Kategorie: Kurzmeldungen

  • Bundestag beschließt kontrollierte Abgabe von Cannabis zu Konsumzwecken

    Der Bundestag hat am 23. Februar 2024 in abschließender Lesung die kontrollierte Weitergabe von Cannabis zu Konsumzwecken beschlossen. Damit wird der private Eigenanbau von bis zu drei Cannabis-Pflanzen zum Eigenkonsum sowie der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Eigenanbau zum Eigenkonsum in Anbauvereinigungen bzw. Genossenschaften für Erwachsene erlaubt. Gleichzeitig werden mit dem Gesetz der Gesundheitsschutz, der Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie die Prävention und Aufklärung gestärkt.

    Der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis im öffentlichen Raum bleibt straffrei. Gleichzeitig gilt für Cannabis als auch Anbauvereinigungen ein allgemeines Werbe- und Sponsoringverbot.

    So werden Kinder und Jugendliche geschützt

    Verboten ist der Konsum von Cannabis:

    • in unmittelbarer Gegenwart von Minderjährigen
    • in/auf und in Sichtweite (100 Meter) von Schulen, Kinderspielplätzen, Kinder- und Jugendeinrichtungen und öffentlich zugänglichen Sportstätten
    • in Fußgängerzonen zwischen 7 und 20 Uhr
    • in Anbauvereinigungen und in Sichtweite von Anbauvereinigungen (100 Meter)
    • Anbauvereinigungen dürfen Konsumcannabis ausschließlich an Mitglieder, verbunden mit einer strikten Pflicht zur Überprüfung der Mitgliedschaft und des Alters, weitergeben (max. 25 Gramm pro Tag / 50 Gramm pro Monat; an Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren max. 30 Gramm pro Monat mit max. 10 Prozent THC-Gehalt). Die Mindestmitgliedschaftsdauer in einer Anbauvereinigung beträgt drei Monate.
    • Der in begrenztem Umfang zulässige private Eigenanbau muss vor dem Zugriff durch Kinder, Jugendliche sowie Dritte geschützt werden.
    • Für die vorsätzliche gewerbliche Abgabe oder die Überlassung von Cannabis und anderen Betäubungsmitteln an Kinder und Jugendliche gelten nunmehr höhere Strafen als ursprünglich vorgesehen. Mindeststrafrahmen: zwei Jahre Freiheitsstrafe (vormals ein Jahr). Ebenfalls eine Mindeststrafe von zwei Jahren gilt für den bandenmäßigen Anbau, die bandenmäßige Herstellung, Einfuhr oder Ausfuhr, das bandenmäßige Handeltreiben von Cannabis in nicht geringen Mengen.
    • Die Auswirkungen des Gesetzes auf den Kinder- und Jugendschutz werden wissenschaftlich evaluiert. 18 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes erfolgt eine erste Evaluation der Auswirkungen des Konsumverbots auf den Kinder- und Jugendschutz im ersten Jahr. Zwei Jahre nach Inkrafttreten wird ein Zwischenbericht zu Auswirkungen des Gesetzes, einschließlich der Auswirkungen auf die cannabisbezogene organisierte Kriminalität unter Einbeziehung der Expertise des Bundeskriminalamtes, vorgelegt. Vier Jahre nach Inkrafttreten erfolgt eine umfassende und abschließende Evaluation des Gesetzes.
    • Die Präventionsangebote der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung werden ausgebaut.

    Maßnahmen gegen organisierte Kriminalität

    • Der gemeinschaftliche Eigenanbau in einer Anbauvereinigung ist erlaubnispflichtig. Die Vereinigungen müssen bei der zuständigen Erlaubnisbehörde vor Ort umfangreiche Angaben zu Anbauflächen, Beschäftigten und Vorstandsmitgliedern machen. Insbesondere bei einschlägigen Vorstrafen (z. B. Geldwäsche, Betrug) wird keine Erlaubnis erteilt.
    • Die Überwachungsbehörden können vor Ort die Einhaltung der Vorgaben des Gesundheits- und Jugendschutzes kontrollieren, Proben nehmen sowie einer Anbauvereinigung Auflagen erteilen und bei Verstößen die Erlaubnis entziehen.
    • Die Anbauvereinigungen dürfen nicht gewinnbringend tätig sein, also lediglich Mitgliedsbeiträge verlangen. Der gewerbliche Umgang mit Cannabis bleibt verboten.
    • Verboten bleibt ebenfalls Import, Export und Durchfuhr von Cannabis sowie Versand, Lieferung und Onlinehandel.

    Verbesserungen bei Medizinalcannabis

    • Medizinalcannabis bleibt weiterhin in pharmazeutischer Qualität für Patientinnen und Patienten durch inländischen Anbau und Importe verfügbar und wird künftig in einem eigenen Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG) geregelt.
    • Das Vergabeverfahren für den Anbau von Medizinalcannabis wird abgeschafft und durch ein reines Erlaubnisverfahren ersetzt. Durch die Abschaffung werden Hürden für den marktgerechten Anbau in Deutschland verringert und Chancengleichheit für die deutschen Anbauer im internationalen Wettbewerb hergestellt. Durch das Erlaubnisverfahren und Inspektionen wird weiter gewährleistet, dass Medizinalcannabis ein sicheres und kontrolliertes Arzneimittel bleibt.

