Kategorie: Kurzmeldungen

  • Bundeskabinett erleichtert Substitutionsversorgung für suchtkranke Menschen

    Das Bundeskabinett hat am 21.12.2022 die Verordnung zur Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung und der Tierärztegebührenordnung beschlossen.

    Die Verordnung zur Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) dient dem Ziel, die betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften für die medizinische Behandlung mit Betäubungsmitteln an den aktuellen Stand der Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis anzupassen. Sie berücksichtigt dabei auch die Erfahrungen mit den pandemiebedingten Ausnahmeregelungen für die Substitutionstherapie Opioidabhängiger, die durch die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung (SARS-CoV-2-AMVV) eingeführt worden waren. Zum Beispiel

    • wird die Verschreibung zur eigenverantwortlichen Einnahme des Substitutionsmittels bis zu sieben Tage in eine dauerhafte Regelung überführt,
    • werden Möglichkeiten einer telemedizinischen Konsultation bei der Verschreibung geschaffen,
    • wird der Personenkreis, der das Substitutionsmittel zum unmittelbaren Gebrauch überlassen kann, erweitert.

    Dazu der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert: „Die Folgen der coronabedingten Kontaktbeschränkungen waren auch für suchtkranke Menschen, die auf eine regelmäßige ärztliche Behandlung mit Substituten und Therapien angewiesen waren, belastend. Durch die SARS-CoV-2-AMVV konnte vorübergehend mehr Flexibilität in den Behandlungsabläufen für Ärztinnen und Ärzte sowie für opioidabhängige Patientinnen und Patienten in der Substitutionsbehandlung geschaffen werden. Es ist erfreulich, dass wir diese guten Erfahrungen nun dauerhaft umsetzen und eine moderne, flexiblere und patientenorientiertere Substitutionstherapie schaffen. Dadurch können die Bedarfslagen Opioidabhängiger stärker berücksichtigt und positive Auswirkungen auf ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erreicht werden.“

    Die Verordnung zur Änderung der BtMVV sieht darüber hinaus die Streichung der Regelungen zu den Höchstverschreibungsmengen für Betäubungsmittel nach der Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes vor. Die bisherigen Vorgaben entsprechen nicht mehr dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und den Erfordernissen der ärztlichen Praxis, weil sie nicht mehr mit den auf dem Arzneimittelmarkt vorhandenen Betäubungsmitteldarreichungsformen kompatibel sind. Sie sind zukünftig verzichtbar, weil sie nicht zu einer zusätzlichen Sicherheit des Betäubungsmittelverkehrs beitragen.

    Die Verordnung bedarf der Zustimmung des Bundesrates und soll am 8. April 2023 in Kraft treten.

    Pressestelle des Sucht- und Drogenbeauftragten der Bundesregierung, 21.12.2022

  • Mädchen sind Trendsetterinnen bei sozialen Netzwerken

    Bei den breit genutzten sozialen Netzwerken setzen Mädchen die Trends. Sie steigen früher auf neue soziale Netzwerke ein als Jungen, wie die JAMES-Studie 2022 der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Swisscom zeigt. Jungs gamen dafür häufiger, besonders beliebt sind Gratis-Games. Jugendliche pflegen zudem weniger, jedoch qualitativ hochwertigere Freundschaften als vor zehn Jahren. Problematisch ist, dass sie beim Datenschutz nachlässiger werden und sexuelle Belästigungen weiter zugenommen haben.

    Mädchen steigen früher auf neuen Netzwerken ein als Jungen und werden damit zu Trendsetterinnen. So nutzen sie aktuell TikTok und Pinterest deutlich stärker, 2014 war dies auch schon bei Instagram der Fall. Dies zeigt die aktuelle JAMES-Studie, für die alle zwei Jahre rund 1.000 Jugendliche im Alter von zwölf bis 19 Jahren befragt werden. „Wenn sich dieser Trend fortsetzt, können wir die weibliche Nutzung von sozialen Netzwerken in Zukunft als Indikator für alle Jugendlichen heranziehen“, sagt ZHAW-Forscher und Co-Studienleiter Gregor Waller.

    TikTok weiter auf dem Vormarsch

    Soziale Netzwerke zählen weiterhin zu den wichtigsten medialen Elementen des Alltags von Jugendlichen in der Schweiz. Fast alle nutzen WhatsApp zur Kommunikation (97 Prozent der Nutzer:innen mind. mehrmals pro Woche). Zudem werden Instagram (81 Prozent) und Snapchat (76 Prozent) weiterhin am häufigsten genutzt und sind über die Jahre stabil geblieben. Eine rasante Zunahme zeigt sich bei TikTok: 67 Prozent der Jugendlichen nutzen die Plattform regelmäßig (2018: acht Prozent), wobei Mädchen die App häufiger nutzen als Jungen. Dafür sind die Jugendlichen praktisch von Facebook verschwunden: Nur noch fünf Prozent nutzen das Netzwerk täglich oder mehrmals pro Woche (2014: 79 Prozent).

    Die Tätigkeiten in sozialen Netzwerken sind konstant geblieben. Am häufigsten werden regelmäßig Beiträge anderer angeschaut (56 Prozent) und gelikt (55 Prozent), oder es werden per Chat persönliche Nachrichten geschrieben (57 Prozent). Deutlich seltener posten die Jugendlichen eigene Beiträge, und wenn, dann eher zeitlich limitierte Stories oder Snaps.

    Grafik: ZHAW

    Gratis-Games sind beliebt

    Videogames sind weiterhin beliebt: 79 Prozent spielen zumindest ab und zu, wobei Jungen deutlich häufiger gamen (93 Prozent) als Mädchen (65 Prozent). Im Vergleich zu den Vorjahren hat die Anzahl der gamenden Mädchen jedoch zugenommen. Zudem vergnügen sich die jüngeren mehr damit als die älteren Jugendlichen. Am häufigsten werden Gratis-Games gespielt (60 Prozent). Kostenpflichtige Videospiele nutzen hingegen nur 35 Prozent.

