Kategorie: Kurzmeldungen

  • Reduzierter Alkoholkonsum

    Die US-amerikanische Zulassungsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte (FDA) erkennt eine relevante Verringerung der Trinkmenge bei alkoholabhängigen Menschen künftig als Behandlungsziel in Zulassungsstudien für neue Therapieansätze an. Große epidemiologische und klinische Studien konnten die positive Wirksamkeit des reduzierten Alkoholkonsums nachweisen. Die wissenschaftlichen Daten zur Trinkmengenreduktion wurden über mehr als fünf Jahre evaluiert und von der FDA nach einer unabhängigen Re-Analyse bestätigt. Experten versprechen sich hiervon neue Anreize für Therapiestudien zur Behandlung der Alkoholsucht.

    Für viele Menschen ist die Alkoholabhängigkeit eine chronisch-wiederkehrende Erkrankung. Dauerhaft abstinent zu bleiben, ist extrem schwierig. Geringe Erfolgsaussichten, eine Abstinenz zu erreichen, gehören zu den Hauptgründen, weshalb nur rund zehn Prozent der Betroffenen eine Therapie beginnen. So lag am Ende einer großen US-amerikanischen Studie der Erfolg gemessen an Abstinenz bei zirka 35 Prozent, gemessen an einer definierten Trinkmengenreduktion jedoch bei 75 Prozent. Dieses Ergebnis wurde in weiteren Studien bestätigt. Die deutlich höhere Erfolgsaussicht ist bedeutsam, wenn es um den Entschluss zu einer Behandlung geht oder auch um Hoffnung bei den Angehörigen zu erzeugen.

    Trinkmengenreduktion als Paradigmenwechsel

    Vor mehr als fünfzig Jahren wurde die Methadon-Substitution für Heroinabhängige eingeführt. Diese medizinische Verordnung eines Suchtstoffs, um gesundheitliche und soziale Schäden zu verringern, war ein enorm erfolgreicher Paradigmenwechsel in der Behandlung von Suchtpatienten. Bei Alkoholabhängigen dagegen stand das Gebot der Abstinenz als einziges Therapieziel einem schadenminimierenden Ansatz bisher im Wege. Daher hat die Entscheidung der FDA grundlegende Bedeutung. Sie erweitert die therapeutischen Optionen erheblich und stellt die Trinkmengenreduktion als gleichwertiges Therapieziel neben die Abstinenz. Damit werden frühere Ansätze der europäischen Zulassungsbehörde für Medizinprodukte (EMA) aufgegriffen. Dort war eine Trinkmengenreduktion bereits anerkannt worden, allerdings nur als intermediäres (sekundäres) Therapieziel.

    Neue Wirkstoffe und differenziertere Therapie

    Die Entscheidung der FDA basiert auf der Re-Analyse von umfassenden Studiendaten, die von einer Arbeitsgruppe von US-Experten zusammengestellt wurden. Entgegen weit verbreiteter Überzeugungen ist danach eine signifikante Verringerung der Trinkmenge auch für Abhängige über mehrere Jahre möglich. Prof. Dr. Karl Mann, emeritierter Lehrstuhlinhaber für Suchtforschung am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, ist Mitglied der Arbeitsgruppe. Er sieht in der neuen Entwicklung eine große Chance: „Die Anerkennung durch die FDA wird dazu führen, dass die Schwelle zum Antritt einer Therapie deutlich gesenkt wird. Weltweit werden mehr Menschen den Weg in die Behandlung finden. So kommt die gesamte Breite der bewährten Sozio-, Psycho- und Pharmakotherapien besser zum Tragen. Zudem sollten die verbesserten Erfolgschancen die pharmazeutische Industrie zu neuen Studien anregen, zum Beispiel um die Reduktion der Trinkmengen auch medikamentös zu unterstützen.“

    Mann hebt zudem den konkreten Nutzen des Ansatzes für die Betroffenen, ihr persönliches Umfeld und die Gesellschaft hervor: „Die Studiendaten zeigen, dass Betroffene mit reduziertem Konsum über klinisch signifikante Verbesserungen ihres Befindens und ihrer Leistungsfähigkeit berichten. Das Abhängigkeitsrisiko und die Gesundheitskosten gehen zurück, während sich die psychische Gesundheit und die Lebensqualität verbessern. Als anerkanntes Therapieziel neben der Abstinenz ermöglicht der Ansatz der Trinkmengenreduktion eine differenziertere und individuellere Therapie.“

    Wer ist alkoholabhängig?

    Eine Alkoholabhängigkeit liegt vor, wenn mindestens drei von sechs definierten Kriterien erfüllt sind:

    1. ein starkes Verlangen, Alkohol zu konsumieren,
    2. Schwierigkeiten, die Einnahme zu kontrollieren (bzgl. Beginn, Ende und Menge),
    3. ein körperliches Entzugssyndrom bei Reduktion oder Absetzen,
    4. eine Toleranzentwicklung gegenüber den Wirkungen,
    5. eine fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten der Alkoholeinnahme sowie
    6. fortdauernder Alkoholgebrauch trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen, etwa Leberschädigung durch exzessives Trinken.

    Demnach sind in Deutschland rund zwei Millionen Menschen vom Alkohol abhängig. Derzeit sind 70 Prozent von ihnen Männer, allerdings holen die Frauen in den letzten Jahren sehr stark auf. Weitere zirka zwei Millionen Menschen erfüllen zwar nicht die Kriterien einer Abhängigkeit, konsumieren aber in eindeutig gesundheitsschädlichem Ausmaß. Etwa 70.000 Menschen sterben jährlich an den Auswirkungen der Sucht.

    Pressestelle des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, 11.6.2025

  • Bundestagspetition des Kinder- und Jugendrates von SOS-Kinderdorf

    Laut UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder das Recht auf das höchst erreichbare Maß an Gesundheit – und auf Beteiligung. Wollen sie jedoch eine Psychotherapie beginnen, hängt ihre mentale Gesundheit oftmals von der Zustimmung ihrer Sorgeberechtigten ab. Dass dies eine große Hürde sein kann, wissen vor allem junge Menschen aus der stationären Jugendhilfe: „Meine Mutter hat selbst schwere psychische Probleme, ich höre oft lange nichts von ihr. Als ich eine Therapie beginnen wollte, war sie einfach nicht erreichbar und ich musste daher lange auf professionelle Hilfe verzichten. Ich weiß, dass ich kein Einzelfall bin“, erklärt Alex*, 14, der in einer Wohngruppe von SOS- Kinderdorf lebt. Der SOS-Kinder- und Jugendrat, der aus aktuellen und ehemaligen SOS-Betreuten besteht, fordert daher in einer Petition beim Deutschen Bundestag, dass einsichtsfähige junge Menschen selbst über den Start einer Therapie entscheiden dürfen. Die Petition „Therapiemöglichkeit für einsichtsfähige Kinder und Jugendliche ohne vorherige Zustimmung der Sorgeberechtigten“ kann bis 30.7.2025 unterzeichnet werden.

