Kategorie: Kurzmeldungen

  • Wie weiter mit der Cannabis-Legalisierung?

    In der neuen Folge des „TUCscicast“ sprechen Prof. Dr. Stephan Mühlig von der TU Chemnitz und Dr. Ingo Ilja Michels vom Institut für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences über das Eckpunktepapier der Bundesregierung und neue Erkenntnisse aus der Suchtforschung und Suchttherapie.

    Im Frühjahr 2023 hat die Bundesregierung ein überarbeitetes Eckpunktepapier zur Legalisierung von Cannabis vorgelegt, nun konkretisieren sich langsam auch die Pläne für das Cannabisgesetz. Der aktuelle Vorschlag basiert auf einem Zwei-Säulen-Modell, bei dem der Erwerb über Cannabis-Vereinigungen, sogenannte Cannabis Social Clubs, oder nach Abschluss einer Testphase auch in lizenzierten Fachgeschäften möglich werden soll.

    Inwieweit der Vorschlag offene Fragen im Zusammenhang mit Drogenerwerb, Drogenkonsum und Drogentherapie adressiert und wie der Stand der Diskussion dazu ist, darum geht es in der aktuellen Folge des Wissenschaftspodcasts TUCscicast der Technischen Universität Chemnitz (TUC). Dafür spricht Moderator Wieland Mikolajczyk mit Prof. Dr. Stephan Mühlig, Inhaber der Professur Klinische Psychologie und Psychotherapie sowie Leiter der Hochschulambulanz und psychosozialen Beratungsstelle in Chemnitz, und Dr. Ingo Ilja Michels vom Institut für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences und langjähriger Leiter des Arbeitsstabs der Drogenbeauftragten der Bundesregierung.

    Der Podcast (Dauer 59 min.) kann auf verschiedenen Wegen gehört werden:

    Pressestelle der Technischen Universität Chemnitz, 23.6.2023

  • Regierung verabschiedet bundesweite Rechtsgrundlage für Drug-Checking

    Der Bundestag hat am 23.6.2023 ein wegweisendes Gesetz zur Freigabe des Drug-Checkings verabschiedet, um die Suchtmittelprävention in Deutschland zu stärken. Mit der Entscheidung hat die Regierung die Rechtsgrundlage geschaffen, um die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags bundesweit verwirklichen zu können. In einigen Bundesländern, darunter Bayern, kündigen sich jedoch bereits Widerstände an.

    „Ich habe viele Gespräche in Fachkreisen und auf politischer Ebene zum Thema geführt. Ich freue mich sehr, dass der Bundestag jetzt eine Lösung für die Länder beschlossen hat“, so Burkhard Blienert, Bundesbeauftragter für Sucht- und Drogenfragen, zu dem kürzlich erfolgten Beschluss. Kern der Drug-Checking-Modelle seien Aufklärung und Sensibilisierung für Risiken des Drogenkonsums.

    Das Drug-Checking ermöglicht es Menschen unter strenger Einhaltung der Datenschutzbestimmungen, anonym und sicher ihre Substanzen testen lassen, um potenzielle Gesundheitsrisiken zu minimieren. Diese Option könne Leben retten, so Blienert.

    Präventiv wirksam

    Eine Gesetzesänderung wird von einer breiten Koalition von Experten, darunter Gesundheitsexperten, Strafverfolgungsbehörden und zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Condrobs, unterstützt. Doch wie schon bei der Cannabislegalisierung wird sich in einigen Bundesländern Widerstand breitmachen, vor allem in Bayern. Drug Checking sei für die Staatsregierung „keine geeignete Maßnahme der Schadensminderung für Konsumierende illegaler Drogen“, wie das bayerische Gesundheitsministerium mitteilte.

    Eindeutige Gesetze notwendig

    „Auch in Bayern sollte die Politik nicht länger die Realität ignorieren: Drug-Checking reduziert den Drogenkonsum und rettet dadurch Menschenleben. Dieser Beweis wurde in vielen Ländern erbracht. Wir fordern eine klare und eindeutige gesetzliche Entscheidung, um Drug-Checking flächendeckend in Deutschland umzusetzen“, so Condrobs-Vorständin Katrin Bahr.

    Der Paradigmenwechsel in der deutschen Suchtmittelpolitik, statt ausschließlich auf Strafverfolgung verstärkt auf Prävention und Gesundheitsfürsorge zu setzen, werde in Bayern von der Regierung zu wenig beachtet und umgesetzt.

    Kampf für Konsumräume

    Für das Drug-Checking sprechen folgende Argumente:

    • die einfache Kontaktaufnahme zu Konsument:innen, die durch das bestehende Präventions- und Hilfesystem bisher kaum erreichbar sind, sowie
    • die Verhinderung von Überdosierungen.

    Diese Argumente gelten gleichermaßen für ein weiteres kritisches Thema in der bayerischen Suchtmittelpolitik: Konsumräume. „Es ist aus unserer Sicht seitens der bayerischen Staatsregierung grob fahrlässig, Drogenkonsumräume zu verweigern“, so Bahr. Drug-Checking und Konsumräume würden gemeinsam für besonders hohen Schutz von Konsument:innen sorgen.

    „Kein Mensch sollte an den Folgen seiner Erkrankung versterben müssen, wenn unser Hilfesystem dies verhindern könnte. Das bayerische Suchthilfesystem ist zum Glück bisher gut aufgestellt, aber nicht ausreichend“, erläutert Katrin Bahr. „Drug-Checking und Drogenkonsumräume sind wichtige Schritte, um die Leben vieler Menschen zu retten.“

    Pressestelle von Condrobs e.V., 26.6.2023

  • Hoher Cannabiskonsum, große Wissenslücken!

    In der kontroversen Debatte um die Regulierung von Cannabis rückt der Konsum junger Menschen vermehrt in den Fokus. Die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung zum Cannabisgebrauch junger Menschen in Berlin zeichnen ein deutliches Bild: In der Hauptstadt wird mehr und riskanter gekifft als im Bundesdurchschnitt, und es besteht viel Bedarf hinsichtlich Aufklärung, Wissensvermittlung sowie Kompetenz- und Ressourcenstärkung. 

