Kategorie: Kurzmeldungen

  • Gebrauch von Bildschirmmedien in Kindheit und Jugend

    Wie viel Mediennutzung ist für Kinder in welchem Alter angemessen? Wie können Eltern das Nutzungsverhalten ihrer Kinder regulieren? Diese und weitere Fragen greift die S2k-Leitlinie „Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in Kindheit und Jugend“ auf, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) erarbeitet und am 15. Juli 2023 im AWMF Leitlinien-Register veröffentlicht wurde. An der Erstellung der Leitlinie waren zehn weitere Fachgesellschaften und Institute beteiligt, unter anderem der Fachverband Medienabhängigkeit e. V.

    Das Ziel der vorliegenden Leitlinie ist es, einen Überblick zum aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand in Bezug auf dysregulierten Bildschirmmediengebrauch in der Kindheit und Jugend und die damit verbundenen Risiken und Umgangsmöglichkeiten zu geben. Darauf aufbauend werden Empfehlungen zur Prävention von zeitlich, inhaltlich oder funktional problematischer Nutzung von Bildschirmmedien durch Kinder und Jugendliche und ihre Bezugspersonen innerhalb der pädiatrischen Versorgung aufgestellt. Die Empfehlungen sollen die Beziehung zwischen Exptert:in und Patient:in bzw. Klient:in unterstützen und konkrete Hilfe für den Einsatz und Umgang mit Bildschirmmedien geben.

    Weiterhin enthält die Leitlinie Empfehlungen für Eltern zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in der Familie. Diese umfassen:

    1. Möglichkeiten, wie Eltern einerseits durch verbale Vereinbarungen und Regeln, andererseits durch Nutzung von technischem Kinderschutz auf Hardware oder Softwareebene, regulierend auf den digitalen Medienkonsum ihrer Kinder einwirken können,
    2. Unterstützung, wie Eltern ihre allgemeinen Erziehungskompetenzen stärken und wie sie eine aktive bildschirmfreie Alltagsgestaltung für Kinder sowie alltagstaugliche Alternativen zum Bildschirm als „Babysitter“, „Streitschlichter“ oder „Belohnung/ Bestrafung“ etc. entwickeln,
    3. Anregungen, wie der elterliche Medienkonsum reguliert werden kann, um eine Gefährdung der Beziehungs- und Bindungsqualität zwischen Eltern und insbesondere ihren kleinen Kindern zu vermeiden.

    Quelle: https://www.awmf.org/, 22.8.2023

  • Todesfälle im Zusammenhang mit synthetischen Cannabinoiden

    Die bunt verpackten Kräutermischungen sehen meist harmlos aus. Doch der Konsum der darin enthaltenen synthetischen Cannabinoide kann lebensbedrohliche Folgen haben, wie Autopsien von Todesfällen im Raum München belegen.

    Im Jahr 2008 sorgte die Kräutermischung Spice für Aufsehen. Die Wissenschaft rätselte zunächst, was in den Kräutermischungen enthalten ist. Geraucht wirkte es ähnlich wie Cannabis. Allerdings konnte kein bekannter Cannabiswirkstoff nachgewiesen werden. Ein Labor aus Frankfurt konnte schließlich den Nachweis erbringen, dass die Wirkung von synthetischen Cannabinoiden ausgeht, die auf die Kräuter gesprüht wurden.

    In unserem Körper binden synthetische Cannabinoide an den Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems. Das tun sie allerdings bis zu 100-mal stärker als pflanzlicher Cannabis. Synthetische Cannabinoide entfalten dadurch eine deutlich intensivere Wirkung. Damit steigt auch die Gefahr für lebensbedrohliche Folgen, wie eine Forschungsgruppe aus München und Freiburg in einer Studie nachweisen konnte. Für ihre Studie analysierten Studienleiter Olwen Groth und sein Team Todesfälle, bei denen synthetische Cannabinoide als Ursache vermutet wurden.

    98 Todesfälle im Zusammenhang mit synthetischen Cannabinoiden

    Zwischen 2014 und 2020 wurden mehr als 15.000 Autopsien am Institut für Rechtsmedizin an der Medizinischen Fakultät der LMU München durchgeführt. Bei über 800 Todesfällen bestand der Verdacht, dass synthetische Cannabinoide eine Rolle gespielt haben könnten. In 98 Fällen konnte dieser Verdacht durch toxikologische Untersuchungen bestätigt werden. Die Verstorbenen waren im Durchschnitt 36 Jahre alt, 92 Prozent waren männlich.

    Häufigste Todesursache war der Mischkonsum mit anderen Drogen und Alkohol. Nach Einschätzung der Forschenden spielten synthetische Cannabinoide bei mehr als der Hälfte der Todesfälle eine ursächliche Rolle. Bei etwa jedem vierten Fall trugen sie vermutlich zum Todesgeschehen bei. In 14 Prozent der Fälle konnten synthetische Cannabinoide als alleinige Todesursache ausgemacht werden.

