Kategorie: Kurzmeldungen

  • „Gaming & Zocken“

    Computerspiele und Gaming gehören zum Alltag junger Menschen. Ob auf dem Handy, der Konsole oder am Computer, Gaming ist von einem Zeitvertreib zu einem ernst zu nehmenden Hobby in der Jugendkultur geworden. In den Filmen sprechen junge Menschen über ihre Erfahrungen und ihre Motivation, einen Großteil ihrer Freizeit mit Gaming und Zocken zu verbringen. Gespielt wird fast nur online, da man dort Freunde trifft. „Das ist so, als würde er neben dir sitzen“, sagt Niko (17).

    Über die persönlichen Interviews wird deutlich, dass Konflikte mit den Eltern und Diskussionen über Spielzeiten und Inhalte mit steigendem Alter zwar abnehmen, aber gerade dann die Gefahr besteht, Probleme in der Schule, im Studium oder in der Ausbildung zu bekommen. Die Protagonist*innen reflektieren ihren eigenen Konsum, die zum Teil gewaltverherrlichenden Inhalte und den Umgang miteinander in den Online-Communities. Es geht auch um die Geschlechterrolle im Game und darum, wie es ist, als Mädchen zu zocken.

    Natürlich sehen die Teilnehmer*innen auch viele Potenziale wie den Stressabbau und das Eintauchen in andere Welten, um so Dinge zu erleben, die im realen Leben unmöglich sind oder unter Strafe stehen. Fest steht aber, dass der Spaß der größte gemeinsame Nenner ist.

    Die Filmreihe zeigt, dass die Regulation der Spielzeit den meisten Gamer*innen selbst gelingt, auch wenn es Hochzeiten gibt, in denen zu viel gespielt wird. Dennoch brauchen Einige dafür professionelle Hilfe. „Das ging so lange, bis man einfach vor dem Rechner zusammengeklappt ist“, sagt John (21), der seit über einem Jahr eine stationäre Therapie macht, um sein Zockerverhalten in den Griff zu bekommen.

    Wirkungsziele der Filme sind die Reflexion der eigenen Nutzung von Computerspielen, die Auseinandersetzung mit Risiken und Folgen sowie den Inhalten. Ergänzt wird die junge Sichtweise durch ein Experteninterview.

    Die Filmreihe bietet authentische Einblicke in die Lebenswelt des Gamings von jungen Menschen und ist somit eine gute Grundlage, um über das Thema zu sprechen.

    Filme:

    • Das ist nicht so schlimm
    • Natürlich ist es brutal
    • Nicht die reale Welt
    • Gehe ich halt erst um drei pennen
    • In and out of Character
    • Solange du gute Noten hast

    Weitere Informationen unter: https://www.medienprojekt-wuppertal.de/gaming-und-zocken-eine-filmreihe-ueber-das-computerspielen-von-jugendlichen

    2020, 120 Min., freigegeben ab 0 Jahren
    DVD Kauf 32,- EUR | Ausleihe 12,- EUR | Preis V & Ö 95,- EUR

    Quelle: Newsletter Medienprojekt Wuppertal, 19.8.2021

  • Cannabis und Psychose

    Starker Cannabiskonsum erhöht das Psychose-Risiko. Aber nicht alle der täglich Konsumierenden werden psychotisch. Eine aktuelle Studie findet Hinweise, dass das Immunsystem Einfluss darauf haben könnte, ob eine Person psychotisch wird.

    Nicht alle stark Kiffenden werden psychotisch

    Wie kommt es, dass manche Menschen eine Psychose entwickeln, andere aber nicht, obwohl sie genauso viel kiffen? Eine aktuelle Studie aus Brasilien liefert dazu eine mögliche Erklärung. Die Studie ist Teil eines größeren Forschungsvorhabens, das in mehreren europäischen Ländern sowie in Brasilien umgesetzt wird. 2019 hat der Forschungsverbund eine Studie veröffentlicht, der zufolge täglicher Cannabiskonsum das Risiko für Psychose um das Dreifache erhöht. Wer täglich kifft und dabei hochpotenten Cannabis bevorzugt, hat sogar ein annähernd fünffach höheres Risiko als abstinente Personen. Dennoch werden nicht alle Menschen, die intensiv kiffen, psychotisch.

    In der neuen Studie ist ein Forschungsteam unter der Leitung von Cristina Marta Del-Ben dem Verdacht nachgegangen, dass das Immunsystem Einfluss nimmt auf den Zusammenhang zwischen Cannabis und Psychose. Genau genommen ging es um die Anwesenheit von Zytokinen. Zytokine sind Bestandteile des Immunsystems und deuten auf eine erhöhte Entzündungsaktivität im Körper hin. Bei Personen, die akut an einer Psychose erkrankt sind, wurden in früheren Studien erhöhte Entzündungswerte gefunden. Bekannt ist auch, dass Endocannabinoid-Rezeptoren am Immunsystem beteiligt sind.

    Das Forschungsteam hat 153 Patientinnen und Patienten untersucht, die erstmals an einer Psychose erkrankt sind. Zusätzlich wurden 256 Personen als Kontrollgruppe hinzugezogen. Allen Beteiligten wurde Blut abgenommen, um das Level an Zytokinen bestimmen zu können. Die Analysen zeigten: Im Zusammenspiel mit Cannabiskonsum haben Zytokine tatsächlich Einfluss auf das Psychose-Risiko.