    Mehr Schutz von Jugendlichen vor Betäubungsmittelmissbrauch

    • Jugendliche sollen zukünftig besser vor Betäubungsmitteln, wie z. B. Crack und Heroin, geschützt werden.
    • Dazu sind im Cannabisgesetz auch zusätzliche Strafschärfungen im Betäubungsmittelrecht vorgesehen: Der Mindeststrafrahmen für Abgabe, Verabreichen oder Überlassen von Betäubungsmittel durch über 21-Jährige an Minderjährige wird von einem Jahr auf zwei Jahre angehoben, wenn die Täterin/der Täter dabei vorsätzlich handelt und dadurch wenigstens leichtfertig ein Kind oder eine jugendliche Person in der körperlichen, geistigen oder sittlichen Entwicklung schwer gefährdet.

    Das Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates.

    Der Bundesrat wird das Cannabisgesetz am 22. März 2024 beraten. Das Cannabisgesetz soll am 1. April 2024 in Kraft treten. Das Inkrafttreten der Regelungen zu Anbauvereinigungen und zum gemeinschaftlichen Eigenanbau in Anbauvereinigungen ist in einer zweiten Stufe für den 1. Juli 2024 vorgesehen.

    Hintergrund

    4,5 Millionen Erwachsene haben nach einer Erhebung im Jahr 2021 in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal Cannabis konsumiert (10,7 Prozent der Männer sowie 6,8 Prozent der Frauen – 12-Monatsprävalenz). Am häufigsten wurde Cannabis in der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen konsumiert (bezogen auf die 12-Monatsprävalenz).

    Pressestelle des Bundesministeriums für Gesundheit, 23.2.2024

  • „Mini-Trendspotter“ zu Lachgas

    Lachgas ist momentan ein viel diskutiertes Thema, u. a. in den sozialen Medien. Allerdings existiert bisher in Deutschland nur begrenztes Wissen dazu, beispielsweise über dessen Verbreitung. Daher wurde das IFT München vom Bundeministerium für Gesundheit gebeten, im Rahmen des NEWS-Projekts (National Early Warning System, ein Projekt des IFT) einen „Mini-Trendspotter“ zu Lachgas durchzuführen. Das NEWS-Team lädt somit Sie als Expert:innen dazu ein, an folgender Online-Befragung teilzunehmen: https://s2survey.net/lachgas-experts/

    Bitte füllen Sie den Fragebogen auch dann aus, wenn Lachgas in Ihrem Zuständigkeitsgebiet keine oder keine größere Rolle spielt, um ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten.

    Um auch die Perspektive der Konsumierenden (ab 16 Jahren) einzubeziehen, bittet das NEWS-Team Sie auch, den folgenden Link zu einer Online-Befragung für Konsumierende in Ihrem Netzwerk zu teilen: https://s2survey.net/lachgas-users/

    Die Fragebögen sind zunächst bis Montag, 4. März 2024, verfügbar, wobei die Beantwortung nur wenige Minuten dauern sollte.

    Sämtliche Informationen, die im Rahmen des Mini-Trendspotters in den kommenden sechs Wochen zusammentragen werden, sollen in einem kurzen Bericht veröffentlicht werden, der voraussichtlich Anfang April 2024 über den NEWS-Verteiler sowie unter https://mindzone.info/news/trendspotter/ zur Verfügung gestellt wird.

    Quelle: Mitteilung NEWS-Projekt, 14.2.2024

  • Synthetische Opioide als gefährliche Beimengung in Heroin

    Ziel und Ergebnisse des Projekts

    Auch in Deutschland wird Heroin bereits mit lebensbedrohlichen synthetischen Opioiden gestreckt. Im Bundesmodell-Projekt RaFT (Rapid Fentanyl Tests in Drogenkonsumräumen) der Deutschen Aidshilfe (DAH) wurden im letzten Jahr 3,6 Prozent von 1.401 Heroinproben positiv auf die Beimengung getestet. Das Bundesmodellprojekt, gefördert vom Bundesgesundheitsministerium, veröffentlichte Mitte Februar zentrale Ergebnisse.

    Über sechs Monate lang wurden in 17 Drogenkonsumräumen bundesweit Schnelltests auf Fentanyl angeboten. Das Projekt RaFT sollte ermitteln, wie weit die gefährliche Beimengung in Deutschland bereits verbreitet ist, um entsprechend darauf reagieren zu können. Das Anliegen ist dringlich: Illegal hergestellte synthetische Opioide als Zusatz in anderen Substanzen sind auf dem Vormarsch, weil sie billig und einfach zu produzieren sind. Fentanyl, Nitazene und andere solche Substanzen wirken sehr viel stärker als Heroin. Während bei Heroin 200 Milligramm tödlich wirken, sind es bei Fentanyl schon 2 Milligramm. Wenn Konsumierende nichts von der Beimengung wissen, sind sie in Lebensgefahr.

    Im Bundesmodellprojekt nahmen 70 Prozent der Nutzer:innen das Angebot an, ihre Substanzen untersuchen zu lassen. Für die Schnelltests genügen winzige Mengen der Substanz. Sie können per Abstrich vom Verpackungsmaterial nachgewiesen werden. Konsument:innen müssen nichts von der Substanz abgeben. Sie erhalten das Ergebnis vor dem Konsum, können also Risiken unmittelbar vermeiden.

