Kategorie: Kurzmeldungen

  • Das Trauma als Übersetzungsversuch?

    Maren Ochs, Trägerin des Henriette-Fürth-Preises 2022/23. Foto: Polar Studio

    In den letzten Jahren ist die Auseinandersetzung mit traumatischen Erlebnissen sowie deren Folgen vermehrt in das Bewusstsein der Gesellschaft gerückt. In ihrer Abschlussarbeit mit dem Titel „Das Trauma als Übersetzungsversuch? Feministisch-psychoanalytische Überlegungen im Anschluss an die ‚Memory Wars‘“ untersuchte Maren Ochs, Absolventin des Master-Studiengangs Psychosoziale Beratung und Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), die komplexen Zusammenhänge zwischen Traumata und der psychologischen Verarbeitung dieser Erfahrungen. Für diese Arbeit wurde ihr im November 2023 – als eine von zwei Preisträgerinnen – der Henriette-Fürth-Preis 2022/23 in der Kategorie Masterarbeit verliehen.

    Die Auszeichnung wird jährlich vom Gender- und Frauenforschungszentrum der Hessischen Hochschulen (gFFZ) für herausragende Abschlussarbeiten zur Frauen- und Genderforschung an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften verliehen und ist mit einem Preisgeld von 500 Euro dotiert. Ochs’ Thesis wurde von Prof. Dr. Birgit Gaertner und Prof. Dr. habil. Margrit Brückner betreut. Das gFFZ zeichnet mit dem Preis nicht nur die Absolventin aus, sondern würdigt auch die Arbeit der Betreuenden.

    Bei der Masterarbeit von Maren Ochs handelt es sich um eine literaturgestützte theoretische Arbeit, die gleichwohl ihren Ausgangspunkt in der Beratung von Frauen und der Konfrontation mit den in deren Narrativen enthaltenen vielfältigen Spuren erlittener sexueller Gewalt nimmt. Maren Ochs knüpft dabei an die polarisierte Debatte der sogenannten „Memory Wars“ in den 1990er Jahren an und setzt sich als Ziel, eine psychoanalytische Konzeption des Erinnerns gegen eine korrespondistische Theorie des Gedächtnisses in Stellung zu bringen. Mit ihrer in der Masterarbeit Schritt für Schritt entfalteten Konzeption des traumatischen Neuerinnerns ist das Projekt verbunden, weder die Realität von patriarchaler Herrschaft und Gewalt noch das Unbewusste im freudschen Sinne preiszugeben.

    Nach dem Urteil der Jury bestechen die mit dem Henriette-Fürth-Preis 2022/23 ausgezeichneten Abschlussarbeiten nicht nur durch ihr durchweg hohes Reflexionsniveau, sondern auch durch den eigenständigen und tiefgründigen wissenschaftlichen Beitrag zu hochbrisanten und aktuellen gesellschaftspolitischen Themen. Der Preis ist mit je 500 Euro dotiert und geht bereits zum neunten Mal an die Frankfurt UAS und zum sechsten Mal an die Hochschule Fulda. Die Preise wurden im November 2023 im Rahmen von Veranstaltungen an den jeweiligen Hochschulen verliehen.

    Das Gender- und Frauenforschungszentrum der hessischen Hochschulen (gFFZ) verleiht seit 2003 den Henriette-Fürth-Preis für herausragende Abschlussarbeiten zur Frauen- und Genderforschung, die von Absolvent:innen an einer hessischen Hochschule für Angewandte Wissenschaften verfasst wurden. Der Jury gehören Vertreter:innen der hessischen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften und Personen aus der gesellschaftlichen Öffentlichkeit an. In der diesjährigen Bewerbungsrunde für den Henriette-Fürth-Preis waren acht studentische Thesis-Studien eingereicht worden.

    Weitere Informationen zum Gender- und Frauenforschungszentrum der hessischen Hochschulen (gFFZ): https://www.gffz.de/

    Pressestelle der Frankfurt University of Applied Sciences, 7.11.2023

  • Schlechterer Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen in Zeiten globaler Krisen

    Die Ergebnisse der zweiten HBSC-Gesundheitsbefragung liegen vor: In den letzten vier Jahren, die von weltweiten Krisen wie der Corona-Pandemie, dem Ukrainekrieg und der Energiekrise geprägt waren, hat sich der Gesundheitszustand von Brandenburgs Kindern und Jugendlichen subjektiv verschlechtert. Das ist das Ergebnis der zweiten sogenannten HBSC-Studie („Health Behaviour in School-aged Children“, deutsch: Gesundheitsverhalten von Schulkindern), die jetzt veröffentlicht wird. Dafür wurden von April bis Juli 2022 insgesamt 3.801 Schülerinnen und Schüler aus den Jahrgangsstufen 5, 7 und 9 an 87 allgemeinbildenden Schulen des Landes Brandenburg zu ihrer Gesundheit befragt.

    Die Erhebung ist, wie auch die Erstauflage im Jahr 2018, ein Gemeinschaftsprojekt des Gesundheits- und des Bildungsministeriums mit der AOK Nordost und der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg.

    Die erste für Brandenburg repräsentative HBSC-Befragung von mehr als 3.000 Schülerinnen und Schülern an 55 Brandenburger Schulen wurde 2018 durchgeführt. Für die zweite Erhebung hat die BTU, erneut unter der Projektleitung von Prof. Dr. Ludwig Bilz, die Schülerinnen und Schüler zu folgenden Themen befragt:

    • subjektiver allgemeiner Gesundheitszustand sowie körperliche und psychische Gesundheit
    • Bewegungs-, Ernährungs- und soziales Risikoverhalten
    • Zahnhygiene
    • Substanzkonsum
    • Sexualverhalten
    • Gesundheitsverhalten in Bezug auf COVID-19
    • Konsum sozialer Medien
    • Familie und soziale Lage sowie Freundeskreis
    • Schule bzw. Schulklima
    • eigene Gesundheitskompetenz

    Im Vergleich zu 2018 zeigen die aktuellen Ergebnisse in vielen Bereichen eine Verschlechterung der gesundheitlichen Selbsteinschätzung von Kindern und Jugendlichen. Allerdings sind die vier Jahre zwischen den beiden Erhebungen auch durch krisenhafte Entwicklungen geprägt. Diese umfassen nicht nur eine weltweite Pandemie, sondern auch einen Krieg in Europa und die damit einhergehenden ökonomischen und sozialen Auswirkungen. Die Daten der Studie sind ein Beleg dafür, dass die letzten vier Jahre auch für Kinder und Jugendliche in Brandenburg herausfordernd waren und körperliche sowie mentale Spuren hinterlassen haben.