    Starker Cannabiskonsum und erhöhte Entzündungswerte lassen Psychose-Risiko ansteigen

    Del-Ben und ihr Team haben herausgefunden, dass täglicher Cannabiskonsum bedeutsam das Psychose-Risiko erhöht. Dies traf aber nur auf jene Personen zu, bei denen die Zytokin-Konzentration im Blut einen bestimmten Wert überschritten hat. Kiffer, die unter dieser Schwelle lagen, hatten kein erhöhtes Psychose-Risiko.

    Ein erhöhtes Psychose-Risiko war auch dann gegeben, wenn die untersuchten Personen bereits in der Jugend in den Cannabiskonsum eingestiegen waren. Der frühe Einstieg in den Cannabiskonsum greife vermutlich über das Endocannabinoid-System in die Gehirnentwicklung und damit auch in die Aktivität des Immunsystems ein.

    Der Grund, warum manche Kiffer psychotisch werden, könnte somit in ihrem Immunsystem liegen. Erhöhte Entzündungswerte im Blut könnten nach Einschätzung des Forschungsteams die biologische Grundlage für eine erhöhte Psychose-Anfälligkeit bilden. Cannabiskonsum allein sei noch kein hinreichender Risikofaktor. Erst die Kombination eines erhöhten Zytokin-Levels mit täglichem Cannabiskonsum oder dem frühen Einstieg in das Kiffen führe zu einem erhöhten Psychose-Risiko.

    Bleibt die Frage nach der Ursache für die erhöhte Entzündungstätigkeit. Nach Angaben des Forschungsteams gibt es Hinweise aus tierexperimentellen Studien, dass bestimmte genetische Veränderungen mit einer erhöhten Entzündungsaktivität des Immunsystems einhergehen. Dies gelte es in zukünftigen Studien bei Menschen näher zu untersuchen.

    Originalpublikations:
    Corsi-Zuelli, F. , Marques, L., Leite da Roza, D., Loureiro, C. M., Shuhama, R., Di Forti, M., Rossi Menezes, P., Louzada-Junio, P. & Del-Ben, C. M. (2021). The independent and combined effects of cannabis use and systemic inflammation during the early stages of psychosis: exploring the two-hit hypothesis. Psychological Medicine, 1-11. doi:10.1017/S0033291721000726.

    Quelle: www.drugcom.de, 11.8.2021

  • Tag des alkoholgeschädigten Kindes

    Jedes Jahr kommen in Deutschland tausende Kinder mit alkoholbedingten Schädigungen zur Welt. Oftmals sind es gut situierte und gebildete Frauen, die während der Schwangerschaft nicht auf Alkohol verzichten wollen oder können. Doch schon geringe Mengen können zu physischen und mentalen Beeinträchtigungen des ungeborenen Kindes, so genannten Fetalen Alkoholspektrum-Störungen (FASD), führen. Der Tag des alkoholgeschädigten Kindes am 9. September möchte auf diese Gefahr aufmerksam machen.

    Bereits seit 1999 wird der 9. September weltweit alkoholgeschädigten Kindern gewidmet, um über die fatalen Folgen von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft aufzuklären. In Deutschland werden jährlich schätzungsweise 10.000 Kinder mit FASD geboren, 2.200 von ihnen mit der schwersten Form, dem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS). Die Zahlen hierzu veröffentlichte die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen bereits 20151. Allein die dünne Datenlage zu FASD heute zeigt, dass das Thema längst noch nicht die angebrachte Aufmerksamkeit erhält. Dabei reichen die Folgen des Alkoholkonsums der werdenden Mütter bis hin zu gravierenden Hirnfunktionsstörungen und Fehlbildungen. Nur zehn Prozent der von FASD betroffenen Kinder können als Erwachsene ein eigenständiges Leben führen. Denn FASD ist nicht heilbar. Die Auswirkungen lassen sich jedoch durch rechtzeitige Diagnose, Förderung und Therapie lindern (vgl. DHS-Factsheet „Alkohol in der Schwangerschaft“, 2015).

    Die Eindämmung bzw. Vermeidung alkoholbedingter Schädigungen bei Kindern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Denn Frauen, die Alkohol in der Schwangerschaft konsumieren, besitzen oftmals eine Reihe von heterogenen Risikofaktoren. Neben dem hohen sozioökonomischen Status, einem höheren Gebäralter, Stress und mangelnder sozialer Unterstützung zählen hierzu unter anderem auch unbehandelte Suchterkrankungen (vgl. Landgraf M., Heinen F., 2013).

    „Wir müssen umfassend über die Folgen des Alkoholkonsums in der Schwangerschaft aufklären und suchtgefährdete Frauen frühzeitig erkennen und adäquat unterstützen“, erklärt Andrea Hardeling, Geschäftsführerin der Brandenburgischen Landesstelle für Suchtfragen (BLS). Seit Anfang des Jahres beschäftigt sich ihr Team im Projekt „selbstbestimmt – Suchtprävention für vulnerable Zielgruppen im Land Brandenburg“ unter anderem mit der Aufklärungsarbeit rund um das Thema FASD und sensibilisiert hierzu Fachkräfte aus unterschiedlichsten Arbeitsfeldern. „Kinder, die durch den Alkoholkonsum ihrer Mütter Schädigungen erlitten haben, sind wiederum selbst stärker gefährdet, eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit zu entwickeln. Suchtprävention ist damit in mehrfacher Hinsicht ein wesentlicher Bestandteil der Bekämpfung von FASD.“

    „Die Landesstelle für Suchtfragen stärkt mit dem Projekt ‚selbstbestimmt‘ suchtpräventive Netzwerke und den Aufbau von Präventionsangeboten. Das ist wichtig. Alkoholgenuss in der Schwangerschaft kann bei dem ungeborenen Leben zu dauerhaften körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen führen. Sowohl die werdenden Mütter als auch ihr persönliches Umfeld müssen über die Gefahren informiert werden“, so Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher.

