Kategorie: Kurzmeldungen

  • Soziale Arbeit in der Suchthilfe

    Bettina Bayer erhielt den Hochschulpreis für die beste Bachelorarbeit des Fachbereichs Sozialwesen (Foto: priv.)

    Ist Soziale Arbeit eine Wissenschaft oder „nur“ ein Beruf? Schon seit Jahren beeinflusst die Debatte um Professionalisierung und Akademisierung dieses Berufsfeldes das Selbstverständnis von Fachkräften der Sozialen Arbeit. Theorien und Konzepte dieser Disziplin sind bisher jedoch noch nicht selbstverständlich in der praktischen Arbeit verankert. Einen Beitrag hierzu leistet die Bachelorarbeit von Bettina Bayer. Die Absolventin der FH Münster hat das Lebensbewältigungskonzept nach Lothar Böhnisch angewendet, um die verbreitete Praxis der Suchtberatung − gestützt auf diese Theorie − zu systematisieren. Dafür wurde sie von der Hochschule mit dem Preis für die beste Bachelorarbeit am Fachbereich Sozialwesen im Jahr 2019 ausgezeichnet.

    „Meine Hypothese war, dass die ambulante Suchtberatung zwar nach den theoretischen Vorstellungen der Disziplin handelt, sich dessen aber meist nicht bewusst ist“, erklärt die 23-Jährige. Um dies zu ändern, zog sie Böhnischs Modell heran, das verschiedene Annahmen zum Verhalten von Menschen in kritischen Lebenskonstellationen formuliert. „Meine Ergebnisse zeigen, dass die Inhalte seines Lebensbewältigungskonzepts durchaus geeignet sind, um den Großteil des Erklärungs-, Beschreibungs- und Wertewissens der Suchtberatung zu systematisieren.“

    Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen, ist der jungen Sozialarbeiterin schon seit dem zweiten Semester ein wichtiges Anliegen. Bereits damals hatte sie begonnen, sich als Tutorin näher mit der Professionalisierung ihrer Fachdisziplin zu befassen. „Nach meinem Praxissemester in der Suchtberatung war mir dann ziemlich schnell klar, worüber ich meine Abschlussarbeit schreiben wollte“, erinnert sich Bayer. Die Ergebnisse ihrer Arbeit kommen ihr jetzt auch in der Praxis zugute: Direkt nach ihrem Abschlusskolloquium hat sie begonnen, in der Fachstelle Suchtprävention der Caritas im Kreis Coesfeld zu arbeiten.

    „Frau Bayer liefert mit ihrer Ausarbeitung eine für den begrenzten Rahmen einer Bachelorarbeit bemerkenswert eigenständigen und anspruchsvollen Beitrag zum Thema der Professionalisierung und damit Konturierung Sozialer Arbeit im Kontext der Suchthilfe, speziell im Bereich der ambulanten Suchtberatung“, sagt Prof. Dr. Martin Wallroth vom Fachbereich Sozialwesen. Er hatte Bayers Abschlussarbeit betreut und für den Preis vorgeschlagen.

    Den Hochschulpreis erhält circa ein Prozent aller Absolventinnen und Absolventen eines Jahrgangs. Jedes Jahr kürt das Präsidium gemeinsam mit der Gesellschaft der Freunde der FH Münster e.V. (gdf) auf Vorschlag der Fachbereiche und der Zentralen Wissenschaftlichen Einrichtung die besten Abschlussarbeiten. Zu den Preisträgerinnen und Preisträgern des Hochschulpreises 2020 für die besten Arbeiten aus 2019 gehört auch Bettina Bayer vom Fachbereich Sozialwesen. Eine vollständige Übersicht aller gewürdigten Absolventinnen und Absolventen ist im Jahresbericht 2019 ab Seite 46 abrufbar: fhms.eu/jahresbericht-19.

    Interview mit Bettina Bayer auf der Website der FH Münster:
    https://www.fh-muenster.de/sw/aktuelles/interneartikel/hochschulpreis-fuer-bettina-bayer.php

    Pressestelle der FH Münster, 26. Mai 2020

  • Zweiter Förderaufruf Bundesprogramm „rehapro“

    Der zweite Förderaufruf zum Bundesprogramm „Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben – rehapro“ ist am 25.05.2020 im Bundesanzeiger (BAnz AT 25.05.2020 B3) veröffentlicht worden.