    Aktuelle Studien zeigen, dass sich bei etwa der Hälfte der Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen erste Symptome schon vor dem 14. Lebensjahr zeigten. Gleichzeitig sind sich Expert:innen einig: Wer schon in jungen Jahren professionelle Hilfe erhält, hat deutlich bessere Chancen auf Stabilisierung und Heilung. „Frühzeitige Hilfe bei psychischen Problemen kann entscheidend sein – für Lebenswege, Bildungschancen und soziale Entwicklung. Daher ist es umso wichtiger, dass junge Menschen, sobald sie einsichtsfähig sind, selbst darüber bestimmen können, Psychotherapie oder kinder- und jugendpsychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen“, bekräftigt Univ.-Prof. Dr. Michael Kölch, der die Petition des SOS-Kinder- und Jugendrates unterstützt. Einsichtsfähig bedeutet, dass junge Menschen in der Lage sind, die Art, Bedeutung und Tragweite der Behandlung zu verstehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

    Berufsverband der Deutschen Psycholog:innen unterstützt Petition

    „Wenn ein Kind weiß, dass es dringend Hilfe braucht, sollte dies nicht daran scheitern, dass Erwachsene psychische Probleme nicht ernst nehmen, im Trennungsstreit stecken oder erst klären müssen, wer zuständig ist“, sagt auch Diplom-Psychologe Ralph Schliewenz, Vizepräsident des Berufsverbands Deutscher Psycholog:innen. Auch der Berufsverband weiß um das Problem: Viele Therapeut:innen berichten, dass sie Kinder wieder wegschicken mussten, weil die Zustimmung der Sorgeberechtigten fehlte – obwohl die Kinder einsichtsfähig waren und dringend Hilfe wollten.

    SOS-Kinder- und Jugendrat handelt aus eigener Erfahrung heraus

    Das Problem ist vielschichtig und betrifft vor allem Kinder, die in der stationären Jugendhilfe aufwachsen. Denn bei vielen jungen Menschen, die in Wohngruppen oder Kinderdorffamilien leben, verbleibt das medizinische Sorgerecht bei den leiblichen Eltern. Manche Eltern sind aber schlecht greifbar, überfordert oder sehen die Belastungen ihrer Kinder nicht. Auch staatlich bestellte Vormünder können überlastet sein: Manche sind für sehr viele junge Menschen gleichzeitig verantwortlich und können nicht immer sofort verfügbar sein. So bleiben gerade diese jungen Menschen, die auf Grund ihrer Vorgeschichte oftmals traumatisiert sind, auf der Strecke. Und selbst Jugendlichen ab 15, die einen sozialrechtlichen Anspruch auf Therapie haben, wird ihr Selbstbestimmungsrecht auf Therapie oftmals verwehrt. Aus Vorsicht vor juristischen Konsequenzen stimmen viele Therapeut:innen und Versicherungen auch dann einer Behandlung nicht zu.

    Junge Menschen fordern Orientierung am Kindeswohl – und rechtliche Klarheit

    Daher fordert die Petition des Kinder- und Jugendrates rechtliche Klarheit: „Wir brauchen eine gesetzliche Regelung, die klarstellt, dass alle einsichtsfähigen Kinder und Jugendlichen eine Therapie beginnen dürfen – und zwar unabhängig vom Alter. Wir fordern, dass alle relevanten Rechtsfragen so geklärt werden, dass ein selbstbestimmter Zugang für junge Menschen zur Therapie auch in der Praxis wirklich funktioniert. Wir dürfen nicht vergessen, dass die derzeitige Rechtslage auch für Therapeut:innen eine schwierige Grauzone darstellt“, so Lea aus dem SOS-Kinder- und Jugendrat.

    Die Petition „Therapiemöglichkeit für einsichtsfähige Kinder und Jugendliche ohne vorherige Zustimmung der Sorgeberechtigten“ kann bis 30.7.2025 unterzeichnet werden: https://epetitionen.bundestag.de/content/petitionen/_2025/_05/_19/Petition_181466.html

    Weitere Informationen zur Petition finden Sie hier: https://www.sos-kinderdorf.de/ueber-uns/politische-arbeit/petition-selbstbestimmte-therapie-fuer-jugendliche

    *Name geändert

    Pressestelle von SOS-Kinderdorf e. V., 15.7.2025

  • Bundeskabinett beschließt Lachgasverbot

    Das Bundeskabinett hat am 2. Juli 2025 den Gesetzentwurf zur Änderung des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes (NpSG) beschlossen. Ziel ist die Unterbindung des Lachgas-Missbrauchs – vor allem Kinder und Jugendliche werden vor den gesundheitlichen Risiken geschützt. Unter die neuen Regeln fällt auch das Verbot von sogenannten K.O.-Tropfen. Die Stoffe Gamma-Butyrolacton (GBL) und 1,4-Butandiol (BDO) werden z. B. zur Begehung von Vergewaltigungs- und Raubdelikten missbraucht.

    Die Regelungen im Einzelnen

    Um den Missbrauch von Lachgas, Gamma-Butyrolacton (GBL) und 1,4-Butandiol (BDO) einzuschränken, erhält das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) eine Anlage II, die diese Stoffe um- und erfasst.

    Lachgas: Lachgas und Zubereitungen dieses Stoffes (jeweils in Kartuschen mit einer Füllmenge von mehr als 8 Gramm) unterfallen zukünftig dem Umgangsverbot des § 3 NpSG. Für Kinder und Jugendliche gilt dann ein Erwerbs- und Besitzverbot, der Verkauf an Kinder und Jugendliche und der Verkauf über Automaten und den Versandhandel wird verboten.