    Gesundheit

    Obwohl immer noch der überwiegende Teil der Brandenburger Schülerinnen und Schüler die eigene Gesundheit als ausgezeichnet oder gut einschätzt, sind es mit 84 Prozent rund fünf Prozentpunkte weniger als 2018. Eine noch deutlichere Verschlechterung ist im Bereich der psychischen Gesundheit zu verzeichnen. Berichteten vor vier Jahren noch 31 Prozent der Befragten von mehrmals wöchentlich auftretenden multiplen psychosomatischen Beschwerden, so stieg dieser Anteil jetzt auf 42 Prozent. Ebenfalls zugenommen hat die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die unter depressiven Symptomen oder Einsamkeitsgefühlen leiden. Besonders häufig betroffen sind jeweils Mädchen, ältere Jugendliche sowie Jugendliche mit nichtbinärer Geschlechtsidentität. Zudem treten psychische Probleme häufiger an Oberschulen und Förderschulen und bei Kindern aus finanziell schlechter gestellten Familien auf. Ähnliche Tendenzen wurden auch bereits in der Brandenburger Replikation der COPSY-Studie (COrona&PSYche) für das Befragungsjahr 2021 festgestellt.

    Corona-Pandemie

    Exakt zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen in Brandenburg (66,6 Prozent) gaben an, bereits mit dem Corona-Virus infiziert worden zu sein (Stand: Sommer 2022). Gegen das Corona-Virus geimpft ist demnach mit 46 Prozent nicht ganz die Hälfte der Befragten, wobei sich deutlich mehr Kinder und Jugendliche aus Familien mit höherem Wohlstand impfen ließen als aus Familien mit niedrigerem Wohlstand. Die Vorgaben des Gesundheitsschutzes, zum Beispiel das Tragen von Gesichtsmasken, wurden von der großen Mehrheit der Befragten befolgt.

    Gesundheitsverhalten

    Leicht positiv entwickelt hat sich das Bewegungsverhalten. Erreichten 2018 nur 14,2 Prozent der Brandenburger Kinder und Jugendlichen die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen 60 Minuten an täglicher körperlicher Aktivität, so stieg dieser Anteil um vier Prozentpunkte an. Angesichts des Zusammenhangs zwischen körperlicher (In-)Aktivität und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht, psychischen Erkrankungen sowie Einschränkungen der schulischen Leistungsfähigkeit ist dies aber immer noch deutlich zu wenig. Sport- und Bewegungsförderung bleibt daher auch künftig ein wichtiges Präventionsthema. Ein deutlich negativer Trend ist beim Ernährungsverhalten zu beobachten. Nur knapp die Hälfte der Kinder und Jugendlichen gab an, täglich zu frühstücken. 2018 waren es noch rund 62 Prozent. Obst wird täglich von 47 Prozent der Befragten verzehrt, Gemüse von 32 Prozent.

    Substanzkonsum

    Bei den Suchtmitteln Tabak, Alkohol und Cannabis zeigen die vorliegenden Daten ebenfalls ungünstige Entwicklungen: Der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die angaben, in den letzten 30 Tagen mindestens einmal geraucht zu haben, stieg binnen vier Jahren von acht auf zwölf Prozent an. Täglich rauchten 3,2 Prozent der Befragten (2018: 2,2 Prozent). Von mindestens einem Alkoholrausch in den letzten 30 Tagen berichteten 13 Prozent der Kinder und Jugendlichen. 2018 waren es sieben Prozent. Die 9. Klassen wurden zudem zu ihrem Drogenkonsum befragt. Die Zahl der Jugendlichen, die in den letzten 30 Tagen mindestens einmal Cannabis konsumierten, blieb relativ konstant bei elf Prozent. Hingegen verdoppelte sich der Anteil derjenigen, die an zehn und mehr Tagen Cannabis konsumierten von zwei auf vier Prozent.

    Sozialverhalten

    Auffällig sind die negativen Veränderungen beim Sozialverhalten. Zehn Prozent der Befragten berichten von Erfahrungen mit Schlägereien – das sind drei Prozentpunkte mehr als vor vier Jahren. Gemobbt wurden 13 Prozent der Kinder und Jugendlichen (2018: neun Prozent). Der Anteil jener, die zugaben, selbst gemobbt zu haben, hat sich gegenüber 2018 von vier auf neun Prozent mehr als verdoppelt. Vor allem Cybermobbing spielt in diesem Zusammenhang eine große Rolle. So hat sich der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die von Cybermobbing betroffen waren, seit 2018 von zwei auf sieben Prozent mehr als verdreifacht.

    Soziale Medien

    Dass Online-Aktivitäten für einige Kinder und Jugendliche mit gesundheitlichen Risiken einhergehen, zeigt sich auch bei der Analyse der Konsummuster bei sozialen Medien. Ungefähr zehn Prozent der Befragten und damit vier Prozentpunkte mehr als 2018 gaben an, soziale Medien in einem Maße zu konsumieren, das auf suchtähnliches Verhalten schließen lässt.

    Fazit

    Wie bereits vor vier Jahren zeigen die Daten aus 2022 für fast alle Indikatoren, dass problematische gesundheitsbezogene Verhaltensmuster verstärkt an Förder- und Oberschulen sowie bei Kindern und Jugendlichen aus Familien mit geringerem Wohlstand zu finden sind. Wörtlich heißt es in der Studie: „Aus Public-Health-Perspektive sind es vor allem die vielfach bestätigten negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, die Anlass zum Handeln geben sollten.“ Im präventiven Bereich sind daher verstärkte gesamtgesellschaftliche Anstrengungen erforderlich, um die negativen gesundheitlichen Folgen der Krisen der letzten Jahre abzufedern und die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen zu stärken.

    Hintergrund

    Die internationale Studie zur Kinder- und Jugendgesundheit „Health Behaviour in School-aged Children“ (HBSC) ist die weltweit größte Studie zur Kinder- und Jugendgesundheit. Sie wird alle vier Jahre in mittlerweile 45 Ländern durchgeführt und seit fast 40 Jahren von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterstützt. Sie ist eine der wichtigsten Datengrundlagen für die international vergleichende Gesundheitsberichterstattung über Kinder und Jugendliche. Deutschland beteiligt sich seit 1993/1994 mit Länderstichproben an der HBSC-Studie und richtete 2009/2010 erstmals auch eine bundesweite Befragung aus.

    Der Ergebnisbericht der HBSC-Studie Brandenburg ist im Verlag Pabst Science Publishers erschienen und kann HIER kostenlos heruntergeladen werden.

