Kategorie: Kurzmeldungen

  • Abbau von Plätzen für stationäre Entgiftung und Qualifizierten Entzug

    Der Bundesverband Suchthilfe e. V. (bus.) erhielt in den letzten Monaten vermehrt Rückmeldungen von seinen Mitgliedseinrichtungen, dass sich die Wartezeiten für eine Entgiftung oder qualifizierte Entzugsbehandlung vor Antritt einer Entwöhnungsbehandlung deutlich verlängert haben und in kooperierenden Kliniken entsprechende Behandlungsplätze reduziert bzw. Abteilungen geschlossen werden.

    Vor diesem Hintergrund führte der bus. eine Online-Abfrage unter seinen Mitgliedseinrichtungen durch, um zu erfassen, ob es sich um eine lokale Problematik handelt, oder ob sie im gesamten Bundesgebiet besteht. 54 Einrichtungen haben an der Umfrage teilgenommen. Davon gab fast die Hälfte (25 Einrichtungen; 46,3 %) an, dass sie eine Reduzierung der Plätze für Entgiftungs- und qualifizierte Entzugsbehandlungen in ihrem Umfeld beobachten. Als Gründe hierfür wurden sowohl Umstände der Corona-Pandemie als auch systemimmanente Faktoren benannt:

    Infolge notwendiger Hygienevorgaben wurde eine Einzelzimmerunterbringung erforderlich. Entgiftungsplätze wurden für die Behandlung von COVID 19-Patient:innen umgewidmet. Entgiftungsstationen mussten aufgrund von Personalausfällen bzw. Fachkräftemangel vorrübergehend schließen.

    Daneben wird jedoch auch berichtet, dass Entgiftungsplätze im Bereich der Psychiatrie abgebaut werden zu Gunsten von Entgiftungen im somatischen Bereich. Ein deutlicher Abbau ist bei Entgiftungsplätzen für Kinder und Jugendliche zu beobachten!

    Als weitere Problemlagen wurden der Rückgang der Zuweisungen im „Nahtlos-Verfahren“ sowie die deutliche Kürzung der Entgiftungszeiten durch den Medizinischen Dienst benannt. Unklar bleib, inwieweit es sich hier um Auswirkungen des neuen Psychiatrie-Entgeltsystems (PEPP – Entgeltsystem Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, OPS – Operationen- und Prozedurenschlüssel) und des MDK-Reformgesetztes handelt.

    Zumindest für den Bereich der qualifizierten Entgiftung von Kindern und Jugendlichen ist ein solcher Zusammenhang belegbar. Entgiftungsplätze für Kinder von zwölf bis 14 Jahren mussten stillgelegt werden, da in den hierfür gültigen OPS zwingend eine kinder- und jugendpsychiatrische fachliche Leitung gefordert wird.

    Weiterhin ist anzunehmen, dass es infolge der einzuhaltenden Personaluntergrenzen, des hohen Fachkräftebedarfs (durch die unbedingt notwendige Umsetzung der Psychiatriereform) und der damit verbundenen Ambulantisierung zu Verschiebungen von Fachpersonal in Richtung der allgemein psychiatrischen Versorgung kommt.

    Nach dieser ersten Einschätzung der aktuellen Situation der Entgiftungs- und Entzugsbehandlungsplätze wird der bus. die weitere Entwicklung kritisch verfolgen und z. B. über Nachfragen bei der Selbsthilfe, den Krankenhausgesellschaften und den anderen Suchtfachverbänden verifizieren. Zudem wird er die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen informieren. Auch das im Mai anstehende Gespräch der Suchtfachverbände mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert, wird der bus. nutzen, um das Thema darzustellen.

    Thomas Hempel, Therapiehilfe gGmbH, Hamburg; Vorstandsmitglied Bundesverband Suchthilfe e. V., 19.4.2022

  • 2021: Neuer Höchststand bei Fehltagen durch psychische Erkrankungen

    Der Arbeitsausfall wegen psychischer Erkrankungen erreichte 2021 einen neuen Höchststand. Das Niveau lag mit 276 Fehltagen je 100 Versicherte um 41 Prozent über dem von vor zehn Jahren. Ein psychischer Krankschreibungsfall dauerte im vergangenen Jahr durchschnittlich 39,2 Tage. Auch dieser Wert war so hoch wie noch nie. Das zeigt der aktuelle Psychreport der DAK-Gesundheit mit einer Datenauswertung des IGES Instituts für 2,4 Millionen DAK-versicherte Erwerbstätige. Während der Pandemie hatten Frauen ab 55 Jahren die mit Abstand höchsten Steigerungsraten unter allen Beschäftigten: Bei den 55- bis 59-Jährigen kamen auf 100 Versicherte 511 Fehltage, 14 Prozent mehr als vor Corona. Der wichtigste Krankschreibungsgrund war eine Depression, den stärksten Zuwachs gab es bei Anpassungs- und Angststörungen. Im Branchenvergleich hatte das Gesundheitswesen mit 397 Psych-Fehltagen je 100 Versicherte die meisten Ausfälle.

    „Unser Report zeigt, dass viele Menschen mit psychischen Erkrankungen extrem unter den anhaltenden Belastungen der Pandemie leiden“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Die Betroffenen finden aktuell auch schwerer wieder in ihren Berufsalltag zurück.“ Das habe viel mit den besonderen Arbeitsbedingungen unter Corona zu tun, aber auch mit Stigmatisierung. Die Menschen würden in der Familie und der Arztpraxis mittlerweile offener über Depressionen oder Ängste sprechen. „Aber in vielen Firmen sind psychische Probleme weiter ein Tabu“, betont Storm. „Arbeitgeber müssen Stress und mögliche Belastungen mehr in den Fokus rücken. Die DAK-Gesundheit begrüßt deshalb die Pläne der Ampelkoalition und unterstützt ausdrücklich die Aufklärungskampagne zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen.“

    Unter weiblichen Erwerbstätigen gibt es wegen psychischer Erkrankungen seit Jahren mehr Fehlzeiten als unter männlichen. Während der Pandemie zeigten sich bei Frauen ab 55 Jahren die mit Abstand höchsten Steigerungsraten unter allen Beschäftigten: Bei den 55- bis 59-Jährigen erhöhte sich im Vergleich zu 2019 die Anzahl der Fehltage um 14 Prozent, bei den Übersechzigjährigen sogar um 20 Prozent. 2021 entfielen in der oberen Altersgruppe auf 100 Versicherte durchschnittlich 690 Fehltage. Frauen sind von psychischen Erkrankungen auch anders betroffen als Männer: Sie leiden stärker unter Ängsten, während Männer häufiger wegen Störungen in Folge von Alkoholmissbrauch oder anderem Drogenkonsum krankgeschrieben sind.