    „Wundertüten“ bergen unvorhersehbare Risiken

    Das Gefährliche an synthetischen Cannabinoiden ist: Die Produkte sind wie „Wundertüten“, allerdings mit potenziell lebensgefährlichem Inhalt. So konnten in den toxikologischen Untersuchungen 41 verschiedene synthetische Cannabinoide nachgewiesen werden. Frühere Untersuchungen konnten zudem zeigen, dass auch die Wirkstoffkonzentration innerhalb einer Packung teils unterschiedlich verteilt ist. Konsumierende können sich somit nie sicher sein, was sie konsumieren.

    Ein positives Ergebnis konnte die Studie dennoch liefern: Nachdem im November 2016 das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) in Kraft getreten ist, ist die Zahl der Todesfälle durch synthetische Cannabinoide deutlich zurückgegangen. Das neue Gesetz bezieht sich, anders als das Betäubungsmittelgesetz, nicht auf einzelne Substanzen, sondern auf Stoffgruppen. Damit soll verhindert werden, dass durch kleine Veränderungen in der chemischen Struktur einer Droge eine neue Substanz entsteht, die nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fällt und damit legal ist. Seitdem ist der Umgang mit jeglichen synthetischen Cannabinoiden verboten.

    Originalpublikation:
    Groth, O., Roider, G., Angerer, V., Schäper, J., Graw, M., Musshoff, F., & Auwärter, V. (2023). „Spice“-related deaths in and around Munich, Germany: A retrospective look at the role of synthetic cannabinoid receptor agonists in our post-mortem cases over a seven-year period (2014-2020). International journal of legal medicine, 137(4), 1059–1069. https://doi.org/10.1007/s00414-023-02995-2

    Quelle: https://www.drugcom.de/, 26.7.2023

  • Bundeskabinett beschließt Cannabisgesetz

    Das Kabinett hat heute, 16.8.2023, den Entwurf eines „Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften“ (CanG) beschlossen. Er basiert auf dem 2-Säulen-Eckpunktepapier und setzt die 1. Säule zum privaten und gemeinschaftlichen, nicht-gewerblichen Eigenanbau für Erwachsene zum Eigenkonsum um. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen ist ein zentraler Bestandteil des gesamten Gesetzesvorhabens.

    Mit dem Kabinettsbeschluss hat das Bundesgesundheitsministerium eine Kampagne zur Aufklärung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gestartet. Schon während des Gesetzgebungsverfahrens wird damit dem Eindruck entgegengetreten, der Konsum von Cannabis sei ungefährlich. Um die Zielgruppe zu erreichen, läuft die Kampagne hauptsächlich über die digitalen Kanäle des Ministeriums. Aufgehängt ist die Kampagne am scheinbaren Widerspruch von Legalisierung und mit dem Konsum verbundenen Risiken. Zentrales Element wird deshalb der Claim „Legal, aber …“ sein.

    Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach: „Das Cannabisgesetz markiert einen Wendepunkt einer leider gescheiterten Cannabisdrogenpolitik. Ziel ist, den Schwarzmarkt und die Drogenkriminalität zurückzudrängen, das Dealen mit gestreckten oder toxischen Substanzen einzudämmen und die Konsumentenzahlen zu drücken. Für Jugendliche bleibt der Konsum verboten, für junge Erwachsene soll er nur bedingt möglich sein. Diese Einschränkung ist notwendig, denn Cannabis schadet besonders dem noch wachsenden Gehirn. Um zu verhindern, dass Heranwachsende trotzdem konsumieren, starten wir bereits jetzt eine Aufklärungskampagne. Niemand darf das Gesetz missverstehen. Cannabiskonsum wird legalisiert. Gefährlich bleibt er trotzdem.“

    Die wesentlichen Regelungen im Einzelnen

    • Erwachsenen ist der private Eigenanbau von bis zu drei Cannabis-Pflanzen zum Eigenkonsum sowie der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Eigenanbau zum Eigenkonsum in Anbauvereinigungen bzw. Genossenschaften erlaubt.
    • Der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis ist künftig straffrei.
    • Es gilt ein allgemeines Werbe- und Sponsoringverbot für Konsumcannabis und für Anbauvereinigungen.
    • Konsumverbot von Cannabis in einer Schutzzone von 200 Metern Abstand zum Eingangsbereich von Anbauvereinigungen, Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Kinderspielplätzen sowie in öffentlich zugänglichen Sportstätten.
    • Nicht-gewerbliche Anbauvereinigungen dürfen nur mit behördlicher Erlaubnis Konsumcannabis gemeinschaftlich unter aktiver Mitwirkung der Mitglieder anbauen und zum Eigenkonsum an Mitglieder weitergeben. Enge gesetzliche Rahmenbedingungen müssen eingehalten werden.
    • Anbauvereinigungen dürfen max. 500 Mitglieder haben; Mitglieder müssen erwachsen sein und ihren Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland haben.
    • Einhaltung von strengen Mengen-, Qualitäts- sowie Kinder- und Jugendschutzvorgaben erforderlich, gesichert durch behördliche Kontrolle.
    • Begrenzung der Weitergabe von Konsumcannabis in Anbauvereinigungen: Weitergabe nur an Mitglieder, verbunden mit einer strikten Pflicht zur Überprüfung der Mitgliedschaft und des Alters – max. 25 Gramm pro Tag / 50 Gramm pro Monat.
    • Begrenzung der Weitergabe an Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren auf 30 Gramm pro Monat mit einer Begrenzung des zulässigen THC-Gehalts auf 10 Prozent.
    • Weitergabe von Konsumcannabis in kontrollierter Qualität und nur in Reinform, d. h. Marihuana oder Haschisch.
    • In begrenztem Umfang zulässiger privater Eigenanbau mit Pflicht zum Schutz des privat angebauten Konsumcannabis vor dem Zugriff durch Kinder und Jugendliche sowie Dritte.
    • Stärkung der Prävention: Präventionsmaßnahmen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sowie in den Anbauvereinigungen; Information und Beratung durch Präventionsbeauftragte mit nachgewiesenen Sachkenntnissen und Kooperation mit lokalen Suchtberatungsstellen.