    Pressestelle der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, 6.11.2023

  • Jugendschutz bei E-Zigaretten wirkt

    E-Zigaretten beinhalten weniger Schadstoffe als klassische Zigaretten und bleiben dennoch gesundheitsschädlich. Deshalb wurde der Handel in vielen Ländern reguliert. Da man den Jugendschutz allerdings leicht umgehen kann, gibt es regelmäßig Debatten über dessen Wirksamkeit. Dass er dennoch wirkt, zeigt eine aktuelle Studie, die u. a. am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in  Mannheim durchgeführt wurde. Basis waren die Längsschnittsdaten des Nationalen Instituts für Drogenmissbrauch aus den USA.

    So führte das Heraufsetzen des Mindestalters für den Kauf von E-Zigaretten auf 18 Jahre in den USA zu einem Rückgang des Konsums bei Jugendlichen. Der gelegentliche Konsum hat zwischen 15 bis 20 Prozent und der regelmäßige Konsum zwischen 20 bis 40 Prozent abgenommen. Diese Ergebnisse können aufgrund der ähnlichen Gesellschaftsstruktur und eines vergleichbaren Jugendschutzes auch auf Deutschland übertragen werden. „Die Ergebnisse zeigen eindeutig: Jugendschutz wirkt! Da sich im Studienzeitraum nur die Gesetze zum Erwerb von E-Zigaretten, aber nicht für herkömmliche Tabakprodukte änderten, erklären sich die Unterschiede rein anhand des Zugangs zu E-Zigaretten“, erklärt Prof. Dr. Nicolas Ziebarth, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen“ und Ko-Autor der Studie.

    Späterer Konsumbeginn durch höheres Mindestalter

    In den USA gab es bis zum Inkrafttreten eines einheitlichen Bundesgesetzes im Jahr 2016 unterschiedliche Regelungen für den Erwerb von E-Zigaretten. Grundlage der Studie sind national repräsentative Daten des Nationalen Instituts für Drogenmissbrauch zu Oberstufenschüler:innen der 12. Klassen aus der Längsschnittstudie „Monitoring the Future“ (MTF), in der von 2014 bis 2017 über 22.000 Konsumenten:innen von E-Zigaretten innerhalb von acht Monaten nach ihrem 18. Geburtstag zu ihrem Verbrauch befragt wurden. In Bundesstaaten, in denen der legale Erwerb erst ab 18 Jahren möglich war, unterscheiden sich die Werte deutlich von den Bundesstaaten, in denen es keine Regelung gab.

    Die Untersuchung zeigt somit, dass in den Bundesstaaten ohne Altersbeschränkung deutlich mehr Jugendliche vor ihrem 18. Geburtstag mit dem Konsum von E-Zigaretten begannen, während in Bundesstaaten mit Altersbeschränkung wiederum viele erst nach dem 18. Geburtstag mit dem Dampfen anfangen. Das verdeutlicht, wie effizient der Jugendschutz die Altersgruppe der unter 18-Jährigen vor dem E-Zigarettenkonsum geschützt hat.

    Originalpublikation: https://ftp.zew.de/pub/zew-docs/dp/dp23046.pdf

    Pressestelle des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, 14.11.2023

  • Strategie gegen Einsamkeit

    Die Bundesregierung hat am 13.12.2023 den von Bundesgesellschaftsministerin Lisa Paus vorgelegten Entwurf der Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit beschlossen. Mit der Einsamkeitsstrategie erfüllt die Bundesregierung ihren Auftrag aus dem Koalitionsvertrag, Einsamkeit zu überwinden, und geht damit nach Vorbildern aus Japan und Großbritannien erstmals gesamtstrategisch gegen Einsamkeit in Deutschland vor.

    Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus:
    „Einsamkeit ist eine Herausforderung an die gesamte Gesellschaft mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und das soziale Miteinander. Einsamkeit schadet Menschen unabhängig von Alter oder Lebenslage. Unser Ziel ist es, das Thema Einsamkeit in Deutschland stärker politisch und wissenschaftlich zu beleuchten. Deshalb gehen wir Einsamkeit gesamtgesellschaftlich an mit 111 konkreten und bereichsübergreifenden Maßnahmen. So brechen wir das Tabu und setzen ein Signal: Einsame Menschen sind nicht alleine. Das Motto der Strategie gegen Einsamkeit lautet Richtig gut geht’s uns nur gemeinsam.“

    Die Strategie verfolgt insgesamt 111 Maßnahmen zur Stärkung der sozialen Verbundenheit und des gesellschaftlichen Miteinanders. Die Maßnahmen sollen helfen, Einsamkeit vorzubeugen oder zu lindern. Sie sensibilisieren, unterstützen die Menschen konkret und stärken das Wissen und die Praxis.

    Bundesministerin Lisa Paus hatte im Juni 2022 das Startzeichen für die Erarbeitung einer Strategie gegen Einsamkeit gegeben. Sie entstand in einem breiten Beteiligungsprozess, umfasst alle Altersgruppen und nimmt Menschen in den Blick, die auch nur in bestimmten Lebensphasen von Einsamkeit betroffen sein können.

    Durch eine Geschäftsstelle im Projekt „Kompetenznetz Einsamkeit“ wird das Erreichen der Ziele begleitet. Im Kompetenznetz entsteht ferner ein Wissenspool zu aktuellen Forschungsergebnissen und es veröffentlicht jährlich ein „Einsamkeitsbarometer“. Die Erkenntnisse aus den geförderten Modellmaßnahmen werden über das Kompetenznetz Einsamkeit in die Weiterentwicklung einfließen. Geplant sind zudem öffentlichkeitswirksame Aktionen wie die Aktionswoche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“.

    Angebote gegen Einsamkeit mit Angebotslandkarte: www.strategie-gegen-einsamkeit.de

    Pressemitteilung des Bundesfamilienministeriums, 13.12.2023

  • 2022 waren 607.000 Menschen in Deutschland wohnungslos

    Zum Auftakt ihrer Bundestagung, die vom 8. bis 11. November 2023 in Berlin stattfand, stellte die BAG Wohnungslosenhilfe (BAG W) ihre aktuelle Hochrechnung zur Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland vor. Die BAG W ist der bundesweite Dachverband der Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfen in Deutschland.

    Die aktuelle Hochrechnung der BAG W umfasst Gesamtwerte für die Jahre 2022 und 2021. Zusätzlich werden Werte für den Stichtag 30. Juni der beiden Jahre angegeben. Die Hochrechnung der BAG W enthält somit neben der Stichtagszahl auch eine Jahresgesamtzahl, mit der auch die Menschen erfasst werden, die vor bzw. nach dem Stichtag wohnungslos waren, es aber zum Stichtag nicht sind. Deshalb liegt eine Jahresgesamtzahl immer deutlich höher als eine Stichtagszahl.