    K.O.-Tropfen: Das gleiche gilt für die Stoffe BDO und GBL (als Reinstoff und Zubereitungen dieser Stoffe mit einem Gehalt von jeweils mehr als 20 Prozent), die von Sexualstraftätern als K.O.-Tropfen missbraucht werden. Durch die Gesetzesänderung sind etwa Inverkehrbringen, Handel und Herstellung verboten.

    Von den Verboten ausgenommen bleibt die nach dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik anerkannte Verwendung eines neuen psychoaktiven Stoffes zu gewerblichen, industriellen oder wissenschaftlichen Zwecken sowie die Verwendung als Arzneimittel und Medizinprodukt.

    „Gerade für Kinder und Jugendliche ist der Konsum von Lachgas mit hohen gesundheitlichen Risiken verbunden. Die Folgen können gravierend sein, etwa Gefrierverletzungen oder Bewusstlosigkeit – bis hin zu bleibenden neurologischen Schäden. Deswegen verbieten wir mit diesem Gesetzentwurf die Abgabe von Lachgas an Kinder und Jugendliche sowie den Verkauf über Versandhandel und Automaten. Zudem schränken wir auch den Handel und Vertrieb von K.O.‑Tropfen ein, die von Straftätern für Vergewaltigungs- und Raubdelikte missbraucht werden und das Leben von Unschuldigen in Gefahr bringen. Vermeintlich harmlose Industriechemikalien dürfen nicht länger missbraucht werden.“
    Bundesgesundheitsministerin Nina Warken

    „Der Konsum von Lachgas ist kein harmloser Partygag; es ist eine bedrohliche Gefahr. Ärztliche Kollegen in den Notaufnahmen berichten von immer mehr Fällen von neurologischen Ausfällen oder Rückenmarksschäden ausgelöst durch chronischen Lachgaskonsum. Besonders beunruhigend ist, dass Lachgas zunehmend von Jugendlichen und auch Kindern konsumiert wird. Ein Grund ist die einfache Verfügbarkeit – oft über Automaten – und das Versetzen mit Geschmacksaromen, das zur Verharmlosung dieser Partydroge beigetragen hat. Das Gesetz ist ein absolut notwendiger Schritt für den Kinder- und Jugendschutz und die öffentliche Gesundheit.“
    Sucht- und Drogenbeauftragter Hendrik Streeck

    Pressestelle des Bundesministeriums für Gesundheit, 2.7.2025

  • Jetzt handeln und Drogenkrise verhindern

    Im Jahr 2024 sind in Deutschland 2.137 Menschen an den Folgen ihres Konsums illegaler Drogen verstorben. Das sind nur 90 Fälle weniger als im Vorjahr und daher weiterhin ein sehr hoher Wert. Darin zeichnet sich ein besorgniserregender Anstieg der Todesfälle bei jungen Konsumierenden unter 30 Jahren von 14 Prozent ab, ein sprunghafter Zuwachs an Todesfällen in Verbindung mit synthetischen Opioiden und Neuen Psychoaktiven Stoffen sowie eine wachsende Zahl von Mischkonsumenten. Die Dynamik auf dem Drogenmarkt nehme gefährlich Fahrt auf, sagte der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen Prof. Hendrik Streeck.

    „Wir erleben eine quasi pandemische Dynamik, die wir schon kennen: einzelne Ausbrüche, neue Substanzen, schnelle Verbreitung, lückenhafte Datenlage – und ein System, das zu träge ist, um rechtzeitig zu reagieren“, erklärt Prof. Dr. Hendrik Streeck, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen bei der Vorstellung der neuen Drogentotenzahlen im Berliner Vivantes Klinikum „Am Urban“. „Wenn wir nicht aufpassen, verschärft sich diese Entwicklung in wenigen Jahren zu einer Krise mit massiven gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen.“

    Besonders dramatisch sei: Noch nie wurden bei Verstorbenen so viele unterschiedliche Substanzen toxikologisch nachgewiesen wie im vergangenen Jahr. Noch nie war Mischkonsum so prävalent – und noch nie waren synthetische Opioide wie etwa Fentanyl bei so vielen Todesfällen gefunden worden (342 Fälle, rund 16 Prozent). Die Zahl der Todesfälle, an denen andere Neue Psychoaktive Stoffe beteiligt waren, stieg um mehr als 70 Prozent auf 154. Dies deckt sich mit internationalen Erkenntnissen – insbesondere in Nordamerika.

    „Wir dürfen nicht dieselben Fehler machen wie bei der Pandemie: zu spät Daten erheben, zu spät reagieren, zu lange auf Sicht fahren“, so Streeck. „Wir brauchen ein systematisches, flächendeckendes Monitoring- und Warnsystem, das schnell erkennt, welche Substanzen auf dem Markt zirkulieren und wie ärztliches und sozialdienstliches Personal bestmöglich helfen können.“

    Dass in rund der Hälfte der Todesfälle keine toxikologischen Gutachten oder Obduktionen durchgeführt wurden, zeige, so Streeck weiter: „Das Wissen, auf dem unsere politischen und medizinischen Entscheidungen basieren, ist oft lückenhaft. Eine nachhaltige Strategie gegen Drogenkonsum und -sterblichkeit kann es aber nur auf Basis valider Daten geben.“

    Auch international schlagen Expertinnen und Experten Alarm: Der aktuelle Weltdrogenbericht geht von 316 Millionen Drogenkonsumierenden weltweit aus – ein historischer Höchststand. In der EU haben 2024 rund 2,7 Millionen junge Erwachsene Kokain konsumiert. Die Verfügbarkeit hoch gefährlicher Drogen steigt rasant, insbesondere über neue Online- und Schmuggelkanäle. Das Bundesinnenministerium gehe verstärkt gegen die Organisierte Kriminalität vor. Mit internationalen Partnern werden man dem internationalen illegalen Drogenhandel und der dadurch befeuerten Gewalteskalation in Europa gegensteuern. Die Verfügbarkeit illegaler Drogen soll deutlich reduziert werden, unter anderem durch die Eindämmung der Kokainschwemme aus Südamerika und die Bekämpfung der Gefahren, die von den besonders tödlichen synthetischen Opioiden ausgehen.

