Kategorie: Kurzmeldungen

  • Cannabis als Medizin

    Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat am 6. Juli  den Abschlussbericht für die Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln veröffentlicht. In die Auswertung sind seit 2017 anonymisierte Daten zu rund 21.000 Behandlungen mit Cannabisblüten und -extrakten sowie mit Dronabinol, Nabilon und Sativex® eingeflossen.

    Mehr als 75 % der ausgewerteten Behandlungen erfolgten aufgrund chronischer Schmerzen. Weitere häufig behandelte Symptome waren Spastik (9,6 %) und Anorexie/Wasting (5,1 %). Bezogen auf alle Cannabisarzneimittel sind die behandelten Personen im Durchschnitt 57 Jahre alt und in der Mehrzahl weiblich.

    Eine Besonderheit stellt die Behandlung mit Cannabisblüten dar. Hier lag das Durchschnittsalter bei 45,5 Jahren und mehr als zwei Drittel der Behandelten waren männlich. Bezogen auf den THC-Gehalt werden diese Patientinnen und Patienten mit einer vielfach höheren Dosis therapiert und berichten dreimal häufiger von einer euphorisierenden Wirkung.

    Die durchgeführte Form der Begleiterhebung, mit der das BfArM vom Gesetzgeber beauftragt wurde, ist keine klinische Studie zur Prüfung der Wirksamkeit und Sicherheit eines Arzneimittels. Es handelt sich vielmehr um anonymisierte Behandlungsdaten, die Hinweise auf mögliche Anwendungsgebiete, Nebenwirkungen und auch Begrenzungen einer Therapie mit Cannabisarzneimitteln liefern. Die Ergebnisse der Begleiterhebung dienen dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als eine Grundlage für die weitere Regelung zur Versorgung der Patientinnen und Patienten mit Cannabisarzneimitteln und des Näheren zur Erstattungsfähigkeit in der GKV.

    2017 wurden die gesetzlichen Möglichkeiten für eine Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit von Cannabisarzneimitteln geschaffen, selbst wenn diese Arzneimittel zur Behandlung der bestehenden Symptomatik nicht als Fertigarzneimittel zugelassen sind. Damit sollten Patientinnen und Patienten, denen zu ihrer Behandlung keine weiteren Arzneimittel zur Verfügung stehen und bei denen die Behandlung mit Cannabisarzneimitteln Aussicht auf Erfolg hat, nicht der Selbsttherapie bzw. dem Selbstanbau von Cannabis überlassen werden. Diese Neuregelung sollte die Versorgung sichern und Anreize für die Erforschung von Cannabisarzneimitteln schaffen, um mittelfristig die arzneimittelrechtliche Zulassung von Fertigarzneimitteln zu erreichen, damit Patientinnen und Patienten sichere und wirksame Arzneimittel zur Verfügung stehen.

    Der Abschlussbericht zur Begleiterhebung ist veröffentlicht unter:
    https://www.bfarm.de/cannabis-begleiterhebung

    Pressestelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), 6.7.2022

  • Kindermedikamente gezielt und sicher einsetzen

    Macht das Kind einen kranken Eindruck, ist den Eltern schnell angst und bange: Was hat es bloß? Ist es etwas Schlimmes? Was können wir tun? In solchen Fällen sofort zu einem Medikament zu greifen ist unnötig und häufig sogar falsch, betont die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.

    „Bei harmlosen Beschwerden wie leicht erhöhten Temperaturen sollten Eltern nicht immer sofort zu Fieberzäpfchen, Säften oder Tropfen greifen, sondern der Selbstheilung des kindlichen Organismus eine Chance geben und auch bewährte Hausmittel wie Wadenwickel oder ein Abkühlbad erwägen“, empfiehlt Prof. Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der in München ansässigen Stiftung Kindergesundheit. Bei Kindern, die trotz erhöhter Temperatur munter sind und normal essen und trinken, müssen keine Maßnahmen ergriffen werden. Steigt die Temperatur aber über 38,5 Grad an, kann der Allgemeinzustand eines Kindes beeinträchtigt werden: Es fühlt sich schlecht, hat Muskel- und Gliederschmerzen, ist appetitlos und quengelig. „Wenn das Kind so offensichtlich leidet, ist es sinnvoll, das Fieber zu senken“, so Prof. Koletzko.

    „Sollen Medikamente bei Kindern eingesetzt werden, so müssen die Eltern mehr beachten als Erwachsene bei der Einnahme von Arzneimitteln“, sagt Prof. Koletzko. „Sie sollten auch bei rezeptfreien Mitteln vorsichtig sein und sich in Zweifelsfällen lieber an ihren Kinder- und Jugendarzt wenden“.

    Mädchen greifen häufiger zu Medikamenten als Jungen

    Aktuelle Daten zeigen, dass für einen beachtlichen Teil der Menschen in Deutschland das Einnehmen von Medikamenten zur Gewohnheit geworden ist:

    • Die Umsätze für Arzneimittel auf Kassenrezept haben sich seit 2005 von 23,6 auf 53,3 Milliarden Euro mehr als verdoppelt.
    • Die große Kindergesundheitsstudie des Robert Koch Instituts KiGGS (Welle 2) untersuchte die Einnahme von Medikamenten bei Kindern und Jugendlichen bis zu 17 Jahren und ermittelte beunruhigende Zahlen: Von 3.462 Kindern und Jugendlichen wendeten 1.292 mindestens ein Präparat in den letzten sieben Tagen an. Das entspricht einer Häufigkeit von 36,4 Prozent und bedeutet, dass im Durchschnitt jedes dritte Kind und Jugendliche im Alter von 3 bis 17 Jahren mindestens ein Arzneimittel und/oder Nahrungsergänzungsmittel in den letzten sieben Tagen angewendet hatte. Mädchen nahmen mit 38,5 Prozent signifikant häufiger Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel ein als Jungen mit 34,4 Prozent. Verwendet wurden insgesamt 2.265 Präparate, am häufigsten Mittel gegen Husten und Schnupfen.

    Unter diesen Umständen ist es tröstlich zu wissen, dass viele Medikamente ausgesprochen harmlos oder manche Präparate sogar ohne eine spezifische Wirkung sind. Dass sie dem Patienten dennoch häufig nützliche Dienste erweisen, liegt vermutlich in der sogenannten „Placebo-Wirkung“ dieser Präparate. Als „Placebo“ bezeichnet die Medizin Scheinmedikamente, die im Aussehen und Geschmack einem echten Arzneimittel gleichen, aber keine pharmakologisch wirksamen Substanzen enthalten.

    Auch homöopathische Arzneimittel zählen zu den Medikamenten mit nicht belegbarer Wirksamkeit. Sie wirken nicht über den Placeboeffekt hinaus. Die meisten Homöopathika müssen von den Patienten selbst bezahlt werden. Ihr Apothekenumsatz lag 2021 bei immerhin 535 Millionen Euro.

