Kategorie: Kurzmeldungen

  • Jahresbericht der Drogenbeauftragten 2021 erschienen

    Der am 7. Oktober erschienene Jahresbericht der Drogenbeauftragen der Bundesregierung, Daniela Ludwig, gibt einen umfassenden Überblick über die Drogen- und Suchtpolitik in Deutschland, enthält aktuelle Zahlen zum Drogenkonsum und beleuchtet darüber hinaus die Situation während der Coronapandemie.

    Die Suchthilfe und Suchtberatung geriet zu Beginn der Krise enorm unter Druck und musste quasi über Nacht von analoger auf digitale Beratung umstellen. Auch die Substitutionsversorgung von schwer abhängigen Menschen drohte, sich schwierig zu gestalten.

    Dazu die Drogenbeauftragte Daniela Ludwig: „Diese Pandemie war ein extremer Stresstest für das hiesige Suchthilfesystem, insbesondere für die Betroffenen: suchtkranke Menschen, ihre Familien und Freunde. Der persönliche Kontakt zu Therapeutinnen und Therapeuten sowie Beratungsstellen brach nahezu komplett weg. Wir haben schnell und effizient gehandelt, um einen Kollaps zu verhindern. Mit der Eilverordnung zur Flexibilisierung der Substitutionsversorgung, die mehr Menschen in Behandlung gebracht hat, den digitalen Sprechstunden und der Aufrechterhaltung der Rehabilitationsbehandlung für Suchtkranke – es ist uns gemeinsam trotz der Umstände gelungen, dass die so dringend erforderliche Hilfe weitergehen konnte.“

    Die Drogenbeauftragte Daniela Ludwig fordert für die kommenden Jahre, dass Kommunen und Länder das Thema Suchtprävention und niedrigschwellige Suchthilfe als festen Bestandteil der Daseinsfürsorge etablieren. Dafür müssten die nötigen personellen, finanziellen und organisatorischen Ressourcen geschaffen werden.

    Der neue Drogenbericht beinhaltet auch eine Übersicht über aktuelle Konsumzahlen illegaler und legaler Drogen. Während der Konsum von Alkohol und Tabak insgesamt leicht rückläufig ist, stieg wie in den Jahren zuvor der Cannabiskonsum gerade bei den jungen Erwachsenen.

    Im Bereich organisierte Drogenkriminalität ist seit Jahren eine steigende Zahl an Handelsdelikten zu verzeichnen. Durch die Coronapandemie kam es zu Veränderungen, der Handel verlagerte sich von der Straße ins Internet. Der Bund hat darauf schnell und unbürokratisch reagiert und diverse strafrechtliche Verschärfungen verabschiedet. So sind in der vergangenen Legislatur durch die Erweiterung des Geldwäschetatbestands und der Vermögensabschöpfung sowie durch den neuen Straftatbestand, der das Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet sanktioniert, weitere Gesetze gegen Drogenkriminalität – online wie offline – verabschiedet worden.

    Daniela Ludwig: „Das entschlossene Vorgehen gegen die organisierte Drogenkriminalität und der Ausbau von Präventionsmaßnahmen werden weiterhin eine elementar wichtige Aufgabe in den kommenden Jahren sein. Wir müssen vermeiden, dass Deutschland zu einem Drehkreuz des internationalen Drogenhandels wird. Was wir brauchen, ist eine gemeinsame Allianz aus Bund und Ländern, um das Vorgehen gegen organisierte Drogenkriminalität noch effektiver zu bündeln. Und das gilt online wie offline!“

    Der neue Bericht der Drogenbeauftragten mit aktuellen Zahlen und weiteren Informationen steht hier zum Download bereit.

    Pressestelle der Drogenbeauftragen der Bundesregierung, 7.10.2021

  • Europaweit konsumieren mehr Menschen Cannabis in riskanten Mengen

    Die Anzahl der Cannabiskonsumenten ist in Europa zwischen 2010 und 2019 im Durchschnitt um mehr als ein Viertel gestiegen. Dabei hat auch der besonders riskante tägliche oder fast tägliche Konsum zugenommen. Das sind die Ergebnisse einer im Fachmagazin „The Lancet Regional Health – Europe“ veröffentlichten Auswertung von Wissenschaftler*innen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Die Forschenden haben anhand öffentlich zugänglicher Daten aus Ländern der Europäischen Union sowie aus Großbritannien, Norwegen und der Türkei die aktuellen Entwicklungen beim Cannabiskonsum, die Behandlungszahlen und den THC-Gehalt untersucht.

    „Wir konnten in unserer Auswertung zeigen, dass mehr Menschen in Europa im vergangenen Jahrzehnt Cannabis konsumiert haben“, sagt Studienleiter Dr. Jakob Manthey, der am von UKE-Wissenschaftler*innen geleiteten Zentrum für interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg und der Technischen Universität Dresden forscht.

    Konsum

    Die Anzahl der cannabiskonsumierenden Erwachsenen in den untersuchten Ländern ist im Schnitt um 27 Prozent von 3,1 auf 3,9 Prozent der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren gestiegen, wobei der stärkste relative Anstieg bei den 35- bis 64-Jährigen zu beobachten war. Zudem lag der Anteil der Menschen, die bei Umfragen angegeben hatten, im vergangenen Monat täglich oder fast täglich Cannabis konsumiert zu haben, in jedem zweiten europäischen Land bei mehr als 20 Prozent; in Portugal sogar bei 70 Prozent. Dabei gilt ein Konsum dieser Häufigkeit als besonders riskant. Zugleich wurde europaweit ein Anstieg der Behandlungen wegen eines problematischen Cannabiskonsums um etwa 30 Prozent registriert, vor allem zwischen den Jahren 2010 und 2015. Nur in einzelnen Ländern waren die Behandlungsraten leicht rückläufig.