    RaFT dokumentierte Fälle vor allem in Hamburg sowie in Düsseldorf und Münster, aber auch in Berlin, Frankfurt, Hannover und Wuppertal gab es einige wenige positive Tests. Diese erlauben allerdings keine Aussage über die Menge des Stoffes in den untersuchten Proben. Es genügen kleinste Verunreinigungen, damit der Test anschlägt.

    Gefährlicher weltweiter Trend

    Im letzten Jahr kam es in Dublin zu 54 Drogennotfällen aufgrund von Nitazenen, in Birmingham verstarben im Sommer letzten Jahres 30 Personen am Konsum von Heroin, das synthetische Opioide enthielt. In Nordamerika haben die Substanzen aus dem Chemielabor Heroin schon fast vollständig verdrängt. Dort wissen die Konsument:innen in der Regel, was sie konsumieren. Die Risiken bleiben so oder so: Aufgrund ihrer extrem starken Wirkung sind synthetische Opioide kaum sicher dosierbar. Kürzlich warnte auch Interpol vor den neuen Substanzen.

    Fentanyl in Deutschland

    In Deutschland starben im Jahr 2022 nachweislich 83 Menschen unter Einwirkung synthetischer Opioide (Vorjahr: 102). Die wirkliche Zahl dürfte höher liegen, da bei drogenbedingten Todesfällen meist keine toxikologischen Gutachten erstellt werden.

    Die Daten aus dem RaFT-Projekt geben nun einen ersten Anhaltspunkt zur Verbreitung von Fentanyl als Beimengung in Deutschland. Im Dezember 2023 wurde, wie jetzt erst gemeldet, bei einer polizeilichen Überprüfung in München Carfentanyl gefunden, das noch einmal sehr viel stärker wirkt.

    Maßnahmen gegen Drogentodesfälle implementieren

    Winfried Holz vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe: „Synthetische Opioide sind in Deutschland angekommen. Es ist nun höchste Wachsamkeit geboten. Internationale Erfahrungen zeigen: Viele Menschen könnten so ihr Leben verlieren. Die Bundesländer sowie die Kommunen müssen jetzt dafür sorgen, dass Drogenhilfeeinrichtungen und Konsumierende vorbereitet sind!“

    Angezeigt sind folgende gut erprobte Maßnahmen:

    • Naloxon hebt auch die Wirkung synthetischer Opioide auf. Es muss unter potenziellen Ersthelfenden (Rettungsdienste, Drogenhilfemitarbeiter:innen, Polizei, Konsument:innen selbst) verbreitet werden. Das Bundesmodellprojekt NALtrain hat Grundlagen gelegt, die Länder müssen nun für die Implementierung sorgen.
    • In Drogenkonsumräumen gehört Naloxon bereits zur Standardausrüstung. In Notfällen kann das lebensrettende Nasenspray umgehend verabreicht werden. Auch darum braucht es mehr Drogenkonsumräume – insbesondere in den noch fehlenden Bundesländern wie Bayern, die bisher die nötigen Rechtsverordnungen verweigern – und längere Öffnungszeiten.
    • Heroinkonsumierende Menschen müssen über das Risiko und mögliche Vorsichtsmaßnahmen aufgeklärt werden. Sie können zum Beispiel zunächst nur eine kleine Menge ihrer Substanz konsumieren (Dosissplitting), um die Wirkkraft zu testen, und so Überdosierungen zu vermeiden.
    • Schnelltests auf Fentanylbeimengungen müssen in Drogenkonsumräumen und anderen Drogenhilfeeinrichtungen zum Standardangebot gehören. Nach einer Beratung vor Ort könnten die Tests in Zukunft auch nach Hause mitgegeben werden. Die rechtliche Situation erlaubt diese Tests bereits.
    • Darüber hinaus brauchen wir Drug-Checking-Angebote auch für Menschen, die Drogen im Nachtleben konsumieren. Dafür müssen die Bundesländer die rechtlichen Voraussetzungen schaffen. Nur Berlin und Thüringen sind hier bereits entscheidende Schritte gegangen.

    Erprobtes Testverfahren flächendeckend anwenden

    Die beteiligten Drogenkonsumräume bieten die Tests nun auf Nachfrage weiterhin an. „Das Bundesmodellprojekt spricht dafür, das Schnelltestangebot auszuweiten und flächendeckend zu implementieren: Testangebote auf Beimengungen eröffnen in der Drogenhilfe nicht zuletzt die Möglichkeit, eine Beratung zum Thema anzubieten, so dass die Konsumierenden auf Basis von Fakten eine Entscheidung treffen können. Risiken lassen sich so reduzieren“, sagt RaFT-Projektleiterin Maria Kuban.

    „RaFT hat wichtige Erkenntnisse geliefert, wie wir Leben und Gesundheit von drogenkonsumierenden Menschen besser schützen können. Die Situation für diese marginalisierte Gruppe verschärft sich immer mehr, auch durch ein vermehrtes Auftreten von Crack. Die Drogenpolitik muss dringend die Voraussetzungen für angepasste Hilfsangebote schaffen“, sagt DAH-Vorstand Winfried Holz.