    Für ZHAW-Forscherin und Mitautorin Lilian Suter ist dies problematisch: „Free-to-play-Games sind oft nicht wirklich kostenlos, denn entweder werden die Gamer:innen mit Werbung eingedeckt oder sie bezahlen mit ihren Daten“. Oft seien In-Game-Käufe sogar unerlässlich für den weiteren Spiel-Fortschritt. Die Anzahl Jugendlicher, die regelmäßig In-Game-Käufe tätigen, hat sich denn auch in zwei Jahren von drei Prozent auf aktuell acht Prozent mehr als verdoppelt. 23 Prozent der jugendlichen Gamer:innen geben an, Altersempfehlungen regelmäßig zu ignorieren.

    Vielfältigere Freizeitbeschäftigungen

    Ein großer Teil der Jugendlichen in der Schweiz trifft sich in der Freizeit regelmäßig mit Freund:innen (70 Prozent). Im Vergleich zu den Vorjahren zeigt sich jedoch, dass die Anzahl der Freundschaften abgenommen hat. Trafen sich die befragten Jugendlichen 2012 mit sieben Freund:innen regelmäßig, sind es 2022 noch fünf. Für Gregor Waller setzt sich damit der Trend des ‚Social Cocooning‘ weiter fort. „Die Jugendlichen treffen weniger Freundinnen und Freunde als noch vor ein paar Jahren. Wenn die Heranwachsenden im Sinne von ‚Beziehungsminimalismus‘ vorgehen, also Qualität vor Quantität stellen, sind die Freundschaften aber insgesamt hochwertiger.“

    Generell werden die Freizeitaktivitäten der Jugendlichen von Jahr zu Jahr vielfältiger und individueller. Die Bandbreite der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen ist sehr groß und reicht von TV oder Filme schauen, über Sport treiben, Musik hören und gamen bis zu handwerklichen und kreativen Tätigkeiten wie Zeichnen oder Malen oder draußen und in der Natur sein. Die Lieblingsmusik der Jugendlichen ist ebenfalls sehr vielfältig. Die ZHAW-Forschenden haben zum ersten Mal die beliebtesten Songs der Top 20 Musiker:innen und Bands in einer Playlist für die Deutschschweiz, die Romandie und das Tessin zusammengestellt und damit die Bandbreite hörbar gemacht.

    Grafik: ZHAW

    Handlungsbedarf beim Jugendmedienschutz

    Sexuelle Belästigung im Internet und auch Cybermobbing haben weiter zugenommen: Fast die Hälfte der Jugendlichen wurde bereits mindestens einmal online sexuell belästigt. 2014 waren es noch 19 Prozent. Auch Beleidigungen im Internet haben über die Jahre um fast zehn Prozentpunkte zugenommen. Mädchen sind von sexuellen Belästigungen deutlich häufiger betroffen als Jungen (60 Prozent vs. 33 Prozent). Knapp die Hälfte der Mädchen wurde schon einmal von einer fremden Person aufgefordert, erotische Fotos von sich selbst zu verschicken.

    Die ZHAW-Forschenden sehen dringenden Handlungsbedarf. „Sexuelle Belästigung und Cybermobbing bei Jugendlichen sind Grenzüberschreitungen, die in einer sensiblen Phase der persönlichen und sexuellen Entwicklung passieren“, sagt Co-Studienleiter Daniel Süss. Es brauche deshalb weiterhin ein breites und vertieftes Angebot an medienpädagogischen Maßnahmen und Angeboten zur Stärkung der digitalen Selbstverteidigung.

    Datenschutz und Privatsphäre werden komplexer

    Beim Schutz der Privatsphäre im Netz werden Jugendliche nachlässiger: Gaben vor zehn Jahren noch 84 Prozent an, entsprechende Einstellungen in sozialen Netzwerken aktiviert zu haben, sind es aktuell nur noch 60 Prozent. Sorgen darüber, dass andere online persönliche Informationen sehen könnten, haben weiter abgenommen (2012: 38 Prozent; 2022: 28 Prozent). Gleichzeitig verhält sich die Mehrheit der Jugendlichen auf sozialen Netzwerken aber eher zurückhaltend und gibt öffentlich wenig von sich preis.

    „Das Thema Datenschutz und Privatsphäre im Netz hat sich verändert und wird zunehmend komplexer“, sagt Lilian Suter. Während zu Anfangszeiten der sozialen Netzwerke darauf fokussiert wurde, welche Informationen oder Fotos man nicht öffentlich teilen sollte, werde das Thema heutzutage von Aspekten wie Cookies, Algorithmen oder Ende-zu-Ende-Verschlüsselung dominiert und stelle Jugendliche vor zusätzliche Herausforderungen.

    Nationale Studie zur Jugendmediennutzung

    Die JAMES-Studie bildet den Umgang mit Medien von Jugendlichen in der Schweiz ab. JAMES steht für „Jugend, Aktivitäten, Medien – Erhebung Schweiz“ und wird alle zwei Jahre durchgeführt. In der repräsentativen Studie werden seit 2010 von der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften im Auftrag von Swisscom über 1.000 Jugendliche im Alter von zwölf bis 19 Jahren in den drei großen Sprachregionen der Schweiz zu ihrem Medien- und Freizeitverhalten befragt.

    Originalpublikation Ergebnisbericht JAMES-Studie 2022:  https://www.zhaw.ch/de/psychologie/forschung/medienpsychologie/mediennutzung/james/

    Pressestelle der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, 28.11.2022

  • Corona belastet Kinder und Jugendliche weiterhin – neue Krisen rücken nach

    Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist auch im dritten Jahr der Corona-Pandemie noch spürbar beeinträchtigt: Zwar sind die Belastungen nicht mehr so hoch wie während des ersten und zweiten Lockdowns, aber sie liegen durchgehend über den Werten vor der Pandemie. Das gilt für Sorgen und Ängste ebenso wie für psychosomatische Beschwerden. Immer noch leidet jedes vierte Kind unter psychischen Auffälligkeiten. Erneut sind insbesondere Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen betroffen. Während die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit abgenommen haben, rücken neue Krisen in den Vordergrund.