    Die besonderen Umstände aufgrund der Corona-Pandemie führen derzeit in allen Lebens- und Arbeitsbereichen zu großen Herausforderungen. Auch die Jobcenter und Träger der gesetzlichen Rentenversicherung sind wegen der aktuellen Entwicklungen mit besonderen Aufgaben in ihren jeweiligen Zuständigkeiten konfrontiert. Momentan ist es nicht absehbar, wie die zukünftige Entwicklung sich gestaltet und wie sich diese auf die weitere Umsetzung des Bundesprogramms rehapro auswirkt. Aufgrund der Unsicherheiten rund um die Corona-Pandemie ist daher auch kein „richtiger“ oder „besserer“ Zeitpunkt für den Start des zweiten Förderaufrufs absehbar.

    Es ist weiterhin eine wichtige Aufgabe und auch eine Chance, den gesetzlichen Auftrag aus § 11 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch zu erfüllen und innovative Ansätze mit Modellprojekten zur Stärkung der Rehabilitation zu erproben. Daher hat sich das BMAS entschieden, den zweiten Förderaufruf zum Bundesprogramm rehapro zu starten. Die mit der Corona-Pandemie einhergehenden Herausforderungen können in einzelnen Modellprojekten aufgegriffen und entsprechende innovative Ansätze und Konzepte erarbeitet und eingereicht werden. Diesbezügliche Hinweise wurden in den Förderaufruf zusätzlich aufgenommen.

    Der zweite Förderaufruf konkretisiert die Fristen und Rahmenbedingungen des Antragsverfahrens. Dabei wurden die Vorgaben des Lenkungsausschusses rehapro berücksichtigt. Wie schon im ersten Förderaufruf, handelt es sich um ein zweistufiges Verfahren, bei dem der Antragstellung die Einreichung einer aussagekräftigen Projektskizze vorgelagert ist. Die organisatorischen Rahmenbedingungen des ersten Förderaufrufs bleiben somit unverändert. Das Antragsverfahren wird jedoch insbesondere hinsichtlich der Projektskizze vereinfacht. Dieser ist nun keine differenzierte Finanzplanung mehr, sondern lediglich eine grobe, orientierende Finanzplanung beizufügen. Auch der Arbeits- und Zeitplan soll nur orientierenden Charakter haben.

    Aufgrund der aktuellen Situation wird für die Erarbeitung und Einreichung der Projektskizzen ein längerer Zeitraum eingeplant. Die antragsberechtigten Jobcenter und Träger der gesetzlichen Rentenversicherung können aussagekräftige Projektskizzen spätestens bis zum 4. September 2020 bei der Fachstelle rehapro einreichen. Die für das Antragsverfahren notwendigen Unterlagen wie z. B. Formulare und Arbeitsmaterialien stehen auf der rehapro-Homepage www.modellvorhaben-rehapro.de zur Verfügung.

    Broschüre rehapro zum ersten Förderaufruf

    Das BMAS hat die Broschüre „Rehabilitation fördern, stärken, besser machen!“ zum ersten Förderaufruf des Bundesprogramms rehapro veröffentlicht. In der 1. Auflage werden 26 der innovativen Modellprojekte vorgestellt und ein Überblick über die Ziele und Rahmenbedingungen des Bundesprogramms gegeben. Eine 2. Auflage der Broschüre ist geplant, wenn alle Projekte gestartet sind und bereits über eine längere Zeit laufen. Sie wird dann alle Modellprojekte enthalten, die im Rahmen des ersten Förderaufrufs gefördert werden.

    Die Broschüre steht als barrierefreie Datei sowie als für den Selbstausdruck optimierte Datei auf der rehapro-Homepage unter „Downloads“ zur Verfügung.

    Quelle: 7. Newsletter zum Bundesprogramm rehapro vom 25. Mai 2020, Fachstelle rehapro, Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See

  • Hirnschädigungen durch Alkohol schreiten auch nach Entzug fort

    Der Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V. (buss) hat zum sechsten Mal den „Wolfram-Keup-Förderpreis“ für die beste wissenschaftliche oder praxisorientierte Arbeit auf dem Gebiet der Entstehung und Behandlung von Substanzmissbrauch, Substanzabhängigkeit oder Verhaltenssucht vergeben.