    Wirkstoffgehalt

    Die Forschenden untersuchten zudem die Entwicklung des Wirkstoffgehalts des Rauschmittels im vergangenen Jahrzehnt. Der Gehalt des Hauptwirkstoffs im Cannabis, das so genannte delta-9-tetrahydrocannabinol oder auch THC, hat in den analysierten Proben insgesamt zugenommen. Bei Cannabisharz, auch Haschisch genannt, hat sich der mittlere THC-Gehalt in etwa verdreifacht und bei Cannabisblüten fast verdoppelt.

    „Möglicherweise ist mit der Zunahme des durchschnittlichen THC-Gehalts auch eine Zunahme der Gesundheitsgefahren für die Konsumierenden verbunden. Das müssen weitere Untersuchungen klären“, sagt Dr. Manthey. Er gibt weiterhin zu bedenken: „Inwiefern der Anstieg des Cannabiskonsums durch die Zunahme des in einigen europäischen Ländern erlaubten medizinischen Gebrauchs erklärbar ist, kann durch die uns vorliegenden Daten nicht beantwortet werden. Um das genaue Ausmaß der gesundheitlichen Probleme durch Cannabiskonsum in Europa abschätzen zu können, ist eine bessere Datengrundlage notwendig.“

    Daten

    Für ihre Untersuchung haben die Forschenden Daten des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht und der „Global Burden of Disease“-Studie genutzt. Zudem verglichen sie für die Ermittlung der Prävalenz des Konsums die erste und die letzte verfügbare Schätzung jedes Landes und führten für die Ermittlung der Veränderung der Behandlungsraten und der Wirkstoffkonzentration von Cannabis lineare Regressionsmodelle durch.

    Originalpublikation:
    Manthey et. al. Public health monitoring of cannabis use in Europe: prevalence of use, cannabis potency, and treatment rates. The Lancet Regional Health – Europe. 2021.
    DOI: https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2021.100227

    Pressestelle des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), 24.9.2021

  • Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit Studierender

    Die COVID-19-Pandemie führte aufgrund der Maßnahmen zu ihrer Eindämmung zu empfindlichen Einschnitten in der Lebensführung der meisten Menschen. Die Beschränkung der Sozialkontakte und des Freizeitverhaltens, die vergleichsweise starke Begrenzung auf den häuslichen Bereich durch z. B. virtuellen Unterricht oder Homeoffice sowie die allgemeine Bedrohungslage und die damit verbundene subjektive Unsicherheit wurden zuletzt immer wieder als Nährboden für die Entwicklung psychischer Probleme diskutiert (z. B. Bilke-Hentsch et al., 2020). Speziell hinsichtlich des vergleichsweise neuen Phänomens der so genannten Internetnutzungsstörungen erscheint es denkbar, dass die lang andauernde pandemische Lage insbesondere unter vulnerablen Gruppen zu einer Zunahme von Betroffenen geführt hat. Erste Studienbefunde aus dem deutschen Sprachraum zeigen, dass unter Jugendlichen zumindest die tägliche Nutzung verschiedener Onlineangebote in der Freizeit (u. a. Online-Computerspiele, soziale Netzwerke) zuletzt deutlich angestiegen ist (Paschke et al., 2021).

    Auch Studierende gelten im Zusammenhang mit Internetnutzungsstörungen als vulnerable Gruppe, und auch sie waren in ihrer Lebensführung durch die Pandemie in besonderem Maße betroffen. Um die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit Studierender zu untersuchen, führte eine interdisziplinäre Forschergruppe der Universität Mainz und der Universitätsmedizin Mainz eine fragebogenbasierte Kohortenstudie an etwa 3.000 Studierenden der hiesigen Universität durch. Die Daten der ersten Kohorte wurden kurz vor Ausbruch der Pandemie erhoben, jene der zweiten Kohorte während der Pandemie. Die Studienergebnisse weisen auf einen dramatischen Anstieg der Prävalenz von Internetnutzungsstörungen hin (3,9 Prozent vor vs. 7,8 Prozent während der Pandemie). Ebenso zeigen sich starke Zunahmen bei weiteren psychischen Symptombelastungen wie etwa Depressivität und Angstsymptome. Diese ersten Studienergebnisse deuten darauf hin, dass die pandemische Lage unter jungen Erwachsenen zu einer spürbaren Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit geführt und insbesondere das Auftreten von Internetnutzungsstörungen begünstigt hat. Die weiterführenden Inhalte der Studie werden im November in der Zeitschrift Suchttherapie veröffentlicht.

    Zwar ist aus den Studienergebnissen nicht zu ersehen, in welchem Ausmaß die psychischen Belastungen von anhaltender Natur sind, jedoch erscheint es sinnvoll, bereits jetzt spezifische Beratungsprogramme für Studierende zu implementieren und ganz grundsätzlich dem Thema Internetnutzungsstörungen verstärkt Aufmerksamkeit zu schenken.

    Online-Vortragsreihe „1. Woche der Medienabhängigkeit“

    Auch vor diesem Hintergrund veranstaltet der Fachverband Medienabhängigkeit in der Woche vom 8.–12.11.2021 die „1. Woche der Medienabhängigkeit“ als Online-Vortragsreihe. In den Beiträgen beleuchten anerkannte nationale und internationale Expertinnen und Experten verschiedene Aspekte von Internetnutzungsstörungen, wobei Prävention und neue Behandlungsansätze im Vordergrund stehen.