    Streeck betont: „Um zu verhindern, dass sich die Lage in fünf oder zehn Jahren verselbständigt, müssen wir gemeinsam handeln – mit klarer politischer Prioritätensetzung. Polizei und Zoll können die Verfügbarkeit eindämmen, aber wir brauchen ebenso dringend eine moderne, professionell ausgestattete Suchthilfe, neue Präventionsformate, niedrigschwellige Angebote und mehr medizinisches Wissen über neue Substanzen. Nur dann können wir das Ruder herumreißen.“

    Pressestelle des Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, 7.7.2025

    Weitere Informationen bei statista: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/403/umfrage/todesfaelle-durch-den-konsum-illegaler-drogen/ 

    Anzahl der Drogentoten in Deutschland in den Jahren von 2000 bis 2024. Quelle Grafik: Statista

     

  • Erster bundesweiter Recovery Walk

    Liebe Freund:innen,
    wir laden euch herzlich ein, gemeinsam mit uns ein Zeichen zu setzen: für Sichtbarkeit, für Genesung von Suchterkrankungen, für Zusammenhalt. Am 27. September 2025 findet in Leipzig der erste bundesweite Recovery Walk statt – organisiert vom neu gegründeten Verein Recovery Deutschland e. V.

    Recovery Walks sind öffentliche Veranstaltungen, organisiert von Menschen mit Suchtgeschichte, bei denen Betroffene, Angehörige, Fachleute und Interessierte zusammenkommen, um sich zu vernetzen, Genesung zu feiern, Mut zu stiften und Stigmatisierung abzubauen. Ob du in Recovery bist, nüchtern oder clean lebst, neugierig bist oder einfach Lust auf ein alkoholfreies, empowerndes Community-Event hast – du bist willkommen! Bring gerne auch deine Familie oder Freund:innen mit.

    Anmeldung (freiwillig, unverbindlich – für bessere Planbarkeit)

    Unsere kostenlose Online-Anmeldung für die Veranstaltung ist jetzt geöffnet! Um dich selbst oder deine Gruppe anzumelden, nutze bitte den folgenden Link: recoverywalkleipzig.eventbrite.de

    Grober Ablauf (Genaue Infos zu den Zeiten und Orten geben wir noch bekannt)

    Wir starten mittags mit einer Gedenkzeremonie für alle Menschen, die wir durch Substanzen verloren haben. Dann beginnt der Walk (circa drei Kilometer) durch den Park und das Leipziger Stadtgebiet. Im Anschluss findet ein kleines Open Air auf der AOK-Wiese im Clara-Zetkin-Park statt (bis circa 18:30 Uhr). Dort gibt es ein Bühnenprogramm, Informationsangebote und die Möglichkeit, sich auszutauschen. Für die Nachteulen organisiert das Pink Cloud Kollektiv noch einen Rave (natürlich ohne Substanzen).

    Wenn ihr immer auf dem neuesten Stand sein wollt, meldet euch gerne für den Recovery Deutschland Newsletter an.

    Den Walk unterstützen

    Für die Info-Area: Wenn ihr Lust habt, mit eurer Organisation oder Initiative beim Open Air vertreten zu sein, schreibt uns mit einer Idee für einen Stand. Egal, ob Bastel-Ecke, Kinderschminken, Dosenwerfen oder Workshop – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt (solange es sich nicht um Glücksspiel handelt). Ihr kümmert euch selbst um den Aufbau und die Präsentation. Standgebühren erheben wir natürlich nicht.
    Kontakt: kooperation@recovery-deutschland.org

    Spenden und Förderung

    Das Projekt Recovery Walk 2025 wird von der AOK Plus gefördert. Es läuft zusätzlich eine Spendenkampagne auf Betterplace. Wir sind dankbar für jeden Betrag, der den Walk unterstützt. Hier geht’s zu unserem Projekt auf Betterplace: https://www.betterplace.org/de/projects/154460-1-recovery-walk-deutschlands

    Weitere Infos: https://www.recoverydeutschland.org/recovery-walk
    Flyer können gerne bei uns angefragt werden. Wir schicken dann welche rüber.

    Über Recovery Deutschland

    Unsere Mission ist es, Menschen zu stärken, die von einer Suchterkrankung genesen – also „in Recovery“ sind. Deshalb fördern wir positive Bilder von Genesung, bieten Vernetzungsangebote für Menschen mit Suchtgeschichte und setzen uns für gesellschaftliche Rahmenbedingungen ein, die zu einem selbstbestimmten Leben in Recovery beitragen.

    Mitteilung von Recovery Deutschland e. V., 12.6.2025

  • Babypause und Rauchen

    Eine neue Studie der Universität Wien zeigt, dass besonders lange Karenzzeiten um die Geburt eines Kindes langfristig mit einem höheren Risiko für das Rauchverhalten der Mütter verbunden sind. Das Forschungsteam rund um Sonja Spitzer analysierte die Auswirkungen von Karenzzeiten auf das Rauchverhalten von Müttern in 14 europäischen Ländern, darunter auch Österreich. Die Studie wurde aktuell im renommierten Fachmagazin „Journal of Health Economics“ veröffentlicht und basiert auf einer Zusammenarbeit mit der Hertie School Berlin und der TU Wien.

    Die Dauer der beruflichen Auszeit um die Geburt eines Kindes beeinflusst nicht nur das Wohlbefinden und Einkommen von Müttern, sondern wirkt sich auch langfristig auf deren gesundheitliches Verhalten aus. In ihrer neuen Studie zeigen die Wissenschaftler:innen, dass sehr lange Abwesenheiten vom Beruf mit einem höheren Risiko für dauerhaftes Rauchen verbunden sind. Gleichzeitig deuten die Ergebnisse darauf hin, dass kürzere Karenzzeiten tendenziell einen schützenden Effekt haben könnten. „Eigentlich haben wir erwartet, dass längere berufliche Auszeiten dazu führen würden, dass Mütter weniger rauchen. Unsere Ergebnisse zeigen aber eindeutig: Die Wahrscheinlichkeit zum späteren Rauchen steigt mit einer längeren Karenz“, erklärt die Studienautorin Sonja Spitzer, Demografin an der Universität Wien.

    „Prinzipiell ist eine Karenz um die Geburt wichtig für die Gesundheit, und kurzfristig überwiegt auch der gesundheitliche Schutz. Wenn die Karenzzeit aber zu lang ist, können finanzielle Belastung, soziale Isolation und berufliche Nachteile zunehmen – das Rauchen könnte ein Bewältigungsmechanismus für diesen Stress sein. Dass längere Karenzzeiten die Wahrscheinlichkeit zum späteren Rauchen erhöhen, konnten wir eindeutig zeigen. Über die genauen Gründe dahinter können wir derweil erst spekulieren, aber sie passen zu dem, was wir in der Literatur und unseren Daten andeutungsweise sehen“, sagt Spitzer.