    Anzahl der wohnungslosen Menschen

    Im Verlauf des Jahres 2022 waren in Deutschland 607.000 Menschen wohnungslos. Davon lebten ca. 50.000 ganz ohne Unterkunft auf der Straße. Zum Stichtag 30.06.2022 waren laut Hochrechnung der BAG W 447.000 Menschen wohnungslos. Die Jahresgesamtzahl für 2021 liegt laut BAG W-Hochrechnung bei 383.000 wohnungslosen Personen (vgl. Abb. 1). Zum Stichtag 30.06.2021 hat die BAG W die Zahl von 268.000 wohnungslosen Menschen ermittelt.

    Abb. 1

    Aus den Zahlen ergibt sich ein Anstieg der Stichtagszahl von 2021 zu 2022 um 67 % und der Jahresgesamtzahl um 58 %. Eine Differenzierung bei den Stichtagszahlen zwischen deutschen und nicht-deutschen Wohnungslosen zeigt zudem deutliche Unterschiede. Bei den deutschen Wohnungslosen ergibt sich ein Anstieg von 5 %, bei den nicht-deutschen um 118 %. Letzteres ist insbesondere auf die enorme Zunahme der Zahl wohnungsloser Geflüchteter, ganz besonders aus der Ukraine, zurückzuführen.

    Entsprechend der gesetzlichen Verpflichtung führt das Statistische Bundesamt jährlich zum Stichtag 31.01. eine Erhebung über die institutionell untergebrachten wohnungslosen Personen durch. Dies ist eine wichtige Erhebung, die von der BAG W und anderen Sozialverbänden seit Jahrzehnten gefordert wurde. Eine Hochrechnung der BAG W ist trotz der Bundesstatistik weiter erforderlich, da das Statistische Bundesamt zum Stichtag 31.01. nicht die Menschen zählt, die bei Freund:innen oder Bekannten unterkommen oder auf der Straße leben. Dies führt zu einer unvollständigen Darstellung des Ausmaßes der Wohnungslosigkeit in Deutschland und zu einer Verzerrung der soziostrukturellen Merkmale der von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen. Darüber hinaus beschränkt sich das Statistische Bundesamt auf die Stichtagszahlen. Die BAG W ermittelt hingegen auch Jahresgesamtzahlen, die das gesamte Ausmaß der Wohnungslosigkeit besser abbilden. Das Statistische Bundesamt hatte zum Stichtag 31.01.2023 eine Zahl von 372.000 untergebrachten wohnungslosen Menschen gezählt.

    Über die Stichtagserhebung am 31.01. zu untergebrachten wohnungslosen Personen hinaus ist die Bundesregierung verpflichtet, alle zwei Jahre über den Umfang der Wohnungslosigkeit der Menschen ganz ohne Unterkunft und der bei Freund:innen und Bekannten vorübergehend untergekommenen Menschen zu berichten. Diese begleitende Berichterstattung ist im Jahr 2022 vorgelegt worden. Der Bund hat zum 31.01.2022 die Zahl von 263.000 wohnungslosen Menschen ermittelt. Die BAG W kommt in ihrer Hochrechnung zum Stichtag 30.06.2021 auf 268.000 wohnungslose Menschen.

    Merkmale der wohnungslosen Menschen

    Die folgenden Werte der BAG W beziehen sich auf den Stichtag 30.06.2022:

    In der Hochrechnung der BAG W am Stichtag 30.06.2022 liegt der Anteil der deutschen wohnungslosen Personen bei 29 % und der Anteil der nicht-deutschen bei 71 %. Bei der Erhebung des Statistischen Bundesamtes zum Stichtag 31.01.2023 machen Deutsche 16 % der Wohnungslosen aus. Diese Differenz ist darauf zurückzuführen, dass das Statistische Bundesamt im Januar 2023 ausschließlich die Zahl institutionell untergebrachter wohnungsloser Menschen erhoben hat. Bei der großen Mehrheit der untergebrachten Wohnungslosen handelt es sich um Geflüchtete aus der Ukraine, Syrien, Afghanistan und Irak.

    Die Differenz bei der Kategorie „Staatsangehörigkeit“ erklärt auch die Unterschiede zwischen der Hochrechnung der BAG W und der Stichtagszahl des Statistischen Bundesamtes in Bezug auf die Haushaltsstruktur, das Alter und das Geschlechterverhältnis:

    36 % aller Wohnungslosen leben in Einpersonenhaushalten, 64 % in Mehrpersonenhaushalten. In ihrer Hochrechnung stellt die BAG W fest, dass bei den deutschen Wohnungslosen der Anteil der Einpersonenhaushalte mit ca. 58 % deutlich höher liegt als bei den Nicht-Deutschen (27 % Einpersonenhaushalte). Bei den wohnungslosen Menschen mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft sind vor allem Familien von Wohnungslosigkeit betroffen. 26 % aller wohnungslosen Personen sind Kinder oder Jugendliche. Bei den deutschen Wohnungslosen liegt der Anteil der Minderjährigen bei knapp 9 %, bei den Nicht-Deutschen bei knapp 34 %.

    Unter den Volljährigen sind 58 % männlich, 42 % weiblich. Das Geschlechterverhältnis unterscheidet sich zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen ebenfalls erheblich. Von den deutschen volljährigen Wohnungslosen sind 72 % männlich und 28 % weiblich, bei den nicht-deutschen Personen ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen: 50 % männlich, 50 % weiblich.

    Gründe der Wohnungslosigkeit – Armut, Wohnungsmangel, Flucht

    Für Wohnungslose mit deutscher Staatsbürgerschaft zeigen die Daten aus dem Dokumentationssystem zur Wohnungslosigkeit der BAG W (DzW): Insgesamt 57 % verlieren die Wohnung aufgrund einer Kündigung. Weitere wichtige Auslöser waren mit 21 % Miet- und Energieschulden, mit 20 % Konflikte im Wohnumfeld sowie mit 16 % Trennung/ Scheidung. Nicht-deutsche Wohnungslose hatten mehrheitlich in Deutschland noch nie eine Wohnung. Der Hauptauslöser ist ihre Flucht.

    Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe:
    „Inflation, gestiegene Kosten und steigende Mieten belasten einkommensschwache Haushalte in Deutschland. Dies führt zu (Energie-)Armut, Mietschulden und Wohnungsverlust. Besonders gefährdete Gruppen sind einkommensarme Ein-Personen-Haushalte, Alleinerziehende und kinderreiche Paare. Auch Beratungsstellen verzeichnen eine steigende Nachfrage, während der verfügbare und bezahlbare Wohnraum abnimmt. Der fehlende bezahlbare Wohnraum ist und bleibt der Hauptgrund für die Wohnungsnot in Deutschland.“

    Durch das sukzessive Auslaufen von Sozialbindungen bei gleichzeitig niedrigen Neubauraten sinkt der Anteil der verfügbaren Sozialwohnungen dramatisch – nach Berechnungen der BAG W seit 1989 um ca. 1.801.000 Wohnungen (-62,3 %) auf aktuell ca. 1.088.000 (vgl. Abb. 2). Sie fehlen dauerhaft für eine soziale Wohnraumversorgung.