    Eine Anmeldung zu der Veranstaltung ist bis einschließlich 3.11.2021 möglich unter https://www.fv-medienabhaengigkeit.de/veranstaltungen/1-woche-der-medienabhaengigkeit/

    Dr. Kai W. Müller, Grüsser Sinopoli-Ambulanz für Spielsucht, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 21.10.2021

    Literatur:

    • Bilke-Hentsch, O., Bachmann, S., Batra, A., Conca, A., Funk, L., Gremaud, F., Jenewein, J., Hentsch, S., Klein, M. Michel, G., Müller, K.W., Müller-Knapp, U., Pezzoli, V., Preuss, U., Rexroth, C., Sevecke, K., Thun-Hohenstein, L., Walter, M., Weber, P., Wladika, W. & Jud, A. (2020). Gibt es ein „Post-corona-Adaptations-Syndrom“? Sollte es „post-Corona“-Interventionen geben? Entwicklungspsychiatrische Überlegungen. Leading Opinions Psychiatrie & Neurologie, 3/4, 6-11
    • Paschke, K., Austermann, M. I., Simon-Kutscher, K., & Thomasius, R. (2021). Adolescent gaming and social media usage before and during the COVID-19 pandemic. 67, 13-22.
  • Abbruchquote und Therapievorbereitung in Zeiten der Pandemie

    Die Fachklinik Hirtenstein im Oberallgäu ist eine stationäre medizinische Rehabilitationsklinik für alkohol- und medikamentenabhängige Männer sowie Männer mit pathologischem Glücksspielverhalten. Träger ist der Deutsche Orden, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Sitz in Weyarn. Als Träger ist der Deutsche Orden mit seinen Ordenswerken in der Altenhilfe, Behindertenhilfe, Suchthilfe sowie der Kinder- und Jugendhilfe tätig. Der Bereich Suchthilfe führt zwölf Rehabilitationskliniken, 17 soziotherapeutische Einrichtungen und zwei ambulante Beratungs- und Therapiezentren. Die Fachklinik Hirtenstein verfügt über 74 Therapieplätze im ersten Schritt der medizinischen Rehabilitationsbehandlung und acht Adaptionsplätze.

    2018 und 2919 lag die Quote der irregulären Entlassungen (disziplinarische Entlassungen und Abbrüche) bei durchschnittlich elf Prozent, also bei 32,3 Patienten über das ganze Jahr, ohne Häufung zu einem Zeitpunkt im Therapieverlauf. Die im Nahtlosverfahren sowie von den Suchtfachambulanzen gut vorbereiteten Patienten kamen mit hoher Motivation in der Klinik an, sodass sofort Therapie beginnen konnte mit Zielformulierung auf der Grundlage unseres tiefenpsychologischen Behandlungskonzepts. Seit Anfang des Jahres 2021 beobachten wir nun zunehmend – v. a. zunehmend belegungs- und wirtschaftlich relevant – Behandlungsabbrüche innerhalb der ersten drei Wochen bei ungebrochen hoher Zuweisungs- und Aufnahmequote.

    Anstieg der Behandlungsabbrüche

    Im Jahr 2019 hatte die Fachklinik Hirtenstein 294 Aufnahmen, im Jahr 2020 291 und im ersten Halbjahr 2021 152 Aufnahmen; die Aufnahmezahl der Vorjahre wird also 2021 extrapoliert übertroffen. Trotz dieser hohen Aufnahmequote sinkt die Belegung kontinuierlich. Nachweislich ist die Zahl der Entlassungen „vorzeitig ohne ärztliches Einverständnis“ seit dem 2. Quartal 2020 kontinuierlich gestiegen. Wie in Tabelle 1 dargestellt wird, hat sich die Zahl der Abbrüche seit dem 2. Quartal 2020 bis 2. Quartal 2021 mehr als verdoppelt (Anstieg von 7,94 auf 18,67). Hinzu kommen disziplinarische Entlassungen mit einem Mittelwert von ungefähr 7,0.

    Tab. 1: Zahl der Behandlungsabbrüche (ohne disziplinarische Entlassungen) 2. Quartal 2020 bis 2. Quartal 2021

    Zwei Drittel der Behandlungsabbrüche geschehen innerhalb der ersten zwei Wochen, ein Viertel der Abbrecher verlässt die Klinik in der dritten Woche, wenn nach dem Behandlungskonzept der Übergang von der Aufnahmephase in die Behandlungsphase vollzogen ist, also die Gruppentherapie intensiv beginnt. Im ersten Halbjahr 2021 kamen 16 Patienten im Nahtlosverfahren. Von ihnen brachen nur sechs die Therapie innerhalb der ersten drei Wochen ab. Alle anderen abbrechenden Patienten kamen aus Suchtfachambulanzen oder psychosozialen Beratungsstellen.

    Unsere These, die zur Ermittlung der nun vorliegenden Zahlen geführt hat, lautet: Aufgrund der veränderten Beratungsmodalitäten als Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie sind Patienten unzureichend auf die stationäre medizinische Rehabilitation vorbereitet.

    Auswirkungen der veränderten Beratungsmodalitäten

    Mitte März 2020 stellten die Beratungsstellen und Suchtfachambulanzen auf Weisung ihrer Träger innerhalb eines Tages die persönliche Vorbereitung der Klienten sowie die Gruppenangebote ein. Bis heute lesen wir in vielen Sozialberichten, dass die Beratung der Klienten und die Beantragung zur Entwöhnungsbehandlung telefonisch erfolgte. Wenn doch eine persönliche Beratung stattfand, dann im Einzelkontakt, da die meisten Beratungsstellen immer noch keine Gruppenangebote durchführen (können).

    Mit unseren Zahlen sehen wir unsere These bestätigt und nehmen an, dass Patienten, die ohne persönliche Gespräche und v. a. ohne motivationale Behandlung in der Gruppe, was vor der Coronapandemie Standard in den Suchtfachambulanzen war, in die Fachklinik kommen, zwar ein Einsehen in Krankheit und Behandlungsbedürftigkeit haben, aber weder mit therapeutischen Techniken vertraut sind noch mit der Gruppensituation. Die Begründung für den frühzeitigen Abbruch der meisten Patienten ist, „hiermit nichts anfangen zu können“, „das ist nichts für mich“, „so habe ich mir das nicht vorgestellt“ usw. Auch persönliches Bemühen um die Patienten sowie die Bitte, die Entscheidung ein paar Tage zu überdenken, ändern nichts an deren Entschluss abzubrechen.