    Das Gesetz soll nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen evaluiert werden.

    Cannabis zu medizinischen und medizinisch-wissenschaftlichen Zwecken wird in ein eigenes Gesetz überführt. Das Gesetz lehnt sich im Wesentlichen an die in der Praxis bewährten Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes an. Es bleibt bei der Verschreibungspflicht von Medizinal-Cannabis. Die Versorgung mit Medizinal-Cannabis für diejenigen Patientinnen und Patienten, die aus gesundheitlichen Gründen darauf angewiesen sind, wird weiterhin sichergestellt.

    Pressestelle des Bundesgesundheitsministeriums, 16.8.2023

  • Cannabis-Legalisierung

    Heute, 16.8.2023, berät das Bundeskabinett über den Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Lauterbach zur Cannabis-Legalisierung. Es sollen in einem ersten Schritt der private Konsum und der nicht-gewinnorientierte Eigenanbau erlaubt werden. Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, nimmt in einem Interview im Deutschlandfunk zum Gesetzentwurf Stellung und bewertet die Pläne der Bundesregierung grundsätzlich positiv. Das Interview ist nachzuhören unter: https://www.deutschlandfunk.de/staat-auf-dem-falschen-trip-interview-m-burkhard-blienert-drogenbeauftr-dlf-ddd46e93-100.html

    Red. KONTUREN, 16.8.2023

  • Neuer Höchststand an Kindeswohlgefährdungen

    Nach einem leichten Rückgang im Corona-Jahr 2021 hat die Zahl der Kindeswohlgefährdungen in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht: Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, haben die Jugendämter im Jahr 2022 bei fast 62.300 Kindern oder Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung (akut und latent) durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt festgestellt. Das waren rund 2.300 Fälle oder 4 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

    In weiteren 68.900 Fällen lag 2022 nach Einschätzung der Behörden zwar keine Kindeswohlgefährdung, aber ein erzieherischer Hilfebedarf vor (+2 Prozent). Geprüft hatten die Jugendämter im Vorfeld insgesamt 203.700 Hinweismeldungen, bei denen der Verdacht auf eine mögliche Gefährdung von Kindern oder Jugendlichen im Raum stand (+3 Prozent).

    Auch langfristig hat sich die Zahl der Kindeswohlgefährdungen erhöht: In den Jahren von 2012 bis 2022 betrug der Anstieg rund 24.000 Fälle beziehungsweise 63 Prozent. Dabei nahmen die Fallzahlen von 2017 bis einschließlich des ersten Corona-Jahres 2020 besonders kräftig zu – und zwar jährlich um 9 bis 10 Prozent. Im zweiten Corona-Jahr 2021 sanken sie dann leicht (‑1 Prozent), um im Jahr 2022 mit 4 Prozent wieder moderat zu wachsen.

    2 Prozent weniger latente, aber 10 Prozent mehr akute Kindeswohlgefährdungen

    Fachleute hatten im Zuge der Pandemie davor gewarnt, dass ein Teil der Kinderschutzfälle durch die Kontaktbeschränkungen unerkannt bleiben oder erst mit Verzögerung nach Ende der Pandemie auffallen könnte. Auch wenn die neuen Ergebnisse zunächst eher nicht auf einen solchen allgemeinen Nachholeffekt hindeuten, gibt es doch Auffälligkeiten: So gingen zwar die latenten Fälle – also jene, bei denen eine gegenwärtig vorliegende Gefahr nicht eindeutig bestätigt werden konnte, aber ein ernster Verdacht verblieb – im Jahr 2022 auf 28.900 zurück (‑2 Prozent). Gleichzeitig sind aber insbesondere die akuten (eindeutigen) Fälle von Kindeswohlgefährdung mit 10 Prozent vergleichsweise stark auf 33.400 Fälle gestiegen.

    Etwa vier von fünf gefährdeten Kindern waren jünger als 14 Jahre

    Etwa vier von fünf (79 Prozent) aller 62.300 von einer Kindeswohlgefährdung betroffenen Kinder und Jugendlichen waren jünger als 14 Jahre, etwa jedes zweite sogar jünger als acht Jahre (47 Prozent). Während Jungen bis zum Alter von elf Jahren etwas häufiger von einer Kindeswohlgefährdung betroffen waren, traf dies ab dem zwölften Lebensjahr auf die Mädchen zu. Die meisten Minderjährigen wuchsen bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern (42 Prozent) oder bei beiden Eltern gemeinsam (38 Prozent) auf, 10 Prozent bei einem Elternteil in neuer Partnerschaft und weitere 9 Prozent in einem Heim, bei Verwanden oder in einer anderen Konstellation. Knapp die Hälfte der betroffenen Jungen und Mädchen (47 Prozent) nahm zum Zeitpunkt der Gefährdungseinschätzung bereits eine Leistung der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch, stand also schon in Kontakt zum Hilfesystem.