    „Rezeptfrei“ heißt nicht immer harmlos

    Weil viele Arzneimittel ohne Rezept erhältlich sind, werden ihre Wirkungen und Risiken von Eltern häufig unterschätzt, betont die Stiftung Kindergesundheit. Diese Medikamente werden als OTC-Arzneimittel bezeichnet („Over The Counter“). Zu ihnen gehören auch verschiedene Schmerz- und Fiebermittel, die in Apotheken angeboten werden.

    Sie sind keineswegs immer harmlos: So soll Acetylsalicylsäure (ASS, „Aspirin“) wegen der Gefahr einer zwar seltenen, aber gefährlichen Komplikation („Reye-Syndrom“) bei Kindern erst ab zwölf Jahren eingesetzt werden. Andere Schmerzmittel können die Nierenfunktion beeinflussen. Auch Paracetamol gehört zu den am häufigsten verkauften OTC-Schmerzmitteln in Deutschland. Bei Überdosierung bzw. zu häufiger Gabe kann der Wirkstoff schwere Leberschäden verursachen, aber auch Veränderungen des Blutbildes auslösen.

    Es gibt viele Gründe, weshalb Medikamente gerade bei Kindern generell zurückhaltend eingesetzt werden sollten, sagt die Stiftung Kindergesundheit:

    • Kinder reagieren anders auf Arzneimittel als Erwachsene: So bauen Babys und kleine Kinder ein Arzneimittel weniger schnell ab und scheiden sie auch weniger rasch aus.
    • Der wachsende Organismus von Kindern und Jugendlichen reagiert unter Umständen in jeder Entwicklungsphase unterschiedlich auf die Wirkstoffe von Arzneimitteln. Gerade die Funktionen jener Organe, die entscheidend bei der Aufnahme und Verarbeitung von Medikamenten sind, sind zunächst unvollständig entwickelt. Diese Effekte sind umso ausgeprägter, je jünger das Kind ist. Deshalb ist bei Früh- und Neugeborenen die Gefahr einer Überdosierung besonders hoch. So sind zum Beispiel die Arbeit der Leber und die Nierenfunktion noch nicht vollständig ausgereift.
    • Ebenfalls noch nicht vollständig gereift ist in sehr jungem Alter die Barrierefunktion der Haut. Die Folge: Bestimmte Arzneimittel, die auf der Haut angewendet werden, gelangen durch eine verstärkte Aufnahme (Resorption) durch die Haut auch in andere Teile des Körpers (Mediziner sprechen von einer „systemischen Wirkung“.) Beispiele dafür sind kortisonhaltige Zubereitungen oder jodhaltige Desinfektionsmittel.
    • Es gibt zudem Arzneimittel, die Wachstum und Entwicklung beeinträchtigen können.

    Gewohnheiten der Familie vererben sich leicht

    Eltern sind ihren Kindern manchmal auch in Dingen Vorbild, in denen sie es gar nicht so gern sein möchten, gibt die Stiftung Kindergesundheit zu bedenken: Nicht nur die Tischsitten werden in der Familie erlernt, sondern auch die Trinkgewohnheiten und der Umgang mit Medikamenten.

    Die Kinder beobachten, wie ihre Eltern ihre Alltagsprobleme zu bewältigen versuchen. Wenn die Mutter bei jedem Unwohlsein oder jeder Verstimmung zur Tablette greift oder der Vater zur Flasche, gewinnen die Kinder den Eindruck, dies sei ganz normal – und machen es später genauso. Viele Suchtexperten sind überzeugt, dass weder Zigaretten noch Haschisch die eigentlichen Einstiegsdrogen für härtere Substanzen sind, sondern Medikamente, die in vielen Familien oft so unbekümmert konsumiert werden.

    So können Kindern auch durch den regelmäßigen Einsatz von frei verkäuflichen Arzneimitteln oder Globuli auf die Einnahme einer Tablette konditioniert werden. Sie lernen dann nicht ihrem Körper und sich selbst zuzutrauen, auch allein mit Schmerzen oder negativen Gefühlen fertig zu werden, ohne etwas einzunehmen. Sie verinnerlichen schon früh: „Ich nehme eine Tablette, dann geht es mir besser”.

    Keine Pillen aus der Hausapotheke der Eltern

    Die Stiftung Kindergesundheit empfiehlt den Eltern bei der Selbstbehandlung ihres Kindes mit Medikamenten die Beachtung folgende Punkte:

    • Verwenden Sie nur Präparate, die für Kinder zugelassen sind und bei denen klare Dosierungshinweise auf dem Beipackzettel stehen.
    • Geben Sie Ihrem Kind niemals Medikamente, die von der Behandlung eines Erwachsenen übriggeblieben sind.
    • Lassen Sie sich bei der Dosierung des Mittels von einem Arzt oder einem Apotheker beraten.
    • Halten Sie sich streng an die vorgeschriebene Dosierung und ändern Sie sie niemals eigenmächtig – viel hilft nicht viel, eher im Gegenteil!
    • Seien Sie sparsam mit Cremes und Salben und wenden sie nie großflächig an: Wegen der im Bezug zum Körpergewicht weitaus größeren Hautoberfläche von Babys und kleinen Kindern werden Wirkstoffe, aber auch potentiell schädliche Hilfsstoffe (z. B. Alkohol oder Phenole) in höherem Maße aufgenommen als im späteren Alter.
    • Kinder können farbige Dragees, Tabletten oder Arzneisäfte nicht von Süßigkeiten oder Getränken unterscheiden: Bewahren Sie Arzneimittel deshalb immer außer der Reichweite von Kinderhänden und kindersicher verschlossen auf.

    „Medikamente sollten übrigens auf keinen Fall als ‚Bonbons‘, ‚Guddi‘ oder ‚Zuckerl‘ bezeichnet werden“, betont Prof. Koletzko. „Auch flüssige Medikamente sollten niemals als ‚Fruchtsaft‘ oder ‚süß‘ angepriesen werden, um sie dem Kind schmackhaft zu machen! Solche Verharmlosungen erhöhen die Gefahr, dass unverschlossene Medikamente in einem unbeobachteten Augenblick vom Kind geschluckt oder getrunken werden.“

    Pressestelle der Stiftung Kindergesundheit, 14.7.2022

  • Wie sich Selbstkontrolle im Gehirn entwickelt

    Manchmal können wir einfach nicht widerstehen, die Verlockung ist zu groß. Ehe wir uns versehen, ist die Familienpackung Gummibärchen leer oder unser Warenkorb prall gefüllt. Kleinen Kindern fällt es noch deutlich schwerer als Erwachsenen, diesem Impuls zu widerstehen, zwischen drei und vier Jahren macht diese Fähigkeit zur Selbstkontrolle einen entscheidenden Entwicklungssprung. Bislang war unklar, woran das liegt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben jetzt herausgefunden: In dieser Zeit reift ein zentrales Hirnnetzwerk heran.