    Vergleichsweise weniger Frühabbrecher entfallen auf die Patienten, die im Nahtlosverfahren zu uns kommen. Hier nehmen wir an, dass sie im Akutkrankenhaus bereits sowohl die Gruppensituation kennengelernt haben als auch mit therapeutischer Fragestellung und Haltung konfrontiert worden sind.

    Wir können evident darlegen, dass wir trotz der im Vergleich zu den Vorjahren noch steigenden Aufnahmequote aufgrund irregulärer Entlassungen – z. B. 24 im 2. Quartal 2021 (18,67 Abbruch, 5,33 disziplinarisch) – einen erheblichen Einbruch in der Belegung hinnehmen müssen. Ursächlich dafür scheint die eingeschränkte Vorbereitung der Patienten durch externe Stellen, da Einzel- und Gruppengespräche gar nicht bzw. nur teilweise stattfinden. Gestützt wird die These dadurch, dass es unter den Patienten, die im Nahtlosverfahren in die Behandlung kommen, weniger Frühabbrecher gibt aufgrund vorheriger Kenntnis von Gruppeneffekten und bereits begonnener Reflexion durch therapeutische Intervention in der therapeutischen Beziehung.

    Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass suchtkranke Patienten ganz wesentlich von einer hinreichenden motivationalen Vorbereitung nicht nur auf kognitiver Ebene, sondern auch im therapeutischen Beziehungserleben mit ebenfalls Betroffenen sowie therapeutisch Tätigen, profitieren.

    Abgesehen davon ist anzunehmen, dass die hohe Abbruchquote (sofern sie auch in anderen Kliniken zu beobachten ist) sowohl gesundheitsökonomisch als auch volkswirtschaftlich zu einem Problem führen wird, da die Patienten nach Abbruch der Therapie selbstverständlich nicht abstinieren.

    Auf Grund der erhobenen Zahlen scheint den Suchtberatungsstellen über Beratung und Vermittlung hinaus in zweierlei Hinsicht die Schlüsselrolle für den Erfolg des Rehabilitationsbeginns zuzukommen: Sie übernehmen die z. T. langwierige Motivation und langsame Annäherung an therapeutisches Handeln, und sie initiieren erste Gruppensituationen in der real erlebten therapeutischen Beziehung. Ohne diese beziehungsorientierte Vorarbeit der Beratungsstellen müsste die Rehabilitationsbehandlung deutlich früher, also schon bei der Motivationsarbeit ansetzen, so dass Zeit für die vertiefte biographische Arbeit mit den Patienten fehlt. Langfristig würden Abstinenzzahlen und somit der Reha-Erfolg, die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit, sinken.

    Dr. Ursula Fennen MBA
    Chefärztin Fachklinik Hirtenstein

  • Aktionstag Suchtberatung 2021

    Der bundesweite Aktionstag Suchtberatung findet in diesem Jahr am 10. November unter dem Motto „Suchthilfe wirkt“ statt. Suchtberatungsstellen in ganz Deutschland sind herzlich eingeladen, sich daran zu beteiligen. Es gibt nicht den einen Veranstaltungsort oder das eine Veranstaltungsformat. Der Aktionstag Suchtberatung findet überall dort statt, wo Sie sind. Alle Informationen zum Aktionstag wie einen Aktionsplaner mit Tipps und Hinweisen zur Organisation einer Veranstaltung und Verteilmaterialien zum Download finden Sie hier: https://www.aktionstag-suchtberatung.de/

    Das Ziel

    Der Aktionstag Suchtberatung möchte an möglichst vielen Orten gleichzeitig auf den Stellenwert der Suchtberatungsstellen aufmerksam machen und eine breite Öffentlichkeit über ihre Arbeit und ihre Angebote informieren. Denn: Vielen Menschen ist bislang (noch) nicht bekannt, welch vielfältige Aufgaben Suchtberatung übernimmt und wie sie auf individueller und gesellschaftlicher Ebene unterstützt.

    Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) und ihre Mitgliedsverbände haben den Aktionstag Suchtberatung 2020 ins Leben gerufen, um unterschiedliche Zielgruppen über die Arbeit der Suchtberatungsstellen vor Ort zu informieren:

    • Politische Entscheidungstragende: Welche Schlüsselfunktionen und Schnittstellenarbeit in der Kommune übernehmen Suchtberatungsstellen? Was braucht es, um den zentralen Aufgaben nachhaltig nachkommen zu können?
    • Betroffene und Angehörige: Wie kann Suchtberatung mir/uns persönlich helfen?
    • Allgemeinbevölkerung: Welchen gesellschaftlichen Beitrag leistet Suchtberatung?