    Das sind die Ergebnisse der fünften Befragung der sogenannten COPSY-Studie (Corona und Psyche) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Die COPSY-Studie ist die erste bevölkerungsbasierte Längsschnittstudie bundesweit und gehört auch international zu den wenigen Längsschnittstudien.

    „Auch, wenn die psychischen Beschwerden langsam zurückgehen, sind sie immer noch häufiger als vor der Corona-Pandemie. Daher brauchen wir jetzt niedrigschwellige, nachhaltige und langfristige Konzepte und Strukturen, um Kinder und Jugendliche mit psychischen Belastungen aufzufangen und ihnen Hilfen anzubieten. Das ist wichtig, um für zukünftige Krisen gewappnet zu sein“, sagt Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der COPSY-Studie und Forschungsdirektorin der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des UKE. „Es besteht dringender Handlungsbedarf, den belasteten Kindern und Jugendlichen zu helfen, damit sie psychisch wieder gesunden und im späteren Erwachsenenleben keine Langzeitschäden entwickeln. Unser besonderes Augenmerk benötigen benachteiligte Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen, die überdurchschnittlich betroffen sind.“

    Lebensqualität, psychische und psychosomatische Auffälligkeiten in der fünften Befragung

    Gaben bei den ersten beiden Befragungen der COPSY-Studie während der Lockdowns im Jahr 2020 fast 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen an, eine geminderte Lebensqualität zu haben, sind es aktuell noch rund 27 Prozent. Auch der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten nimmt langsam ab und liegt bei etwa 23 Prozent – gegenüber einem Spitzenwert von rund 31 Prozent während des zweiten Lockdowns zum Jahreswechsel 2020/2021.

    Insgesamt hat sich die allgemeine psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen bis Herbst 2022 verbessert, doch die Werte für psychische Auffälligkeiten liegen noch immer deutlich über denen vor der Corona-Pandemie. Dies gilt ebenso für Symptome von Ängstlichkeit sowie psychosomatische Beschwerden. Reizbarkeit, Schlafprobleme, Niedergeschlagenheit und Nervosität sind immer noch deutlich stärker ausgeprägt als vor der Pandemie. Jedes zweite Kind ist mindestens einmal wöchentlich von Kopf- oder Bauchschmerzen betroffen. Allein die Symptome für Depressivität sind wieder auf das Niveau vor der Pandemie gesunken.

    Neue Auslöser für psychische Probleme

    Die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit scheinen nach drei Jahren etwas abgenommen zu haben. Die Kinder und Jugendlichen machen sich mittlerweile weniger Sorgen um Corona – noch zehn Prozent gaben an, dass sie die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen als besorgniserregend und seelisch belastend empfinden. Etwa die Hälfte der Kinder machen sich wegen anderer Krisen Sorgen. Zunehmend scheinen Ukraine-Krieg, Inflation sowie Energie- und Klimakrise die Kinder und Jugendlichen psychisch zu belasten: Zwischen 32 bis 44 Prozent von ihnen äußerten Ängste und Zukunftssorgen im Zusammenhang mit anderen aktuellen Krisen.

    Risiken und Ressourcen von Kindern und Jugendlichen bei der psychischen Gesundheit

    Kinder und Jugendliche, deren Eltern stark belastet sind, eine geringere Bildung haben, über beengten Wohnraum verfügen und/oder einen Migrationshintergrund aufweisen, gehören der Risikogruppe an. Diese Kinder und Jugendlichen hatten in allen fünf Befragungswellen über die drei Jahre der Pandemie ein höheres Risiko für eine geringe Lebensqualität, für mehr psychische Gesundheitsprobleme, Angstsymptome und Anzeichen von Depressivität. Demgegenüber haben Kinder und Jugendliche, die über ein gutes Familienklima und gute soziale Unterstützung berichten, ein deutlich geringeres Risiko für eine niedrigere Lebensqualität sowie psychische und psychosomatische Auffälligkeiten.

    Über die Studie

    Die COPSY-Längsschnittstudie erfasst die seelische Gesundheit, Lebensqualität, psychosomatischen Beschwerden sowie Ressourcen und Risikofaktoren von Kindern und Jugendlichen seit Beginn der Pandemie in bisher fünf Befragungswellen von 2020 bis 2022. Die 11- bis 17-Jährigen haben ihre Fragebögen selbst ausgefüllt, außerdem wurden Eltern von 7- bis 17-Jährigen zu Familien- und Kindergesundheit befragt. Die Stichprobe entspricht der Struktur der bundesdeutschen Grundgesamtheit laut aktuellem Mikrozensus (2018). Die fünfte Befragungswelle wurde im September und Oktober 2022 durchgeführt und mit präpandemischen Referenzwerten der „Befragung zum seelischen Wohlbefinden und Verhalten“ (BELLA) verglichen. Bei BELLA handelt es sich um ein Zusatzmodul der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KIGGS) im Rahmen der Bundesgesundheitsberichterstattung am Robert Koch-Institut (RKI).

    Originalpublikation:
    https://ssrn.com/abstract=4304666

    Weitere Informationen finden Sie unter www.uke.de/copsy.

    Pressestelle des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, 19.12.2022

  • Aufdeckung von Kindesmisshandlung

    Kinder- und Jugendärzt:innen müssen besser auf die Untersuchung misshandelter Kinder vorbereitet werden. Zu diesem Ergebnis kommt Louisa Thiekötter, Promovendin der Uni Witten/Herdecke. Ihre Ergebnisse wurden nun im internationalen Journal „Children“ veröffentlicht.

    Kinder- und Jugendärzt:innen spielen als primäre Ansprechpartner:innen zu Gesundheitsthemen eine Schlüsselrolle bei der Aufdeckung von Kindesmisshandlung. Jedoch sind sie oftmals enorm emotional gestresst und in der Folge unsicher, wenn sie erste Anzeichen dafür bemerken. Auffallend ist, dass dieses Phänomen bei jungen wie erfahrenen Ärzt:innen auftritt.