    In einer repräsentativen Befragung von 2.410 Berliner:innen im Alter von 16 bis 27 Jahren untersuchte die Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin gemeinsam mit dem Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) den Konsum, die Belastungen durch die Corona-Pandemie sowie das Wissen und die Einstellungen zu Cannabis. Finanziert wurde die Umfrage von der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege. Die wichtigsten Ergebnisse sind:

    • 15,8 Prozent der Befragten haben Cannabis in den letzten 30 Tagen konsumiert, 29 Prozent in den letzten zwölf Monaten. Diese Zahlen liegen über dem bundesweiten Durchschnitt.
    • 84,2 Prozent konsumieren Cannabis im Joint gemischt mit Tabak, 45,2 Prozent im Joint
    • 13,7 Prozent derjenigen, die in den letzten 30 Tagen konsumiert haben, taten dies an mehr als 20 Tagen.
    • Konsumiert wird häufig gemeinsam mit anderen (75,5 Prozent), aber auch um die Stimmung aufzuhellen (53,2 Prozent), zum Einschlafen (51,5 Prozent) und gegen Langeweile (49,8 Prozent).
    • Berechnungen nach dem international verwendeten Screeninginstrument CAST (Cannabis Abuse Screening Test zur 12-Monatsprävalenz) ergeben, dass fast jede:r zweite Cannabis-Konsumierende problematische Konsummuster zeigt. Männliche Personen sind mit 51,6 Prozent deutlich häufiger betroffen als weibliche Personen (36,9 Prozent).
    • Bei 38,8 Prozent ist der Cannabiskonsum während der Corona-Pandemie gestiegen; diese Personen zeigten insgesamt eine höhere Belastung in Bezug auf Privatleben, Schule/Beruf, körperliche und psychische Gesundheit.
    • Große Lücken beim Wissen über Cannabis: Nur 62,6 Prozent konnten benennen, dass THC der berauschende Wirkstoff in Cannabis ist, 18,6 Prozent schätzten die Konsumrisiken für Jugendliche nicht höher ein als für Erwachsene.

    Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Aufklärung über Substanz, risikoarmen Konsum und mögliche Folgen zentrale Herausforderungen darstellen.

    Dr. Ina Czyborra, Gesundheitssenatorin:
    „Suchtprävention heißt, über die Auswirkungen des Konsums zielgruppengerecht aufzuklären und riskantes Konsumverhalten früh zu erkennen und diesem entgegenzuwirken. Berlin verfügt hier bereits über ein großes Angebot entsprechender Projekte. Diese gilt es weiterzuführen und zu stärken.“

    Kerstin Jüngling, Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention Berlin:
    „Ein signifikant hoher Teil der Jugendlichen weist einen problematischen Cannabiskonsum auf. Hier müssen wir Cannabis verharmlosende Haltungen im Kontakt mit jungen Menschen überdenken und mehr Verantwortung übernehmen. Was sind Ursachen für diese Entwicklungen, was brauchen Jugendliche in Berlin, wie können Eltern und Fachkräfte fit gemacht werden? Dafür braucht es in Berlin mehr Ressourcen in der Prävention.“

    Anke Timm, Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention Berlin:
    „Jugendliche müssen in ihrem Wissen und ihren Ressourcen gestärkt werden, damit sie kompetent Entscheidungen für ein gesundes Leben treffen können. Dies ist Aufgabe der Suchtprävention und kann in hoher Qualität nur durch eine politische Stärkung und gesicherte Finanzierung ermöglicht werden.“

    Der Ergebnisbericht und die Zusammenfassung der Schlussfolgerungen für die Prävention stehen auf der Website der Landesstelle zum Download bereit.

    Cannabiskonsum bei Jugendlichen (bundesweit):

    • Fast jede:r zehnte 12- bis 17-Jährige hat schon einmal Cannabis konsumiert (9,3 Prozent)(Orth, B. & Merkel, C. (2022): Der Cannabiskonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutsch- land. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2021 zu Alkohol, Rauchen, Cannabis und Trends. BZgA-For- schungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung)
    • Bundesweit haben 25 Prozent der jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert, zwölf Prozent in den letzten 30 Tagen.(Orth, B. & Merkel, C. 2022)
    • 1,6 Prozent der Jugendlichen und 8,6 Prozent der jungen Erwachsenen konsumieren regelmäßig (d. h. häufiger als zehnmal in den letzten zwölf Monaten).(Orth, B. & Merkel, C. 2022)Medienmitteilung der Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin, 19.6.2023

    Medienmitteilung der Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin, 19.6.2023

  • Europäischer Drogenbericht 2023

    Online-Veröffentlichung Europäischer Drogenbericht 2023 der EMCDDA

    Die größere Vielfalt bei Drogenangebot und -konsum stellt die Drogenpolitik und das Gesundheitswesen in Europa vor neue Herausforderungen. Dies ist eines der Themen, die die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) am 16. Juni bei der Vorstellung ihres „Europäischen Drogenberichts 2023: Trends und Entwicklungen“ in Brüssel hervorhebt. Der Bericht gibt einen aktuellen Überblick über die Drogensituation in Europa und untersucht die wichtigsten Trends und aufkommenden Bedrohungen. Er basiert auf Daten aus dem Jahr 2021 und, soweit verfügbar, aus dem Jahr 2022. Die konkreten Daten im Detail sind für die verschiedenen europäischen Länder im Statistischen Bulletin zu finden.

    Die Verfügbarkeit ist bei allen Drogen nach wie vor hoch, und der Umfang und die Komplexität der illegalen Drogenproduktion in Europa nehmen weiter zu. Menschen, die Drogen konsumieren, sind heute einer breiteren Palette psychoaktiver Substanzen ausgesetzt, die oft eine hohe Potenz und Reinheit aufweisen. Da diese in Form von ähnlich aussehenden Pulvern oder Pillen verkauft werden können, wissen die Konsumierenden möglicherweise nicht, was sie einnehmen. Der Bericht unterstreicht die Notwendigkeit wirksamer Risikokommunikationsstrategien, um die Konsumierenden auf die gesundheitlichen Schäden im Zusammenhang mit neuen Substanzen, Drogenwechselwirkungen und hochpotenten Produkten hinzuweisen.

    Die Analyse deckt ein breites Spektrum an illegalen Drogen ab, von Opioiden und Stimulanzien bis hin zu neuen Cannabisprodukten und dissoziativen Drogen (z. B. Ketamin). Darüber hinaus bietet sie einen aktuellen Überblick über neue psychoaktive Substanzen (NPS), die weiterhin eine Herausforderung für die öffentliche Gesundheit in Europa darstellen. Allein im Jahr 2022 wurden dem Frühwarnsystem der EU (EWS) 41 neue Substanzen gemeldet, sodass die EMCDDA nun insgesamt 930 neue Drogen beobachtet.