    Die meisten Ausfalltage in Sachen Psyche gingen bei beiden Geschlechtern auf das Konto von Depressionen. Hier gab es 2021 mit 108 Fehltagen auf 100 Versicherte gegenüber 2019 nur einen geringen Anstieg von 2,7 Prozent. Deutlich zugenommen haben während der Pandemie die Fehlzeiten aufgrund von Anpassungsstörungen: Die Anzahl der Fehltage wegen dieser Diagnose stieg seit 2019 um fast ein Sechstel – auf 69 Fehltage je 100 Versicherte. Angststörungen nahmen unter Corona ebenfalls überdurchschnittlich stark zu. Angst ist eigentlich eine natürliche körperliche Reaktion auf bedrohliche, ungewisse oder unkontrollierbare Situationen. Doch dieser biologische Mechanismus kann aus den Fugen geraten und irgendwann zur Krankheit werden. Angststörungen verursachten im vergangenen Jahr 21 Ausfalltage je 100 Versicherte – 77 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren.

    Im Branchenvergleich zeigt sich, dass Beschäftigte im Gesundheitswesen 2021 deutlich häufiger wegen psychischer Erkrankungen fehlten als Beschäftigte etwa im Einzelhandel oder in Banken. Im vergangenen Jahr entfielen im Gesundheitswesen auf 100 Versicherte 397 Fehltage, rund 44 Prozent mehr als im Durchschnitt aller untersuchten Branchen.

    Der Psychreport 2022 beruht auf einer Analyse der Krankschreibungen aller DAK-versicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zum Jahr 2021. Das Berliner IGES Institut analysierte im Auftrag der DAK-Gesundheit alle Fehlzeiten, für die eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit einer psychischen Diagnose an die Kasse geschickt wurde.

    Pressestelle der DAK-Gesundheit, 2.3.2022

  • Stress schädigt die Bewegungszentren im Gehirn

    Stress scheint sich negativ auf das Erlernen von Bewegungen auszuwirken – zumindest bei Mäusen. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie der Universität Bonn. Demnach verlieren die Neurone von Nagern nach Stress einen Teil ihrer Kontakte zu anderen Nervenzellen. Die Tiere entwickelten zudem motorische Defizite. Die Ergebnisse lassen sich vielleicht für eine frühzeitigere Diagnostik und verbesserte Therapie stressbedingter Erkrankungen wie der Depression nutzen. Sie dokumentieren zudem, dass Stress im Gehirn Spuren hinterlässt – möglicherweise auch dauerhafte. Die Studie ist in der Zeitschrift „Translational Psychiatry“ erschienen.

    Chronisch gestresste Menschen zeigen oft Auffälligkeiten in ihrem Bewegungsvermögen, etwa eine schlechtere feinmotorische Kontrolle. Wie es zu diesen Symptomen kommt, wurde bislang aber noch kaum untersucht. „Wir sind dieser Frage in unserer Studie nachgegangen“, erklärt Prof. Dr. Valentin Stein vom Institut für Physiologie II der Universität Bonn.

    Als Versuchstiere nutzten die Forschenden Mäuse, von denen sie einen Teil für einige Tage einer stressigen Situation aussetzten. Mit einer speziellen Mikroskopie-Methode fertigten sie derweil Aufnahmen vom Gehirn der Nager an. Dabei konzentrierten sie sich auf Teile der Hirnrinde, die für die motorische Steuerung und das Erlernen neuer Bewegungen zuständig sind.

    „Mit unserem Verfahren ist es möglich, ein und dasselbe Neuron zu verschiedenen Zeitpunkten zu beobachten“, sagt Dr. Anne-Kathrin Gellner, die als Ärztin in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn arbeitet. „Wir können daher sehen, ob und wie es sich durch den Stress verändert.“

    Gestresste Mäuse verlieren Synapsen

    Tatsächlich stießen die Forschenden dabei auf eine Auffälligkeit: Nach der stressigen Situation verloren die untersuchten Neurone einen Teil ihrer Synapsen – das sind die Kontakte zu anderen Nervenzellen. Bei Lernvorgängen bilden sich in der Regel neue Synapsen oder bestehende werden gestärkt. Die gestressten Nager büßten stattdessen aber bis zu 15 Prozent ihrer Kontakte ein.

    Gleichzeitig entwickelten die Tiere motorische Lerndefizite. So sollten sie versuchen, mit einer Pfote ein Futterkügelchen zu greifen und in ihr Maul zu befördern. In freier Wildbahn nutzen Mäuse dazu beide Pfoten; sie mussten diese Fähigkeit also neu lernen. Die nicht gestressten Kontrollgruppe kam nach fünf Tagen auf eine Erfolgsquote von 30 Prozent. Die gestressten Nager schafften es aber nur bei jedem zehnten Versuch, das Futter zu nehmen.

    Mäuse sind gegenüber Belastungen unterschiedlich empfindlich. Manche von ihnen entwickeln nach einigen Tagen Stress kaum Auffälligkeiten – sie gelten als resilient. Erstaunlicherweise hatten diese robusten Tiere ähnlich große Schwierigkeiten wie ihre empfindlicheren Artgenossen, das einhändige Greifen zu lernen. „Möglicherweise eignen sich motorische Tests daher sehr gut, um stressbedingte Störungen wie etwa eine Depression zu erkennen, bevor sich andere Symptome zeigen“, hofft Prof. Valentin Stein.