    RaFT-Ergebnisse zum Download

    Pressestelle der Deutschen Aidshilfe, 15.2.2024

  • Der Forschungskompass Mentale Gesundheit kommt

    Forschung mitgestalten und die eigenen Themen im Forschungskompass Mentale Gesundheit einbringen. Foto©Jörg Farys

    Zum ersten Mal in Deutschland sammeln Menschen mit psychischen Schwierigkeiten und ihnen nahestehende Personen die für sie relevanten Forschungsthemen. Dafür startet am 22. Februar auf der Website https://kommit-deutschland.de/ ein dreiwöchiger Online-Dialog. Betroffene können dort ohne großen Aufwand ihre Themen einbringen und sehen, welche Themen andere eingebracht haben. Aus den Ergebnissen wird im Zuge einer mehrstufigen Betroffenenbeteiligung ein Forschungskompass Mentale Gesundheit erarbeitet. Er soll Forschenden dabei helfen, ihre Themenauswahl stärker am Bedarf der Betroffenen auszurichten.

    Wertvolles Erfahrungswissen

    Das Projekt trägt den Namen KOMMIT und ist angesiedelt am Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG). „Wir wollen das Erfahrungswissen von Betroffenen sammeln und damit stetig zur Verbesserung von Lebensqualität und Forschung beitragen“, so Silke Lipinski, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt KOMMIT.

    „Die Online-Beteiligung ist niedrigschwellig und ohne großen zeitlichen Aufwand machbar. Mit kommit-deutschland.de wollen wir möglichst viele Betroffene und ihnen Nahestehende zum Mitmachen motivieren und so eine Vielzahl von Perspektiven für den Forschungskompass einsammeln“, ergänzt Myriam Bea, Mitinitiatorin von KOMMIT.

    Beteiligung von Anfang an

    Das Projekt wurde initiiert von Menschen mit psychischen Schwierigkeiten und ihren Angehörigen, die im sogenannten Trialogischen Zentrumsrat des DZPG organisiert sind. Eine Arbeitsgruppe der Mitglieder hat mit Unterstützung von Forschenden KOMMIT für andere Betroffene und Nahestehende konzipiert und gestaltet und begleitet es bis zur Veröffentlichung des Forschungskompasses.

    Über das DZPG

    Zum Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZGP) gehören Forschungsinstitute in ganz Deutschland. Ihr Anliegen: die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern und das Stigma von psychischen Erkrankungen nehmen. Hierfür arbeiten die Forschenden eng mit Betroffenen und ihnen Nahestehenden zusammen.

    Pressestelle des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit, 15.2.2024

  • Mehr Antipsychotika für Kinder und Jugendliche

    Antipsychotika (AP) sind Medikamente, die zur Behandlung von Erkrankungen wie Schizophrenie oder bipolaren Störungen eingesetzt werden. Obwohl das Wissen über die Sicherheit und Wirksamkeit des AP-Einsatzes bei Kindern und Jugendlichen begrenzt ist, werden AP zunehmend auch bei anderen Indikationen wie Unruhe, Angst und Schlafstörungen eingesetzt. Eine neue Studie am Universitätsklinikum Ulm (UKU) zeigt nun, dass der AP-Gebrauch bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat.

    Die Studie „Trends in antipsychotic use among children and adolescents in Germany: a study using 2011–2020 nationwide outpatient claims data“ untersuchte die Verordnung von Antipsychotika bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland von 2011 bis 2020 anhand von bundesweiten Abrechnungsdaten aus der ambulanten Versorgung. „Wir konnten zeigen, dass Antipsychotika in diesem Zeitraum immer häufiger verschrieben wurden“, erklärt Prof. Dr. Dr. Christian Bachmann, Leiter der AG Versorgungsforschung an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie des UKU und Erstautor der Studie. Dabei stieg die Verwendung von typischen Antipsychotika, also AP der ersten Generation, von 1,16 pro 1.000 auf 1,35 pro 1.000 Kindern und Jugendlichen, das ist ein Anstieg um 16 Prozent. Die Verwendung von atypischen Antipsychotika, also modernere AP, die im Vergleich zu typischen AP weniger Bewegungsstörungen mit sich bringen, nahm von 2,35 auf 2,75 pro 1.000 zu. Dies entspricht einem Anstieg von 17 Prozent. Besonders stark war die Zunahme bei Mädchen.

    „Der markante Anstieg des AP-Gebrauchs bei weiblichen Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren, der größtenteils auf eine vermehrte Verwendung des atypischen Antipsychotikums Quetiapin zurückzuführen ist, ist bemerkenswert. Mögliche Gründe für diesen Anstieg – z. B. ein unzureichender Zugang zu psychosozialen Therapien – sollten sorgfältig analysiert werden“, betont Prof. Bachmann. Aktuelle Studien haben gezeigt, dass das Risiko für negative Veränderungen im Stoffwechsel und schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse selbst bei niedrigdosiertem Quetiapin-Gebrauch erhöht ist. Aufgrund des deutlichen Anstiegs des Gebrauchs und des Mangels an Daten für diese vulnerable Gruppe empfehlen die Forschenden, die Sicherheit des Quetiapin-Gebrauchs bei Kindern und Jugendlichen weiter zu untersuchen. Darüber hinaus könnte die Einführung von Monitoringmaßnahmen – z. B. restriktivere Verschreibungsrichtlinien oder Schulungen für Verschreiber – in Betracht gezogen werden.