    Der Bericht unterstreicht den Bedarf an verbesserten forensischen und toxikologischen Daten, um die Bedrohung durch neue und starke synthetische Substanzen, Drogenmischungen, gepanschte Substanzen, sich verändernde Drogenmärkte und Konsummuster besser zu verstehen. Im Rahmen ihres neuen 2024 in Kraft tretenden Mandats – im Jahr 2024 wird die EMCDDA zur Drogenagentur der Europäischen Union (EUDA) – wird die Agentur ein europäisches Netz der forensischen und toxikologischen Laboratorien einrichten, um die Kapazitäten in diesem Bereich zu stärken.

    Neue Entwicklungen in der Cannabispolitik auf einem komplexen Markt

    Das Feld der Cannabispolitik in Europa wird allmählich ausgeweitet und umfasst nun nicht nur die Kontrolle von illegalem Cannabis, sondern auch die Regulierung von Cannabis und Cannabinoiden für therapeutische und andere Zwecke (z. B. Kosmetik, Lebensmittel).

    Bislang haben fünf EU-Mitgliedstaaten (Deutschland, Luxemburg, Malta, die Niederlande und die Tschechische Republik) sowie die Schweiz neue Konzepte zur Regulierung des Angebots von Cannabis für den Freizeitkonsum eingeführt bzw. planen dies. Diese in dem Bericht dargelegten Änderungen machen deutlich, dass in die Überwachung und Bewertung investiert werden muss, um Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und Sicherheit vollständig zu verstehen (vgl. hierzu die EMCDDA-Veröffentlichung „Cannabis laws in Europe: questions and answers for policymaking‟).

    Cannabis ist nach wie vor die am häufigsten verbreitete illegale Droge in Europa. Schätzungen zufolge haben etwa acht Prozent (22,6 Millionen) der europäischen Erwachsenen (15–64 Jahre) im letzten Jahr Cannabis konsumiert. Im Jahr 2021 erreichten die in der EU beschlagnahmten Mengen an Cannabisharz (816 Tonnen) und Cannabiskraut (256 Tonnen) den höchsten Stand seit einem Jahrzehnt, was auf eine hohe Verfügbarkeit dieser Droge schließen lässt. In Europa begaben sich im Jahr 2021 schätzungsweise 97.000 Personen wegen Problemen im Zusammenhang mit dem Cannabiskonsum in eine Form der Drogenbehandlung.

    Neue Cannabisprodukte stellen eine Herausforderung für die öffentliche Gesundheit dar. Einige Produkte, die auf dem illegalen Markt als natürliches Cannabis verkauft werden, können mit starken synthetischen Cannabinoiden versetzt sein, was die Gefahr von Vergiftungen birgt. Hochwirksame Extrakte und Edibles wurden in den Notaufnahmen der Krankenhäuser mit akuten Vergiftungen in Verbindung gebracht.

    Im Jahr 2022 wurde mit Hexahydrocannabinol (HHC) das erste halbsynthetische Cannabinoid in der EU gemeldet. Es wurde in zwei Dritteln der Mitgliedstaaten festgestellt und wird in einigen EU-Ländern als „legale“ Alternative zu Cannabis verkauft. Seit Oktober 2022 wird HHC im Rahmen des EU- Frühwarnsystems (EWS) intensiv überwacht, um die potenziellen Risiken für Europa besser zu verstehen.

    Rekordbeschlagnahmungen von Kokain und wachsende Besorgnis über den Konsum synthetischer Stimulanzien

    Der Handel mit großen Mengen Kokain in handelsüblichen Containern über europäische Seehäfen ist der Grund für die hohe Verfügbarkeit dieser Droge. Es wird befürchtet, dass diese Situation zu erhöhtem Kokainkonsum, Gesundheitsschäden und Drogenkriminalität beitragen könnte.

    Im Jahr 2021 wurde in den EU-Mitgliedstaaten die Rekordmenge von 303 Tonnen Kokain beschlagnahmt. Auf Belgien (96 Tonnen), die Niederlande (72 Tonnen) und Spanien (49 Tonnen) entfielen zusammen 75 Prozent der sichergestellten Gesamtmenge. Vorläufige Daten für 2022 zeigen, dass die Menge des in Antwerpen, dem zweitgrößten Seehafen Europas, beschlagnahmten Kokains von 91 Tonnen im Jahr 2021 auf 110 Tonnen gestiegen ist. Es gibt Hinweise darauf, dass die organisierte Kriminalität zunehmend auch kleinere Häfen in anderen EU-Ländern sowie in den an die EU angrenzenden Ländern ins Visier nimmt.

    Die illegale Kokainherstellung in der EU gewinnt immer mehr an Bedeutung. 2021 wurden 34 Kokainlaboratorien ausgehoben (23 im Jahr 2020), von denen einige in großem Maßstab betrieben wurden. Kokain ist in Europa die am häufigsten konsumierte illegale Stimulanzdroge, die im letzten Jahr von etwa 1,3 Prozent (3,7 Millionen) der europäischen Erwachsenen (15–64 Jahre) konsumiert wurde. Es war im Jahr 2021 die häufigste Substanz im Zusammenhang mit akuten Vergiftungen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser und wurde in 27 Prozent der Fälle genannt. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass der injizierende Kokainkonsum und der Crack-Konsum in einigen Ländern in Randgruppen zunehmen, so dass die Maßnahmen zur Schadensbegrenzung ausgeweitet werden müssen. Im Jahr 2021 haben schätzungsweise 7 500 Personen eine Behandlung in Zusammenhang mit Crack begonnen.

    Die größere Vielfalt an synthetischen Stimulanzien, die jetzt auf dem illegalen Markt erhältlich sind, erhöht die Risiken für die öffentliche Gesundheit. In der Vergangenheit war Amphetamin das am häufigsten verwendete synthetische Stimulanz in Europa. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass sowohl Methamphetamin als auch synthetische Cathinone heute stärker als in der Vergangenheit zu den Problemen in Europa im Zusammenhang mit Stimulanzien beitragen.

    In dem Bericht heißt es auch, dass Stimulanzien jetzt häufiger injiziert werden, manchmal in Kombination mit Heroin oder anderen Opioiden. Hierzu müssen Maßnahmen entwickelt werden, die die mit diesem Verhalten verbundenen Schäden verringern.