    Als Erwachsene besitzen wir die Fähigkeit, unsere eigenen Gedanken, Emotionen und unser Verhalten zu kontrollieren. Wir haben eine Art inneres Stoppschild, das uns Innehalten lässt und uns ermöglicht, auch langfristige Ziele zu erreichen. In der frühen Kindheit, besonders im Alter zwischen drei und vier Jahren, lässt sich bei Kindern ein regelrechter Sprung in der Fähigkeit zur Selbstkontrolle beobachten. Sie lernen, auf bestimmte Dinge zu warten, und können sich bereits für eine Weile auf eine Sache konzentrieren.

    Doch wie kommt es zu diesem Durchbruch im Vorschulalter? Und ist für das Stillsitzen und Konzentrieren die gleiche Fähigkeit nötig wir dafür, dem Impuls zu widerstehen, verlockende Süßigkeiten auf einmal zu essen? Diesen Fragen ist eine neue Studie am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) nachgegangen, die jetzt im Fachmagazin „Journal of Neuroscience“ veröffentlicht wurde.

    Um diese Entwicklungssprünge zu untersuchen, nutzten die Forscher verschiedene Aufgaben, mit denen sie die unterschiedlichen Formen der Selbstkontrolle testeten. Im „Bär-Drachen-Spiel“ erfassten sie die Fähigkeit der Kinder, bestimmte Handlungen zu unterdrücken. Die Kinder werden dabei zunächst mit zwei Kuscheltieren bekannt gemacht: dem „lieben Bär“ und dem „bösen Drachen“. Während des Spiels erhalten die Kinder verschiedene Anweisungen der beiden Figuren, wie „Klatsch in die Hände!“ oder „Berühre deine Nase!“. Diese Anweisungen sollten sie jedoch nur dann umsetzen, wenn der „liebe Bär“ sie aufforderte – nicht aber, wenn der „böse Drache“ die Anweisung gab.

    Eine andere Aufgabe, auch bekannt als „Marshmallow-Test“, erfasste wiederum die Fähigkeit der Kinder, einen emotionalen Impuls über längere Zeit hinweg zu unterdrücken. Die Kinder sitzen dabei an einem Tisch, auf dem Gummibärchen oder Schokoriegel liegen. Eine größere Portion davon befindet sich, für die Kinder sichtbar, in einer verschlossenen Kiste daneben. Die Versuchsleiterin teilt den Kindern mit, sie müsse jetzt für kurze Zeit den Raum verlassen, stellt aber in Aussicht: „Wenn du wartest, bis ich zurückkomme, ohne die Süßigkeit zu essen, bekommst du die große Portion.“

    Es zeigte sich: Die Vierjährigen schnitten in beiden Aufgaben deutlich besser ab als die Dreijährigen, so wie es bereits frühere Studien gezeigt hatten. Anhand von MRT-Untersuchungen stellte sich zudem heraus, im Alter zwischen drei und vier Jahren reift das sogenannte kognitive Kontrollnetzwerk heran. Die Großhirnrinde, der Cortex, wird dicker. Dieses Netzwerk bestimmt bei Erwachsenen darüber, wie gut wir in der Lage sind, unsere Impulse und Handlungen zu kontrollieren. Im ausgereiften Zustand umfasst es vor allem Regionen im Frontal- und Parietallappen des Gehirns, die wiederum durch Nervenfasern miteinander verbunden sind und so Informationen schnell und effizient austauschen können.

    Das Interessante dabei: Die unterschiedlichen Aufgaben zur Selbstkontrolle – der „Bär-Drache“- und der Marshmallow-Test – standen mit unterschiedlichen Regionen innerhalb des kognitiven Kontrollnetzwerks in Verbindung. Schnitten Kinder im „Bär-Drache“-Test gut ab, war der präfrontale Cortex weiter ausgebildet, der bei Erwachsenen insbesondere für die Planung und Steuerung von Handlungen zuständig ist. Machten sich die Kleinen besser im Marshmallow-Test, war der Gyrus supramarginalis im Reifeprozess stärker vorangeschritten, der eher mit der Steuerung von Aufmerksamkeit verbunden ist.

    „Im Kleinkindalter könnte also eine graduelle Entwicklung ihren Anfang nehmen, deren Ergebnis wir in der vollentwickelten Selbstkontrolle im Erwachsenenalter beobachten“, sagt Philipp Berger, Postdoc am MPI CBS und Erstautor der Studie. „Das heißt auch, dass wir möglicherweise bereits in sehr jungen Jahren auf diese wichtige Fähigkeit Einfluss nehmen können.“

    Originalpublikation:
    Philipp Berger, Angela D. Friederici and Charlotte Grosse Wiesmann. Maturational indices of the cognitive control network are associated with inhibitory control in early childhood. Journal of Neuroscience 11 July 2022, DOI: https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.2235-21.2022

    Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, 14.7.2022

  • Dritter Förderaufruf zum Bundesprogramm rehapro gestartet

    Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat im Juli 2022 den dritten Förderaufruf zum Bundesprogramm „Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben – rehapro“ im Bundesanzeiger veröffentlicht. Jobcenter und Träger der gesetzlichen Rentenversicherung können ihre Projektskizzen bis zum 30. September 2022 bei der Fachstelle rehapro einreichen.

    Ziel des Programms rehapro ist es, durch die Erprobung von innovativen Leistungen und organisatorischen Maßnahmen neue Wege zu finden, um die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen besser zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Langfristig soll der Bedarf an Erwerbsminderungsrenten und Eingliederungshilfe bzw. Sozialhilfe nachhaltig gesenkt werden. Das BMAS setzt mit dem Programm den Auftrag aus § 11 SGB IX um, Modellvorhaben zur Stärkung der Rehabilitation durchzuführen. Der dritte Förderaufruf baut auf den inhaltlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen des zweiten Förderaufrufs auf und wird um folgende drei inhaltliche Impulse ergänzt:

    • Erprobung innovativer Ansätze der Digitalisierung
    • Erprobung innovativer Ansätze zum besseren Zusammenwirken von Sozialleistungsträgern und Betrieben bzw. Arbeitgebern
    • Erprobung innovativer Ansätze hinsichtlich des niederschwelligen Zugangs zu Prävention und Rehabilitation, z. B. durch aufsuchende Beratung und Betreuung oder Vereinfachung der Verfahren

    Nach der Rückmeldung der Fachstelle rehapro zur Skizze haben die Antragsberechtigten zwei Monate Zeit, ihren Förderantrag einzureichen. Zur Umsetzung des Bundesprogramms  stehen bis 2026 insgesamt rund eine Milliarde Euro zur Verfügung. Die Förderdauer der Projekte des dritten Förderaufrufs beträgt bis zu vier Jahre.