    In 22 Prozent aller Fälle lagen mehrere Arten von Vernachlässigung und Gewalt vor

    In den meisten Fällen von Kindeswohlgefährdung (59 Prozent) hatten die Behörden Anzeichen von Vernachlässigung festgestellt. In über einem Drittel (35 Prozent) gab es Hinweise auf psychische Misshandlungen. In 27 Prozent der Fälle wurden Indizien für körperliche Misshandlungen und in 5 Prozent Anzeichen für sexuelle Gewalt gefunden. Den Jugendämtern zufolge gab es darunter auch Fälle, bei denen die Betroffenen mehrere dieser Gefährdungsarten – also Vernachlässigungen, psychische Misshandlungen, körperliche Misshandlungen oder sexuelle Gewalt – gleichzeitig erlebt hatten. 2022 traf dies auf 22 Prozent aller Fälle von Kindeswohlgefährdung zu. Dieser Anteil ist seit 2015 kontinuierlich gewachsen, damals hatte er noch bei 16 Prozent gelegen.

    Hinweise von Polizei und Justiz haben sich in zehn Jahren mehr als verdreifacht

    Knapp ein Drittel (30 Prozent) der rund 203.700 Gefährdungseinschätzungen wurden im Jahr 2022 von der Polizei oder den Justizbehörden angeregt. Rund ein Viertel (23 Prozent) der Hinweise auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung kam aus der Bevölkerung – also von Verwandten, Bekannten, Nachbarn oder anonym. Dahinter folgten Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe, Erziehungshilfe u. a. (13 Prozent). Jeweils etwa ein Zehntel der Hinweise auf die Gefährdungssituation gaben die Schulen (11 Prozent) und die Familien selbst, also die betroffenen Minderjährigen (2 Prozent) oder deren Eltern (7 Prozent).

    Eine abschließende Beurteilung, wie sich die Corona-Pandemie – etwa durch die allgemeinen Kontaktbeschränkungen, Lockdowns oder das Homeschooling – auf die Entwicklung der Kinderschutzfälle ausgewirkt hat, ist zurzeit noch schwierig. Gerade in einer Ausnahmesituationen wie der Pandemie scheint aber das Meldeverhalten der Hinweisgeber eine besondere Rolle zu spielen: Zum Beispiel deuten die bisherigen Ergebnisse darauf hin, dass Schulen und Kitas infolge der Schul- und Kitaschließungen besonders im Jahr 2020 vorübergehend weniger Hinweise auf mögliche Kinderschutzfälle an die Jugendämter gegeben haben als zuvor und danach. Andererseits können Lockdowns und Homeoffice dazu beigetragen haben, dass bei den Behörden zeitweise deutlich mehr Meldungen aus der Bevölkerung eingegangen sind. In der Rückschau fällt auch hier das Jahr 2020 besonders auf.

    Vergleichsweise stabil geblieben ist dagegen auch in Zeiten der Pandemie offensichtlich das Meldeverhalten von Polizei und Justizbehörden. Diese Hinweisgeber weisen auch im längerfristigen Vergleich eine beachtliche Entwicklung auf: 61.300 Gefährdungseinschätzungen wurden 2022 von Polizei und Justiz angeregt – gut dreimal so viele wie im Jahr 2012 (+234 Prozent). Zum Vergleich: Im Durchschnitt hatte sich die Zahl der Gefährdungseinschätzungen im Zehnjahresvergleich in etwa verdoppelt (+91 Prozent).

    Methodische Hinweise:
    Eine Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls eines Kindes droht oder bereits eingetreten ist. In Verdachtsfällen sind die Jugendämter verpflichtet, durch eine Gefährdungseinschätzung (nach § 8a SGB VIII) das Gefährdungsrisiko und den Hilfebedarf abzuschätzen und einer Gefährdung entgegenzuwirken. Dazu zählen in der Regel auch ein Hausbesuch und die Erörterung der Problemsituation mit dem Kind und den Sorgeberechtigten – sofern dies dem Kinderschutz nicht entgegensteht.

    Weiterführende Informationen zum Thema Kinderschutz und Kindeswohl befinden sich auf der Themenseite „Kinderschutz und Kindeswohl“.

    Pressestelle des Statistischen Bundesamtes (Destatis), 2.8.2023

  • Häusliche Gewalt im Jahr 2022

    Die Zahl der Opfer von Häuslicher Gewalt lag im Jahr 2022 bei 240.547 und ist damit um 8,5 Prozent im Vergleich zum Jahr 2021 gestiegen. Das zeigt das neue umfassende Lagebild, das am 11.7.2023 von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, Bundesfrauenministerin Lisa Paus und dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, in Berlin vorgestellt wurde.

