Kategorie: Kurzmeldungen

  • Social Media beeinflusst Essverhalten

    Der Begriff Orthorexia nervosa meint Ernährungsintentionen, bei denen sich die Betroffenen übermäßig stark mit Lebensmitteln beschäftigen und sich häufig starke Beschränkungen auferlegen. Forscher:innen der Universität Klagenfurt sind nun den Effekten von Social Media auf die Herausbildung von Orthorexia nervosa auf den Grund gegangen. Ihre Erkenntnis: Je mehr sich junge Erwachsene für „Health- und Fitnesscontent“ interessieren, desto eher neigen sie zu höheren Orthorexie-Tendenzen.

    Social Media ist allgegenwärtig, und die Pandemie befeuerte das Nutzungsverhalten der Konsument:innen zusätzlich. Dies hat, wie Studien zeigen konnten, auch Auswirkungen auf die Gesundheit der Nutzer:innen: Die Lockdowns haben zu einem höheren medialen Druck geführt. Die „idealtypischen“ dünnen und fettarmen Körper, die auf den zahllosen Health- und Fitnessaccounts eindrucksvoll präsentiert werden, wurden noch stärker als bisher internalisiert.

    Rebecca Scheiber, Sandra Diehl und Matthias Karmasin (alle Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Klagenfurt) haben nun in einer quantitativen Studie untersucht, inwiefern das Interesse an diesen Inhalten eine problematische Fixierung auf Ernährungsintentionen fördern kann. Dafür haben sie insgesamt 788 Teilnehmer:innen online befragt, davon waren 647 Fragebögen auswertbar. Angesprochen waren deutschsprachige Frauen und Männer im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Die theoretische Basis für die Untersuchung war ein social-media-basiertes soziokulturelles Modell zu Orthorexie-Tendenzen.

    „Wir konnten zeigen, dass User:innen, die sich mehr für Health- und Fitnesscontent interessieren, auch eher zu Orthorexie-Tendenzen neigen“, fasst Rebecca Scheiber die Ergebnisse zusammen. Personen, die solche Accounts stärker im Fokus haben, neigen auch eher dazu, ein bestimmtes Körperideal zu internalisieren: Dünne und muskulös definierte Körper werden dabei angestrebt.

    Rebecca Scheiber schließt aus der Untersuchung: „Vielerorts dominieren Salat und Pilates, Proteinshakes und Crunches den Lifestyle von jungen Menschen. Das Gesunde ist dann nicht mehr nur noch gesund. Wir brauchen eine höhere Aufmerksamkeit für dieses Thema. Die Nutzer:innen von Social Media sollen sich verstärkt darüber bewusst sein, dass der Content dieser Accounts einen Einfluss auf ihr eigenes Verhalten haben kann. Eine wichtige Rolle könnten bei dieser Aufklärung die Influencer:innen selbst spielen, aber auch Organisationen im Bereich Public Health können intervenieren.“

    Originalpublikation:
    Rebecca Scheiber, Sandra Diehl & Matthias Karmasin (2023). Socio-cultural power of social media on orthorexia nervosa: An empirical investigation on the mediating role of thin-ideal and muscular internalization, appearance comparison, and body dissatisfaction. Appetite, Vol. 185, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0195666323000752?via%3Dihub

    Pressestelle der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, 27.4.2023

  • DHS Jahrbuch Sucht 2023

    Das DHS Jahrbuch Sucht 2023 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) bündelt die aktuellsten Zahlen und Fakten zu Alkohol, Tabak, illegalen Drogen, Glücksspiel und weiteren drogen- und suchtbezogenen Themen.

    ALKOHOL

    Millionen Menschen in Deutschland trinken zu viel Alkohol. „Obwohl der Alkoholkonsum im Vergleich zu den Vorjahren weiter gesunken ist, wird in Deutschland immer noch deutlich mehr Alkohol getrunken als im weltweiten Durchschnitt“, sagt Prof. Dr. Norbert Scherbaum, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen anlässlich der Veröffentlichung des DHS Jahrbuch Sucht 2023. Die Gründe für den hohen Alkoholkonsum hierzulande sind vielfältig. Alkohol ist als vermeintliches „Kulturgut“ gesellschaftlich breit akzeptiert. Auf 10,0 Liter Reinalkohol pro Person ab 15 Jahren beziffert das DHS Jahrbuch Sucht den Konsum in Deutschland im Jahr 2020.

    Deutschland ist nach wie vor ein Hochkonsumland. Hierzulande konsumieren 7,9 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren Alkohol in gesundheitlich riskanter Weise (30-Tage-Prävalenz): Sie trinken durchschnittlich mehr als 12 Gramm (Frauen) bzw. 24 Gramm (Männer) reinen Alkohol pro Tag. Das entspricht in etwa einem bzw. zwei kleinen Gläsern Bier (0,3 Liter). Zahlreiche Menschen kennen die gesundheitlichen Risiken, die mit Alkoholkonsum einhergehen, kaum oder gar nicht. „Auch die Flasche Bier am Abend oder das Glas Wein zum Essen schadet dem Körper. Selbst geringe Mengen Alkohol können krank machen“, erläutert der Alkoholforscher und DHS Jahrbuch-Autor Prof. Dr. Ulrich John von der Universitätsmedizin Greifswald. „Die Lebensdauer von Menschen mit einer Erkrankung, die Alkoholkonsum zwingend voraussetzt, ist auffällig kürzer als bei anderen Menschen aus der Bevölkerung.“

    Wichtig zu wissen: Jeder und jede kann selbst aktiv etwas für die eigene Gesundheit tun. „Wer wenig oder gar keinen Alkohol trinkt, fühlt sich insgesamt fitter, körperlich wie mental. Und man lebt vergleichsweise länger“, so Prof. John. Frauen kann der Alkoholverzicht ein durchschnittliches Plus an Lebenszeit von mindestens 16 Jahren bringen. Bei Männern sind es zehn und mehr Jahre, zeigt das DHS Jahrbuch Sucht 2023 auf.

    Um mehr Menschen ein gesundes und längeres Leben zu ermöglichen, muss sich in puncto Alkohol auf gesellschaftlicher und politischer Ebene grundlegend etwas ändern, fordern die DHS-Fachleute. „Wir brauchen einerseits einen Wandel der Einstellungen und andererseits auch geeignete alkoholpolitische Maßnahmen. Aus der Forschung wissen wir, dass Menschen umso mehr Alkohol konsumieren, je preiswerter, je leichter zugänglich und je attraktiver er ist. Für die Gesundheit der Bevölkerung würde es viel bringen, die Alkoholwerbung und das Sponsoring umfassend zu regulieren. Auch die aktuelle 24/7-Verfügbarkeit von Alkohol einzuschränken und Steuern auf alkoholische Getränke zu erhöhen, ist zwingend notwendig“, betont DHS-Geschäftsführerin Christina Rummel.

    TABAK

    Das Rauchen ist in Deutschland nach wie vor verbreitet. Nach Angaben des Mikrozensus rauchten 2021 rund 16 Prozent der Frauen und 22 Prozent der Männer. Damit ist der Anteil Rauchender weiter rückläufig. „Trotz einiger Erfolge zählt Deutschland im internationalen Vergleich bei der Tabakprävention und Tabakkontrolle nach wie vor zu den Schlusslichtern. Es bleibt also noch viel zu tun: Maßnahmen, um den Tabakkonsum und die Passivrauchbelastung nachhaltig zu verringern, müssen wir konsequent weiter fortführen und ausbauen“, sagt DHS-Geschäftsführerin Christina Rummel.

    Der Fertigzigaretten-Verbrauch sank im Jahr 2022 auf 65,8 Milliarden Stück (minus 8,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Das entspricht einem Pro-Kopf-Verbrauch von 791 Zigaretten (2021: 863 Zigaretten). Dies ist der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung. Dahingegen stieg der Verbrauch von Feinschnitt um plus 0,9 Prozent leicht an. Er lag bei 25.080 Tonnen. Diese Menge entspricht etwa 37,6 Milliarden selbstgedrehten Zigaretten. Der Verbrauch von Zigarren/Zigarillos ging um minus 8,9 Prozent auf 2,5 Milliarden Stück zurück. Die Ausgaben für Tabakwaren reduzierten sich auf 27,1 Milliarden Euro im Jahr 2022 (minus 7,7 Prozent).