    Zur Website des Bundesprogramms rehapro

    Quelle: Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht, https://www.reha-recht.de, 14.7.2022

  • Projekt CoV-AZuR

    Die Charité – Universitätsmedizin Berlin führt unter Leitung von Prof. Dr. Karla Spyra im Rahmen des Forschungsprojekts „CoV-AZuR“ eine zweiteilige Online-Befragung von Einrichtungen der Sucht-Rehabilitation und Sucht-Nachsorge durch. Ziel der Befragung ist es, die Folgen der Corona-Pandemie für die Sucht-Rehabilitation zu erfassen und Anhaltspunkte für die Weiterentwicklung der Rehabilitation, beispielsweise im Bereich Digitalisierung, zu entwickeln.

    Die erste Befragungsrunde fand im Herbst 2021 statt, die zweite und zugleich letzte Runde ist am 13. Juli 2022 gestartet und läuft aktuell voraussichtlich bis Ende August 2022. Alle Einrichtungen der Sucht-Rehabilitation und Sucht-Nachsorge in Deutschland sind aufgerufen, an dieser Charité-Befragung teilzunehmen. Hierzu wurden einrichtungsspezifische Einladungen per E-Mail verschickt. Die Charité freut sich über eine rege Beteiligung, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Sollten Sucht-Einrichtungen irrtümlicherweise keine Einladung erhalten haben, können sich diese gerne an das Charité-Team wenden.

    An der Befragung teilnehmende Einrichtungen haben auch die Möglichkeit, im Fragebogen ihren Wunsch anzugeben, dass ihnen der Abschlussbericht nach Abschluss des Forschungsprojekts zugeschickt wird.

    Die Ergebnisse der Befragung werden sowohl auf wissenschaftlichen Tagungen als auch gegenüber Fachverbänden und Leistungsträgern kommuniziert. Hierzu gehört eine Ergebnispräsentation auf der 29. Fachtagung Management in der Suchttherapie am 28./29. September 2022 in Darmstadt.

    Gefördert wird „CoV-AZuR“ durch die Deutsche Rentenversicherung Bund. Der Bundesverband Suchthilfe (bus.) und der Fachverband Sucht sind offizielle Kooperationspartner der Charité in diesem Forschungsprojekt. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

    Kontakt:

    Martin Brünger
    Charité – Universitätsmedizin Berlin
    cov-azur(at)charite.de

    Angaben zum Autor:

    Martin Brünger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

  • Cannabis legalisieren, Alkohol verteuern, Hilfsangebote ausbauen

    Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hält es für notwendig, die Drogen- und Suchtpolitik grundsätzlich neu auszurichten. Statt auf Verbot und Kriminalisierung sollte sie auf Regulierung, Prävention und aufgeklärten, kompetenten und eigenverantwortlichen Gebrauch von Drogen setzen. Das ist der beste Schutz vor Drogenmissbrauch und -abhängigkeit. „Von keiner Drogenpolitik ist zu verhindern, dass Drogen ausprobiert und gebraucht werden. Deshalb sollten Erwachsene wie Jugendliche auch lernen, Drogen so zu nutzen, dass sie ihre Gesundheit nicht gefährden und das Risiko für Missbrauch und Abhängigkeit gering bleibt.“, erklärt Dr. Dietrich Munz, Präsident der BPtK.

    Die BPtK fordert deshalb, Cannabis zu legalisieren, Alkohol deutlich stärker zu besteuern und beide ausschließlich über staatlich lizenzierte Geschäfte abzugeben. Werbung ist für alle legalen Drogen grundsätzlich zu verbieten. Die Abgabe an Minderjährige muss stärker als bislang sanktioniert werden. Unverzichtbar ist außerdem der gezielte Ausbau von Aufklärungsangeboten ebenso wie von professionellen Angeboten zur Früherkennung, Behandlung und Rehabilitation von Suchterkrankungen, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Das Ziel bleibt das gleiche wie das der bisherigen Drogenpolitik: Drogenmissbrauch und -abhängigkeit vermeiden.

    Cannabis ist nicht harmlos: Es kann, anders als früher angenommen, auch körperlich abhängig machen und birgt insbesondere das Risiko, an einer Psychose zu erkranken. Alkohol ist deutlich gefährlicher als Cannabis. Alkohol kann tödlich sein. In Deutschland sterben jedes Jahr 14.000 Personen an Alkoholerkrankungen und Leberschäden. Alkohol fördert aggressives und gewalttätiges Verhalten. Jede vierte Gewalttat erfolgt unter Alkoholeinfluss. Alkohol erhöht das Risiko, an einer Psychose zu erkranken, deutlich. Er wird von vielen Expert*innen aufgrund seiner leichten Verfügbarkeiten, seinen massiven gesundheitlichen Schäden und gesellschaftlichen Kosten als „die gefährlichste aller Drogen“ eingeschätzt. Cannabis gilt als eine moderat schädliche Droge.

    Alkohol ist als legale Droge in Deutschland fast überall verfügbar und ausgesprochen preiswert. Fast jede fünfte Deutsche* trinkt Alkohol in riskanten Mengen. Cannabis ist die meistgebrauchte illegale Droge. Mehr als jede vierte Deutsche* hat schon mindestens einmal im Leben Cannabis als Rauschmittel genutzt. Jede zweite junge Erwachsene* (46,4 %) und jede zehnte Jugendliche* (10,4 %) hat dieses Rauschmittel schon einmal ausprobiert. Der Gebrauch von Cannabis nimmt seit Jahrzehnten zu – trotz Verbot und Strafen. Die deutsche Prohibitionspolitik, die den Cannabis-Gebrauch einschränken sollte, ist damit gescheitert.

    Die BPtK fordert deshalb, Cannabis zu legalisieren und ergänzend zu regeln:

    • Mindestalter für den Erwerb aller legalen Drogen auf 18 Jahre festlegen,
    • Verkaufsverbot von Cannabis in Nahrungsmitteln,
    • Cannabis nach seiner stärksten psychoaktiven Substanz (THC-Gehalt) und Menge besteuern, THC-Gehalt auf höchstens 15 Prozent beschränken,
    • Alkoholsteuer auf den europäischen Durchschnitt erhöhen und einen Mindestpreis für Alkohol festlegen,
    • Abgabe aller legalen Drogen ausschließlich über staatlich lizenzierte Geschäfte,
    • Abgabe legaler Drogen an Minderjährige stärker sanktionieren,
    • striktes Werbeverbot für alle legalen Drogen,
    • Aufklärungs- und Anti-Stigma-Kampagnen zu Suchterkrankungen,
    • verpflichtende Aufklärungsprogramme zu Drogen an Schulen ab der sechsten Jahrgangsstufe,
    • Screening zur besseren Früherkennung von Drogenmissbrauch,
    • Suchtberatung als verpflichtendes Leistungsangebot der Kommunen,
    • ambulante Psychotherapie bei Suchterkrankungen ohne Einschränkungen ermöglichen,
    • Rehabilitationseinrichtungen zur Behandlung von Suchterkrankungen besser finanzieren,
    • spezielle Behandlungsangebote für suchtkranke Kinder und Jugendliche schaffen,
    • Therapie- und Versorgungsforschung bei Suchterkrankungen ausbauen.