    Bundesfrauenministerin Lisa Paus: „Fast alle zwei Minuten wird in Deutschland ein Mensch Opfer von Häuslicher Gewalt. Jede Stunde werden mehr als 14 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder Expartner eine Frau zu töten. Die deutlich gestiegenen Zahlen zeigen die traurige Realität: Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches und alltägliches Problem. Sie wird ausgeübt, um Macht über Frauen aufrechtzuerhalten. Ich setze mich dafür ein, die Lücken im Netz der Frauenhäuser und Beratungsstellen zu schließen. Ich bin sehr froh, dass wir trotz schwieriger Haushaltslage die Finanzierung von Baumaßnahmen von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen in diesem und kommenden Jahr um zusätzliche zehn Millionen Euro stärken können und im kommenden Jahr auf dem Niveau von 30 Millionen Euro fortschreiben.“

    Das neue Lagebild Häusliche Gewalt ist eine Fortschreibung und Ergänzung der früheren Kriminalstatistischen Auswertung Partnerschaftsgewalt, die seit 2015 jährlich durch das Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlicht wurde. Neben der Partnerschaftsgewalt werden nun auch die Delikte der sog. innerfamiliären Gewalt von und gegen Eltern, Kinder, Geschwister und sonstige Angehörige mitbetrachtet, so dass es nun eine bundesweite Lageübersicht zur Häuslichen Gewalt insgesamt gibt.

    Im Bereich der Partnerschaftsgewalt stieg die Anzahl der Opfer um 9,1 Prozent auf 157.818 Opfer. Ganz überwiegend trifft Gewalt im häuslichen Kontext Frauen: 80,1 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt und 71,1 Prozent der Opfer Häuslicher Gewalt insgesamt sind weiblich. Von den Tatverdächtigen bei Partnerschaftsgewalt sind 78,3 Prozent Männer, im Gesamtbereich der Häuslichen Gewalt 76,3 Prozent.

    Im Bereich der Partnerschaftsgewalt lebte die Hälfte der Opfer mit der tatverdächtigen Person zusammen. Die Mehrheit sowohl der Opfer als auch der Tatverdächtigten waren zwischen 30 und 40 Jahre alt, im Bereich der Innerfamiliären Gewalt waren unter 21-Jährige  am häufigsten betroffen. 133 Frauen und 19 Männer sind im Jahr 2022 durch ihre Partner oder Ex-Partner getötet worden.

    Opfer von Häuslicher Gewalt im Jahr 2022

    Folgende Liste zeigt die Anzahl der Opfer von Häuslicher Gewalt im Jahr 2022 nach Delikten (jeweils vollendete und versuchte Delikte):

    • Opfer von Tötungsdelikten: 702 Opfer (248 männlich und 454 weiblich), davon 239 Opfer von vollendeten Tötungsdelikten (58 männlich und 181 weiblich) und 463 Opfer von versuchten Tötungsdelikten (190 männlich, 273 weiblich)
    • Opfer von vorsätzlicher einfacher Körperverletzung: 135.502 Opfer (39.766 männlich und 95.736 weiblich)
    • Opfer von Bedrohung, Stalking und Nötigung: 57.376 Opfer (13.332 männlich und 44.044 weiblich)
    • Opfer von Freiheitsberaubung: 2.575 Opfer (437 männlich und 2.138 weiblich)
    • Opfer von gefährlicher Körperverletzung: 28.589 Opfer (11.277 männlich und 17.312 weiblich)

    Die Zahlen von polizeilich registrierter Häuslicher Gewalt steigen nahezu kontinuierlich an, in den letzten fünf Jahren um 13 Prozent. Doch viele Taten werden der Polizei nicht gemeldet, etwa aus Angst oder Scham.

    Start einer umfassenden Dunkelfeldstudie

    Wie groß dieses Dunkelfeld ist, soll die Studie „Lebenssituation, Sicherheit und Belastung im Alltag“ (LeSuBiA) herausfinden. Die großangelegte Untersuchung wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dem Bundesministerium des Innern und für Heimat sowie dem Bundeskriminalamt verantwortet. Deutschlandweit sollen 22.000 Menschen befragt werden. Erste Ergebnisse werden 2025 vorliegen.

    Die Teilnehmenden an der Studie werden zufällig aus den Einwohnermelderegistern ausgewählt. Befragt werden sie zur aktuellen Lebenssituation, zu Sicherheit und zu Belastungen im Alltag. Ein Schwerpunkt liegt auf der Erhebung von Gewalterfahrungen in Paarbeziehungen sowie Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und digitaler Gewalt. Zudem enthält die Studie Fragen zu Erfahrungen mit Polizei, Medizin, Gerichten und Opferhilfeeinrichtungen.

    Zwanzig Jahre nach der letzten Opferbefragung des BMFSFJ liefert die Studie nicht nur aktuelle, repräsentative, bundesweite Daten zur Gewaltbelastung von Frauen, sondern erstmals auch von Männern. Mit der Durchführung von Zusatzstichproben werden zudem repräsentative Aussagen zur Gewaltbelastung in Partnerschaften, sexualisierter und digitaler Gewalt von Menschen mit Migrationshintergrund ermöglicht.