    Auch resiliente Tiere sind nicht gefeit

    Auch bei resilienten Tieren ging zudem die Zahl der Synapsen nach dem Stressereignis zurück. Anders als bei ihren stressempfindlichen Artgenossen erholten sich die betroffenen Neurone jedoch wieder: Nach anderthalb Wochen war die Zahl der Synapsen wieder ähnlich hoch wie vor dem Stressereignis und vergleichbar mit der in nicht gestressten Kontrolltieren. „Dennoch kann es gut sein, dass psychische Belastungen auch bei ihnen dauerhafte Spuren hinterlassen, wenn sie zu lang oder zu häufig erfolgen“, befürchtet Stein, der auch Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Leben und Gesundheit“ ist.

    Die Forschenden haben auch Anhaltspunkte darauf, wodurch der Verlust der Synapsen ausgelöst wird: Im Gehirn der Nager waren bestimmte Immunzellen aktiviert, die Mikroglia. Sie zählen zu den sogenannten Fresszellen und können zum Beispiel Krankheitserreger oder defekte Zellen verdauen. Möglicherweise werden sie durch Stress „scharf geschaltet“ und machen sich dann über die Kontaktstellen her.

    Die Arbeitsgruppe untersuchte zudem die Flüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark umspült. Dabei fand sie bestimmte Proteine, die sich dort normalerweise bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer nachweisen lassen. „Wir glauben daher, dass stressbedingte psychiatrische Erkrankungen wie die Depression auch mit dem Abbau von Nervenzellen einhergehen“, sagt Dr. Gellner. „Dauerhafter Stress – dem zunehmend auch Kinder ausgesetzt sind – kann demnach möglicherweise gravierende Schäden im Gehirn anrichten.“

    Beteiligte Institutionen und Förderung:
    An der Studie waren die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn, das Institut für Ernährungswissenschaft der Universität Potsdam, das Institut für Biochemie und Molekularbiologie, das Institut für Molekulare Psychiatrie und das Institut für Physiologie II (alle Universität Bonn) beteiligt. Dr. Anne-Kathrin Gellner wurde durch das BONFOR Programm der Medizinischen Fakultät gefördert.

    Originalpublikation:
    Anne-Kathrin Gellner, Aileen Sitter, Michal Rackiewicz, Marc Sylvester, Alexandra Philipsen, Andreas Zimmer und Valentin Stein: Stress vulnerability shapes disruption of motor cortical neuroplasticity. Translational Psychiatry, DOI: 10.1038/s41398-022-01855-8

    Pressestelle der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 8.3.2022

  • Wie gelingt es, mit dem Rauchen aufzuhören?

    Rauchen ist nach wie vor eines der größten vermeidbaren Gesundheitsrisiken unserer Zeit. Zwar sinken die Konsumraten bei deutschen Jugendlichen seit Jahren nahezu kontinuierlich, bei den Erwachsenen sind sie während der Corona-Pandemie nach Jahren der Stagnation sogar wieder gestiegen. „Es wäre also dringend nötig, mehr Menschen zu motivieren, mit dem Rauchen aufzuhören“, sagt Prof. Dr. Heino Stöver, geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS). Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Centre for Drug Research an der Goethe-Universität Frankfurt (CDR) und des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS) ist er an einem neuen Forschungsprojekt beteiligt, das Versuche, mit dem Rauchen aufzuhören, näher untersucht. „Mindestens jeder fünfte Raucher bzw. jede fünfte Raucherin in Deutschland versucht einmal im Jahr, das Rauchen aufzugeben, das zeigen repräsentative Studien. Dabei wurden evidenzbasierte Rauchentwöhnungsmethoden eher selten genutzt“, sagt Kirsten Lehmann vom ZIS in Hamburg.

    Die Rauchstopp-Studie (RauS) betrachtet Erfolg und Misserfolg unterschiedlicher Methoden, mit dem Rauchen aufzuhören. Von den vielen Möglichkeiten, mit denen man Rauchstopp-Versuche unterstützen kann, gelten nur einige – Nikotinersatzpräparate, medikamentöse Therapie, medizinische Beratung und Verhaltenstherapie – als medizinisch evidenzbasiert. In der Studie werden auch Bedingungen mit einbezogen, die einem erfolgreichen Rauchstopp im Wege stehen oder den Ausstiegsprozess unterstützen. Zentrales Element der Studie ist eine Online-Befragung, an der alle Interessierten teilnehmen können, die aktuell rauchen oder ehemals regelmäßig geraucht haben.

    „Uns interessiert dabei nicht nur, welche Rauchstopp-Methoden mit welchem Erfolg genutzt werden, sondern auch, welche weiteren Faktoren für Erfolg oder Misserfolg maßgeblich sein können“, so Dr. Bernd Werse vom CDR an der Goethe-Universität Frankfurt, der hauptverantwortlich für die Konzeption des Fragebogens ist. Entscheidend für die Aussagekraft der Erhebung ist eine möglichst große Zahl an Teilnehmenden. „Möglichst viele aktuell und ehemals Rauchende sollten sich ein paar Minuten Zeit nehmen, den Online-Fragebogen auszufüllen“, so Dr. Werse. „Mit den Ergebnissen kann auch denjenigen geholfen werden, die bislang erfolglos versucht haben, mit dem Rauchen aufzuhören.“

    Studienleiter Prof. Dr. Stöver von der Frankfurt UAS betont: „Wir wissen immer noch zu wenig über die entscheidenden Faktoren, die letztlich Menschen motivieren, das Rauchen aufzugeben“. Dr. Silke Kuhn vom ZIS in Hamburg ergänzt: „Das Rauchen aufzugeben, ist in der Regel ein längerer Prozess mit vorangehenden mehreren erfolglosen Versuchen. Zentrale Forschungsfrage ist deshalb, wie Menschen Rückschläge überwinden und erneut Mut fassen können, einen Ausstiegsversuch zu unternehmen.“

    Die RauS-Studie ist unabhängig und wird nicht von Stiftungen, Behörden oder gar der Industrie gefördert. Prof. Dr. Stöver: „Es ist uns ein besonderes Anliegen, näher zu beleuchten, welche Faktoren wirklich hilfreich für den Rauchstopp sind, und zwar aus unabhängiger Perspektive. Deshalb wird die Erhebung ausschließlich aus Eigenmitteln der Hochschule finanziert.“

