige Anstieg von Fehlzeiten durch psychische Erkrankungen, die besonders lange Krankschreibungen verursachen. So haben die AU-Tage aufgrund psychischer Erkrankungen seit 2014 um knapp 47 Prozent zugenommen (Stand: August 2024). Bei Krankschreibungen wegen Burnout-Erkrankungen war zudem folgender Anstieg festzustellen: von 100 AU-Tagen je 100 erwerbstätige AOK-Mitglieder im Jahr 2014 auf knapp 184 Tage im Jahr 2024 (Stand: August 2024). „Als Ursache vermuten wir ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren – von der Zunahme psychischer Belastungen durch globale Krisen bis zu Veränderungen in der Arbeitswelt wie Verdichtung und Entgrenzung der Arbeit durch ständige Erreichbarkeit.“

    Besonders betroffen von psychischen Erkrankungen waren Berufe im Bereich „Erziehung und Unterricht“ sowie im Gesundheits- und Sozialwesen und in anderen kontaktintensiven Berufen wie der öffentlichen Verwaltung.

    Psychosoziales Klima entscheidend für Bindung von Pflegekräften

    Für die Bindung von Mitarbeitenden in der Pflege ist das sogenannte psychosoziale Sicherheitsklima in der jeweiligen Einrichtung ein besonders wichtiger Faktor. Eine im Fehlzeiten-Report veröffentlichte Studie zeigt, dass ein deutlicher Anteil der befragten Pflegefachkräfte schon einmal über den Wechsel des Arbeitsplatzes (52 Prozent) oder gar über den Ausstieg aus der Pflege (39 Prozent) nachgedacht hat. Für 13 Prozent stellt sich die Frage des Arbeitsplatzwechsels akut, für acht Prozent die Frage des Berufswechsels.

    In Pflegeeinrichtungen, die der Gesundheit der Beschäftigten hohe Priorität einräumen und sich insbesondere um ein gutes Klima in Bezug auf die mentale Gesundheit bemühen, ist die Bereitschaft zum Wechsel und zum Ausstieg laut der Studie nur etwa halb so hoch wie in Einrichtungen mit einem schlechten psychosozialen Sicherheitsklima. Zu den wichtigsten Faktoren für die Bindung der Mitarbeitenden gehörten „Glaubwürdigkeit und Kongruenz des Managements im Umgang mit Fragen der psychischen Gesundheit“, betonte Dr. Antje Ducki, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Berliner Hochschule für Technik (BHT) und Mitherausgeberin des Fehlzeiten-Reports 2024.

    Ein konkretes Beispiel für eine Maßnahme zur Stärkung des psychosozialen Sicherheitsklimas ist das Programm „Care4Care“ zur Betrieblichen Gesundheitsförderung in Pflegeeinrichtungen. Es besteht aus Online-Trainings zur Stärkung der psychischen Gesundheit der Beschäftigten und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Einrichtungen. Diese werden ergänzt durch E-Assessments, E-Coachingangebote und Team-Workshops vor Ort. Das teildigitale Programm Care4Care, das vom AOK-Bundesverband in Kooperation mit der Wissenschaft entwickelt und erprobt worden ist, bietet die Möglichkeit, flexibel auf Umfeldveränderungen zu reagieren und bedarfsgenau Angebote für einzelne Pflegekräfte, ganze Teams und Führungskräfte zur Verfügung zu stellen. Eine wissenschaftliche Evaluation des Programms konnte auch zeigen, dass durch die Nutzung des Programms das psychosoziale Sicherheitsklima verbessert werden konnte, so Prof. Dr. Antje Ducki.

    Originalpublikation:
    Badura/Ducki/Baumgardt/Meyer/Schröder (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2024. Schwerpunkt: Bindung und Gesundheit – Fachkräfte gewinnen und halten. Springer-Verlag Berlin 2024, 737 Seiten.

    Pressestelle des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, 8.10.2024