    Für die wissenschaftliche Begleitung des Projekts wurde ein Forschungsbeirat einberufen, dem zehn Expertinnen und Experten aus den Bereichen Gewalt-, Gender- und Umfrageforschung sowie Opferhilfe und Medizin angehören.

    Das Lagebild Häusliche Gewalt zum Berichtjahr 2022 finden Sie hier: www.bmi.bund.de/20336752

    Weitere Informationen zur Studie unter: www.bka.de/lesubia

    Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet Frauen unter der Nummer 116 016 rund um die Uhr kostenlose und anonyme Beratung in 18 Sprachen an. Weitere Informationen unter www.hilfetelefon.de

    Pressemitteilung des Bundesfamilienministeriums,11.7.2023

  • Wo Männer fast so alt werden wie Frauen – und wo nicht

    Über viele Jahrzehnte hinweg stieg die Lebenserwartung von Frauen schneller als die der Männer. Seit Ende des 20. Jahrhunderts verringern sich aber die Unterschiede wieder. Wo die Lücken zwischen Männern und Frauen besonders gering oder noch auffallend groß sind, damit haben sich Forschende am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in einer neuen Studie beschäftigt. Hierfür haben sie erstmals detaillierte Todesursachendaten für 228 Regionen in sieben europäischen Ländern untersucht.

    Während Männer noch Mitte der 1990er Jahre in den betrachteten Regionen bei der Lebenserwartung durchschnittlich über 7 Jahre hinter Frauen zurücklagen, so hat sich der Wert in den letzten Jahrzehnten auf unter 5,5 Jahre reduziert. Es zeigen sich aber erhebliche räumliche Unterschiede: In Süddeutschland, Dänemark und der Schweiz sind die Differenzen mit teilweise weniger als vier Jahren besonders gering. Spitzenreiter mit nur 3,3 Jahren Abstand ist die Region Nordwestschweiz mit Basel und Umland, dicht gefolgt von der Region München und Umland mit 3,5 Jahren. In Teilen von Ostdeutschland, Tschechien, der Slowakei und Frankreich sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen mit 6 und mehr Jahren dagegen etwa doppelt so groß. Des Weiteren beobachten die Forschenden auch Lücken zwischen Stadt und Land. So ist der Rückstand der Männer in vielen Großstädten geringer als in weniger zentralen Regionen eines Landes. „Florierende Großstädte ziehen durch ihre guten Jobmöglichkeiten eher gesunde und qualifizierte Bevölkerungsgruppen an, während strukturschwache Regionen weniger attraktiv für diese Menschen sind“, erklärt der Mortalitätsforscher Markus Sauerberg vom BiB. Dies trägt dazu bei, dass in großen Städten oft eine vergleichsweise niedrige Sterblichkeit mit geringen Geschlechterunterschieden beobachtet wird.

    Ungesundes Verhalten verursacht unterschiedliche Lebenserwartung

    Im 20. Jahrhundert waren gesundheitsbeeinträchtigende Verhaltensweisen wie etwa das unter Männern weiter verbreitete Rauchen von wesentlicher Bedeutung, dass die Lebenserwartung bei Männern langsamer anstieg als bei Frauen. Auch wiesen Männer lange eine deutlich höhere Erwerbsbeteiligung auf, wodurch sie in größerem Maße arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken ausgesetzt waren. Der Aufholprozess der Männer im Hinblick auf die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten hat nun mehrere Gründe: „Der zunehmende Einsatz von Herzschrittmachern half gerade bei ihnen, die Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu reduzieren“, so Sauerberg. Außerdem ebbt bei Männern die durch das Rauchen bedingte Sterblichkeit bereits ab, während sie bei Frauen weiter ansteigt. Dies hängt damit zusammen, dass Frauen erst ab den 1960er Jahren in einem hohen Maße mit dem Rauchen begonnen haben. Durch die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen nehmen zudem Geschlechterunterschiede bei arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken ab.

    Lebensstile beeinträchtigen Lebenserwartung stärker als biologische Unterschiede

    Wie die Ergebnisse anderer Studien zeigen, kann nur ein kleiner Teil der Unterschiede zwischen Männern und Frauen auf biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern zurückgeführt werden. Der größere Teil ist vom Lebensstil sowie von der Vorbeugung und Früherkennung von Krankheiten abhängig. Diese Aspekte können durch persönliches Verhalten und die Gesellschaft beeinflusst werden. „Wie etwa die Rollen von Männern und Frauen im Privatleben, Beruf und Krisensituationen gesellschaftlich gesehen werden, hat einen erheblichen Einfluss auf die Geschlechterunterschiede in der Sterblichkeit“, erklärt Sebastian Klüsener, Mitautor der Studie. „Dazu zählt etwa, ob der Mann eher in der Verantwortung für das Haushaltseinkommen gesehen wird, oder ob bestimmte gesundheitsbeeinträchtigende Verhaltensweisen wie das Rauchen oder der Alkoholkonsum bei Männern oder Frauen eher toleriert werden und verbreiteter sind.“ Wenn sich Rollenbilder annähern, gleichen sich tendenziell auch die Sterblichkeitsunterschiede zwischen Männern und Frauen an.