    Potenzielle Gesundheitsrisiken durch nicht so bekannte Stoffe

    Ketamin, das in der Medizin als Narkosemittel und Schmerzmittel verwendet wird, hat sich in einigen Bereichen als Freizeitdroge etabliert. Es wird häufig geschnupft und manchmal auch anderen Drogenmischungen, einschließlich MDMA-Pulvern und -Tabletten, beigemischt. Bei Langzeitkonsumenten von Ketamin können gesundheitliche Probleme auftreten (z. B. Blasenschäden).

    Der zunehmende Freizeitkonsum von Distickstoffoxid (Lachgas) in einigen Teilen Europas gibt Anlass zur Sorge. In einer kürzlich durchgeführten EMCDDA-Studie wurde auf die mit der Droge verbundenen Risiken hingewiesen. Die Droge ist nun offenbar leichter zugänglich, billiger und bei einigen jungen Menschen beliebt. Zu den Risiken gehören Vergiftungen, Verbrennungen und Lungenverletzungen sowie in einigen Fällen bei längerem Gebrauch auch Nervenschäden. Es spricht viel dafür, dass sich die Angebote für Drogenprävention und Schadensbegrenzung in ihrer Arbeit mit dieser Substanz befassen. Die Vorschriften für den Verkauf und die Verwendung dieser Substanz sind von Land zu Land unterschiedlich.

    Der Bericht geht auch auf das wachsende Interesse am therapeutischen Potenzial psychedelischer Drogen ein. Zwar liegen vielversprechende Forschungsergebnisse über das Potenzial dieser Substanzen zur Behandlung verschiedener psychischer Erkrankungen vor, doch wird in dem Bericht auf die Gefahr hingewiesen, dass in und außerhalb der EU unkontrollierte Programme betrieben werden. Das wachsende Interesse an diesem Thema könnte zu einem verstärkten experimentellen Konsum dieser Substanzen ohne medizinische Unterstützung führen, wodurch vulnerable Personen in Gefahr geraten könnten.

    Europas Opioidprobleme entwickeln sich weiter

    Heroin ist nach wie vor das am häufigsten konsumierte illegale Opioid in Europa, aber in einigen Regionen wächst auch die Besorgnis über den Konsum synthetischer Opioide. Viele synthetische Opioide sind hochwirksam und bergen die Gefahr von Vergiftungen und Tod. Es werden nur geringe Mengen benötigt, um Tausende von Dosen herzustellen, was sie zu einer potenziell lukrativeren Substanz für organisierte kriminelle Banden macht.

    Auf dem europäischen Drogenmarkt tauchen immer wieder neue unkontrollierte synthetische Opioide auf; seit 2009 wurden insgesamt 74 davon identifiziert. In den letzten Jahren handelte es sich bei den meisten der neu identifizierten Opioide, die dem EWS gemeldet wurden, um hochwirksame Benzimidazol- (Nitazen-)Opioide. Im Vergleich zu Nordamerika spielen neue synthetische Opioide (z. B. Fentanyl-Derivate und Nitazene) derzeit auf dem europäischen Drogenmarkt insgesamt eine relativ geringe Rolle, obwohl sie in einigen Ländern ein großes Problem darstellen.

    Neue synthetische Opioide (einschließlich Benzimidazole und Fentanyl-Derivate) wurden in den baltischen Ländern mit einem Anstieg der Todesfälle durch Überdosierung in Verbindung gebracht. In Estland wurden neue synthetische Opioide in Mischungen gefunden, die ein Benzodiazepin und das Beruhigungsmittel Xylazin für Tiere enthalten. Diese Kombinationen, die als „Benzo-Dope“ bzw. „Tranq-Dope“ bekannt sind, wurden in Nordamerika mit Todesfällen durch Überdosierung in Verbindung gebracht. In dem Bericht heißt es: „… auch wenn die Probleme in diesem Bereich derzeit relativ begrenzt sind, stellt diese Gruppe von Substanzen eine Bedrohung dar, die sich in Zukunft stärker auf die Gesundheit und die Sicherheit in Europa auswirken kann.“

    Die Verfügbarkeit von Heroin scheint derzeit weiterhin hoch zu sein. Die von den EU-Mitgliedstaaten beschlagnahmte Menge an Heroin hat sich im Jahr 2021 mit 9,5 Tonnen mehr als verdoppelt, während in der Türkei eine Rekordmenge von 22,2 Tonnen beschlagnahmt wurde. Fast das gesamte in Europa konsumierte Heroin stammt aus Afghanistan, wo die Taliban im April 2022 ein Verbot des Anbaus von Schlafmohn verkündet haben. Es ist zwar noch zu früh, um zu sagen, wie sich das Verbot auf den europäischen Heroinmarkt auswirken wird, aber es wird befürchtet, dass eine Verknappung der Droge mit einem Anstieg von Angebot und Nachfrage bezüglich synthetischer Opioide einhergehen könnte.

    Pressestelle der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA), 16.6.2023

  • Nachruf

    Wolfgang Indlekofer (†14.06.2023)

    Der Bundesverband Suchthilfe e. V. (bus.) trauert um Wolfgang Indlekofer, der am 14.06.2023 völlig unerwartet verstorben ist. Wir möchten allen Angehörigen und Freunden unsere tiefe Anteilnahme und unser herzliches Beileid aussprechen.

    Wolfgang Indlekofer hat sich als Psychologischer Psychotherapeut über 40 Jahre der therapeutischen Arbeit mit Menschen mit Suchterkrankungen gewidmet und mehr als 30 Jahre die Rehaklinik Freiolsheim des AGJ-Fachverbands für Prävention und Rehabilitation geleitet.

    Im bus. war Herr Indlekofer seit 1999 als höchst engagierte Persönlichkeit bekannt, als Kollege, der seinen Mitmenschen stets offen und vertrauensvoll begegnete und sich mit hoher Fachlichkeit, Herz und Menschlichkeit für die Belange der abhängigkeitskranken Menschen und deren Behandlung einsetzte.

    Als Sprecher des bus.-Arbeitskreises Baden-Württemberg war ihm eine gelingende Kooperation der verschiedenen Einrichtungen der Suchthilfe ein großes Anliegen, für das er sich unermüdlich und mit viel Innovation einsetzte. Gleichzeitig war es ihm wichtig, die Zusammenarbeit mit Leistungsträgern und politischen Vertreter:innen zu pflegen und mit ihnen gemeinsam die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass passgenaue therapeutische Angebote entstehen und vorgehalten werden konnten. Herr Indlekofer war mit seinem Pioniergeist und fachlichem Gespür Ideengeber für vielfältige Initiativen in Baden-Württemberg, die die Suchthilfe deutschlandweit bis heute prägen.