    Sowohl in Deutschland als auch international ist in den letzten Jahren kontrovers über E-Zigaretten und Tabakerhitzer diskutiert worden. „Die Inhaltsstoffe von E-Zigaretten und Tabakerhitzern sind gesundheitlich bedenklich. Studien belegen, dass E-Zigaretten bereits bei kurzzeitigem Gebrauch zu Atemwegsreizungen und allergischen Reaktionen führen können. Außerdem besteht bei nikotinhaltigen E-Zigaretten und Tabakerhitzern ein Abhängigkeitspotenzial“, erläutert DHS-Expertin Christina Rummel.

    ILLEGALE DROGEN

    Aktuellen Schätzungen zufolge haben etwa 4,7 Millionen Erwachsene im Alter zwischen 18 und 64 Jahren sowie etwa 374.000 Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren in den letzten zwölf Monaten eine illegale Droge konsumiert.

    Cannabis nimmt unter den illegalen Drogen die prominenteste Rolle ein – sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen. In Deutschland konsumierten in den letzten zwölf Monaten ca. 4,5 Millionen Personen zwischen 18 und 64 Jahre) Cannabis. Im Vergleich zu anderen Drogen dominiert die Substanz mit einer 12-Monats-Prävalenz von 7,6 Prozent unter 12- bis 17-Jährigen und 8,8 Prozent unter 18- bis 64-Jährigen deutlich. Ecstasy (0,5 Prozent) sowie Amphetamin und Pilze (jeweils 0,3 Prozent) waren bei Jugendlichen die nach Cannabis am häufigsten konsumierten illegalen Drogen. Bei Erwachsenen spielen neben Kokain/Crack (1,6 Prozent) und Amphetamin (1,4 Prozent) auch neue psychoaktive Substanzen (1,3 Prozent) eine Rolle.

    Im Jahr 2021 wurden 1.826 Todesfälle durch den Konsum illegaler Drogen dokumentiert. Das entspricht einem Anstieg um 15,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr (2020: 1.581). Das Durchschnittsalter der Verstorbenen lag bei 40,8 Jahren.

    GLÜCKSSPIEL (korrigierte Angaben aus der DHS-Mitteilung vom 17.5.2023)

    In der Berichterstattung zum DHS Jahrbuch Sucht 2023 wurden insbesondere die Umsätze im legalen Bereich bei Sportwetten diskutiert. Dabei wurden die Umsätze für Sportwetten in 2021 mit 18,3 Mrd. Euro hinterfragt.

    Gemäß des Jahresreports 2021 der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder wurde im Jahr 2021 im Sportwettensegment ein Bruttospielertrag von 1,278 Mrd. Euro erwirtschaftet. Dieses Volumen bezieht sich auf den legalen Markt, der in 2021 im Sportwettenbereich einen Anteil von 95 % ausmachte. (https://innen.hessen.de/sites/innen.hessen.de/files/2022-12/jahresreport_2021_0.pdf, S. 22 [Zugriff: 16.05.2023, 11.30 Uhr]).

    Die Auszahlungsquote des Anbieters „Tipico“ liegt bei 93,58 % (kein Wettsteuerabzug), beim Anbieter „bwin“ liegt die Quote bei 93 % (https://www.fussballwetten.com/wo-gibt-es-die-besten-auszahlungsquoten-bei-fussballwetten/ [Zugriff: 16.05.2023, 11.30 Uhr]; https://www.sportwettentest.net/wettquoten-fussball/ [Zugriff: 16.05.2023, 11.30 Uhr]); (https://www.wettanbieter.de/wettanbieter-ranking/wettquoten/ [Zugriff: 17.05.2023, 09:08 Uhr]). Eine Berechnung des Jahresumsatzes im Bereich legaler Sportwetten ergibt unter Berücksichtigung der vorgenannten Auszahlungsquote von 93 % eine Summe von 18,3 Mrd. Euro [Rechenweg: Bruttospielertrag von 1,278 Mrd. geteilt durch 7 (100 minus Auszahlungsquote) mal 100 ergibt den Umsatz].

    Der Deutsche Sportwettenverband gibt in seiner Pressemitteilung vom 27. April 2023 zu den Marktkennzahlen an, dass die Wetteinsätze im Sportwettenmarkt im Jahr 2021 bei 9,4 Mrd. Euro lagen und dass etwa 85 % der Wetteinsätze als Gewinne an die Spieler ausgezahlt werden. Zudem heißt es dort: „Hierbei ist zu beachten, dass Wetteinsätze nicht mit Umsatz gleichgesetzt werden können.“ (https://www.dswv.de/richtigstellung-marktkennzahlen/ [Zugriff 17.05.2023, 09:24 Uhr]).

    Des Weiteren sorgte ein Vergleich des Jahresumsatzes der Jahre 2020 und 2021 für Aufmerksamkeit. Da erst im Oktober 2020 erste Erlaubnisse für Sportwetten in Deutschland erteilt wurden, führte eine Berechnung der Veränderungsrate zu Fehlinterpretationen, die nun in der korrigierten Version des Beitrags zum Thema Glücksspiel im DHS Jahrbuch Sucht 2023 nicht mehr angegeben ist. Für aussagekräftige Zahlen der Veränderung gilt es die Entwicklung in 2022 abzuwarten.

    Pressestelle der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, 26.4.2023

    Das DHS Jahrbuch Sucht 2023 (268 Seiten) ist im Verlag Pabst Science Publishers (Lengerich/Westfalen) erschienen und kostet 20,00 € (print) oder 15,00 € (PDF).

  • Alkohol-, Tabak- und Glücksspielwerbung benötigen viel engere Leitplanken

    Der Sucht- und Drogenbeauftragte Burkhard Blienert: „Werbung für Alkohol, Tabak und Glücksspiel muss stark reguliert werden! Es muss Schluss sein mit dem Bier-Werbespot bei der Fußballübertragung oder dem Logo auf der Sponsorenwand!“

    Am 24. April 2023 lud der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung zum Auftakt seiner neuen Veranstaltungsreihe „Debatte (ge)SUCHT“ Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Werbung und Industrie ein und diskutierte mit ihnen über Werbung für Alkohol, Tabak und Glücksspiel.

    Burkhard Blienert: „Die Überpräsenz von Großflächenwerbung für Alkohol, für Tabak und E-Zigaretten an Kiosk und Tankstelle sowie für Glücksspiel im Fernsehen ist eine Großbaustelle der deutschen Verbraucherschutz-, Jugend- und Gesundheitspolitik. Tabak, Alkohol und auch Sportwetten sind viel zu präsent im öffentlichen Raum. Daran muss sich etwas ändern, und diese Änderung werde ich vorantreiben! Die große Mehrheit der Bevölkerung will keine Alkoholwerbung mehr, sie fordert einen Stopp jeglichen Sponsorings für Tabakprodukte oder durch Sportwettenanbieter beim Fußball. Das darf die Politik doch nicht länger ignorieren.“

    Gerade das Argument vom „mündigen Bürger“, der frei sei, auf Werbung zu reagieren oder nicht, überzeugt Burkhard Blienert hier nicht: „Alkohol, Tabak und Glücksspiel sind ja gerade keine Produkte wie ein Lippenstift oder das neueste Smartphone. Sie bergen immer das Risiko, die Kontrolle zu verlieren, abhängig zu werden. Zumindest mal dort, wo Werbung auch Jugendliche erreicht, müssen wir ihr bei diesen Produkten ganz enge Grenzen setzen.“

    In einer Studie des Sucht- und Drogenbeauftragten sprachen sich unter anderem zwei Drittel für ein Sponsoring-Verbot für Sportwetten und Alkohol beim Fußball aus, drei Viertel fordern ein vollständiges Werbeverbot für Tabakprodukte.

    Pressestelle des Sucht- und Drogenbeauftragten, 24.4.2023

  • Kreativität ergibt sich aus der inneren Einstellung

    Es gibt viele Möglichkeiten, um kreatives Denken positiv zu beeinflussen und zu fördern. Wissenschaftler:innen der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), der Essex-Universität in Großbritannien sowie der Universität Potsdam haben in einer Studie erforscht, wie Kreativität verbessert werden kann. Das Ergebnis: Methodenvielfalt führt zur Verbesserung kreativer kognitiven Fähigkeiten.