    Zur Definition von Lebenserwartung
    Die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt gibt an, wie viele Jahre ein Mensch leben würde, wenn das ganze Leben hindurch die in dem betrachteten Zeitraum gemessenen altersspezifischen Sterblichkeitsraten gelten würden. Der Indikator erlaubt, die Sterblichkeitsverhältnisse zwischen Bevölkerungen bzw. Teilbevölkerungen (wie etwa Männer vs. Frauen) und im Zeitverlauf vergleichen zu können.

    Originalpublikation:
    Sauerberg, M., Klüsener, S., Mühlichen, M., Grigoriev, P. (2023). Sex differences in cause-specific mortality: regional trends in seven European countries, 1996–2019, European Journal of Public Health. DOI: doi.org/10.1093/eurpub/ckad111

    Pressestelle des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), 9.8.2023

  • SUCHT & SÜCHTIG

    SUCHT & SÜCHTIG ist ein Podcast für Süchtige, die Abstinenz leben, für Abhängige, die clean werden wollen, und natürlich auch für alle anderen. John und Hagen reden seit einem Jahr in ihrem Podcast über ihre Erkrankung. Im Juni 2023 haben sie mit SUCHT & SÜCHTIG den Deutschen Podcast-Preis gewonnen. Seit Folge 43 (26.07.2023) ist SUCHT & SÜCHTIG ein ARD-Podcast, produziert von SWR und radioeins. Er erscheint immer donnerstags.

    Zum Inhalt:
    Wir nehmen die Worte „Drogen“ und „Sucht“ oft derart leichtfertig in den Mund, dass wir dabei vergessen, dass es sich bei der Drogensucht um eine lebensgefährliche Krankheit handelt. Wir finden es voll cool, wenn in Netflix-Serien Leute Lines ziehen, aber gleichzeitig assoziieren wir Drogensüchtige mit „asozial“. Sie werden stigmatisiert. Raus aus der Gesellschaft.

    John und Hagen reden seit einem Jahr in ihrem Podcast über ihre Erkrankung. Sie wollen diesen Teufelskreis durchbrechen und haben sich nach Jahren des Abstiegs gesagt: Wir gehen diese verdammte Treppe jetzt wieder hoch. Sie waren an diesem dunklen Ort, haben sich in der Therapie kennengelernt und dokumentieren jetzt wöchentlich in ihrem Podcast ihren Weg.

    „Wir haben zusammen bereits geweint, gelacht und gelitten und möchten diese Dynamik gern weitergeben und somit etwas in den Menschen bewegen, sie unterhalten und auf die Thematik Sucht aufmerksam machen. Wir möchten einen Gegenpol zu populärer Musik, Feierwut und verzerrten Trends bieten, der das echte Leben bei langjährigem Konsum ehrlich darstellt. Ernst und voller Respekt, motivierend aber auch unterhaltsam, emotional und an den richtigen Stellen mit einem zwinkernden Auge.“

    Quelle: Website radioeins https://www.radioeins.de/

    SUCHT & SÜCHTIG in der ARD-Audiothek:
    https://www.ardaudiothek.de/sendung/sucht-und-suechtig/94641878/

    Ältere Folgen auf spotify:
    https://open.spotify.com/show/5nXvGzUVDngRmoi4OPYL9k?si=1093544d51cf4f0b&nd=1

  • Weltlungenkrebstag am 1. August

    Am 1. August ist der Weltlungenkrebstag. Lungenkrebs ist immer noch eine der häufigsten Krebserkrankungen. Mit mehr als 127.000 tabakbedingten Todesfällen pro Jahr allein in Deutschland ist der Tabakkonsum nach wie vor das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko überhaupt. Etwa 90 Prozent aller Lungenkrebsfälle gehen auf das Rauchen zurück.

    Deshalb fordert der Bundesbeauftragte für Sucht- und Drogenfragen Burkhard Blienert: „Wir müssen mehr machen, um Menschen davon abzuhalten, mit dem Rauchen überhaupt zu beginnen. Gleichzeitig müssen wir uns um die vielen Millionen Raucherinnen und Raucher kümmern, die seit Jahren immer wieder mal versuchen, von Zigaretten und Co. loszukommen, es aber bisher nicht geschafft haben. Es ist ja auch nicht einfach. Aber genau diesen Menschen wollen wir mit unserer Bundesinitiative ‚Rauchfrei Leben‘ gemeinsam mit vielen wichtigen Akteuren des deutschen Gesundheitssystems helfen.“

    Etwa 56.000 Menschen erkranken jährlich in Deutschland neu an einem Lungenkarzinom, etwa 44.000 sterben daran. Die Überlebensrate von 20 Prozent bleibt niedrig. Tumore werden oft spät entdeckt, denn Lungenkrebs verursacht lange keine Beschwerden. Deshalb mahnt der Bundesbeauftragte für Sucht- und Drogenfragen Burkhard Blienert eindringlich:

    „Rauchfrei leben ist gesünder und ein Leben ohne Rauch geht auch! Lungenkrebs ist in Deutschland die zweithäufigste Krebserkrankung bei Männern und die dritthäufigste bei Frauen. Dabei kann die hohe Sterblichkeit gut abgesenkt werden, indem weniger Menschen zu Zigarette und Co. greifen. Dazu sind eine verstärkte Tabakentwöhnung oder Tabakvermeidung nötig. Seit Corona greifen wieder mehr Leute zum Glimmstengel und zu e-Zigaretten. Darum hat sich die Ampelregierung im Koalitionsvertrag auf weitere Regulierungen und engere Grenzen bei der Werbung und beim Sponsoring für Tabak verständigt. Denn wir wissen: Je häufiger etwa Jugendliche mit Tabakwerbung konfrontiert werden, desto früher fangen sie mit dem Rauchen an. Bestehende Lücken bei der Werberegulierung müssen durch Verbote geschlossen werden: beispielsweise bei der Point of Sale-Werbung, bei der kostenlosen Abgabe der Tabakerhitzer und e-Zigaretten, bei der Kinowerbung bei FSK 18-Filmen sowie bei Sponsoring durch die Nikotinwirtschaft von Festivals.“

    Der Welt-Lungenkrebstag wurde 2011 von Betroffenen ins Leben gerufen, um auf die Krankheit und die Betroffenen aufmerksam zu machen.

    Pressestelle des Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, 31.7.2023

  • Reaktanz in der Gesundheitskommunikation

    Eine neue Studie zu Reaktanz in der Gesundheitskommunikation zeigt, dass Aufforderungen zu weniger Fleischkonsum Aufmerksamkeitsprozesse beeinflussen und  Konsumveränderungen erschweren können.

    Zahlreiche Informationskampagnen versuchen Menschen von einem gesunden Verhalten zu überzeugen. So werden wir fast täglich mit Aufforderungen konfrontiert, uns mehr zu bewegen, gesünder zu essen oder mit dem Rauchen aufzuhören. Forschung zeigt, dass solche Botschaften durchaus wirken können, ihre Effekte aber begrenzt sind. Ein Erklärungsansatz dafür ist das Phänomen der psychologischen Reaktanz. Durch die Aufforderung, das eigene Verhalten zu ändern, können sich Menschen in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt fühlen, sie reagieren dann verärgert und ignorieren die Botschaft oder verstärken das unerwünschte Verhalten sogar. So konnten verschiedene Studien zeigen, dass Gesundheitsbotschaften, die auf eine Reduzierung von Tabak- oder Alkoholkonsum abzielten, gegenteilige Effekte bewirkten, also zu einer gesteigerten Einnahme der Drogen führten.

    Wie beeinflusst Reaktanz Aufmerksamkeitsprozesse?

    Während die Auswirkungen psychologischer Reaktanz in vielen Bereichen gut untersucht sind, ist wenig über die zugrundeliegenden kognitiven Prozesse bekannt. Im Rahmen einer nun im „Journal of Health Communication“ veröffentlichten Studie wurde von Forschenden der Universitäten Bamberg und Erfurt untersucht, inwiefern Reaktanz Aufmerksamkeitsprozesse beeinflusst. Dazu wurden die Teilnehmenden in mehrere Gruppen eingeteilt. Während eine Experimentalgruppe dazu aufgefordert wurde, in Zukunft kein Fleisch mehr zu konsumieren, um ihre Gesundheit und die Umwelt zu schützen, bekam eine Kontrollgruppe keine solche Botschaft. In anschließenden Messungen zeigte sich, dass omnivore, also fleischessende Teilnehmende der Experimentalgruppe stärker verärgert waren als omnivore Personen in der Kontrollgruppe. Außerdem hing das Ausmaß der Reaktanz bei omnivoren Experimentalgruppenmitgliedern mit ihrer Leistung in einem Wortgitter zusammen, in dem neben neutralen Wörtern wie etwa „Papier“ oder „Mond“ auch fleischbezogene Begriffe versteckt waren – zum Beispiel „Wurst“ oder „Schnitzel“. Je stärker die Verärgerung war, umso mehr fleischbezogene Begriffe fanden diese Personen im Wortgitter.

    Gesundheitsbotschaften können beabsichtigte Verhaltensänderungen erschweren

    „Das Ergebnis deutet darauf hin, dass die durch Gesundheitsbotschaften ausgelöste Reaktanz unsere Aufmerksamkeit in Richtung ungesunder Konsumgelegenheiten verschieben kann“, erläutert Philipp Sprengholz, Juniorprofessor für Gesundheitspsychologie an der Universität Bamberg. „Dadurch kann die beabsichtigte Verhaltensänderung erschwert und ungesundes Verhalten möglicherweise sogar verstärkt werden.“ In zukünftigen Studien sollen die Aufmerksamkeitsprozesse und ihre Auswirkungen auf tatsächliches Konsumverhalten genauer untersucht werden. Die aktuellen Befunde deuten bereits darauf hin, dass Gesundheitsbotschaften möglichst wenig Reaktanz auslösen oder durch geeignete Maßnahmen Aufmerksamkeitsverschiebungen korrigieren sollten.

    Originalpublikation:
    Sprengholz, P., Tannert, S., & Betsch, C. (2023). Explaining Boomerang Effects in Persuasive Health Communication: How Psychological Reactance to Healthy Eating Messages Elevates Attention to Unhealthy Food. Journal of Health Communication. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/10810730.2023.2217098

    Pressestelle der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 20.6.2023