    Nationaler Aktionsplan zur Überwindung der Wohnungslosigkeit bis 2030

    Die Bundesregierung hat sich mit dem „Nationalen Aktionsplan“ zum Ziel gesetzt, die Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden. Der Anstieg der Jahresgesamtzahl der Wohnungslosen um 58 % von 2021 auf 2022 zeigt, welche Kraftanstrengungen für die Realisierung des Ziels notwendig sind.

    Werena Rosenke:
    „Mit 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr – wie von der Ampelregierung versprochen – kann dem Mangel an bezahlbaren Wohnungen nicht ausreichend entgegengesteuert werden. Zusätzlich zu den Sozialwohnungen werden weitere 100.000 bezahlbare Wohnungen benötigt. Entstanden sind in den letzten Jahren jeweils nur ca. 25.000 neue sozialgebundene Wohnungen, die nicht einmal das Abschmelzen des Sozialwohnungsbestandes durch Auslaufen der Bindungen kompensieren können. Benötigt wird ein Wohnungsbestand mit dauerhaften Sozialbindungen. Deswegen muss die Bundesregierung – wie beim Wohnungsgipfel im Kanzleramt angekündigt – die Neue Wohngemeinnützigkeit jetzt einführen.

    Bezahlbarer Wohnraum ist zwar eine Voraussetzung für die Überwindung von Wohnungslosigkeit, aber es bedarf gezielter Maßnahmen, um wohnungslose Menschen wieder in eine eigene Wohnung zu bringen, denn oft sind sie Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt. Nötig sind deshalb Bindungen und Quotierungen für Wohnungslose im Sozialwohnungsbestand sowie die gezielte Akquise von Wohnungsbeständen bei privaten Vermietern und der Wohnungswirtschaft.

    Nach einem Wohnungsverlust werden Einzelpersonen und Familien in den Unterkünften der Gemeinden nach Ordnungsrecht untergebracht. In diesen Unterkünften, die z. T. in einem schlechten Zustand sind, besteht die große Gefahr, dass sich Wohnungslosigkeit chronifiziert. Außerdem ist der Unterbringungssektor sehr kostspielig. Schon seit vielen Jahren fordert die BAG W, diese Schlichtwohnungen und Notunterkünfte zu sanieren, in Sozialwohnungen umzuwandeln und wohnungslose Haushalte somit in den allgemeinen Sozialwohnungsbestand zu integrieren.

    Zusätzliche Wohnungen für Wohnungslose lassen sich auch dadurch erschließen, dass die Richtwerte für die Kosten der Unterkunft (KdU) bei wohnungslosen Haushalten deutlich überschritten werden können.“

    Prävention stärken!

    Es müssen alle möglichen Maßnahmen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit ergriffen werden, denn die Verhinderung der Wohnungslosigkeit ist die beste Hilfe.

    Werena Rosenke:
    „Ein Leichtes wäre es, die Mietschuldenübernahme im SGB II wie im SGB XII als Beihilfe vorzusehen. Darüber hinaus muss durch den Gesetzgeber dringend klargestellt werden, dass – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – bei einer Mietschuldenbefriedigung nicht nur die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses, sondern auch die ggf. hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung geheilt ist. In jede Kommune und jeden Landkreis gehört eine Zentrale Fachstelle zur Verhinderung von Wohnungsverlusten. Der Aufbau effizienter Präventionsstrukturen sollte dringend durch entsprechende Förderprogramme des Bundes unterstützt werden. Dies wären sehr wichtige konkrete Maßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Überwindung der Wohnungslosigkeit bis 2030.“

    Pressestelle der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V., 7.11.2023

  • Deutlicher Anstieg der Suizidraten in Deutschland im Jahr 2022

    Die starke Belastung der Bevölkerung durch die Krisen der vergangenen Jahre spiegelt sich in einer aktuellen Analyse von Wissenschaftlern der Universitätsmedizin Leipzig wider. Waren die Suizidraten vor den Jahren der Pandemie in Deutschland noch im Abwärtstrend, sind sie im Jahr 2022 deutlich gestiegen (Anstieg um 9,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr), vor allem in der Altersgruppe ab 60 Jahren. Das Bundesland Sachsen verzeichnet dabei die höchste Suizidrate. Die Studienautoren PD Dr. Daniel Radeloff und Professor Dr. Jon Genuneit ordnen im Pressegespräch die Zahlen in ihrer aktuellen Forschungspublikation ein.

    Sie werten gemeinsam mit Ihren Kollegen an der Universitätsmedizin Leipzig regelmäßig Statistiken zu Todesfällen und Daten aus der Kriminalstatistik aus. Sind Sie überrascht von dem deutlichen Anstieg der Suizide?

    Radeloff: Wir wissen, dass Vorhersagen der Suizidraten fehleranfällig sind. Schon während der COVID-19-Pandemie befürchteten Fachleute einen Anstieg der Suizide. Dies hat sich rückblickend für Deutschland, aber auch international, nicht bestätigt. Angesichts der vielfältigen Belastungen, die uns die Pandemie abverlangt hat, ist diese Resilienz erstaunlich. Gerade deshalb hat uns der deutliche Anstieg der Suizidraten um 9 Prozent bei Männern und 7 Prozent bei Frauen im Vergleich zum Vorjahr nach Berücksichtigung der Altersverteilung überrascht, auch wenn die geopolitischen und wirtschaftlichen Verwerfungen des Jahres 2022 ohne Frage ein Risikoumfeld darstellen.

    Worin liegen die Besonderheiten Ihrer Analyse?

    Genuneit: Die Suizidraten werden regelmäßig vom Statistischen Bundesamt ausgewertet, allerdings liegen die Ergebnisse erst Ende des Folgejahres vor, so wurden die Zahlen für 2022 kürzlich veröffentlicht. Wir haben für unsere Analyse die Daten der polizeilichen Kriminalstatistik für 2022 verwendet, die uns bereits im Februar vorlagen. Diese sind zwar nicht ganz so exakt wie die Daten des Statistischen Bundesamtes, weil sie unter anderem nicht bei nachträglicher Klärung durch eine Obduktion korrigiert werden. Aber wir konnten damit dennoch verlässlich und vor allem deutlich schneller die Änderung der Suizidraten wissenschaftlich dokumentieren. Das ist wichtig für zeitnahe politische Maßnahmen und die rechtzeitige Schaffung eines Problembewusstseins bei Akteuren im Gesundheitswesen sowie in der gesamten Gesellschaft.

