Kategorie: Kurzmeldungen

  • Schlafentzug beeinflusst kognitive Leistung

    Wer schon mal eine Nacht schlecht oder gar nicht geschlafen hat, weiß, wie sehr sich der Schlafmangel auf die Konzentration am nächsten Tag auswirken kann. Forschende am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund haben untersucht, wie genau sich dieser Schlafentzug auf die Leistung des Gehirns auswirkt. Die Ergebnisse zeigen, dass sich nicht nur die Aktivität des Gehirns verändert, sondern auch die Verbindungsstärken zwischen den Nervenzellen beeinflusst werden. Beides wirkt sich maßgeblich auf die Gedächtnisleistung und das Arbeitsgedächtnis aus.

    Ausreichend Schlaf ist essenziell für eine optimale Leistung am Tag. Der Schlafmangel beeinträchtigt nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch die Gedächtnisleistung und Lernprozesse. Um neue Gedächtnisinhalte zu speichern, werden im Gehirn Verbindungen zwischen Nervenzellen verstärkt oder abgeschwächt. Diese Verbindung wird auch als Neuroplastizität bezeichnet. Während des Nachtschlafs werden wichtige Verbindungen verstärkt und unwichtige wieder abgeschwächt.

    Bei einem Schlafmangel fällt diese Abschwächung aus. Die kortikale Erregbarkeit ist dauerhaft erhöht, was zu einer Beeinträchtigung der Signalübertragung führt. Neue, äußere Reize und Informationen können daher nur schlecht oder gar nicht verarbeitet werden und das Lernen fällt schwerer. Durch die erhöhte, kortikale Erregbarkeit wird die Neuroplastizität gestört. Das bedeutet, dass die Überaktivierung des Gehirns eine Neuvernetzung der Synapsen erschwert.

    Optimale Erregbarkeit des Gehirns könnte Erkrankungen vorbeugen

    Dabei gibt es jedoch einen Unterschied zwischen kompletten Schlafentzug und dem Arbeiten gegen die persönlich bevorzugten Schlaf- und Wachphasen (Chronotyp). Bei letzterem sind die Aktivität des Gehirns und die Neuroplastizität verringert. Beim Schlafentzug ist die Hirnaktivität aber erhöht. Insbesondere bei anspruchsvollen Tätigkeiten kann das Arbeiten im Einklang mit dem eigenen Chronotyp die Arbeitsleistung verbessern.

    Da die Dynamik der Plastizität und der Aktivität des Gehirns vom Schlaf abhängig ist, könnte dieser eine Rolle bei der Vorbeugung von Erkrankungen mit kognitiven Defiziten spielen. Beispiele für solche Erkrankungen sind Demenzen, bei denen häufig Schlafstörungen vorliegen, und schwere Depressionen. Bei Depressionen besteht eine verminderte Hirnaktivierung und Neuroplastizität, die durch einen therapeutischen Schlafentzug, der eine etablierte antidepressive Maßnahme ist, kompensiert werden könnte.

    Originalpublikation:
    Salehinejad, M. A., Ghanavati, E., Reinders, J., Hengstler, J. G., Kuo, M.-F., Nitsche, M. A., Sleep-dependent upscaled excitability, saturated neuroplasticity, and modulated cognition in the human brain. Sleep-dependent upscaled excitability, saturated neuroplasticity, and modulated cognition in the human brain eLife 11:e69308 (2022). https://doi.org/10.7554/eLife.69308

    Pressestelle des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund, 6.2.2023

  • Psychreport der DAK-Gesundheit 2022

    Depressionen, chronische Erschöpfung, Ängste: Der Arbeitsausfall aufgrund psychischer Erkrankungen erreichte 2022 einen neuen Höchststand. Mit 301 Fehltagen je 100 Versicherte lagen die Fehlzeiten wegen dieser Erkrankungen um 48 Prozent über dem Niveau von vor zehn Jahren. Das zeigt der aktuelle Psychreport der DAK-Gesundheit auf Basis der Krankschreibungen von 2,4 Millionen DAK-versicherten Beschäftigten. Im Vergleich zum Vorjahr hatten junge Berufstätige den stärksten Anstieg mit 24 Prozent bei den 25- bis 29-jährigen Frauen und 29 Prozent bei den gleichaltrigen Männern. Die mit Abstand meisten Krankschreibungen gab es im Gesundheitswesen.

    „Der neue Höchststand bei den psychischen Erkrankungen ist besorgniserregend, weil zunehmend auch junge Erwachsene betroffen sind und im Job ausfallen“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Stressreiche Phasen – auch während der Pandemie – haben für sie das Risiko erhöht, etwa an einer Depression zu erkranken. Wir müssen Fragen der seelischen Gesundheit am Arbeitsplatz noch mehr Beachtung schenken, insbesondere, wenn es um Auszubildende und junge Beschäftigte geht.“ Diese seien erst am Anfang ihres Berufslebens und dürften nicht Gefahr laufen, eines Tages verfrüht ausgebrannt zu sein und aussteigen zu müssen.

    Über alle Altersgruppen hinweg waren auch 2022 Depressionen der wichtigste Krankschreibungsgrund mit 118 Fehltagen je 100 Versicherte. Auf Platz zwei kamen Belastungs- und Anpassungsstörungen mit 77 Tagen. Sie hatten mit einem Plus von 12,4 Prozent den stärksten Zuwachs. Auf andere neurotische Störungen wie zum Beispiel chronische Erschöpfung entfielen 34 Fehltage je 100 Versicherte und auf Angststörungen 23 Tage.

    Ältere Beschäftigten haben auch bei psychischen Erkrankungen mehr Fehlzeiten als jüngere. Für 2022 zeigen sich jedoch bei jüngeren die deutlichsten Zuwächse: Besonders auffällig ist bei den Männern die Altersgruppe zwischen 24 und 29 Jahre mit 29 Prozent mehr Fehltagen. Bei weiblichen Beschäftigten gab es im gleichen Alter einen Zuwachs von 24 Prozent. Die 20- bis 24-Jährigen hatten ebenfalls fast ein Viertel mehr Fehltage als gleichaltrige Frauen im Vorjahr.

    Gesundheitswesen hat die meisten Ausfälle

    Wegen psychischer Probleme hatte erneut das Gesundheitswesen die meisten Ausfälle, gefolgt von der öffentlichen Verwaltung. Diese Branchen sind die einzigen, die sehr deutlich über dem Durchschnitt liegen, und zwar um 44 beziehungsweise 20 Prozent. Mit Blick auf die Berufe fällt auf: Beschäftigte, die sich in ihrem beruflichen Alltag um das Wohlbefinden anderer Menschen kümmern, sind psychisch am meisten belastet. Erzieher, Sozialpädagogen und Theologinnen haben zwei Drittel mehr Fehltage wegen psychischer Erkrankungen als andere, 2022 bezogen auf 100 Versicherte 494 Tage. Altenpflegekräfte gehören mit 480 Fehltagen je 100 Versicherte ebenfalls zu denjenigen, die besonders betroffen sind.

    Einfluss der neuen elektronischen Meldung der Krankschreibungen

    Der erneute Anstieg bei den Fehltagen hängt nach Ansicht der DAK-Gesundheit zum Teil auch mit der neuen elektronischen Meldung der Krankschreibungen zusammen. Seit Anfang 2022 gehen Krankmeldungen von den Arztpraxen direkt an die Krankenkassen und müssen nicht mehr von den Versicherten selbst eingereicht werden. Durch die sogenannte eAU tauchen nun auch Krankheitsfälle in der Statistik auf, die in der Vergangenheit nicht erfasst wurden, weil die gelben Zettel bei den Versicherten liegenblieben. „Wir haben in der aktuellen Statistik 31 Prozent mehr Krankschreibungen von sehr kurzer Dauer. Vermutlich hatten wir bisher insbesondere bei Menschen eine Untererfassung, die nur wenige Tage bei einem Fall erkrankt sind“, sagt Andreas Storm.

    Resilienz stärken

    Firmen und Arbeitgeber sollten sich vor diesem Hintergrund verstärkt mit Fragen der psychischen Gesundheit ihrer Belegschaft beschäftigen. Im betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) geht es dabei zunehmend um die sogenannte Resilienz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie auch der gesamten Organisation. Resilienz wird von Fachleuten als „Immunsystem der Psyche“ bezeichnet und meint unter anderem die Fähigkeit, trotz Stress handlungsfähig und gesund zu bleiben. Das geht nur mit den passenden Rahmenbedingungen in der Organisation. Die DAK-Gesundheit unterstützt Unternehmen im BGM und bietet eine kostenfreie Resilienzberatung mit Vorträgen, Seminaren und Workshops an. Informationen gibt es bei der BGM-Hotline der Kasse unter der Rufnummer 040 325 325 720. Hintergrundwissen zum BGM unter: www.dak.de/bgm

    Für den aktuellen Psychreport wertete das Berliner IGES Institut Daten von rund 2,4 Millionen erwerbstätigen DAK-Versicherten aus ganz Deutschland aus.

    Pressestelle der DAK-Gesundheit, 23.2.2023

  • G-BA regelt Verordnung von medizinischem Cannabis bei schweren Erkrankungen

    Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 16.03.2023 die Detailregelungen beschlossen, die zukünftig bei der ärztlichen Verordnung von medizinischem Cannabis als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung gelten.

    Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA: „Wir haben Regelungen beschlossen, die keine zusätzlichen Anforderungen an die Verordnung von medizinischem Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten stellen, die über die gesetzlich zwingenden und für den G-BA verbindlichen gesetzlichen Verordnungsvoraussetzungen hinausgehen. Damit wollen wir die Patientenversorgung mit dieser zusätzlichen Therapieoption bei schweren Erkrankungen im Bedarfsfall sicherstellen. Die gefundenen Regelungen für die Verordnung von medizinischem Cannabis schöpfen den vom Gesetzgeber in § 31 Absatz 6 SGB V dem G-BA gegebenen Handlungsrahmen voll aus und sind ein fachlich ausgewogener und in der Versorgungspraxis sehr gut gangbarer Weg, um eine gute und rechtssichere Versorgung von Patientinnen und Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung sicherzustellen.

    Der Gemeinsame Bundesausschuss hatte hier zwischen dem Bestreben, schwerkranken Menschen mit einer zusätzlichen Therapieoption zu helfen, und der notwendigen Arzneimitteltherapiesicherheit abzuwägen. Denn die betroffenen Cannabisprodukte sind zum Teil gar nicht – bzw. nicht für den hier geregelten Einsatz – als Arzneimittel zugelassen und dementsprechend auch in keinem Zulassungsverfahren auf Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität geprüft worden. Deshalb hat auch der Gesetzgeber einen Genehmigungsvorbehalt statuiert, den der Gemeinsame Bundesausschuss umsetzt.

    Im Einzelnen gilt Folgendes:

    1. Nur die Erstverordnung von Cannabis sowie ein grundlegender Therapiewechsel bedürfen der Genehmigung durch die Krankenkassen. Folgeverordnungen, Dosisanpassungen oder der Wechsel zu anderen getrockneten Blüten oder zu anderen Extrakten in standardisierter Form bedürfen keiner erneuten Genehmigung. Sofern eine Genehmigung für eine Therapie mit Cannabis bereits vor Inkrafttreten der neuen Regelungen des G-BA erteilt worden ist, gilt diese auch weiterhin.
    2. Die Erstgenehmigung darf von den Krankenkassen nur in begründeten Ausnahmefällen versagt werden.
    3. Cannabis-Verordnungen im Rahmen der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) bedürfen grundsätzlich keiner Genehmigung.
    4. Im Rahmen der Allgemeinen Ambulanten Palliativversorgung (AAPV) oder bei Beginn einer Cannabistherapie bereits während einer stationären Behandlung besteht zwar eine Genehmigungspflicht, die Prüffrist der Krankenkassen beträgt hier aber nur drei Tage.
    5. Es gibt keinen Facharztvorbehalt für die Verordnung von medizinischem Cannabis, das heißt alle Ärztinnen und Ärzte sind verordnungsbefugt. Dies ist vor allem für die Versorgung von Patientinnen und Patienten in der AAPV und der SAPV von erheblicher Bedeutung, weil hier Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner große Teile der Patientenversorgung sicherstellen.

    Ich bin mir sicher, dass mit dem Verzicht auf erneute Genehmigungen von Folgeverordnungen und im Rahmen der SAPV, mit einer Verordnungsbefugnis für alle Ärztinnen und Ärzte und mit dem auch im Gesetz angelegten verkürzten Prüfverfahren nach stationärer Behandlung und in der AAPV nicht nur der gesetzgeberische Wille umgesetzt worden ist, sondern auch eine im Bedarfsfall zeitnahe und bedarfsgerechte Versorgung von Patientinnen und Patienten mit medizinischem Cannabis ermöglicht wird.

    Hier hat uns bei der Entscheidungsfindung auch das mit sehr vielen Fachgesellschaften, Expertinnen und Experten und sonstigen Beteiligten durchgeführte Stellungnahmeverfahren Erkenntnisse gebracht, die sich in wichtigen Regelungen des heutigen Beschlusses niederschlagen.“

    FAQ zum gefassten Beschluss

    Inkrafttreten

    Der Beschluss wird in Kürze auf der Website des G-BA veröffentlicht. Er tritt in Kraft, wenn das Bundesministerium für Gesundheit ihn rechtlich nicht beanstandet und der G-BA ihn im Bundesanzeiger veröffentlicht hat.

    Hintergrund: Regelungsauftrag des G-BA zu Cannabisarzneimitteln

    Mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, das am 10. März 2017 in Kraft getreten ist, wurde § 31 Absatz 6 SGB V ergänzt: Seitdem haben Versicherte unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf eine Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität sowie auf Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon.

    Zudem hatte der Gesetzgeber festgelegt, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte von 2017 bis 2022 eine Begleiterhebung zum Einsatz von Cannabis durchführt und der G-BA auf dieser Grundlage das Nähere zum zukünftigen Leistungsanspruch regelt. Die Ergebnisse der Begleiterhebung erhielt der G-BA im Sommer 2022.

    Beschluss Arzneimittel-Richtlinie: § 4a und Abschnitt N §§ 44 bis 46 (Cannabisarzneimittel)

    Pressestelle des G-BA, 16.3.2023

  • Systemische Therapie

    Im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) den Nutzen und Schaden der Systemischen Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit einer psychischen Störung bewertet. In folgenden Anwendungsbereichen zeigten sich dabei Vorteile der Systemischen Therapie gegenüber den jeweiligen Vergleichsbehandlungen: Angststörungen und Zwangsstörungen, Essstörungen, hyperkinetische Störungen sowie psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen. Bei gemischten Störungen erwies sie sich als vergleichbar mit einer Richtlinientherapie. Für den Anwendungsbereich affektive Störungen sieht das IQWiG hingegen einen Nachteil gegenüber anderen Therapieoptionen.

    Für Erwachsene ist die Systemische Therapie bereits Kassenleistung

    Die Systemische Therapie ist ein psychtherapeutisches Verfahren zur Behandlung von psychischen Störungen. Leitgedanke der Systemischen Therapie ist, dass soziale Beziehungen – vor allem innerhalb der Familie – eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Behandlung psychischer Störungen spielen.

    Anders als die analytische Psychotherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die Verhaltenstherapie zählt die Systemische Therapie bislang in Deutschland nicht zu jenen psychotherapeutischen Verfahren, die als ambulante Leistung in der gesetzlichen Krankenversicherung zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen eingesetzt und erstattet werden. Die Systemische Therapie zur Behandlung von Erwachsenen wurde hingegen 2019 in die dafür maßgebliche Psychotherapie-Richtlinie des G-BA aufgenommen und zählt somit zu den sogenannten Richtlinientherapien.

    Vor diesem Hintergrund hat der G-BA das IQWiG im August 2021 mit der Nutzenbewertung der Systemischen Therapie als Psychotherapieverfahren bei Kindern und Jugendlichen mit einer psychischen Störung beauftragt.

    Positive Effekte in fünf Anwendungsbereichen

    Die IQWiG-Bewertung „Systemische Therapie als Psychotherapieverfahren bei Kindern und Jugendlichen“ basiert auf der Auswertung von 42 randomisierten kontrollierten Studien. Gegenüber dem Vorbericht kamen damit fünf ausgewertete Studien hinzu. Die meisten dieser Studien lassen sich sieben Anwendungsbereichen zuordnen. Die anderen Studien hat das IQWiG in einem eigenen zusätzlichen Bereich namens „gemischte Störungen“ betrachtet.

    Die Systemische Therapie wurde in den ausgewerteten Studien nicht nur mit anderen Psychotherapieverfahren und Medikamenten verglichen, sondern auch mit sonstigen unterstützenden Maßnahmen. Über alle Vergleiche hinweg sieht das Institut in fünf Anwendungsbereichen positive Effekte der Systemischen Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen:

    • Im Anwendungsbereich Angststörungen und Zwangsstörungen zeigt die Systemische Therapie in Kombination mit einer Richtlinientherapie Vorteile gegenüber einer alleinigen Richtlinientherapie.
    • Im Anwendungsbereich Essstörungen ergeben sich sowohl beim Vergleich „Systemische Therapie versus Psychotherapie, die keiner Richtlinientherapie entspricht“ als auch beim Vergleich „Systemische Therapie versus sonstige Behandlungen“ Vorteile zugunsten der Systemischen Therapie.
    • Im Anwendungsbereich hyperkinetische Störungen ist die Systemische Therapie in Kombination mit einer medikamentösen Behandlung einer alleinigen medikamentösen Behandlung überlegen.
    • Im Anwendungsbereich psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen hat die Systemische Therapie Vorteile im Vergleich zu einer Richtlinientherapie.
    • Im definierten Bereich gemischte Störungen zeigt sich ein vergleichbarer Nutzen der Systemischen Therapie gegenüber einer Richtlinientherapie.

    In den Anwendungsbereichen Störungen des Sozialverhaltens und seelische Krankheit auf Grund frühkindlicher emotionaler Mangelzustände lässt sich aus den Studien nicht ableiten, ob die Systemische Therapie Vor- oder Nachteile im Vergleich zu anderen Behandlungen hat.

    Im Anwendungsbereich affektive Störungen zeigen Studien Nachteile der Systemischen Therapie im Vergleich zu einer Richtlinientherapie.

    Die Bewertung wurde dadurch erschwert, dass in den beiden wichtigen Vergleichen „Systemische Therapie versus Richtlinientherapie“ und „Systemische Therapie versus medikamentöse Behandlungen“ entweder keine Studien oder nur wenige Studien vorlagen.

    G-BA entscheidet über Systemische Therapie als Kassenleistung auch für Kinder

    „Auch wenn die Datenlage teilweise dünn ist: Wie bei Erwachsenen gibt es auch es bei Kindern und Jugendlichen in mehreren Anwendungsbereichen Anhaltspunkte für einen Nutzen der Systemischen Therapie gegenüber anderen Behandlungen – zum Teil sogar gegenüber einer Richtlinientherapie“, fasst Martina Markes vom Ressort Nichtmedikamentöse Verfahren die IQWiG-Bewertung zusammen.

    Die Entscheidung darüber, ob nun auch die Systemische Therapie bei Kindern und Jugendlichen als Psychotherapieverfahren in die Psychotherapie-Richtlinie aufgenommen wird, obliegt dem G-BA.

    Zum Ablauf der Berichtserstellung

    Die vorläufigen Ergebnisse, den Vorbericht, hatte das IQWiG im August 2022 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach Abschluss des Stellungnahmeverfahrens überarbeitete das Projektteam den Vorbericht und versandte ihn im Januar 2023 als Abschlussbericht an den Auftraggeber, den G-BA. Die eingegangenen schriftlichen Stellungnahmen werden in einem eigenen Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert.

    Originalpublikation Abschlussbericht: https://www.iqwig.de/projekte/n21-03.html

    Pressestelle des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), 24.02.2023

  • Medienabhängigkeit bei Kindern und Jugendlichen

    In der Pandemie hat sich die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen verdoppelt. Inzwischen sind mehr als sechs Prozent der Minderjährigen abhängig von Computerspielen und sozialen Medien. Damit zeigen über 600.000 Jungen und Mädchen ein pathologisches Nutzungsverhalten. Auch die Medien-Nutzungszeiten sind seit 2019 um ein Drittel gestiegen. Das zeigt eine aktuelle gemeinsame Längsschnittstudie der DAK-Gesundheit und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE).

    Der Vergleich der digitalen Mediennutzung von Kindern, Jugendlichen und deren Eltern in bundesweit 1.200 Familien an fünf Messzeitpunkten der vergangenen vier Jahre gilt als weltweit einzigartig. Erstmals wurde jetzt auch das Suchtpotential beim Streaming und körperliche Probleme untersucht. DAK-Vorstandschef Andreas Storm und Mediziner sehen eine alarmierende Entwicklung und fordern mehr Prävention und Hilfsangebote für die Betroffenen.

    Nach der aktuellen Studie von DAK-Gesundheit und UKE Hamburg stieg die Zahl abhängiger Kinder und Jugendlicher bei Computerspielen von 2,7 Prozent im Jahr 2019 auf 6,3 Prozent im Juni 2022. Hochgerechnet haben damit rund 330.000 Jungen und Mädchen nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine krankhafte Gaming-Nutzung mit schweren sozialen Folgen. Die aktuellen Ergebnisse Längsschnittstudie zeigen: Rund 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche nutzen Gaming, Social Media oder Streaming problematisch, das heißt sie sind suchtgefährdet oder bereits betroffen. Im Bereich Social Media verdoppelte sich die Mediensucht von 3,2 auf 6,7 Prozent mit rund 350.000 Betroffenen. Laut Studie zeigen rund 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche eine problematische Nutzung bei Computerspielen und oder sozialen Medien.

    „Die aktuellen Zahlen und die Entwicklung in der Pandemie sind alarmierend“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Wenn jetzt nicht schnell gehandelt wird, rutschen immer Kinder und Jugendliche in die Mediensucht und der negative Trend kann nicht mehr gestoppt werden.“ Als Reaktion müssten Prävention und Hilfsangebote ausgebaut werden und neue Akzente in der Bildungs- und Familienpolitik gesetzt werden.

    Nutzungszeiten von Computerspielen und Social Media weiter angestiegen

    Laut Studie von DAK-Gesundheit und UKE-Hamburg sind Nutzungszeiten von Computerspielen und Social Media weiter angestiegen. Nach einer starken Zunahme im ersten Corona-Lockdown im April 2020 gab es zunächst einen Rückgang. Diese positive Entwicklung setzte sich jedoch nicht fort: Im Juni 2022 lagen die Nutzungszeiten beim Gaming mit 115 Minuten an Werktagen knapp 34 Prozent höher als im September 2019 vor der Pandemie. Einen ebenso deutlichen Anstieg gab es im gleichen Zeitraum bei den sozialen Medien mit 35,5 Prozent von 121 Minuten auf 164 Minuten täglich.

    Erstmals untersuchte die Studie auch die körperlichen Auswirkungen exzessiver Mediennutzung. Das Ergebnis: Ein Drittel der Befragten klagt nach mehrstündiger Nutzung von digitalen Geräten über Nackenschmerzen (32,1 Prozent). 23,4 Prozent haben trockene oder juckende Augen, 16,9 Prozent gaben an, Schmerzen im Unterarm oder der Hand zu haben.

    Streamingzeiten rückläufig

    Seit November 2020 untersucht die Studie auch das Streamingverhalten von Kindern und Jugendlichen. Hier zeigte sich einen Rückgang im Vergleich zum vorherigen Messzeitpunkt: Im Juni 2022 streamten die Befragten an einem durchschnittlichen Werktag 107 Minuten Videos und Serien. Die Zahlen liegen damit auf einem ähnlichen Niveau wie 2020 (104 Minuten) und deutlich niedriger als 2021 (170 Minuten). Insgesamt nutzten rund 733.000 Kinder und Jugendliche Streaming riskant, 2,4 Prozent zeigen ein pathologisches Nutzungsverhalten. Das entspricht rund 126.000 Betroffenen.

    Schnittmengen bei problematischer Nutzung

    Das Ausmaß der Gesamtproblematik wird insbesondere bei der Betrachtung der Schnittmengen deutlich: 5,1 Prozent aller Befragten zeigen eine problematische Nutzung von Gaming und Social Media, was rund 270.000 Betroffenen entspricht. 1,1 Prozent nutzt darüber hinaus auch Streaming-Angebote problematisch – 58.000 Kinder und Jugendliche wären damit von diesem riskanten Dreiklang betroffen.

    „Die Ergebnisse unserer Studie machen erneut deutlich, dass die andauernde Covid-19-Pandemie unseren Umgang mit digitalen Medien nachhaltig verändert hat und dass insbesondere Kinder und Jugendliche unter den Einschränkungen litten“, sagt Prof. Dr. Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) im UKE. „Trotz zunehmender Lockerungen der Corona-Verordnungen bleiben digitale Medien weiterhin ein wichtiger Bestandteil in der Aufrechterhaltung von Kontakten, der Bekämpfung von Langeweile oder der Beschaffung von Informationen. Sie können bei manchen aber auch dazu dienen, Gefühle von Einsamkeit, sozialer Isolation und Kontrollverlust, aber auch Stress und andere negative Gefühle zu kompensieren. Diese Nutzerinnen und Nutzer sind besonders gefährdet, eine Sucht zu entwickeln.“

    Nach Einschätzung des Suchtexperten Thomasius führt eine exzessive Mediennutzung oft zu Kontrollverlust mit weitreichenden Folgen. „Da persönliche, familiäre und schulische Ziele in den Hintergrund treten, werden alterstypische Entwicklungsaufgaben nicht angemessen gelöst“, erklärt er. „Ein Stillstand in der psychosozialen Reifung ist die Folge. Die Ergebnisse unserer Studie machen einmal mehr deutlich, wie wichtig Präventions- und Therapieangebote für Kinder und Eltern sind.“

    Geschlechterunterschiede und Altersstruktur

    Insgesamt sind Jungen häufiger suchtgefährdet oder bereits von einer Sucht betroffen als Mädchen – insbesondere beim Gaming. So zeigen 18,1 Prozent der Kinder und Jugendlichen eine problematische Nutzung digitaler Spiele. Davon sind 68,4 Prozent Jungen. Bei den sozialen Medien, die 23,1 Prozent aller Befragten problematisch nutzen, ist die Verteilung mit 52,1 Prozent (Jungen) bzw. 47,9 Prozent (Mädchen) hingegen etwas ausgewogener. Im Hinblick auf die Altersstruktur zeigt sich, dass besonders ältere Jugendliche deutlich häufiger eine Abhängigkeit von digitalen Medien zeigen.

    „Auch nach der Corona-Pandemie ist eine riskante Mediennutzung bei vielen Kindern und Jugendlichen Alltag“, sagt Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ). „Jetzt ist es wichtiger denn je, die Prävention zu stärken, allen voran im schulischen Bereich. Ebenso wichtig ist aber auch die Früherkennung von Mediensucht, beispielsweise durch ein Mediensuchtscreening in der Kinder- und Jugendarztpraxis.“

    Über die Studie

    Die repräsentative DAK-Längsschnittstudie zur Mediennutzung im Verlauf der Corona-Pandemie untersucht die Häufigkeiten pathologischer und riskanter Nutzung von Spielen, sozialen Medien und Streamingdiensten bei Kindern und Jugendlichen basierend auf den neuen ICD-11-Kriterien der WHO. Bundesweit wurden rund 1.200 Familien nach ihrem Medienverhalten befragt. Die DAK-Gesundheit führt dazu gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf in mehreren Wellen Befragungen durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa durch. Dafür wird eine repräsentative Gruppe von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zehn und 17 Jahren mit je einem Elternteil zu ihrem Umgang mit digitalen Medien an bisher fünf Messzeitpunkten befragt. Nach den Befragungen im September 2019, im April 2020, im November 2020 und im Mai 2021 spiegeln die aktuellen Erkenntnisse die Ergebnisse der jüngsten Befragung im Juni 2022 wider. Die Studie, die Zusammenhänge zwischen Nutzungsmustern, Nutzungsmotiven und familiären Nutzungsregeln über den Verlauf der Pandemie hinweg untersucht, ist weltweit einmalig.

    Aktuelle Angebote

    Für Kinder und Jugendliche, die ein problematisches Mediennutzungsverhalten haben, sowie für deren Eltern hat die DAK-Gesundheit gemeinsam mit dem DZSKJ eine Online-Anlaufstelle Mediensucht entwickelt: Auf www.mediensuchthilfe.info erhalten Betroffene und deren Angehörige Informationen und Hilfestellungen rund um die Themen Gaming-, Social-Media- und Streaming-Sucht. Am Mittwoch, den 29. März, stellt das DZSKJ darüber hinaus eine Hotline für betroffene Kinder und Jugendliche sowie deren Angehörige bereit. Unter der Telefonnummer 0800 2 800 200 geben Suchtexpertinnen und -experten des UKE von 9 bis 16 Uhr Antworten auf Fragen rund um das Thema Mediensucht. Das Serviceangebot ist kostenlos und steht Versicherten aller Kassen offen.

    Pressestelle der DAK-Gesundheit, 14.3.2023

  • Behandlung von traumatisierten Kindern und Jugendlichen

    Bei Kindern und Jugendlichen, die mehrfache traumatische Ereignisse wie sexuellen Missbrauch, körperliche Misshandlungen oder psychische Gewalterfahrungen erlitten haben, ist die psychotherapeutische Behandlung mit einer traumafokussierten Therapie sehr wirksam. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsteam um Prof. Dr. Nexhmedin Morina und Dr. Thole Hoppen von der Arbeitseinheit Klinische Psychologie und Psychotherapie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „British Journal of Psychiatry“ erschienen.

    Infolge einer Traumatisierung entwickeln etwa 25 Prozent der betroffenen Kinder und Jugendlichen eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Insbesondere zwischenmenschliche und wiederholte Traumatisierungen bergen ein hohes PTBS-Risiko. Zu den Traumatisierungen zählen neben Gewalterfahrungen auch Erfahrungen körperlicher beziehungsweise emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit. Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sind zwei aktuelle Beispiele für die gesellschaftliche Relevanz. „Die PTBS ist eine schwere, meist chronisch verlaufende psychische Erkrankung, die die Lebensqualität der Betroffenen im Alltag stark einschränkt“, erklärt Erstautor Thole Hoppen, der die Studie mit Psychologinnen und Psychologen der Universitäten von East Anglia in England und Oslo in Norwegen erstellt hat.

    Bislang bestehen in der klinischen Praxis große Vorbehalte, mehrfach traumatisierte Kinder und Jugendliche, die unter einer PTBS leiden, mit einer traumafokussierten Psychotherapie zu behandeln. Bei der Therapieform geht es darum, Denk- und Verhaltensmuster der Patient:innen, die durch das Trauma entstanden sind, zu verändern. Ziel ist es, durch eine von einem Therapeuten/ einer Therapeutin begleitete Konfrontation mit dem traumatischen Erlebten die Erinnerungen und deren Konsequenzen zu verarbeiten. „Es wird vielerorts argumentiert, dass die Therapie überfordernd, wenig vielversprechend, unangemessen oder gar gefährlich sei“, so Thole Hoppen. „Mit unserer Analyse belegen wir das Gegenteil.“

    In einer sogenannten Metaanalyse haben die Forscher die Ergebnisse aller bislang publizierten Psychotherapiestudien zum Thema PTBS bei Kindern und Jugendlichen ausgewertet. Dabei wird erstmals in einer Metaanalyse zwischen einzelnen und multiplen Traumatisierungen von Kindern und Jugendlichen unterschieden. „Nicht nur nach singulärer Traumatisierung ist die Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen mit PTBS sehr wirksam“, erläutert Thole Hoppen. „Wir zeigen, dass dies auch nach einer multiplen Traumatisierung der Fall ist.“ Die Studienergebnisse sind sowohl für die ambulante Psychotherapie als auch für die stationäre Behandlung in Psychiatrien sowie für die Ausbildung von Psychotherapeut:innen von Bedeutung.

    Originalpublikation:
    Thole H. Hoppen, Richard Meiser-Stedman, Tine K. Jensen, Marianne Skogbrott Birkeland and Nexhmedin Morina (2023): The efficacy of psychological interventions for PTSD in children and adolescents exposed to single vs. multiple traumas. Meta-analysis of randomized controlled trials. British Journal of Psychiatry; DOI: 10.1192/bjp.2023.24

    Pressestelle der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, 1.3.2023

  • Mehr Unterstützung für Kinder und Jugendliche nach der Pandemie

    Die Bundesregierung hat im Februar den Abschlussbericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“ (IMA) beschlossen. Vorgelegt haben diesen Bericht Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach. Ein zentrales Ergebnis des Berichts: Die Folgen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche halten bis heute an. Derzeit sind immer noch 73 Prozent psychisch belastet. Die Arbeitsgruppe empfiehlt daher konkrete Maßnahmen, die Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung der psychischen und psychosozialen Belastungen durch die COVID-19-Pandemie bestmöglich unterstützen und ihre Gesundheit und Resilienz stärken.

    Die IMA hatte im November 2022 gemeinsam mit Vertreterinnen der Länder sowie mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft über Maßnahmen zur Unterstützung eines gesunden Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen beraten. Im Mittelpunkt standen dabei die psychosozialen Folgen der Pandemie mit besonderem Fokus auf benachteiligte junge Menschen.

    Empfehlungen für fünf Handlungsfelder erarbeitet

    Insgesamt hat die IMA fünf Handlungsfelder identifiziert und dafür jeweils Empfehlungen erarbeitet. Der Abschlussbericht benennt in den Handlungsfeldern zudem konkrete Maßnahmen des Bundes, die geplant sind oder bereits umgesetzt werden. Die entsprechenden Maßnahmen sollen dort verortet werden, wo sie Kinder und Jugendliche im Alltag erreichen: in den Schulen, in der Kindertagesbetreuung, bei Kinderärztinnen und -ärzten sowie in der Jugend- und Familienhilfe.

    • Im Handlungsfeld Frühe Hilfen erweitert der Bund in diesem Jahr die Angebote. Insgesamt stehen dafür 56 Millionen Euro zur Verfügung, unter anderem, um Familien mit Belastungen direkt nach der Geburt über Willkommensbesuche oder Lotsendienste zu erreichen und z. B. durch Familienhebammen zu unterstützen. Gleichzeitig werden Eltern zum Beispiel über den Instagram-Kanal „elternsein info“ gezielt über die kommunalen Angebote für junge Familien informiert. Wir stärken Fachkräfte mit digitalen Sprechstunden zu den Themen Flucht, psychische Gesundheit und Ernährung.
    • Im Handlungsfeld Kindertagesbetreuung tragen das Kita-Qualitätsgesetz, Investitionsprogramme des Bundes zum Kita-Ausbau und eine Fachkräftestrategie zu mehr Qualität bei und stärken damit die Krisenresilienz der Kindertagesbetreuung. Der Bund unterstützt die Länder in den Jahren 2023 und 2024 mit rund vier Milliarden Euro, auch für Maßnahmen in den Bereichen Gesundheit, Ernährung und Bewegung.
    • Im Handlungsfeld Schule unterstützen ab dem Schuljahr 2023/24 Mental Health Coaches an Schulen im Rahmen eines Modellprogramms des BMFSFJ bei Fragen zur mentalen Gesundheit und bei akuten psychischen Krisen. Sie stehen Kindern und Jugendlichen bei Sorgen und Problemen zur Seite, leisten in akuten Krisen eine „Erste Psychische Hilfe“ und vermitteln in weitere Unterstützungsangebote. Die Schulboxenaktion mit der „Nummer gegen Kummer“ läuft weiter, und auch beim Ganztagsausbau spielt die Gesundheitsförderung eine wichtige Rolle.
    • Im Handlungsfeld Gesundheitswesen setzt sich der Bund für eine bessere medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen und für die Beseitigung von Engpässen bei Kinderarzneimitteln ein. Das BMG hat bereits verschiedene kurzfristige Maßnahmen auf den Weg gebracht, beispielsweise für die Jahre 2023 und 2024 eine Erlösgarantie für die pädiatrische Versorgung in Krankenhäusern und zusätzliche finanzielle Mittel für die stationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Höhe von jeweils 300 Millionen Euro. Auch Prävention und Gesundheitsförderung sollen gestärkt und für Kinder und Jugendliche mit stärkeren psychischen Belastungen und psychischen Erkrankungen – in Abstimmung mit den maßgeblichen Akteuren – mehr Therapieplätze geschaffen werden. Somit sollen Wartezeiten vor allem im ländlichen Raum reduziert werden.
    • Im Handlungsfeld Jugend- und Familienhilfe geht es unter anderem darum, vom Bund mit dem Jugendstärkungsgesetz geschaffene neue Rechtsansprüche für Kinder, Jugendliche und Familien auf Beratung und Unterstützung umzusetzen. Kinder können nun beim Jugendamt psychosoziale Beratung in Anspruch nehmen, ohne dass ihre Eltern darüber informiert werden. Psychisch kranke Eltern erhalten niedrigschwellig Hilfe von den Erziehungsberatungsstellen.