    Die Autor:innen analysierten 84 internationale Studien, vor allem aus dem Gebiet der Psychologie der Jahre 2000 bis 2021, die mit unterschiedlichen Methoden versuchten, Kreativität zu verbessern. Von zwölf identifizierten Methoden waren besonders umfangreiche, zeitintensive Trainings besonders effektiv. Sie vermittelten über mehrere Wochen das Konzept der Kreativität sowie eine Reihe an Methoden, wie etwa Assoziationsübungen oder Brainwriting, um diese in unterschiedlichen Situationen anzuwenden. Für eine vergleichbare Steigerung sorgen zudem insbesondere Meditation, kulturelle Exposition durch Auslandsaufenthalte und freie Assoziationstechniken – und dass bei vergleichsweise wenig Aufwand. Der Konsum von Drogen wie Marihuana, dem Arzneimittel Adderall oder Alkohol hat entgegen der weitverbreiteten Annahme keinerlei positiven Einfluss auf kreative Leistungen.

    „Es gibt viele Möglichkeiten, um kreatives Denken positiv zu beeinflussen und zu fördern. Kreativität ist keine Fähigkeit, die es zu erlernen und dann anzuwenden gilt. Kreativität ergibt sich viel mehr aus den Einstellungen, Emotionen und Erwartungen, die eine Person in dem Moment hat, in dem sie vor einer kreativen Herausforderung steht“, erklärt Erstautorin und Kreativitätsexpertin Jennifer Haase. Diese Sichtweise eröffnet einige Möglichkeiten, subtil aber nachhaltig Kreativität im (Berufs-)Alltag zu etablieren.

    „Es ist besonders interessant und auch ermutigend, dass Drogen keinen Einfluss auf die Kreativität haben in Anbetracht von deren Nebenwirkungen. Interessanterweise glauben allerdings Menschen, die Drogen konsumiert haben, dass sie kreativer seien, auch wenn das tatsächlich nicht der Fall ist. Das unterstreicht, dass wir uns nicht auf Selbsteinschätzungen von Menschen verlassen können, sondern objektive Kreativitätstests brauchen“, fügt Mitautor Dr. Paul Hanel hinzu.

    An der Studie waren neben Jennifer Haase vom Institut der Informatik der HU auch Dr. Paul Hanel vom Institut für Psychologie der Universität Essex in Großbritannien sowie Prof. Dr. Norbert Gronau vom Institut der Wirtschaftsinformatik der Universität Potsdam beteiligt.

    Kreatives Denken ist die Grundlage jeglichen Fortschritts und jeglicher Innovation und auch für das Wohlbefinden im Alltag von größter Bedeutung. Insbesondere durch den vermehrten Einsatz künstlicher Intelligenz werden standardisierbare Tätigkeiten automatisiert und damit aus dem Tätigkeitsbereich von uns Menschen genommen. Kreatives Denken ist – noch – eine vermehrt menschliche Kompetenz, der durch die Digitalisierung umso mehr Bedeutung zukommt.

    Publikation
    Haase, J., & Hanel, P. H. P., & Gronau, N. (2023). Creativity Enhancement Methods for Adults: A Meta-Analysis. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts.

    Link zur Studie

    Pressestelle der Humboldt-Universität zu Berlin, 28.3.2023

  • Haben Darmbakterien Einfluss auf das Verlangen nach Alkohol?

    Rauschtrinken verändert die Zusammensetzung der Darmbakterien. Eine Studie mit jungen Erwachsenen konnte Hinweise dafür finden, dass mit der veränderten Darmflora auch das Verlangen nach Alkohol zunimmt.

    Der Mensch ist quasi nur zur Hälfte Mensch. Allein unser Magen-Darm-Trakt beherbergt etwa 10 Billionen Mikroorganismen. Das ist ungefähr die Anzahl an Zellen des gesamten menschlichen Körpers. Die Gesamtheit der Bakterien und anderer Mikroorganismen im Darm wird als Darmmikrobiom bezeichnet. Den größten Anteil am Mikrobiom haben Darmbakterien, die eine wichtige Funktion erfüllen: Sie verdauen Nahrung und bekämpfen schädliche Erreger. Aber das ist noch nicht alles. Der Darm steht über Nerven und Botenstoffe in engem Austausch mit unserem Gehirn. Bakterien und Gehirn „sprechen“ dabei nicht nur über Darm-Themen. Die sogenannte Darm-Gehirn-Achse ist vermutlich auch an der Steuerung unserer Stimmung und unseres Verhaltens beteiligt. Beispielsweise hat eine Studie, in der Stuhl von Alkoholabhängigen auf Mäuse transplantiert wurde, Erstaunliches hervorgebracht: Das Sozialverhalten der kleinen Nager hat sich verändert. Zudem machten sie einen depressiven Eindruck.

    In einer aktuellen Studie aus Irland wollte ein Forschungsteam mehr über das Zusammenspiel von Darmbakterien und Gehirn herausfinden. Dafür untersuchten die Forscher:innen, wie sich Rauschtrinken auf das Darmmikrobiom, auf die Stimmung und auf das Verhalten auswirkt.

    An der Studie nahmen 71 junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren teil. Über drei Monate machten die Teilnehmenden Angaben zu ihrem Alkoholkonsum und zu ihrem Essverhalten. In einem Test wurde untersucht, wie gut sie Gefühle in Gesichtern erkennen können. Anhand von Stuhlproben der Teilnehmenden ermittelte das Forschungsteam, welche Bakterien im Darm leben.

    Als die Forschenden die Stuhlproben verglichen, stellten sie fest: Bei den Personen, die in den drei Monaten Rauschtrinken betrieben, veränderte sich die Zusammensetzung der Darmbakterien. Während der Anteil einiger Bakterien zurückging, waren andere Bakterienarten stärker vertreten. Personen, die sich öfter betranken, zeigten auch häufiger impulsive Züge und ein intensives Verlangen nach Alkohol. Der Abgleich mit den Stuhlproben offenbarte, dass sowohl Impulsivität als auch das verstärkte Verlangen nach Alkohol mit einer anderen Zusammensetzung der Darmbakterien in Zusammenhang stand. Das Forschungsteam konnte außerdem beobachten, dass die trinkfreudigeren jungen Erwachsenen schlechter Gefühle bei anderen Menschen erkannten, wenn ihnen Fotos mit Gesichtsausdrücken vorgelegt wurden. Sie konnten Gesichter, die Traurigkeit oder Ekel ausdrückten, schlechter erkennen. Auch hier zeigte sich ein Zusammenhang mit einer bestimmten Veränderung in der Zusammensetzung der Darmbakterien.

    Die Studie liefert damit Hinweise, dass Darmbakterien mit verstärkter Impulsivität und einem vermehrten Verlangen nach Alkohol in Verbindung stehen. Beides sind Kennzeichen einer Abhängigkeit. Das Forschungsteam gibt zu bedenken, dass es sich bei den Teilnehmenden noch um Heranwachsende handelt, deren Gehirnentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Das durch Rauschtrinken veränderte Darmmikrobiom könnte sich daher nachhaltig ungünstig auf ihre weitere emotionale Entwicklung auswirken und das Risiko einer Abhängigkeitsentwicklung erhöhen.

    Die Frage nach Ursache und Wirkung konnten die Forschenden mit den Ergebnissen jedoch nicht klären. Unklar ist, ob die veränderte Zusammensetzung der Darmbakterien eher Ursache oder eher Folge ist. Was die Studie allerdings wieder einmal verdeutlicht: Rauschtrinken hinterlässt Spuren, auch im Darm.

    Quelle: www.drugcom.de, 29.3.2023

  • Angehörigenarbeit im Rahmen der Suchthilfe

    Am 1. Juli 2022 erschien die „Apotheken Umschau“ mit dem Titelthema „Im Netz der Sucht. Eine Abhängigkeit betrifft nie nur den Abhängigen selbst. Wo Angehörige Hilfe finden“. Diese Schlagzeilen auf der Titelseite machten schon den Tenor des im Heftinneren folgenden Artikels deutlich: Die Angehörigen werden vergessen und übersehen, so auch die Klage des später interviewten Psychologen und Psychotherapeuten Jens Flassbeck. Der Beitrag wollte also zu Recht auf eine Lücke im Suchthilfesystem aufmerksam machen, nämlich dass die ganze Aufmerksamkeit von Politik und Forschung nur auf dem Hilfesystem für suchtkranke Menschen liege, nicht aber bei den Angehörigen. Abhängigkeit sei ein „soziales System“ und Angehörige von Suchtkranken litten, wie Suchtkranke selbst, häufig unter Depressionen, Angststörungen oder psychosomatischen Symptomen. Die wissenschaftliche Forschung in diesem Bereich sei „dürftig“.