    Gleichzeitig hat er es als seine Verantwortung angesehen, die Qualität der Suchttherapie, den fachlichen Wissenstransfer und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Berufsgruppen der Suchthilfe immer wieder neu anzuregen. So bereicherte er seit 2008 den Qualitätszirkel Drogentherapie des bus. Fast 20 Jahre gehörte er dem Vorbereitungsausschuss der Wissenschaftlichen Jahrestagung des bus. an und brachte seine hohe Expertise sowie seine weitreichende Erfahrung nicht nur in der Planung, sondern auch in der aktiven Durchführung der Tagung mit Vorträgen oder der Gestaltung von Arbeitsgruppen ein.

    Gerade in den letzten Jahren trug Herr Indlekofer zur Weiterentwicklung des Verbands bei, indem er sich intensiv für eine Öffnung des bus. für ambulante Einrichtungen einsetzte.

    Mit Herrn Indlekofer verlieren wir auch einen Freund, der voller Lebensfreude und Humor genießen konnte und mit dem man gerne in den verschiedenen Kontexten unterwegs war.

    Wir werden Herrn Indlekofer im Herzen vermissen und ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

    Im Namen des bus.: Dr. Wibke Voigt, Vorsitzende, und Corinna Mäder-Linke, Geschäftsführerin

  • Personalmangel macht krank

    Beschäftigte in Branchen mit Personalnot und Fachkräftemangel haben ein höheres Gesundheitsrisiko: Ein Viertel leidet unter Schmerzen, ein Drittel hat Schlafstörungen, mehr als die Hälfte ist komplett erschöpft. Überall in Deutschland fehlt Personal. Das Institut der deutschen Wirtschaft rechnet bis 2030 mit einer Lücke von rund fünf Millionen Fachkräften. Der Krankenstand in Mangelberufen ist bereits heute mit bis zu 7,0 Prozent überdurchschnittlich hoch. Das zeigt der aktuelle DAK-Gesundheitsreport 2023 „Gesundheitsrisiko Personalmangel – Arbeitswelt unter Druck“.

    Für den aktuellen DAK-Gesundheitsreport wurden mehr als 7.000 erwerbstätige Frauen und Männer durch das Forsa-Institut repräsentativ befragt. 45 Prozent berichten von regelmäßigem Personalmangel in ihrem Arbeitsumfeld. In vielen Berufsgruppen ist die Situation noch angespannter: Drei Viertel (74 Prozent) der Krankenpflegekräfte geben zum Beispiel an, ihre Arbeit mit dem vorhandenen Personal nur unter großen Anstrengungen zu schaffen, und die große Mehrheit der Altenpflegerinnen und -pfleger (65 Prozent) bestätigt dies ebenfalls. Dazu kommt: Je extremer die erlebte Personalnot, desto stärker neigen die Beschäftigten zu Präsentismus. So haben 70 Prozent mit regelmäßigem Personalmangel in den vergangenen zwölf Monaten gearbeitet, obwohl sie krank waren, gegenüber 41 Prozent ohne Personalmangel.

    Arbeiten, obwohl das Personal nicht ausreicht, ist Arbeit am Limit: Die Betroffenen berichten von starkem Termin- und Leistungsdruck, Überstunden und versäumten Pausen. Wer regelmäßig Personalmangel erlebt, kann in der Freizeit oft nicht abschalten, verzichtet auf Sport und findet wenig Zeit für Hobbys, Familie und Freunde. Stress und Druck einerseits sowie fehlende Erholung und Ausgleich andererseits beeinflussen negativ die Gesundheit: Fast die Hälfte ist häufig oder sehr häufig müde und erschöpft (54 Prozent). Rund ein Drittel (35 Prozent) berichtet von nächtlichen Schlafstörungen oder Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems wie Rückenschmerzen, und mehr als ein Fünftel (23 Prozent) leidet unter Kopfschmerz.

    Professor Volker Nürnberg hat die Entstehung des neuen DAK-Gesundheitsreports begleitet. Er ist Partner bei BearingPoint, gilt als „BGM-Papst“ und lehrt an verschiedenen Hochschulen. Die Studie zeige, „wie insbesondere in prekären Branchen aus Personalmangel Krankenstand entsteht.“ Tatsächlich weist der Report für die Berufsgruppen mit den größten Fachkräftelücken einen um bis zu 1,5 Prozentpunkte erhöhten Krankenstand gegenüber dem Berufe-Durchschnitt aus (5,5 Prozent). Nur die Mangelberufe im IT-Bereich bilden hier eine Ausnahme. DAK-versicherte Erwerbstätige in der Altenpflege hatten 2022 zum Beispiel den höchsten Krankenstand mit 7,0 Prozent. Bei den Beschäftigten in der Fahrzeugführung, der Kinderbetreuung und im Maschinenbau waren es 6,8 Prozent, die Krankenpflege hatte 6,1 Prozent. „Man kann von einem Teufelskreis sprechen. Hohe Fehlzeiten und Personalmangel bedingen einander und verstärken sich jeweils in den Effekten“, so Nürnberg.

    Von den Beschäftigten, die regelmäßig Personalmangel erleben, sagen nur 31 Prozent: „Mein Betrieb engagiert sich für das Wohlergeben seiner Mitarbeiter.“ Kaum mehr als ein Fünftel gibt an, dass in der täglichen Arbeit Gesundheitsaspekte berücksichtigt werden. Bei dem Versuch, die betrieblichen Aufgaben unter den Zwängen des Personalmangels zu meistern, wird aktuell in vielen Unternehmen die gesundheitliche Dimension ausgeblendet. Dabei kann das Potenzial von Betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM) noch viel mehr genutzt werden. „Vorausgesetzt alle Beteiligten sind bereit, sich neuen Wegen zu öffnen“, sagt Andreas Storm, Vorsitzender des Vorstands der DAK-Gesundheit. Die DAK-Gesundheit befürwortet ein nachhaltiges BGM. „Wir unterstützen Unternehmen dabei, Arbeit so zu organisieren, dass sie für Führung und Beschäftigte möglichst gut zu bewältigen ist. Es geht unter anderem um eine Reduktion von Stress und um eine gute Balance von Arbeit, Erholung und privaten wie gesellschaftlichen Aufgaben.“

    Für den Gesundheitsreport 2023 hat das IGES Institut in Berlin die Daten von 2,4 Millionen erwerbstätigen DAK-Versicherten analysiert, eine durch das Forsa-Institut durchgeführte Befragung von mehr als 7.000 erwerbstätigen Frauen und Männern im Alter von 18 bis 65 Jahren konzipiert und ausgewertet, sowie zahlreiche Expertinnen und Experten eingebunden.