    Sachsen hat laut den aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts mit rund 17 Suiziden pro 100.000 Einwohnern im Vergleich der Bundesländer die höchste Suizidrate. Kann man das mit dem hohen Durchschnittsalter in diesem Bundesland erklären?

    Radeloff: Eine Abweichung zu anderen Bundesländern ist bekannt, wobei die Suizidraten in Teilen durch die abweichende Altersstruktur und Unterschiede in der regionalen Bevölkerungsdichte erklärt werden können. Bei Männern liegen die Suizidraten unter Berücksichtigung der Altersverteilung in den vergangenen Jahren in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen höher als in anderen Bundesländern; bei Frauen sind es neben Sachsen auch Hamburg, Berlin und Schleswig-Holstein. Ein Ranking der Bundesländer sollte nicht in den Fokus rücken, denn das Suizidrisiko ist ja für Menschen in einer Notlage veränderbar. Insofern sind wir dafür, die Chancen zu betonen: Wir sollten uns den individuellen Handlungsspielraum bewusst machen, der die Bewältigung einer Krise ermöglicht. Der wird regelmäßig unterschätzt.

    Wieso ist vor allem die Altersgruppe ab 60 Jahren laut Ihrer Analyse betroffen?

    Genuneit: Wir haben in unserer Studie dargestellt, dass die Suizidraten in 2022 nicht mehr dem Trend der Vorjahre folgen und dass dies keine zufällige Schwankung ist. In der Tat konnten wir feststellen, dass diese Änderung vor allem durch die älteren Bevölkerungsgruppen getragen wird. Die Ursachen für den Anstieg des Suizidrisikos in dieser Altersgruppe können wir mit unseren Daten nicht aufdecken. Möglicherweise waren Menschen höheren Alters in 2022 mit stärkeren finanziellen Sorgen und Zukunftssorgen konfrontiert als jüngere Menschen.

    Sie sprechen das Thema Unterstützung an. Wir befinden uns in einer trüben und dunklen Jahreszeit. Haben Sie Ratschläge für Menschen, denen ihre Probleme über den Kopf wachsen?

    Radeloff: Achten Sie auf sich und vertrauen Sie sich Menschen in Ihrem Umfeld an. Ziehen Sie in Erwägung, sich durch Fachleute beraten zu lassen. Falls Sie Suizidgedanken haben, stehen Ihnen rund um die Uhr Expertinnen und Experten im jugend- und erwachsenenpsychiatrischen Notdienst zur Seite. Sie können auch niederschwellige, anonyme Beratungsangebote außerhalb der klassischen klinischen Versorgung nutzen – beispielsweise per Telefon oder per App.

    Originalpublikation:
    Suicide trends in Germany during the COVID-19 pandemic and the war in Ukraine. In: Psychiatry Research. DOI: https://doi.org/10.1016/j.psychres.2023.115555

    Die Daten der Publikation stammen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik der Landeskriminalämter und der nationalen Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamts 2023.

    Pressestelle der Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, 4.12.2023

  • Suchthilfe in Deutschland 2022

    Der aktuelle Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) ist am 1. Dezember veröffentlicht worden. Wie in den Vorjahren werden die wichtigsten aktuellen Ergebnisse der Deutschen Suchthilfestatistik zusammengefasst: Im Jahr 2022 wurden in 887 ambulanten und 162 stationären Einrichtungen, die sich an der DSHS beteiligt haben, 315.827ambulante Betreuungen und 37.447 stationäre Behandlungen durchgeführt. Die Suchthilfe in Deutschland zählt damit zu den größten Versorgungssystemen im Suchtbereich in Europa und weist eine hohe Qualifizierung und Differenzierung auf.

    Primäres Ziel dieses Jahresberichts ist eine breite Ergebnisdarstellung aktueller Daten der DSHS. Der Bericht bietet neben Informationen zu an der DSHS teilnehmenden Einrichtungen und dem Betreuungsvolumen einen Überblick über störungsbezogene und soziodemographische Merkmale der betreuten/behandelten Klientel sowie zu Merkmalen der Betreuung bzw. Behandlung.

    Ergänzend werden die Auswertungen für einige wesentliche Merkmale auch anhand ausgewählter Hauptmaßnahmen erstellt. Wie in den letzten Jahren sind dies: ambulante medizinische Rehabilitation (ARS), (Reha-) Nachsorge (NAS) sowie ambulant betreutes Wohnen (ABW) und Adaption (ADA). Zudem wird wie zuletzt für das Datenjahr 2020 Psychosoziale Begleitung Substituierter (PSB) adressiert. Für zentrale Parameter erfolgt eine Präsentation der seit 2017 beobachtbaren Entwicklungen samt Diskussion möglicher Erklärungsansätze.

    Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick finden Sie hier.

    Download Suchthilfe in Deutschland 2022 – Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik

    Quelle: https://www.suchthilfestatistik.de/index.html, 1.12.2023

  • Jahresbericht 2023 zur Situation illegaler Drogen in Deutschland erschienen

    Der am 11. Dezember vorgestellte Jahresbericht 2023 (Datenjahr 2022/2023) der deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) zeigt, dass sich einige seit Jahren erkennbare Entwicklungen fortsetzen: Cannabis bleibt die am häufigsten konsumierte illegale Droge. Das führt zu steigenden Gesundheitsgefahren. Etwa 40 Prozent der ambulanten und etwa 30 Prozent der stationären Behandlungen gehen auf den Konsum von Cannabis und Cannabinoiden zurück. Nach der Coronapandemie nehmen nun auch die Präventionsangebote bundesweit wieder zu.

    Das sind Fakten aus dem neuen Jahresbericht. Diese bestärken auch den Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen Burkhard Blienert, den neuen Weg für eine Drogen- und Suchtpolitik der Hilfe und des Schutzes fortzusetzen:

    „Der Jahresbericht zeigt, wir haben weiterhin sehr viel zu tun. Wichtig ist, dass wir die kontrollierte Abgabe von Cannabis jetzt ins Ziel bringen. Mit diesem Projekt erkennen wir in der Drogenpolitik endlich die Lebenswirklichkeit vieler Menschen an und sorgen ganz praktisch für mehr Gesundheitsschutz. Dabei ist klar: Für Jugendliche bleiben Kiffen und Co. weiterhin untersagt. Und dennoch wird es gelingen, den Schwarzmarkt deutlich zurückzudrängen und die Gefahren des Konsums zu reduzieren, weil kein Erwachsener mehr gestrecktes oder hochpotentes Gras vom Dealer an der Ecke kaufen muss. Dieses Umdenken in der Sucht- und Drogenpolitik – weg vom Verbot, hin zu mehr Schutz und Hilfe – wird allein fast 4,5 Millionen Erwachsenen in Deutschland helfen, die regelmäßig zu Cannabis greifen. Ansonsten machen die Daten überdeutlich, dass wir die niedrigschwelligen Angebote der Suchthilfe in Deutschland weiter ausbauen müssen. Sie retten Leben und reduzieren den Schaden.“ 