    So richtig das für viele Jahrzehnte in der Suchtforschung und Suchthilfe gewesen ist, so wenig trifft es aber für die letzten Jahre zu, denn sowohl im Bereich der Forschung als auch im Hilfesystem selbst wird der Angehörigenarbeit mittlerweile ein größerer Stellenwert eingeräumt! Die Forschungsarbeiten der Lübecker Suchtforscher um Gallus Bischof (z. B. Bischof 2017) machen das deutlich. Die Lübecker Forscher erkennen die Bedeutung des lange Zeit wenig untersuchten Themas, ebenso wie der Kölner Suchtforscher Michael Klein, der das Thema der „suchtbelasteten Kinder“ in den Fokus rückte (z. B. Klein 2001), was von den verschiedenen Sucht- und Drogenbeauftragten der Bundesregierung spätestens seit 2001 dankbar aufgegriffen wurde.

    Das Thema Angehörige greift auch die Suchttherapeutin und Suchtforscherin Larissa Hornig in ihrer kürzlich publizierten Untersuchung „Angehörigenarbeit im Rahmen der Suchthilfe. Empfehlungen für eine verbesserte Praxis“ auf. Sie stellt dar, dass in verschiedenen Studien die negativen Auswirkungen von Substanzgebrauchsstörungen auf die Gesundheit von Angehörigen vielfach und eindeutig belegt wurden. Dementsprechend stellen auch Angehörige eine wichtige Zielgruppe für die Suchthilfe dar, für die es ein flächendeckendes und bedarfsorientiertes Unterstützungsangebot zu schaffen gilt. Es ist richtig, dass es sich bei Substanzgebrauchsstörungen (SGS) nahezu immer auch um eine Beeinträchtigung und Störung des gesamten Beziehungs- und Familiensystems handelt und die Auswirkungen des Alkohol- oder Substanzkonsums ebenfalls für Angehörige von Betroffenen in irgendeiner Form spürbar werden. Sinnvoll wäre es allerdings, den Familienbegriff noch zu erweitern und darunter nicht nur die „traditionelle Familie (Frau-Mann-Kind) zu verstehen, sondern unterschiedliche Beziehungsformen und Lebenspraktiken einzubeziehen (Patchworkfamilien, gleichgeschlechtliche Beziehungen etc.). Dies ist in der Suchthilfe noch nicht angekommen. Spezifische Angebote etwa für gleichgeschlechtliche Partner:innen gibt es m.W. so gut wie nicht in der Suchthilfe.

    Wichtig bleibt jedoch die Erkenntnis, dass Angehörige von Menschen mit Substanzgebrauchsstörungen eine eigenständige Zielgruppe für die Suchthilfe repräsentieren und genau wie die Betroffenen selbst oftmals Unterstützung benötigen. Richtigerweise kritisiert Larissa Hornig den Begriff der Co-Abhängigkeit als eine Viktimisierung, die in diesem Kontext vor allem Frauen und Partnerinnen betrifft. Zu Recht wird auch kritisiert, dass in den ambulanten Entwöhnungsbehandlungen zwar bis zu zwölf Gruppen- und Einzelgespräche mit Bezugspersonen möglich sind und die Einbeziehung des sozialen Umfelds somit zwar selbstverständlich geworden ist, jedoch vom Kostenträger enge Grenzen gesetzt sind und es sich folglich eher um familienbezogene Therapien als um Familientherapie handelt.

    Mittlerweile existieren einige gute Ansätze, die nach wie vor nicht flächendeckend in Institutionen der Suchthilfe implementiert sind, jedoch als vielversprechende Orientierung für die Praxis auch in Deutschland dienen können, etwa die Multidimensionale Familientherapie (MDFT), die in den USA bereits seit längerem praktiziert wird. Die MDFT wurde in Deutschland mit positiven Ergebnissen im Rahmen eines Projektes zur Unterstützung von Eltern, deren Kinder Probleme mit dem Cannabiskonsum entwickelt haben, erprobt. Flächendeckend ist das Konzept aber bis heute nicht umgesetzt worden. Larissa Hornigs Publikationen sollte in den Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe große Aufmerksamkeit finden. Ich kann das Buch nur dringend empfehlen!

    Bibliografische Angaben:
    Larissa Hornig
    Angehörigenarbeit im Rahmen der Suchthilfe
    Empfehlungen für eine verbesserte Praxis
    Nomos, Baden-Baden 2023, 148 Seiten, broschiert
    ISBN 978-3-8487-7595-8
    39,00 €

    Literatur:
    • Bischof, G. (2017) Sucht und Angehörige: Suchttherapie 2017; 18(04): 171 DOI: 10.1055/s-0043-120420
    • Klein, M. (2001) Kinder aus alkoholbelasteten Familien – Ein Überblick zu Forschungsergebnissen und Handlungsperspektiven [Children of alcohol abusing or dependent parents – a review of research results and treatment perspectives]. Suchttherapie 2, 118 – 124.

    Rezension: Dr. Ingo Ilja Michels, April 2023
    Dr. Ingo Ilja Michels, Soziologe, Fachberater für Suchtkrankenhilfe, tätig in verschiedenen Forschungsprojekten an der Frankfurt University of Applied Sciences, langjähriger Leiter des Arbeitsstabes der Drogenbeauftragten der Bundesregierung im Bundesministerium für Gesundheit
    Kontakt: ingoiljamichels@gmail.com

  • Neue Eckpunkte zu Cannabis nach Gesprächen mit der EU-Kommission

    Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir stellten am 12. April neue Eckpunkte zur Legalisierung von Cannabis in Deutschland vor. Über die Inhalte informiert die Pressemitteilung des BMG:

    Bundesgesundheitsminister Lauterbach (rechts) und Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir bei der Pressekonferenz. Quelle: phoenix

    Erwachsene sollen künftig Cannabis in bestimmten Mengen privat oder in nicht-gewinnorientierten Vereinigungen anbauen dürfen sowie im Rahmen eines regionalen Modellvorhabens in lizenzierten Fachgeschäften erhalten können. Darauf hat sich die Bundesregierung nach Gesprächen mit der EU-Kommission über das Eckpunktepapier vom 26. Oktober 2022 geeinigt. Ziel bleibt weiterhin, die Qualität zu kontrollieren, die Weitergabe verunreinigter Substanzen zu verhindern, den Jugendschutz sowie den Gesundheitsschutz für Konsumentinnen und Konsumenten bestmöglich zu gewährleisten sowie den Schwarzmarkt einzudämmen.

    In einem ersten Schritt sollen der Anbau in nicht-gewinnorientierten Vereinigungen und der private Eigenanbau bundesweit ermöglicht werden. Die Abgabe in Fachgeschäften wird in einem zweiten Schritt als wissenschaftlich konzipiertes, regional begrenztes und befristetes Modellvorhaben umgesetzt. In dem Modellvorhaben können die Auswirkungen einer kommerziellen Lieferkette auf den Gesundheits- und Jugendschutz sowie den Schwarzmarkt wissenschaftlich genauer untersucht werden.

    Die Eckpunkte des 2-Säulen-Modells („Club Anbau & Regional-Modell/ CARe) wurden vom Bundesgesundheitsministerium als Federführer erarbeitet. Beteiligt waren entsprechend der fachlichen Zuständigkeiten außerdem folgende Ministerien: das Bundesinnenministerium, das Bundesjustizministerium, das Bundeslandwirtschaftsministerium, das Bundeswirtschaftsministerium und das Auswärtige Amt. Die EU- und völkerrechtlichen Grenzen wurden dabei berücksichtigt. Auf Basis des Eckpunktepapiers wird die Bundesregierung jetzt kurzfristig einen Gesetzentwurf vorlegen.

    Das 2-Säulen-Modell im Einzelnen

    1. Säule: Privater & gemeinschaftlicher, nicht-gewinnorientierter Eigenanbau

    • Nicht-gewinnorientierte Vereinigungen dürfen unter engen, klar definierten gesetzlichen Rahmenbedingungen gemeinschaftlich Cannabis zu Genusszwecken anbauen und an Mitglieder für den Eigenkonsum abgeben. Die Mitglieder sollen möglichst aktiv in der Vereinigung mit­wirken. Eine Mitwirkung von Mitarbeitenden der Vereinigungen beim Anbau ist zulässig, eine Beauftragung Dritter mit dem Anbau wird hingegen ausgeschlossen.
    • Die Rahmenbedingungen für den Umgang werden in einem gesonderten Gesetz geregelt.
    • Neben dem geernteten Genusscannabis dürfen an die Mitglieder auch von der Vereinigung er­zeugte Samen und Stecklinge für den Eigenanbau abgegeben werden. Es wird geprüft, ob und wie Saatgut und/oder Stecklinge für den privaten Eigenanbau zu Selbstkosten über die Verein­igungen bezogen werden dürfen, ohne dass die Mitgliedschaft in einer Vereinigung dafür Vor­aussetzung ist.
    • Zulassung und Überwachung erfolgen durch Landesbehörden u. in Bezug auf die Einhaltung der Mengen-, Qualitäts- und Jugendschutzvorgaben und mit Stichproben und Besuchen vor Ort. Personenbezogene Daten, die im Zusammenhang mit der Abgabe von Genusscannabis, Samen und Stecklingen an Mitglieder von den Vereinigungen erhoben wurden, dürfen nicht an unbefugte Dritte weitergegeben oder zu anderen Zwecken verwendet werden. Eine Mitglied­schaft in mehreren Vereinigungen ist untersagt.
    • Bußgelder, Zulassungsentzug bzw. Geld-/Freiheitsstrafen bei mehrfachen Ver­stößen sind möglich.
    • Anbau- und Erntemengen sind auf Bedarfsdeckung ausgerichtet. Es gibt Berichts- und Doku­mentationspflichten zu erzeugten und abgegebenen Mengen. Es gilt ein Verbot des Im- oder Exports von Genusscannabis.
    • Mitgliedsbeiträge decken die Selbstkosten, gestaffelt nach Abgabemenge (ggf. mit Grund­­pauschale und zusätzlicher Betrag je abgegebenem Gramm).
    • Die Anzahl der Mitglieder je Vereinigung wird auf max. 500 begrenzt mit einem Mindestalter von 18 Jahren und Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland. Die Anzahl der Vereinigungen kann nach Bevölkerungsdichte begrenzt werden.
    • Eine Führung der Vereinigung ist nur durch natürliche Personen möglich, deren Zuverlässigkeit überprüft wurde. Die Vereinigung wird nach den Grundsätzen des Vereinsrechts geleitet. Eine persönliche Haftung des Vorstands der Vereinigung bei Vermögensschäden oder der Verletzung von behördlichen Auflagen soll nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit erfolgen.
    • Die Beschaffung von Saatgut für den (Erst-)Anbau in den Vereinigungen wird ermöglicht. Die Importmöglichkeit von Saatgut aus Drittstaaten wird geprüft.
    • Die Abgabe des geernteten Cannabis (Blüten) ist ausschließlich an Mitglieder erlaubt; keine Weiter­gabe an Dritte; max. 25 Gramm Cannabis pro Tag, max. 50 Gramm pro Monat, max. 7 Samen oder 5 Steck­linge pro Monat. Die Abgabe an Heranwachsende unter 21 Jahren ist begrenzt auf eine Menge von 30 Gramm pro Monat, zusätzlich mit einer Begrenzung des zulässigen THC-Gehalts (Grenze noch zu klären). Dies sollte sich in der Sortenauswahl widerspiegeln.
    • Es wird geprüft, ob und wie Samen und Stecklinge zur Qualitätssicherung zwischen Vereini­gungen unentgeltlich getauscht werden können.
    • Für gemeinschaftlichen Eigenanbau gelten Qualitätsvorgaben (insbesondere Verbot von Zusatz­stoffen oder Beimengungen wie z. Tabak oder Aromen, Vorgaben zu Pflanzenschutzmitteln, keine synthetischen Cannabinoide).
    • Eine Abgabe erfolgt nur in Reinform (Blüten oder Harz) in neutraler Verpackung oder lose mit bei­gefügten Informationen zu Produkt (Sorte, einschließlich deren üblicher durchschnittlicher THC-Gehalt und Gehalt anderer Cannabinoide wie CBD), Dosierung und Anwendung sowie zu Risiken des Konsums und Beratungsstellen.
    • Konsum in den Räumlichkeiten der Vereinigung ist ebenso verboten wie der öffentliche Kon­sum nahe Schulen, Kitas o. ä. sowie in Fußgängerzonen bis 20 Uhr.
    • Es gilt gleichzeitig ein Verbot der Ausgabe von Alkohol, Tabak oder anderen Genuss- und Rausch­­­mitteln.
    • Der Zutritt ist nur erlaubt für Erwachsene mit einer strikten Pflicht zur Alterskontrolle.
    • Es gelten Auflagen zu Jugendschutz und Prävention: Von der Vereinigung zu ernennende Jugend­schutz-, Sucht- und Präventionsbeauftragte haben nachgewiesene Sachkenntnisse; es gibt eine verpflichtende Kooperation mit der lokalen Suchtpräventions- bzw. Suchtberatungsstelle und einen Mindestabstand zu Schulen, Kitas o. ä.
    • Es gilt ein allgemeines Werbeverbot für die Vereinigungen und für Cannabis. Zulässig sind sach­liche Informationen.
    • Mindestschutzmaßnahmen (z. B. einbruchsichere Räumlichkeiten, Umzäunung) verhindern einen Zugriff unbefugter Dritter.
    • Straffreier Besitz (Mitführen in der Öffentlichkeit) ist möglich zum Eigenkonsum bis 25 Gramm; es gelten Strafvorschriften für darüber hinaus gehenden Besitz, für Handel und Abgabe an Nicht-Mitglieder sowie Kinder und Jugendliche sowie für die Abgabe von nicht in den Vereinigungen selbst angebautem Cannabis.
    • Die Grenzwerte im Straßen-, Schiffs- und Luftverkehr werden unter Einbeziehung der ein­schlägigen Fachgremien überprüft. Regelungen über die Zulässigkeit von Fahrten unter Einfluss von Cannabis orientieren sich dabei ausschließlich an den Erfordernissen der Verkehrssicher­heit.
    • Der straffreie private Eigenanbau umfasst max. 3 weibliche blühende Pflanzen und ist vor dem Zugriff durch Kinder und Jugendliche zu schützen.
    • Es wird ermöglicht, Verurteilungen, die ausschließlich wegen Handlungen im Zusammenhang mit Cannabis eingetragen sind, für die das Gesetz künftig keine Strafe mehr vorsieht (Besitz bis 25 Gramm/Eigenanbau bis max. 3 weibliche blühende Pflanzen), auf Antrag aus dem Bundeszentral­register löschen zu lassen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes werden laufende Ermittlungs- und Straf­verfahren zu diesen Handlungen durch die bereits in der StPO vorgesehenen Möglich­keiten beendet.
    • Der Anwendungsbereich des Bundesnichtraucherschutzgesetzes wird auf das Rauchen von Produkten in Verbindung mit Cannabis erweitert; ein darüberhinausgehender Nichtraucher­schutz entsprechend der Regelungen für Tabak muss sichergestellt sein.
    • Die Teilnahme an Frühinterventions- und Präventionsprogrammen für Minderjährige, wenn sie Cannabis besitzen oder konsumieren, ist verbindlich.
    • Nach 4 Jahren erfolgt eine Evaluation der Vorgaben zur Säule 1 mit dem Ziel der Prüfung evtl. Anpassungen hinsichtlich Gesundheits- und Jugendschutz sowie Zurückdrängung des Schwarz­markts.

    Ergänzend sind die im Eckpunktepapier vom 26. Oktober 2022 formulierten Maßgaben zum Jugend- und Gesundheitsschutz umzusetzen. Beabsichtigt ist, dieses Regelungsvorhaben so aus­zu­ge­stalten, dass keine Notifizierungspflicht aus­gelöst wird.

    2. Säule: Regionales Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten

    Die zweite Säule setzt im nächsten Schritt auf dem Weg zu einer bundesweiten Regelung die weiteren Ansätze aus dem Eckpunktepapier vom 26. Oktober 2022 einschließlich einer Evaluation als wissenschaftlich konzipiertes, regional und zeitlich begrenztes Modell um: Unternehmen wird die Produktion, der Vertrieb und die Abgabe in Fachgeschäften von Genusscannabis an Erwachsene in einem lizensierten und staatlich kontrollierten Rahmen ermöglicht. Mit dieser Säule können die Auswirkungen einer kommerziellen Lieferkette auf den Gesundheits- und Jugendschutz sowie den Schwarzmarkt wissenschaftlich untersucht werden.

    • Die Projektlaufzeit beträgt 5 Jahre ab eingerichteter Lieferkette.
    • Es gilt eine räumliche Begrenzung auf Abgabestellen und erwachsene Einwohner bestimmter Kreise/Städte in mehreren Bundesländern (Opt-in-Ansatz).
    • Im Rahmen des Gesetzes wird eine Zulassung der Abgabe von Edibles unter Wahrung strenger Jugend- und Gesundheits­schutz­­vorschriften geprüft.
    • Das Modell wird wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Die Erkenntnisse werden den Europäischen Partnern und der EU-Kommission zur Verfügung gestellt.
    • Auch der Gesundheits- und Jugendschutz folgt dem Eckpunktepapier vom 26. Oktober 2022.

    Dieser Teil des Vorhabens ist voraussichtlich weiterhin notifizierungspflichtig.

    Bei der Umsetzung des 2-Säulen-Modells legt die Bundesregierung dessen völker- und EU-rechtlichen Rahmen zugrunde. Sie wird sich gegenüber den entsprechenden VN-Gremien auf die 1993 bei der Ratifizierung des UN-Abkommens aus 1988 abgegebene Interpretationserklärung berufen und eine Stellungnahme abgeben, mit der sie das Vorhaben als mit dem Zweck und den recht­lichen Vorgaben der VN-Übereinkommen vereinbar erklärt. Zudem wird es auf eine enge und transparente Abstimmung mit den Europäischen Partnern ankommen.

    Die Bundesressorts gehen bei allen Teilen des Vorhabens im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit unter Gesamtfederführung des BMG arbeitsteilig vor. Beide Säulen fließen ein in konkrete Gesetz­entwürfe, wobei der Arbeitsentwurf zur Säule 1 im April 2023 vorgelegt wird, danach der Gesetzentwurf zur Säule 2. Die Ergebnisse des bereits beauftragten wissenschaft­lichen Gut­achtens zu den Auswirkungen der Legalisierung von Genusscannabis auf den Gesundheits- und Jugendschutz in anderen Staaten werden bei beiden Säulen berücksichtigt.

    Parallel setzt die Bundesregierung (insbesondere über die Auslandsvertretungen) ihre Bemühungen fort, für ihre Ansätze bei den europäischen Partnern zu werben und dabei auch zu prüfen, inwieweit die Initiative einer ausreichenden Zahl von EU-Mitgliedstaaten möglich sein wird, um mittelfristig den einschlägigen EU-Rechtsrahmen zu flexibilisieren und weiterzuentwickeln.

    Pressestelle des Bundesministeriums für Gesundheit, 12.4.2023

  • Streetwork im Netz

    Katrin Bahr (Condrobs), Beatrix Zurek (Leitung Gesundheitsreferat der Landeshauptstadt München), Burkhard Blienert (Drogenbeauftragter), Frederik Kronthaler (Condrobs), Dr. Niklas Müller (Ministerium) (v.l.n.r.); Fotocredit: Condrobs

    Digitale Streetwork ist ein aufstrebendes, sich in der Pionierphase befindendes Arbeitsfeld, das zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Prinzipien der traditionellen aufsuchenden Arbeit in die digitale Welt zu übertragen, um junge Menschen – insbesondere Suchtmittelkonsumierende –, dort zu erreichen, wo sie sich im digitalen Raum aufhalten, ist eine neue wichtige Aufgabe der Sozialen Arbeit. Rund 200 Teilnehmer:innen waren gespannt, welche Erkenntnisse sie beim „Fachtag Streetwork im Netz“ erwarten würden. Der Fachtag fand am 20.03.2023 in der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern statt und wurde von Condrobs e. V. und dem Fachverband Drogen- und Suchthilfe e. V. (fdr+) veranstaltetet.

    Eröffnung

    Eingeleitet wurde die gut besuchte Veranstaltung mit Grußworten von Condrobs-Geschäftsführer Frederik Kronthaler, Condrobs-Vorständin Katrin Bahr im Namen des fdr+, dem Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert, Dr. Niklas Müller vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege und Verena Dietl, 3. Bürgermeisterin der Landeshauptstadt München (Letztere per Videobotschaft).

    Junge Menschen im (post-)digitalen Raum

    Dr. Niels Brüggen, Leiter der Abteilung Forschung am JFF-Institut für Medienpädagogik, gab Einblicke in die Welt junger Menschen im (post-)digitalen Raum. Er erklärte, wie Jugendliche digitale Räume nutzen und was in diesen kommuniziert wird. Die Erläuterungen der Funktion von Algorithmen und ihre Bedeutung für die Sichtbarkeit und Wahrnehmung von Inhalten sind für die digital aufsuchende Sozialarbeit wichtige Wissengrundlagen für ihren Auftritt im digitalen Raum. Sowohl Handlungsnotwendigkeiten als auch Perspektiven und Herausforderungen, die sich daraus für die pädagogische Arbeit ergeben, wurden deutlich.

    Die Technologie bestimme längst Kommunikation und soziale Interaktion. Junge Menschen informieren sich zunächst über soziale Netzwerke und Plattformen, Medien wie Fernsehen sind weit abgeschlagen. Dabei bestimmen Algorithmen, die vom bisherigem Nutzer:innenverhalten „gefüttert“ sind, welche Informationen aktiv angeboten werden.

    Brüggen führte aus, es entstehe eine neue Art von Umgebung, in der junge Menschen interagieren und kommunizieren. Damit Soziale Arbeit und pädagogische Angebote im Netz sichtbar und zugänglich seien, sei ein tieferes Verständnis erforderlich, wie junge Menschen Technologie nutzen und welche Kommunikationsmuster sie haben. Um Angebote zu schaffen, die für die Zielgruppe relevant und ansprechend sind, sei Voraussetzung, Motivationen und Interessen der Zielgruppe zu verstehen.

    Condrobs-Projekt Streetwork im Netz – konkrete Umsetzung

    Zentraler Inhalt des Fachtags war das Condrobs-Projekt Streetwork im Netz. Die Condrobs-Projektverantwortlichen Svenja Schürmann und Patrick Hey gaben Einblick in die konkrete Umsetzung der digital aufsuchenden Arbeit mit der Zielgruppe suchtmittelkonsumierender und gefährdeter junger Menschen. Die Daten zu Anzahl und Altersstruktur der erreichten jungen Menschen zeigen, dass das digitale Aufsuchen gelingt. Zentral ist die Vermittlung in weiterführende Hilfen.

    Die Prinzipien der Streetwork wie Niedrigschwelligkeit, Transparenz und Freiwilligkeit (um nur einige zu nennen) werden konsequent auch in der digitalen Streetwork angewendet. Die angesprochenen User:innen auf den Plattformen schätzen u. a., dass sie sich anonym an die Streetworker:innen wenden können und im Kontakt Wertschätzung statt Stigmatisierung erfahren. Neben der Beratung und Vermittlung in Hilfen gehen die Streetworker:innen auch auf mögliche Konsumrisiken ein und geben Safer-Use-Tipps.

    Die aktuelle Finanzierung des Projektes umfasst eine Stelle und läuft im Mai aus. Die immer wieder unzureichenden und befristeten Finanzierungen, mit denen das Condrobs-Projekt seit Projektbeginn 2018 kämpft, erlauben bislang keine größeren Entwicklungsschritte. Insgesamt muss politisch anerkannt werden, dass sich Soziale Arbeit den Aufgabenfeldern im Internet, das als Lebenswelt (junger) Menschen verstanden werden muss, umfassender, strukturiert und mit der erforderlichen Ausstattung widmen muss. Die Ausstattung muss langfristige und strategische Planungen und Umsetzungen ermöglichen. Hierfür sind entsprechende Anpassungen auch in Bezug auf Förderrichtlinien nötig, die bislang längerfristige Förderungen verhindern.

    Condrobs-Projekt Streetwork im Netz – Ergebnisse der Begleitforschung der TH Nürnberg

    Die Ergebnisse der Begleitforschung zum Condrobs-Projekt Streetwork im Netz präsentierte Prof. Dr. Robert Lehmann, Leiter des Instituts für E-Beratung an der TH Nürnberg, zusammen mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Mara Stieler. Gleich zu Beginn machte er deutlich: „Was Condrobs macht, funktioniert.“

    In der Begleitforschung wurden verschiedene qualitative und quantitative Methoden eingesetzt, um Potenziale für die aktive Ansprache im digitalen Raum zu erforschen. Dabei konnten Lehmann und sein Team zentrale Wirkfaktoren im Bereich der digitalen Streetwork identifizieren. Dazu gehört

    die Bedeutung der Netzidentität des Streetwork-Teams, um transparent zu sein und Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu schaffen. Weiterhin wurde die Rolle von Gatekeepern, die Zugang zu Foren und Plattformen schaffen und fördern können, erläutert. Dargestellt wurde zudem, wie wichtig angesichts der Schnelllebigkeit des Internets ein kontinuierliches Monitoring ist, um als Streetwork-Team immer auf dem neuesten Stand zu sein und zu wissen, wo und wie ein Zugehen auf die Zielgruppe sinnvoll ist.

    Ein sehr zentrales Ergebnis der Begleitforschung ist, dass Streetwork im Netz junge Menschen erreicht, die bislang von den bestehenden Versorgungsstrukturen nicht erreicht wurden oder die sich vom Hilfesystem abgewandt haben. Hier baut Streetwork im Netz Brücken, um frühzeitige Hilfen zu ermöglichen. Die Ergebnisse der Studie zeigen eine hohe Zufriedenheit mit der Art der Ansprache und Beratung durch die Condrobs-Streetworker:innen. Die Empfehlung aus der Begleitstudie ist daher, Angebote mit den als wichtig und wirksam ermittelten Standards strukturiert und langfristig zu fördern.

    Ein gelungener Austausch

    Nach einer Pause wurden weitere Projekte vorgestellt, die aufsuchend im Netz arbeiten. Behandelt wurden dabei Themen wie Hate Speech, radikale und extremistische Narrative auf Social-Media-Plattformen sowie aufsuchende Beratungsarbeit in den sozialen Medien für zugewanderte Frauen.

    In der Plenumsdiskussion wurden offene Fragen, künftige Handlungsempfehlungen und noch zu bewältigende Herausforderungen diskutiert. Alle Projekte, die beim Fachtag vorgestellt wurden, haben gemein, dass sie Neuland betreten haben und mit befristeten Fördergeldern ausgestattet sind. Die Wirksamkeit und Innovation der Projekte ist gegeben und wird allgemein anerkannt und geschätzt, dennoch fehlen längerfristige und breit gedachte Perspektiven für Verstetigungen sowie Ressourcen für Weiterentwicklungen und Ausbau. Hier sind Politik und Verwaltung gefragt, Lösungen zu finden. Soziale Arbeit muss zwingend ergänzend zu bestehenden analogen Versorgungsstrukturen breit aufgestellt in den digitalen Räumen aufsuchend Bedarfe identifizieren und Hilfeangebote machen.

    Über Condrobs
    Condrobs e. V. ist ein überkonfessioneller Träger mit vielfältigen sozialen Hilfsangeboten in ganz Bayern. Das Angebot umfasst innovative Projekte und Einrichtungen der Prävention, Sucht- und Wohnungslosenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe sowie Migrationsarbeit. Weitere Informationen unter www.condrobs.de

    Pressestelle von Condrobs e. V., 22.03.2023

  • Jugendliche und soziale Medien

    Für Jugendliche ist Social Media das Kommunikationsmittel der Wahl. Eine neue Auswertung mit Daten des Nationalen Bildungspanels zu den Kompetenzen im Bereich der digitalen Medien (ICT-Kompetenzen, Information and Communication Technologies) von 15- bis 18-Jährigen hat jetzt überraschende Erkenntnisse geliefert: Aktivitäten wie Chatten oder das Teilen von Bildern und Videos wirken sich nicht positiv auf die Kompetenzen beim Umgang mit digitalen Kommunikations- und Informationstechnologien aus. Im Gegenteil kann eine zu intensive Nutzung sozial-interaktiver Dienste sogar zu insgesamt geringeren digitalen Kompetenzen bei den Jugendlichen führen.

    Beim Hausaufgaben machen oder Vokabeltraining schnell nebenbei eine Chatnachricht beantworten, ein Video teilen oder ein Selfie hochladen – Jugendliche nutzen soziale Medien häufig zur Unterhaltung, Zerstreuung und Ablenkung. Und genau dieses Verhaltensmuster kann sich negativ auf ihre Fähigkeiten auswirken, digitale Kommunikationsmedien zielgerichtet und fachkundig zu nutzen – zum Beispiel zur Recherche und bei der Bewertung von Suchergebnissen. Die Autoren des jetzt veröffentlichten Berichts, Dr. Timo Gnambs vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe und Dr. Martin Senkbeil vom IPN Kiel, sprechen hier von dem Gegensatz zwischen sozial-interaktiven und instrumentellen Nutzungsmotiven. Während die Nutzung digitaler Medien zur Unterhaltung und zum sozialen Austausch wenig anspruchsvoll ist, zahlt dagegen etwa die gezielte Informationssuche bei einer Online-Recherche direkt auf die Fähigkeiten der jungen Erwachsenen ein, souverän mit digitalen Informationstechnologien umzugehen. Bildungsforschende nennen das die ICT-Kompetenzen. Diese zählen heute neben Schreiben, Lesen und Rechnen zu den Schlüsselqualifikationen.

    Nebenbei-Nutzung schadet

    Doch es sind nicht nur die wenig anspruchsvollen Aktivitäten, die schlecht für die Verbesserung der ICT-Kompetenzen sind. Als problematisch beurteilt Dr. Martin Senkbeil die Gewohnheit der Nebenbei-Nutzung: „Soziale Online-Medien werden von den Jugendlichen häufig parallel zu schulischen Aufgaben genutzt. Dieses Multitasking beeinträchtigt jedoch Verstehens- und Lernprozesse und im Ergebnis sehen wir insgesamt geringere ICT-Kompetenzen“, so der Forscher des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN). Gemeinsam mit Mit-Autor Dr. Timo Gnambs fordert Senkbeil deshalb, dass die Vermittlung anspruchsvoller informationsbezogener Fertigkeiten standardmäßig in den fachbezogenen Unterricht integriert werden sollte. Schülerinnen und Schüler sollen beispielsweise lernen, wie sie gezielt Informationen mit einer Online-Recherche suchen, diese beurteilen, weiterverarbeiten und präsentieren und so ihre Fähigkeiten im komplexen Denken und Problemlösen trainieren.

    Mädchen und Jungen gleich kompetent

    Gnambs und Senkbeil haben bei ihrer Untersuchung der repräsentativen Stichprobe von 15- bis 18-jährigen Jugendlichen in Deutschland (mehr als 14.000 Personen, die am Nationalen Bildungspanel teilnehmen) auch einen Blick auf die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen geworfen. Ihr Ergebnis: Entgegen der weitläufig verbreiteten Annahme unterscheiden sich die Geschlechter kaum in ihren ICT-Kompetenzen. Allerdings schätzen männliche Jugendliche ihre eigenen Fähigkeiten systematisch höher ein. Die Forscher vermuten deshalb, dass Frauen technologiebasierte Berufsfelder und Ausbildungen eher deshalb meiden, weil sie in Bezug auf ihre Kompetenzen weniger Selbstvertrauen haben. Da sich die Unterschiede in der Selbsteinschätzung in Jugendalter schon stark verfestigt haben, rät Gnambs zu frühzeitigen Fördermaßnahmen bereits in der Kindheit: „Frühe Förderung kann zu mehr Chancengleichheit in späteren Lebensjahren beitragen und die Entwicklung tatsächlicher Unterschiede bei den ICT-Kompetenzen verringern.“

    Alle Ergebnisse der Auswertung finden sich im vollständigen Bericht „Wie entwickeln sich ICT Kompetenzen im Jugendalter?“ der Reihe NEPS Forschung kompakt. Dieser steht auf https://www.lifbi.de/Transferberichte zum Download bereit und ist unter https://doi.org/10.5157/NEPS:FK01:1.0 dauerhaft verfügbar.

    Originalpublikation:
    Gnambs, T, & Senkbeil, M. (2023) Wie entwickeln sich ICT Kompetenzen im Jugendalter? (NEPS Forschung kompakt No. 1), Nationales Bildungspanel, Leibniz-Institut für Bildungsverläufe. https://doi.org/10.5157/NEPS:FK01:1.0

    Über das NEPS und die Transferberichtsreihe
    Das Nationale Bildungspanel (NEPS) besteht aus sieben großen Teilstudien, den sogenannten Startkohorten. Diese umfassen insgesamt mehr als 70.000 getestete und befragte Personen von der Geburt über Ausbildungs- und Erwerbsphase bis hinein in die Nacherwerbsphase sowie 50.000 zusätzlich befragte Personen aus deren Umfeld, etwa Eltern und pädagogisches Fachpersonal. Die Stichproben der Startkohorten wurden repräsentativ für ganz Deutschland gezogen. Die so erhobenen Daten werden anonymisiert und Bildungsforschenden weltweit zugänglich gemacht. Expertinnen und Experten aus 13 renommierten Forschungsinstituten arbeiten gemeinsam im deutschlandweiten NEPS-Netzwerk zusammen. Die Federführung liegt am LIfBi in Bamberg. Die Transferreihe NEPS Forschung kompakt – Aktuelle Auswertungen aus dem Nationalen Bildungspanel erscheint mehrmals im Jahr mit zentralen Forschungsergebnissen aus dem NEPS. Die Reihe wird vom NEPS-Netzwerkausschuss herausgegeben und von diesem verantwortet.

    Pressestelle des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe, 31.3.2023

  • Wo Giftstoffe aus Tabak die DNA angreifen

    Dass Toxine in Tabakrauch die DNA verändern können, ist bekannt – bisher allerdings nicht, an welchen Stellen des Erbguts sie dies tun. Ein neuer Ansatz von Forschenden der Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) bringt hier Klarheit. In Zukunft könnte man damit die Sicherheit vieler chemischer Stoffe einfacher als bisher bestimmen.

    Chemische Verbindungen aus Tabakrauch verändern die DNA von Lungenzellen so, dass längerfristig Krebs entstehen kann. Forschende der ETH Zürich haben solche Veränderungen nun zum ersten Mal genau lokalisieren können. Ihre Resultate sind eindeutig: Das von ihnen in Zellkulturexperimenten bestimmte Muster der DNA-Veränderungen stimmt mit bekannten Mutationen bei Lungenkrebs überein.

    Diese Ergebnisse sind zwar nicht die ersten, die den Zusammenhang von Zigarettenrauchen und Lungenkrebs aufzeigen – diese ursächliche Beziehung ist schon längst erwiesen. Doch erst jetzt konnten die Wissenschaftler:innen unter der Leitung von Shana Sturla, Professorin für Toxikologie an der ETH Zürich, mit ihrer neuen Methode kartieren, welche DNA-Bausteine dabei genau verändert werden. Mit dem gewählten Ansatz sollen dereinst auch die Auswirkungen anderer Giftstoffe auf die Zellen bestimmt werden können – und dies verhältnismäßig einfach in der Petrischale und mit molekularbiologischen Analysen. Bislang mussten solche toxikologischen Untersuchungen in Versuchstieren gemacht werden.

    In der nun in der Fachzeitschrift ACS Central Science veröffentlichten Studie fokussierten sich die Forschenden auf eine bestimmte chemische Verbindung: Benzopyren. Diese entsteht unter anderem beim Verbrennen von Tabak. Gelangt die Verbindung in den menschlichen Körper, wird sie von diesem zu ganz bestimmten Stoffwechselprodukten umgewandelt, die schon seit Längerem für ihre Giftigkeit bekannt sind. Die Wissenschaftler:innen nutzten diese Benzopyren-Abbauprodukte und gaben sie für ihre Untersuchungen zu Lungenzellen, die sie in Petrischalen kultivierten.

    Veränderungen als Vorstufe von Mutationen

    Schon länger bekannt ist, dass Benzopyren-Abbauprodukte mit dem DNA-Baustein Guanin (dem G unter den oft mit A, C, T und G abgekürzten Bausteinen) reagieren und diesen verändern (alkylieren). Zwar gibt es in den Zellen Reparaturmechanismen, welche diese Veränderung rückgängig machen können, allerdings greifen diese nicht in allen Fällen. Teilt sich eine Zelle, ohne dass zuvor die Alkylierung rückgängig gemacht worden ist, kommt es an dieser Stelle zu einer DNA-Mutation, und von diesen Mutationen können einige Krebs verursachen. Bekannt ist ebenfalls, dass die krebserzeugende Wirkung von Zigarettenrauch zu einem großen Teil auf die Benzopyren-Abbauprodukte zurückzuführen ist.

    Die ETH-Forschenden wollten nun bestimmen, welche Guanine auf der DNA von den Benzopyren-Abbauprodukten vorrangig verändert werden, und insbesondere welche dieser Veränderungen auch langfristig bestehen bleiben. Dazu benutzen sie Antikörper, welche sich spezifisch an veränderte Guanine heften. Mehrere Methoden halfen den Forschenden, diese Stellen anschließend zu kartieren. Bei einer dieser Methoden kopieren die Wissenschaftler:innen die DNA-Stränge ähnlich wie bei einer PCR-Reaktion. Gelangt die Kopiermaschinerie zu einem veränderten Guanin, wird sie blockiert, und der Kopiervorgang bricht ab. Mittels anschließender DNA-Sequenzierung können die Forschenden bestimmen, wo dieser Abbruch erfolgte – und somit auf den Ort der DNA-Veränderung schließen.

    Breite Palette von Chemikalien untersuchen

    Die Alkylierung von Guanin ist nur eine von unzähligen Möglichkeiten, wie Giftstoffe die DNA verändern können. Die Forschenden planen nun, ihren Ansatz so anzupassen, dass damit in Zukunft auch andere DNA-Veränderungen kartiert werden können – mit zahlreichen Anwendungen: Es wäre damit möglich, bei einer breiten Palette chemischer Verbindungen mit einfachen Zellkulturexperimenten das Risiko, Krebs zu verursachen, vorherzusagen. Ebenso könnte man untersuchen, welche Zelltypen und welche individuellen Erbanlagen für DNA-Veränderungen und somit für eine krebsverursachende Entartung besonders empfänglich sind.

    „Hat man einmal verstanden, welche Chemikalien welche DNA-Veränderungen hervorrufen, wird man auch den umgekehrten Weg gehen können und bei bekannten Genomveränderungen Aussagen dazu machen können, welche Giftstoffe mit großer Wahrscheinlichkeit zu diesen beigetragen haben“, erklärt Sturla.

    Außerdem können solche Tests in der Grundlagenforschung verwendet werden, um herauszufinden wie die charakteristischen Mutationsmuster in Krebszellen überhaupt zustande kommen. Schließlich denkt Sturla daran, mit dem Ansatz nicht nur chemische Giftstoffe zu untersuchen, sondern auch DNA-Veränderungen, die durch Umwelteinflüsse, durch Ernährung oder normale Zellalterung hervorgerufen werden.

    Für diese Studie arbeiteten die ETH-Wissenschaftler:innen mit solchen des Tabakkonzerns Philip Morris zusammen. Der Konzern beteiligte sich auch an der Finanzierung der Forschung. Weitere Fördergelder für diese Studie stammten vom Schweizerischen Nationalfonds.

    Originalpublikation:
    Jiang Y, Mingard C, Huber SM, Takhaveev V, McKeague M, Kizaki S, Schneider M, Ziegler N, Hürlimann V, Hoeng J, Sierro N, Ivanov NV, Sturla SJ: Quantification and Mapping of Alkylation in the Human Genome Reveal Single Nucleotide Resolution Precursors of Mutational Signatures. ACS Central Science, 22. März 2023. https://doi.org/10.1021/acscentsci.2c01100

    Pressestelle der ETH Zürich, 23.2.2023