    Die zentrale Botschaft

    Suchtberatungsstellen beraten, behandeln und begleiten, unterstützen und stabilisieren Abhängigkeitskranke in Krisen sowie in dauerhaft herausfordernden Lebenssituationen. Damit bieten sie vor Ort eine unverzichtbare Hilfe für suchtgefährdete und abhängigkeitskranke Menschen und ihre Angehörigen. Sie übernehmen vielfältige Aufgaben auf verschiedenen Ebenen. Suchtberatungsstellen leisten einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft:

    • Motivation und Vermittlung: Suchtberatungsstellen sind unter anderem dafür zuständig, Hilfesuchende ins medizinische Hilfesystem (stationäre oder ambulante Rehabilitation) überzuleiten. Sie motivieren Betroffene, diese Hilfsangebote wahrzunehmen, und informieren über die verschiedenen Möglichkeiten.
    • Beratung und Begleitung: Durch die beratende und begleitende Funktion stabilisiert sich die Situation Betroffener.
    • Netzwerkarbeit: Fachkräfte der Suchtberatung sind Anlaufstelle für unterschiedliche Ansprechpersonen und vermitteln zwischen unterschiedlichen Institutionen. Das können z. B. Angehörige, Arbeitgebende oder Jocenter sein. Darüber hinaus kooperieren Suchtberatungsstellen auch mit anderen Hilfestellen (wie z. B. dem Jugendamt) zur Erschließung von Angeboten.
    • Beziehungsqualität: Die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Fachkräften und Klient*innen legt den Grundstein für eine gelungene und nachhaltige weiterführende Versorgung Betroffener.

    Quelle: DHS und https://www.aktionstag-suchtberatung.de/, 12.10.2021

  • Das vermessene Leben

    Mit Hilfe von Apps und Wearables wie Fitness-Armbändern und Smartwatches können wir über unseren Körper und über unser Leben täglich Daten sammeln. Psychoanalytikerinnen und Soziologen sind in einer großangelegten Studie den psychodynamischen Funktionen dieses so genannten Self-Trackings nachgegangen. Die Ergebnisse des Projekts wurden auf der 72. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. vorgestellt. Der größte Psychoanalyse-Kongress in Deutschland fand im Online-Format von 1. bis 3. Oktober 2021 statt.

    Schritte, Geschwindigkeit, Atemfrequenz, Blutdruck, Puls, Schlaf, Gewicht und Kalorien: Viele Menschen erfassen ihre Körperdaten und ihr Gesundheitsverhalten mit Hilfe von technischen Geräten oder digitalen Tools. Diese digitale Selbstvermessung, auch Self-Tracking genannt, soll zu einem gesünderen Leben und letztlich zu mehr Selbsterkenntnis verhelfen. Doch Self-Tracking kann auch unbewusste psychische Funktionen haben, wie eine Studie herausgearbeitet hat. „Im Wesentlichen geht es um die Kontrolle von inneren unbewussten Vorgängen, die sich eigentlich einer Kontrolle entziehen“, sagt Prof. Benigna Gerisch von der Internationalen Psychoanalytischen Universität (IPU) Berlin und eine von drei Projektleiter*innen der Studie „Das vermessene Leben“. Die Ergebnisse der Studie präsentierte die Professorin auf der 72. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. in ihrem Online-Vortrag. Unter dem Motto „Zeitdiagnosen?!“ fand der größte Kongress für Psychoanalyse dieses Jahr vom 1. bis 3. Oktober 2021 im Online-Format statt.

    Laut einer Umfrage von Statista 2018 nutzen 37 Prozent der Befragten eine Sport- oder Fitness-App, am häufigsten trackt die Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen. Auch so genannte Schlaftracker – Geräte, die die verschiedenen Schlafphasen auswerten – liegen im Trend. „Zählen, Messen und Vergleichen – das gibt praktische Orientierung und kann auf der psychischen Ebene für Halt und Stabilität sorgen“, erklärt Prof. Gerisch. „Zugespitzt formuliert kann exzessives Self-Tracking genauso wie selbstverletzendes Verhalten, Drogenkonsum oder eine Essstörung den Versuch darstellen, unbewusste Ängste, innere Konflikte, Leere oder depressive Gefühle in den Griff zu bekommen.“ Die transdisziplinäre Studie – zur Projektleitung gehören neben Gerisch die Professorin für Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie Prof. Vera King und der Soziologe Prof. Hartmut Rosa – beruht auf einer Online-Befragung von 1.000 Personen sowie auf psychodynamisch orientierten Interviews mit 64 Männern und Frauen.

    Auch andere Phänomene der Digitalisierung, wie das „Social Scoring“, bei dem autoritäre Staaten Zugriff auf das Denken und Handeln der Bürgerinnen und Bürger erlangen können, oder auch die „digitale Gefolgschaft“, also die Verlagerung herkömmlicher sozialer Bindungen in Social Media, Apps und Internet, standen bei der Tagung auf dem Programm. Das vollständige Programm der Jahrestagung finden Sie hier: https://dgpt.de/dgpt-jahrestagung-2021

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie e.V. (DGPT), 29.09.2021

  • Höhere Alkoholsteuern könnten tausende Krebserkrankungen verhindern

    In einer aktuellen Modellierungsstudie haben Wissenschaftler*innen der Technischen Universität Dresden den Einfluss einer Erhöhung der Verbrauchssteuern bei alkoholischen Getränken auf alkoholbedingte Krebserkrankungen in der Europäischen Region untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Verdopplung der aktuellen Verbrauchssteuer allein im Jahr 2019 mehr als 10.700 neue Krebserkrankungen sowie 4.850 Todesfälle hätte verhindern können.

    Europa ist die Region mit dem weltweit höchsten Pro-Kopf-Konsum von Alkohol. Um den Alkoholkonsum und die damit einhergehenden Folgeerkrankungen zu reduzieren, stellt die Erhöhung der Verbrauchssteuern auf alkoholische Getränke eine vielversprechende Maßnahme dar. Höhere Alkoholsteuern zählen neben anderen Maßnahmen wie einem Werbeverbot für alkoholische Getränke oder der reduzierten Verfügbarkeit von Alkohol zu den so genannten Best Buys der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Bei den „Best Buys“ handelt es sich um gesundheitspolitische Maßnahmen, die besonders kosteneffektiv zur Verringerung der durch einen Risikofaktor wie z. B. Alkohol verursachten Krankheitslast beitragen. In Europa und insbesondere der Europäischen Union sind die Alkoholsteuern jedoch oft sehr gering. Welche Auswirkungen eine Erhöhung der aktuellen Verbrauchssteuern auf alkoholische Getränke auf alkoholbedingte Krebserkrankungen in der Europäischen Region hätte, haben deshalb Wissenschaftler*innen der TU Dresden gemeinsam mit dem europäischen WHO-Büro, der Internationalen Agentur für Krebsforschung sowie dem Centre for Addiction and Mental Health in Toronto (Kanada) in einer Modellierungsstudie untersucht.