    Pressestelle der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), 9.6.2022

  • Basisausbildung zur nebenamtlichen betrieblichen Suchtarbeit

    Unterstützen ihre Kolleg:innen bei allen Fragen zum Thema Sucht: nebenbetriebliche Suchtberater:innen

    Am 2. Juni 2022 wurden in der Therapeutischen Gemeinschaft Jenfeld in Hamburg 13 Absolvent:innen der Basisausbildung zur nebenamtlichen betrieblichen Suchtarbeit verabschiedet. Während der intensiven Basisausbildung haben die Teilnehmer:innen Methoden der Gesprächsführung erlernt, psychische Belastungen am Arbeitsplatz identifiziert und betriebliche Hilfesysteme kennengelernt. Ebenfalls zur Ausbildung gehörte ein Praxisteil: Fünf Tage hospitierten die Teilnehmer:innen in der Suchthilfe, um ihre neue Aufgabe noch besser zu verstehen.

    Ab sofort unterstützen die frisch ausgebildeten nebenbetrieblichen Suchtberater:innen in den Betrieben ihre Kolleg:innen bei Anliegen zu jeder Form von Sucht. Wichtig dabei: Die Suchtberater:innen können weder Expert:innen ersetzen, noch sollen sie ihre Kolleg:innen im Alltag belehren. Sie können jedoch Mitarbeitende und Vorgesetzte im Unternehmen beraten und ihnen als vertrauensvolle Kontaktperson begleitend und unterstützend zur Seite stehen. Und im Ernstfall wissen sie, wie eine Intervention aussieht. Dann stellen sie Kontakt mit internen und externen Beratungsangeboten und Fachkräften her, die zusätzlich helfen können.

    Der Suchttherapieverbund der Alida Schmidt-Stiftung, zu dem die Therapeutische Gemeinschaft Jenfeld gehört, pflegt seit vielen Jahren eine enge Kooperation mit Unternehmen bei der betrieblichen Suchtarbeit. In diesem Kontext wurden verschiedene Kurse entwickelt. Über das Engagement von Suchthilfeträgern in der nebenamtlichen betrieblichen Suchtarbeit informiert auch eine Arbeitsgruppe bei der 29. Fachtagung Management in der Suchttherapie am 28./29. September 2022 in Darmstadt.

    Mehr Informationen zum Angebot der Betrieblichen Suchtarbeit finden Sie hier:
    www.betriebliche-suchtarbeit.de

    Quellen:
    Alida Schmidt-Stiftung, www.alida.de, 14.6.2022
    Bundesverband Suchthilfe e. V. (bus.), www.suchthilfe.de, 6.7.2022

  • Blick in das betrunkene Hirn

    In einer aktuellen Publikation in PNAS suchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Düsseldorf, Heidelberg, Mannheim und Köln nach anhaltenden Veränderungen im Gehirn nach einer einzigen Gabe von Alkohol. Falls sich Veränderungen im Hirn nach Alkoholeinfluss manifestieren, so könnten diese Veränderungen die Signatur oder zumindest die Vorstufen eines Suchtgedächtnisses sein. Wenn man daher die molekularen und zellulären Mechanismen einer solchen Signatur besser versteht, dann könnte man möglicherweise in Zukunft dem Entstehen einer Sucht pharmakologisch entgegenwirken.

    Man weiß inzwischen, dass molekulare und zelluläre Mechanismen, die für das normale Gedächtnis wichtig sind, auch beim „Suchtgedächtnis“ eine zentrale Rolle spielen. Das bedeutet auch, dass unserem Gehirn die Bildung positiver Assoziationen mit Drogen und Alkohol in jüngeren Jahren leichter fällt, genau wie auch die normale Gedächtnisleistung bei jüngeren Menschen besser ist. Daher – je früher Kinder und Jugendliche ihren ersten intensiven Kontakt mit Alkohol haben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, im Erwachsenenalter alkoholabhängig zu sein.

    Durch hochauflösende Zwei-Photonen Mikroskopie konnten derartige zelluläre Mechanismen live im lebenden Maushirn während und nach der Trunkenheit beobachtet werden. Eine zentrale Entdeckung des Forscherteams um Dr. Sidney Cambridge war, dass eine einzige Alkoholgabe im Gehirn von Mäusen zu Änderungen an Synapsen führte und dass diese Änderungen deutlich länger existierten, als der Alkohol im Blut vorhanden war. Solche anhaltenden Änderungen an Synapsen bilden die Grundlage von normalem Lernen und Gedächtnis und könnten somit auch die Grundlage des Suchtgedächtnisses darstellen.

    Nach Einmalgabe von Alkohol war außerdem eine Erhöhung der Mitochondrien-Mobilität in Nervenzellen im lebenden Hirn zu beobachten – und auch diese Veränderung war nach dem vollständigen Abbau des Ethanols noch messbar.

    In Drosophila Fruchtfliegen hingegen führte die gezielte Blockade dieser Mitochondrien-Mobilität dazu, dass die Fliegen keine positiven Assoziationen mit Alkohol aufbauen konnten. Normalerweise gewöhnen sich Fliegen sehr schnell an den Genuss von Alkohol, aber nach Blockade der Mitochondrien-Mobilität hatten die Fliegen kein Interesse mehr.

    Da die Mobilität der Mitochondrien sowohl bei Fliegen als auch bei Mäusen eine wichtige Rolle bei alkoholbedingten Veränderungen des Gehirns zu spielen scheint, vermuten die Wissenschaftler, dass beim Menschen dieser zelluläre Mechanismus ebenso von maßgeblicher Bedeutung ist. Abschließend konnten auch bei Verhaltensexperimenten mit Mäusen länger anhaltende Veränderungen beobachtet werden, da die Tiere bis zu zwei Tage nach einmaliger Alkoholgabe Schwierigkeiten hatten, korrekte Entscheidungen zu treffen.

    Zusammenfassend konnten die Wissenschaftler also zeigen, dass ein einmaliger intensiver Alkoholgenuss zu anhaltenden Veränderungen im Gehirn führt, welche wiederum die Grundlage des Suchtgedächtnisses darstellen könnten.