    Pressestelle der DAK-Gesundheit, 19.4.2023

    Gesundheitsreport 2023 der DAK-Gesundheit
    Analyse der Arbeitsunfähigkeiten. Gesundheitsrisiko Personalmangel: Arbeitswelt unter Druck
    medhochzwei Verlag, Heidelberg 2023, 148 Seiten, eBook / PDF, 28,99 €, ISBN 978-3-86216-994-8

  • Gewalterfahrungen in Teenagerbeziehungen

    Das Risiko, schon in der Jugend aktiv oder passiv Erfahrungen mit Gewalt in Beziehungen zu machen, ist hoch: rund 20 Prozent für körperliche und rund neun Prozent für sexuelle Gewalt. Ein Forschungsteam hat in einer systematischen Review-Studie erhoben, inwiefern sich diese Erfahrungen langfristig auswirken. Die Ergebnisse zeigen: Jugendliche, die Beziehungsgewalt erleben oder begehen, tragen ein höheres Risiko, über ähnliche Erfahrungen im Erwachsenenalter zu berichten. Außerdem zeigt sich langfristig, dass Betroffene eher zu einem gesteigerten Risikoverhalten (beispielsweise Alkohol- und Marihuanakonsum) neigen und in schlechter psychischer Verfassung sind.

    „Muss man schon als Jugendliche:r über Gewalt in der Partnerschaft berichten, kann dies ein Risikofaktor für ein breites Spektrum von Langzeitfolgen sein“, fasst Antonio Piolanti, Postdoc-Assistent an der Abteilung für Gesundheitspsychologie an der Universität Klagenfurt, die Ergebnisse zusammen. Die in der Zeitschrift „Pediatrics“ kürzlich vorgestellte Studie schließt eine wichtige Forschungslücke: Es gab zwar zahlreiche Einzelstudien zu den langfristigen Zusammenhängen zwischen Gewalterfahrungen in Teenagerbeziehungen und späteren Folgen, aber keinen systematischen Überblick.

    Für das vorliegende Paper haben Antonio Piolanti, Franziska Waller, Iason E. Schmid und Heather M. Foran 38 Artikel identifiziert und deren Charakteristika und Erkenntnisse einer systematischen Analyse unterzogen. Der überwiegende Teil der Studien wurde nach 2010 und in den USA durchgeführt. Die teilnehmenden Personen waren zwischen 13 und 18 Jahre alt, und die Follow-up-Erhebungen reichen von einem Jahr bis zu 35 Jahren. Untersucht wurden vier Typen von Beziehungsgewalt: physische Gewalt, psychische bzw. emotionale Gewalt, sexuelle Gewalt und Cyber-Missbrauch.

    Antonio Piolanti erklärt zu den Erkenntnissen: „Der Zusammenhang zwischen Gewalt in Teenagerbeziehungen und ähnlichen Erfahrungen im Erwachsenenalter war am deutlichsten erkennbar. Das deutet darauf hin, dass Gewalt in Beziehungen Teil eines Kontinuums sein kann, das schon früh beginnt.“

    Von den negativen Langzeitfolgen von Gewalt in Teenagerbeziehungen sind laut den Analysen Frauen stärker betroffen als Männer. Darüber hinaus zeigten die Analysen einige Zusammenhänge zwischen früher Beziehungsgewalt und einem gesteigerten Risikoverhalten, wie Piolanti erklärt: „Wir sehen, dass die Mehrheit der Studien zu dem Ergebnis kommt, dass Gewalterfahrungen in Teenagerbeziehungen mit späterem Zigaretten-, Alkohol- und Marihuanakonsum einhergehen.“ Auffällig sei auch die Verbindung zu gesteigertem sexuellen Risikoverhalten, beispielsweise ungeschütztem Sex oder Geschlechtsverkehr unter Alkoholeinfluss. Auch Zusammenhänge mit einer schlechteren psychischen Verfassung lassen sich bei den Personen, die von Gewalterfahrungen berichten, feststellen.

    „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die langfristigen Folgen von Gewalt in Teenagerbeziehungen gravierend sein können. Präventionsprogramme sind also sehr wichtig, zumal diese in anderen Untersuchungen schon unter Beweis stellen konnten, dass sie effizient wirken“, folgert Antonio Piolanti.

    Originalpublikation:
    Piolanti, A., Waller, F., Schmid, I. E., Foran, H. M. (2023). Long-term Adverse Outcomes Associated with teen dating violence: A Systematic Review. Pediatrics Vol. 151/6, DOI: 10.1542/peds.2022-059654.

    Pressestelle der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, 23.5.2023

  • Hirnveränderungen und Kokainkonsum

    Das menschliche Gehirn ist voller Falten und Furchen. Das ist normal und eine wichtige Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit unseres Denkapparats. Eine aktuelle Studie konnte zeigen, dass das Gehirn von Personen mit einer Kokainabhängigkeit weniger stark gefaltet ist.

    Die Großhirnrinde (Cortex) könne man sich vorstellen wie ein dickes Blatt Papier, erklärt der Hirnforscher Wieland Huttner in einem Interview. Damit es in den Schädel passt, muss es sich falten. Die Großhirnrinde gilt als wichtige Instanz für den Verstand und das Bewusstsein. In der Evolution ist die Großhirnrinde als Letztes entstanden und beim Menschen immer weiter gewachsen. So weit, dass sie nur noch gefaltet in den Schädel passt. Mehr Falten bedeutet: mehr geistige Leistung.

    Wenn das Gehirn glatt bleibt, also keine Falten hat, ist das eine schwere Fehlbildung, die als „Lissenzenphalie“ bezeichnet wird. Betroffene Kinder leiden meist unter geistigen Entwicklungsstörungen. Aber auch bei Menschen ohne ernsthafte Erkrankungen können sich die Falten unterscheiden. Ein italienisches Forschungsteam hat die Faltungen der Großhirnrinde von Menschen mit und ohne Kokainabhängigkeit verglichen.