    Rauchen gilt als eine der größten vermeidbaren Gesundheitsgefahren. „Unsere Ergebnisse werfen ein neues Licht auf Karenzregelungen: Karenzzeiten sollen Eltern entlasten, sie können jedoch auch unbeabsichtigte Nebeneffekte auf die Gesundheit haben – insbesondere dann, wenn finanzielle Unsicherheit rund um die Geburt besteht“, sagt Spitzer.

    Methode und Ergebnisse

    Das Forschungsteam verknüpfte großflächige Umfragedaten von über 8.500 Müttern aus dem europaweiten SHARE-Datensatz mit historischen Informationen zu gesetzlichen Karenzregelungen in 14 europäischen Ländern zwischen 1960 und 2010. Für Österreich sind die neuen Studienergebnisse besonders relevant: Mit durchschnittlich 27 Monaten Unterbrechung der Erwerbstätigkeit um die Geburt zählt Österreich zu den Ländern mit den weltweit längsten Karenzzeiten von Müttern. Mithilfe eines ökonometrischen Verfahrens – dem Instrumentvariablenansatz – wurde der kausale Effekt der Karenzdauer auf das spätere Rauchverhalten untersucht.

    Ein zusätzlicher Monat Karenz erhöht die Wahrscheinlichkeit, später im Leben zu rauchen, um 1,2 Prozentpunkte. Pro zusätzlichem Karenzmonate steigen auch die Gesamtdauer des Rauchens (+7 Monate), die Anzahl der täglich konsumierten Zigaretten (+0.2 Zigaretten täglich) und die sogenannten Pack Years (+0.6). Besonders betroffen sind Mütter, die um die Geburt keine finanzielle Unterstützung durch einen Partner erhalten haben. „Finanzielle Sorgen in einer ohnehin sensiblen Lebensphase wie rund um die Geburt können den Druck zusätzlich erhöhen – dieser Stress scheint sich langfristig besonders deutlich im Gesundheitsverhalten niederzuschlagen“, so Spitzer. Weniger lange Karenzzeiten scheinen in Bezug auf das Rauchverhalten hingegen potenziell schützend zu wirken. Die Ergebnisse legen nahe, dass die optimale Dauer von Karenzzeiten sorgfältig abgewogen werden sollte.

    Damit liefern die Wissenschaftler:innen eine wichtige Ergänzung zur Debatte um die Ausgestaltung familienpolitischer Maßnahmen: Wie lange ist zu lange? Die Ergebnisse verdeutlichen, dass sorgfältig abgewogen werden sollte zwischen Schutz und Fürsorge, finanziellen Aspekten, Arbeitsmarktintegration, langfristigen Einkommen von Müttern, gesellschaftlichen Zielen wie Geschlechtergerechtigkeit und natürlich der Gesundheit der Mütter.

    Originalpublikation:
    Renner, A.-T., Shaikh, M., Spitzer, S. (2025; forthcoming): Absence from work and lifetime smoking behavior: Evidence from European maternal leave policies. In Journal of Health Economics.
    DOI: 10.1016/j.jhealeco.2025.103004
    https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0167629625000396?via%3Dihub

    Pressemitteilung der Universität Wien, 30.6.2025

  • Cannabisprävention von Studierenden für Studierende

    Ein Forschungsprojekt der Hochschule München klärt auf über Cannabis – auf Augenhöhe, faktenbasiert und ohne zu belehren. Leicht verständliche Inhalte für Social Media, Podcasts oder Aktionstage sollen speziell für Studierende Wissen vermitteln, mit Mythen aufräumen und zum Nachdenken anregen.

    Ein Team um Prof. Dr. Andreas Fraunhofer und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Leila Wanner von der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München (HM) geht mit dem Projekt „CannaPeer“ neue Wege in der Präventionsarbeit für Cannabiskonsum: Studierende leisten die Aufklärung für ihre gleichaltrige Zielgruppe.

    Aufklärung auf Augenhöhe

    Ziel ist es, mit einem Peer-to-Peer-Ansatz Studierende für das Thema Cannabisprävention zu sensibilisieren. Dafür werden Studierende intensiv geschult: Workshops, praxisnahe Übungen und begleitende Materialien vermitteln ihnen das notwendige Wissen und die Methoden, um Präventionsarbeit leisten zu können. Am Ende soll dabei ein Austausch unter Gleichaltrigen entstehen. „Der Peer-to-Peer-Ansatz ist für uns der Schlüssel, um die Zielgruppe authentisch zu erreichen. Wenn Prävention wirken soll, muss sie im Lebensumfeld junger Menschen stattfinden – nahbar, glaubwürdig und dialogorientiert“, unterstreicht HM-Professor und Projektleiter Andreas Fraunhofer.

    Wissensvermittlung online und offline

    Das Projekt setzt vor allem auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Instagram, um die Zielgruppe anzusprechen. Ergänzt wird das Aufklärungsangebot durch einen Podcast, um Themen mit Expertinnen und Experten zu vertiefen. Dabei geht es zum Beispiel um die Wirkung von Cannabis auf den Körper, die Suchgefahr oder den Unterschied zwischen synthetischen und natürlichen Cannabinoiden. Geplant sind darüber hinaus Präsenzformate, um den direkten Austausch zu fördern. Dazu zählen Workshops an Berufsfachschulen sowie eine Vorlesung zum Thema Sucht mit besonderem Fokus auf Cannabis und Alkohol. Ergänzend sind Campusbefragungen und kreative Aktionstage vorgesehen, die zunächst am Hochschulstandort Pasing starten und perspektivisch auch auf die Campus der Innenstadt ausgeweitet werden sollen. „Wir möchten mit unserem Ansatz nicht nur aufklären, sondern echte Gesprächsanlässe schaffen und die Studierenden aktiv in die Gestaltung von Prävention einbeziehen“, erklärt Leila Wanner, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin.