    Der Reitoxbericht beschreibt auch die aktuellen Entwicklungen in der deutschen Sucht- und Drogenpolitik: Auf Bundesebene wurden etwa die betäubungsmittelrechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung von Modellvorhaben zum Drug-Checking durch die Länder geschaffen. Wichtiges Element des Drug-Checking ist die Beratung, Aufklärung und gegebenenfalls die Warnung der Nutzerinnen und Nutzer vor (unerwartet) gefährlichen Substanzen. Darüber hinaus tragen Drug-Checking-Projekte dazu bei, dass Gesundheits-, Ordnungs- und Sicherheitsbehörden eine bessere Kenntnis darüber bekommen, welche Stoffe aktuell auf dem Drogenmarkt gehandelt werden.

    Auch die Entwicklungen in der Suchtprävention, etwa in Schulen oder Betrieben, sind ein Thema. Franziska Schneider, Leiterin der DBDD, dazu:

    „Die Zahl der angebotenen Präventionsmaßnahmen nimmt nach den Pandemiejahren erfreulicherweise wieder zu. Für die Suchtprävention bedeutete gerade das Aussetzen von strikten Kontaktbeschränkungen die Möglichkeit, zu gewohnten Arbeitsweisen und einer stärkeren Präsenz in der Bevölkerung zurückzukehren. Dadurch können wieder mehr Menschen mit Präventionsangeboten erreicht werden.“

    Der Reitoxbericht erscheint jährlich und liefert umfangreiches Zahlenmaterial sowie einen Überblick über Entwicklungen in Bezug auf illegale Drogen, ihren Wirkstoffgehalt und ihre Verbreitung in Deutschland. Insbesondere enthält er Hintergrundinformationen und fasst aktuelle Entwicklungen in den Bereichen Prävention, Beratung, Behandlung, Schadensminderung und Angebotsbekämpfung zusammen. Der Bericht ist die Grundlage für die deutsche Datenbasis für den Europäischen Drogenbericht, der sich mit illegalen Drogen beschäftigt.

    Die DBDD wird auf Grundlage eines Beschlusses des Deutschen Bundestages vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert. Sie wird von drei Institutionen getragen, welche die unterschiedlichen Bereiche des Themas Sucht und Drogen abdecken: die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) sowie das IFT Institut für Therapieforschung.

    Weitere Informationen zum Thema sowie der vollständige Bericht sind unter www.dbdd.de verfügbar.

    Gemeinsame Pressemitteilung des Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen und DBDD, 11.12.2023

  • Soziale Arbeit in Deutschland, Zentralasien und China

    Projektgruppe in Frankfurt am Main 2023

    SOLID ist ein internationales Forschungsprojekt der Frankfurt University of Applied Sciences und verschiedenen Universitäten in Zentralasien und China, die Soziale Arbeit unterrichten. Die Abkürzung SOLID steht für „Social work and strengthening NGOs in development cooperation to treat drug addiction“ (= Soziale Arbeit und Stärkung von NGOs in der Entwicklungszusammenarbeit zur Behandlung von Drogenabhängigkeit). Die Zielsetzungen des Projekts sind

    • die Entwicklung der Sozialen Arbeit als Forschungsgebiet und Berufsfeld in Zentralasien und China,
    • die Stärkung der Sozialen Arbeit in der Drogenhilfe, v. a. in Bezug auf Infektionskrankheiten und im Gefängnissystem,
    • die inhaltliche Orientierung an den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung („Sustainable Development Goals“, SDGs).

    Die Partnerinstitutionen sind:

    • das Shanghai Mental Health Centre in China,
    • die Eurasian National University in Astana in Kasachstan,
    • die Bishkek State University in Kirgistan,
    • das Bukhara State Medical Institute in Usbekistan
    • sowie das Global Public Health Network in Warschau in Polen.

    SOLID fördert 14 Doktorand:innen und fünf Post-Doc Forscher:innen. Im Rahmen des Projektes wurde 2023 eine Reihe von Aktivitäten durchgeführt:

    • Im April fand ein Projekttreffen in Bishkek (Kirgistan) statt, gekoppelt mit einer Konferenz „City Health“.
    • Im Juli trafen sich die Stipendiat:innen im Rahmen der SOLID Sommerschule an der Frankfurt University of Applied Sciences.
    • Im November fand das PhD-Kolloquium statt.
    • Außerdem wurden verschiedene Online-Workshops (Methodentraining, Recherche, Journal Clubs) durchgeführt.

    PhD-Kolloquium

    Beim diesjährigen Kolloquium ging es um die Förderung der Fähigkeiten, in internationalen Fachzeitschriften zu publizieren, was den Doktorandinnen aus Zentralasien noch schwerfällt, weil sie vornehmlich in russischer Sprache publiziert haben, während die chinesischen Doktorand:innen englische Publikationen schon gut beherrschen.

    Deutscher Suchtkongress

    Projektgruppe beim Deutschen Suchtkongress in Berlin mit dem Drogenbeauftragten Burkhard Blienert (3.v.r.)

    Die Projektgruppe besuchte auch den Deutschen Suchtkongress. Der Deutsche Suchtkongress ist eine der wichtigsten und größten interdisziplinären Veranstaltungen zur Drogenbehandlung in Deutschland. Zu Beginn des Kongresses vom 18.-20. September 2023 in Berlin wurde unser SOLID-Team vom Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Burkhard Blienert, persönlich begrüßt. In einer englischsprachigen Sitzung hatten die Stipendiat:innen Gelegenheit, über ihre Forschungsarbeiten zu berichten.

    Das Programm

    Das Doktorandenprogramm besteht aus zwölf PhD-Stipendiat:innen aus Zentralasien und China sowie zwei Doktorand:innen aus Deutschland. Außerdem gehören fünf Post-Doc-Stipendiat:innen dazu, die die Begleitung der Doktorand:innen organisieren und Fachbetreuer:innen an den Partneruniversitäten sind. Wir gehen davon aus, dass die Doktorand:innen 2024 den Abschluss bzw. die Verteidigung der Dissertationen an den Partneruniversitäten erreichen.