    Mittels mathematischer Modelle schätzten die Wissenschaftler*innen die Auswirkungen von drei verschiedenen Steuererhöhungsszenarien (20 Prozent, 50 Prozent und 100 Prozent) auf den Pro-Kopf-Alkoholkonsum in 50 Mitgliedstaaten der Europäischen Region (Definition laut WHO). Unter der Annahme einer durchschnittlichen Verzögerungszeit von zehn Jahren zwischen dem Alkoholkonsum und der Krebserkrankung beziehungsweise dem tödlichen Ausgang der Erkrankung konnten anschließend die Anzahl vermeidbarer Neuerkrankungen sowie Todesfälle für das Jahr 2019 geschätzt werden. Das Team berücksichtigte dabei sieben verschiedene Krebserkrankungen, die eng mit dem Konsum von Alkohol zusammenhängen: Lippen- und Mundhöhlenkrebs, Rachenkrebs, Kehlkopfkrebs, Speiseröhrenkrebs, Leberkrebs, Darmkrebs sowie bei Frauen Brustkrebs. Die Ergebnisse zeigen, dass mehr als 10.700 neue Krebserkrankungen und 4.850 Todesfälle vermeidbar gewesen wären, wenn die aktuellen Verbrauchssteuern verdoppelt worden wären. Dies entspricht fast sechs Prozent der alkoholbedingten Krebsneuerkrankungen in der Region.

    In Deutschland könnten laut der Studie bei einer Verdopplung der aktuellen Alkoholsteuern mehr als 1.200 Krebserkrankungen und 525 Todesfälle vermieden werden. Mit mehr als zwei Dritteln handelt es sich bei den meisten dieser vermeidbaren Erkrankungsfälle um Brust- und Darmkrebs.

    „In Deutschland sind die Verbrauchssteuern für alkoholische Getränke, insbesondere für Bier und Wein, besonders gering. Während für eine große Flasche Bier circa fünf Cent auf die Biersteuer entfallen, so ist keine extra Besteuerung von Wein vorgesehen. Angesichts der hohen Zahl an vermeidbaren alkoholbedingten Krebserkrankungen wäre es mehr als ratsam, die Alkoholsteuern insbesondere in Deutschland zu erhöhen“, empfiehlt TUD-Psychologin Carolin Kilian.

    Vermeidbare alkoholbedingte Krebserkrankungen in Deutschland. Grafik: Carolin Kilian

    Originalpublikation:
    Carolin Kilian, Pol Rovira, Maria Neufeld, Carina Ferreira-Borges, Harriet Rumgay, Isabelle Soerjomataram und Jürgen Rehm. Modelling the impact of increased alcohol taxation on alcohol-attributable cancers in the WHO European Region. The Lancet Regional Health Europe. https://www.thelancet.com/journals/lanepe/article/PIIS2666-7762(21)00210-6/fulltext

    Pressestelle der Technischen Universität Dresden, 22.09.2021

  • Zukunft der Suchttherapie gesichert!

    Gotthard Lehner (stellv. Vorsitzender buss), Ralf Klinghammer (Vorsitzender GVS), Dr. Wibke Voigt (Vorsitzende buss) und Lando Horn (stellv. Vorsitzender GVS) (v.l.n.r.) unterzeichnen den Vertrag zur Übernahme der Weiterbildung Suchttherapie durch den buss.

    Am 30. September unterzeichneten in Potsdam Vertreter*innen des Gesamtverbands für Suchthilfe e.V. (GVS) – Fachverband der Diakonie Deutschland und des Bundesverbands für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V. (buss) den Vertrag zur Übernahme der Weiterbildung Suchttherapie durch den buss. Die Mitglieder beider Verbände hatten der Übernahme im Rahmen ihrer jeweiligen Mitgliederversammlungen per Beschluss zugestimmt.

    Seit 1973 bietet der GVS die DRV/GKV-anerkannte Weiterbildung für Gruppen- und Einzeltherapeut*innen im Tätigkeitsfeld der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker (Weiterbildung zur / zum Suchttherapeut*in – psychoanalytisch und verhaltenstherapeutisch) an. Die GVS-Weiterbildung ist deutschlandweiter Marktführer in diesem Bereich und eine bei Arbeitgebern und Kostenträgern anerkannte Marke. Derzeit bieten in Deutschland acht Institute, darunter Hochschulen, Suchtfachverbände und andere gemeinnützige Gesellschaften, insgesamt neun von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) und der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) anerkannte Curricula für die Weiterbildung zur / zum Suchttherapeut*in an.

    Der buss übernimmt vom GVS elf laufende Weiterbildungskurse (drei psychoanalytisch orientierte und acht verhaltenstherapeutisch orientierte) mit 121 Teilnehmenden und 101 Dozent*innen. Die neuen Kurse starten zum Sommersemester 2022. Als für die Weiterbildung zuständiges Institut gründet der buss die „Deutsche Gesellschaft für Weiterbildung in der Suchttherapie gGmbH“ mit Sitz in Kassel.