    Originalpublikation:
    Johannes Knabbe et al.: Single-dose ethanol intoxication causes acute and lasting neuronal changes in the brain, PNAS, June 14, 2022, https://doi.org/10.1073/pnas.2122477119

    Pressestelle der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 24.6.2022

  • Außerordentliches Engagement für die Hamburger Suchthilfe!

    Dieter Adamski (Mitte) mit Thomas Hempel, Geschäftsführung Therapiehilfe gGmbH (li.), und Gotthard Lehner, stellv. Vorstandsvorsitzender Bundesverband Suchthilfe (re.)

    Am 24.06.2022 wurde Dieter Adamski, langjähriger Vorstand der Hamburgischen Landesstelle für Suchtfragen e. V. und Geschäftsführer des Therapiehilfeverbundes, für sein außerordentliches Engagement in der Hamburger Suchthilfe im Hamburger Rathaus der „Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland am Bande“ durch die Senatorin für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration, Dr. Melanie Leonhard, verliehen.

    Dieter Adamski erhält diese Auszeichnung für sein über 30-jähriges hervorragendes ehrenamtliches und gemeinnütziges Engagement für die Suchthilfe bundesweit und insbesondere in den Bundesländern Hamburg, Schleswig-Holstein und Bremen und Niedersachsen.

    Er hat sich in den letzten Jahrzehenten als Vorsitzender der Hamburgischen Landesstelle für Suchtfragen e. V. (HLS), als Mitglied im Fachvorstand des BADO e. V. in Hamburg und als  Vorstandsmitglied des Fachverbands Drogen und Suchthilfe e. V. ehrenamtlich für die Suchthilfe sehr engagiert und diese fortentwickelt. In seiner Funktion als Geschäftsführer des gemeinnützigen Trägers Therapiehilfe gGmbH (früher als Vorstand des damaligen Therapiehilfe e. V.) hat er die Entwicklung des Verbundes mit seiner Expertise wesentlich geprägt und vorangetrieben.

    Mit seinem Ideenreichtum und seiner Energie hat Dieter Adamski wichtige Veränderungsprozesse – auch gegen Widerstände – angestoßen und damit Herausragendes für die Hamburger Suchthilfe geleistet. Er hat mit seinem politischen Engagement einen wesentlichen Teil dazu beigetragen, dass die Stadt Hamburg über ein so vielfältiges Suchthilfesystem verfügt, wie wir es heute kennen.

    So hebt Cornelia Kost, Vorstandsmitglied der HLS und Einrichtungsleiterin im Therapiehilfeverbund, in ihrer Laudatio hervor:

    „Viele Maßnahmen wurden von Ihnen initiiert oder fachlich begleitet, beginnend mit den ‚Gute Nacht Sucht‘-Veranstaltungen. Die HLS weitete ihre Arbeit bundesweit aus und konnte zwei Auftaktveranstaltungen zu den bundesweiten Suchtwochen im Hamburger Rathaus durchführen. Damit haben Sie das Suchtthema von der verlorenen Wahl 2001 ins Rathaus gebracht, das war ein enormer Erfolg Ihrer Arbeit. Neben gewonnen Bundeswettbewerben kam es zu zahlreichen Aktionen auf allen Ebenen, zu denen die Zusammenarbeit mit der Augsburger Puppenkiste im Rahmen von ‚Papilio‘ sicher zu den außergewöhnlichsten Projekten gehörte.“

     Zudem würdigte Cornelia Kost das politische Engagement Dieter Adamskis:

    „Sie haben über die Landesstelle Politik für Hamburg gemacht, durch die von Ihnen moderierten Wahlanhörungen, Jahresempfänge und die Suchtwochen. Außerdem haben Sie erfolgreich die großen Kostenträger und die Fachbehörde in einem Beirat eingebunden, der seitdem regelmäßig die Arbeit der Landesstelle stützt und von Ihnen geleitet wurde. Die Landesstelle vermittelte die konsensuale Besetzung des Fachrates und sie hat sich fachlich bei verschiedenen Koalitionsverhandlungen erfolgreich eingebracht. Über die Schulbusuntersuchungen und andere Aktivitäten konnte die Landesstelle immer wieder suchtpolitische Akzente setzen.“

    Und auch als langjähriger Geschäftsführer der Therapiehilfe gGmbH hat Dieter Adamski Außerordentliches geleistet. So formulierte Cornelia Kost:

    „Ihre Vision war die eines modernen, an den Bedarfen der Betroffenen ausgerichteten Suchthilfesystems. Das haben Sie beispielhaft in Ihren über 30 Jahren Arbeit demonstriert, indem Sie Verantwortung als Geschäftsführer eines komplexen gemeinnützigen Suchthilfeträgers übernommen haben. Sie haben bei Therapiehilfe gGmbH ein Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsnetzwerk realisiert, das es Betroffenen ermöglicht, in Behandlungsketten, die aufeinander aufbauen, unterstützt zu werden. Dieses Netzwerk ist darauf ausgerichtet, eine Verbesserung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und der Arbeitswelt zu ermöglichen.“

    Die Laudatorin bedankte sich herzlich und sehr persönlich:

    „Ich habe einen sehr klugen, politischen, kraftvollen, freundlichen und manchmal auch verletzlichen Menschen kennengelernt. Du hast durch deine Arbeit Tausenden von Menschen das Leben gerettet, du hast uns in Hamburg auf den Boden der Tatsachen geholt, wenn es notwendig war, der Wirklichkeit von Sucht unerschrocken ins Auge zu blicken und danach zu handeln. Im Namen der Suchtkrankenhilfe Hamburg, im Namen der Landesstelle für Suchtfragen, im Namen des Therapiehilfeverbundes und natürlich auch in meinem Namen, lieber Dieter, danke ich dir sehr herzlich!“

    Gemeinsame Pressemitteilung der Hamburgischen Landesstelle für Suchtfragen e. V. (HLS) und der Therapiehilfe gGmbH, 29.6.2022

  • Europäischer Drogenbericht 2022

    Das rasche Wiedererstarken von Drogenangebot und -konsum nach den Beeinträchtigungen durch COVID-19 gehört zu den Themen, die von der EU-Drogenbeobachtungsstelle (EMCDDA) mit ihrem „Europäischen Drogenbericht 2022: Trends und Entwicklungen“ näher beleuchtet werden. Der Bericht bietet einen aktuellen Überblick über die Drogensituation in Europa und untersucht langfristige Trends und neu auftretende Bedrohungen. In einer Zeit, in der die internationale Lage neue Herausforderungen mit sich bringt, wird in dem Bericht auch untersucht, wie aktuelle globale Ereignisse die Dynamik der Drogenproblematik in Europa in Zukunft beeinflussen können. Dem Bericht zugrunde liegende nationale Daten (Statistisches Bulletin 2022). Der Bericht beschreibt die Drogensituation bis Ende 2021 auf der Grundlage von Daten aus dem Jahr 2020 und, sofern verfügbar, aus dem Jahr 2021.