    „Ob der Anstieg des Antipsychotikagebrauchs in Deutschland nun auf eine zunehmende Belastung durch psychische Störungen, auf einen Ausgleich fehlender psychotherapeutischer Kapazitäten oder auf andere Gründe zurückzuführen ist, muss in weiteren Forschungsarbeiten überprüft werden. Fest steht jedoch, dass insbesondere die Sicherheit des Antipsychotikagebrauchs bei Kindern und Jugendlichen weiter untersucht werden muss“, resümiert Prof. Bachmann.

    Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS in Bremen, dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Berlin und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg durchgeführt und in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Frontiers in Psychiatry“ veröffentlicht.

    Originalpublikation:
    Michael Dörks, Christian J. Bachmann, Maike Below, Falk Hoffmann, Lena M. Paschke and Oliver Scholle. Trends in antipsychotic use among children and adolescents in Germany: a study using 2011–2020 nationwide outpatient claims data. DOI: https://doi.org/10.3389/fpsyt.2023.1264047

    Pressestelle des Universitätsklinikums Ulm, 21.12.2023

  • Warnung: Mit Carfentanyl versetztes Heroin in München

    Bereits im Dezember 2023 kam es zu einer Kontrolle von zwei Personen in einer Parkanlage des Münchner Stadtteils Bogenhausen durch Beamte der Polizeiinspektion 22. Bei einer der beiden Personen wurde Rauschgift aufgefunden, bei welchem es sich augenscheinlich um Heroin handelte. Der 54-Jährige erhielt daraufhin wegen des Verdachts eines Vergehens gemäß dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) eine Strafanzeige und das Rauschgift wurde sichergestellt.

    Im Rahmen der Untersuchung durch Sachverständige des Bayerischen Landeskriminalamts wurde nun festgestellt, dass in dem Rauschgift Carfentanyl enthalten war. Das Derivat Carfentanyl ist ein hochpotentes Opioid, das dem BtMG unterliegt und im Bereich der Veterinäranästhesie zur Betäubung von Elefanten und Nashörnern angewandt wird. Aufgrund der Wirkstärke und den daraus resultierenden Nebenwirkungen findet es jedoch keine Verwendung in der Humanmedizin.

    Bei einer Überdosierung kommt es zu opiattypischen, lebensgefährlichen Nebenwirkungen wie Atemdepression bis hin zum Atemstillstand. Weitere unerwünschte Wirkungen sind Übelkeit, Schwindel, Bewusstlosigkeit und Koma. Weltweit sind im Zusammenhang mit der Einnahme von Carfentanyl zahlreiche Intoxikationen und Todesfälle bekannt geworden.

    In Deutschland registrierte die Polizei den Umlauf von Carfentanyl in der Drogenszene erstmals im Jahr 2016. Teils wird der Stoff als „synthetisches Heroin“ bezeichnet, obwohl aus chemischer Sicht kaum Gemeinsamkeiten zur Gruppe der Opiate bestehen. Die schmerzlindernde und zugleich euphorisierende Wirkung setzt schnell ein, jedoch ist die vorherrschende intravenöse Konsumform wegen der enorm hohen Potenz des Wirkstoffs mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko verbunden. Carfentanyl besitzt eine 7.500-fach stärkere analgetische Wirkung als Morphin. Es besteht somit gerade bei pulverförmigen Proben ein unkalkulierbares Risiko der Überdosierung, die infolge einer Atemlähmung tödlich enden kann.

    Innerhalb Europas kam es während der letzten Jahre immer wieder zu Sicherstellungen von Carfentanyl, welches als Heroin verkauft worden war. Die Europäische Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA meldete zudem mehrere Dutzend Todesfälle im Zusammenhang mit der Einnahme von Carfentanyl, unter anderem in Belgien, Estland, Norwegen, Schweden und Großbritannien.

    Aufgrund der unkalkulierbaren bis hin zu lebensbedrohlichen Folgen warnt die Polizei ausdrücklich vor dem Konsum von Carfentanyl.

    Wählen Sie bei einem medizinischen Notfall die 112!

    Pressestelle des Bayerischen Landeskriminalamtes, 12.02.2024

  • Stress beeinflusst via Immunsystem Gehirn und Psyche

    Chronischer Stress wirkt sich auf das Immunsystem und das Gehirn aus. Forschende der Universität Zürich (UZH) zeigen, dass unter Stress ein bestimmtes Enzym aus Immunzellen ins Gehirn gelangt. Bei Mäusen bewirkt es, dass sie sich zurückziehen und soziale Kontakte meiden. Dieser neu entdeckte Zusammenhang von Körper und Geist bei stressbedingten psychischen Erkrankungen könnte zu neuen Behandlungen bei Depressionen führen.

    Chronischer Stress hat tiefgreifende Auswirkungen auf den Körper. So gehen zum Beispiel viele stressbedingte psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen mit Veränderungen des Immunsystems einher. Die zugrundeliegenden Mechanismen, wie diese Veränderungen das Gehirn beeinflussen, sind jedoch noch weitgehend unbekannt.