    Louisa Thiekötter ist selbst Kinder- und Jugendärztin in Weiterbildung an der Vestischen Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Datteln, einem Kooperationskrankenhaus der Universität Witten/Herdecke (UW/H). In ihrer Promotionsarbeit sammelte sie Daten dazu, wie gestresst Kinderärzt:innen sind, wenn sie womöglich misshandelte Kinder oder Jugendliche untersuchen. „Der Stressgrad, den die befragten Ärztinnen und Ärzte angeben, übersteigt deutlich klassische Notfallsituationen in der Primärversorgung. Das ist ein Zeichen dafür, dass es hier in der Ausbildung, aber auch in der Bereitstellung von Ressourcen, Verbesserungsbedarf gibt“, fasst Thiekötter die Ergebnisse zusammen.

    „Zwar sind Ärzt:innen grundsätzlich vertraut mit der Kinderschutzleitlinie, doch nicht immer sind die Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung eindeutig als solche einzuordnen“, ergänzt Prof. Dr. med. Oliver Fricke, Co-Autor der Publikation. „Auch in der Kommunikation mit Eltern oder Behörden fehlen häufig konkrete, praxistaugliche Prozesse und Informationen zur Umsetzung der Gespräche. Zudem ist der fachliche sowie interdisziplinäre Austausch – zum Beispiel zum eng benachbarten Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie und zur Psychotherapie – ausbaufähig.“

    Die Untersuchung wurde vom Berufsverband der Kinder- Jugendärzte unterstützt. Die nun vorliegenden Ergebnisse sollen dazu genutzt werden, die notwendigen Verbesserungen im Umgang mit Stressoren im Kinderschutz anzustoßen und dadurch die fachliche Versorgung in diesem Gebiet weiterzuentwickeln. Insbesondere könnten gesundheitspolitisch veranlasste Änderungen in der Ausbildung der Kinder- und Jugendärzte dazu beitragen, dass die Ärzt:innen für solch belastende Situationen besser ausgebildet werden. Dann könnten auch die bereits bestehenden Gesetze und Leitlinien effektiver greifen.

    Alle Ergebnisse sind als Publikation im internationalen Journal „Children“ im Open Access erschienen: https://www.mdpi.com/1892938

    Titel der Originalpublikation:
    How Stressful Is Examining Children with Symptoms of Child Abuse?—Measurement of Stress Appraisal (SAM) in German Physicians with Key Expertise in Pediatrics

    Pressestelle der Universität Witten/Herdecke, 17.11.2022

  • Rückstände von Kokain-Konsum im Abwasser

    Das Institut für sozialwissenschaftliche Forschung und Weiterbildung (IFW) an der Hochschule Koblenz hat gemeinsam mit den Klärwerken Koblenz und Neuwied I und mit der Bundesanstalt für Gewässerkunde das kriminologische Forschungsprojekt „Drogen in Koblenz und Umgebung – Abwasseranalyse auf Rückstände von Kokain-Konsum“ durchgeführt. Die Ergebnisse lassen Rückschlüsse auf die Menge und Qualität des konsumierten Kokains sowie auf die weiteren Umstände des Konsums zu.

    Das Forschungsteam entnahm die Proben während einer Trocken-Wetter-Periode vom 8. bis 14. März 2022. Die Bundesanstalt für Gewässerkunde untersuchte die Abwässer auf Kokain, Bezoylecgonin (BE, ein Humanmetabolit des Kokains), Cocaethylen und Levamisol. Die Analyse erfolgte anhand der Standards des European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA, Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht), welches seit einigen Jahren in vielen Städten Europas Abwasseruntersuchungen auf Drogenrückstände durchführen lässt.

    Auf der Grundlage der Messergebnisse führte das Forschungsteam eine kriminologische Auswertung durch. Nach dem Kokaingenuss scheidet der menschliche Körper im Urin das Abbauprodukt Benzoylecgonin aus. Im Untersuchungszeitraum wurde für den Raum Koblenz/Neuwied eine durchschnittliche Benzoylecgonin-Tagesfracht von etwa 276 Gramm/Tag/1000 Einwohner detektiert. Daraus errechnet sich unter Berücksichtigung von Unsicherheitsfaktoren wie etwa dem Aufkommen von Tagestourismus für den Beprobungszeitraum ein Kokainkonsum zwischen 0,4 und 1,6 Gramm pro Tag auf 1000 Einwohner.

    Cocaethylen wird bei gleichzeitigem Konsum von Kokain und Alkohol ausgeschieden. Hierbei zeigte sich, dass die Verhältnisse von Cocaethylen zu Benzoylecgonin am Wochenende höher sind als an Werktagen. Dies lässt sich durch einen verstärkten gemeinsamen Konsum von Kokain und Alkohol am Wochenende erklären.

    Bei der Analyse trat auch die zuweilen schlechte Qualität des in Koblenz und Umgebung konsumierten Kokains zu Tage, wie Projektleiter Prof. Dr. jur. Winfried Hetger erklärt: „Das Auffinden von Levamisol als Streckmittel von Kokain in einer Konzentration von durchschnittlich 14 Prozent ist besorgniserregend.“ Bei Levamisol handelt es sich um ein Entwurmungsmittel aus der Veterinärmedizin, welches in Deutschland nicht zugelassen ist. Der Konsum von mit Levamisol gestrecktem Kokain bedeutet ein erhebliches Gesundheitsrisiko für die Konsumierenden.

    Der Forschungsbericht empfiehlt die Einrichtung eines Drug-Checking-Programms in Deutschland, wie dies beispielsweise schon in der Schweiz, Österreich, den Niederlanden, Frankreich, Belgien, Großbritannien und Luxemburg seit Jahren etabliert ist. Hierbei können Kokainkäufer und -käuferinnen ihre Drogen auf gefährliche Überdosierungen und andere medizinisch bedenkliche Stoffe untersuchen lassen. Des Weiteren befürwortet der Bericht, in der Zukunft erneute Abwasseruntersuchungen zur weiteren Beobachtung des Drogenkonsums durchzuführen. „Auch wäre eine Drogenpräventions- und Aufklärungskampagne über Risiken des Drogenkonsums angezeigt. Hierbei sollten auch die genannten Gesundheitsgefahren deutlich herausgestellt werden“, betont Hetger.