    Pressestelle der Frankfurt UAS, 6.4.2022

  • Alkohol: Erfolgreiche Frauen und die Sucht

    Am 7. März 2022 wurde im NDR-Fernsehen eine 45-minütige Dokumentation über alkoholabhängige Frauen gezeigt. Sie ist aktuell in der NDR Mediathek abrufbar:

    NDR Doku „Alkohol: Erfolgreiche Frauen und die Sucht“

    Es sind Frauen, die beruflich erfolgreich sind und mitten im Leben stehen. Und doch haben sie ein Geheimnis in sich getragen: Sie sind oder waren alkoholabhängig. So wie die Schauspielerin Mimi Fiedler, die Geschäftsfrau Sandra Fricke, die Journalistin Nathalie Stüben oder die dreifache Mutter Gaby Guzek. Die überwiegende Zahl der Betroffenen sind nicht gesellschaftliche Außenseiterinnen, sondern Berufstätige und Mütter. Und das Problem gewinnt an Dringlichkeit: Während der gesundheitlich riskante Alkoholkonsum bei Männern in den vergangenen Jahren abgenommen hat, bleibt er bei Frauen gleich oder steigt sogar.

    Warum werden so viele erfolgreiche Frauen alkoholsüchtig?

    Alkoholismus wird in der Gesellschaft mit Randgruppen assoziiert und die Betroffenen werden oft stigmatisiert. Wissenschaftsjournalistin Antje Büll trifft Frauen, die offen über dieses Tabuthema sprechen.

    Suchtforscher: Führungspositionen verführen zum Alkohol

    Je mehr Frauen in führende Positionen aufsteigen, desto mehr übernehmen sie auch den ungesunden Alkoholkonsum der Männer, so der Suchtforscher Professor Falk Kiefer vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit: „Die Rollenerwartung gleicht sich an. Dazu gehört auch, wie man mit Suchtmitteln wie Alkohol umgeht.“ Er gehört zu den wenigen Wissenschaftler:innen, die sich in Deutschland überhaupt mit dem Thema Alkohol beschäftigen.

    Alkoholkonsum in Deutschland einer der höchsten weltweit

    Deutschland liegt laut WHO europaweit auf Platz vier, was den Pro-Kopf-Verbrauch an reinem Alkohol betrifft. Während andere Länder mit Steuererhöhungen, Werbeeinschränkungen oder Preiserhöhungen den Alkoholkonsum reduzieren konnten, hat sich in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren nicht viel getan. Europaweit ist Deutschland auf den hinteren Plätzen, was die Alkoholsteuer betrifft.

    „Man muss den Politikern die Dringlichkeit, denke ich, noch mal vor Augen führen. Es wird zu viel in Deutschland getrunken. Und wir müssen auch an der Steuerschraube drehen“, fordert der Ökonom Tobias Effertz von der Universität Hamburg. Die volkswirtschaftlichen Kosten für den Alkoholkonsum belaufen sich nach seinen Berechnungen auf 57 Milliarden Euro. Alkoholiker:innen verursachen damit weit mehr volkswirtschaftliche Kosten als Raucher:innen.

    Gründe für und Wege aus der Sucht

    Die Autorin Antje Büll trifft für diese 45 Min-Dokumentation bemerkenswerte Frauen, die sich trauen, mit ihren Problemen an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie wollen das Problembewusstsein schärfen für das große gesellschaftliche Thema Alkoholsucht, das Aufmerksamkeit benötigt.

    Außerdem spricht die Autorin mit Wissenschaftlern, Suchttherapeuten, Ökonomen und Präventionsmedizinern darüber, was gerade erfolgreiche Frauen süchtig werden lässt und welche Lösungen es gibt.

    Quelle: NDR Mediathek:

  • Wolfram-Keup-Förderpreis 2022 verliehen

    Lukas Andreas Basedow, Förderpreisträger 2022

    Wie hängt der Konsum bestimmter psychotroper Substanzen bei Jugendlichen mit traumatischen Erfahrungen zusammen? Dieser Frage ging Lukas Andreas Basedow (TU Dresden) in seiner Forschungsarbeit „Self-reported PTSD is associated with increased use of MDMA in adolescents with substance use disorders“ nach, für die er mit dem Wolfram-Keup-Förderpreis 2022 ausgezeichnet wurde. Im Rahmen der bus.-Jahrestagung am 22./23. März in Berlin wurde Basedow als Preisträger 2022 geehrt und stellte in einem Kurzvortrag seine Studie vor. Die Ehrung übernahm Dr. Darius Chahmoradi Tabatabai, Vorstandsmitglied im bus.

    Basedow untersuchte drei Gruppen von Jugendlichen mit einer Substanzabhängigkeit (Abhängigkeiten durch Alkohol, Cannabis, MDMA, Amphetamine, Methamphetamin):

    Jugendliche mit der Doppelbelastung Substanzabhängigkeit und Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Jugendliche mit Substanzabhängigkeit und traumatischen Erlebnissen, aber ohne PTBS, sowie Jugendliche mit Substanzabhängigkeit ohne traumatische Erlebnisse. Er konnte zeigen, dass spezifisch der MDMA-Konsum mit einer bei Beginn der Abhängigkeit bereits vorhandenen PTBS zusammenhängt, nicht aber der Konsum anderer Substanzen. Die doppelt belastete Gruppe konsumierte MDMA häufiger und in größeren Mengen als die beiden anderen Gruppen. Der Konsum psychotroper Substanzen generell begann in dieser Gruppe früher. Jugendliche mit Vermeidungssymptomen wiesen einen höheren MDMA-Konsum auf.

    Ehrung des Preisträgers 2020

    Prof. Dr. Wolfgang Sommer, Förderpreisträger 2020

    Nachgeholt wurde auch die Ehrung des Preisträgers 2020. Prof. Dr. Wolfgang Sommer (ZI Mannheim) hatte die Auszeichnung für seine Studie „Microstructural White Matter Alterations in Men With Alcohol Use Disorder and Rats with Excessive Alcohol Consumption During Early Abstinence“ erhalten. Aufgrund der Corona-Pandemie musste die Preisverleihung mehrfach verschoben werden. Bei der diesjährigen Jahrestagung war es dann so weit, und er konnte seine Urkunde persönlich entgegennehmen. Prof. Sommer stellte ebenfalls in einem Kurzvortrag seine neuesten Forschungsergebnisse zu Hirnschädigungen durch Alkohol vor.