    Breite Vernetzung und nachhaltige Perspektive

    Das Projekt läuft in enger Zusammenarbeit mit der Universität Bamberg und der Hochschule Kempten. Darüber hinaus sind lokale Netzwerke wie das Münchner Programm zur Suchtprävention und die Aktion Jugendschutz Bayern aktiv eingebunden. Durch die Kooperationen soll der Peer-to-Peer-Ansatz eine nachhaltige und niedrigschwellige Präventionsstruktur im Bereich von Bildungsinstitutionen schaffen. Langfristig verfolgt das Projekt die Vision, ein überregionales Netzwerk von geschulten Peer-Multiplikatorinnen und -Multiplikatoren aufzubauen, durch das sich junge Menschen faktenbasiert, ehrlich und ohne Stigmatisierung über Cannabis austauschen können.

    Projektinformationen: Das Projekt „CannaPeer“ wird durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) finanziert und durch das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) gefördert und koordiniert. Die zentrale Konzeption und Steuerung auf Landesebene obliegt dem Zentrum für Prävention und Gesundheitsförderung (ZPG) in Kooperation mit dem Institut für Therapieforschung (IFT).

    Pressemitteilung der Hochschule München, 23.6.2025

  • Angehende Psychotherapeut:innen schätzen ihre Kompetenzen oft falsch ein

    Eine aktuelle Studie zeigt, dass angehende Psychotherapeut:innen ihre psychotherapeutischen Kompetenzen oft unter- oder überschätzen. Das liefert wichtige Hinweise für Ausbildung und Beruf.

    Um Patient:innen wirksam psychotherapeutisch behandeln zu können, sind Praxiskompetenzen und eine realistische Bewertung dieser Kompetenzen essenziell. Wie gut können sich jedoch angehende Psychotherapeut:innen selbst einschätzen? Eine aktuelle Studie von Psycholog:innen der Universität Mannheim zeigt: Die Selbsteinschätzung der eigenen therapeutischen Kompetenzen weicht oft erheblich von der Bewertung durch Expert:innen ab – mit potenziellen Folgen für Ausbildung und Praxis.

    Die Studie wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Georg W. Alpers am Lehrstuhl für Klinische und Biologische Psychologie und Psychotherapie der Universität Mannheim durchgeführt und ist in der Fachzeitschrift „Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie“ erschienen.

    Im Rahmen eines Gesprächsführungspraktikums führten 39 Masterstudierende des Studiengangs Klinische Psychologie und Psychotherapie Anamnesegespräche mit Simulationspatient:innen, die geschult worden waren, die Rolle eines/einer Patient:in einzunehmen. Eine Anamnese ist eine systematische Befragung von Patient:innen, bei der grundlegende Informationen zu ihrem Gesundheitszustand ermittelt werden. Anschließend bewerteten die Studierenden ihre eigenen therapeutischen Fähigkeiten. Diese Selbsteinschätzungen wurden mit den Bewertungen geschulter Expert:innen verglichen, die die Gespräche als Videoaufzeichnung zur Verfügung gestellt bekamen.

    Das Ergebnis: Die Übereinstimmung zwischen Selbst- und Fremdbewertung war gering. Vor allem Studierende mit überdurchschnittlich guter Leistung tendierten dazu, ihre Kompetenzen zu unterschätzen. Leistungsschwächere Studierende hingegen überschätzten oft ihre Fähigkeiten. Diese Gruppe machte etwa ein Drittel der befragten Studierenden aus.

    Ein weiterer Befund: Studierende mit hoher therapeutischer Selbstwirksamkeitserwartung vor dem Praktikum bewerteten ihre Kompetenzen positiver, unabhängig von der tatsächlichen Leistung. Mit Selbstwirksamkeit ist der Glaube an die eigene Fähigkeit gemeint, therapeutisch wirksam zu sein.

    „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Selbstreflexion allein nicht ausreicht, um die eigenen Kompetenzen realistisch einzuschätzen“, sagt wissenschaftliche Mitarbeiterin und Erstautorin Dr. Laura-Ashley Fraunfelter. „Es braucht gezielte Rückmeldungen und Trainings, um Verzerrungen in der Selbstwahrnehmung zu erkennen und zu korrigieren.“

    „Individuelles Feedback von Lehrenden oder geschulten Fachleuten ist zwar aufwendig und teuer“, erklärt Studienleiter Prof. Dr. Georg W. Alpers, „aber die Ergebnisse der Studie bestätigen, dass man auf diese Rückmeldungen nicht verzichten sollte, um die Studierenden bestmöglich auszubilden.“

    Um dies umzusetzen, wurde am Lehrstuhl von Alpers das Schauspielpatient:innen-Programm entwickelt, bei dem angehende Psychotherapeut:innen schwierige Gesprächssituationen einüben können. Unterstützung dafür gab es durch ein neues Programm des Wissenschaftsministeriums im Rahmen des „Fonds erfolgreich Studieren in Baden-Württemberg“. Mehr Informationen zum Projekt sind auch hier zu finden:
    https://www.sowi.uni-mannheim.de/alpers/news/schauspielpatienten-projekt-im-masterstudium/

    Originalpublikation:
    Fraunfelter, L.A.; Gerdes, A.; Alpers, G.W. (2025). Spieglein, Spieglein an der Wand: verzerrte Selbstbewertungen psychotherapeutischer Kompetenzen im Psychotherapie-Studiengang. Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie

    Pressestelle der Universität Mannheim, 28.5.2025

  • Effekt von Elternschaft

    Eine repräsentative Studie in dreißig europäischen Ländern zeigt, dass besonders Frauen mit niedrigem sozioökonomischen Status mit ihrem Leben weniger zufrieden sind als kinderlose Frauen in gleicher sozialer Lage. In den nordeuropäischen Ländern geht Elternschaft mit den höchsten Werten an Zufriedenheit und Sinn einher.

    Eine Studie von Dr. Ansgar Hudde und Professorin Dr. Marita Jacob am Department für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität zu Köln hat gezeigt, dass Elternschaft mit einer geringeren Lebenszufriedenheit, aber einem höheren Sinn im Leben verbunden ist. Die Ergebnisse sind unter dem Titel „Parenthood in Europe: Not More Life Satisfaction, but More Meaning in Life“ in der Fachzeitschrift Journal of Marriage and Family veröffentlicht.