    Je länger kokainabhängig, desto weniger Falten

    Für ihre Studie hat das Forschungsteam auf Daten einer Studie aus Mexiko zurückgreifen können, in der die Gehirne von 88 Männern mit Hilfe der Magnetresonanztomografie „durchleuchtet“ wurden. Die Aufnahmen von 52 Männern mit Kokainabhängigkeit wurden verglichen mit den Hirnscans von 36 Männern, die kein Kokain konsumierten.

    Das Hauptergebnis der Studie lautet: Teile der Großhirnrinde waren bei den Kokainabhängigen weniger stark gefaltet als in der Kontrollgruppe. Dieser Effekt war dosisabhängig. Das heißt: Je länger die Personen kokainabhängig waren, desto weniger komplex war die Faltung des Gehirns. Auch das Alter bei der Entstehung der Abhängigkeit spielte eine Rolle. Je jünger die Teilnehmenden waren, als sie abhängig wurden, desto weniger Furchen und Falten konnten gemessen werden.

    Die Faltung war vor allem in den Bereichen der Großhirnrinde schwächer ausgeprägt, die mit Suchtverhalten in Verbindung gebracht werden. Eine der betroffenen Hirnregionen ist dafür zuständig, Impulse zu unterdrücken. Ein solcher Impuls könnte zum Beispiel sein, Kokain nehmen zu wollen. Dass dieser Bereich bei Kokainabhängigen weniger stark gefaltet ist, könnte erklären, warum es ihnen schwerer fällt, diesen Impuls zu unterdrücken. Ob dies tatsächlich der Grund ist, kann die Studie jedoch nicht beantworten.

    Unklar bleibt auch, ob der Kokainkonsum verantwortlich dafür ist, dass die Großhirnrinde weniger stark gefaltet ist. Eine andere Erklärung wäre, dass die Großhirnrinde von Kokainabhängigen bereits vor dem Kokainkonsum anders gefaltet war. Dies könnte sie anfälliger für die Entwicklung einer Sucht machen. In diesem Zusammenhang ist auch erwähnenswert, dass die kokainabhängigen Männer weniger Bildungsjahre hatten.

    Möglicherweise wechselseitige Beeinflussung von Kokainkonsum und Hirnveränderungen

    Es gebe aber weitere Hinweise dafür, dass sich das Gehirn durch häufigen Drogenkonsum verändert, argumentieren die Forschenden. So haben frühere Studien gezeigt, dass durch den Konsum von Kokain Gene anders abgelesen werden, was die Struktur und Funktion des Gehirns verändern kann. Auch hätten Tierversuche Belege dafür geliefert, dass chronischer Kokainkonsum die Hirnstruktur verändert.

    Die Forschenden favorisieren eine Theorie, der zufolge Hirnveränderungen und Kokainkonsum sich gegenseitig verstärken. Impulsive Person neigen demzufolge eher zum Kokainkonsum. Der Konsum fördert neurologische Veränderungen, die wiederum die Neigung zu impulsivem Verhalten verstärken.

    Quelle: www.drugcom.de, 19.4.2023

  • Risikofaktor für psychiatrische Erkrankungen wirkt je nach Geschlecht unterschiedlich

    FKBP51 gilt als Risikofaktor für psychiatrische Erkrankungen. Neue Forschungsergebnisse zeigen nun erstmals auch positive Effekte: Statt ängstlich zu machen oder die Denkleistung zu beeinträchtigen, kann das Protein das Gegenteil bewirken und damit Resilienz fördern. Welche Wirkung es entfaltet, hängt davon ab, in welcher Art von Zellen es aktiv wird. Außerdem spielt das Geschlecht eine entscheidende Rolle: Weibliche Modelltiere reagierten ängstlich oder mutig, männliche waren kognitiv geschwächt oder gestärkt. Die Ergebnisse machen die Entwicklung eines Medikaments nicht leichter. Sie zeigen aber umso mehr, wie wichtig Grundlagenforschung und geschlechterspezifische Studien sind.

    Dass FKBP51 ein Risikofaktor für das Auftreten stressbedingter psychiatrischer Erkrankungen ist, haben nicht zuletzt umfangreiche Forschungen des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt. Die Forschenden gehen immer weiter ins Detail, nun legen sie eine Studie vor, die den Schluss nahelegt, dass FKBP51 in seiner Wirkung komplexer ist als bisher gedacht.

    Das Team um Forschungsgruppenleiter Mathias Schmidt hat die Funktion des Proteins in zwei verschiedenen Zellpopulationen untersucht. In glutamatergen Zellen, die exzitatorisch, also anregend, auf Nervenzellen wirken, und in GABAergen Zellen, die sich inhibitorisch, also hemmend, auswirken. Darüber hinaus haben die Neurowissenschaftler:innen auch nach dem Geschlecht der Versuchstiere unterschieden. Denn Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen kommen bei Frauen circa doppelt so häufig vor wie bei Männern. Doch Studien, die geschlechtsspezifische Unterschiede untersuchen, sind selten. Als Modellorganismus für diese Grundlagenforschung diente ihnen die Maus.

    Die Ergebnisse sind erstaunlich: Die Effekte sind entgegengesetzt. Das „Risiko-Gen“ FKBP51 manipuliert bei Frauen die Angst, bei Männern wirkt es sich auf die Denkleistung aus. Betrachtet man die unterschiedlichen Zelltypen, so sind auch da die Effekte entgegengesetzt. Wird FKBP51 in GABAergen Zellen blockiert, so reagierten weibliche Mäuse weniger ängstlich, männliche zeigten sich kognitiv besser. In glutamatergen Zellen geschah genau das Gegenteil, die Weibchen waren ängstlicher und Männchen kognitiv stärker beeinträchtigt.

    Das „Risiko-Gen“ FKBP51 hat also auch seine positiven Seiten, das weist die Studie erstmals nach. Abhängig von dem Wirkort und dem Geschlecht kann es stressbedingte psychiatrische Erkrankungen hervorrufen, es kann aber eben auch resilienzfördernd wirken. „Das überrascht mich nicht völlig“, gesteht Schmidt, „FKBP51 kommt an so vielen Stellen im Körper vor – wenn es so schädlich wäre, hätte sich das im Laufe der Evolution runterreguliert.“

    Neben der Verhaltensebene sahen die Forschenden sich auch die strukturelle Ebene an. Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren konnten sie nachweisen, dass bei den weiblichen Mäusen eine Hirnregion verändert war, die ängstliches Verhalten steuert. Bei den männlichen Tieren war der Hippocampus verändert, über den kognitive Fähigkeiten ablaufen. Diese Ergebnisse passen also genau zu den geschlechtsspezifischen Verhaltensveränderungen und wurden zusätzlich durch Befunde auf der Ebene der Genexpression in diesen Regionen gestärkt.