    Der mit 2.000 Euro dotierte Preis geht an Prof. Dr. Wolfgang Sommer, der mit seinem Team an der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin des Zentralinstituts für seelische Gesundheit in Mannheim (ZI) nachweisen konnte, dass alkoholbedingte Hirnveränderungen nach einem Entzug noch für mindestens sechs Wochen fortschreiten, auch wenn der Betroffene in der Zwischenzeit völlig abstinent war. Bisher ging man davon aus, dass sich alkoholbedingte Schäden schnell zurückbilden, wenn mit dem Trinken aufgehört wird. Von den Schädigungen betroffen ist vor allem die weiße Substanz des Gehirns. Die Befunde wurden an mehr als 90 Patienten der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am ZI sowie an gesunden Probanden mittels MRT erhoben. Es zeigten sich ausgedehnte mikrostrukturelle Schädigungen, die selbst über einen Zeitraum von sechs Wochen nach der Entgiftung noch fortschreitend waren.

    In einem parallel durchgeführten Tierexperiment mit Ratten konnte Alkohol als ursächlicher Faktor der beobachteten Hirnveränderungen festgestellt und andere Einflussfaktoren wie Rauchen, Ernährung, Schweregrad des Entzugs oder weitere Erkrankungen konnten ausgeschlossen werden. Die im Vergleich mit den Probanden kurze und eher gemäßigte Trinkperiode der Tiere deutet darauf hin, dass permanente Gehirndefizite nach übermäßigem Alkoholkonsum viel früher auftreten können als derzeit angenommen. Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig langfristige Abstinenzperioden sind, um bleibende Schäden zu verhindern.

    Die prämierte Arbeit „Microstructural White Matter Alterations in Men With Alcohol Use Disorder and Rats with Excessive Alcohol Consumption During Early Abstinence“ ist in JAMA Psychiatry erschienen und steht dort zum Download zur Verfügung: JAMA Psychiatry. 2019; 76(7):749-758. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2019.0318

    Der Wolfram-Keup-Förderpreis 2020 wird im Rahmen des „Gemeinsamen Suchtkongresses 2021“ in Münster (23.–25. Juni 2021) verliehen. Der für 2020 geplante Kongress und die damit verbundene Preisverleihung wurden aufgrund der Corona-Pandemie verschoben.

    Zur Jury des Wolfram-Keup-Förderpreises 2020 gehörten die buss-Vorstandsmitglieder Dr. Wibke Voigt (Vorsitzende), Dr. Bernd Wessel (stellv. Vorsitzender), Hans-Joachim Abstein und Ulrike Dickenhorst sowie folgende externe Gutachter:

    • Dr. Gallus Bischof, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck
    • Prof. Dr. Johannes Lindenmeyer, ehem. Direktor, salus klinik Lindow
    • Prof. Dr. Knut Tielking, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit, Hochschule Emden/Leer

    Der nächste Wolfram-Keup-Förderpreis wird 2022 verliehen. Die Ausschreibung hierfür wird im April 2021 bekannt gegeben. Mehr Informationen zum Förderpreis erhalten Sie unter https://suchthilfe.de/foerderpreis/index.php#

    buss | Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V.
    Wilhelmshöher Allee 273 | 34131 Kassel
    Tel. 0561 779351
    www.suchthilfe.de

    buss, 26.05.2020

  • Studie zur Körperhaltung

    Eine dominante Körperhaltung könnte Kindern dabei helfen, sich in der Schule selbstsicherer zu fühlen. Das zeigt eine neue Studie von Psychologinnen und Psychologen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Universität Bamberg. Die Studie erschien kürzlich im Fachjournal „School Psychology International“ und gibt erste Hinweise darauf, wie sich Schülerinnen und Schüler mit einfachen Übungen in der Schule besser fühlen könnten.

    Manche Posen sind eindeutig: Sitzt jemand mit hinter dem Kopf verschränkten Armen und legt die Füße lässig auf den Tisch, so erlebt sich diese Person gerade vermutlich als sehr selbstsicher. Vor dem Körper verschränkte Arme und ein gekrümmter Rücken deuten dagegen eher auf Unsicherheit. „Körpersprache ist aber nicht nur ein Ausdruck von Gefühlen. Sie kann umgekehrt auch beeinflussen, wie sich Menschen fühlen“, sagt Robert Körner vom Institut für Psychologie der MLU. Die Forschung zum so genannten Power Posing geht unter anderem der Frage nach, inwiefern eine bestimmte Körperhaltung auch die Gefühle und den Selbstwert einer Person beeinflussen können. „Power Posing ist nonverbaler Ausdruck von Macht. Es geht um sehr plakative Gesten und Veränderungen der Körperhaltung“, so Körner weiter. Bisher wurden vor allem die Folgen für erwachsene Menschen untersucht. Die Studie von Körner ist die erste, die sich mit Kindern befasst. „Kinder sind ab einem Alter von fünf Jahren durchaus in der Lage, die Körperhaltung von anderen zu erkennen und zu interpretieren“, so der Psychologe weiter.