    Der Forschungsbericht ist auf der Homepage des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung und Weiterbildung des Fachbereichs Sozialwissenschaften der Hochschule Koblenz www.hs-koblenz.de/ifw unter dem Menüpunkt „Forschung“ abrufbar.

    Pressestelle der Hochschule Koblenz – University of Applied Sciences, 6.12.2022

  • „Lean Back“

    Foto: Medienprojekt Wuppertal

    Die Filmreihe beschäftigt sich mit dem missbräuchlichen Konsum von Medikamenten durch junge Menschen. Im Zentrum der Filme stehen folgende Fragen: Warum nehmen junge Menschen Medikamente zu sich – um sich zu berauschen, um ihre Leistung zu steigern? Wie hat sich das Konsumverhalten junger Menschen verändert und welche Rolle spielen dabei popkulturelle Einflüsse? Welche Risiken bringt die missbräuchliche Nutzung von Medikamenten mit sich und wie hoch ist das Risiko, dass aus dem Konsum eine Sucht wird.

    Gerade starke Sedativa wie Benzodiazepine und verschiedene Opiate wie Tilidin und Codein erfreuen sich vor allem bei jüngeren Menschen großer Beliebtheit. Dabei spielen der ausgelöste Rausch sowie die Konsumform eine große Rolle – eine bunte Pille, ein bisschen lila Hustensaft umgefüllt in den Softdrink. Das Risiko von negativen körperlichen sowie psychischen Folgen wird meistens nicht bedacht und auch nicht, dass Überdosierung oder der Mischkonsum bestimmter Medikamente im schlimmsten Fall zum Tode führen können. Die Filmreihe zeigt aus dem Blickwinkel junger Konsument:innen die Gründe für missbräuchlichen Medikamentenkonsum und ihre Erfahrungen mit den Risiken.

    Die Filmreihe (160 min.) ist als Bildungs- und Aufklärungsmittel auf DVD und als Streaming / Download erhältlich. Mehr Informationen unter: https://www.medienprojekt-wuppertal.de/lean-back-dokumentarfilm-ueber-medikamentenmissbrauch

    Die Filme:

    • Mehr Packungsbeilagen als Schulbücher
    • Nebel im Kopf
    • Glücklich sein
    • Bis zum nächsten High
    • Meine eigene kleine Welt
    • Jeder muss irgendwann seine Rechnung zahlen
    • Harte Männer mit hartem Trauma
    • Straßenumfrage 1: Kaugummi-Zigaretten 2.0
    • Straßenumfrage 2: Ist das Lean?
    • Experteninterview 1: Konsum gehört zum Leben dazu
    • Experteninterview 2: Konsum-Ende

    Quelle: Newsletter des Medienprojekts Wuppertal, 14.11.2022

  • Einsamkeit und soziale Isolation im Alter

    Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Federführung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) die Frage untersucht, welche Maßnahmen einer sozialen Isolation und Einsamkeit im Alter vorbeugen oder entgegenwirken könnten. Ihr Fazit: Die große Uneinheitlichkeit und methodische Schwächen der vorliegenden Studien lassen keine eindeutigen Aussagen zu der Frage zu, welche Maßnahmen helfen. Für einige Ansätze deuten sich aber positive Effekte an.

    Anfrage eines Bürgers war Ausgangspunkt des ThemenCheck-Berichts

    Etwa zehn Prozent der Erwachsenen berichten, dass sie sich oft einsam fühlen. Einsamkeit kann, insbesondere wenn sie auf Dauer besteht, ein Risikofaktor für schlechte Gesundheit und geringe Lebensqualität sein. Deshalb hat sich auch die Bundesregierung des Themas angenommen und angekündigt, bis zum Ende der Legislaturperiode eine Strategie gegen Einsamkeit vor allem bei älteren Menschen zu erarbeiten. Zwar fühlen sich ältere Menschen nicht häufiger einsam als jüngere, sie sind aber öfter Veränderungen ausgesetzt, die soziale Isolation und belastende Gefühle von Einsamkeit begünstigen, wie etwa eine knappe Rente, der Verlust beruflicher Kontakte mit dem Eintritt ins Rentenalter, der Wegzug von Angehörigen, Krankheiten, eingeschränkte Mobilität sowie abnehmendes Hör- und Sehvermögen.

    Ältere Menschen, die sozial isoliert oder einsam sind, leiden häufiger unter Bluthochdruck, Angststörungen, Depressionen und Schlafstörungen. Zudem sterben sie oft früher als sozial eingebundene Menschen. Vor diesem Hintergrund stellte ein Bürger im Rahmen des ThemenChecks Medizin die Frage, ob es wirksame Maßnahmen zur Vorbeugung und Reduzierung sozialer Isolation im Alter gibt.

    Bei vier Maßnahmen positive Ergebnisse

    Das beauftragte Wissenschaftsteam unter der Federführung des UKE konnte insgesamt 14 Studien zur Fragestellung identifizieren, davon sechs zur Prävention bei Menschen, die ein erhöhtes Risiko für soziale Isolation hatten, und acht zur Therapie bei Menschen, die bereits sozial isoliert waren. Diese Studien untersuchten unterschiedliche Angebote: Besuche oder Telefonate mit Ehrenamtlichen, Sportkurse, Freizeitangebote, eine Tablet-Schulung, psychotherapeutische Unterstützung und die Begleitung durch Gesundheitslotsen. Allerdings haben die vorliegenden Studien Schwächen und sind nicht sehr aussagekräftig, sodass sich schlecht beurteilen lässt, wie hilfreich die untersuchten Angebote sind. Vier Studien deuten aber positive Effekte an – davon drei zur Therapie und eine zur Prävention:

    In den USA zeigte ein Programm, dass persönliche oder telefonische Kontakte mit gleichaltrigen ehrenamtlichen Personen Angstsymptome bei älteren Menschen von durchschnittlich 71 Jahren reduzieren konnten. Das Programm lief über ein Jahr, die Kontakte erfolgten einmal pro Woche.