    Der Wolfram-Keup-Förderpreis wird alle zwei Jahre vom Bundesverband Suchthilfe (bus.) für eine wegweisende wissenschaftliche oder praxisorientierte Arbeit aus der Suchthilfe vergeben und ist mit einem Preisgeld von 2.000 Euro ausgestattet. Er wurde dieses Jahr zum siebten Mal verliehen.

    Zur Jury des Wolfram-Keup-Förderpreises 2022 gehörten die bus.-Vorstandsmitglieder
    Dr. Wibke Voigt (Vorsitzende), Ulrike Dickenhorst (stellv. Vorsitzende), Dr. Clemens Veltrup und Sebastian Winkelnkemper sowie folgende externe Gutachterinnen:

    • Dr. Rita Hansjürgens, Professorin für Handlungstheorien und Methoden Sozialer Arbeit und Allgemeiner Pädagogik, Alice-Salomon-Hochschule, Berlin
    • PD Dr. Larissa Schwarzkopf, Leiterin der Arbeitsgruppe Therapie- & Versorgungsforschung und der Landesstelle Glücksspielsucht am IFT Institut für Therapieforschung, München

     Informationen über den Preis, die bisherigen Preisträger:innen und die prämierten Arbeiten finden Sie auf www.suchthilfe.de > Unser Verband > Förderpreis.

    Bundesverband Suchthilfe (bus.), 31.3.2022

  • Ein „s“ verloren und die Ambulanten gewonnen

    Dr. Wibke Voigt eröffnet die bus.-Jahrestagung 2022 in Berlin.

    Am 22. und 23. März 2022 fand in Berlin die 106. Wissenschaftliche Jahrestagung des bus. statt. Unter dem Titel „Teilnehmen und teilhaben – Bio-psycho-soziale Suchthilfe in Deutschland“ stellte die Tagung die Suchthilfe als Ganzes in den Mittelpunkt und beleuchtete, ob und wie der Komplexität von Abhängigkeitserkrankungen in unserem multiprofessionell aufgestellten Versorgungssystem Rechnung getragen wird.

    Eröffnung

    Ein Highlight im Programm war das Grußwort von Burkhard Blienert. Der neue Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen hatte kurzfristig zugesagt. Es war sein erstes Grußwort, das er seit seinem Amtsantritt am 12. Januar in Präsenz vortrug.

    Für den bus. war es die erste Jahrestagung unter neuer Firmierung nach seiner Öffnung für ambulante Einrichtungen und die erste Jahrestagung nach zwei Jahren Pandemie. Neben diesen guten Nachrichten erinnerte die Vorstandsvorsitzende Dr. Wibke Voigt in ihrer Eröffnungsrede auch an die Kriegsregionen dieser Welt und bat um eine Schweigeminute für die Opfer des Krieges in der Ukraine und der Krisenherde weltweit sowie für die Verstorbenen der Corona-Pandemie.

    Burkhard Blienert, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen

    „Wir haben ein ‚s‘ verloren und die ambulanten Einrichtungen gewonnen“, führte Dr. Voigt aus. Passend zum neuen Verbandsnamen verglich sie Suchthilfe mit Busfahren: Die Menschen werden abgeholt, wo sie gerade stehen, jede:r kann nach Bedarf und Haltung ein- und aussteigen. Diesen Vergleich griff Burkhard Blienert in seinem Grußwort spontan auf und bot an, „mit dem bus. über die Brücke zu fahren“, eine Brücke zu Politik und Leistungsträgern zu schlagen und die Interessen der Suchthilfe gemeinsam mit ihr zu vertreten. Sein Ziel sei es, mehr Abhängigkeitskranke dazu zu befähigen, die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen. Dazu müsse man auch neue Wege finden und vom Abstinenzgebot abrücken. Außerdem möchte er sich für eine nachhaltige Finanzierung der Suchthilfe einsetzen und appellierte an die Suchthilfe, sich aktiv einzubringen.

    Anschließend fand die Verleihung des Wolfram-Keup-Förderpreises statt. Geehrt wurden gleich zwei Preisträger: Prof. Dr. Wolfgang Sommer (ZI Mannheim) erhielt den Förderpreis 2020, Lukas Basedow (TU Dresden) den Förderpreis 2022.

    Es folgten zwei anregende halbe Tage mit spannenden Themen und lebhaften Diskussionen im Plenum und in den Arbeitsgruppen. Die Teilnehmer:innen genossen den fachlichen und kollegialen Austausch im direkten Kontakt.

    Programm 1. Tag

    Den Eröffnungsvortrag hielt Prof. Dr. Thorsten Meyer (Universität Bielefeld). Er sprach über die Bedeutung des bio-psycho-sozialen Modells der ICF für die Gesundheitsversorgung und beleuchtete den zentralen Begriff der Teilhabe. In einem versierten und kommentierten Überblick stellte Dr. Clemens Veltrup in seinem Vortrag „Teilnehmen und Teilhaben. Suchthilfe in Deutschland“ sämtliche Faktoren dar, die das Suchthilfesystem in Deutschland ausmachen (Angebot, Inanspruchnahme, Häufigkeit von Suchtproblemen etc.), und nannte auch die Schwachstellen. So ist zwar für fast jeden Hilfebedarf ein passendes Angebot vorhanden, doch der Übergang ist oft schwierig und die Angebotsstruktur sehr komplex. Noch finden zu wenig Betroffene Zugang zu spezialisierten Angeboten. Er plädierte für die Entwicklung von Behandlungspfaden, die statt einer Behandlung innerhalb eines Segments Behandlungssequenzen ermöglichen. Prof. Dr. Beate Muschalla (TU Braunschweig) beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit Arbeitsängsten und Arbeitsplatzphobie sowie mit Wegen der Bewältigung.

    Die Podiumsdiskussion zum Thema „(Un)Möglichkeit der Forschung zur Wirksamkeit der bio-psycho-sozial ausgerichteten Suchthilfe“ bestritten Prof. Dr. Falk Kiefer (ZI Mannheim), Prof. Dr. Daniel Deimel (Katholische Hochschule NRW) und Prof. Dr. Johannes Lindenmeyer (Medizinische Hochschule Brandenburg). Die Moderation hatte Roland Knillmann (Caritasverband Osnabrück) inne. Auch die Tagungsteilnehmer:innen beteiligten sich rege. Notwendigkeit zur Verbesserung wurde v. a. hinsichtlich der Forschungsgelder und der Zusammenarbeit von Praxis und Forschung gesehen.

    Programm 2. Tag

    Am zweiten Tag fanden acht verschiedene Arbeitsgruppen statt, aus denen viele Impulse für die praktische Arbeit (z. B. Nahtlosverfahren, Kombi-Behandlungen) und die Verbandsarbeit (Weiterbildung Suchttherapie und Psychotherapie) hervorgingen.

    Prof. Dr. Sonja Bröning (Medical School Hamburg) nahm in ihrem Vortrag die Kinder abhängigkeitskranker Eltern in den Fokus. Sie erläuterte, wodurch Entwicklungsrisiken entstehen und welche Schutzfaktoren greifen. Darauf aufbauend stellte sie Ansatzpunkte für präventives Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen aus suchtbelasteten Familien vor und beschrieb Ansätze zur Verbesserung der Selbstregulation und der Erziehungskompetenz bei den Eltern. Den Abschluss der Tagung bildete ein Vortrag aus der neurobiologischen Forschung mit Ausflügen in die Geistesgeschichte: Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz (Charité – Universitätsmedizin Berlin) referierte über „Suchttherapie im Spannungsfeld von Neurobiologie und Erkenntnistheorie“.

    Zufrieden mit der gelungenen Veranstaltung verabschiedete Dr. Voigt die Teilnehmer:innen.

    Die nächste Wissenschaftliche Jahrestagung des bus. findet am 22./23. März 2023 in Berlin statt.

    Bundesverband Suchthilfe e. V. (bus.), 29.3.2022

  • Neue Studie mittels Abwasseranalyse

    Die Ergebnisse des größten europäischen Projekts im Bereich Abwasseranalyse „Abwasseranalyse und Drogen – eine europäische städteübergreifende Studie“ liegen jetzt für das Jahr 2021 vor. Die Studie wird von der europaweiten SCORE-Gruppe in Zusammenarbeit mit der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) veröffentlicht. Im Rahmen des Projekts wurden Abwasser in 75 europäischen Städten aus 25 Ländern (23 EU, Türkei und Norwegen) analysiert, um Aufschluss über das Drogenverhalten ihrer Einwohner zu gewinnen. Dies ist die höchste Zahl von Ländern, die bislang teilgenommen haben, trotz der anhaltenden COVID-19-Pandemie im betreffenden Studienzeitraum. Die SCORE-Gruppe führt seit 2011 jährliche Studien zur Abwasserüberwachung durch. Damals nahmen erst 19 Städte aus zehn Ländern teil.

    Von Barcelona bis Limassol und von Oslo bis Porto wurden im Rahmen der Studie täglich Abwasserproben in den Einzugsgebieten von Klärwerken über einen Zeitraum von einer Woche zwischen März und Mai 2021 analysiert. Das Abwasser von etwa 45 Millionen Menschen wurde auf Spuren von vier illegalen Stimulanzien (Kokain, Amphetamin, Methamphetamin, MDMA/Ecstasy) sowie Cannabis untersucht.

    Die aktuelle Studie weist auf einen Anstieg bei vier der fünf untersuchten Drogen hin. MDMA war die einzige Droge, bei der in den meisten untersuchten Städten ein Rückgang zu verzeichnen war. Bemerkenswert in dieser jüngsten Datenerhebungsrunde ist, dass die Drogen gleichmäßig an allen Studienorten gemeldet wurden, wobei alle fünf Substanzen in fast allen teilnehmenden Städten gefunden wurden. Dies ist ein Unterschied zu den Vorjahren, in denen vielfältigere geografische Muster beobachtet wurden. Die jüngsten Daten zeigen, dass Kokain zwar nach wie vor in west- und südeuropäischen Städten am stärksten verbreitet ist, jedoch zunehmend auch in osteuropäischen Städten vorkommt. Auch Methamphetamin, das ursprünglich auf Tschechien und die Slowakei konzentriert war, findet sich jetzt in Städten in ganz Europa.

    Alexis Goosdeel, Direktor der EMCDDAt: „Die Ergebnisse zeigen sowohl einen Anstieg als auch eine Ausbreitung der meisten untersuchten Substanzen, was auf ein weit verbreitetes und komplexes Drogenproblem zurückzuführen ist. In den letzten zehn Jahren hat sich die Abwasseranalyse von einer experimentellen Technik zu einem bewährten Instrument zur Überwachung des illegalen Drogenkonsums in Europa entwickelt. In dieser jüngsten Studie zeichnet sich das künftige Potenzial der Abwasserforschung ab, das von der Identifizierung neuer psychoaktiver Substanzen und der Evaluierung von Maßnahmen bis hin zu Programmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und der Verbesserung der Vorsorge und Maßnahmen reicht.“

    Wichtigste Ergebnisse 2021

    Kokain: Kokainrückstände im Abwasser waren in west- und südeuropäischen Städten nach wie vor am höchsten (insbesondere in Belgien, den Niederlanden und Spanien), aber auch in den meisten osteuropäischen Städten wurden Spuren gefunden, bei denen sich ein Anstieg zeigte. Im Jahr 2021 verzeichnete mehr als die Hälfte der Städte einen Anstieg der Kokainrückstände im Vergleich zu den Daten für 2020 (32 der 58 Städte, aus denen Daten für beide Jahre vorliegen). Im Rahmen des kürzlich durchgeführten europäischen Abwasserprojekts EUSEME wurden auch Crack-Rückstände in allen der 13 beteiligten europäischen Städte gefunden, die höchsten Belastungen traten in Amsterdam und Antwerpen auf.