    Kommunen und Landkreise haben noch bis Ende des Jahres die Möglichkeit, beim Programmbüro des GKV-Bündnisses für Gesundheit Präventionsprojekte zum Thema FASD zu beantragen. Die BLS unterstützt die kommunalen Fachkräfte bei der Antragsstellung regionaler Aktivitäten.

    Pressemitteilung der Brandenburgischen Landesstelle für Suchtfragen e.V., 1.9.2021

  • Umstiegsberatung für Menschen in der Prostitution

    Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) fördert ab 1. August 2021 mit drei Millionen Euro insgesamt fünf Projekte zur Umstiegsberatung von Menschen in der Prostitution. Die Projekte haben eine Laufzeit von drei Jahren. Ziel ist es, realistische und nachhaltige Perspektiven zum eigenverantwortlichen Erwerb des Lebensunterhalts außerhalb der Prostitution zu eröffnen.

    Bundesgleichstellungsministerin Christine Lambrecht: „Es ist mir ein besonderes Anliegen, dass Menschen in der Prostitution Beratung und Unterstützung zum Umstieg bekommen. Der Bedarf ist gerade auch im Zuge der Corona-Pandemie und zunehmender sozialer und wirtschaftlicher Unsicherheit gestiegen. Wir wollen Menschen, die aus der Prostitution umsteigen wollen, mit individuellen Angeboten neue berufliche Perspektiven ermöglichen. Ich danke den Projektverantwortlichen für ihr wertvolles Engagement und ihren starken Einsatz. Jetzt kommt es auf eine erfolgreiche Umsetzung an.“

    Die drei Bundesmodellprojekte „Unterstützung des Umstiegs aus der Prostitution“ und die zwei weiteren Modellprojekte zur Umstiegsbegleitung erproben mit finanzieller Förderung des BMFSFJ neue Wege, wie in der Prostitution Tätige beim Umstieg aus der Prostitution besser unterstützt werden können. In den insgesamt fünf Projekten erhalten Personen, die aus der Prostitution umsteigen wollen, individuelle und kontinuierliche Beratungs- und Unterstützungsangebote. Durch berufliche Qualifizierungsmaßnahmen in den meisten Projekten und Vermittlung situationsbedingter Hilfen in allen Projekten sollen Hindernisse, die einer Erwerbstätigkeit im regulären Arbeitsmarkt entgegenstehen, abgebaut werden.

    Die drei selbständigen Bundesmodellprojekte werden an den Standorten Bremen/Bremerhaven (Träger: Stabsbereich Frauen Bremen), Neunkirchen (Träger: Diakonisches Werk an der Saar gGmbH und ALDONA e.V.) und Rostock (Träger: STARK MACHEN e.V.) durchgeführt.

    Die beiden weiteren Modellprojekte werden von den Trägern „Frauennetzwerk zur Arbeitssituation e.V. in Schleswig-Holstein und „Neustart e.V.“ in Berlin durchgeführt.

    Pressemitteilung des Bundesfamilienministeriums, 29.7.2021

  • Bewegung bringt bei Depressionen das Gehirn auf Trab

    Die doppelt hilfreiche Wirkung von Bewegung bei Depressionen belegt eine Studie der Universitätsklinik für Psychiatrie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) am Campus Ostwestfalen-Lippe: Körperliche Aktivität mindert nicht nur die depressiven Symptome. Sie steigert auch die Veränderungsbereitschaft des Gehirns, die Voraussetzung für Anpassungs- und Lernprozesse ist. „Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig vermeintlich einfache Dinge wie körperliche Aktivität in der Behandlung und Vorbeugung von Erkrankungen wie Depressionen sind“, so Studienleiterin Privatdozentin Dr. Karin Rosenkranz. Die Studie wurde am 9. Juni 2021 in der Zeitschrift Frontiers in Psychiatry veröffentlicht.

    Menschen mit Depressionen ziehen sich oft zurück und sind körperlich inaktiv. Um die Wirkung von Bewegung zu untersuchen, gewann die Arbeitsgruppe von Karin Rosenkranz 41 Betroffene, die in der Klinik behandelt wurden, für ihre Studie. Die Teilnehmenden wurden je einer von zwei Gruppen zugeteilt, von denen eine ein dreiwöchiges Bewegungsprogramm absolvierte. Das Programm, das vom Team der Sportwissenschaft der Universität Bielefeld um Prof. Dr. Thomas Schack entwickelt worden war, war abwechslungsreich, enthielt spielerische Elemente, hatte aber keinen Wettbewerbs- oder Prüfungscharakter, sondern erforderte die Zusammenarbeit der Beteiligten. „So wurden gezielt auch Motivation und soziales Miteinander gefördert und Ängste vor Herausforderungen sowie negative Erfahrungen mit körperlicher Aktivität – Stichwort Schulsport – abgebaut“, erklärt Karin Rosenkranz. Die andere Gruppe nahm an einem Kontrollprogramm ohne körperliche Aktivität teil.