    In Kanada zeigte ein Programm, dass Besuche durch ehrenamtlich tätige Studierende die Lebenszufriedenheit steigern konnten. Die Studierenden besuchten die älteren Menschen, die im Durchschnitt ca. 79 Jahre alt waren, sechs Wochen lang einmal pro Woche für drei Stunden. Sie unternahmen beispielsweise Spaziergänge, lasen vor oder unterstützten im Haushalt.

    In Finnland wurde ein dreimonatiges Programm erprobt, in dem die Teilnehmenden im Alter von durchschnittlich 80 Jahren zwischen verschiedenen Angeboten wählen konnten: therapeutisches Schreiben und Psychotherapie, Sport und Diskussion von Gesundheitsthemen oder Beschäftigung mit Kunst, Musik, Theater und Malerei. Die Angebote fanden in Gruppen statt und wurden professionell betreut. Die Teilnehmenden des Programms fühlten sich gesünder, und es gab innerhalb von zwei Jahren nach dem Programm sogar weniger Sterbefälle als bei Personen, die das Programm nicht erhalten hatten.

    In China wurde ein Präventions-Programm für ältere Menschen entwickelt, deren erwachsene Kinder aus dem gemeinsamen Haushalt ausgezogen waren. In von Fachleuten geführten Gruppentreffen sollte das Interesse an sozialer Interaktion gesteigert und gegenseitige Hilfe gefördert werden. Das Programm dauerte sieben Monate und konnte die soziale Unterstützung der Teilnehmenden steigern.

    Ob die Maßnahmen weitere Vorteile haben, bleibt unklar. Zudem wurde in keiner der Studien untersucht, ob die Maßnahmen auch negative Auswirkungen hatten.

    Der ThemenCheck Medizin

    Interessierte Einzelpersonen können im Rahmen des ThemenChecks Medizin Vorschläge für die Bewertung von medizinischen Verfahren und Technologien einreichen. In einem zweistufigen Auswahlverfahren, an dem auch Bürgerinnen und Bürger beteiligt sind, werden aus allen eingereichten Vorschlägen jedes Jahr bis zu fünf neue Themen ausgewählt. Laut gesetzlichem Auftrag sollen dies Themen sein, die für die Versorgung von Patientinnen und Patienten von besonderer Bedeutung sind.

    Die ThemenCheck-Berichte werden nicht vom IQWiG selbst verfasst, sondern von externen Sachverständigen. Deren Bewertung wird gemeinsam mit einer allgemein verständlichen Kurzfassung und einem IQWiG-Herausgeberkommentar veröffentlicht.

    Originalpublikation auf der Website des IQWiG:
    Soziale Isolation und Einsamkeit im Alter: Welche Maßnahmen können einer sozialen Isolation vorbeugen oder entgegenwirken?

    Pressestelle des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), 30.11.2022

    Literaturtipp

    Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Einsamkeit liefert jetzt die aktuelle Ausgabe der Fachzeitschrift „PiD – Psychotherapie im Dialog“ (Ausgabe 4/2022, Georg Thieme Verlag). Expert:innen aus Psychotherapie und Medizin berichten über Risikofaktoren, seelische und körperliche Folgen von Einsamkeit sowie ihre Ausprägung in unterschiedlichen Lebensphasen und -situationen: von der Kindheit bis zum Alter, bei pflegenden Angehörigen oder bei einer vorliegenden Depression. (Anm. d. Red. KONTUREN)

  • Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember

    Das Robert Koch-Institut hat eine neue umfassende Auswertung zur HIV/AIDS-Situation in Deutschland veröffentlicht. Die im Epidemiologischen Bulletin veröffentlichte Analyse anlässlich des Welt-AIDS-Tages am 1. Dezember zeigt, dass sich im Jahr 2021 geschätzt 1.800 Personen mit HIV infiziert haben, genauso viele wie 2020. Die Zahl der Neuinfektionen liegt so niedrig wie zuletzt vor zwei Jahrzehnten. Allerdings steht die Schätzung für 2021 unter dem Vorbehalt, dass möglicherweise eine geringere Test-Inanspruchnahme während der Pandemie die Zahl der Neuinfektionen unterschätzt. „Unabhängig davon: Diese Fallzahlen sind immer noch zu hoch, es bedarf weiterer Anstrengungen, vor allem, um die zielgruppenspezifischen Testangebote und den Zugang zu Therapie und Prophylaxe zu verbessern“, betont Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts.

    Neuinfektionen

    Die Trends in den drei am stärksten betroffenen Gruppen verlaufen unterschiedlich. Bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), ist die Zahl der geschätzten Neuinfektionen von 1.100 im Jahr 2020 auf etwa 1000 im Jahr 2021 gesunken. Bei Personen mit einer Infektion auf heterosexuellem Weg stagniert die Zahl der Neuinfektionen dagegen seit einigen Jahren und lag Ende 2021 bei etwa 440. Beim Gebrauch intravenöser Drogen haben sich 2021 etwa 320 Menschen mit HIV infiziert, bei dieser Gruppe zeigt die Modellierung einen deutlichen Anstieg seit 2010 und eine Stabilisierung seit 2019.

    Die Zahl der Menschen mit HIV in Deutschland lag Ende 2021 bei 90.800. Von diesen sind etwa 8.600 HIV-Infektionen noch nicht diagnostiziert. Daher sind leicht zugängliche Testangebote, Testbereitschaft und die Kenntnis von Infektionsrisiken wichtig. HIV-Infektionen auf heterosexuellem Weg z. B. gibt es vor allem über sexuelle Kontakte zu Personen mit intravenösem Drogengebrauch, MSM und im Ausland mit HIV-infizierten Personen.

    Neudiagnosen

    Der Anteil der Menschen mit diagnostizierter HIV-Infektion, die eine antiretrovirale Therapie erhalten, liegt 2021 unverändert bei etwa 96 Prozent. Bei fast allen Behandelten ist die Behandlung erfolgreich, so dass sie nicht mehr infektiös sind. Etwa ein Drittel aller neu diagnostizierten HIV-Infektionen wurde 2021 erst mit einem fortgeschrittenen Immundefekt diagnostiziert, fast jede fünfte Infektion sogar erst mit dem Vollbild AIDS. HIV wird in erster Linie durch Menschen übertragen, deren HIV-Infektion noch nicht diagnostiziert wurde. Zudem ist bei Spätdiagnosen die Sterblichkeit höher. Kondome zu benutzen, bleibt ein Grundpfeiler der Prävention von HIV und weiteren sexuell übertragbaren Erreger.