    In dem Projekt geht es um die Einbindung der Stipendiat:innen in Lehre und Praxis, um Öffentlichkeitsarbeit und die Erweiterung des Netzwerks. Die Netzwerkarbeit fördert Kontakte in die Wissenschaft, die Zivilgesellschaft und den öffentlichen Sektor sowie die Zusammenarbeit mit lokalen, nationalen und internationalen Partnern.

    Über alle Aktivitäten informiert die SOLID-Webseite: www.solid-exceed.org. Ferner werden zunehmend Artikel in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht. Wir gehen zudem von einer Verstetigung des Doktorandenprogramms an den Partneruniversitäten und von einer Ausweitung der Aktivitäten im Bereich Curriculum Development (Entwicklung von MA-Kursen) aus. Im nächsten Jahr planen wir die Teilnahme an der „International AIDS Conference“ im Juli in München mit allen Projektpartnern. Parallel dazu wird die Herausgabe eines weiteren SOLID-Buchbandes „HIV and Hepatitis C in Central Asia and China“ vorbereitet. Der erste Band, „Social Work and Health in Prison“ (Nomos 2023), wurde im April bei der „City Health“-Konferenz in Bishkek vorgestellt.

    Das Projekt SOLID wird vom Deutschen Akademischen Austauschdienst e. V. (DAAD) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.

    Ingo Ilja Michels, Scientific Coordinator of the Project

  • Was im Kopf der Menschen vor sich geht, wenn sie an Sucht denken

    „Denke an eine Tätigkeit, die du exzessiv betreibst und die dich stört. Schreibe die ersten fünf Wörter auf, die dir dazu einfallen.“ Das war die zentrale Methode, mit der Studienleiter Domonkos File und sein Team süchtigem Verhalten auf der Spur waren. Genau genommen ging es den Forschenden nicht um das Verhalten, sondern darum, was im Kopf der Menschen vor sich geht, wenn sie an Sucht denken. Fachleute sprechen von der „mentalen Repräsentation“.

    Bewusste Vermeidung des Begriffs „Sucht“ in der Befragung

    File und sein Team wollten herausfinden, ob sich die mentalen Repräsentationen bei substanzgebundenen Süchten von denen bei Verhaltenssüchten unterscheiden. 661 Personen hat das Team hierzu befragt. Um die Teilnehmenden nicht durch die Fragestellung zu beeinflussen, haben die Forschenden bewusst vermieden, den Begriff „Sucht“ zu verwenden. Stattdessen fragten sie nach einer „exzessiven Tätigkeit“. Es blieb den Befragten vorbehalten, was sie darunter verstehen.

    In einem nächsten Schritt legte das Forschungsteam den Befragten eine Liste mit Begriffen vor, die sowohl Substanzen wie Alkohol oder Tabak als auch Verhaltenssüchte enthielt. Die Verhaltenssüchte bezogen sich auf Glücksspiel, Internetnutzung, Computerspiele, Pornographie, Kaufen, Essen, Sex, Arbeiten, Seriengucken und die Nutzung von Social Media. Wie sich zeigte, ordneten rund zwei Drittel der Befragten ihre Schlagworte einem Thema zu, das auf der Liste stand. Teilnehmende, die an andere Themen dachten, wurden aus der weiteren Analyse ausgeschlossen.

    Vier verschiedene mentale Repräsentationen zu exzessiven Tätigkeiten

    Anschließend nahm sich das Forschungsteam die Wörter vor, die von den Befragten genannt worden waren, und bildete daraus Begriffsnetzwerke. Je häufiger Wörter gemeinsam genannt wurden, desto enger standen sie beieinander. Insgesamt ließen sich vier Netzwerke voneinander unterscheiden. Jedes stellt eine andere mentale Repräsentation dar.

    Ein Netzwerk wurde mit Sucht und Gesundheit betitelt. Wie sich zeigte, standen Begriffe rund um Sucht und Gesundheit stärker mit Substanzkonsum als mit Verhaltenssüchten in Zusammenhang. Das Netzwerk mit dem Titel Prokrastination/Langeweile war hingegen stärker mit Verhaltenssüchten verbunden. Ein drittes Netzwerk, bei dem die Begriffe Schuld und Scham zentral waren, stand zwar mit beiden Kategorien, also exzessives Verhalten mit und ohne Substanz, in Zusammenhang. Jedoch wurden Schuld und Scham umso öfter genannt, je häufiger die Person Drogen konsumierte. Bei Verhaltenssüchten war diese Verbindung nicht so stark ausgeprägt. Das vierte Begriffsnetzwerk mit dem Titel Stress/Entspannung wurde hingegen sowohl bei substanzgebundenen Süchten als auch bei Verhaltenssüchten etwa gleichermaßen genannt.

    Schuld und Scham besonders stark bei häufigem Drogenkonsum

    In der Studie ließen sich somit sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten in der mentalen Repräsentation von Substanzkonsum und Verhaltenssucht feststellen. Menschen, die sich wegen ihres Konsums von Substanzen Sorgen machen, denken eher an Begriffe, die mit Sucht in Verbindung stehen, als Personen, bei denen ein Verhalten wie Glücksspiel oder Kaufen aus dem Ruder gelaufen ist. Sowohl beim Konsum von Drogen als auch bei verhaltensbezogenen Süchten empfinden Menschen Schuld und Scham. Dies ist aber umso stärker der Fall, je mehr der Drogenkonsum zunimmt.

    Aus Sicht des Forschungsteams mag dies unter anderem daran liegen, dass Drogenkonsum stärker stigmatisiert ist als ausufernde Verhaltensweisen mit suchtähnlichem Charakter. Wer beispielsweise exzessiv Serien schaut oder mit Computerspielen seine gesamte freie Zeit füllt, denkt offenbar nicht automatisch an eine Sucht. Dennoch scheint es Betroffenen bewusst zu sein, dass das nicht in Ordnung ist, Stichwort Aufschieberitis.

    Die Studie könne nach Einschätzung des Forschungsteams dazu beitragen, bei der Diagnose von Sucht stärker darauf einzugehen, wie Menschen Sucht oder süchtiges Verhalten wahrnehmen. Auch ließen sich Hinweise für die Behandlung von Suchtproblemen ableiten. So könnten die Aspekte Schuld und Scham ein Ansatz in der Behandlung einer Drogensucht sein. Hingegen sei bei Verhaltenssüchten die Verbesserung des Zeitmanagements ein möglicher Behandlungsansatz, weil hier Prokrastination und Langeweile treibende Kräfte sind.

    Originalpublikation:
    File, D., File, B., Böthe, B., Griffiths, M. D. & Demetoviscs, Z. (2023). Investigating mental representations of psychoactive substance use and other potentially addictive behaviors using a data driven network-based clustering method. PLoS ONE, 18(19),e0287564. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0287564

    Quelle: https://www.drugcom.de/, 22.11.2023