    Enzym von Immunzellen im Blut beeinträchtigt Nerven im Gehirn

    Einen zentralen Mechanismus hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Zürich (UZH), der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) und der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, nun entschlüsselt. „Wir konnten zeigen, dass Stress die Menge des Enzyms Matrixmetalloproteinase 8, kurz MMP8, im Blut von Mäusen erhöht. Die gleiche Veränderung fanden wir auch in Patientinnen und Patienten mit einer Depression“, sagt Erstautor Flurin Cathomas. Vom Blut gelangt MMP8 ins Gehirn und verändert dort die Funktionstüchtigkeit bestimmter Nervenzellen. Bei den betroffenen Mäusen führt dies zu Verhaltensänderungen: Sie ziehen sich zurück und meiden soziale Kontakte.

    Möglicher Ansatzpunkt zur Behandlung von Depressionen

    Neu sind die Ergebnisse gemäß Cathomas in zweifacher Hinsicht: „Erstens beschreiben wir einen neuartigen ‚Body-Mind-Mechanismus‘, der nicht nur für stressassoziierte psychiatrische Erkrankungen relevant sein könnte, sondern möglicherweise auch für andere Krankheiten, die sowohl das Immun- als auch das Nervensystem beeinflussen.“ Und zweitens, so der Psychiater, hätten sie mit MMP8 ein spezifisches Protein identifiziert, das ein potenzieller Ansatzpunkt für eine neue Depressionstherapie sein könnte.

    Veränderungen am stützenden Gerüst der Nervenzellen

    Im Tiermodell konnten die Forschenden zeigen, dass bei Stress vermehrt Monozyten – eine bestimmte Art weißer Blutkörperchen – ins Gefäßsystem des Gehirns wandern, besonders in die Regionen des Belohnungszentrums. Diese Immunzellen produzieren das Enzym MMP8. Es ist am Umbau und der Regulation des netzartigen Gerüsts beteiligt, das die Nervenzellen im Gehirn umgibt – die sogenannte extrazelluläre Matrix. „Dringt das Protein aus dem Blut ins Hirngewebe ein, verändert es das Zellgerüst und stört so die Funktion der Nervenzellen. Betroffene Mäuse verändern dadurch ihr Verhalten vergleichbar mit Menschen mit einer Depression“, sagt Flurin Cathomas.

    Um nachzuweisen, dass tatsächlich MMP8 für die Verhaltensänderungen verantwortlich ist, entfernten die Forschenden bei einem Teil der Mäuse das MMP8-Gen. Diese Tiere waren im Vergleich zu Kontroll-Mäusen vor den negativen stressbedingten Verhaltensänderungen geschützt. „Dass die in den Mäusen gefundenen Ergebnisse auch für Menschen relevant sind, zeigen unsere Analysen im Blut von depressiven Patienten. Sowohl die Monozyten als auch das MMP8-Enzym waren bei ihnen im Vergleich zu gesunden Probanden vermehrt vorhanden“, so Cathomas.

    Klinische Studie mit depressiven Patienten geplant

    Bevor die Ergebnisse in die klinische Praxis implementiert werden können, braucht es noch viele weitere Studien. „Unsere Arbeit zeigt aber einmal mehr auf, wie wichtig das Zusammenspiel zwischen dem Immunsystem und dem Gehirn bei der Entstehung von psychiatrischen Erkrankungen ist. Diese Erkenntnisse fließen schon heute in die psychiatrische Behandlung mit ein“, so Cathomas. Auf der von ihm geleiteten Spezialstation für integrative Versorgung an der PUK werden Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen psychiatrischen Erkrankungen in Sinne einer ganzheitliche Mind-Body-Herangehensweise nach neuestem wissenschaftlichem Stand behandelt.

    Das Forscherteam plant nun klinische Studien, um zu untersuchen, inwieweit das Immunsystem durch die Stimulation gewisser Gehirnareale beeinflusst werden kann, und ob allfällige Veränderungen in den Abwehrzellen einen Einfluss auf das Verhalten depressiver Patienten haben.

    Originalpublikation:
    Flurin Cathomas, Hsiao-Yun Lin, Kenny L. Chan, Long, Lyonna F. Parise, Johana Alvarez, et. al. Peripheral immune-derived matrix metalloproteinase promotes stress susceptibility and depression. Nature. 7 February 2024. DOI: 10.1038/s41586-023-07015-2

    Pressestelle der Universität Zürich, 7.2.2024

  • Deutsche fühlen sich unsicherer

    Mehr als tausend Straftaten überschatteten die Kölner Silvesternacht 2015. Diese reichten von Diebstahl bis hin zu sexuellen Übergriffen und sollen überwiegend von nordafrikanischen Geflüchteten begangen worden sein. Eine Studie des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim sowie der Goethe-Universität Frankfurt auf Datenbasis des European Social Survey (ESS) weist nun erstmals wissenschaftlich nach, dass sich die Deutschen nach den Ereignissen deutlich unsicherer fühlen und sich mit dem Thema Selbstverteidigung intensiver beschäftigen.

    „Wir zeigen, dass das Sicherheitsempfinden bei der Bevölkerung um etwa fünf Prozent sank. Dieser Effekt hielt bis zu zwei Jahren an. Frauen, Opfer von Straftaten sowie politisch rechtsstehende Personen sind davon noch stärker betroffen“, erklärt Ko-Autor Dr. Martin Lange, der die Nachwuchsforschungsgruppe „IMES – Integration von Migranten/-innen und Einstellungen zum Sozialstaat“ im ZEW-Forschungsbereich „Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen“ leitet, die Studienergebnisse.