    Der jährliche Bericht beschreibt, wie sich die Drogenprobleme in Europa weiterentwickeln und wie Innovationen den Drogenmarkt vorantreiben. Die Verfügbarkeit von Drogen ist in der EU nach wie vor hoch (in einigen Fällen, wie bei Kokain, übersteigt die Verfügbarkeit die Werte vor der Pandemie), und es tauchen auch weiterhin potente und gefährliche Substanzen auf. Der Bericht zeigt auch auf, wie die Vielfalt der Cannabisprodukte und die Produktion synthetischer Drogen in Europa zunehmen.

    Im Hinblick auf den Drogenkonsum gibt es Anzeichen für eine Rückkehr auf das Niveau vor der Pandemie. Die Abwasseranalyse beispielsweise zeigt, dass der Konsum von Kokain, Crack, Amphetamin und Methamphetamin in einigen Städten zwischen 2020 und 2021 zugenommen hat. Zugleich scheinen Hilfeangebote mit Lockerung der COVID-19-Beschränkungen in ganz Europa wieder zur Tagesordnung zurückzukehren, wobei einige der innovativen Praktiken, die während der Lockdowns eingesetzt wurden (digitale Gesundheitsdienste, Telemedizin), beibehalten wurden.

    Gefährliche neue psychoaktive Substanzen tauchen nach wie vor auf – Cathinone im Fokus

    In Europa taucht weiterhin jede Woche eine neue psychoaktive Substanz (NPS) auf, was eine Herausforderung für die öffentliche Gesundheit darstellt. 2021 wurden über das EU-Frühwarnsystem (EWS) 52 neue Drogen gemeldet, womit sich die Gesamtzahl der von der EMCDDA beobachteten neuen psychoaktiven Substanzen auf 880 erhöhte. Im Jahr 2021 wurden sechs neue synthetische Opioide, sechs synthetische Cathinone und 15 synthetische Cannabinoide erstmals gemeldet. Zusammen mit dem aktuellen Europäischen Drogenbericht wird ein Bericht über das Frühwarnsystem und seine Leistungen veröffentlicht, da das Netzwerk sein 25-jähriges Bestehen feiert.

    Im Jahr 2020 wurde in Europa (27 EU-Mitgliedstaaten, Türkei und Norwegen) mit 6,9 Tonnen (41.100 Sicherstellungen) eine Rekordmenge an neuen psychoaktiven Substanzen sichergestellt. Von den sichergestellten Substanzen waren 3,3 Tonnen synthetische Cathinone, die häufig als Ersatz für herkömmliche Stimulanzien (z. B. Kokain, MDMA) verkauft werden. Seitdem in China hinsichtlich synthetischer Cathinone verstärkt kontrolliert wird, stammen die meisten Großmengen dieser Substanzen, die 2020 nach Europa geschmuggelt wurden, aus Indien. Stand Ende 2021 überwachte die EMCDDA 162 synthetische Cathinone, die damit die zweitgrößte Kategorie der beobachteten neuen psychoaktiven Substanzen nach den synthetischen Cannabinoiden (224 überwachte Substanzen) ausmachten. Der Handel mit synthetischen Cathinonen in Europa in Rekordhöhe und Berichte über Schäden (z. B. Vergiftungen) haben zu neuen Maßnahmen geführt. Zwei synthetische Cathinone, 3-MMC und 3-CMC, wurden 2021 einer Risikobewertung unterzogen, und die Europäische Kommission hat vorgeschlagen, sie in der gesamten EU zu kontrollieren.

    Cannabis – neue Entwicklungen für die beliebteste illegale Droge in Europa

    Die Entwicklungen im Cannabissektor stellen die Länder vor neue Herausforderungen. Cannabisprodukte werden immer vielfältiger, darunter Extrakte und Edibles (mit hohem THC-Gehalt) und CBD-Produkte (mit niedrigem THC-Gehalt). Auch das Umfeld der europäischen Cannabispolitik verändert sich, und der Fokus der politischen Maßnahmen wird schrittweise ausgeweitet. Neben der Kontrolle von illegalem Cannabis umfassen die politischen Maßnahmen nun auch die Regulierung von Cannabis für medizinische und andere Zwecke (z. B. Zutaten in Lebensmitteln und Kosmetika).

    Im Jahr 2020 lag der durchschnittliche THC-Gehalt von Cannabisharz bei 21 % und damit fast doppelt so hoch wie der von Cannabiskraut (11 %). Damit hat sich die Tendenz der letzten Jahre, in denen Cannabiskraut in der Regel einen höheren Wirkstoffgehalt aufwies, umgekehrt. Dies spiegelt Neuerungen auf dem Markt wider: die Harz-Produzenten, in der Regel aus Ländern außerhalb der EU, scheinen auf die Konkurrenz durch in Europa hergestelltes Cannabiskraut reagiert haben. In dem Bericht wird auch die Sorge geäußert, dass illegale Cannabisprodukte mit synthetischen Cannabinoiden versetzt werden, die hochpotent und giftig sein können. Konsumierende wissen dann möglicherweise nicht, dass ein Produkt synthetische Cannabinoide enthält und sie größeren Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind.

    Anzeichen für eine Zunahme der Drogenproduktion, des Drogenhandels und der Verfügbarkeit von Drogen in Europa

    Im Jahr 2020 wurden mehr als 350 illegale Drogenproduktionslabore ausgehoben, darunter einige groß angelegte Produktionsstätten für Kokain, Methamphetamin und Cathinone. Die jüngste Analyse deutet darauf hin, dass die Verfügbarkeit von Kokain in Europa nach wie vor hoch ist und eine Reihe von Gesundheitsgefahren mit sich bringt. Im Jahr 2020 wurde in der EU eine Rekordmenge von 213 Tonnen Kokain sichergestellt (202 Tonnen im Jahr 2019), 23 Labore ausgehoben wurden ausgehoben (15 Labore im Jahr 2019).

    Auch die Verfügbarkeit von Amphetamin ist hoch und könnte zunehmen. Im Jahr 2020 stellten die EU-Mitgliedstaaten eine Rekordmenge von 21,2 Tonnen sicher (15,4 Tonnen im Jahr 2019), 78 Amphetamin-Labore wurden ausgehoben (38 im Jahr 2019). Der Bericht zeigt, dass in Europa immer mehr Methamphetamin-Produktionsanlagen mittlerer und großer Größe ausgehoben werden. Die Produktion und das Angebot von Methamphetamin haben sich in jüngster Zeit in Europa verändert. Diese Entwicklung birgt das Risiko einer breiteren Verfügbarkeit und damit für einen Anstieg des Konsums.