    Ihr Experiment haben die Forscherinnen und Forscher mit 108 Schülerinnen und Schülern der vierten Klasse durchgeführt. Eine Gruppe sollte für jeweils eine Minute zwei besonders offene und raumeinnehmende Haltungen einnehmen, die andere eine Pose mit verschränkten Armen und gesenktem Kopf. Anschließend absolvierten die Kinder eine Reihe von Tests. Dabei zeigte sich, dass die Kinder, die zuvor eine offene Haltung eingenommen hatten, besser gelaunt waren und über einen höheren Selbstwert berichteten als die Kinder der anderen Gruppe. „Besonders auffällig waren die Effekte bezogen auf Fragen, die den Schulkontext betrafen. Hier wirkte sich das Power Posing besonders vorteilhaft auf den Selbstwert der Kinder aus“, fasst Körner zusammen. „Es lohnt sich für Lehrkräfte insofern zu prüfen, inwiefern diese Methode Kindern helfen kann.“ Allerdings dürfe man die Ergebnisse der neuen Studie nicht überbewerten und sich auch nicht zu viel von der Technik erhoffen, sagt Körner. Die Effekte seien nur von kurzer Dauer. Schwerwiegende Probleme oder psychische Erkrankungen müssten auch weiterhin von ausgebildeten Therapeutinnen und Therapeuten behandelt werden.

    Die neue Studie deckt sich mit früheren Ergebnissen zum Power Posing. Das Konzept ist in der psychologischen Forschung allerdings umstritten: So konnten einige der Ergebnisse, die etwa Effekte auf den Hormonhaushalt oder das Verhalten zeigten, nicht bestätigt werden. Dies trifft jedoch auch auf andere Studien in der Psychologie und anderen Wissenschaftsdisziplinen zu. „Um unsere Studie noch objektiver und besser nachvollziehbar zu gestalten, haben wir sie und die komplette Methodik präregistriert. Wir haben also im Vorfeld alles festgelegt und konnten danach nichts mehr verändern“, erklärt Körner.

    Originalpublikation:
    Körner R., Köhler H., Schütz A. Powerful and confident children through expansive body postures? A preregistered study of fourth graders. School Psychology International (2020). doi: 10.1177/0143034320912306

    Pressestelle der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 18.05.2020

  • Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen

    „Gute Leitlinien zur Patientenbehandlung sind für eine evidenz-orientierte schmerzmedizinische Versorgung unverzichtbar“, erklärt Prof. Dr. Claudia Sommer, Präsidentin der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V., anlässlich der jüngst erfolgten Überarbeitung der Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (LONTS).

    Der von LONTS empfohlene kritische Umgang mit Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen ist wichtiges Leitbild der individuellen Therapieentscheidung in der Schmerzmedizin.

    In Deutschland erfolgen rund 70 Prozent der Opioid-Verordnungen bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (CNTS). Bei circa einem Prozent der deutschen Bevölkerung werden Opioide bei CNTS langfristig (mind. drei aufeinanderfolgende Verschreibungen im Jahr) verordnet.

    Die S3-Leitlinie nennt Einsatzgebiete, aber auch Grenzen, einer medikamentösen Schmerztherapie mit Opioiden. Bereits zehn Jahre bevor in den USA und Kanada evidenzbasierte nationale Leitlinien zu diesem Thema veröffentlicht wurden, hat die erste Version von LONTS anhand von eigenen Metaanalysen randomisierter kontrollierter Studien (RCTs) auf die im Durchschnitt geringen Effekte von Opioiden auf CNTS hingewiesen. Neben den Unterschieden des Gesundheitswesens (Kostenerstattung für nicht-medikamentöse Schmerztherapien und Regulierung der Opioid-Verschreibungen in Deutschland) können auch die Vorgängerversionen dieser Leitlinie zum Ausbleiben einer Opioidkrise in Deutschland beigetragen haben.

    Vertreterinnen und Vertreter aus 30 Fachgesellschaften und Organisationen inklusive zweier Patientenselbsthilfeorganisationen haben unter Koordination der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. die zweite Aktualisierung der Leitlinie erarbeitet. Die Leitlinie ist online unter https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/145-003.html auf dem Portal der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) abrufbar und liegt in einer Lang-, Kurz-, Kitteltaschen- und Patientenversion vor. Fachliche Koordinatoren für die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. waren Prof. Dr. med. Winfried Häuser und Prof. Dr. med. Frank Petzke.

    Die jetzt aktualisierte und somit zweite Version von LONTS hat evidenz- und konsensusbasierte potentielle Indikationen, aber auch Kontraindikationen, für Opioide bei CNTS definiert. Weiterhin wurde auf die Notwendigkeit a priori definierter Therapieziele hingewiesen, es wurden Indikationen für den Abbruch einer Opioidtherapie benannt und Reduktions- bzw. Absetzversuche empfohlen.

    Die zweite Aktualisierung von LONTS hat die systematischen Übersichten mit Metaanalysen von RCTs mit Opioiden bei CNTS aktualisiert. Die vier systematischen Reviews sind im „European Journal of Pain“ publiziert. Konsensbasiert wurden die Indikationen für eine Langzeitanwendung (> 4 Wochen) von Opioiden bei chronischen Rücken- und Arthroseschmerzen weiter eingeengt. In enger Absprache mit der S3-Leitlinie zur Medikamentenabhängigkeit der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde wurden diagnostische Kriterien für den missbräuchlichen / abhängigen Gebrauch von aus medizinischer Indikation verschriebenen Opioiden sowie evidenz- und konsensbasierte Kriterien für ihre Therapie erarbeitet.

    Etwa 23 Millionen Deutsche (28 Prozent) berichten über chronische Schmerzen, 95 Prozent davon über chronische Schmerzen, die nicht durch Tumorerkrankungen bedingt sind. Legt man die „Messlatte“ der Beeinträchtigung durch die Schmerzen zugrunde, so erfüllen sechs Millionen Deutsche die Kriterien eines chronischen, nicht tumorbedingten, beeinträchtigenden Schmerzes. Die Zahl chronischer, nicht tumorbedingter Schmerzen mit starker Beeinträchtigung und assoziierten psychischen Beeinträchtigungen (Schmerzkrankheit) liegt bei 2,2 Millionen Deutschen.

    Pressestelle der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V., 14.04.2020

  • Psychosoziale Folgen von Isolations- und Quarantänemaßnahmen

    Kontaktverbote, Ausgangsbeschränkungen und Abstandhalten – Ziel dieser Maßnahmen ist, das Infektionsgeschehen zu verlangsamen. Doch gleichzeitig gefährden diese Beschränkungen die psychische Gesundheit von Menschen. Ganz besonders trifft es Alleinlebende, und das sind in Deutschland rund 27 Prozent der Haushalte. Um die Folgen der Maßnahmen abzuschätzen und Lösungsansätze zu entwickeln, haben sich Wissenschaftler aus über 25 wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Verbänden zum „Kompetenznetz Public Health zu COVID-19“ zusammengeschlossen. Darin bündeln sie ihre Fachkenntnis sowie evidenzbasierte Informationen für Behörden, Institutionen und politische Entscheidungsträger. In dem nun veröffentlichten Policy Brief haben sie Erkenntnisse über psychosoziale Folgen von Isolations- und Quarantänemaßnahmen bei früheren Coronavirus-Ausbrüchen zusammenzutragen, um auf dieser Basis Handlungsmöglichkeiten zur Minimierung psychosozialer Folgen aufzuzeigen.

    Studien zu Isolations- und Quarantänemaßnahmen bei SARS- und MERS-CoV-Ausbrüchen ausgewertet

    „Wissenschaftliche Studien belegen konsistent negative psychosoziale Folgen von Isolations- und Quarantänemaßnahmen bei den SARS- und lokalen MERS-CoV-Ausbrüchen, darunter Depressivität, Ängstlichkeit, Wut, Stresserleben, Schlafstörungen, Sorgen, Einsamkeit und Stigmatisierungserfahrungen. Diese erhöhten psychosozialen Belastungen treten während der Isolations- und Quarantänemaßnahmen auf, können aber auch noch Monate und gar Jahre nachwirken“, konstatiert Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller, Direktorin des Instituts für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP) der Medizinischen Fakultät. Bekannte Risikogruppen sind Menschen mit psychischen Vorerkrankungen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Verstärker der Symptombelastungen waren eine längere Dauer der Quarantäne, Einkommenseinbußen und Einschränkungen in der Versorgung mit Alltagsgütern wie Lebensmittel und Haushaltswaren. Mildernd wirkten sich dagegen klare Informationen und soziale Unterstützung aus. Dr. Susanne Röhr, Wissenschaftlerin am ISAP, betont: „Nach der Literatursichtung bleiben noch viele Forschungsfragen offen. Dringender Forschungsbedarf besteht zu den psychosozialen Folgen von Isolations- und Quarantänemaßnahmen für ältere und hochbetagte Menschen.“

    Wissenschaftler empfehlen drei Ansätze zur Minimierung psychosozialer Folgen

    Strukturierte Public-Health-Ansätze im Sinne eines umfassenden psychosozialen Krisenmanagements für die Allgemeinbevölkerung existierten bisher nicht. Die Wissenschaftler schlagen nun Maßnahmen zur Minimierung der psychosozialen Folgen von Isolations- und Quarantänemaßnahmen vor. „Aus Sicht von Public Health geht es darum, einen konsequenten Infektionsschutz umzusetzen und gleichzeitig die Auswirkungen der Pandemie und getroffener Präventionsmaßnahmen im Blick zu behalten, deshalb sollte der Schutz der psychischen Gesundheit integraler Bestandteil im COVID-19 Krisenmanagement sein“, fordert Riedel-Heller. Um psychosoziale Folgen zu minimieren, benennen die Forscher drei komplementäre Lösungsansätze:

    1. Zum einen sei eine umfassende Information und Aufklärung zu den möglichen Folgen notwendig. Die Bevölkerung wird dabei sensibilisiert und kann mögliche Beschwerden einordnen.
    2. Als zweiten Ansatz führen die Wissenschaftler die Prävention und Gesundheitsförderung in der Allgemeinbevölkerung an. So ließe sich etwa die Resilienz stärken durch Tagesstrukturierung, Bewegungserhalt und gesunde Ernährung.
    3. Der dritte Lösungsansatz bezieht sich auf psychotherapeutische Interventionen, vor allem bei besonders gefährdeten Gruppen und Personen mit psychischen Vorerkrankungen. Besonders E-Health und telemedizinische Ansätze können unter diesen besonderen Umständen Betroffenen helfen.

    Diese und weitere Aspekte thematisiert der Policy Brief, der sich an Entscheidungsträger, Medienvertreter, Wissenschaftler und Tätige im Bereich der Prävention, der psychischen Gesundheit und psychosozialen Arbeit richtet.

    Originalpublikation:
    Röhr S, Müller F, Jung F, Apfelbacher C, Seidler A, Riedel-Heller SG (2020). Psychosoziale Folgen von Quarantänemaßnahmen bei schwerwiegenden Coronavirus-Ausbrüchen: Ein Rapid Review. Psychiatrische Praxis 2020; 47(04): 179-189. DOI: 10.1055/a-1159-5562.

    Download: https://www.public-health-covid19.de/images/2020/Ergebnisse/Policy_Brief_Psychosoziale_Folgen_von_Isolation_30042020_final.pdf

    Pressestelle der Universität Leipzig, 06.05.2020

  • EMCDDA-Update

    Das aktuelle Update der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht  (EMCDDA) zu den Auswirkungen von COVID-19 auf Drogenkonsumierende und Einrichtungen der Drogenhilfe steht nun in zehn Sprachen auf der Website der EMCDDA zur Verfügung. Die Updates werden in Zusammenarbeit mit den nationalen Partnern der EMCDDA erstellt und um entsprechende nationale Informationen ergänzt.

    Download der Updates unter http://www.emcdda.europa.eu/publications/topic-overviews/catalogue/covid-19-and-people-who-use-drugs

    Quelle: Drugnet Europe: monthly news round-up (April 2020), 30.04.2020

  • Mini European Web Survey on Drugs

    Der Ausbruch von COVID-19 und die Reaktionen zur Eindämmung der Epidemie stellen Drogenkonsumierende, die Selbsthilfe und die gesamte Drogenhilfe vor neue Herausforderungen. Es gibt immer wieder Hinweise darauf, dass sich Konsummuster und Beschaffungswege ändern, aber konkrete Daten hierzu fehlen bisher.

    Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) führt deshalb bis Mitte Mai eine kurze Online-Erhebung zu den Auswirkungen von COVID-19 auf Drogenkonsumierende in allen EU-Mitgliedstaaten durch. Zielgruppe dieser Erhebung sind alle Konsumierenden von illegalen Substanzen, unabhängig vom Ausmaß ihres Konsums und davon, ob sie Teil der Selbsthilfe sind oder sich in Beratung/Behandlung befinden.

    Link zur deutschen Version: https://ec.europa.eu/eusurvey/runner/Mini-EWSD-COVID-19?surveylanguage=DE

    Einrichtungen, die in Kontakt mit Konsumierenden stehen, sind gebeten, diese Online-Erhebung an die Klientinnen und Klienten weiterzugeben. Für die Einrichtungen gibt es mehrere Möglichkeiten, auf den Fragebogen aufmerksam zu machen:

    • auf ihrer Homepage oder auf Social Media Kanälen
    • in einem Hinweis in E-Mails
    • in Form eines Aushangs mit QR-Code zum Survey, sofern Konsumierende persönlich in die Einrichtungen kommen.

    Der Ergebnisse aller teilnehmenden Länder werden in einer „Trendspotter-Analyse“ der EMCDDA ausgewertet und allen interessierten Personen online kostenfrei zur Verfügung stehen. Nach Abschluss dieser europäischen Befragung ist eine genauer auf Deutschland zugeschnittene Befragung in Planung. Informationen über die Folgen von COVID-19 können dabei helfen, Konsumierende weiterhin bestmöglich zu unterstützen.

    Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an: Esther Neumeier, Leitung DBDD, IFT MÜnchen, neumeier@ift.de

    DBDD / IFT München, 29.04.2020

  • Europäische Qualitätsstandards zur Suchtprävention

    Die fdr+Fachstelle Suchtprävention in Thüringen hat die Europäischen Qualitätsstandards zur Suchtprävention (EDPQS) vom Englischen ins Deutsche übersetzt.

    Qualität oder auch Qualitätssicherung gewinnen in der Prävention und Gesundheitsförderung einen immer höheren Stellenwert. Dennoch besteht in der Suchtprävention kein einheitliches Qualitätsverständnis. Qualitätsstandards können hierbei eine Hilfestellung geben und richtungsweisend sein.

    Die European Drug Prevention Quality Standards (Europäische Qualitätsstandards zur Suchtprävention, EDPQS) sind ein solcher Standard. Sie wurden von einem internationalen, multidisziplinären Team entwickelt und von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen- und Drogensucht (EMCDDA) veröffentlicht. Bei den EDPQS handelt es sich nicht um einen Bewertungsstandard, sondern sie helfen dabei, neue und bestehende Präventionsmaßnahmen zu entwickeln bzw. weiterzuentwickeln.

    Durch die Übersetzung der fdr+Fachstelle Suchtprävention in Thüringen sind die EDPQS nun erstmals in deutscher Sprache verfügbar. Interessierte können diese beim fdr+ über das Bestellformular bestellen.

    Quelle: https://www.fdr-online.info/, Zugriff 30.04.2020

  • „Die geplante Corona-App ist sinnvoll und durchdacht“

    Smartphones können helfen, die Verbreitung des Virus einzudämmen – das zeigen Beispiele etwa aus Südkorea oder Island. In Deutschland wird der Einsatz einer Tracing-App derzeit kontrovers diskutiert. Fragen zu Technik, Vorteilen und potentiellen Gefahren beantwortet Professor Frederik Armknecht, Experte für Datensicherheit und Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Informatik IV an der Universität Mannheim. Grundsätzlich hält er eine solche App für sinnvoll und durchdacht – vorausgesetzt, diese mache nur das, was öffentlich kommuniziert wird.

    Wie funktioniert eine Tracing-App, wie sie die Regierung derzeit erwägt?

    Die App generiert zu Beginn einen geheimen Schlüssel. Aus diesem wird für eine festgelegte Zeit – beispielsweise für einen Tag – eine zufällige Identifikationsnummer (ID) erzeugt. Befinden sich zwei Anwender in Reichweite voneinander, tauschen die Smartphones diese IDs mittels Bluetooth aus und speichern sie lokal ab. Nach Ablauf der festgelegten Zeit wird aus dem aktuellen Schlüssel ein neuer erzeugt, die ID neu gebildet und so weiter.