    Es ist ein historischer Moment in der Geschichte des GVS, dieses Geschäftsfeld abzugeben. Der 1957 gegründete Verband hatte früh erkannt, dass die Mitarbeiter*innen in der Suchtbehandlung Qualifizierungsmöglichkeiten benötigen, und ein umfangreiches Fort- und Weiterbildungsangebot entwickelt. Weitere Kernaufgaben des GVS sind die fachliche Arbeit und Lobbyarbeit für die kommunal orientierte Grundversorgung der Suchthilfe, insbesondere die Suchtberatungsstellen, für Einrichtungen der ambulanten medizinischen Rehabilitation Sucht (ARS), für Angebote der Eingliederungshilfe für Menschen mit Abhängigkeitserkrankung und für die Sucht-Selbsthilfe.

    Ralf Klinghammer, geschäftsführender Vorstand des GVS, unterstreicht den Wert der erfolgreich etablierten anerkannten Weiterbildung Suchttherapie, in der schon viele Therapeut*innen für die Suchthilfe qualifiziert wurden, und begrüßt die gelungene Übergabe. „Im Vordergrund stehen immer das Wohl und die Bedarfe der abhängigkeitskranken Menschen sowie deren qualifizierte Behandlung und Betreuung. Das Erreichen dieser Ziele wird durch die Angliederung der Weiterbildung Suchttherapie an den buss, der über einschlägige fachliche Expertise und Anerkennung verfügt, wirksam unterstützt.“

    Der buss als Fachverband von momentan rund 150 stationären Einrichtungen mit ca. 7.000 Plätzen zur Behandlung und Betreuung von Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung (Alkohol, Medikamente, Drogen, Glücksspielsucht, Internetnutzungsstörungen sowie Essstörungen) freut sich sehr darauf, die Weiterbildung zur / zum Suchttherapeut*in zu übernehmen.

    „Weiterbildung ist eine Zukunftsaufgabe“, sagt Corinna Mäder-Linke, Geschäftsführerin des buss. „Im Hinblick auf den demografischen Wandel in den ambulanten, ganztägig ambulanten und stationären Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe ist es dringend notwendig, Sozialarbeiter*innen, Sozialpädagog*innen, Psycholog*innen oder Ärzt*innen zur / zum Suchttherapeut*in weiterzubilden. Diese Aufgabe nehmen wir nun in die eigenen Hände, um mit hoher fachlicher Qualität und Leidenschaft Fachkräfte auszubilden und eine exzellente Behandlung in der Suchthilfe dauerhaft zu sichern.“

    Weitere Informationen unter:
    buss – Geschäftsstelle
    Tel. 0561-779351
    buss@suchthilfe.de

    Gemeinsame Pressemitteilung des Gesamtverbands für Suchthilfe e.V. (GVS) – Fachverband der Diakonie Deutschland und des Bundesverbands für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V. (buss), 1.10.2021

  • Stressiger Alltag verstellt den Blick aufs Schöne

    Nehmen stressgeplagte Menschen die Welt seltener und weniger intensiv und schön wahr? Um diese Frage zu beantworten, führte ein Team aus Experimentalpsycholog*innen der Helmut-Schmidt-Universität an der Professur für Allgemeine und Biologische Psychologie über einen Zeitraum von 14 Tagen empirische Untersuchungen unter 115 Studierenden durch. Das Ergebnis: Häufigkeit und Intensität ästhetischer Erfahrungen litten, sobald die Teilnehmer*innen mit anderen Aufgaben beschäftigt waren oder sich insgesamt ausgelastet fühlten.

    Die Studie von Univ.-Prof. Dr. Thomas Jacobsen und Rosalie Weigand, M. Sc., konnte nachweisen, dass die Wahrnehmung von Schönheit auch abhängig ist von unserer mentalen Auslastung und dass es durchaus sinnvoll sein kann, hin und wieder tägliche Aufgaben beiseitezulegen, runterzufahren, um von den erholsamen Auswirkungen ästhetischer Erfahrungen zu profitieren.

    „Eine höhere Belastung des Arbeitsgedächtnisses schmälerte in unseren Untersuchungen das ästhetische Empfinden und verringerte den damit verbundenen Genuss bis zu einem gewissen Punkt. Kommt dann eine als anspruchsvoll empfundene zusätzliche Aufgabe hinzu, die richtig viel Konzentration erfordert, erhöht diese dagegen die ästhetischen Erfahrungen“, fasst Thomas Jacobsen das differenzierte Ergebnis seiner Studie zusammen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alltägliches Handeln, das Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses beansprucht, mit ästhetischen Erfahrungen im Alltag in Konflikt zu stehen scheint.

    Um zu testen, ob sich die Intensität der ästhetischen Erfahrung reduziert, wenn die Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses anderweitig belegt sind, setzte das Forscherteam auf die so genannte Experience Sampling Methode (ESM), eine Methode zur systematischen Erforschung des Alltagserlebens. Einhundertfünfzehn Studenten, knapp zur Hälfte weiblich, nahmen über zwei Wochen daran teil und gaben insgesamt 15.047 Berichte über ihre ästhetischen Erfahrungen ab. Als Maß für die aktuelle Gedächtnis-Ressourcenauslastung beantworteten die Teilnehmer*innen Fragen zu ihrer aktuellen Arbeitsgedächtnisbelastung und ob sie mit einer zweiten Aufgabe beschäftigt waren. Zusätzlich berichteten sie, ob sie eine ästhetische Erfahrung gemacht hatten und wie sehr sie die ästhetische Erfahrung genossen hatten. Für die Datenanalyse wurde ein mehrstufiges Modellierungsverfahren verwendet.

    Originalpublikation:
    Die wissenschaftliche Studie von Univ.-Prof. Dr. Thomas Jacobsen und Rosalie Weigand erschien in der Fachzeitschrift PLOS ONE unter dem Titel „Beauty and the busy mind: Occupied working memory resources impair aesthetic experiences in everyday life” und kann unter folgendem Link nachgelesen werden: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0248529

    Pressestelle der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg, 17.3.2021

  • Working Poor in Deutschland: Mit Job, aber ohne eigene Wohnung

    Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W) hat am 26.8.2021 ihren Statistikbericht zu den Lebenslagen wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen in Deutschland für das Berichtsjahr 2019 vorgestellt.