    Präexpositionsprophylaxe (PrEP)

    Mit der Präexpositionsprophylaxe (PrEP) steht ein zusätzliches Instrument zur Verhinderung von Infektionen zur Verfügung. Seit September 2019 übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für Menschen mit substanziellem HIV-Risiko. Der Einfluss der PrEP auf das Infektionsgeschehen kann aufgrund der Veränderungen des Sexual- und Testverhaltens im Kontext der COVID-19-Pandemie nicht verlässlich eingeschätzt werden. Der Rückgang von HIV-Neudiagnosen und der geschätzte Rückgang von Neuinfektionen seit 2019 deuten auf eine Verhinderung von Neuinfektionen durch PrEP-Gebrauch hin.

    Jährliche Schätzung

    Das RKI schätzt die Zahl der HIV-Neuinfektionen jedes Jahr neu. Durch zusätzliche Daten und Informationen sowie Anpassung der Methodik können sich die Ergebnisse der Berechnungen von Jahr zu Jahr verändern und liefern jedes Jahr eine aktualisierte Einschätzung des bisherigen Verlaufs der Epidemie. Die geschätzten Neuinfektionen sind nicht zu verwechseln mit den beim RKI gemeldeten Neudiagnosen. Da HIV über Jahre keine auffälligen Beschwerden verursacht, kann der Infektionszeitpunkt länger zurückliegen.

    Das Epidemiologische Bulletin 47/2022 und weitere Informationen, z. B. Eckdaten für die einzelnen Bundesländer, sind online abrufbar: www.rki.de/hiv

    Pressestelle des Robert Koch-Instituts, 24.11.2022

  • DBDD-Bericht 2022 zur Situation illegaler Drogen

    Die Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) hat ihren jährlichen Bericht veröffentlicht. Dieser bietet einen vollständigen Überblick über das Konsumverhalten in der Altersgruppe der 12- bis 64-Jährigen in Deutschland. Darüber hinaus zeigt er die aktuellen Entwicklungen in den Bereichen Prävention, Beratung, Behandlung, Schadensminderung und Angebotsbekämpfung mit Blick auf illegale Drogen in Deutschland auf und bietet entsprechende Hintergrundinformationen.

    Cannabis

    In diesem Jahr fasst der Bericht die neuesten Ergebnisse zum Drogenkonsum in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung aus dem epidemiologischen Suchtsurvey zusammen. Im letzten Jahr vor der Befragung haben demnach etwa 4,5 Millionen Erwachsene (8,8 Prozent der Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren) Cannabis konsumiert. Nach den neuesten Zahlen zum Cannabiskonsum von Jugendlichen aus dem Alkoholsurvey der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sind es bei den 12- bis 17-Jährigen 7,6 Prozent, bei den jungen Erwachsenen (18- bis 25-Jährige) sogar 25 Prozent. Cannabis bleibt damit die mit Abstand am weitesten verbreitete illegale Substanz in Deutschland.

    In einem parallel zum Bericht erscheinenden Factsheet Cannabis veröffentlicht die DBDD die wichtigsten Informationen zum Thema Cannabis in Kurzform.

    Stimulanzien

    Stimulanzien, also aufputschende Substanzen, wurden am zweit- und dritthäufigsten konsumiert: Etwa 818.000 Erwachsene haben im Jahr vor der Befragung Kokain konsumiert (1,6 Prozent), etwa 716.000 Erwachsene Amphetamin (1,4 Prozent). Neue psychoaktive Substanzen haben etwa 665.000 Erwachsene konsumiert (1,3 Prozent).

    Esther Neumeier, Leiterin der Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD): „Auch wenn andere illegale Substanzen weit weniger verbreitet sind als Cannabis, sehen wir hier im Zeitverlauf vergleichsweise hohe Konsumprävalenzen und gleichzeitig eine hohe Verfügbarkeit dieser Substanzen auf dem Schwarzmarkt. Wir brauchen ein gutes Monitoring, um solche größeren Entwicklungen aufzeigen zu können. Gleichzeitig benötigen wir Forschung, die sich mit einzelnen Gruppen von Konsumierenden, ihren Motiven, Problemen und Hilfebedarfen befasst, um mehr evidenzbasierte Harm Reduction-Maßnahmen zu entwickeln.“

    Prävention

    Im Bereich der Prävention zeichnet sich eine langsame Erholung vom coronabedingten Rückgang des Vorjahres ab: 2021 wurden rund 21.000 Suchtpräventionsmaßnahmen (20 Prozent mehr als im Jahr 2020) im Dokumentationssystem für Maßnahmen der Suchtprävention „Dot.sys“ festgehalten.

    Der Bericht der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht erscheint jährlich und fasst als Teil des Europäischen Drogenbeobachtungssystems die Situation illegaler Drogen in Deutschland zusammen. Den vollständigen Bericht finden Sie unter www.dbdd.de.

    Der Bericht besteht aus verschiedenen Workbooks im PDF-Format zu folgenden Themen:

    • Workbook Drogenpolitik
    • Workbook Drogen
    • Workbook Prävention
    • Workbook Behandlung
    • Workbook Gesundheitliche Begleiterscheinungen und Schadensminderung
    • Workbook Drogenmärkte und Kriminalität
    • Workbook Gefängnis

    Das Workbook Rechtliche Rahmenbedingungen  wurde 2022 nicht neu erstellt, die Version von 2021 finden Sie weiterhin hier.

    Gemeinsame Pressemitteilung BMG und DBDD, 23.11.2022

  • Partnerschaftsgewalt: Zahl der Opfer in fünf Jahren um 3,4 Prozent gestiegen

    Während die Anzahl der Opfer von Gewalt in Partnerschaften von 2020 auf 2021 um drei Prozent gesunken ist, stieg sie in den vergangenen fünf Jahren insgesamt um 3,4 Prozent, von 138.893 Opfern im Jahr 2017 auf 143.604 Opfer im Jahr 2021.