    „Nach der Silvesternacht stiegen außerdem Internet-Suchanfragen zu Begriffen wie ‚Pfefferspray‘ und ‚Selbstverteidigung‘ sprunghaft an. Die Straftaten verschlechterten zudem auch die allgemeine öffentliche Einstellung gegenüber Geflüchteten und Einwanderern“, ergänzt Lange.

    Vertrauensverlust in die öffentliche Sicherheit

    In der Silvesternacht von 2015 auf 2016 kam es in Köln zu gewalttätigen Ausschreitungen, die bundesweit Schlagzeilen machten. Die mutmaßlichen Täter sollen überwiegend junge Männer aus nordafrikanischen Staaten und/oder arabischer Herkunft sein, die 2015 als Geflüchtete nach Deutschland kamen. Die Reaktionen auf das Kriminalitätsereignis wirken sich potenziell auch auf die Politik aus. So kann die erhöhte Nachfrage nach Verteidigungsgütern als Vertrauensverlust in die Fähigkeit des Staates interpretiert werden, die Sicherheit seiner Bürger/innen zu gewährleisten. „Die politischen Entscheidungsträger/innen sollten sich der möglichen Risiken eines Trends zu individuellen Selbstbewaffnung bewusst sein und Maßnahmen ergreifen, um diesem Trend entgegenzuwirken“, schlussfolgert Martin Lange.

    Datenbasis

    Mithilfe von Daten aus dem European Social Survey (ESS), dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) und eines Difference-in-Differences(DiD)-Schätzers verglichen die Wissenschaftler das Sicherheitsempfinden in Deutschland vor und nach der Silvesternacht mit dem in anderen europäischen Ländern, die als Kontrollgruppe dienten. Der Kontrollgruppenansatz basiert auf der Annahme, dass andere europäische Länder um 2015 ebenfalls einem erheblichen Zustrom von Asylbewerbern/-innen nach Europa ausgesetzt waren, aber nicht direkt von den Ereignissen am Silvestertag betroffen waren.

    Originalpublikation: https://ftp.zew.de/pub/zew-docs/dp/dp23068.pdf

    Pressestelle des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim, 27.12.2023

  • Hormone und Alkoholkonsum

    Forschende des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Technischen Universität Dresden haben in der Fachzeitschrift „American Journal of Psychiatry“ Studienergebnisse veröffentlicht, die ein besseres Verständnis für den Zusammenhang zwischen Hormonen und Alkoholkonsum ermöglichen. Eine nach Geschlechtern getrennte, multizentrische Längsschnittstudie, durchgeführt an 74 Frauen mit Alkoholabhängigkeit, die einen natürlichen Menstruationszyklus haben, und 278 Männern mit Alkoholabhängigkeit zeigt signifikante Zusammenhänge zwischen Menstruationszyklus, dem Verhältnis von Progesteron zu Östradiol und problematischem Trinkverhalten.

    Die Studie zeigt, dass während der späten Lutealphase des Menstruationszyklus bei Frauen die Wahrscheinlichkeit für Tage mit exzessivem Trinken bei 13 Prozent lag und geringer war als in der menstruellen (17 Prozent), follikulären (19 Prozent) und ovulatorischen Phase (20 Prozent). Gleichzeitig war in der späten Lutealphase der Mittelwert des Progesteron-Östradiol-Verhältnisses im Vergleich zu anderen Zyklusphasen erhöht. Bei Männern stand ein höheres Progesteron-Östradiol-Verhältnis direkt mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für exzessives Trinken und für jeglichen Alkoholkonsum in Verbindung.

    Diese Ergebnisse legen nahe, dass ein höheres Progesteron-Östradiol-Verhältnis alkoholabhängige Frauen und Männer vor problematischem Alkoholkonsum schützen kann. Damit ist das Hormonverhältnis eine vielversprechende Zielgröße zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit. Dies könnte den Weg für personalisierte, zyklusabhängige Behandlungen ebnen, insbesondere für alkoholabhängige Frauen.

    Professor Dr. Bernd Lenz und Sabine Hoffmann von der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim betonen die Bedeutung dieser Erkenntnis: „Unsere Forschung eröffnet neue Perspektiven für die Behandlung von Alkoholabhängigkeit. Die Erkenntnisse können dazu beitragen, geschlechtsspezifische Therapieansätze zu entwickeln, die die biologischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern berücksichtigen.“

    Zur Methodik

    In der multizentrischen Längsschnittstudie analysierten die Forschenden individuelle Daten zum realen Alkoholkonsum, die per Smartphone über einen Zeitraum von zwölf Monaten erhoben wurden, den Menstruationszyklus und das Verhältnis von Progesteron zu Östradiol im Blut (insgesamt 667 Blutproben aus vier Untersuchungsterminen) bei 74 Frauen und 278 Männern mit Alkoholabhängigkeit.