    Sollte nun ein Smartphone-Benutzer an COVID-19 erkranken, dann veröffentlicht er den Schlüssel, der zum Zeitpunkt der Erkrankung gültig war. Die Geräte der anderen Nutzer können mit diesem Schlüssel die damals gültigen IDs erzeugen und mit denen vergleichen, die lokal gespeichert sind. Stellt also ein anderer Geräte-Besitzer fest, dass er oder sie Kontakt mit dem Erkrankten in der fraglichen Zeitspanne hatte, kann er sich an die jeweilige Gesundheitsstelle wenden.

    Was sind die Vorteile einer solchen App?

    Vorausgesetzt, die App macht nur das, was öffentlich kommuniziert wird, ist es ein großer Vorteil, dass die gesammelten IDs und die möglicherweise veröffentlichten Schlüssel von echten Benutzerdaten unabhängig sind und dass diese Daten nur lokal auf dem Smartphone gespeichert und verarbeitet werden. Weitere Vorteile sind, dass nur lang erprobte kryptographische Verfahren eingesetzt werden. Zudem sind die gespeicherten Daten insgesamt so kompakt, dass das System gut skalierbar ist: Selbst wenn Millionen von Menschen diese App einsetzen, was ja erwünscht ist, sind der Datenverkehr und der Mehraufwand vertretbar. Sicherlich von Vorteil ist auch, dass die Daten automatisch erhoben werden, sodass bei Bedarf die Kontakte lückenlos informiert werden können, ohne dass Experten erforderlich sind, die diese Schritte ausführen.

    Wo sehen Sie Gefahren?

    Generell muss man der App vertrauen, da sie permanent auf Bluetooth zugreift und intern Daten speichert und verarbeitet. Das gilt aber für fast jede App. Da die Identifikationsnummern automatisch gesendet werden, können diese Informationen mitgehört werden. Jemand könnte zum Beispiel Antennen einsetzen, um eine Vielzahl der IDs abzugreifen und zusammen mit anderen Informationen wie Ort oder Videoaufnahmen zu speichern. Falls eine dieser IDs später zu einem Schlüssel gehört, der veröffentlicht wurde, könnte der Angreifer die Daten abgleichen und unter Umständen die Identität der erkrankten Person herausfinden. Insgesamt erscheint mir das Konzept aber sehr gut durchdacht, und ich sehe momentan eher geringe Gefahren.

    Gibt es in Deutschland bereits ausgereifte Modelle, die einsetzbar sind?

    Mir sind keine bekannt. Daten bei einer Pandemie zu sammeln und auszuwerten, ist doch ein eher ungewöhnlicher Anwendungsfall. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die das zugehörige kryptographische Protokoll entwickelten, haben allerdings die Protokolldetails veröffentlicht und ermuntern ausdrücklich dazu, sie anzuschauen und auf mögliche Lücken hinzuweisen – was teilweise bereits geschehen ist. Sie weisen auch darauf hin, dass sie aktiv mit Epidemiologen darüber diskutieren, inwiefern die gesammelten Daten ausreichen.

    Ist eine solche Maßnahme aus Ländern wie Südkorea ohne Weiteres auf Deutschland übertragbar?

    Nicht unbedingt. In Südkorea gelten andere Datenschutzbestimmungen. Dort können Daten erhoben und ausgewertet werden, die im europäischen Raum nicht direkt verwertet werden dürfen, beispielsweise GPS-Daten. Außerdem ist Südkorea im Gegensatz zu Deutschland ein komplett durchdigitalisiertes Land.

    Lässt sich eine solche App von unseren Handys nach der Pandemie mühelos und vor allem zuverlässig wieder entfernen?

    Im Prinzip ja: Es handelt sich um eine App, die wie alle anderen Apps installiert, aber auch gelöscht werden kann. Angeblich soll der Programmcode der App veröffentlicht werden, so dass andere überprüfen können, dass sich die App nicht im System einnistet.

    Wie schätzen Sie diese Maßnahme persönlich ein?

    Aus sicherheitstechnischer Sicht erscheint mir das Konzept sehr sinnvoll und durchdacht. Einige der beteiligten Sicherheitsexperten kenne ich persönlich und halte sie für absolut vertrauenswürdig. Insofern habe ich eine durchweg positive Meinung von dieser Maßnahme und werde die App auch bei mir installieren.

    Links:

    Pressestelle der Universität Mannheim, 20.04.2020