    Ganz überwiegend trifft diese Gewalt Frauen, während die Täter meist Männer sind: 2021 waren 80,3 Prozent der Opfer weiblich, 78,8 Prozent der Tatverdächtigen waren männlich. Das zeigt die Kriminalistische Auswertung Partnerschaftsgewalt 2021, die Bundesfrauenministerin Lisa Paus und Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, am 24.11.2022 in Berlin vorgestellt haben.

    Bundesfrauenministerin Lisa Paus: „Jede Stunde erleiden durchschnittlich 13 Frauen Gewalt in der Partnerschaft. Beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder Expartner eine Frau zu töten. Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch ihren derzeitigen oder vorherigen Partner. Das ist die Realität. Realität ist auch, dass viele Gewaltopfer Angst haben, sich Hilfe zu holen. Deshalb brauchen wir ein flächendeckendes, niedrigschwelliges Unterstützungsangebot, in der Stadt genauso wie auf dem Land. Ich kämpfe dafür, die Lücken im Netz der Frauenhäuser und Beratungsstellen zu schließen. Wir werden eine einheitliche Rechtsgrundlage schaffen, um die Hilfeeinrichtungen verlässlich finanziell absichern zu können. Damit Frauen in Zukunft überall in Deutschland einen sicheren Zufluchtsort und kompetente Beratung und Hilfe finden.“

    Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch: „Der Begriff Partnerschaftsgewalt umfasst sowohl psychische als auch physische Gewalttaten – bis hin zu Tötungsdelikten. Auch wenn wir mit -2,5 Prozent der Fälle 2021 einen leichten Rückgang verzeichnen, zeigt die Tendenz bei den registrierten Fallzahlen in diesem Kriminalitätsbereich in den vergangenen Jahren kontinuierlich nach oben. Zudem werden viele dieser Taten, denen inmitten unserer Gesellschaft tagtäglich weit überwiegend Frauen zum Opfer fallen, nach wie vor nicht bei der Polizei gemeldet. Für das BKA ist es daher eine Kernaufgabe, das Dunkelfeld weiter auszuleuchten und mit entsprechender Forschung Informationen zur Verbreitung, Risikofaktoren, dem Anzeigeverhalten sowie der Nutzung von Hilfs- und Unterstützungsangeboten zu generieren.“

    Kernaussagen zur Partnerschaftsgewalt 2021:

    (in Klammern die Angaben für 2020)

    • 143.016 Fälle von Gewalt in Partnerschaften (146.655)
    • 143.604 Opfer (148.031), davon 80,3 Prozent weiblich (= 115.342), 19,7 Prozent männlich (= 28.262)

    Art der Delikte:

    • 59,6 Prozent vorsätzliche einfache Körperverletzung
    • 24,2 Prozent Bedrohung, Stalking, Nötigung
    • 12,2 Prozent gefährliche Körperverletzung
    • 2,5 Prozent Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexuelle Übergriffe
    • 0,3 Prozent Mord und Totschlag
    • 1,3 Prozent andere Delikte

    Die Polizeiliche Kriminalstatistik registriert die Straftaten nicht nach der Tatzeit, sondern zum Zeitpunkt der Abgabe an die Staatsanwaltschaft.

    2021 wurden insgesamt 369 Personen als Opfer von versuchtem und vollendetem Mord und Totschlag (0,3 Prozent) erfasst. Die Anzahl der Opfer bei vollendetem Mord und Totschlag lag bei 121, davon 109 weibliche und zwölf männliche. Hinzu kommen vier Fälle von Körperverletzung mit Todesfolge durch Partnerschaftsgewalt bei Frauen und zwei Fälle bei Männern. Damit sind 113 Frauen und 14 Männer Opfer von Partnerschaftsgewalt mit tödlichem Ausgang geworden.

    Möglicherweise hat die Situation während der Pandemie das Anzeigeverhalten von Opfern und die Möglichkeiten zur Aufdeckung durch Dritte beeinflusst. Daher könnte sich das tatsächliche Ausmaß von Partnerschaftsgewalt vergrößert haben, ohne von der Polizei registriert zu werden. Darauf deuten die Auswertungen des bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ hin. Diese zeigen, dass die Zahl der Beratungskontakte in den Corona-Lockdowns zugenommen hat: 2021 wurden mehr als 54.000 Beratungen dokumentiert, rund fünf Prozent mehr als im Vorjahr.

    Um einen besseren Einblick in das sogenannte Dunkelfeld zu erhalten, führen das Bundesinnenministerium und das Bundesfrauenministerium gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt eine repräsentative Befragung zu Gewalterfahrungen durch, die nicht der Polizei gemeldet wurden. Die Studie soll helfen, Kenntnisse über das Dunkelfeld bei häuslicher Gewalt und sexualisierter Gewalt zu sammeln, um Hilfsangebote und Opferschutzangebote zielgenau ausbauen zu können. Weitere Informationen unter: www.bka.de/lesubia

    Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet Frauen unter der Nummer 08000 116 016 rund um die Uhr kostenlose und anonyme Beratung in 18 Sprachen an. Weitere Informationen unter www.hilfetelefon.de

    Pressemitteilung des Bundesfamilienministeriums, 24.11.2022

    Literaturtipp

    Anmerkung der Redaktion: In diesem Zusammenhang möchten wir auf eine Digitale Graphic Novel für Jugendliche hinweisen:

    HINTER TÜREN
    von Isabel Kreitz und Stefan Dinter
    entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“

    Erzählt wird die Geschichte einer jungen Journalistin, die auf einen Fall von Häuslicher Gewalt aufmerksam wird, der über Jahrzehnte hinweg verschwiegen blieb. Nach dem Überwinden einiger Hürden schafft sie es, die Geschichte publik zu machen und für einen offenen Umgang mit dem Thema einzutreten.

    kostenlos
    online zugänglich: https://www.hintertueren.de/
    ISBN: 978-3-314-10481-7
    © 2016 Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben