Kategorie: Kurzmeldungen

  • Corona-Pandemie: Auswirkungen auf Ernährungs- und Bewegungsverhalten bei Studierenden

    Die angesichts der Corona-Pandemie ergriffenen Maßnahmen hatten Auswirkungen auf den Lebensstil vieler Studierender – bei vielen in positiver, bei manchen jedoch auch in negativer Hinsicht. Das zeigte bereits eine 2020 durchgeführte Befragung der Universität Hohenheim in Stuttgart. Ein Jahr später wiederholten die Forschenden die Untersuchung. Nun liegen die Ergebnisse vor: Bei den meisten Änderungen des Lebensstils gibt es im Vergleich zum vorhergehenden Jahr keine wesentlichen Unterschiede. Deutlich zugenommen haben allerdings die Sorgen – sowohl um die psychische als auch um die körperliche Gesundheit.

    Während der Corona-Pandemie hat sich der Alltag fast aller Menschen drastisch verändert. So auch für Studierende an Hochschulen und Universitäten. Doch welche Auswirkungen auf ihren Lebensstil hatte das plötzliche Wegfallen von universitären Veranstaltungen und gemeinsamen Aktivitäten mit den Studienkolleg:innen? Dieser Frage ging das Team von Prof. Nanette Ströbele-Benschop vom Institut für Ernährungsmedizin erstmals im Sommer 2020 in einer Online-Umfrage unter den Studierenden der Universität Hohenheim nach.

    Im Sommer 2021 wiederholte das Team von Prof. Ströbele-Benschop die Umfrage und wertete die Daten von mehr als 900 Studierenden aus, wovon die meisten zwischen 21 und 26 Jahre alt waren. Dabei interessierten sich die Forschenden vor allem für die Lebensstilfaktoren Ernährung, Bewegung, Sport, Alkohol- und Tabakkonsum sowie die psychischen Belastungen durch die individuelle Corona-Situation.

    Insgesamt zeigten die Daten eine Fortsetzung des Trends von 2020: „Es gibt offensichtlich sehr unterschiedliche Strategien, wie Studierende auf die Pandemie-Maßnahmen reagieren“, fasst Prof. Ströbele-Benschop zusammen. „Die einen scheinen die Umstände positiv zu nutzen und Ernährung sowie Bewegung bewusster in den Alltag integrieren zu können. Bei anderen scheinen hingegen die täglichen Sorgen und der Verlust von Strukturen zu weiteren negativen Auswirkungen zu führen.“

    Gestiegene Besorgnis steht auch im Zusammenhang mit Lebensstilfaktoren

    Im Vergleich zu der Umfrage von 2020 ist die Besorgnis der Studierenden um die eigene körperliche und psychische Gesundheit gestiegen. „Wir sehen also, dass die Studierenden nach zwei Jahren Pandemie noch beeinträchtigter gerade hinsichtlich ihrer psychischen Gesundheit sind als noch ein Jahr zuvor. Das ist besorgniserregend“, so Prof. Ströbele-Benschop. Dabei gehe die gestiegene Besorgnis einher mit einer schlechteren Schlafqualität, weniger Sport und genereller Bewegung, deutlich selteneren gemeinsamen Essen mit Freunden, aber auch einem höherem Verzehr von Süßigkeiten.

    Häufig mehr Gemüse und Salat sowie Fleischalternativen

    Bereits die im Jahr 2020 durchgeführte Umfrage zeigte, dass der Lockdown bei einem Teil der Studierenden zu positiven Veränderungen ihres Lebensstils führte: Sie bereiteten ihre Mahlzeiten öfter selbst frisch zu und probierten dabei häufiger neue Rezepte aus. Auch 2021 verbrachte über die Hälfte der Studierenden mehr Zeit beim Kochen mit frischen Zutaten, allerdings nahmen die Bestellungen bei Lieferdiensten fast genauso häufig zu.

    Die Studierenden verzehrten vermehrt Obst und Gemüse und reduzierten ihren Fleischkonsum noch weiter. Stattdessen kamen häufiger Fleischalternativen auf den Tisch. Prof. Ströbele-Benschop schränkt jedoch ein: „Wie stark bei den Veränderungen des Lebensmittelverzehrs die Pandemie einen Einfluss hatte, kann durch die Umfrage nicht gesagt werden. Zum Beispiel sinkt in der Bevölkerung der Fleischverzehr generell und Fleischalternativen werden immer beliebter.“

    Gewichtsveränderungen bei rund der Hälfte der Befragten und weniger Sport

    Bemerkenswert ist aus Sicht der Forschenden zudem, dass die Gewichtsveränderungen seit Beginn der Pandemie gleichgeblieben sind. Wie schon in der vorhergehenden Befragung gaben ca. 24 Prozent an, dass sie abgenommen hätten, 27 Prozent berichteten über eine Gewichtszunahme und 49 Prozent über keine Veränderung.

    Hatten bei vielen Studierenden im ersten Lockdown noch sportliche Aktivitäten an Bedeutung gewonnen, zeigen die aktuellen Daten jedoch, dass ein größerer Prozentanteil der Studierenden im Jahr 2021 weniger Sport getrieben hat als vor der Pandemie: Ihr Anteil stieg von etwas über 27 Prozent im Jahr 2020 auf jetzt 39 Prozent.

    Pressestelle der Universität Hohenheim, 10.3.2022

  • Eindämmung der Werbung für Online-Glücksspiele und Sportwetten gefordert

    Seit 1. Juli 2021 regelt der Glücksspielstaatsvertrag 2021 das deutsche Glücksspielrecht neu. Neben der Zulassung von Online-Glücksspielen wurden auch die Vorgaben für die Werbung für Glücksspiele abgemildert. Werbung für Glücksspiele ist mittlerweile omnipräsent im Alltag sichtbar. Dies führt zu einer Verharmlosung und Normalisierung von Glücksspielen in der Gesellschaft. Im Sinne des Jugend-, Spieler- und Verbraucherschutzes ist dies eine Fehlentwicklung. Aus diesem Grund haben die Länderkoordinator:innen Glücksspielsucht von Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Thüringen das gemeinsame Positionspapier „Suchtfachliche Position zur Werbung für Online-Glücksspiele und Sportwetten gemäß Glücksspielstaatsvertrag 2021 (GlüStV 2021)“ entwickelt.

    Das Positionspapier stellt die kritisch zu sehenden Entwicklungen im Bereich der Glücksspielwerbung dar und weist auf dringliche Handlungs- und Nachbesserungsbedarfe hin. Mit dem vorliegenden Papier möchten die beteiligten Länderkoordinator:innen Glücksspielsucht zur Diskussion und zur fachlichen Einschätzung von Glücksspielwerbung beitragen.

    Aus der im ersten Teil dargestellten Ausgangslage folgern die Autor:innen folgende neun konkrete Handlungsbedarfe, die zur Eindämmung der unerwünschten Folgen von Glücksspielwerbung in Deutschland nötig sind:

    1. Verbot von Sponsoring und Dachmarkenwerbung
    2. Ausweitung zeitlicher und örtlicher Werbebeschränkungen
    3. Ausweitung des Werbeverbots mit Testimonials
    4. Verbot von Vorteilen
    5. Verbot von Affiliate-Marketing
    6. Werbeverbot über Video-Sharing- und Messengerdienste, Social Media-Angebote sowie Onlinedienste mit Streaming-Feature
    7. Werbeverbot für simuliertes Glücksspiel
    8. Ausweitung der werbebezogenen Bußgeldvorschriften und konsequenter Vollzug
    9. Erweiterte Werbevorschriften in der Erlaubniserteilung

    Die einzelnen Maßnahmen werden im Positionspapier ausführlich erläutert. Es steht oben zum Download bereit.

  • Zunahme von Krankenhausbehandlungen aufgrund von Cannabiskonsum

    In Deutschland hat sich in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme bei den Krankenhausbehandlungen als Folge von problematischem Cannabiskonsum abgezeichnet. Aus den USA gibt es Hinweise, dass mit der zunehmenden Verbreitung des Cannabiskonsums auch die Anzahl an Menschen zugenommen hat, die sich aufgrund ihres Cannabiskonsums in ärztliche Behandlung begeben. Doch wie sieht es in Deutschland aus? Ein Forschungsteam unter der Leitung von Maximilian Gahr am Universitätsklinikum Ulm hat sich mit der Frage befasst, ob die Entwicklung hierzulande ähnlich verläuft.

    Entwicklung der Krankenhausdiagnosen zwischen 2000 und 2018

    Die Forscherinnen und Forscher haben sich die Entwicklung der Krankenhausdiagnosen in der Zeitspanne 2000 bis 2018 angeschaut. Grundlage der Studie waren Angaben des Statistischen Bundesamts zur jährlichen Anzahl an Fällen, in denen Cannabiskonsum als wesentlicher Grund der Behandlung genannt und eine so genannte Hauptdiagnose erstellt wurde.

    Zum Vergleich hat das Team die Anzahl an Diagnosen ausgewertet, die im gleichen Zeitraum in Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol erfasst wurden. Auch die Gesamtzahl aller Krankenhausdiagnosen wurde berücksichtigt, um die relative Häufigkeit von Cannabis-Diagnosen bestimmen zu können.

    5-fache Zunahme bei Krankenhausbehandlungen wegen Cannabiskonsum

    Den Ergebnissen zufolge ist ein fast steter Anstieg bei der Häufigkeit von Cannabis-Diagnosen zu beobachten. Sowohl die absolute als auch die relative Häufigkeit der Krankenhausbehandlungen aufgrund von Cannabiskonsum hat zugenommen. Zwischen 2000 und 2018 gab es eine 4,8-fache Zunahme bei der Anzahl an Hauptdiagnosen in Zusammenhang mit Cannabis. Bei der Anzahl an Behandlungen wegen akuter Probleme im Cannabisrausch hat sich eine 2,8-fache Steigerung abgezeichnet. Psychotische Symptome infolge des Cannabiskonsums sind um das 4,5-fache gestiegen. Die Diagnose Cannabisabhängigkeit wurde 2018 sogar 8,5-mal häufiger gestellt als im Jahr 2000.

    Die Entwicklung der Alkohol-Diagnosen hat hingegen gezeigt, dass es keine generelle Zunahme von Abhängigkeitserkrankungen zu geben scheint. Zwar gab es zwischen 2000 und 2018 eine kleine Zunahme bei der absoluten Zahl an Krankenhausbehandlungen wegen Alkoholproblemen. Die relative Häufigkeit, also der Anteil an Alkohol-Diagnosen bezogen auf die Gesamtzahl aller Krankenhausbehandlungen, war jedoch rückläufig.

    Mögliche Gründe für die Zunahme

    Welche Gründe könnten verantwortlich sein für die Zunahme von Krankenhausbehandlungen infolge von Cannabiskonsum? Nach Einschätzung von Gahr und seinem Team könnte die Einführung von medizinischem Cannabis und die Diskussion um eine Legalisierung von Cannabis die Akzeptanz der Droge in der Bevölkerung erhöht und nachfolgend auch zur stärkeren Verbreitung des Konsums beigetragen haben.

    Die Droge selbst habe sich über die Jahre ebenfalls verändert. Studien legen nahe, dass der Anteil hochpotenter Cannabissorten mit einer hohen Konzentration des Wirkstoffs THC zugenommen hat. Darüber hinaus werden seit einigen Jahren neue synthetische Cannabinoide vermarktet. Die künstlichen Wirkstoffe sind zum Teil extrem potent. Der Konsum ist mit entsprechend hohen gesundheitlichen Risiken verbunden. Konsumierende erleben teils starke Entzugssymptome oder werden psychotisch.

    Originalpublikation:
    Gahr, M., Ziller, J., Keller, F., Muche, R., Preuss, U. W. & Schönfeldt-Lecuona, C. (2022). Incidence of inpatient cases with mental disorders due to use of cannabinoids in Germany: a nationwide evaluation. European Journal of Public Health, https://doi.org/10.1093/eurpub/ckab207

    Quelle: www.drugcom.de , 23.2.2022

  • Schlüssel-Initiative der WHO

    Jedes Jahr könnten in der Europäischen Region der WHO durch eine Erhöhung der Alkoholsteuern in den Mitgliedsstaaten Tausende Menschenleben gerettet werden, das hat eine Studie unter Beteiligung der TU Dresden ergeben. In allen Teilen der Region wird Alkohol derzeit deutlich niedriger besteuert als Tabakprodukte. Um das unausgeschöpfte Potenzial von Gesundheitssteuern zu erhöhen, hat der Fachliche Beirat des WHO-Regionaldirektors für Europa für Innovationen im Bereich der nichtübertragbaren Krankheiten, dem auch Prof. Jürgen Rehm von der TU Dresden angehört, eine neue Schlüssel-Initiative zum Thema Steuern vorgeschlagen, die in der Steuerpolitik der Länder Berücksichtigung finden könnte.

    In der gesamten Europäischen Region führt Alkoholkonsum zu nahezu einer Million Todesfälle pro Jahr, bedingt durch vielfältige Ursachen, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen und andere nichtübertragbare Krankheiten, aber auch Infektionskrankheiten und Verletzungen. Jeden Tag sterben in der Region ungefähr 2.500 Menschen an den Folgen von Alkoholkonsum.

    Jahrzehntelange Forschung und Erfahrungen aus Ländern auf der ganzen Welt haben gezeigt, dass die Erhöhung der Preise für alkoholische Getränke durch eine entsprechende Besteuerung eine der kostengünstigsten und effektivsten Maßnahmen ist, um den Alkoholkonsum und die dadurch verursachten Schäden in der Bevölkerung zu senken. Dies wurde auch von der WHO als eine der vielversprechendsten („best buy“) Interventionen anerkannt – eine Intervention, die größere gesundheitliche Auswirkungen im Hinblick auf die Reduzierung von Krankheit, Behinderung und vorzeitigem Tod erzielt als andere Handlungsoptionen.

    Dennoch ist die Besteuerung von Alkohol nach wie vor eine der am schwächsten umgesetzten Maßnahmen, in erster Linie aufgrund von Widerständen bei Wirtschaftsakteuren und der Tatsache, dass Preiserhöhungen generell in der Bevölkerung als unbeliebt gelten.

    Erhöhung der Alkoholsteuern als vorrangige Maßnahme für die öffentliche Gesundheit ansehen

    Aus diesem Grund hat der Fachliche Beirat für nichtübertragbare Krankheiten diese Schlüssel-Initiative ins Leben gerufen, bei der fünf zentrale Bereiche in den Mittelpunkt gerückt werden, die das unausgeschöpfte Potenzial von Gesundheitssteuern auf Alkohol in der Europäischen Region auf beispiellose Weise steigern sollen.

    „Wir haben errechnet, inwiefern sich eine Erhöhung der Alkoholsteuern auf die Sterblichkeit in der Europäischen Region der WHO auswirken würde. Und die Daten zeigen deutlich, wie vorteilhaft diese Maßnahme für die Gesundheit der Menschen wäre“, erläutert Prof. Dr. Jürgen Rehm, Mitglied des Fachlichen Beirats für nichtübertragbare Krankheiten und Professor am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der TU Dresden. „Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass höhere Steuern auch von der Bevölkerung akzeptiert werden, wenn klar wird, dass sie wirklich in Gesundheit investiert werden.”

    Wie die aktuelle Studie zeigt, könnten durch die Einführung einer Mindeststeuer von 15 Prozent auf den Einzelhandelspreis pro Einheit Alkohol, das heißt unabhängig von der Art des Getränks, in der Europäischen Region der WHO jährlich 133.000 Menschenleben gerettet werden.

    „Die Umsetzung der WHO Schlüssel-Initiative würde die durch Alkoholkonsum allein verursachten Todesfälle wie Alkoholvergiftungen, alkoholische Leberzirrhosen etc. um fast 25 Prozent in der Gesamtregion senken. In Deutschland wären das knapp 20 Prozent – und das pro Jahr“, erklärt Dr. Carolin Kilian, Mitarbeiterin am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie. Diese Zahl könnte mit Einführung eines höheren Steuersatzes erheblich ansteigen.

    Das bedeutet, dass die Erhöhung der Verbrauchssteuern auf Alkoholprodukte als vorrangige Maßnahme für die öffentliche Gesundheit angesehen werden sollte. „Alkohol ist in der Europäischen Region der WHO sehr erschwinglich. Es besteht ein erheblicher Spielraum für Alkoholsteuern, um die Preise für alkoholische Getränke zu erhöhen und dadurch das Trinkverhalten zu mäßigen und den alkoholbedingten Schaden zu verringern. Alkohol ist wie Tabak keine gewöhnliche Ware und sollte auch anders behandelt werden. Dazu gehört eine Besteuerung, die sich an den Zielen der öffentlichen Gesundheit orientiert“, kommentiert Maria Neufeld, Doktorandin am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie und Mitarbeiterin im WHO-Regionalbüro für Europa.

    Was zählt, ist der Endpreis für Alkohol

    Die Kosten pro Mengeneinheit reinen Alkohols sollten unabhängig von der Art des Getränks gleich hoch sein – so das Fazit der Arbeitsgruppe zur Schlüssel-Initiative. „Wir müssen bedenken, dass es auf den vom Verbraucher zu zahlendem Endpreis pro Flasche ankommt. Verbraucher kaufen nicht etwa zehn Gramm reinen Alkohol. Sie kaufen eine Flasche Bier oder Wein oder Spirituosen – der Preis für jedes Getränk sollte sich also nach der Alkoholmenge richten“, erläutert Prof. Jürgen Rehm.

    Der Fachliche Beirat für nichtübertragbare Krankheiten trägt das beste Fachwissen zum Thema Prävention nichtübertragbarer Krankheiten zusammen und will die Mitgliedstaaten dazu inspirieren, die Ziele für nachhaltige Entwicklung mit Bezug zu nichtübertragbaren Krankheiten zu verwirklichen. Mit der Förderung der weiteren Umsetzung von Maßnahmen zur Eindämmung des Alkoholkonsums stehen die Aktivitäten des Beirats im Einklang mit dem Europäischen Arbeitsprogramm 2020–2025 der WHO – „Gemeinsam für mehr Gesundheit in Europa“.

    Originalpublikation:
    Maria Neufeld, Pol Rovira, Carina Ferreira-Borges, Carolin Kilian, Franco Sassi, Aurelijus Veryga, Jürgen Rehm. Impact of introducing a minimum alcohol tax share in retail prices on alcohol-attributable mortality in the WHO European Region: A modelling study. The Lancet , Open Access Published: February 23, 2022. DOI:https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2022.100325

    Pressestelle der Technischen Universität Dresden, 28.2.2022

  • Cannabis legalisieren?

    Führende deutsche Sucht-Fachgesellschaften haben heute ein gemeinsames Positionspapier zur geplanten Cannabis-Regulierung veröffentlicht. Die Fachleute, die das gesamte Spektrum der Suchtprävention, Sucht-Selbsthilfe, Suchtberatung, Suchtforschung und Suchttherapie in Deutschland vertreten, richten fünf zentrale Forderungen an die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger. Damit reagieren sie auf die drogenpolitischen Pläne der Bundesregierung: SPD, Grüne und FDP wollen den Verkauf von Cannabis zu Genusszwecken an Erwachsene in lizensierten Geschäften erlauben. Unterzeichner des Positionspapiers sind die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht), die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS), die Deutsche Gesellschaft für Suchtpsychologie (dgsps) und die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS).

    Um gesundheitlichen und sozialen Schäden vorzubeugen, halten die Fachleute strukturelle Maßnahmen beim staatlich regulierten Cannabisverkauf für unerlässlich. „Für Jugendliche und junge Erwachsene bestehen besondere Risiken durch den Cannabiskonsum. Daher haben Jugendschutz und Vorbeugung oberste Priorität“, sagt Prof. Dr. Falk Kiefer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG Sucht). Hintergrund: Cannabis kann die Gehirnreifung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen negativ beeinflussen. Cannabishaltige Lebensmittel, aromatisierte Rauchmischungen und andere gefährliche Zubereitungen mit einem hohen Gehalt an rauscherzeugendem THC sollten nicht zum Verkauf zugelassen sein.

    Handlungsbedarf sehen die Expertinnen und Experten auch mit Blick auf die Verkaufswege. „Der Verkauf muss staatlich klar geregelt sein und darf den Cannabiskonsum nicht fördern“, erläutert Prof. Dr. Norbert Scherbaum, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Die Fachleute fordern daher klare Werbeverbote und Vorgaben, etwa hinsichtlich der maximalen Abgabemengen. Zudem müsse in den Shops über mögliche Risiken des Cannabiskonsums informiert werden. Entstünden bei Konsumierenden gesundheitliche oder soziale Probleme, sollten frühzeitig Wege in Hilfeangebote aufgezeigt werden.

    Steuereinnahmen aus dem legalen Cannabis-Verkauf müssen im Gesundheitsbereich sinnvoll verwendet werden: „Wir erwarten von der Politik, die zusätzlichen Mittel für verbesserte Prävention, Früherkennung, Frühintervention, Beratung, Begleitung, Behandlung und Selbsthilfe einzusetzen“, betont Dr. Gallus Bischof, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie (dgsps).

    Eine umfassende Begleitforschung in Deutschland sei wünschenswert; ebenso wie der Ausbau des Drogen- und Gesundheitsmonitorings in Deutschland. Zusätzliche Mittel aus den Steuereinnahmen werde es daher auch in der Versorgungs- und Therapieforschung brauchen. „Wir wollen, dass wissenschaftlich und begleitend untersucht wird, ob und wie sich der Umgang mit Cannabis in der Gesellschaft verändert. So müssen Änderungen im Konsum und beim Ausmaß der Konsumfolgen genau beobachtet werden, um auch in der Prävention und Behandlung frühzeitig passend reagieren zu können“, so Prof. Dr. Ulrich W. Preuß, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS). Die Sucht-Fachgesellschaften regen an, eine Expertengruppe einzurichten. Sie könne die Regierung bei der Umsetzung der neuen Regulierungen zur kontrollierten Cannabisabgabe beraten.

    Download des Positionspapiers zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften.

    Gemeinsame Pressemitteilung DHS, DG Sucht, DGS, dgsps, 23.2.2022

  • Alkoholpolitik

    Die Europäische Beobachtungsstelle für Alkoholmarketing (UCAM) benennt und widerlegt in einer Broschüre die sieben wichtigsten Argumente, die Alkohol-, Tabak- und Pharmaunternehmen einsetzen, um ihre Produkte gegen staatliche Interventionen zu verteidigen.

    Die Arbeitsgruppe „Alkoholpolitik“ der Guttempler in Deutschland e. V. hat die zweite Auflage der englischsprachigen Broschüre nun ins Deutsche übersetzt, um die verhängnisvolle Rolle der Alkoholindustrie in der Öffentlichkeit transparent zu machen. Als eines der größten Hindernisse in ihrer präventiven Arbeit nennen die Guttempler die Bemühungen der Alkoholindustrie, die durch den Alkoholkonsum verursachten Probleme zu individualisieren. Ziel dieser Broschüre ist es, Fachleute, Bürger:innen und Po­li­ti­ker­: innen über die Strategien der Alkoholindustrie zur Beeinflussung der nationalen, europäischen und globalen Alkoholpolitik zu informieren.

    Die Broschüre „Die sieben Schlüsselbotschaften der Alkoholindustrie. Informationen für alle, die die wahren Absichten der Alkoholindustrie kennenlernen wollen“ steht auf der Homepage der Guttempler und auf www.alkoholpolitik.de zum Download zur Verfügung und kann auch in Papierform bestellt werden: info@guttempler.de, 040-28 40 76 990

    Mitteilung der Guttempler in Deutschland e. V., 2.2.2022

  • Mit Leberzirrhose ins Krankenhaus

    Von allen chronischen Krankheiten, die in Deutschland die Einweisung in ein Krankenhaus erfordern, hat die Leberzirrhose die höchste Mortalitätsrate. Wird sie als Komorbidität anderer chronischer Krankheiten diagnostiziert, führt sie mindestens zu einer Verdoppelung der Sterblichkeitsrate. Insgesamt hat sich die Zahl der Hospitalisierungen mit Leberzirrhose trotz der Einführung hochwirksamer Medikamente gegen Hepatitis C bundesweit erhöht. Alkoholmissbrauch bleibt dafür bei weitem die Hauptursache. Das ergab eine Studie unter der Leitung von Prof. Jonel Trebicka vom Universitätsklinikum Frankfurt, die einen Beobachtungszeitraum von 14 Jahren umfasste.

    Die Zirrhose, bei der funktionsfähiges Lebergewebe untergeht und vernarbt, ist das gemeinsame Endstadium der meisten chronischen Lebererkrankungen und die vierthäufigste Todesursache in Mitteleuropa. Über ihr epidemiologisches Profil in Deutschland lagen jedoch bislang kaum aktuelle Erkenntnisse vor. Deshalb entschlüsselte ein Forschungsteam um Prof. Jonel Trebicka anhand der Datensätze des Statistischen Bundesamtes die rund 250 Millionen Krankenhausaufnahmen, die von 2005 bis 2018 in Deutschland aus irgendeinem Grund erfolgt waren, gemäß der 10. Version der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10). 0,94 Prozent dieser Hospitalisierungen waren der Diagnose Leberzirrhose zuzuordnen, in der Mehrzahl der Fälle als Begleit- und nicht als Haupterkrankung. In absoluten Zahlen nahmen die Einweisungen mit Leberzirrhose im Beobachtungszeitraum von 151.108 auf 181.688 zu.

    Der primäre Endpunkt der Studie war die Sterblichkeit an Leberzirrhose im Krankenhaus. Zwar ist diese Mortalitätsrate im Beobachtungszeitraum erfreulicherweise von 11,57 Prozent auf 9,49 Prozent gesunken, liegt damit aber immer noch deutlich über den entsprechenden Raten anderer chronischer Krankheiten wie Herzinsuffizienz (8,4 Prozent), Nierenversagen (6,4 Prozent) und chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (5,2 Prozent). Trat eine Leberzirrhose begleitend zu einer anderen chronischen Krankheit auf, dann erhöhte sie deren Mortalitätsrate um das Zwei- bis Dreifache, am stärksten bei infektiösen Atemwegserkrankungen.

    Dank der Einführung direkt wirksamer antiviraler Medikamente gegen Hepatitis C-Erkrankungen hat sich der Anteil der HCV-bedingten Zirrhosen im Beobachtungszeitraum auf knapp ein Drittel reduziert. Umgekehrt hat sich die Häufigkeit von Zirrhosen, die durch eine nicht-alkoholische Fettleber bedingt sind, in dieser Zeit vervierfacht, parallel zu einem Anstieg von Patienten mit krankhaftem Übergewicht (Adipositas). Unbeeinflusst von diesen ätiologischen Verschiebungen dominieren jedoch weiterhin die durch Alkoholmissbrauch entstandenen Zirrhosen. Sie machen 52 Prozent aller in der Studie erfassten Zirrhosen aus, in absoluten Zahlen mit steigender Tendenz.

    Vermutlich aufgrund der in deutschen Kliniken weithin befolgten Behandlungsrichtlinien, zum Beispiel durch endoskopische Prozeduren oder die Gabe nicht-selektiver Beta-Blocker, treten Blutungen im Magendarmtrakt als Komplikation einer Leberzirrhose im Krankenhaus immer seltener auf. Blutungen aus Krampfadern in der Speiseröhre waren 2018 sogar auf ein Zehntel ihres Ausgangswertes von 2005 zurückgegangen. Verschlechterungen des Krankheitsbildes aufgrund von Bauchwassersucht (Ascites) oder von Gehirnstörungen durch unzureichende Entgiftungsarbeit der Leber haben jedoch zugenommen. Die Zahl der Pfortaderthrombosen wiederum verdoppelte sich parallel zu einer intensiveren bildgebenden Diagnostik.

    Verglichen mit anderen chronischen Krankheiten waren die mit Zirrhose aufgenommenen Patienten deutlich jünger: Die Hälfte von ihnen hatte das 64. Lebensjahr noch nicht überschritten. In den ostdeutschen Bundesländern waren höhere Hospitalisierungs- und Krankenhausmortalitätsraten zu verzeichnen als in den westdeutschen. Bundesweit waren rund zwei Drittel der mit einer Leberzirrhose hospitalisierten Patienten Männer. Sie starben häufig bereits in ihrem sechsten Lebensjahrzehnt oder früher, woraus sich die große Zahl verlorener gesunder Lebensjahre und die hohe sozioökonomische Belastung erklärt, die mit einer Leberzirrhose einhergeht. Denn Männer dieses Alters machen noch immer den Großteil aller Berufstätigen aus.

    „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die Entscheider und Kostenträger des Gesundheitswesens viel stärker in die Prävention alkoholbedingter Leberzirrhosen investieren sollten“, bilanziert Prof. Jonel Trebicka. „Sie verdeutlichen auch, wie wichtig es ist, die Leberzirrhose als Begleiterkrankung anderer chronischer Krankheiten wahrzunehmen und zu behandeln.“

    Originalpublikation:
    Wenyi Gu, Hannah Hortlik, Hans-Peter Erasmus, Louisa Schaaf, Yasmin Zeleke, Frank E. Uschner, Philip Ferstl, Martin Schulz, Kai-Henrik Peiffer, Alexander Queck, Tilman Sauerbruch, Maximilian Joseph Brol, Gernot Rohde, Cristina Sanchez, Richard Moreau, Vicente Arroyo, Stefan Zeuzem, Christoph Welsch, Jonel Trebicka: Trends and the course of liver cirrhosis and its complications in Germany: Nationwide populationbased study (2005 to 2018) The Lancet Regional Health – Europen 2022;12: 100240 https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2021.100240

    Pressestelle der Goethe-Universität Frankfurt am Main, 11.2.2022

  • Dritte Befragungsrunde der COPSY-Studie

    Trotz geöffneter Schulen und zugänglicher Freizeitangebote ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die sich durch die Corona-Pandemie psychisch belastet fühlen, weiterhin hoch. Zwar haben sich das psychische Wohlbefinden und die Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen leicht verbessert, jedoch leiden noch immer mehr Kinder und Jugendliche unter psychischen Auffälligkeiten als vor der Pandemie. Erneut sind vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien besonders betroffen. Das ist das Ergebnis der dritten Befragungsrunde der COPSY-Studie (Corona und Psyche) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) (Befragungszeitraum 09-10/2021).

    „Nach einer langen Phase der Belastung zu Beginn der Pandemie haben sich die Lebensqualität und das psychische Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen im Herbst 2021 leicht verbessert. Die Zahlen sind im Vergleich zu präpandemischen Daten zwar immer noch hoch, wir wissen aber auch, dass nicht alle Kinder, die belastet sind, mit einer Angststörung oder Depression reagieren. Die meisten Kinder und Jugendlichen werden die Krise vermutlich gut überstehen. Das gilt vor allem für jene aus stabilen Familienverhältnissen. Familie ist und bleibt eine der wichtigsten Ressourcen, um gut durch die Pandemie zu kommen. Wir merken in der dritten Befragung aber auch, dass das Ende der strikten Kontaktbeschränkungen und die Öffnung der Schulen sowie der Sport- und Freizeitangebote zum psychischen Wohlbefinden und zur Steigerung der Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen beitragen“, fasst Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der COPSY-Studie und Forschungsdirektorin der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des UKE, die aktuellen Studienergebnisse zusammen.

    Lebensqualität, psychische Auffälligkeiten, Angst und Depression

    Zwar hat sich die Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen im Herbst 2021 wieder etwas verbessert, jedoch fühlen sich auch eineinhalb Jahre nach Pandemiebeginn mehr als ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in ihrer Lebensqualität eingeschränkt.

    Auch die psychischen Auffälligkeiten sind leicht zurückgegangen. So wiesen etwas weniger Kinder psychische Auffälligkeiten auf als bei den ersten beiden Befragungen (05-06/2020 und 12/2020-01/2021). Es waren aber immer noch etwa zehn Prozentpunkte mehr als vor der Pandemie.

    Konkret sind Ängstlichkeit und depressive Symptome leicht zurückgegangen.

    Trotz dieser leichten Verbesserungen fühlen sich immer noch acht von zehn Kindern und Jugendlichen durch die Corona-Pandemie belastet. Das Belastungserleben hatte im Pandemieverlauf zunächst zugenommen und sich nun in der dritten Befragung auf hohem Niveau stabilisiert. Dies äußert sich auch darin, dass psychosomatische Stresssymptome wie Gereiztheit, Einschlafprobleme und Niedergeschlagenheit im Vergleich zu vor der Pandemie weiterhin deutlich häufiger auftreten und Kopf- und Bauchschmerzen sogar noch einmal leicht zugenommen haben.

    Gesundheitsverhalten

    Das Gesundheitsverhalten hat sich im Verlauf der Pandemie wieder etwas verbessert. Etwa jedes fünfte Kind isst zwar immer noch mehr Süßigkeiten als vor der Pandemie. Dafür ist der Medienkonsum etwas zurückgegangen und die Kinder und Jugendlichen machen wieder mehr Sport als bei den ersten beiden Befragungen.

    Familie und Schule

    In der dritten Befragung berichten die Kinder und Jugendlichen über weniger Streit in der Familie, über weniger schulische Probleme und ein besseres Verhältnis zu ihren Freund:innen im Vergleich zu den Befragungen davor. Schüler:innen, die sich selbst gut strukturieren und planen können, kommen mit den durch die Pandemie veränderten schulischen Anforderungen besser klar. Dennoch bleiben Belastungen in Familie und Schule weiterhin deutlich höher als vor der Pandemie. Trotz überwiegend geöffneter Schulen erlebt rund die Hälfte der Kinder und Jugendlichen Schule und Lernen weiterhin als anstrengender im Vergleich zu vor Corona.

    Auch der Großteil der Eltern (etwa 80 Prozent) fühlt sich weiterhin durch die Pandemie belastet. Dennoch haben die Eltern signalisiert, den Alltag besser organisiert zu bekommen, und geben auch insgesamt weniger depressive Symptome an.

    Über die Studie

    In der COPSY-Studie untersuchen die UKE-Forschenden die Auswirkungen und Folgen der Corona-Pandemie auf die seelische Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Sie haben dafür nach den Sommerferien von Mitte September bis Mitte Oktober 2021 mehr als 1.100 Kinder und Jugendliche und mehr als 1.600 Eltern mittels Online-Fragebogen befragt. Fast 75 Prozent der befragten Kinder und Eltern hatten bereits an der ersten Befragung nach dem ersten Lockdown im Mai/Juni 2020 und an der zweiten Befragung während des zweiten Lockdowns im Dezember 2020/Januar2021 teilgenommen. Die 11- bis 17-Jährigen füllten ihre Fragebögen selbst aus. Für die 7- bis 10-Jährigen antworteten die Eltern. Auch dieses Mal bilden die Befragten die Bevölkerungsstruktur von Familien mit Kindern im Alter von sieben bis 17 Jahren ab. Die COPSY-Studie ist die erste bevölkerungsbasierte Längsschnittstudie bundesweit und gehört auch international zu den wenigen Längsschnittstudien.

    Originalpublikation:
    Ravens-Sieberer, U, Kaman, A et. al. Child and adolescent mental health during the COVID-19 pandemic: Results of the three-wave longitudinal COPSY study. 2022. Preprint. Link: http://ssrn.com/abstract=4024489

    Pressestelle des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, 9.2.2022

  • Psychoaktive Stoffe in Nahrungsmitteln

    Das Bundeskriminalamt (BKA) warnt vor Lebensmitteln, die mit natürlichem Cannabinoid Tetrahydrocannabinol (THC) angereichert sind. Dieses ist nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) als verkehrsfähiges, aber nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel eingestuft. Derartige Produkte dürfen daher nicht verschrieben, verabreicht oder zum unmittelbaren Gebrauch überlassen werden. Beim Verzehr alltagsüblicher Mengen haben die genannten Lebensmittel berauschende Wirkung.

    Insbesondere für Kinder bergen die hier bekannt gewordenen Produkte unkalkulierbare gesundheitliche Gefahren. Laut aktuellen Meldungen aus Irland, den USA und Kanada kam es dort nach dem Konsum von solchen THC-haltigen Lebensmitteln bereits in mehreren Fällen zu derart schwerwiegenden Vergiftungen bei Kindern und Teenagern, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten.

    Die THC-haltigen Lebensmittel werden über Online-Shops sowie in sozialen Netzwerken zum Kauf angeboten. Der Erwerb ist in Deutschland illegal. Zumeist handelt es sich um Süßigkeiten, Chips und Cornflakes, deren Verpackungen bekannten Markenprodukten nachempfunden sind. Kinder können diese dadurch leicht verwechseln und beim Konsum schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen erleiden.

    Polizei- und Zolldienststellen haben dem BKA bisher 25 Sicherstellungen von THC-haltigen Fruchtgummis und anderen Lebensmitteln aus elf Bundesländern gemeldet.

    In Laboruntersuchungen von hierzulande beschlagnahmten Lebensmitteln wurde bisher ausschließlich das natürliche Cannabinoid THC nachgewiesen.

    Allerdings berichtete Ende Oktober 2021 das Institut für Therapieforschung/München (IFT) dem BKA über Sicherstellungen von Fruchtgummiprodukten in Schweden und Irland, die – anders als die bislang in Deutschland bekannt gewordenen Produkte – mit NPS (Neuen psychoaktiven Stoffen) versetzt waren. Sie enthielten synthetische Cannabinoide, die in Deutschland dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) oder dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) unterstehen.

    • Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG): Gemäß § 4 NpSG sind die Herstellung sowie die Verbringung nach Deutschland zum Zwecke des Inverkehrbringens sowie das Handel treiben, in Verkehr bringen oder einem anderen verabreichen strafbar.
    • Betäubungsmittelgesetz (BtMG): Sofern die in den Süßigkeiten enthaltenen synthetischen Cannabinoide den Regelungen des BtMG unterliegen, ist deren Besitz strafbar.

    Pressestelle des Bundeskriminalamtes, 8.2.2022

  • Warum hat uns die Evolution mit Gefühlen ausgestattet?

    Gefühle spielen in unserem Leben eine große Rolle. Doch warum gibt es sie? Sind Emotionen eine Laune der Natur, oder war ihre Entstehung aus evolutionärer Sicht unausweichlich? Prof. Claudius Gros vom Institut für Theoretische Physik der Goethe-Universität gibt in einer neuen Studie eine eindeutige Antwort.

    Emotionale Reduktion von Komplexität

    Von ihrer Funktion her sind Emotionen abstrakte Kriterien, mit deren Hilfe selbst unterschiedliche Tätigkeiten vergleichend bewertet und damit Ziele und Aufgaben effizient ausgewählt werden können – so das Ergebnis der Studie von Prof. Claudius Gros, die seit Dezember 2021 online zu lesen ist.

    Evolutionär ist alles vorteilhaft, was die Anzahl an Nachkommen erhöht. Wenn Verhaltensweisen nicht direkt genetisch gesteuert werden, also nicht durch Instinkte, muss ein Lebewesen in der Lage sein, die Folgen seines Handelns zu berechnen bzw. zu prognostizieren. Die Realität ist jedoch komplex und damit chaotisch („Schmetterlingseffekt“). Daher können Auswirkungen prinzipiell nur begrenzt berechnet werden, was im Fall sozial organisierter Lebewesen nochmals schwieriger ist: In einer Gemeinschaft muss das Individuum zusätzlich die Absichten der anderen ausfindig machen. In diesem Zusammenhang wurde die „Theorie des sozialen Gehirns“ formuliert, der zufolge sich das menschliche Gehirn vor allem deshalb so rasch entwickelt hat, weil es vor der Aufgabe stand, die Komplexität des sozialen Kontexts zu bewältigen.

    Kognitive Fähigkeiten, also Intelligenz, erweitern die Palette der Handlungsoptionen. Vom maschinellen Lernen wissen wir, dass die rechnerischen Anforderungen mit der Komplexität der Problemstellung überaus schnell ansteigen. Um Entscheidungen zu treffen, benötigen Lebewesen mit komplexen Handlungsoptionen daher einen Mechanismus, der die rechnerischen, d. h. die kognitiven, Anforderungen deutlich reduziert. Das ist es, was Emotionen ermöglichen.

    Sehr unterschiedliche Tätigkeiten können ein und dasselbe Gefühl auslösen – zum Beispiel Langeweile, Aufregung, Befriedigung. So kann es genauso befriedigend sein, mit Freunden zu essen wie Geige zu spielen oder durch den Ärmelkanal zu schwimmen. Nach materiellen Kriterien ließen sich diese Tätigkeiten kaum auf einen Nenner bringen, etwa danach, wie viel Geld dabei herauskommt. Funktional entsprechen Emotionen folglich abstrakten Bewertungskriterien, auch wenn sie als Empfindungen höchst real sein können. Individuen, die über emotionale Entscheidungsmechanismen verfügen, versuchen ihre Tätigkeiten so auszuwählen, dass diese im Mittel mit ihrem „Charakter“ im Einklang sind. Dabei ist der Charakter mathematisch als eine Menge von Präferenzen definiert: Wie häufig strebt jemand – relativ gesehen – eher bequeme, spannende oder produktive Tätigkeiten an?

    Kognitive Regulation von Emotionen

    Uns ist in der Regel nicht bewusst, wie viele biochemische Prozesse beständig in unserem Gehirn ablaufen. Die biologischen Grundlagen von Emotionen (die ‚neuronalen Korrelate‘) können wir dagegen in der Form von Gefühlen wahrnehmen. Interessanterweise sind die dafür notwendigen neurobiologischen Strukturen phylogenetisch jung, d. h. erst bei höheren Affen voll ausgebildet. Diese Strukturen erlauben es, Emotionen ihrerseits kognitiv zu regulieren und somit den kognitiv-emotionalen Regelkreis zu schließen. Im umgekehrten Fall, also wenn uns die Evolution keine Gefühle mitgegeben hätte, könnten wir unsere Emotionen, also die entsprechenden Gehirnprozesse, nicht regulieren. Das würde der wissenschaftlichen Definition von „Zombies“ durch die beiden Neurowissenschaftler Christof Koch and Francis Crick entsprechen. Diese kann man als denkfähige Wesen ansehen, die Triebe haben, diese aber nicht kontrollieren können, da sie sich ihrer nicht bewusst sind.

    Ein emotionales Kontrollsystem ist nicht nur für Menschen und hochentwickelte nicht-menschliche Tiere von essentieller Bedeutung, sondern auch für potentielle künstliche Intelligenzen. Synthetische und biologische Emotionen müssen funktional äquivalente Rollen erfüllen, wogegen sie sich hinsichtlich der spezifischen Ausprägungen unterscheiden können. Roboter-Emotionen werden sich nicht – wie in vielen Filmen dargestellt – sekundär entwickeln. Synthetische Emotionen sind vielmehr eine unabdingbare Voraussetzung für eigenständig agierende universelle Intelligenzen, sofern es diese jemals geben sollte.

    Originalpublikation:
    Claudius Gros: Emotions as Abstract Evaluation Criteria in Biological and Artificial Intelligences. fncom.2021.726247

    Pressestelle der Goethe-Universität Frankfurt a. M., 15.12.2021