    Methamphetamin

    Diese Droge ist traditionell auf Tschechien und die Slowakei konzentriert und wird nun in Belgien, Zypern, Ostdeutschland, Spanien, der Türkei und mehreren nordeuropäischen Ländern (z. B. Dänemark, Litauen, Finnland und Norwegen) nachgewiesen. Von den 58 Städten, aus denen Daten für 2021 und 2020 vorliegen, meldete etwa die Hälfte (27) einen Anstieg der Rückstände. (Im Gegensatz zu den anderen drei Stimulanzien waren die Rückstände an den meisten Orten sehr gering bis vernachlässigbar).

    Amphetamin

    Bei den Amphetaminrückständen unterschieden sich die Städte nach wie vor sehr, wobei die höchsten Belastungen in Städten im Norden und Osten Europas (Schweden, Belgien, Niederlande und Finnland) und deutlich niedrigere Konzentrationen in Städten im Süden gemeldet wurden. Doch auch hier meldete mehr als die Hälfte (28 von 55) der Städte, aus denen Daten für 2021 und 2020 vorliegen, einen Anstieg der Rückstände.

    Cannabis

    Die höchsten Konzentrationen des Cannabismetaboliten (THC-COOH) wurden in west- und südeuropäischen Städten festgestellt, insbesondere in Kroatien, Tschechien, Spanien, den Niederlanden, Slowenien und Portugal. Der Konsum scheint von den COVID-19-Lockdowns weniger betroffen zu sein als andere Drogen. 2021 meldete fast die Hälfte der Städte (13 von 31), die Cannabismetaboliten analysierten, einen Anstieg der Cannabisbelastung.

    MDMA

    In den meisten untersuchten Städten war dies die einzige Droge, bei der die Rückstände zurückgingen. Fast zwei Drittel der Städte, aus denen Daten für 2021 und 2020 vorliegen (38 von 58), meldeten für 2021 einen Rückgang der Belastung, möglicherweise aufgrund der Schließung von Nachtclubs während der COVID-19-Pandemie, in denen diese Droge häufig konsumiert wird. Die höchsten MDMA-Rückstände wurden in Städten in Belgien, Deutschland, den Niederlanden, Schweden und Norwegen gefunden.

    Städtische Variationen

    Die Studie zeigte Unterschiede zwischen Städten innerhalb eines Landes auf, die teilweise auf ihre unterschiedlichen sozialen und demografischen Merkmale (Altersverteilung, Universitäten, Nachtleben) zurückzuführen sind. In den meisten Ländern mit mehreren Studienstandorten waren die Rückstände bei drei der Stimulanzien in Großstädten höher als in kleineren Ortschaften. Bei Amphetamin und Cannabis wurden keine derartigen Unterschiede festgestellt. Siebzehn der Länder, die 2021 an der Datenerhebung teilnahmen, nahmen mit zwei oder mehr Studienstandorten teil.

    Wöchentliche Muster

    Mit der Abwasseranalyse können wöchentliche Muster des Drogenkonsums festgestellt werden. Mehr als drei Viertel der Städte wiesen am Wochenende (Freitag–Montag) höhere Rückstände der typischen Freizeitdrogen Kokain und MDMA auf als an Wochentagen, obwohl ein Großteil der Nachtleben-Veranstaltungen in Europa im Jahr 2021 noch immer geschlossen war. Dagegen waren die Rückstände der anderen drei Drogen gleichmäßiger über die gesamte Woche verteilt.

    Interaktive Funktionen

    Die aktuelle Studie beinhaltet eine innovative interaktive Karte, die es den Benutzern ermöglicht, geografische und zeitliche Muster zu betrachten und die Ergebnisse nach Stadt und Droge heranzuzoomen. Im Einklang mit der Verpflichtung der EMCDDA, Daten zugänglich zu machen, können alle Quellentabellen hinter dem Tool von Forschern, Datenjournalisten oder allen, die daran interessiert sind, die Daten bei ihrer Arbeit zu verwenden, problemlos heruntergeladen werden.

    Anmerkung: Die Proben aus 2021 wurden möglicherweise während der COVID-19-Beschränkungen erhoben, die sich auf die Verfügbarkeit und die Konsummuster von Drogen ausgewirkt haben könnten.

    Pressestelle der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA), 17.3.2022

  • Alkohol und Pandemie in der Schweiz

    Entgegen allen Befürchtungen haben die Pandemie und die Schutzmaßnahmen den Alkoholkonsum in der Allgemeinbevölkerung nur wenig verändert. Eine Untersuchung von Sucht Schweiz im Auftrag des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) zeigt nebst einem leichten Rückgang der durchschnittlich konsumierten Menge auch Veränderungen bei besonders gefährdeten Gruppen. Insgesamt gilt, dass jene, die mehr Alkohol konsumierten, oft mehr Freizeit oder Stress als Grund nennen.

    Sucht Schweiz hat im Auftrag des BAZG die Veränderungen der Trinkgewohnheiten im Zuge der COVID-19-Maßnahmen untersucht. In einer repräsentativen Befragung wurden im Sommer 2021 rund 2.000 Personen ab dem Alter von 15 Jahren zu ihrem Alkoholkonsum und den Alkoholkäufen befragt. Im Fokus stand der Zeitraum zwölf Monate vor und nach Einführung der Schutzmaßnahmen Mitte März 2020.

    Der Konsum hat um monatlich 2,6 Standardgetränke pro konsumierende Person abgenommen. Das entspricht einem Rückgang von 7,7 Prozent in der Allgemeinbevölkerung. Beim Rauschtrinken ist etwa eine Gelegenheit monatlich weniger zu beobachten, was einem Rückgang von 17 Prozent gleichkommt. Dies dürfte in erster Linie mit der zeitweiligen Einschränkung bei privaten Treffen, der Schließung von Gastronomiebetrieben oder mit eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten zu tun haben. „Während die meisten Menschen ihren Konsum nur wenig verändert haben, ist bei gefährdeten Gruppen eine Polarisierung des Verhaltens zu beobachten. Einige reduzierten ihren Konsum eher, während andere mehr tranken“, erklärt Florian Labhart, Forscher bei Sucht Schweiz.