    Jährlich werden seit 1990 für den Bericht Klient*innendaten aus freiverbandlichen Diensten und Einrichtungen der Hilfen in Wohnungsnotfällen im BAG W-eigenen Dokumentationssystem zur Wohnungslosigkeit (DzW) ausgewertet. Für das Berichtsjahr 2019 übermittelten 223 Mitgliedseinrichtungen mehr als 45.600 anonymisierte Falldaten und damit so viele Daten wie noch nie zuvor. 74,4 Prozent aller erfassten Hilfesuchenden sind akut wohnungslos.

    15 Prozent aller erfassten Klient*innen sind erwerbstätig

    Den Schwerpunkt des Berichtes für das Jahr 2019 bildet die Lebenslage von Menschen, die sich in Wohnungsnotfallsituationen befinden, obwohl sie erwerbstätig sind (Working Poor). Ihr Anteil hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelt. Insgesamt muss jedoch festgestellt werden, dass rund 85 Prozent der im DzW erfassten Klient*innen nicht erwerbstätig sind.

    Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAG W: „Diese Entwicklung ist alarmierend. Rund 15 Prozent aller erfassten Klient*innen befinden sich in einem Beschäftigungsverhältnis. Der Großteil der erwerbstätigen Klient*innen – über alle soziodemografischen Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildung hinweg – ist im ersten Arbeitsmarkt tätig und hat dennoch keine eigene Wohnung. Das macht einmal mehr deutlich: Bezahlbarer Wohnraum ist so knapp wie selten zuvor.“

    Unter den erwerbstätigen Klient*innen sind Frauen etwas öfter (rund 17 Prozent) von Wohnungsnot betroffen als Männer (rund 14 Prozent). Besonders stark trifft es die jüngere Generation. Bei den unter 30-Jährigen erwerbstätigen Klient*innen im DzW sind rund 80 Prozent ohne eigene Wohnung. Bei allen anderen Altersgruppen darüber sind es zwischen 60 Prozent (60+ Jahre) und 76 Prozent (30–39 Jahre).

    Auch die Herkunft spielt eine Rolle: Erwerbstätige Klient*innen mit Migrationshintergrund und/oder nicht-deutscher Staatsangehörigkeit kämpfen deutlich häufiger mit akuter Wohnungslosigkeit als alle erwerbstätigen Klient*innen insgesamt (73 Prozent bei den nicht-deutschen Klient*innen, 68 Prozent bei den Klient*innen mit Migrationshintergrund, 58 Prozent bei Klient*innen deutscher Staatsangehörigkeit, 64 Prozent bei allen erwerbstätigen Klient*innen zusammen).

    Weitere zentrale Ergebnisse des Statistikberichts

    Rund drei Viertel der Klient*innen sind männlich, ein Viertel ist weiblich. Verglichen mit früheren Erhebungen nimmt der Anteil weiblicher Betroffener offenbar nicht weiter zu. Es zeigt sich auch, dass Frauen frühzeitiger Hilfe beanspruchen. Sie suchen bereits im Prozess des Wohnungsverlustes professionelle Unterstützung (32 Prozent gegenüber rund 19 Prozent bei den Männern).

    Die meisten der hilfesuchenden Menschen kommen bei Freund*innen, Bekannten, Partner*innen oder der Familie unter (rund 40 Prozent). Frauen leben häufiger als männliche Klienten bei Familie und Partner*innen (16 Prozent gegenüber elf Prozent der Männer). Männliche Klienten leben häufiger bei Bekannten (29 Prozent gegenüber 25 Prozent der Frauen).

    Die Anzahl der Klient*innen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit im DzW nimmt weiterhin zu (von 30 Prozent in 2018 auf 32 Prozent in 2019). Auch ist der Anteil der Haushalte mit Kind(ern), darunter Alleinstehende sowie Paare mit Kind(ern), nach wie vor sehr hoch (acht Prozent). Davon ist fast die Hälfte (rund 47 Prozent) akut von Wohnungslosigkeit betroffen.

    Fast zwei Drittel aller wohnungslosen Haushalte mit Kind(ern) können bei Bekannten, Familie oder Partner*innen unterkommen (rund 64 Prozent). Allerdings lebt auch rund eine von zehn akut wohnungslosen Familien vor Hilfebeginn gänzlich ohne Unterkunft auf der Straße. Bei Haushalten ohne Kinder ist das Verhältnis zwei zu zehn.

    Insgesamt ist die Langzeitwohnungslosigkeit leicht rückläufig. Dafür nimmt die Zahl der Menschen, die erstmalig wohnungslos sind, zu. Das bedeutet, die Präventionsarbeit der Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfen wird immer wichtiger.

    Werena Rosenke: „Der Statistikbericht für das Berichtsjahr 2019 ist erneut ein Beleg dafür, in welch prekären Lebenslagen sich viele Menschen hierzulande befinden und welche Trends sich in unserer Gesellschaft abzeichnen. Grundlage zielgerichteten Handelns und einer bedarfsgerechten Entwicklung der Hilfen sind Fakten. Diese liefern wir Jahr für Jahr mit unserem Bericht. Und diese Fakten machen deutlich: Die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, die dauerhafte Sozialbindung von Wohnraum und spezifische Wohnraumversorgungsanstrengungen für bereits wohnungslose Menschen sind wichtiger denn je. Wir hoffen, dass eine neue Bundesregierung entsprechende Prioritäten setzt.“

    Der Statistikbericht der BAG Wohnungslosenhilfe für das Berichtsjahr 2019 steht auf der Website der BAG W zum Download bereit.

    Pressestelle der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W), 26.8.2021