    Vor und nach dem Programm bestimmte das Studienteam jeweils die Schwere der depressiven Symptomatik wie Antriebs- und Interessenlosigkeit, Motivationsmangel und negative Gefühle. Darüber hinaus wurde die Veränderungsbereitschaft des Gehirns, die so genannte Neuroplastizität, gemessen. Sie kann mit der transkraniellen Magnetstimulation von außen bestimmt werden. „Die Veränderungsbereitschaft ist wichtig für alle Lern- und Anpassungsprozesse des Gehirns“, erklärt Karin Rosenkranz.

    Veränderungsbereitschaft stieg – Symptome gingen zurück

    Die Ergebnisse zeigen, dass bei Depressiven die Veränderungsbereitschaft des Gehirns im Vergleich zu Gesunden niedriger ist. Nach dem Programm mit körperlicher Aktivität stieg diese Veränderungsbereitschaft signifikant an und erreichte die Werte von Gesunden. Zeitgleich gingen in der Gruppe die Depressionssymptome zurück.

    „Je mehr die Veränderungsbereitschaft anstieg, desto deutlicher rückläufig waren die klinischen Symptome“, fasst Karin Rosenkranz zusammen. Bei der Gruppe, die am Kontrollprogramm teilgenommen hatte, waren diese Veränderungen nicht so ausgeprägt. „Das zeigt, dass es einen Effekt von körperlicher Aktivität auf Symptome und Veränderungsbereitschaft des Gehirns gibt. Inwiefern die Veränderung der Symptome und der Veränderbarkeit des Gehirns kausal miteinander verknüpft sind, können wir aus diesen Daten nicht beantworten“, schränkt die Medizinerin ein. „Es ist bekannt, dass körperliche Aktivität dem Gehirn guttut, da sie zum Beispiel die Neubildung von Verbindungen von Nervenzellen fördert. Dies könnte durchaus auch hier eine Rolle spielen.“

    Das Projekt wurde gefördert aus dem Forschungsfonds für den Aufbau transdisziplinärer, medizinrelevanter Forschungskooperationen in der Region OWL.

    Originalpublikation:
    Wanja Brüchle, Caroline Schwarzer, Christina Berns, Sebastian Scho, Jessica Schneefeld, Dirk Koester, Thomas Schack, Udo Schneider, Karin Rosenkranz: Physical activity reduces clinical symptoms and restores neuroplasticity in major depression, in: Frontiers in Psychiatry, 2021, DOI: 10.3389/fpsyt.2021.660642

    Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum, 4.8.2021

  • „Aufstehen“

    Bild©Medienprojekt Wuppertal

    Am 1. September findet um 19:30 Uhr im Open-Air-Kino beim „Dach der Stadt“ (Nordbahntrasse am Mirker Bahnhof, Wuppertal) die Premiere der Filmreihe „Aufstehen“ statt.

    Im Mittelpunkt der Filmreihe stehen die Lebenserfahrungen und Lebensbedingungen von vielfältig von Armut betroffenen jungen Menschen. Sie zeigen und erzählen, wie ihr Alltag mit eingeschränkten Möglichkeiten aussieht, was Armut für sie bedeutet, welche Auswirkungen Armut auf sie hat und welche individuellen und gesellschaftlichen Auswege es gibt.

    Welche Armutsursachen nehmen sie wahr, welche Perspektiven sehen sie für sich, welchen Einfluss hat Armut auf das Leben der Jugendlichen (in Hinsicht auf Bildung, soziale Teilhabe, Gesundheit, Kommunikation, politische Partizipation)? Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten gibt es in Bezug auf die kulturelle Herkunft und das Geschlecht der Jugendlichen? Wie ist der eigene Umgang der Jugendlichen mit Stigmatisierungen und Vorurteilen, wie wird Armut individuell oder gesellschaftlich versteckt, weil es ihnen peinlich ist?

    Ziele der produzierten Filme sind:

    • Jugendarmut und ihre Folgen für die Betroffenen sichtbar zu machen,
    • die Zuschauer*innen zur Reflexion von eigenen Ängsten und Stigmatisierungserfahrungen anzuregen sowie
    • Empathie und Solidarität unter Jugendlichen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen zu stärken.

    Die Filme:

    • Warum bin ich Hartz IV?
    • Für Mama einen Benz
    • Bilder, die du nicht vergisst
    • Raus aus der Armut
    • Ansonsten ist alles top
    • Aufgefangen, Eingefangen
    • Im Herzen reich
    • Nebenjob
    • Das Brot der frühen Jahre
    • Ich schaff´s alleine
    • Corona on top
    • Du bist dabei
    • Frustration statt Motivation

    Weitere Informationen unter: https://www.medienprojekt-wuppertal.de/aufstehen-filmreihe-ueber-jugendarmut

    2020, 120 Min., freigegeben ab 0 Jahren
    DVD Kauf 32,- EUR | Ausleihe 12,- EUR | Preis V & Ö 95,- EUR

    Quelle: Newsletter Medienprojekt Wuppertal, 23.8.2021

  • Wie häufig nehmen „die anderen“ Drogen?

    Eine Studie an acht Universitäten in Deutschland zeigt, dass die meisten Studierenden den Drogenkonsum ihrer Mitstudierenden überschätzen. Das hat Auswirkungen auf den eigenen Konsum.

    Egal ob in sozialen Netzwerken oder offline: Menschen haben eine bestimmte Wahrnehmung davon, wie sich die Personen in ihrem Umfeld verhalten. Diese Wahrnehmung ist subjektiv und entspricht nicht unbedingt der Realität. Dennoch versuchen Menschen – bewusst oder unbewusst – ihr eigenes Verhalten an das der anderen anzupassen. In der Forschung wird auch von der wahrgenommenen sozialen Norm gesprochen. Ein Forschungsteam aus Deutschland hat nun untersucht, ob dieses Phänomen auch für den Konsum von Drogen gilt.

    Studie an acht Universitäten in Deutschland

    Claudia Pischke (Heinrich Heine Universität Düsseldorf) und ihr Team haben eine randomisierte kontrollierte Studie an acht Universitäten aus vier Regionen in Deutschland durchgeführt. Für jede der vier Regionen nahmen zwei Universitäten an der Studie teil. Das Forschungsteam wählte für jede Region zufällig aus, welche der beiden Universitäten zur Interventions- und welche zur Kontrollgruppe gehören sollte.

    Unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit wurden die Studierenden aller acht Universitäten zu ihrem Konsum von legalen und illegalen Drogen befragt und gebeten, den Konsum ihrer Mitstudierenden einzuschätzen. Die Befragung fand zu zwei Zeitpunkten statt. An der ersten Befragung nahmen rund 4.500 Studierende teil. 28 Prozent von ihnen beteiligten sich auch an der zweiten Befragung, die etwa fünf Monate später stattfand.

    Über 60 Prozent überschätzen den Drogenkonsum ihrer Mitstudierenden

    Pischke und ihr Team betrachteten nur die Ergebnisse für Alkohol, Cannabis und Tabak näher. Für die anderen abgefragten Substanzen wie beispielsweise Ecstasy waren die Fallzahlen zu niedrig. Bei der ersten Befragung gaben rund 17 Prozent der Studierenden an, in den zwei Monaten vor der Befragung drei Mal oder öfter pro Woche Alkohol getrunken zu haben. Über 70 Prozent der Befragten ging aber davon aus, dass der Alkoholkonsum ihrer Mitstudierenden höher war.

    Ein ähnliches Bild zeigte sich beim Konsum von Cannabis. Zwar gaben nur etwa vier Prozent der Befragten an, mindestens einmal pro Woche Cannabis konsumiert zu haben. Aber auch hier lag die Mehrheit der Studierenden mit ihrer Einschätzung daneben: Mehr als 60 Prozent der Befragten schätzten den Cannabiskonsum der anderen höher ein.

    Beim Tabakkonsum war es nicht anders. Rund zwölf Prozent der Studierenden gaben an, drei Mal oder häufiger pro Woche Tabak geraucht zu haben. Über 60 Prozent der Studierenden war überzeugt, die anderen rauchen mehr.

    Information zum Konsum der anderen scheint eigenen Konsum zu senken

    Das Forschungsteam wollte herauszufinden, ob sich das Konsumverhalten der Studierenden verändert, wenn sie wissen, wie häufig ihre Mitstudierenden tatsächlich Drogen konsumieren. Dazu wurden die Studierenden der Interventionsgruppe acht Wochen nach der ersten Befragung über den tatsächlichen Drogenkonsum ihre Mitstudierenden informiert. Die Kontrollgruppe erhielt keine Rückmeldung.

    Für den Alkoholkonsum zeigte sich, dass Studierende, die realistische Information über den Alkoholkonsum ihrer Mitstudierenden erhalten hatten, zum zweiten Befragungszeitpunkt signifikant weniger Alkohol konsumierten als diejenigen, die keine Rückmeldung bekommen hatten. Möglicherweise haben die Befragten ihren Alkoholkonsum reduziert, um das eigene Verhalten dem ihrer Mitstudierenden anzupassen. Beim Konsum von Cannabis zeigte sich ein ähnlicher Effekt. Nur für den Tabakkonsum konnte kein Effekt der Intervention festgestellt werden.

    Bestätigung früherer Studien

    Das Forschungsteam weist daraufhin, dass die Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren sind. Insgesamt habe sich nur ein sehr kleiner Teil der Studierenden an der Befragung beteiligt. Daher können die Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf andere Studierende übertragen werden.

    Dennoch zeigt die Studie, was bereits in früheren Forschungsarbeiten deutlich wurde: Die Verbreitung des Konsums von legalen und illegalen Drogen wird meist überschätzt. Das könnte zur Folge haben, dass Menschen häufiger Drogen konsumieren, weil sie hohen Konsum fälschlicherweise für die geltende soziale Norm halten. Das Wissen über den tatsächlichen Konsum der anderen könnte laut Pischke und ihrem Team den sozialen Druck reduzieren und dazu führen, dass weniger Drogen konsumiert werden.

    Wer herausfinden möchte, ob die eigene Wahrnehmung zur Verbreitung des Drogenkonsums in Deutschland der Realität entspricht, kann das mit einem Online-Tool zur Verbreitung des Drogenkonsums testen.

    Originalpublikation:
    Pischke, C. R., Helmer, S. M., Pohlabeln, H., Muellmann, S., Schneider, S., Reintjes, R., Schmidt-Pokrzywniak, A., Girbig, M., Krämer, A., Icks, A., Walter, U. & Zeeb, H. (2021). Effects of a Brief Web-Based “Social Norms”-Intervention on Alcohol, Tobacco and Cannabis Use Among German University Students: Results of a Cluster-Controlled Trial Conducted at Eight Universities. Frontiers in Public Health, https://doi.org/10.3389/fpubh.2021.659875

    Quelle: www.drugcom.de, 28.7.2021

  • Belastungsfaktoren der digitalen Arbeit reduzieren

    Die Belastungsfaktoren der digitalen Arbeit beschreiben Aspekte der digitalen Arbeit, die zu erhöhtem Stressaufkommen bei Beschäftigten führen können. Ihre Entstehung ist bedingt durch organisatorische und arbeitsbezogene Rahmenbedingungen, den Umgang der Beschäftigten mit digitalen Technologien und Medien sowie deren individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten. Es ist daher notwendig, organisatorische, technologische und individuelle Präventionsmaßnahmen zu ergreifen, um die Ursachen von digitalem Stress zu reduzieren und die Fähigkeiten von Beschäftigten im Umgang mit digitalem Stress zu fördern. Das Ziel ist dabei, effektive Maßnahmen zu wählen, die zu Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten beitragen.

    Im Rahmen des Projekts „PräDiTec: Prävention für sicheres und gesundes Arbeiten mit digitalen Technologien“ ist die Studie „Präventionsmaßnahmen der digitalen Arbeit. Ein strukturierter Katalog an Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von digitalem Stress“ erschienen. Grundlage für den Maßnahmenkatalog sind zwölf zuvor identifizierte Belastungsfaktoren bei der Arbeit mit digitalen Technologien und Medien. Auf diese beziehen sich 24 verschiedene Präventionsmaßnahmen auf technologischer, organisatorischer und individueller Ebene, die von Unternehmen umgesetzt werden können. Die Maßnahmen werden im Bericht nach einheitlichem Schema ausführlich und praxisnah erläutert.

    Übersicht der Präventionsmaßnahmen

    Quelle: Gimpel, H. et al. (2021), Präventionsmaßnahmen der digitalen Arbeit. Ein strukturierter Katalog an Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von digitalem Stress, S. 16 f.

    Belastungsfaktoren der digitalen Arbeit

    1. Leistungsüberwachung: Gefühl, dass durch die Nutzung von digitalen Technologien und Medien Leistungsüberwachung und -bewertung zunehmen
    2. Gläserne Person: Gefühl, dass die Nutzung digitaler Technologien und Medien die Privatsphäre verletzt
    3. Unzuverlässigkeit: Gefühl, dass die verwendeten digitalen Technologien und Medien unzuverlässig sind und nicht ihrer Aufgabe gerecht werden
    4. Unterbrechung: Gefühl, dass es durch die Nutzung von digitalen Technologien und Medien vermehrt zu Ablenkungen oder Unterbrechungen kommt.
    5. Überflutung: Gefühl, aufgrund des Einsatzes digitaler Technologien und Medien mehr und schneller arbeiten zu müssen.
    6. Verunsicherung: Gefühl, dass die eigenen Fähigkeiten aufgrund ständiger Wechsel und Änderungen der digitalen Technologien und Medien regelmäßig weiterentwickelt werden müssen.
    7. Nicht-Verfügbarkeit: Gefühl, dass die benötigten digitalen Technologien und Medien nicht zur Verfügung stehen.
    8. Unklarheit der Rolle: Gefühl, dass mehr Zeit in die Lösung von Problemen mit digitalen Technologien und Medien investiert werden muss als in die eigentliche Arbeitstätigkeit.
    9. Komplexität: Gefühl, dass die hohe Komplexität digitaler Technologien und Medien die eigenen Fähigkeiten übersteigt und diese nur schwer aufgebaut werden können.
    10. Omni- und Dauerpräsenz: Gefühl, dass sich durch die Nutzung digitaler Technologien und Medien die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben zunehmend auflösen und damit eine ständige Erreichbarkeit und eine kürzere Reaktionszeit einhergehen.
    11. Jobunsicherheit: Gefühl, dass der Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund von Automatisierung oder mangelnder Kompetenz im Umgang mit digitalen Technologien und Medien droht.
    12. Mangelndes Erfolgserlebnis: Gefühl, kaum Arbeitsfortschritte bzw. -erfolge zu erzielen, da diese bei der Nutzung digitaler Technologien und Medien wenig wahrnehmbar sind

    Liste der Präventionsmaßnahmen zum Umgang mit digitalem Stress

    1. Adäquate IT-Landschaft
    2. Arbeitsplatzgestaltung
    3. Release Management
    4. IKT zur Unterstützung (IKT = digitale, mobile Informations- und Kommunikationstechnologien)
    5. Gestaltung von IKT
    6. Nutzung von Gamification
    7. Datenschutzkonzepte
    8. Betriebsvereinbarungen
    9. Helpdesk
    10. Change Management
    11. Team-Normen für die Nutzung von IKT
    12. Erreichbarkeitsmanagement
    13. Kulturentwicklung
    14. Kommunikationsleitbild
    15. Monotasking
    16. Austauschformate
    17. IT-Schulung
    18. Sensibilisierung & Selbstreflexion
    19. Angebot zum Ausgleich
    20. Selbstmanagement & Zeitmanagement
    21. Führen in der digitalen Arbeitswelt
    22. Begleitung von technischen Veränderungen
    23. Führen von verteilten Teammitgliedern
    24. Mentoring für digitale Themen

    Die Studie „Präventionsmaßnahmen der digitalen Arbeit. Ein strukturierter Katalog an Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von digitalem Stress“ steht auf der Projekt-Website zum kostenlosen Download zur Verfügung: https://gesund-digital-arbeiten.de/downloadliste/

    Quelle: Gimpel, Henner; Berger, Michelle; Lanzl, Julia; Regal, Christian; Schäfer, Ricarda; Schmidt, Marco; Schmidt, Tina (2021). Präventionsmaßnahmen der digitalen Arbeit. Ein strukturierter Katalog an Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von digitalem Stress. Augsburg: Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT. https://doi.org/10.24406/fit-n-633344

  • Corona: Wohnungslose Menschen stecken sich schnell an

    Menschen ohne festen Wohnraum und Mitarbeitende in entsprechenden Notunterkünften sind einer hohen Gefahr ausgesetzt, sich mit Corona zu infizieren. Das ist das Ergebnis einer Studie von Epidemiolog*innen der Universität Bielefeld in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das Forschungsteam hat Studien zusammengefasst, die das Übertragungsrisiko und die Konsequenzen von Corona bei wohnungslosen Personen untersucht haben. Die weltweit erste metaanalytische Studie zu Wohnungslosigkeit und Corona erschien im Juli in der renommierten Fachzeitschrift „EClinicalMedicine“ der Lancet-Gruppe.

    „Vor allem in Notunterkünften zeigt sich ein erhebliches Risiko für eine Ansteckung. Das gilt sowohl für die Bewohner*innen als auch für die Mitarbeitenden“, sagt Professor Dr. med. Kayvan Bozorgmehr. „Zudem haben Hilfsorganisationen wie die Tafeln zeitweise nur eingeschränkt gearbeitet, sodass die Corona-Pandemie für Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind, besonders schwierig ist.“ Bozorgmehr leitet die Arbeitsgruppe Bevölkerungsmedizin und Versorgungsforschung der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld.

    Gemeinsam mit Forschenden der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Bozorgmehr und Mitglieder seiner Arbeitsgruppe den Stand der Forschung systematisch untersucht. Die Metaanalyse zeigt: Im Falle eines akuten Corona-Ausbruchs in Notunterkünften steigt der Anteil infizierter Bewohner*innen von rund zwei auf 32 Prozent. Auch die Mitarbeitenden in Notunterkünften sind einem größeren Risiko ausgesetzt – bei einem Ausbruch steigt die Rate infizierter Personen von circa 1,6 auf 15 Prozent.

    Empirische Erhebungen aus rund tausend Studien herausgefiltert

    Insgesamt 37 empirische Studien haben die Forschenden bewertet – 13 Studien davon aus der ersten Jahreshälfte 2020, der Rest aus der Zeit bis zum Februar 2021. „Wir haben die Studien nach vorher festgelegten Kriterien ausgewählt“, so Amir Mohsenpour von der Universität Bielefeld, der Erstautor der Untersuchung. „Aus rund tausend Studien haben wir diejenigen gefiltert, die sich empirisch mit Corona-Infektionen im Kontext von Wohnungslosigkeit beschäftigen und bereits in wissenschaftlichen Journalen publiziert sind. Wohnungslosigkeit ist hierbei ein Oberbegriff für unterschiedliche Lebens- und Wohnverhältnisse – beispielsweise fallen darunter Personen, die im Freien übernachten. Da diese Personengruppe aber nur schwer zu erreichen ist, beschäftigen sich die Studien mehrheitlich mit Menschen, die in temporären Notunterkünften unterkommen.“

    Die Daten aus den Studien beschreiben überwiegend die Situation in den USA. Außerdem erfasst sind Studien aus Kanada, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Dänemark, Brasilien, Südafrika, Italien, Spanien und der Slowakei. „In Deutschland wurden bisher noch keine Studien zu dem Thema in Fachzeitschriften veröffentlicht, aber im Kern finden wir hier dieselben Muster“, sagt Bozorgmehr. „Beengte Unterkünfte in der kalten Jahreszeit und gemeinsame Sanitäranlagen beispielsweise stellen ein erhöhtes Risiko für eine Ansteckung dar.“

    Aus Ergebnissen Maßnahmen für Notunterkünfte ableiten

    Neben den Zahlen haben die Wissenschaftler*innen auch vorgeschlagene Maßnahmen aus den Studien zusammengefasst. So bestätigt sich, dass ein reiner Fokus auf das Erkennen von Symptomen nicht ausreicht. „Husten und Fieber sind sehr spezifische Symptome, die jedoch nicht alle Infizierten zeigen. Eine Hauptmaßnahme sollte es sein, viel und weit zu testen“, sagt Mohsenpour. „Dazu kommt die nicht-sesshafte Lebensweise. Daher raten ein Forschungsteam aus den USA und auch die dortige Bundesbehörde „Centers for Disease Control and Prevention“, sich nicht auf die reine Kontaktverfolgung zu konzentrieren. Es sollte zusätzlich standortbezogen getestet werden, ungeachtet der direkten Kontakte im Umfeld. Zudem sind genug Räumlichkeiten zum Aufteilen notwendig: Räume für die positiv getesteten, für die negativ getesteten und für diejenigen, deren Ergebnisse noch ausstehen.“

    Die weiteren erforderlichen Maßnahmen hat ein Artikel aus Boston (USA) übersichtlich strukturiert, so die Wissenschaftler*innen: „Die erste Maßnahmengruppe beinhaltet die hygienischen Maßnahmen, darunter fallen das Tragen von Masken, das Desinfizieren der Hände und ähnliches“, erläutert Amir Mohsenpour. „Die zweite Gruppe betrifft die Lebensumwelt – größere Abstände zwischen den Betten und gestaffelte Essensausgaben beispielsweise. Die dritte Gruppe beinhaltet die administrativ-organisatorischen Maßnahmen, beispielsweise die bessere Zusammenarbeit mit Laboren und ein engerer Kontakt zu den Krankenhäusern.“

    Bislang fehlen allerdings Studien über die Wirksamkeit und Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmen. „Diese Art von Studien sind aufwendig und benötigen mehr Zeit und Daten“, so Kayvan Bozorgmehr. „Laut einer Studie aus Kalifornien vermeidet ein Viertel der obdachlosen Menschen die Notunterkünfte aus Angst vor einer Ansteckung. Es ist dringend geboten, entsprechende Schutzkonzepte für Menschen ohne festen Wohnraum zu entwickeln – gerade für zukünftige Pandemien.“

    Originalpublikation:
    Amir Mohsenpour, Kayvan Bozorgmehr, Sven Rohleder, Jan Stratil, Diogo Costa: SARS-Cov-2 prevalence, transmission, health-related outcomes and control strategies in homeless shelters: Systematic review and meta-analysis, EClinicalMedicine
    https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2021.101032, erschienen am 23.07.2021

    Pressestelle der Universität Bielefeld, 23.7.2021

  • Jugendliche Lebenswelten

    Textmessenger verführen Jugendliche nicht automatisch dazu, sämtliche sprachlichen Regeln über Bord zu werfen. Im Gegenteil: Je nach Kontext gelten auch in der digitalen Kommunikation Rechtschreibfehler als peinlich und unzählige Emojis als überflüssig. Jugendliche sind sich sehr bewusst, was in welchen Situationen angemessen ist, wie eine Studie des Linguisten Dr. Florian Busch von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zeigt. Darin zeigt er auch, wie Emojis digitale Gespräche bereichern und gleichzeitig komplexer machen können. Die Studie ist im Vorfeld des Welt-Emoji-Tags am 17. Juli bei De Gruyter erschienen.

    Kurznachrichtendienste wie WhatsApp oder Telegram zählen zu den beliebtesten Apps bei Jugendlichen. „Häufig beginnt und endet ihr Tag mit dem Blick auf das Smartphone – und damit auch mit den Messengerdiensten“, sagt der Linguist Dr. Florian Busch von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Im Rahmen seiner Promotion untersuchte er die schriftliche Kommunikation von Jugendlichen im Netz und in der Schule und befragte rund 200 Schülerinnen und Schüler nach ihrem Mediennutzungsverhalten. Er analysierte mehr als 19.000 Textnachrichten aus WhatsApp sowie knapp 80 Schulaufsätze. Außerdem führte er umfangreiche Interviews zu den Fragen, wie Jugendliche in der Schule und in der Freizeit schreiben und wann und warum sie welche sprachlichen Mittel einsetzen.

    „Es gibt sehr deutliche Unterschiede zwischen dem Schreiben in der Schule und dem Schreiben mit Freundinnen und Freunden“, fasst Busch zusammen. Während die Schülerinnen und Schüler in ihren Kurznachrichten mit Freundinnen und Freunden meist auf Groß- und Kleinschreibung sowie Kommata verzichten, orientieren sie sich in ihren Schulaufsätzen stark an Rechtschreib- oder Zeichensetzungsregeln. „Es zeigt sich, dass Jugendliche oft sehr wohl über Rechtschreibkompetenz verfügen, in der digitalen Kommunikation aber andere Normen gelten, die ein persönlicheres, adressatengerechtes Kommunizieren ermöglichen“, erklärt Busch. Als völlig bedeutungslos gelte die Rechtschreibung aber auch im Digitalen niemals. „Schreibfehler können auch in WhatsApp als peinlich wahrgenommen werden. Darauf weisen sich die Jugendlichen mitunter gegenseitig hin und korrigieren einander. Ihnen ist wichtig, nicht ungebildet zu wirken“, sagt Busch.

    Emojis wie Smileys und Herzen nehmen eine wichtige Rolle in der digitalen Kommunikation ein: Knapp ein Viertel aller Textnachrichten enthielt diese. „Entgegen zahlreicher Behauptungen werden Emojis aber in der Regel nicht dafür genutzt, ganze Wörter oder Sätze zu ersetzen“, so Busch. Vielmehr seien sie eine Interpretationshilfe, wie eine Nachricht zu verstehen ist. „An die Stelle von klassischen Satzzeichen tritt hier eine große Zeichenvielfalt, die eine erfolgreiche digitale Kommunikation ermöglicht.“Je nach Beziehung der Jugendlichen untereinander können wiederum andere Regeln gelten: „Enge Freunde verzichten mitunter ganz auf den Einsatz von Emojis, weil sie nicht nötig sind, um einander richtig zu verstehen. In weniger engen Beziehungen werden sie verwendet, um die Bedeutung einer Nachricht zu illustrieren“, sagt Busch. Diese Vielfalt ist für die Jugendlichen Segen und Fluch zugleich: „Das Schreiben in der Schule wird von manchen Jugendlichen als eindimensionaler und in diesem Sinne als einfacher wahrgenommen, weil es mit der Standardsprache nur ein Regelwerk gibt, an dem sie sich orientieren müssen“, sagt Busch. Schriftliche Konversationen über WhatsApp seien da deutlich komplexer: „Hier gibt es viel mehr Möglichkeiten und Nuancen, mit denen Bedeutung transportiert werden kann.“ Das mache es deutlich schwieriger, immer den richtigen Ton zu treffen.

    Originalpublikation:
    Florian Busch: Digitale Schreibregister. Kontexte, Formen und metapragmatische Reflexionen. Berlin 2021, 618 S., 119,95 Euro, ISBN: 978-3110728743.
    https://www.degruyter.com/document/isbn/9783110728880/html

    Pressestelle der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 15.7.2021