    Veränderungen beim Konsum daheim

    Beim Trinken zu Hause haben nach eigener Wahrnehmung 16 Prozent der Befragten ihren Konsum ein wenig oder stark reduziert, dagegen 17 Prozent ein wenig oder stark erhöht. Die Zahlen sind für Männer und Frauen vergleichbar. Die Konsumerhöhung lässt sich im Wesentlichen bei Jugendlichen und jungen Erwachsen (bis zu einem Alter von 44 Jahren) beobachten, während der Konsum bei den älteren Altersgruppen eher rückgängig war. Wie zu erwarten, nahm der Konsum im Ausgang (Restaurants, Bars) insgesamt ab.

    Erhöhung bei den Alkoholimporten

    Die Menschen haben im Zuge der Pandemie insgesamt etwas weniger Alkohol gekauft und auch im Ausland weniger eingekauft. Dafür erhöhten sich die Alkoholimporte der Schweiz im Jahr 2020 um fast 30 Prozent im Vergleich zu 2019, wie die Einfuhrstatistik des BAZG zeigt.

    Gründe für die Konsumentwicklungen

    Als Grund für einen erhöhten Alkoholkonsum werden in erster Linie das Vergnügen, mehr Freizeit in Ermangelung anderer Aktivitäten, erhöhter Stress, Langeweile oder Bewältigung bei deprimierten Verstimmungen genannt. Die Konsumreduktion wird in erster Linie mit dem Fehlen geselliger Gelegenheiten oder gesundheitlichen Aspekten begründet.

    Auch in der Pandemie: Konsum bei jungen Menschen

    Die allgemein leicht rückläufige Tendenz ist bei beiden Geschlechtern, aber vor allem in den Altersgruppen ab 25 Jahren zu beobachten. Bei den 15- bis 24-Jährigen zeigt sich trotz eines Anstiegs der Abstinenzzahlen eine erhöhte Trinkmenge bei den Konsumierenden. Diese Entwicklung dürfte im Wesentlichen auf eine altersbedingte Sozialisation in den Alkoholkonsum zurückzuführen sein.

    Gefährdete Gruppen unterstützen

    Obwohl das Trinkverhalten in der Allgemeinbevölkerung leicht zurückging, gibt es verschiedene Risikogruppen. Sie trinken Alkohol, um sich bei Niedergeschlagenheit, schlechter Stimmung oder bei Problemen zu entlasten. Es sind dies insbesondere Menschen, deren wirtschaftliche Situation sich verschlechtert hat, die Angst vor COVID-19 haben und Eltern von Kleinkindern. Auch wenn sich die Lage in den letzten Wochen in vielen Bereichen wieder normalisiert hat, bleibt es wichtig, die Entwicklung im Auge zu behalten. Das Ziel ist, gefährdete Gruppen zu unterstützen und im Falle einer erneuten Krisensituation zu schützen.

    Originalpublikation:
    Changements des habitudes de consommation et d’achat d’alcool durant la première année de la crise du COVID-19 et facteurs de risque associés (mit deutscher Zusammenfassung)

    Pressestelle von Sucht Schweiz, 17.3.2022

  • Online-Befragung unter Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen

    Die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (KJPP) des Universitätsklinikums Ulm (UKU) führt eine Online-Befragung bei Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen durch, um deren Erfahrungen im Umgang mit Patient:innen mit extremistischer Einstellung zu sammeln. Aus den Ergebnissen werden Angebote abgeleitet, die Qualifikation, Weiterbildung und Vernetzung der Fachkräfte verbessern sollen.

    Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen haben während einer Behandlung oder Therapie immer wieder Kontakt zu Patient:innen und Angehörigen, die eine extremistische Einstellung vertreten. Dieses Thema ist für die Forschenden der KJPP aktueller denn je. „Viele Menschen fühlen sich beispielweise im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie von extremistischen Gruppen angesprochen“, weiß Dr. Thea Rau, Forschungsgruppenleiterin und Projektleiterin an der KJPP. „Psychische Erkrankungen sind unter radikalisierten Personen aber grundsätzlich nicht stärker verbreitet als in der Allgemeinbevölkerung. Wenn jedoch psychische Erkrankungen mit extremistischer Einstellung zusammentreffen, kann daraus eine höhere Gewaltbereitschaft resultieren, zum Beispiel bei einer paranoiden Schizophrenie oder bestimmten Persönlichkeitsstörungen“, so Dr. Rau weiter.

    Zudem gehen mit Radikalisierungsprozessen häufig erhebliche psychische Belastungen einher, die oftmals auch behandlungsbedürftig sind. Um Fachkräfte im Umgang mit diesen Patient:innen besser unterstützen zu können, hat die KJPP nun ein neues Projekt ins Leben gerufen. Fachkräfte haben dabei die Möglichkeit, an einer deutschlandweiten Online-Befragung teilzunehmen. Dabei stehen ihre Erfahrungen mit Patient:innen mit extremistischer Einstellung und deren Angehörigen sowie der Schulungsbedarf zu diesem Thema im Fokus. Auch Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen, die keinen Kontakt mit solchen Personengruppen haben, können an der Befragung teilnehmen.

    Hier geht es zur Umfrage

    Die Ergebnisse der anonymen Befragung bilden die Grundlage, um anschließend passgenaue Angebote für Fachkräfte in medizinischen Berufen zu gestalten. So soll etwa ein E-Learning-Programm entwickelt werden, das Fachkräfte im Umgang mit extremistischen Einstellungen von Patient:innen und Angehörigen weiterbildet und qualifiziert.

    „Unser Ziel ist es, mehr Sicherheit bei der Behandlung solcher Patientinnen und Patienten und im Umgang mit deren Angehörigen zu vermitteln. Darüber hinaus möchten wir Angehörige von Heilberufen noch besser in die Netzwerkarbeit einbinden“, erklärt PD Dr. Marc Allroggen, der zusammen mit Dr. Rau die Forschungsgruppe leitet. „Ein Netzwerk zur Extremismus-Prävention gibt es bereits, vor allem aus Fachberatungsstellen zur Deradikalisierung und den Sicherheitsbehörden“, so Dr. Allroggen weiter. „Von diesem Austausch und der qualifizierten Weiterbildung profitieren nicht nur die Fachkräfte und die Betroffenen, sondern letztendlich die gesamte Gesellschaft.“

    Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt und wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert.

    Pressestelle des Universitätsklinikums Ulm, 10.03.2022