    Die Zahl der ausgehobenen MDMA-Labore (29) blieb 2020 relativ stabil. Es wurden 15 Produktionsstandorte für Cathinone ausgehoben (fünf im Jahr 2019) und 860 Kilogramm chemische Vorläufersubstanzen für die Herstellung von Cathinonen beschlagnahmt (438 Kilogramm im Jahr 2019). Auch wenn sie weniger verbreitet sind, wurden 2020 in der EU illegale Labore zur Herstellung von Heroin, Ketamin, GBL und DMT ausgehoben.

    Eine zentrale Frage, die in dem Bericht aufgeworfen wird, ist, ob die Drogenmärkte im Darknet zurückgehen. Die Aktivitäten auf diesen Märkten scheinen von einer Reihe von Faktoren beeinflusst worden zu sein (z. B. Strafverfolgungsmaßnahmen, Lieferprobleme, Betrug). Ende 2021 gingen die geschätzten Einnahmen drastisch auf knapp unter 30.000 Euro pro Tag zurück (gegenüber 1 Million Euro pro Tag im Jahr 2020). Soziale Medien und Sofortnachrichten-Apps scheinen als sicherere und bequemere Bezugsquelle bevorzugt zu werden, was die Notwendigkeit von Maßnahmen in diesem Bereich unterstreicht.

    Notwendigkeit der Ausweitung von Maßnahmen zur Behandlung und Schadensminimierung

    In dem aktuellen Bericht wird betont, dass die Behandlungangebote und Maßnahmen zur Schadensminimierung für injizierende Drogenkonsumierende in Europa ausgebaut werden müssen. Im Jahr 2020 berichteten nur Tschechien, Spanien, Luxemburg und Norwegen, dass sie die Ziele der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für das Jahr 2020 erreicht haben, nämlich die Bereitstellung von 200 Spritzen pro Jahr pro injizierender Person sowie die Versorgung von mindestens 40 % der Hochrisiko-Opioidkonsumierenden im Rahmen einer Opioid-Agonisten-Behandlung (OAT) (Substitution), die einen Schutzfaktor gegen Überdosierungen darstellt. Im Jahr 2020 gab es in der EU schätzungsweise eine Million Hochrisiko-Opioidkonsumierende, von denen 514.000 Klienten und Klientinnen in OAT sind, was eine Abdeckung von 50 % bedeutet. Allerdings bestehen zwischen den einzelnen Ländern große Unterschiede, und das Behandlungsangebot ist in vielen EU-Mitgliedstaaten nach wie vor unzureichend.

    Der injizierende Drogenkonsum steht im Zusammenhang mit schwerwiegenden Gesundheitsproblemen wie Infektionskrankheiten, Überdosierungen und Todesfällen. Während der injizierende Heroinkonsum rückläufig ist, wächst die Besorgnis über den injizierenden Konsum einer breiteren Palette von Substanzen, darunter Amphetamine, Kokain, synthetische Cathinone, verschriebene Opioide und andere Arzneimittel.

    Im Jahr 2020 wurden in der EU schätzungsweise 5.800 Todesfälle durch Überdosierung illegaler Drogen verzeichnet. Die meisten dieser Todesfälle wurden mit einer polyvalenten Intoxikation in Verbindung gebracht, bei der es sich in der Regel um Kombinationen aus illegalen Opioiden, anderen illegalen Drogen, Arzneimitteln und Alkohol handelt. Neben der hohen Verfügbarkeit von Kokain in Europa deuten Berichte darauf hin, dass der Crack-Konsum zunehmen könnte und nun in mehr Städten und Ländern unter vulnerablen Drogenkonsumierenden zu beobachten ist. Crack wird in der Regel geraucht, kann aber auch injiziert werden, und steht im Zusammenhang mit einer Reihe von gesundheitlichen und sozialen Schäden (z. B. Infektionskrankheiten und Gewalt). Die langfristigen Trends deuten darauf hin, dass im Jahr 2020 in Europa schätzungsweise 7.000 Klienten und Klientinnen aufgrund von Crack-Problemen eine Behandlung aufnahmen. Damit hat sich die Zahl der Klienten und Klientinnen im Vergleich zum Jahr 2016 verdreifacht.

    Internationale Lage: neue Herausforderungen und potenzielle Bedrohungen

    Die Drogenprobleme in Europa können durch die Entwicklungen auf internationaler Ebene beeinflusst werden. Der Bericht befasst sich mit den jüngsten Entwicklungen in Afghanistan und der Ukraine und den potenziellen Auswirkungen auf den Drogenbereich. Es ist zwar noch zu früh, um die Auswirkungen dieser Ereignisse in vollem Umfang bewerten zu können, doch wird eine gezielte Beobachtung der Situation erforderlich sein, um eine Informationsgrundlage für die Politik und für Maßnahmen zu schaffen.

    Trotz des im Jahr 2022 von den Taliban verhängten Verbots der Herstellung, des Verkaufs und des Handels mit illegalen Drogen in Afghanistan scheint der Mohn-Anbau fortgesetzt zu werden. Aufgrund der aktuellen finanziellen Probleme des Landes könnten die Einnahmen aus Drogengeschäften zu einer wichtigen Einnahmequelle werden, was zu einer Zunahme des Heroinhandels nach Europa führen könnte. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage, ob Europa zu einem Konsummarkt für in Afghanistan hergestelltes Methamphetamin wird. Diese Droge wird derzeit von europäischen Herstellern auf dem EU-Markt angeboten. In jüngster Zeit wurden jedoch auch in Afghanistan eine großangelegte Methamphetamin-Produktion auf Ephedra-Basis sowie eine Zunahme der Sicherstellungen dieser Droge entlang einiger etablierter Heroinschmuggelrouten festgestellt.

    In der Ukraine hat zur Unsicherheit hinsichtlich der Drogensituation in Europa beigetragen. Auf die Personen, die in der EU Zuflucht suchen, entfällt nur ein kleiner Teil der Personen, die in der Ukraine eine Drogenbehandlung in Anspruch nehmen. Diese Personen benötigen eine kontinuierliche Behandlung sowie auf ihre spezifischen Bedürfnisse und ihre Sprache zugeschnittene Drogenhilfe. Allgemein ist davon auszugehen, dass Menschen, die vor Konflikten fliehen, unter starkem psychischem Stress leiden und dadurch in Zukunft potenziell anfälliger für Probleme im Zusammenhang mit Substanzmissbrauch sind. Der Krieg könnte auch zu Verschiebungen der Schmuggelrouten führen, da Kriminelle Schwachstellen ausnutzen oder betroffene Gebiete meiden.

    Pressestelle der EU-Drogenbeobachtungsstelle (EMCDDA), 14.6.2022