    Pressestelle des Bundesministeriums für Gesundheit, 8.2.2023

  • Warnmeldung zu ungestrecktem Heroin

    Das NEWS-Projekt hat eine Warnmeldung zu ungestrecktem und deshalb ungewohnt stark wirkenden Heroin herausgegeben. Es wurde im Dezember 2022 / Januar 2023 in Bremen erworben und hat zu Erbrechen und starker Bewusstseinstrübung geführt.

    NEWS (National Early Warning System) ist ein Projekt des IFT München. Ziel des Projektes ist, gesundheitsgefährdende Entwicklungen im Bereich psychoaktiver Substanzen und Medikamentenmissbrauch frühzeitig zu erkennen und darüber zu informieren.

    Quelle: NEWS-Projekt, 1.3.2023

  • Weiterbildung Psychotherapie

    Ein entscheidender Teil der Psychotherapie-Ausbildungsreform ist die neue Weiterbildung. Doch die Finanzierung der Weiterbildung ist nicht gesichert. Darauf machten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten am letzten Februar-Wochenende auf dem Berufspolitischen Seminar der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. aufmerksam. Die Bundespsychotherapeutenkammer hat Vorschläge für eine Zusatzfinanzierung gemacht, die das Bundesministerium für Gesundheit Anfang des Jahres abgelehnt hat. Eine Lösung sollte bis spätestens Ende des Jahres gefunden werden.

    Die Reform der Psychotherapie-Ausbildung ist auf den Weg gebracht, die ersten Studierenden haben mit dem neuen Direktstudium Psychotherapie begonnen. „Doch ein entscheidendes Detail ist bei der Reform immer noch nicht geklärt“, betonte Dr. Rupert Martin, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. auf dem Berufspolitischen Seminar der DGPT am 25./26. Februar: „Die Finanzierung der ambulanten Weiterbildung – unverzichtbarer Teil der Ausbildungsreform – ist nicht gesichert.“

    Die Reform der Psychotherapie-Ausbildung soll die Ausbildung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten an die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten angleichen. Wie das Medizinstudium mündet nun das neu eingeführte Direktstudium Psychotherapie in eine Approbation. Und analog zur Facharztausbildung schließt sich daran eine fünfjährige Weiterbildung zur/zum Fachpsychotherapeutin oder -therapeuten an, in der sich die Teilnehmenden auf mindestens ein wissenschaftlich anerkanntes Psychotherapieverfahren spezialisieren müssen. „Die Psychotherapeuten in Weiterbildung haben einen Anspruch auf ein angemessenes Gehalt, das ihrer Qualifikation mit Masterabschluss und Approbation entspricht“, sagte DGPT-Vorstand Dr. Martin. „Das ist ohne Zusatzfinanzierung für die ambulante Weiterbildung nicht kostendeckend möglich.“

    Die Psychotherapeuten in Weiterbildung (PtW) werden an den Weiterbildungsstätten fest angestellt sein. Aus den Honoraren für die Weiterbildungsbehandlungen allein lassen sich die Anstellungsverhältnisse für die Weiterbildungsstätten jedoch nicht finanzieren: „Alle einschlägigen Berechnungen, so zum Beispiel von Wasem/Walendzik vom EsFoMed in Essen, gehen davon aus, dass man 20 bis 30 Prozent auf die Vergütung einer Behandlungsstunde draufrechnen müsste, damit die Kosten für die Weiterbildungsstätten gedeckt sind und die PtWs nicht Teile der Weiterbildung selber zahlen müssen“, so Dr. Martin. Finanzierungsvorschläge der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) vom Sommer 2022 hat das Bundesministerium für Gesundheit im Januar 2023 abgelehnt. Die BPtK hat nun eine konzertierte Aktion ins Leben gerufen, an der sich auch die DGPT beteiligt, um tragfähige Regelungen mit den politisch Verantwortlichen auszuhandeln. Bereits Ende des Jahres 2023 wird mit den ersten 1.000 Absolventinnen und Absolventen der neuen Studiengänge gerechnet, die dann mit der Weiterbildung beginnen werden.

    Über die DGPT:

    Die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. vertritt die Standes- und Berufsinteressen ihrer ca. 3.500 psychologischen und ärztlichen Mitglieder gegenüber der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen und gegenüber der Politik auf Bundesebene. Die DGPT versteht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft und Berufsverband zugleich. Sie stellt Grundanforderungen für die Weiterbildung an 60 staatlich anerkannten Aus- und Weiterbildungsinstituten auf. Die DGPT ist der Spitzenverband der psychoanalytischen Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Analytische Psychologie (DGAP), Deutsche Gesellschaft für Individualpsychologie e.V. (DGIP), Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG), Deutsche Psychoanalytische Vereinigung (DPV) sowie des Netzwerks Freier Institute (NFIP).