    Über das Forschungskonsortium TRR 265

    Hauptrisikofaktoren für Mortalität und Morbidität weltweit sind Alkohol- und Tabakkonsum. Während das Wissen über individuelle Faktoren, die den Beginn und die Aufrechterhaltung des Substanzkonsums fördern, zunimmt, fehlt es immer noch an fundiertem Wissen über modulierende Faktoren und Mechanismen, die zum Verlust und zur Wiedererlangung der Kontrolle über den Drogenkonsum beitragen. Ein besseres Verständnis dieser Faktoren und Mechanismen wird entscheidend sein, um die Behandlung von Suchterkrankungen zu verbessern. Das Ziel des Forschungskonsortiums TRR 265 ist es, die Verläufe des Verlusts und der Wiedererlangung der Kontrolle über den Drogenkonsum zu identifizieren, die zugrundeliegenden neurobiologischen und Lernmechanismen zu untersuchen und mechanismusbasierte Therapien zu entwickeln. Mehr unter trr265.org

    Originalpublikation:
    Hoffmann S et al., Associations of Menstrual Cycle and Progesterone-to-Estradiol Ratio With Alcohol Consumption in Alcohol Use Disorder: A Sex-Separated Multicenter Longitudinal Study. Am J Psychiatry, doi: 10.1176/appi.ajp.20230027

    Pressestelle des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, 16.1.2024

  • Voreingenommene Maschinen

    Genauso wie Menschen haben auch große, auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Sprachmodelle Merkmale wie Moral- und Wertevorstellungen. Diese sind jedoch nicht immer transparent. Forschende der Universität Mannheim und des GESIS – Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften haben nun untersucht, wie man die Eigenschaften der Sprachmodelle sichtbar machen kann und welche Folgen diese Voreingenommenheit für die Gesellschaft haben könnte.

    Beispiele für Stereotypen findet man bei kommerziellen KI-gestützten Anwendungen wie ChatGPT oder DeepL, die häufig automatisch annehmen, dass leitende Ärzt:innen männlich und Pflegekräfte weiblich sind. Doch nicht nur bei Geschlechterrollen können große Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) bestimmte Tendenzen zeigen. Gleiches lässt sich auch in Bezug auf andere menschliche Merkmale feststellen und messen. Das haben Forschende der Universität Mannheim und des GESIS – Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften in einer neuen Studie anhand einer Reihe von offen verfügbaren LLMs aufgezeigt.

    Im Rahmen ihrer Studie haben die Forschenden mithilfe von etablierten psychologischen Tests die Profile der unterschiedlichen LLMs untersucht und miteinander verglichen. „In unserer Studie zeigen wir, dass man psychometrische Tests, die seit Jahrzehnten erfolgreich bei Menschen angewendet werden, auch auf KI-Modelle übertragen kann“, betont Autor Max Pellert, Assistenzprofessor am Lehrstuhl für Data Science in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Mannheim.

    „Ähnlich wie wir bei Menschen Persönlichkeitseigenschaften, Wertorientierungen oder Moralvorstellungen durch Fragebogen messen, können wir LLMs Fragebogen beantworten lassen und ihre Antworten vergleichen“, so der Psychologe Clemens Lechner vom GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim, ebenfalls Autor der Studie. Dies mache es möglich, differenzierte Eigenschaftsprofile der Modelle zu erstellen. Die Forschenden konnten beispielsweise bestätigen, dass manche Modelle genderspezifische Vorurteile reproduzieren: Wenn im ansonsten gleichen Text eines Fragebogens einmal eine männliche und einmal eine weibliche Person im Mittelpunkt steht, werden diese unterschiedlich bewertet. Handelt es sich um einen Mann, so wird der Wert „Achievement“ – also Leistung – im Text stärker betont, wohingegen bei Frauen die Werte Sicherheit und Tradition dominieren.

    „Das kann weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben“, so der Daten- und Kognitionswissenschaftler Pellert. Sprachmodelle werden beispielsweise zunehmend in Bewerbungsverfahren eingesetzt. Ist die Maschine voreingenommen, so fließt das auch in die Bewertung der Kandidierenden ein. „Die Modelle bekommen eine gesellschaftliche Relevanz über die Kontexte, in denen sie eingesetzt werden“, fasst er zusammen. Deshalb sei es wichtig, bereits jetzt mit der Untersuchung anzufangen und auf potenzielle Verzerrungen hinzuweisen. In fünf oder zehn Jahren wäre es möglicherweise zu spät für so ein Monitoring: „Die Vorurteile, welche die KI-Modelle reproduzieren, würden sich verfestigen und der Gesellschaft schaden“, so Pellert.

    Die Studie wurde am Lehrstuhl für Data Science in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften von Prof. Dr. Markus Strohmaier in Zusammenarbeit der Abteilung Survey Design und Methodology von Prof. Dr. Beatrice Rammstedt durchgeführt. Beide Forschende sind auch am GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften beschäftigt.

    Die Ergebnisse der Untersuchung sind im renommierten Fachjournal „Perspectives on Psychological Science“ erschienen:

    Pellert, M., Lechner, C. M., Wagner, C., Rammstedt, B., & Strohmaier, M. (2024). AI Psychometrics: Assessing the Psychological Profiles of Large Language Models Through Psychometric Inventories. Perspectives on Psychological Science. https://doi.org/10.1177/17456916231214460

    Weitere Informationen unter:
    (2023). KI – nicht ohne Eigenschaften. Inf 04.
    https://inf.gi.de/04/ki-nicht-ohne-eigenschaften

    Pressestelle des GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, 8.1.2024