    Untersucht wurden zwei zentrale Komponenten des Wohlbefindens bei Erwachsenen mit und ohne Kinder: Lebenszufriedenheit und Sinn im Leben. Die Analyse der Soziolog*innen basiert auf Daten von über 43.000 Teilnehmenden aus dreißig Ländern, die im Rahmen des European Social Survey regelmäßig befragt werden. Sie bewerteten unter anderem, wie zufrieden sie insgesamt aktuell mit ihrem Leben sind und ob sie ihre Lebensinhalte im Allgemeinen als wertvoll und lohnend ansehen. „Die bisherigen Debatten über Elternschaft haben sich zu sehr auf Glück und Zufriedenheit konzentriert“, sagt Hudde. „Unsere Studie zeigt: Wer Kinder hat, lebt nicht automatisch zufriedener – aber häufiger mit dem Gefühl, dass das eigene Leben sinnvoll und wertvoll ist.“

    Die Studie zeigte zudem, dass er Zusammenhang zwischen Elternschaft und Lebenszufriedenheit je nach sozialen Umständen und nationalem Kontext variiert. Wer zufriedener ist – Eltern oder Kinderlose – unterscheidet sich somit nach Geschlecht und soziökonomischem Status. Betrachtet man etwa Frauen mit niedrigem sozioökonomischem Status, sind diejenigen mit Kindern weniger zufrieden als die ohne Kinder in gleicher sozialer Lage. Bei Frauen mit höherem sozioökonomischem Status sowie bei Männern insgesamt sind die Unterschiede zwischen denen mit und ohne Kinder dagegen gering. Die Beziehung zwischen Elternschaft und Sinn im Leben ist jedoch über sozioökonomische Gruppen und nationale Kontexte hinweg ähnlich: Wer Kinder hat, empfindet sein Leben im Schnitt als sinnvoller und wertvoller.

    Dennoch ist Elternschaft nicht zwangsläufig ein „Trade-Off“ zwischen weniger Zufriedenheit und mehr Sinn im Leben. Das zeigt der Vergleich zwischen europäischen Regionen. Unter bestimmten Bedingungen, wie beispielsweise dem kulturellen und politischen Kontext der nordischen Länder, ist Elternschaft sowohl mit einer höheren Lebenszufriedenheit als auch mit Lebenssinn verbunden, zwei Schlüsselkomponenten eines guten Lebens.

    „Die Ergebnisse zeigen, dass gute Rahmenbedingungen beides ermöglichen können: Sinn und Zufriedenheit“, sagt Hudde. „Ende der 2000er Jahre haben international viele Beobachter gestaunt, wie sehr sich die deutsche Familienpolitik nach vorne bewegt hat – mit Kita-Ausbau und Elterngeld nach skandinavischem Vorbild. Von diesem Schwung ist aber heute kaum noch etwas zu spüren. Auch heute braucht es wieder neue Initiativen, um Familien besser zeitlich zu entlasten und finanziell zu unterstützen.“

    Hudde und Jacob arbeiten derzeit an weiteren Analysen zum Zusammenhang zwischen Elternschaft, Zufriedenheit und empfundenem Sinn. Ein weiteres Ergebnis aus laufender Arbeit zeigt: Der Effekt von Elternschaft zeigt sich nicht nur im Vergleich von Menschen mit und ohne Kinder, sondern auch im Vorher-Nachher-Vergleich. Zur Geburt des ersten Kindes steigt die Lebenszufriedenheit – sinkt aber schnell wieder. Der empfundene Sinn im Leben bleibt dagegen dauerhaft erhöht.

    Originalpublikation:
    https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jomf.13116

    Pressestelle der Universität zu Köln, 26.5.2025

  • Nationale Dunkelfeldstudie

    12,7 Prozent der Befragten haben angegeben, mindestens einmal im Leben von sexualisierter Gewalt betroffen gewesen zu sein. Daher muss von einem großen Dunkelfeld ausgegangen werden, so das Ergebnis einer repräsentativen Studie, die die Häufigkeit und die Kontexte von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche untersucht hat. Die Studie wurde vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit initiiert und im Rahmen des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit zusammen mit der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik in Ulm und dem Kriminologischen Institut in Heidelberg in Kooperation mit dem Umfrageinstitut infratest dimap durchgeführt.

    Die erste bundesweite, repräsentative Studie, die nicht nur die Häufigkeit sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche untersucht, sondern auch die Kontexte der Taten sowie deren Folgen beleuchtet, zeigt, dass das Ausmaß von Missbrauch in Deutschland erheblich ist. 12,7 Prozent der Befragten gaben an, mindestens einmal im Leben von sexualisierter Gewalt betroffen gewesen zu sein. Bezogen auf die Grundgesamtheit der 18- bis 59-Jährigen in Deutschland entspricht das 5,7 Millionen Menschen, die in ihrem Leben sexualisierte Gewalt erlebt haben. Daher muss nach wie vor von einem großen Dunkelfeld ausgegangen werden, obwohl das Bewusstsein um die Problematik in den vergangenen Jahren in Deutschland gewachsen ist. Betroffen sind vor allem Frauen, als Täter werden hingegen mehrheitlich Männer angegeben. Die Studie wurde mit Eigenmitteln der wissenschaftlichen Institute sowie mit finanzieller Unterstützung der WEISSER RING Stiftung, des Vereins Eckiger Tisch sowie des Kinderschutzbunds finanziert.

    Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist auch in Deutschland ein weit verbreitetes Phänomen. Der Kinderschutz und der Umgang mit den Folgen früher Kindheitsbelastungen stellt die medizinische Versorgung vor große Herausforderungen. Seit vielen Jahren wird kritisiert, dass es keine wissenschaftlich verlässlichen Daten zum Ausmaß sexualisierter Gewalt in Deutschland gibt. Nach wie vor ist neben dem tatsächlichen Ausmaß auch zu wenig über die genauen Tatkontexte bekannt, um gezielt und effektiv vorbeugen zu können.

    Fast 13 Prozent haben sexualisierte Gewalt erlebt

    Um Abhilfe zu schaffen, hat das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) im Rahmen des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG) zusammen mit der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Ulm und dem Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg die erste deutschlandweite, repräsentative Studie durchgeführt, die neben dem Ausmaß auch die Umstände und Folgen der Taten berücksichtigt. Demnach gaben 12,7 Prozent der Befragten an, im Kindes- oder Jugendalter sexualisierte Gewalt erfahren zu haben.