    Pressestelle der DGPT, 28.2.2023

  • ENTER.CONTROL.EXIT

    Am 16. November 2022 fand unter dem Titel „ENTER. CONTROL. EXIT. Internetbezogene Störungen in der Diskussion“ die Jahrestagung von SUCHT-HAMBURG statt. Eröffnet wurde sie von Staatsrätin Melanie Schlotzhauer.

    Die Ergebnisse der SCHULBUS-Studie 2021/2022 zeigen, dass etwa jede:r fünfte Jugendliche in Hamburg einen problematischen Umgang mit dem Internet aufweist. Internetbezogene Störungen haben verschiedene Facetten: Neben einer exzessiven Nutzung von Computerspielen zählen auch der erhöhte Konsum von Social Media und die zwanghafte Nutzung von Online-Pornografie dazu. Vielfältig sind auch die suchtfördernden Mechanismen von digitalen Medien. Glücksspielähnliche Elemente in Computerspielen weichen die Grenze zwischen Gaming und Gambling zunehmend auf. Trends in Social Media sind ebenfalls schnelllebig und dynamisch. Diese Entwicklungen stellen die Suchtprävention und Suchthilfe immer wieder vor neue Herausforderungen. Internetbezogene Störungen standen daher im Mittelpunkt der diesjährigen Tagung von SUCHT.HAMBURG am 16. November. Mit über 80 Teilnehmenden fand sie in der Hamburger Fachöffentlichkeit großen Anklang.

    Internetnutzungsstörungen haben sich unter den Suchterkrankungen als eigenständiges Krankheitsbild etabliert. Die Erkrankung muss je nach Ausprägung differenziert betrachtet und behandelt werden. Dazu werden in Zukunft noch stärker die Mechanismen, die mit einer Suchtentwicklung im Zusammenhang stehen, in Betracht gezogen. Die Fachtagung machte aber auch deutlich, dass die Anbieter zum Beispiel von Computerspielen noch stärker in die Verantwortung genommen werden müssen, um diese Mechanismen zu entschärfen.

    Die Tagung wurde mit einem Vortrag von Prof. Dr. Hans-Jürgen Rumpf (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Lübeck) über „Internetbezogene Störungen“ eröffnet, der die Grenze zwischen einem ausgewogenen Gebrauch des Internets und einer suchtartigen Nutzung aufzeigte. Da sich eine exzessive Nutzung des Internets auf verschiedene Aktivitäten, z. B. Nutzung von Social Media oder Computerspielen, beziehen kann, sind die Bezeichnungen für dieses Phänomen teilweise sehr vielfältig, so Rumpf. Er plädierte daher für eine vereinheitlichende Bezeichnung als „Internetnutzungsstörung“ für Probleme aufgrund von Verhaltensweisen, die überwiegend online ausgeführt werden. Dies soll gleichzeitig auch Stigmatisierungen von Betroffenen aufgrund des Suchtbegriffs entgegenwirken.

    Prof. Dr. Florian Rehbein (Fachhochschule Münster) ging in seinem Vortrag auf die Bedeutung der Computerspielenutzung und den aktuellen Stand der Suchtprävention ein. Historisch einmalig sei der Gebrauch von Computerspielen bereits im Vorschulalter, so Rehbein. Aktuell spiegeln jedoch die Alterskennzeichnung und somit auch der Jugendschutz von Spielen nicht ihr Suchtrisiko für Spieler:innen wider. Das sollte geändert werden. Doch nicht nur hier sieht Rehbein Handlungsbedarf, sondern u. a. auch in den Bereichen Früherkennung und Verhältnisprävention.

    Dr. Bernd Sobottka (MEDIAN Klinik Schweriner See) gab in seinem Beitrag Einblicke in den klinischen Alltag bei der Behandlung und Therapie von erwachsenen Computerspieler:innen. Der überwiegende Teil der Menschen, die sich wegen einer Computerspielstörung in Therapie befinden, seien jüngere Männer, so Sobottka. Die ersten beiden Wochen der stationären Behandlung seien meist eine kritische Phase. Sobald diese überstanden ist, seien die Chancen, die Therapie regulär und mit Erfolg abzuschließen, gut. Mit der entsprechenden Nachsorge in ambulanten Suchtberatungsstellen und Suchtselbsthilfegruppen kann ein Großteil der Computerspieler:innen einen kompetenten und stabilen Umgang mit dem Computer und dem Internet beibehalten.

    Nach den Impulsvorträgen hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich in insgesamt sechs themenspezifischen Workshops auszutauschen und Aspekte der Internetnutzungsstörung weiter zu vertiefen. Unter anderem ging es dabei um Konvergenzen im Bereich Gaming und Gambling, den Einsatz digitaler Medien in der offenen Kinder- und Jugendarbeit, die Behandlung von Jugendlichen bei Computerspielsucht, die Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung in Social Media, die Begleitung von Jugendlichen auf dem Weg in die Medienmündigkeit sowie Einblicke in aktuelle Gaming-Trends. Die Zusammenfassung der Workshops steht hier zum Download zur Verfügung.

    Im Abschlussvortrag „Internetpornografie – von der Normalisierung zur Diagnose“ stellte Dietrich Riesen (return Fachstelle Mediensucht Hannover) dar, dass der Konsum von pornografischen Inhalten lange Zeit verharmlost und tabuisiert wurde. Die Einführung der Diagnose „Pornografienutzungsstörung“ führt nun zu einem Wandel. Mehr und mehr Menschen suchen aufgrund ihres exzessiven Pornokonsums Hilfe in Beratungsstellen, auch in Hamburg. Der leichte Zugang und die Anonymität tragen dazu bei, dass vermehrt Pornos konsumiert werden, so Riesen. In der Behandlung liegt der Fokus auf Reflexion, Grenzen setzen und Alternativen aufzeigen. Es gilt, sich diesem Thema weiterhin stärker zu öffnen, sowohl in der Suchthilfe als auch in der Politik.

    Auf der Website von SUCHT.HAMBURG stehen die Vortragspräsentationen von Prof. Rumpf, Dr. Sobottka und Dietrich Riesen zum Download zur Verfügung.

    Ausgewählte Vorträge können auf dem YouTube-Kanal von SUCHT.HAMBURG angesehen werden.

    Quelle: sucht-hamburg.de, 17.11.2022