    FKBP51 ist also komplizierter als angenommen. Pharmakologen arbeiten bereits an Wirkstoffen, um den Risikofaktor auszuschalten. Vor dem Hintergrund der neuen Studie dürfte dies noch diffiziler werden, ein klassischer Verlauf bei der Entwicklung von Medikamenten. „Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, grundsätzliche Effekte vor allem auch geschlechtsspezifisch zu untersuchen“, resümiert Schmidt.

    Pressestelle des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, 2.6.2023

  • Überversorgt und trotzdem früher tot

    Die Lebenserwartung in Deutschland fällt im internationalen Vergleich auffällig niedrig aus, obwohl sich Deutschland eines der teuersten Gesundheitssystem der Welt leistet. Angesichts dieses ernüchternden Ergebnisses fordert die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), den Fokus endlich mehr auf Prävention und Gesundheitskompetenz zu richten. Dazu gehören: Stärkung der Hausarztmedizin, Aufwertung der sprechenden Medizin und damit mehr Gesundheitsberatung, strengere Regeln im Umgang mit Tabak- und Alkoholwerbung, gesundes Schul- und Kita-Essen, mehr Sportangebote etc.

    Bei den Ausgaben für das Gesundheitssystem liegt Deutschland auf den vorderen Plätzen, bei der Lebenserwartung gehört es zu den Schlusslichtern. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock, in der die Lebenserwartung in sechs Ländern mit hohem Einkommen verglichen wurden. Es zeigten sich erhebliche Unterschiede: In den bestplatzierten Ländern (Frauen: Spanien, Männer: Schweiz) werden die Menschen im Durchschnitt gleich mehrere Jahre älter als in Deutschland. In Deutschland ist, so die Studie, vor allem die erhöhte Anzahl von Todesfällen aufgrund kardiovaskulärer (Herz-Kreislauf-)Erkrankungen auffällig.

    Gerade angesichts der immensen Ressourcen, die hierzulande für die Gesundheit ausgegeben werden, müssen diese Zahlen aufrütteln: In Deutschland arbeiten überdurchschnittlich viele Ärztinnen und Ärzte, gleichzeitig gibt es mehr Krankenhaus- und Intensivbetten als in fast allen anderen verglichenen Ländern. Trotzdem sterben die Menschen in Deutschland früher.

    „Wir setzen uns seit Jahren für mehr Prävention ein. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die sprechende Medizin aufgewertet wird, so dass den hausärztlichen Kolleginnen und Kollegen endlich mehr Zeit für die Gesundheitsberatung zur Verfügung steht. Anders wird es nicht gelingen, gerade Risikogruppen zu erreichen. Das geht nur im Gespräch“, kommentiert Prof. Martin Scherer, Präsident der DEGAM. „In Deutschland gibt es ein krasses Missverhältnis: Die Anzahl der Arztkontakte pro Person ist extrem hoch – aber die Zeit pro Patient:in, um gesundheitsförderndes Verhalten zu besprechen, viel kürzer als in den verglichenen Ländern.“

    Echte Prävention ist zudem viel mehr als rein medizinisch – sie ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe: „Deutschland ist führend im Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker, hat immer noch eine überdurchschnittliche Alkohol- und Raucherquote (und als eines von wenigen Ländern weiterhin kein Werbeverbot für Zigaretten) und einen viel zu hohen Anteil an übergewichtigen und adipösen Menschen. Bei der Ernährung fällt die hohe Rate an tierischen Produkten auf. Auch bei der Bewegung gibt es Defizite,“ ergänzt Dr. Thomas Maibaum, stellvertretender Sprecher der DEGAM-Sektion Prävention.

    Gleichzeitig warnt die Fachgesellschaft davor, die Verantwortung alleine bei den Betroffenen abzuladen. „Es ist seit Jahren bekannt, dass eine reine Verhaltensprävention in erster Linie die Menschen erreicht, die sowieso schon gesundheitsbewusst leben. Bei der Verhältnisprävention, über die seit Jahren diskutiert wird, kommt Deutschland weder bei der Forschung noch in der Praxis der öffentlichen Gesundheitsfürsorge (Public Health) wirklich voran. Erste und längst überfällige Schritte wären: Einführung Zuckersteuer, Werbeverbot für Tabakprodukte, Raucherentwöhnung als Kassenleistung, Subventionierung von gesunder Ernährung in Kindergarten und Schule und mehr Sportangebote für jede Altersstufe“, fordert Martin Scherer. „Nur so können wir bei der Lebenserwartung zumindest den internationalen Durchschnitt erreichen.“

    Hinsichtlich der Konsequenzen der Studie sieht die Autorengruppe insbesondere Defizite in der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die DEGAM geht davon aus, dass die kardiovaskuläre Krankheitslast auch medikamentös effektiver reduziert werden kann: „Bei Menschen mit hohem absoluten und relativen Herzinfarkt-Risiko sollten verstärkt Statine verschrieben werden“, fasst Dr. Uwe Popert, Sprecher der DEGAM-Sektion Hausärztliche Praxis, den aktuellen Wissensstand zusammen. „In Deutschland liegt die Indikationsgrenze derzeit bei einem 20-prozentigen Risiko, dass innerhalb von zehn Jahren ein kardiovaskuläres Ereignis (zum Beispiel Herzinfarkt) auftritt. Im europäischen Ausland liegt die Indikationsschwelle meist bei 10 Prozent. Auch Deutschland sollte diesen Wert insbesondere für Jüngere bei 10 Prozent ansetzen, um eine problematische Verzögerung der Behandlung zu vermeiden.“

    Quellen:
    – Jasilionis, D., van Raalte, A.A., Klüsener, S. et al. The underwhelming German life expectancy. Eur J Epidemiol (2023). https://doi.org/10.1007/s10654-023-00995-5
    – DEGAM-Leitlinie zur Kardiovaskulären Prävention: https://tinyurl.com/y5sn6jp9

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V., 31.5.2023