    Betroffen sind zumeist Frauen

    Die Betroffenenrate bei Frauen lag mit 20,6 Prozent deutlich höher als bei Männern (4,8 Prozent). Das bedeutet, über 20 Prozent aller befragten Frauen gaben an, von sexualisierter Gewalt im Kindes- und Jugendalter betroffen zu sein. In der jüngeren Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen war dieser Anteil mit 27,4 Prozent sogar noch höher.

    „Die Ergebnisse weisen auf ein erhebliches Dunkelfeld hin, das im Vergleich zu früheren Untersuchungen nicht abgenommen hat, obwohl das Bewusstsein um die Problematik gewachsen ist und Präventionsmaßnahmen in Deutschland ausgeweitet wurden“, sagt Prof. Dr. Harald Dreßing, Koordinator der Studie und Leiter der Forensischen Psychiatrie am ZI. Auf die Frage nach dem Täter oder der Täterin gab ein Großteil der Betroffenen einen männlichen Täter an. Nur 4,5 Prozent der befragten Personen haben sexualisierte Gewalt durch eine Frau erfahren.

    Sexualisierte Gewalt am häufigsten in der Familie

    Auch der Kontext der Taten wurde in der Studie erfragt. Demnach berichteten Betroffene am häufigsten, in der Familie oder durch Verwandte sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Auffällig war, dass Männer deutlich häufiger sexualisierte Gewalt in Sport- und Freizeiteinrichtungen, im kirchlichen Kontext und im Rahmen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe erlebten. Das Forschungsteam macht deutlich, dass diese Unterschiede die Notwendigkeit zeigen, differenzierte Schutzkonzepte für Kinder und Jugendliche zu entwickeln.

    Digitale Kanäle spielen eine wichtige Rolle

    Bei fast einem Drittel der Fälle (31,7 Prozent aller Befragten) spielten digitale Kanäle, also beispielsweise Social Media, Messenger-Dienste und Chats, eine wichtige Rolle. In diesen Fällen ging es unter anderem um die ungewollte Zusendung pornographischen Materials, Aufforderungen zu sexuellen Handlungen oder Zwang und Druck, sexuelle Bilder und Videos zu teilen. 61,9 Prozent der Betroffenen, die sexualisierte Gewalt in der realen Welt erfahren haben, haben auch sexualisierte Gewalt in den sozialen Medien erlebt.

    Angst führt zu Schweigen

    Über ein Drittel (37,4 Prozent) der Betroffenen hatte bisher nicht mit anderen Personen über die erlebte sexualisierte Gewalt gesprochen. Als Grund hierfür berichteten Betroffene häufig Schamgefühle und die Angst, dass einem nicht geglaubt werde. „Das zeigt, dass es immer noch ein erhebliches Dunkelfeld gibt und es vielfach an geschützten Räumen fehlt, in denen Menschen das Erlebte offen ansprechen können, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen“, sagt Dreßing.

    Prävention und Versorgung verbessern

    Die Studie zeigt auch deutlich, dass das psychische Befinden der von sexualisierter Gewalt Betroffenen deutlich schlechter ist als das der Nichtbetroffenen. „Es ist wichtig, dass wir die Forschung zum Ausmaß und den Kontexten von sexualisierter Gewalt verstetigen und weiter voranbringen. Nur so können wir Präventionskonzepte und die gezielte medizinische Versorgung von Betroffenen wirklich verbessern“, sagt Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des ZI und Sprecher des DZPG-Standorts Mannheim-Heidelberg-Ulm. Zusammen mit dem Umfrageinstitut infratest dimap wurden deutschlandweit 10.000 Personen zwischen 18 und 59 Jahren schriftlich kontaktiert. Knapp über 3.000 Personen haben an der Befragung teilgenommen. Diese Rücklaufquote ist hoch und erlaubt belastbare Aussagen.

    Über die Studie und die Methodik

    Die Studie wurde mit Eigenmitteln der wissenschaftlichen Institute sowie mit finanzieller Unterstützung der WEISSER RING Stiftung, des Vereins Eckiger Tisch sowie des Kinderschutzbunds finanziert. In Zusammenarbeit mit dem Umfrageinstitut infratest dimap wurde eine für Deutschland repräsentative Bevölkerungsstichprobe von Personen, die zwischen 18 und 59 Jahren alt waren, mit Hilfe von Adressen der Einwohnermeldeämter erstellt. Den befragten Personen stand die Möglichkeit der Teilnahme auf schriftlich-postalischem Weg oder über eine Online-Befragung offen (Mixed-Mode-Design). Der Befragung lagen ein strukturierter Fragebogen sowie weitere etablierte und international verwendete Instrumente zugrunde. Darin wurde unter anderem nach spezifischen Tatbereichen, Tatzusammenhängen, der Tatanbahnung und der Offenlegung der erlebten Gewalt gefragt, den Folgen der Tat sowie der Bedeutung der sozialen Medien für die Missbrauchshandlungen.

    Über das DZPG
    Seit Mai 2023 arbeiten im Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) Expertinnen und Experten daran, durch gemeinsame Forschung die psychische Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren. An sechs Standorten in Deutschland wirken hierfür Forscherinnen und Kliniker gemeinsam mit Expertinnen aus Erfahrung, also Betroffenen und ihnen Nahestehenden, sowie internationalen Wissenschaftlern zusammen. Unter www.dzpg.org finden Interessierte Informationen zur Organisation, zu Forschungsprojekten und Zielen sowie informative Texte und hilfreiche Links rund um das Thema psychische Gesundheit.

    Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, die Universität Heidelberg und die Universität Ulm bilden in diesem Kontext den gemeinsamen DZPG-Standort Mannheim-Heidelberg-Ulm, auf dessen Initiative die Dunkelfeldstudie zur sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche als exemplarisches, anwendungsbezogenes Projekt gefördert wird.

    Originalpublikation:
    Harald Dreßing, Andreas Hoell, Leonie Scharmann, Anja M. Simon, Ann-Christin Haag, Dieter Dölling, Andreas Meyer-Lindenberg, Joerg Fegert: Sexual Violence Against Children and Adolescents: A German Nationwide Representative Survey on Its Prevalence, Situational Context, and Consequences. Dtsch Arztebl Int 2025; 122: 285–91. DOI: 10.3238/arztebl.m2025.0076. Link: https://www.aerzteblatt.de/10.3238/arztebl.m2025.0076

    Pressestelle des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, 2.6.2025